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"Man kann alles erreichen, wenn man sich nur intensiv genug darum bemüht!" Tanja entdeckt nach Ausbruch ihrer psychischen Panik- und Angsterkrankung, dass dieses jahrelange Lebensmotto von ihr keinesfalls unüberlegt verfolgt werden sollte. Quälende, unkontrollierbare Drehschwindelanfälle nach dem instinktgesteuerten Überlebensmotto: "Zur Not stelle ich mich tot" zwingen Tanja zu einer Therapie. Sie lernt, dass sie die ungesunden, privaten und beruflichen Lebensumstände, an denen Sie zuvor unbedingt festhalten wollte, ändern muss. Ihr tatkräftiger, erfolgreicher und attraktiver Lebenspartner Julian ist von Tanjas "psychischer Schwäche" und ihren geplanten Veränderungen jedoch gar nicht begeistert. Leider ist er nicht der Einzige, der ihr riesige Steine in den Weg legt...
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Seitenzahl: 153
Veröffentlichungsjahr: 2020
Erfahrungsbericht über Panikerkrankung, Drehschwindelattacken und Klinikaufenthalt
Vorwort
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Erfahrungsbericht: Wie eine Frau mit einer Angst- und Panikerkrankung, die sich in psychogenen Schwindelattacken äußert, ihr Leben nach einer klinischen Verhaltenstherapie neu ordnet
Alle Namen, Daten, Firmierungen und Handlungen in diesem Buch sind völlig frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder verstorbenen Personen ist rein zufällig. Es handelt sich somit nicht um tatsächlich in dieser Form stattgefundene Ereignisse.
Dieses Buch ist ein Unterhaltungsroman. Es erhebt keinerlei wissenschaftlichen oder medizinischen Anspruch und garantiert keine vollständige, umfassende Darstellung zum Thema „Panikattacken". Die Autorin ist weder Arzt noch in einem medizinischen Beruf ausgebildet. Bei gesundheitlichen Beschwerden oder Verdacht auf eine Erkrankung sollte ein Arzt aufgesucht werden.
„Oh, nein!“ Tief enttäuscht und mit wütender Hilflosigkeit ließ ich mich auf das dunkelbraune Wohnzimmersofa fallen. Warum nur reagierte ich zunehmend häufiger mit ohnmächtiger Wut auf Änderungen oder Enttäuschungen? Ich hatte mich doch bisher immer so beherrscht und verstandesbetont benommen, worauf ich immer sehr stolz gewesen war.
„Tanja, was soll das denn jetzt?“ Mein Freund Julian starrte mich mit einem kalten, völlig verständnislosen Blick an. „So aufbrausend kenne ich dich gar nicht. Was ist los?“, fragte er mich jetzt schon fast besorgt.
Julian lehnte lässig am edlen Wohnzimmertürrahmen aus dunklem Holz. Seine Haltung spiegelte sein unerschütterliches Selbstbewusstsein wider, das er als erfolgreicher Versicherungsvertreter auch benötigte. Julian sah zweifellos extrem gut aus und wir waren ein Pärchen, das inzwischen seit fast zwei Jahren schon zusammenlebte. Täglich fragte ich mich, womit ich solch einen Traummann verdient hatte, aber eine für mich nachvollziehbare Antwort darauf konnte ich nicht finden. Julian beteuerte täglich, dass er mich liebte, wie ich war. Außerdem hatte ich auch noch nie den kleinsten Hinweis auf eine Untreue von ihm entdecken können. Dennoch rutschte mein Selbstbewusstsein jeden Tag ein Stückchen mehr in den Minusbereich. An den Tagen, an denen seine Susan da war, sackte es sogar ein erheblich größeres Stückchen ab.
„Ich hatte mich schon so lange auf das Musical gefreut und vor allem auf den gemeinsamen Abend nur mit dir“, brachte ich mit belegter Stimme heraus, während ich versuchte, eher enttäuscht als wütend zu wirken. Ich fühlte mich gar nicht wohl in meiner Haut, meine Reaktion war mir selbst fremd. Irgendwie steckte ich in einem Irrgarten fest. Keiner, meiner mir momentan begehbaren Wege führte hinaus aus der Enge, meiner Verwirrung, meinem Gefühl der Überforderung und der entsetzlichen Einflusslosigkeit. Und den richtigen Weg, der aus meinem stets wachsenden Lebenslabyrinth herausführen könnte, fand ich plötzlich nicht mehr. Es gab zu viele verschiedene Wege, zu hohe Anforderungen für die Benutzung der Wege, ein zu heftiger Druck, den ich selbst an die Perfektion der Wege stellte. Und dabei war ich überzeugt davon, dass man im Leben alles schaffen konnte, was man nur ernsthaft und hartnäckig genug anging. Dieses Lebensmotto war bisher mein Wegweiser gewesen. Mit diesem Leitsatz hatte ich mein Abitur, meine Ausbildung und mein Studium mit hervorragenden Noten abgeschlossen. Ebenso konnte mein Lebenslauf keine Zeiten der Arbeitslosigkeit aufweisen. Alles an meinem Lebensweg erschien makellos zu sein, aber er passte irgendwie nicht zu mir. Dieser von mir mehr oder weniger gewählte Weg führte mich immer mehr in das Labyrinth herein statt heraus.
Ich schaute auf den dunklen Parkettboden unseres Wohnzimmers und zog die Schultern hoch, als ob ich mit einer körperlichen Bestrafung rechnen würde. Wie erbärmlich musste ich in diesem Moment auf meine Umwelt und vor allem auf meinen Freund wirken?
„Was soll denn dein kindisches Verhalten? Wir sehen uns das Musical Starlight Express doch am Samstag tatsächlich zusammen an! Es hat sich an unserer ursprünglichen Planung nichts geändert!“ Julian hatte sich jetzt ungeduldig abwartend an die andere Seite des dunklen Holztürrahmens angelehnt. Er war so beeindruckend, selbstsicher, männlich, attraktiv - ich liebte ihn so sehr. Ich hätte glücklich sein müssen, dass ein solcher Mann mein Freund sein will. Stattdessen spürte ich jedoch nur Eifersucht, Furcht und die Panik, dass ich für diesen Mann nicht gut genug wäre. Ich war das Gegenteil von ihm: introvertiert, ruhig, unscheinbar und auch etwas übergewichtig. Warum nur versuchte ich ihn, zu allem Überfluss auch noch zu beschränken? Es musste ja so wirken, als wollte ich ihn verekeln.
Ich verstand mich selbst nicht und konnte mich ihm erst recht nicht erklären. Da er mich aber noch immer anstarrte und auf eine Antwort wartete, begann ich, zu zögern: „Ich dachte nur - wir hatten doch geplant, nach der Vorstellung noch Essen zu gehen und uns – na ja – einen schönen Abend zu machen. Wie ein Pärchen halt eben!“ Ich stammelte entsetzlich herum. Ich wusste, meine Antwort war nicht der richtige Weg aus dem Irrgarten heraus zu kommen, aber meine Angst, Julian zu verlieren, machte mir es mir unmöglich, den richtigen Weg aus dem Labyrinth jetzt zu finden.
„Aber wir werden den Abend doch auch wie geplant zusammen verbringen und anschließend in einem Restaurant gemütlich etwas essen!“
Ich fühlte mich davon genervt, dass er mich nicht zu verstehen schien, und wurde langsam noch ärgerlicher. Daher legte ich ohne Rücksicht auf möglicherweise daraus entstehende Verluste los: „Aber wir werden nicht nur zu zweit sein. Du hast deine Schwester eingeladen und …!“
Julians missmutiger Gesichtsausdruck verriet mir, dass er jetzt genau wusste, was mich unzufrieden gemacht hatte. Er unterbrach mich barsch: „Was hast Du eigentlich gegen meine Zwillingsschwester Susan? Sie war immer freundlich zu dir. Du tust fast so, als sei sie meine Geliebte. Vielleicht willst du mich aber auch nur von meiner Familie fernhalten?“ Und es lag schon eine Drohung in Julians Frage. Ich hasste es zutiefst, wie er den Namen seiner Zwillingsschwester aussprach: „Susänn“. In seiner Stimme klangen Zärtlichkeit, Wichtigkeit und Wertschätzung mit. Genau das sollte er in meinem Namen, dem Namen seiner Partnerin, sehen. Ich benahm mich albern - ich wusste es im Innersten, aber dennoch war sie nicht weniger schmerzvoll: diese verdammte Eifersucht und auch diese verdammten Minderwertigkeitsgefühle! Auch Susan sprach den Namen ihres Bruders immer sehr liebevoll und sanft aus – mit ihrer hohen, lebhaften, ständig flirtenden Stimme. „Dschuliänn!“ Ihre Eltern hatten ein Faible für englische Namen „Julian“ und „Susan“ – beide wurden englisch ausgesprochen.
Zugegebenermaßen hatte meine Mutter wohl auch eine Vorliebe für russische Namen. Mein Vorname lautete Tatjana, ein typisch russischer, weiblicher Vorname. Allerdings war mir die Abkürzung „Tanja“ lieber, sodass ich mich nur noch mit diesem kürzeren Rufnamen vorstellte.
„Tanja, hörst du mir überhaupt zu?“ Julian schaute mich erneut besorgt an, da ich wieder nicht geantwortet hatte.
„Ja, Julian, ich habe dir natürlich zugehört. Ich will dich nicht von deiner Familie zurückhalten. Aber ich möchte auch mal wieder gerne nur allein mit dir etwas unternehmen. Du weißt, dass mir deine Schwester zu… zu… zu…!“ Ich brach ab. Mir fehlten die Worte. Ich traute mich nicht, meinem Lebenspartner zu sagen, dass Susan mir zu frech oder vielleicht einfach nur zu temperamentvoll war. Susan und Julian verstanden sich ausgesprochen gut. Wenn sie zusammen waren, spielte ich nur noch eine unbedeutende Nebenrolle. Ich war viel stiller und zudem zu introvertiert und zu überlastet, um mich an der lebhaften Unterhaltung beteiligen zu können. Julian schien es dann noch nicht einmal mehr aufzufallen, wenn ich in Gegenwart seiner Schwester oft völlig schwieg. Susan hingegen wurde immer lebhafter und unterhielt Julian mit ihren Erlebnissen, Witzchen sowie den Erinnerungen an die gemeinsame Vergangenheit der Geschwister. Ich mochte Susan im Grunde eigentlich sogar. Aber sie führte mir immer so deutlich vor Augen, wie ruhig, unbedeutend und nebensächlich ich neben ihr erscheinen musste.
Es fiel mir schwer, dies alles vor Julian zuzugeben. Er sollte niemals glauben, ich würde nicht zu ihm passen oder nicht kraftvoll genug sein, sodass er mich dann betrügen oder sogar verlassen würde. Schmerzhaft spürte ich meine noch immer hochgezogenen Schultern. Mein Rücken und vor allem mein Schulterbereich fühlten sich seit Wochen so an, als wären harte, unflexible Backsteine darin gewachsen, die meine Bewegungen einschränkten und bei jeder Regung des Oberkörpers ziehende Schmerzen verursachten.
Noch immer spürte ich auch den Nackenwirbel, der sich nach einem der häufigen, anstrengenden Treffen von Susan, Julian und meiner Wenigkeit verschoben hatte. Ich besuchte danach regelmäßig einen Physiotherapeuten, der mit Entspannungsübungen meinen Rücken, meine Schultern und möglichst auch noch mein ganzes Leben entspannten sollte. Aber eine Atempause ließen mein attraktiver Machofreund, seine ihn vereinnahmende Zwillingsschwester, mein Perfektionismus und vor allem mein ständig sinkendes Selbstbewusstsein nicht zu. Entsprechend hartnäckig drückte der verschobene Wirbel weiterhin auf einen Nerv im Rücken, der mich durch ein schmerzhaftes Ziehen bis in den Daumen des rechten Arms nur zu gerne an meinen seelischen und körperlichen Anspannungszustand erinnerte.
Julian lehnt noch immer am Türrahmen und schaute mich fragend an. Er wartete nach wie vor bemerkenswert geduldig auf die Beendigung meines abgebrochenen Satzes. Ich holte tief Luft. „Susan ist sehr lebhaft und ich bin halt ruhiger. Da fühle ich mich manchmal zurückgesetzt!“, brachte ich wahrheitsgemäß heraus.
„Wenn Susan und ich reden, kommst du wohl nicht ganz zum Zuge?“ Amüsiert zwinkerte Julian mir zu. Ich schmolz dahin. Er ergänzte liebevoll: „Aber es ist doch in Ordnung, wenn du ruhiger bist. Sonst kämen WIR nicht mehr zu Wort und das würde mir nicht gefallen. Wir beide, also du und ich, sind doch auch oft nur zu zweit. Wir leben zusammen, schon vergessen? Susan wollte so gerne zu dem Musical Starlight Express mitkommen. Warum auch nicht? Sie gehört schließlich zu meiner Familie und somit auch fast zu deiner!“, beschwichtigte mich Julian nun. Er setzte sich neben mich auf das Sofa und streichelte mir zärtlich über die Wange.
Plötzlich bekam ich ein ganz schlechtes Gewissen. Wie egoistisch war ich nur wieder gewesen? Ich liebte Julian nach den fünf Jahren der Freundschaft immer noch abgöttisch und konnte mich seinem Charme nicht entziehen. Ich sah ihn entschuldigend an und strich ihm durch seine kurzen, dunkelbraunen Haare. Seine Attraktivität brachte Julian in seinem Beruf als Versicherungsvertreter sehr viele Vertragsabschlüsse, vor allem von Frauen, ein. Durch sein jahrelanges Training im Judoverein war er muskulös und wirkte sehr sportlich. Ich sah in seine stahlblauen Augen, die jetzt warm glänzten.
„Entschuldigung, das war wirklich dumm von mir. Natürlich kann Susan gerne mitkommen!“, renkte ich schnell ein. „Vermutlich bin ich durch meinen beruflichen Stress zurzeit nur ein wenig überreizt.“
Julian nickte und drückte mich erleichtert an sich. Ich hatte das Gefühl von ihm mehr oder weniger bewusst manipuliert zu werden, konnte und wollte mich aber nicht dagegen wehren. Ich war so unentschlossen, welchen Weg im Irrgarten ich nehmen wollte, welcher der Beste für mich wäre und endlich zu meinem ersehnten und vor allem befreienden Ausgang führte.
Julian umarmte mich jetzt zärtlich. Auf dem Sofa in diesem Moment konnte ich seine Umarmung nicht genießen, dann ich war gefangen: nicht nur in Julians Zärtlichkeiten, sondern noch erheblich intensiver in unguten Gefühlen, Unsicherheiten, Zweifeln, Ängsten und Panik!
Am nächsten Morgen hatte ich, wie eigentlich ständig in letzter Zeit, keine Lust zur Arbeit zu gehen. Die letzten Tage war es mir leichter gefallen, da ich mich sehr auf den am Samstag geplanten gemeinsamen Abend mit Julian im Musical gefreut hatte. Nun graute es mir vor dieser Unternehmung mit seiner Zwillingsschwester. Ich fühlte mich ihr ständig unterlegen.
An diesem Tag wartete der Monatsabschluss in der Kostenrechnung auf mich. Eine unerfreuliche Arbeit, die fast immer mit der Ursachensuche von Centdifferenzen in unendlichen Überstunden endete. Seit einem drei Viertel Jahr war ich zur Buchhaltungsleiterin aufgestiegen. Julian war sehr stolz auf meinen Aufstieg. Er gab gerne im Bekannten- und Familienkreis an, was für eine tüchtige Freundin er doch hätte. Ich war zuerst auch stolz auf meine Beförderung gewesen, jedoch hatte es sich für mich eigentlich nicht gelohnt. Bei einer umfassenden Kosten-Nutzen-Analyse meiner Beförderung ergab sich ein stark kostenlastiges Ergebnis: mehr Arbeit, längere Arbeitszeiten, kraftzehrende Auseinandersetzungen mit Untergebenen, nur geringfügig mehr Gehalt und viel mehr Verantwortung sowie Ärger. Alles in allem: unprofitabel und enttäuschend. Zudem war ich ein Mensch, der weder schlagkräftig war, noch gerne diskutierte. Ich wollte mich im Grunde nur in meine Buchhaltungsarbeiten vertiefen dürfen. Das genügte leider in meiner Position als Leiterin und Vorgesetzte nun nicht mehr.
„Wir müssen dringend mit Ihnen sprechen!“ So wurde ich immer häufiger begrüßt, wenn ich das Büro betrat und so auch an diesem Freitagmorgen. Kaum hörbar stöhnte ich auf.
„Es gibt Probleme mit der Kostenrechnung!“ Ich hatte noch nicht einmal meine Jacke an den Garderobenhaken gehängt und wurde schon von meinen Mitarbeitern mit betrieblichen Problemen überfallen.
„Schauen Sie mal – Herr Wieczorek wehrt sich dagegen, dass die Reparaturkosten der CNC-Maschine auf seine Kostenstelle gebucht werden. Die Maschine sei bei der Fertigung eines Teils für eine andere Kostenstelle beschädigt worden. Sie sagten mir doch, die Kosten der CNC-Maschine sollten generell dem Herrn Wieczorek und somit der Werkstatt zugeordnet werden! So habe ich das dann auch gebucht.“ Zusammen mit der Verantwortung wurde mir ein Stapel Computerausdrucke unter die Nase gehalten.
„Herr Wieczorek kommt auch deswegen gleich noch selbst zu Ihnen!“, wandte sich meine Mitarbeiterin erleichtert ab, nachdem sie den Papierberg mitsamt dem bevorstehenden Ärger auf meinem Schreibtisch deponiert hatte. Danach verließ sie nahezu ein wenig schadenfroh mein Büro.
„Auch das noch!“, schoss es mir durch den Kopf. Ich ließ mich erschöpft auf meinen Schreibtischstuhl fallen, der sich unter meinem Schwung rasant zur Seite drehte. „Autsch!“ Ich hatte mir das linke Knie am Unterschrank meines Schreibtisches angeschlagen. Wie so oft, wenn ich nervös war! Der Schmerz war sehr heftig. Heiße Übelkeit stieg in meinem Magen hoch. Ich wartete sehnsüchtig auf den Moment, in dem ich mich zwar noch über meine Ungeschicktheit, nicht aber mehr über meinen unnötigen Schmerz ärgern musste. Ich wollte erst einmal in Ruhe über eine Lösung des Kostenrechnungsproblems nachdenken, ehe ich gleich auch noch von dem redseligen und leicht erregbaren Herrn Wieczorek unter den Tisch geredet werden würde. Ich fühlte mich schon wieder im Strudel der Ereignisse gefangen, die ich nicht mehr selbst zu steuern oder beeinflussen im Stande war. Ein mir gut bekannter, treuer Freund, der Fluchtinstinkt, meldete sich in mir.
Aber es war zu spät. Die Bürotür ging auf und Herr Wieczorek, der Werkstattleiter, stampfte mit seinem bereits dunkelstaubigen Arbeitskittel ins Büro. „Als Sie noch nicht Buchhaltungsleiterin waren, wurden die Kosten wesentlich besser zugeordnet“, legte dieser gleich los.
„Guten Morgen, Herr Wieczorek!“, versuchte ich ihn mit einer mir zum Überleben verbliebenen Restfreundlichkeit auf die Höflichkeitsregeln aufmerksam zu machen.
„Einen guten Morgen habe ich nicht bei Ihrer Kostenrechnung!“, böllerte er weiter. Ich hörte die Mitarbeiterin von mir im Nebenbüro belustigt auflachen. Sie war neidisch auf meine Beförderung gewesen und freute sich daher, wenn ich Fehler machte oder Probleme bekam. Ich ermüdete schnell in Streitgesprächen, meine Stimme wurde dann leise, zitterte und ich konnte mich nicht mehr auf meine Argumentation konzentrieren. Warum nur waren andere fähig, zu kontern, während ich wie ein kleiner Hund den Schwanz einzog und dann geneigt war, nachzugeben und es recht zu machen? Aber in meiner Position durfte ich nicht mehr nur die ‚liebe Frau’ spielen. Ich musste mich geeignet zeigen, zu leiten.
„Sie hatten auch schon früher die Reparaturkosten der CNC-Maschine tragen müssen. Schauen Sie sich mal die Ausdrucke der letzten Monate an.“ Ich wollte ihm die entsprechenden Ausdrucke seiner Kostenstelle heraussuchen, aber er winkte nur gereizt ab.
„Das wüsste ich doch wohl, wenn es so gewesen wäre! Aber es hat wohl keinen Sinn, Ihnen sachliche Argumente vorzulegen. Ich gehe besser gleich zu Herrn Machner.“ Ohne meine Antwort abzuwarten, verließ Herr Wieczorek mein Büro, wobei er noch die Bürotür wütend von außen zuschlug.
Ausgerechnet an Herrn Machner wollte er sich wenden! Er war unser kaufmännischer Leiter und mein direkter Vorgesetzter. Herr Machner traute mir meine jetzige leitende Position noch immer nicht so ganz zu. „Na ja, und das vielleicht auch nicht so ganz zu Unrecht", musste ich aufstöhnend zugeben. Ich atmete einmal tief durch und wartete.
Nur fünf Minuten später rief der kaufmännische Leiter an. „Frau Brauner, bitte kommen Sie sofort zu mir!“
Zitternd vor Ärger und Aufregung rannte ich zum Büro meines Vorgesetzten, klopfte an und ging unaufgefordert hinein. Ich wollte das alles möglichst schnell hinter mich bringen. Triumphierend stand Herr Wieczorek vor dem großen schwarzen Schreibtisch unseres kaufmännischen Leiters.
„Frau Brauner, bitte ordnen Sie die Reparaturkosten der CNC-Maschine der neutralen Kostenstelle „sonstige Reparaturen“ zu!“, ordnete Herr Machner ohne Begrüßung mit einer kalten, überheblichen Stimme an. „In diesem Falle muss Herr Wieczoreks Kostenstelle diese Reparatur wirklich nicht tragen.“
„Das habe ich doch gleich gesagt!“, knurrte Herr Wieczorek beim Hinausgehen.
„Ach, Frau Brauner. Würden Sie bitte die Tür schließen und noch einmal zu mir kommen?“
„Natürlich, klar!“, brachte ich übereifrig hinaus. Es war also noch immer nicht vorbei.
„Könnten Sie solche Sachverhalte zukünftig selbst mit den jeweiligen Mitarbeitern klären? Ich habe auch noch andere Dinge zu tun und als Leiterin sind Sie jetzt der zuständige Ansprechpartner für die Kostenrechnung und die Buchhaltung. Es ist Ihre Aufgabe, eine einvernehmliche Lösung zu finden!“
Ich setzte mich und holte tief Luft. „Aber Herr Wieczorek wollte nicht…“, begann ich, doch beschränkte mich dann auf ein: „Klar - natürlich!“ Herr Machner wandte sich ohne eine Erwiderung wieder seinen Akten auf dem Schreibtisch zu und ich verließ leise schleichend sein Büro.
Auf dem Flur schüttelte ich jedoch über mich selbst den Kopf. Die Zuordnungen der Kosten in der Kostenrechnung basieren zum großen Teil auf begründeten Entscheidungen des Sachbearbeiters. Warum nur hatte ich nicht den Mut und die Kraft, mich mehr zu wehren, zurückzuschlagen oder mich wenigstens zu verteidigen? Ich fühlte mich klein, völlig erschöpft und daher unendlich hilflos.
„Nein - ich bin die Buchhaltungsleiterin und so leicht lasse ich mich nicht einfach in meinem Aufgabenbereich übergehen!“, rief ich mir plötzlich halblaut wieder ins Gedächtnis. Es ähnelte dem Überlebenskampf einer Frau, die ins Bodenlose zu stürzen drohte. Warum nur war das Zwischenmenschliche so fürchterlich kompliziert und anstrengend? Kurzerhand machte ich kehrt und platzte ohne Klopfen erneut in das Büro meines Vorgesetzten Herrn Machner.