Liebesabenteuer mit Vertrag - Gabriele Böing - E-Book

Liebesabenteuer mit Vertrag E-Book

Gabriele Böing

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Beschreibung

Mara Forteins Traum von einem Liebesabenteuer mit ihrem angehimmelten Star, dem Sänger Kyle aus New York, wird aufgrund glücklicher Umstände tatsächlich wahr. Allerdings muss sie zuerst einen Vertrag unterschreiben, der so einige böse Überraschungen und peinliche Auftritte nach sich zieht. Verantwortlich dafür ist Kyles Manager Ron, der seinen Job eiskalt durchzieht. Mara verfängt sich immer mehr in den Problemen und der Mentalität des Showbusiness. Schon bald verschwimmen die Grenzen zwischen Maras täglichem, soliden Alltag als berufstätige Alleinerziehende in Deutschland und ihrem Doppelleben als Pseudofreundin von Kyle – bis es eine unerwartete Wendung nimmt.

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Seitenzahl: 201

Veröffentlichungsjahr: 2020

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LIEBESABENTEUER MIT VERTRAG

Am 14.12.08 begann mein abenteuerliches Doppelleben. Ich zahlte einen hohen Preis dafür. Aber dennoch möchte ich auf keine Sekunde meines Abenteuers mit meinem Star und seinem Team verzichten.

Mein Tagebucheintrag: Sonntag, 14. Dez.08

Wer ist er? Derjenige, der mir aus meinem alltäglichen Trott heraushilft, meine Augen zum Strahlen bringt, bei dem mein Herz einen Sprung macht, wenn ich an ihn denke, ihn sehe, seine Lieder höre. Der Mann, von dem ich träumen kann, wenn der Alltag eintönig an mir vorbeirauscht. Ich nenne ihn Kyle. Seinen Künstlernamen mag ich nicht aussprechen, denn dann denke ich an die vielen weiblichen Fans, denen ich mich jetzt mehr oder weniger angeschlossen habe. Die Anrede „Kyle“ ist persönlicher, privater, näher. Auch ich laufe jetzt mit der Masse. Nun ja, er ist jetzt etwas älter, hat ungefähr so mein Alter und hat vermutlich nicht mehr so enorm viele Fans. Hoffe ich zumindest. Ich dachte immer, ich hätte einen eigenen Geschmack, würde mich nicht massenkonform verhalten. In diesem Falle irrte ich mich wohl.

Und das im ‚reifen’ Alter von 45 Jahren! Kindisch, absurd, pubertär! Er ist schon lange im Musikgeschäft. Aber Kyle war mir früher nicht aufgefallen. In meiner Jugend war ich viel zu sehr mit meinem Leben beschäftigt gewesen. Damals mied ich jede emotionale Musik in der Befürchtung, von meinem realen Lebenskampf abgelenkt zu werden.

Irgendwann vor einigen Monaten stolperte ich mit 44 Jahren in der Mittagspause in meinem Buchhaltungsbüro, als ich gelangweilt im Internet herumsurfte, über ein Konzert von ihm. Dieser Mann gefiel mir und irgendwie kam mir auch sein Künstlername bekannt vor. Seine Art zu singen erschien mir übertrieben emotional, fesselte mich aber. Seine Augen leuchteten warm, liebevoll und weich – das haute mich schlagartig um. Das, was nur auf wenige Menschen zutrifft, kann ich von ihm vorbehaltlos behaupten: er ist im höheren Alter noch attraktiver geworden. Seine braunen, glatten Haare trägt er halblang. Seine Augen schimmern wie dunkler Bernstein. Seine früher eher kühlen Züge um den Mund sind jetzt weich und ausdrucksstark. Man sieht ihm an, dass er gerne lacht. Seine Figur ist die eines Sportlers: durchtrainiert und schlank. Ein Lippenpiercing sowie mehrere Tattoos demonstrieren seine noch immer jugendliche Einstellung zum Leben. Seine Stimme ist nicht mehr so jugendlich, aber immer noch fantastisch warm und dennoch männlich. Ich stellte fest, dass er in etwa mein Alter hat. Meiner Schwärmerei von ihm stand somit nichts mehr im Wege.

So lange hatte ich nun ohne Männer und ohne Liebe gelebt. Vorrangig fixiert auf Studium, Karriere und als Alleinerziehende auf meine kleine, inzwischen 13 Jahre alte Tochter. Und nun schaffte es dieser Sänger, der einzige Prominente bisher überhaupt, mir meinen Kopf völlig zu verdrehen. Ich begann mich für den Sänger zu interessieren und suchte im Internet nach Artikeln und Bildern über ihn. Ich wollte wissen, was aus ihm geworden war. Das Gerücht ging durch die Presse, dass dieser Sänger schwul sei. Ich las tagelang Interviews von ihm im Internet und sah Clips und Fotos. Ich schämte mich, dass ich so etwas tat. Aber ich genoss es dennoch. Ich druckte Fotos von ihm aus und kaufte sein neuestes Album.

Bedauerlicherweise lebt er jedoch in der Nähe von New York, ist vielleicht homo und für mich unerreichbar. Das bietet mir jedoch auch genug Freiraum für Träume, Fantasien und Geschichten.

Liebes Tagebuch, verzeih, dass ich Dir so eine Schwärmerei zumute. Aber sie entführt mich ein wenig in ein emotionales, kribbelndes, abenteuerreiches und glitzerndes Leben! Ein Leben, das sich zu meinem Jetzigen so völlig unterscheidet.

- Ende Tagebucheintrag -

Ich stöhnte auf. Wie langweilig war mein Leben bloß geworden. Nichts tat sich. Doch, morgens auf der Waage tat sich immer etwas. Dauernd stieg mein Gewicht an. Und das mit 45 Jahren. Ein großer Teil meines Lebens stand noch vor mir, sofern mein Gewicht mich nicht vorzeitig umbrächte.

Halblaut führte ich mal wieder Selbstgespräche: „Momentan sehe ich kaum noch einen Sinn darin, morgens aufzustehen. Wofür soll ich noch kämpfen, außer für meine Tochter? Aber die ist schon in der Pubertät und wird sich in mehr oder weniger naher Zukunft selbständig machen. Und dann?“ Ich dachte an die Wochenenden, die ich oft vorwiegend im Bett verbrachte. Der schwere Körper machte mich träge und meine Lustlosigkeit tat ein Übriges dazu. Ich lebte nur noch mit meiner Tochter in deren Leben. Mein eigenes bestand aus einem eher weniger interessanten Teilzeitjob, meiner Tochter und sonst? Nichts!

„Ich will ein Leben zurück, für das es sich wenigstens gelegentlich lohnt, morgens aufzustehen. Meine Tochter ist doch gut bei ihrer Oma untergebracht, hat dort sogar ihr eigenes Zimmer und empfängt dort ihre Freundinnen. Das muss ich ausnutzen und mir etwas Neues aufbauen!“

Ich verspürte plötzlich den Drang, jetzt irgendetwas Verrücktes zu tun.

Mit einem für mich unüblichen Schwung sprang ich aus dem Bett und rannte an meinen PC. Ich loggte mich im Internet ein. Ohne groß darüber nachzudenken suchte ich die E-Mail-Anschrift von Kyles Agentur heraus.

So häufig hatte ich schon den Namen und die E-Mail-Anschrift gesehen. Sie war in New York.

Ehe ich so richtig darüber nachdachte, hatte ich die E-Mail-Anschrift schon angeklickt und schrieb eine Nachricht herunter:

Dear Madam or Sir,

Dear Kyle,

I am a great fan of you for years. I would like to see you

personally once. As I am informed, you do not plan any

concerts in Germany. So, I would like to see you in

the USA. If you need a supernumerary for a music video I

would be pleased if you can consider me. I would come

certainly for free. Please find a photo of me as an

attachment.

Kind regards,

Mara

Sehr geehrte Dame oder Herr,

Lieber Kyle,

ich bin ein großer von Fan von Ihnen. Ich würde Sie gerne

einmal persönlich sehen. So wie ich informiert bin, planen

Sie keine Konzerte in Deutschland. Daher möchte ich Sie

gerne in den USA treffen. Wenn Sie einen Statisten für ein

Musikvideo benötigen, wäre ich sehr erfreut, wenn Sie mich

berücksichtigen könnten. Ihnen würden natürlich keine

Kosten entstehen. Ein Foto von mir hänge ich an.

Viele Grüße

Mara

Ich schüttelte den Kopf. Ich hatte immer gedacht, ich könne sehr gut Englisch. Die Nachricht machte jedoch den Eindruck, als sei sie von einer Fünftklässlerin mit Hilfe eines Wörterbuchs zusammengestückelt worden. Ich schämte mich auch ein wenig für meine offensichtliche Anhimmelung. Anscheinend litt schon der Verstand. Aber ich wollte heute unbedingt etwas Verrücktes tun - etwas, was diesen Tag von den normalen stupid verlaufenden Tagen abheben würde. Entschlossen hängte ich nun noch ein digitales Foto von mir an die E-Mail.

Aus Angst, es mir doch noch anders zu überlegen, schloss ich die Augen und drückte auf „SEND“. Mein Herz fing sofort an zu klopfen. „So ein Blödsinn! Ich habe mich als Statist bei Kyle beworben, mit meiner molligen Figur, mit 45 Jahren. Jetzt bin ich wohl völlig durchgedreht!“ Ich konnte meinen gerade verzapften Blödsinn plötzlich selbst nicht mehr verstehen und rutschte wieder in meine alte Lethargie zurück. Schnell, als könne ich damit alles ungeschehen machten, loggte ich mich aus dem Internet aus, fuhr den PC herunter und verließ meinen Schreibtisch.

Selbst meiner Tochter, der ich sonst vieles erzählte, wollte ich diese mir peinliche Angelegenheit nicht anvertrauen. Mir war schon unangenehm genug, dass meine clevere Tochter von meiner kindlichen Schwärmerei für Kyle Wind bekommen hatte.

So verscheuchte ich erfolgreich die Gedanken an meine Mail. Ich wusste ohnehin, dass die Anfrage an die Agentur von Kyle vergebens war. Wie viele Fans mochten wohl ähnliche Aktionen unternommen haben, ungebundene, junge, attraktive, amerikanische Fans. Und ich war einer der Fans: eine sich pubertierend gebende, übergewichtige 45-jährige Mutter. Vermutlich würde die Mail dort gleich in dem Spam-Ordner landen, wo sie eigentlich auch hingehörte. Aber ein kleines bisschen hoffte ich dennoch auf irgendeine Reaktion.

Als Ausgleich für meinen kindlichen Ausbruch aus meiner Erwachsenenwelt benahm ich mich in der kommenden Zeit besonders ernsthaft und fantasielos. Zudem stand Weihnachten und Sylvester kurz bevor, was immer mit viel Arbeit verbunden war. Um die Lücke meines erst kürzlich verstorbenen Vaters zu füllen, vor allem für meine Tochter, lud ich eine alleinstehende Freundin ein.

„Oh je“, entfuhr es mir, als ich nach den Feiertagen am 01.01.09 auf meine Waage im Bad stieg. Die 400,00 Euro-teure Waage hatte ich mir zugelegt, da sie jede 100-Gramm Veränderung deutlich anzeigen konnte. Häufig tat mir die Anschaffung wieder leid. Meine dauernden Zunahmen hätte ich auch ohne die genaue Anzeige deutlich registriert können.

„Oh nein“, sagte ich noch einmal.

„Was ist denn los?“, rief meine Tochter aus der Küche.

„Schon wieder zugenommen!“

„Ich habe mich klugerweise heute gar nicht erst auf die Waage gestellt“, antwortete meine Tochter aus der Küche mit vollem Mund.

„Aha, deine Verdrängungstaktik“, brüllte ich grinsend zurück. Sofort musste ich an meine E-Mail an Kyles Agentur denken, die ich in den letzten Wochen auch sehr erfolgreich aus meinem Gedächtnis verdrängt hatte. Ich musste lächeln. Wenn ich an Kyle dachte, wurde mir warm ums Herz und irgendwo im Inneren kribbelte es. Ich hatte dann das Gefühl, plötzlich zu leben.

„Na ja, du bist ja auch schlank und hast eine super Figur“, rief ich meiner Tochter liebevoll zu.

„So viel gegessen hast du über Weihnachten doch auch nicht“, entgegnete sie liebevoll.

„Aber der leckere Alkohol“, antwortete ich leise. Um den langweiligen und auch traurigen Feiertagen ein wenig Freude zu geben, hatte ich dem Ramazotti, Eierlikör und Sekt ganz gut zugesprochen – vor allem am gestrigen Sylvesterabend.

„Mach dir nichts draus. Dann nimmst du halt in den nächsten Wochen die Kilos wieder ab.“ Meine oft fast erwachsen wirkende Tochter stand jetzt hinter mir und schaute tröstend auf mich herunter. Sie war schon ein wenig größer als ich und achtete peinlichst genau auf ihr Gewicht. Darüber war ich sehr froh. Denn ich war zeitlebens übergewichtig gewesen, bis auf die kurzen Zeiten während meiner Diäten. Eigentlich befand ich mich sowieso immer auf Diät: vor allem morgens, mittags und nachmittags. Abends dann aß ich wie eine Verhungernde oder besser: eine Süchtige. Abends war ich depressiv, da ich meine Einsamkeit und Eintönigkeit in meinem Leben zu dieser Tageszeit wie durch eine Lupe wahrnehmen konnte. Daraus war die E-Mail an Kyles Agentur entstanden.

„Mit etwas Glück muss ich vielleicht bald schnell abnehmen“, lächelte ich geheimnisvoll. „Dann habe ich ein Ziel.“

„Uuh! Was heißt das denn?“ Meine Tochter zwinkerte mir verschwörerisch zu, obwohl sie garantiert keine Ahnung von meiner Fanmail haben konnte. Ich überlegte einen Augenblick, sie zu meiner besten Freundin zu machen und ihr von meinem Übermut zu erzählen.

„Man kann nie wissen, was passiert“, versuchte ich jedoch das Thema dann doch abzuwiegeln. Es war mir peinlich.

„Oh, die Jahresanfangsträume? Oder gute Vorsätze?“, lachte mich mein Töchterchen aus.

„Abnehmen - was für ein brandneuer und origineller Vorsatz für eine Frau“, lachte ich in Selbstironie und verließ das Bad. Bloß keine weiteren Rückfragen meiner sehr feinfühligen Tochter mehr riskieren. Ihre Mutter hatte sich in einen Sänger verliebt. Das war mir früher nie passiert. Schon allein das würde vermutlich genügen, Jahre den Foppereien meiner Tochter ausgesetzt zu sein.

Im März war mein Gewicht um weitere vier Kilos gestiegen und ich sehr froh, dass es nicht noch mehr waren.

Am Samstagmorgen 14. März saßen meine Tochter und ich am Frühstückstisch. Die aufgebackenen warmen Brötchen dufteten und ich hatte mir gerade das dritte Brötchen dick mit Käse belegt. Unser Kater Nico saß auf einem Stuhl und maunzte uns an. Er beschwerte sich, dass er nicht auf den Tisch springen durfte, um an den Köstlichkeiten auf dem Tisch zu riechen oder vielleicht eine Scheibe Lachsschicken stehlen zu dürfen. Plötzlich schellte die Türglocke.

„Bestimmt der Postbote“, meinte ich. Leider besaßen wir nur Innenbriefkästen. Daher musste der Briefträger darauf warten, dass ihm ein Bewohner öffnete, um die Post ordnungsgemäß in die Briefkästen im Flur verteilen zu können.

Daher drückte ich auf den elektronischen Türöffner und hörte schon die männliche Stimme „Po-ost!“

Schnell setzte ich mich wieder an den Tisch und biss voller Vorfreude in mein warmes Käsebrötchen. Essen war einfach das Beste, was es gab.

Meine Tochter hatte ihr Frühstück nach einem belegten Brötchen bereits abgeschlossen und stocherte gelangweilt mit ihrem Messer in den restlichen Krümeln auf ihrem Teller herum. Sie blieb nur noch aus Höflichkeit bei mir und ich hätte daher lieber allein weiter gegessen, als in ihr gelangweiltes „bist du immer noch nicht fertig“-Gesicht zu sehen.

„Ob mein bestelltes Buch von Morton Rhue heute wohl endlich angekommen ist?“, hoffte meine Tochter.

„Vielleicht? Wie heißt es denn?“

„Ghetto Kids. Und Loreen sagt, das Buch wäre spannend.“ Meine Tochter liebte die Bücher von Morton Rhue und las sie teilweise sogar in Englisch. Ich bewunderte Morton Rhue, der brisante Themen aufnahm und wirklich fesselnde Bücher darüber schrieb. Aber es erstaunte mich, dass meine Tochter mit ihren 13 Jahren und einige ihrer Freundinnen die doch teilweise grausamen und gewalttätigen Handlungen in den Büchern so spannend fanden. Aber vielleicht bedeuteten diese Bücher für sie auch die kurzzeitige Flucht in ein abenteuerreiches, einfach total anderes Leben. So, wie Kyle und die Träume mit ihm für mich.

Also sagte ich: „Der Briefträger war gerade da. Du kannst ja mal nachschauen, ob das Buch heute im Briefkasten ist.“ Erfreut sprang meine Tochter auf, schnappte sich den Briefkastenschlüssel vom Nagel und rannte die Treppen im Hausflur herunter. Die Wohnungstür ließ sie sperrangelweit offen. In dem hellhörigen Haus konnte ich mitbekommen, wie sie den Briefkasten auf- und wieder zuschloss. Dann war Ruhe. Meine Tochter kam nicht wieder. Erst nach einer Weile hörte ich sie die Treppen heraufschleichen.

„Hast Du schon angefangen, das Buch im Hausflur zu lesen?“, rief ich ihr entgegen.

„Was?“ Meine Tochter schreckte hoch.

„Nö. Es ist da. Aber hier ist auch ein Brief für dich!“

„Ist eh wahrscheinlich wieder nur eine Rechnung oder Werbepost.“ Ich drehte mich uninteressiert weg.

„Nö – er ist aus den USA. Schöne Briefmarke!“

„Was?“ Ruckartig drehte ich mich zu ihr um. Sie war gerade an der Wohnungstür angekommen. Mein Herz pumperte vor freudiger Spannung. Endlich tat sich etwas Spannendes in meinem eintönigen Leben.

Meine Tochter grinste hämisch. „Aus Amerika! Und darauf steht Manager of Kyle.“ Sie nannte zusätzlich den ihr bekannten Künstlernamen meines Schwarms.

„Ja? Gib her!“

„Nö – erst beichtest du mir, was…?“

Aber ich hatte ihr den Brief schon aus der Hand gerissen. Zitternd riss ich ihn auf und faltete den maschinengeschriebenen Brief auseinander. Ich überflog die in Englisch geschriebenen Zeilen und stellte fest, dass ich alles verstehen konnte.

„Das gibt es nicht!“ Ich schnappte nach Luft. Meine Tochter grinste mich weiterhin erwartungsvoll an. Ich fasste mir an den Kopf.

„Ich werde zu einem Videodreh eingeladen. Kyle hat einen neuen Song und ich soll, mit vielen anderen natürlich, ein Fan im Video spielen. Ich werde Kyle sehen!“

„Und wenn er dich per Handdruck begrüßt, darfst du dir natürlich die Hände nicht mehr waschen!“ Das war typisch für meine Tochter. Sie brachte mich mit dieser gar nicht so weit hergeholten Bemerkung wieder in die Realität zurück.

„Ich bin wohl ein wenig kindisch?“, antwortete ich unsicher.

„Nun ja, nur ein bisschen“, tröstete sie mich. „Aber ich finde es toll, dass du verliebt bist. Egal, in wen. Du wirkst sehr viel lebendiger und froher, wenn du von Kyle redest. Ich freue mich, dass du ihn live sehen kannst.“ Meine Tochter drückte mich liebevoll.

„Oma wird sich freuen, wenn ich dann bei ihr bleibe, während du dich mit Kyle vergnügst. Aber du weißt, ein Geschwisterchen will ich nicht.“ Wieder einmal stellte ich peinlich berührt fest, dass die Kinder heutzutage viel zu früh aufgeklärt wurden.

Der Videodreh sollte im Mai stattfinden und ich hatte gerade zwei Monate, um meine Kleidergröße von stattlichen 54 auf vielleicht mollige 50 oder 48 zu reduzieren. Kyle war schlank und muskulös. Ich stöhnte verliebt. Ich hatte mal gehört, dass die Hormone bei einem Verliebten verrückt spielten und alles unter eine „rosarote Brille“ packten. Bei mir tanzten die Hormone abwechselnd Rock ‘n Roll und Polka seit ich die Einladung erhalten hatte.

Ich ließ sie bereitwillig tanzen. Hoffnungen auf mehr als vielleicht ein unpersönliches „Hi“ von Kyle machte ich mir nicht. Der Flug nach New York und der Videodreh mit Kyle waren einfach nur ein spannendes Abenteuer für mich. Der Rest wäre Fantasie und Fiktion. Das war mir schon klar. Noch!

Ich kämpfte in den folgenden zwei Monaten tatsächlich mehr oder weniger erfolgreich mit den Kalorien. die Schokolade kämpfte mit dem Apfel, der Hamburger mit dem Brustfilet und der Alkohol mit der Cola light. In den meisten Fällen gewann jeweils der stärkere kalorienreichere Gegner. Aber nicht immer und daher verlor ich auch immerhin vier Kilogramm.

Ausgestattet mit zwei Garnituren teuer gekauften, aber billig aussehender angeblich Figur vertuschender Kleidung startete mein Flieger mit nur 20 Minuten Verspätung am 19.05.2009 sehr früh nach London und von dort aus zum John F. Kennedy International Airport in New York. Obwohl ich in meinem Beruf mit Wirtschaftsenglisch vertraut war, hatte ich mir in den zwei Monaten einen Privatlehrer gegönnt, der mich im „Alltagsenglisch“ oder noch spezieller in „Umgangsamerikanisch“ fit machte. Ich glaubte nämlich kaum, dass ich Kyle oder sein Team mit Wirtschaftsenglisch beeindrucken könnte. Zumindest musste ich die Anweisungen des Drehteams während der Videoaufnahme irrtumsfrei verstehen. Wie peinlich wäre es, wenn da etwas schieflaufen würde! Natürlich wollte ich Kyle auffallen, aber sicher nicht, indem ich seinen Videodreh boykottierte.

Sehr aufgeregt rutschte ich während des langen Fluges im Flugzeug hin und her. Wie würde ich mich wohl auf dem Rückflug in drei Tagen fühlen? Enttäuscht, dass mein großes Abenteuer vorbei war? Voller neuer, interessanter Erinnerungen und Eindrücke? Würde ich die Gelegenheit bekommen, mit Kyle ein paar Worte zu wechseln? Vermutlich nicht. Egal, irgendetwas Abenteuerliches wartete in New York auf mich. Und ich wollte es entdecken, erleben und dadurch wieder zum Leben erwachen.

Ich hatte mir ein schönes Hotel nicht weit entfernt vom Drehort ausgesucht. Mein Zimmer war zwar sehr klein, aber gemütlich. Am nächsten Tag sollte ich mich um 9:00 Uhr am Drehort einfinden. Am Nachmittag schlenderte ich noch durch die Straßen in der Nähe des Hotels. New York, was für eine herrliche Stadt. Welch ein fantastisches Flair. Ich war schon einmal vor einigen Jahren in New York gewesen und diese Stadt hatte stark beeindruckt. Aber von Flair hatte ich bisher nicht gesprochen. Vermutlich war es diesmal nur Kyle, dessen Flair so faszinierend auf mich wirkte. Die Nacht schlief ich unruhig und meine Träume drehten sich ausschließlich um meinen Star. Wie konnte ich mich als erwachsene Frau nur so fürchterlich in einen mir eigentlich völlig fremden Mann verlieben!

Der nächste Morgen war grau und regnerisch. Ich war aufgeregt und müde, da ich noch mit der Zeitumstellung kämpfte. Ich wusch mir die Haare und holte mir einen Kaffee vom Frühstücksbuffett. Mehr konnte ich heute nicht herunterbekommen. Das war für mich äußerst untypisch. Ich föhnte meine langen, braunen Haare, schminkte mich und zog eines meiner neuen Outfits Größe 52 an. Es gefiel mir nicht, aber ich hatte nichts Besseres für meine Figur finden können.

Den Weg vom Hotel zum Drehort, einer Konzerthalle, hatte ich mir schon viele Male zu Hause in Google Earth und im Stadtplan angeschaut. Ich konnte ihn inzwischen auswendig. Ich brauchte nur eine halbe Stunde für den Weg, aber ich ging schon eine Stunde vorher los. Für mich war dies so ein besonderer Tag, dass ich mich nicht gewundert hätte, wenn mein Weg zu Kyles Videodreh mit strahlenden Lichtern, bunten Fontänen und Reportern begleitet gewesen wäre. Stattdessen regnete es, graue Wolken verdunkelten die Stadt und die zumeist trist gekleideten Leute hasteten in sich versunken an mir vorbei, wie vermutlich an jedem Arbeitstag in New York.

Ich erreichte nach einer halben Stunde die Konzerthalle und der Pförtner ließ mich mit meinem Einladungsschreiben problemlos herein.

In der Vorhalle befand sich bereits ein bunt gemischtes Volk von Statisten. Ich war nur eine von Hunderten dieser Menschen im Videodreh. Gerade hatte ich mir einen noch freien Stuhl im Vorraum erkämpft, da herrschte schlagartig Stille und alle Köpfe drehten sich zum Eingang um.

Kyle! Zwar noch ungeschminkt und ungestylt aber dennoch strahlend. Er trug eine verwaschene Jeans und eine dunkelbraune enge Lederjacke. Er lächelte herüber und seine Wärme verteilte sich fast sichtbar im kühlen Vorraum. Keiner der Statisten rief Kyle etwas zu oder schrie, wie ich es aus Konzerten in meiner Jugend gewöhnt war. Kyle war nicht allein. Vermutlich war der Mann, der ihn begleitete, sein Manager. Beide verschwanden hinter einer Tür. Mir war mulmig im Magen. Kyles Auftauchen hatte mich schon leicht überfordert. Vielleicht hätte ich doch frühstücken sollen.

Kurze Zeit später wurden wir in die Konzerthalle hereingelassen und sollten uns Plätze suchen. Wir wurden gebeten, uns so zu verteilen, dass das Publikum vor der Kamera möglichst gemischt wirkte: Männer neben Frauen, Ältere neben Jüngeren. Ich konnte es kaum fassen, dass ich in der zweiten Reihe vor der Bühne noch einen Platz neben einem jungen Mann ergattern konnte. Zum Glück war ich früh genug gekommen! Nun kam ein Mann mit Mikrophon und erzählte uns, wie er sich das mit dem Videodreh im Einzelnen vorgestellt hatte. Ich verstand sein Englisch sehr gut. Später sollten wir aufstehen, winken, klatschen und schreien. Kurz nach dem Ende des Drehs kämen auch noch Reporter dazu. Sie berichteten über den Videodreh. Wenn es mehr nicht war! Dafür hätte ich mein Englisch nicht so kostspielig auffrischen müssen. Da konnte ich einfach nichts falsch machen.

Erstaunlich schnell ging es schon los. Die Lichter wurden eingestellt, die Musik eingespielt und Kyle erschien. Wow! Wie gut konnte ich inzwischen die kreischenden Teenager verstehen, wenn „Take That“ auf die Bühne gekommen war. Es herrschte eine Bombenstimmung, obwohl der Dreh dauernd abgebrochen und neu gestartet werden musste, damit die Kameras Kyle noch besser filmen konnten. Kyle war nicht weit entfernt von mir auf der Bühne. Ich fühlte mich ihm sehr nahe. Plötzlich beugte sich Kyle singend in meine Richtung herunter. Mir blieb das Herz stehen. Aber er schaute nicht mich an, sondern ein junges Mädchen hinter mir. Was hatte ich auch erwartet!

Nach schon vier sehr kurzweiligen Stunden war der Dreh abgeschlossen. Die Reporter wurden hereingelassen und wir sollten den Videodreh für deren Kameras und Berichte nachspielen. Noch ein paar Minuten mit Kyle! Das Blitzlichtgewitter störte mich etwas. Die Musik erschien mir plötzlich so laut. Kyle war nachgepudert worden. Er wirkte wieder frisch, als sei er gerade erst auf die Bühne gekommen. Er lächelte uns Statisten an, er lächelte in die Kameras, sein weicher Gesichtsausdruck, seine warmen braunen Augen, seine tolle Stimme – er hypnotisierte mich förmlich - er verschwamm vor meinen Augen, die Musik verschwand und machte einem starken Piepen in meinem Ohr Platz. Die Bühne begann, sich vor mir zu drehen. Handelte es sich etwa um eine Drehbühne? Sie wurde immer schneller und Kyle schien es nicht zu bemerken. Keiner schien es zu bemerken.

„Oh nein!“, stöhnte ich und hielt meine Hände an die Ohren gepresst. Nicht jetzt, bitte nicht jetzt! Mein Drehschwindel meldete sich plötzlich wieder. Er setzte immer dann ein, wenn ich sehr unter Spannung stand. Natürlich war ich hier sehr aufgeregt. Aber bitte, bitte, nicht hier bei Kyle! Bitte, nicht negativ auffallen in Gegenwart von Kyle und vor den Reportern. Ich ging in die Knie und fiel nach vorne. Ich hoffte, keiner würde es bemerken und ich würde nicht auffallen, so auf dem Boden kniend. Ich verlor meine Orientierung. Es herrschte nur noch meine Angst und der enorm schmerzhafte Druck im Ohr. Bitte nicht hier, aber es war mir langsam auch schon egal. Inzwischen wusste ich nicht mehr, ob ich mehr Angst davor hatte, öffentlich unangenehm aufzufallen, oder der Qual des Schwindels und seiner Begleiterscheinungen ausgesetzt zu sein.

Nach einigen Minuten ließ der Schwindel langsam nach. Ich atmete schwer. Das Piepen im Ohr wurde leiser, aber ich hörte auch keine Musik mehr. War ich ohnmächtig geworden? War alles nur ein Traum gewesen?

„Alles OK?“, fragte eine männliche Stimme vor mir in Englisch.

„Ja, geht wieder. Danke!“, antwortete ich geistesabwesend in Deutsch und öffnete die Augen.

„Keine Ursache“, antwortete der freundlich Mann in gebrochenem Deutsch. Es hörte sich niedlich an. Ich schaute auf und sah genau in ein paar bersteinbraune Augen, in Kyles Augen! Er musste mitbekommen haben, dass ich zusammen-gesackt war. Mist! Die Augen aller Statisten waren auf mich gerichtet und auf Kyle, der mir seine rechte Hand auf die Schulter gelegt hatte. Ich kniete noch auf dem Boden.