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Jessica, betrogen und möglicherweise vom Ehemann mit einer tödlichen Krankheit infiziert, trifft auf Adrian, der unter starken Schuldgefühlen gegenüber seiner Ex-Verlobten leidet. Die sie noch belastende Vergangenheit sowie der Wunsch, sich gegenseitig zu helfen, wird zur Belastungsprobe für ihre aufkeimende Liebe.
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Seitenzahl: 129
Veröffentlichungsjahr: 2020
Endlich! Nun hatte Jessica eineinhalb Stunden verzweifelt gewartet. Die Zeit schien immer zähflüssiger verronnen zu sein. Endlich hörte Jessica, wie ein Schlüssel in ihr Wohnungstürschloss geschoben wurde.
Gleich würde sich entscheiden, ob ihr attraktiver Ehemann Kevin sie tatsächlich betrogen hatte.
Kevin, der seit knapp vier Jahren mit Jessica verheiratet war, schloss energisch die Tür auf. Normalerweise lief ihm Jessica jeden Abend, sobald Kevin von seinen Fahrten mit Fahrschülern nach Hause kam, freudestrahlend entgegen. Gewöhnlich warf sie sich dann freudig in seine Arme und nicht selten landeten sie umgehend im Bett.
So leidenschaftlich ihre gemeinsamen Feierabende auch gefeiert wurden, so selten verbrachten sie die ganzen Abende auch zusammen.
Nicht nur Kevins Arbeitszeiten waren aufgrund der Tätigkeit als Fahrschullehrer in einer eigenen Fahrschule ungeregelt, sondern auch Jessicas wechselte als Krankenpflegerin die Schichtdienste wöchentlich. Die für die Führerscheinprüfung erforderlichen Nachtfahrten mit seinen Schülern, der abendlich abzuhaltende Theorieunterricht und zudem noch Jessicas Wechseldienste im Krankenhaus hatten viel zu häufig dazu geführt, dass dieses Ehepaar manchmal nur noch telefonisch oder über schriftliche Nachrichten hatte miteinander kommunizieren können.
An diesem Tage hätte es anders werden können - Jessica hätte Kevin wieder in die Arme fliegen und sie hätten zusammen im Bett kuscheln können.
Aber nun war auch dies nicht mehr möglich - nicht nach dieser Nachricht, die Jessica den Boden unter den Füßen wegzureißen schien.
Noch immer saß Jessica wie versteinert auf ihrer dunkelbraunen Dreier-Sitzer-Ledercouch im Wohnzimmer. Ihre Beine hatte sie hochgezogen und ihr Kinn ruhte auf ihren Knien.
Schon vor zwei Stunden hatte sie die dicke Wolldecke aus dem Kleiderschrank geholt und sich darin eingewickelt. Ein kalter Schauer nach dem anderen jagte ihr den Rücken herunter. Jessicas Augen starrten auf den modernen Glascouchtisch, auf dem das lag, was ihre ganze Welt ins Wanken gebracht hatte. Das alles konnte doch nicht wahr sein. Es durfte einfach nicht wahr sein!
»Jessica, bist du nicht da?«, rief Kevin mit einer verwunderten, nahezu enttäuschten Stimme von der Diele aus, nachdem er sehr geräuschvoll die Wohnungstür ins Schloss geschoben hatte. Er schien die sonst so stürmische Begrüßung seiner Ehefrau Jessica zu vermissen.
»Ich wünschte, ich wäre es nicht«, rief Jessica aus dem Wohnzimmer zurück, aber ihre Stimme versagte fast völlig am Ende.
Mit kräftigen, großen Schritten kam Kevin in ihr Wohnzimmer geeilt. Als er Jessica in einer Decke eingehüllt auf dem dunklen Sofa in schützender Fötusstellung kauern sah, schreckte er einen Moment zurück.
»Was ist los, Jessica? Bist du krank? Warst du schon beim Arzt? Deine Schicht war doch heute um kurz nach 14:00 Uhr bereits zu Ende«, überschüttete sie Kevin mit Fragen. Sein regungsloses Gesicht und auch seine monotone Stimme verrieten jedoch kein wirkliches Interesse an dem Wohlergehen seiner Frau.
Mit einem Schwung ließ sich der sportlichschmale Kevin auf einen Sessel plumpsen. »Das war heute wieder ein Tag«, berichtete er stöhnend, ohne eine Antwort von Jessica abzuwarten. Er strich sich theatralisch seine halblangen, dunkelbraunen Haare nach hinten. Kevin war sich dessen bewusst, dass seine dunklen Haare sowie sein etwas südländisches Aussehen mit den strahlenden, hellblauen Augen viele Frauenblicke auf ihn lenkte. Daher hatte er diese angeborene Attraktivität durch viele Sportstunden im Fitness-Studio perfektioniert, wobei sich auch nach und nach eine gewisse Überheblichkeit in seinem Verhalten entwickelt hatte.
»Manche Fahrschüler glauben scheinbar, sie würden einen Porsche mit eingebauter Vorfahrt fahren.« Kevin schüttelte seinen Kopf, wobei sein halblanges Haar gekonnt hin- und herwippte. Kevins hellblauen Augen leuchteten kalt und verliehen ihm zusammen mit seinem markanten Gesicht eine Aura von Härte, Siegessicherheit und Jugendlichkeit. »Vielleicht vertrauen sie auch darauf, dass das auffällige Fahrschulschild auf dem Fahrschulwagen die anderen Straßenverkehrsteilnehmer dazu bringt, Rücksicht zu nehmen, mögliche Fehler vorauszusehen und auszubügeln.« Einen Moment blickte Kevin Jessica an, da sie noch immer nicht geantwortet hatte, aber dann stöhnte Kevin nochmals auf. Er verschränkte arrogant die Arme vor seiner Brust. »Es scheint viele Fahrschüler gar nicht zu interessieren, dass es gestern Nacht geschneit hat. Der Schneematsch macht die Straßen wesentlich rutschiger. Zudem beginnt der Schnee bereits am frühen Abend wieder, zu gefrieren. Meine Fahrschüler fahren weiterhin so, als würden sie ein abenteuerliches Computerrennspiel bedienen, bei dem es darauf ankäme, möglichst gut mit dem Wagen zu schliddern. Allerdings gibt es auch ganz andere Schüler, die aber auch nicht weniger nervenaufreibend sind. Sie fahren bei diesen Wetterverhältnissen so langsam durch die Straßen, dass sie zu Fuß erheblich schneller wären.« Kevin schaute Jessica auffordernd an. Langsam fand er es unverschämt, dass sie ihm nicht beipflichtete oder ihn zumindest angemessen bedauerte.
Jessica blickte jedoch nach wie vor unbeteiligt auf den Couchtisch.
»Sag mal, Jessica, warum starrst du denn diesen Zettel immer so an?« In Kevins Stimme schwang inzwischen kalter Zorn mit.
»Das ist kein Zettel«, reagierte Jessica jetzt.
Kevin beugte sich ein wenig näher über den Tisch und erkannte, dass es eine Postkarte war. »Da hat dir wohl jemand Urlaubsgrüße geschickt. Was ist daran so faszinierend?«
»Wenn es doch bloß Grüße aus dem Urlaub gewesen wären«, sagte Jessica leise. »Vielleicht sollte man es lieber »Grüße aus der Hölle« nennen.«
»Seit wann bist du so dramatisch?« Kevins Stimme wurde bedeutend lauter. »Es wäre nett, wenn du mir nach solch einem harten Arbeitstag nicht noch die Laune völlig verderben würdest. Ich bringe hart verdientes Geld nach Hause und hätte dafür eine verständnisvolle, nette Ehefrau erwartet. Aber du scheinst dich offensichtlich nicht dafür zu interessieren, wie ich meinen anstrengenden Arbeitstag verbracht habe.«
Nun schaute Jessica auf und lachte sarkastisch. »Mag sein, dass deine geringfügigen Einkünfte hart verdient sind. Du musst die armen Fahrschüler in deinem Wagen durch die Gegend fahren lassen, einfach nur danebensitzen, sie unterrichten und dich von ihnen anhimmeln lassen. Was für ein schweres Leben du doch hast. Zudem bekomme ich für meinen leichten Krankenschwesterjob auch noch erheblich mehr und vor allem regelmäßiges Gehalt, obwohl er doch um so vieles einfacher ist. Die Welt ist wirklich ungerecht zu dir.«
»Verdammt, Jessica, was soll das? Legst du es heute darauf an, mit mir zu streiten? Dann wäre es vielleicht besser, wenn ich gleich wieder gehen würde.« Kevin war jetzt wütend aufgesprungen und stand in vollen Größe vor der noch immer auf der Ledercouch kauernden Jessica.
Jessica schaute langsam hoch und meinte nur: »Mach, was du willst. Vielleicht solltest du aber vorher noch die Postkarte lesen, die im Übrigen an dich und nicht an mich geschickt wurde. Sie liefert sehr interessante Details über deinen so anstrengenden Arbeitstag als Fahrschullehrer.«
»Du liest meine Post?«, brüllte Kevin jetzt.
»Wenn eine offene Postkarte im Briefkasten liegt, lese ich sie. Ich vermute, dass dies auch vom Absender beabsichtigt war.« Jessicas Stimme war ruhig, aber emotionslos. Ihr wurde klar, dass die Nachricht auf der Postkarte zumindest teilweise stimmen musste, wenn sich ihr Ehemann schon im Vorfeld so sehr darüber aufregte, dass sie die Karte gelesen hatte. Kevin schien definitiv Geheimnisse vor ihr zu haben.
»Was erzählst du heute für einen Blödsinn?«, schüttelte Kevin den Kopf. Seine Stimme begann jedoch, nervös zu zittern. Hektisch ergriff er die Postkarte vom gläsernen Wohnzimmercouchtisch, drehte sie richtig herum und las sie.
Jessica beobachtete voller verzweifelter Spannung, wie Kevins Augen langsam Zeile für Zeile diese gleichermaßen bedeutsame wie auch schockierende Nachricht las. Kevins Stirn legte sich zunehmend mehr in Querfalten. Dann plötzlich warf er die Postkarte quer über den Wohnzimmertisch und schrie: »Was soll der Schwachsinn?« Da Kevin die Postkarte mit voller Wut geworfen hatte, schaffte sie es ungefähr einen Meter, wobei sie sich drehte wie ein Hubschrauberpropeller. Dann fiel sie vor dem Wohnzimmerschrank zu Boden. Jessica kam es vor, als handelte sich um ihre Ehe, die nach knapp vier kraftvollen Jahren nun abzustürzen schien.
Jessica war zudem erschrocken und schockiert über Kevin, der selbst auf solch eine bedrohliche Nachricht mit Arroganz und Verleugnung reagierte. Langsam wickelte sie sich aus der Wolldecke heraus und begann, sofort zu zittern. Dennoch stand Jessica auf, ging zu der Karte hin und ergriff sie nun auch mit ihrer zitternden rechten Hand. Sie wollte sich vergewissern, dass sie Kevin weder eine falsche Nachricht gegeben hatte, noch dass sie in ihrem Schock den Inhalt falsch aufgefasst hatte.
Aber noch immer las sie denselben Text, der das Ende ihrer fast vierjährigen Ehe bedeuten würde. Jessica hatte diese fünf Sätze an diesem Nachmittag schon so häufig gelesen, dass sich der Text und die Schrift schon als Foto in ihr Gedächtnis eingebrannt hatten:
»Hallo Kevin, jetzt kann ich mir erklären, warum du unsere monatelange, leidenschaftliche Affäre so überstürzt beendet hast. Ich habe heute erfahren, dass ich mich mit dem tödlichen HIV-Virus angesteckt habe. Du hast mir nicht erzählt, dass du bereits infiziert bist. Bei deinem frauenorientierten Lebenswandel kann der Virus nur von dir kommen, zumal du mein erster und einziger »Freund« warst. Du hörst in Kürze von meinem Anwalt, Sarah«
Hilflos sah Jessica diese Postkarte an und blickte dann zu Kevin hoch. Sie erschrak, als sie in sein Gesicht blickte, das mittlerweile eher dem eines blutleeren Zombies als das eines lebenden Menschen glich.
»Wieso hältst du diese Nachricht für Blödsinn? Hattest du etwa nie eine Affäre mit dieser Sarah? Ist das alles auf ihrer Postkarte gelogen?« Obwohl Jessica an Kevins kalkbleichem Gesicht erkennen konnte, wie erschrocken auch er war, hoffte Jessica noch immer auf ein Wunder. Sie wünschte sich in diesem Moment so sehr, dass Kevins blasse Gesichtsfarbe nur davon herrührte, dass er wütend auf diese Sarah wäre, die sich die leidenschaftliche Affäre zwischen ihnen nur ausgedacht hätte. Im Grunde wusste Jessica jedoch, dass seine starke Gesichtsmimik nicht auf Wut, sondern Entsetzen basierte.
Kevin setzte sich nach endlosen stillen Minuten aufstöhnend auf den Sessel. »Doch, ich kenne diese Sarah. Und ja, ich hatte auch etwas mit ihr«, gab Kevin zu. Er hatte sich mit den Unterarmen auf seine Knie aufgestützt und blickte auf den Boden. Kevin saß da wie ein Luftballon, auf dem plötzlich die Luft entwich: schlaff und kraftlos.
»Du hattest »etwas« mit ihr? Auf der Postkarte steht aber, dass ihr eine monatelange, leidenschaftliche Affäre gehabt hättet. Wo hast du diese Frau überhaupt kennen gelernt?« Die vielen Fragen, die Jessica stundenlang durch ihren Kopf gewandert waren, fanden nun ihr Ziel.
Kevin blickte noch immer zu Boden: »Sarah war eine Fahrschülerin von mir. Es stimmt, wir haben uns schon seit ungefähr acht Monaten getroffen.«
»Ihr habt doch wohl mehr gemacht, als euch nur getroffen«, wandte Jessica nahezu tonlos ein und zeigte auf die Postkarte, die sie wieder auf den Glascouchtisch gelegt hatte.
Kevin nickte.
»Gab es noch weitere Frauen außer Sarah, mit denen du...«, Jessica schluckte, »...mit denen du dich auf die gleiche Weise getroffen hast?«
Kevin nickte nur leicht und es schien ihm schwer zu fallen, so als hätte sich seine Halswirbelsäule plötzlich versteift. Er hatte seine Sitzposition noch nicht verändert und blickte noch immer zu Boden.
»Warum, Kevin? Habe ich dir nicht gereicht? Was fehlte dir, was dir nur die anderen Frauen geben konnten?« Jessicas Stimme klang nun flehend.
Jetzt blickte Kevin sie an. Als er den verzweifelten, fragenden Blick seiner Ehefrau auffing, der voller Schmerz war, fühlte sich Kevin plötzlich wie ein kleiner Junge, der nach einem Streich auf die Strafe seiner Eltern wartete. Er wollte sich nicht rechtfertigen müssen. Kevin wollte sich nicht wie ein kleiner, schuldiger Junge fühlen. Wäre Jessica aufmerksamer zu ihm gewesen, wäre er der ideale Ehemann gewesen. Jessica war an allem schuld, was passiert war. Wütend sprang Kevin auf und schüttelte sein Gefühl, etwas falsch gemacht zu haben, ab. »Was mir fehlte, fragst du?« Kevins Stimme überschlug sich. »Eine Frau fehlte mir, die jeden Abend verfügbar ist. Ich brauchte eine Geliebte, die mich nach 15 Stunden Arbeit in meiner Fahrschule verwöhnt. Ich bin jung und kräftig. Ich wünsche mir im Bett eine interessante und fantasievolle Frau, die auf mich eingeht.« Nun stampfte Kevin aufgeregt durch das Wohnzimmer.
»Und all das konnte ich dir nicht geben?« Jessica sprach mehr vor sich hin als zu Kevin.
»Du? Ich weiß doch nie, wann du welche Schichtdienste im Krankenhaus übernommen hast. Für den Fall, dass du doch einmal zuhause bist, wenn ich Feierabend habe, bist du oft müde, sprichst über deine Probleme oder heute sogar über solch eine blödsinnige Postkarte.«
»Es tut mir aufrichtig leid, dass ich Geld verdienen muss, damit du dir deine Fahrschule überhaupt leisten konntest. Noch wirft sie nicht genügend Einnahmen ab, um die Wohnungsmiete und unseren Lebensunterhalt zu decken.« Jessicas Stimme wurde eiskalt.
»Genau das meine ich: Ständig reden wir darüber, dass ich mit meiner Fahrschule noch nicht genug verdiene und wir uns nicht davon ernähren können. Ich arbeite viele Stunden und es ist nur eine Frage einer kurzen Zeit, bis ich mehr Geld als du verdienen werde. Statt meine Leistungen und meine Arbeit zu würdigen und zu belohnen, meckerst du nur herum. Warum müsst ihr Frauen eigentlich immer nur Ärger machen?«
»Du arbeitest so hart, du armer Mann? Offensichtlich beinhalten deine vielen Arbeitsstunden auch die Affären mit deinen Fahrschülerinnen.« Jessicas Stimme blieb ruhig, aber auch kalt.
Kevin schnaubte und winkte nur entnervt ab. Er beabsichtigte nicht, darauf zu antworten und sich somit wieder zu rechtfertigen
»Wie soll es mit uns weitergehen, Kevin?« Jessica schluchzte auf und setzte sich wieder auf das Sofa.
»Ich habe doch die Affäre mit Sarah beendet. Das steht sogar auf der Karte. Wenn du schon meine Post liest, solltest du das auch vollständig tun«, antwortete Kevin gleichgültig.
Kevin schüttelte arrogant den Kopf. »Somit hat sich das mit Sarah bereits erledigt!«
Jessica starrte wieder auf die Karte. »Ich befürchte, so einfach wird das nicht sein. Sie ist HIV-positiv. Das bedeutet, sie hat sich mit dem Virus angesteckt, der die Immunschwächekrankheit Aids hervorrufen kann. Deine Ex-Geliebte glaubt offensichtlich, dass sie diesen Virus von dir hat. Ist es so?«
»Was weiß ich«, winkte Kevin genervt ab. Doch Jessica beobachtete, dass seine Gesichtshaut wieder fahler wurde. »Du glaubst doch nicht, dass ich der einzige Mann war, mit dem sie ins Bett gesprungen ist. Diese Frau war viel zu erfahren, als dass ich ihr einziger Freund gewesen sein könnte.« Kevin drehte sich weg.
»Hattest du ungeschützten Geschlechtsverkehr mit ihr und...«, schon wieder drohte Jessicas Stimme zu versagen. Sie räusperte sich. »...und mit den anderen Frauen?«
Kevin drehte sich um und schaute Jessica wütend in die Augen. »Kannst du jetzt vielleicht mal aufhören, mich wie einen Straftäter zu verhören? Ich bin nur ein Mann, der sexuell aktiv ist und sich woanders das geholt hat, was ihm seine Frau nicht bieten konnte oder wollte.«
Nun stand Jessica entschlossen auf. »Wenn du dich mit dem HIV-Virus angesteckt hast, bist du mit deiner Sorglosigkeit und Arroganz vielleicht schuld an der Erkrankung und womöglich sogar dem grausamen Tod all der Frauen, mit denen du danach...« Jessica verschluckte den Rest, denn ihr wurde schlagartig klar, dass auch sie zu den Frauen gehörte, die jetzt diesen entsetzlichen Virus in sich tragen könnten. Diese schockartige Erkenntnis schnürte ihr den Hals zu.
»Ich muss raus!«, hauchte Jessica.
»Verschwinde doch. Du bist doch sowieso kaum abends da«, rief Kevin ihr wütend hinterher, als sie in ihr Schlafzimmer hastete. Überstürzt riss Jessica ihren Koffer vom Kleiderschrank und warf achtlos ein paar Kleidungsstücke herein. Schnell rannte sie in das Badezimmer und ergriff ihre Zahnbürste, Zahnpasta, Seife, Kamm und Deo. Auch diese Dinge landeten achtlos im Koffer.
Moment! Jessica und Kevin besaßen noch ein Sparbuch mit ungefähr 2.000,00 EUR für den absoluten Notfall. Dieses Sparbuch konnte sie nicht bei ihm lassen, sonst bestände die Gefahr, dass es morgen von ihm leergeräumt wäre oder er es an sich nehmen würde. Jessica kramte in der untersten Schublade von Kevins Nachttischschränkchen und stieß schnell auf das blaue Sparbuch. Ein Blick hinein genügte ihr, um sich zu vergewissern, dass dieser Notbetrag noch nicht angegriffen worden war. Dabei vergaß sie, die Schublade von Kevins Nachttischschränkchen wieder zuzuschieben.