Lore-Roman 109 - Wera Orloff - E-Book

Lore-Roman 109 E-Book

Wera Orloff

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Beschreibung

In der weltabgeschiedenen Gemeinde Immendorf arbeitet seit einiger Zeit die junge Dorfschullehrerin Klara Weber - sehr zum Ärger des Höller-Wirtes, der gegen Klara eine persönliche Feindschaft hegt und ihr das Leben schwermacht. Von all diesen Dingen weiß Gernot Fürst von Helleswang nichts, als er nach einer langen Reise zurückkehrt nach Schloss Rosenstein und zu seiner Mutter Amantha. Bei einem Spaziergang in den frühen Morgenstunden überrascht er das Mädchen Klara bei einem Bad im nahen Waldsee. Auf den ersten Blick verlieben sich die beiden jungen Menschen. Klara weiß, dass ihre Liebe ein Traum bleiben und sie den Geliebten verlassen muss. Enttäuscht wendet sich der Fürst einem anderen Mädchen zu. Doch er vermag sein Herz nicht zum Schweigen zu bringen ...


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Inhalt

Cover

Da ging sie still aus seinem Leben

Vorschau

Impressum

Da ging sie still aus seinem Leben

Warum ein Fürst sein Glück verschenkte

Von Wera Orloff

In der weltabgeschiedenen Gemeinde Immendorf arbeitet seit einiger Zeit die junge Dorfschullehrerin Klara Weber – sehr zum Ärger des Höller-Wirtes, der gegen Klara eine persönliche Feindschaft hegt und ihr das Leben schwermacht. Von all diesen Dingen weiß Gernot Fürst von Helleswang nichts, als er nach einer langen Reise zurückkehrt nach Schloss Rosenstein und zu seiner Mutter Amantha. Bei einem Spaziergang in den frühen Morgenstunden überrascht er das Mädchen Klara bei einem Bad im nahen Waldsee. Auf den ersten Blick verlieben sich die beiden jungen Menschen. Klara weiß, dass ihre Liebe ein Traum bleiben und sie den Geliebten verlassen muss. Enttäuscht wendet sich der Fürst einem anderen Mädchen zu. Doch er vermag sein Herz nicht zum Schweigen zu bringen ...

Schnaufend, pustend und dunkelgrau rauchend fuhr der Zug in die kleine Station von Degenhamm ein. Vier Personen stiegen ein, nur ein Fahrgast verließ einen der beiden Wagen. Binnen weniger Minuten waren die Pakete verladen, der Beamte hob seine Kelle, worauf sich die Lokomotive wieder polternd in Bewegung setzte. Einige Male drehten die Antriebsräder wild durch, dann zuckelte der Zug langsam weiter.

Weil der Bahnbeamte im Augenblick ohnehin keine anderen Pflichten zu erledigen hatte, ging er auf den einzigen Fahrgast zu, der ausgestiegen war.

Lächelnd legte er die Rechte an seine Schirmmütze, grüßte und erklärte: »Eine der letzten Dampfloks. Ja, in diesem Tal ist die Zeit stehen geblieben. Dafür gibt's hier noch so etwas wie Lebensqualität. Nur leider keine Gepäckträger. Soll ich Ihnen tragen helfen?«

Der Ankömmling fühlte sich von solcher Freundlichkeit angenehm berührt, lehnte aber ab: »Besten Dank. Ich sollte eigentlich abgeholt werden.«

Weil es in dem Ort Degenhamm wenig Sensationelles gab, erwachte im Fahrdienstleiter gleich Neugierde.

»Sie wollen doch nicht noch weiter? Hier ist schon das Ende der Welt.«

Der Fremde sah sich suchend um. Dann verbesserte er den Bahnbeamten: »Hier noch nicht. Ich will nach Zimmendorf und dann noch ein Stück.«

Jetzt fiel es dem Beamten wie Schuppen von den Augen, und er rief aus: »Ich werde alt! Dass ich Sie nicht gleich erkannt habe: Fürstliche Durchlaucht! Fürst von Helleswang! Selbstverständlich, der Herr von Schloss Rosenstein!«

Gernot Fürst von Helleswang erinnerte sich nun auch, den Bahnbeamten schon gesehen zu haben.

Lächelnd erklärte er: »Nach zwei Jahren muss ich doch wieder sehen, ob das gute alte ,Rosenstein' noch steht.«

In dem Augenblick tauchte am anderen Ende des Bahnsteigs eine mächtige männliche Gestalt auf. Die Peitsche in der Hand verriet den Kutscher. Hochrot war der Mann im Gesicht.

Er kam angerannt, verneigte sich und brüllte mit seinem dröhnenden Bass: »Willkommen, Durchlaucht! Tausendmal um Verzeihung, aber Rad am Wagen war kaputt! Straßen noch immer saumäßig schlecht, wenn verzeihen, Durchlaucht!«

Die Stimme und die seltsame Sprache des alten Mannes gaben dem Fürsten die köstliche Gewissheit, dass er wieder dorthin heimkam, wo er geboren war, als Junge sorglos und wild gespielt hatte, und von wo aus er immer wieder schweren Herzens fortgegangen war.

Deshalb rief er herzlich aus: »Wie schön ist es, dass ich wieder einmal heimkommen kann nach Schloss Rosenstein.«

Auch der kräftige Händedruck gehörte dazu. Auf den freute sich der alte Franz stets, weil er sich durch diese Geste sehr ausgezeichnet fühlte.

Vor dem leichten Jagdwagen warteten zwei hellbraune Pferde mit fast weißlich glänzenden Mähnen. Der Fürst trat auf die Tiere von vorne her zu. Sogleich zogen sie aufmerksam die Nüstern in die Höhe.

»Schön seid ihr zwei!«, rief der Fürst und klopfte ebenso kräftig wie zärtlich ihre muskulösen Hälse. »Wunderschön!«

Fürst Gernot brauchte die helfende Hand des Kutschers nicht, sondern schwang sich leicht auf den Wagen. Mit seinen fünfunddreißig Jahren war er trotz mehrerer akademischer Grade und beachtlicher Erfolge als Archäologe weder ein verstaubter Bücherwurm noch ein lebensfremder Wissenschaftler geworden. Soeben kam er von einer Ausgrabung in der asiatischen Türkei zurück, weshalb er braun gebrannt, ziemlich schlank und sportlich topfit war. Seine Arbeiten hatten ihm noch genug Freizeit zum Reiten, Schwimmen und Tennis gelassen.

»Geben Sie mir die Zügel!«, verlangte er. Bei aller Freundlichkeit schlug doch auch bei ihm immer wieder der etwas herrische Ton durch, wie ihn seit jeher alle Fürsten von Helleswang hatten. »Mein Gott, wie lange habe ich schon nicht mehr dieses wunderbare Gefühl gehabt!«

Er gab die Pferde frei, und die beiden kräftigen Tiere warfen sich sofort übermütig ins Geschirr, sodass der Kutscher Franz besorgt warnte: »Vorsicht, Durchlaucht! Sind wild, die Pferde auf Schloss Rosenstein!«

Der Fürst lachte glücklich und ließ die Rosse laufen, wie es ihnen gefiel. Sie fuhren aus dem Ort Degenhamm hinaus. Die Straße hinauf zu dem gottverlassenen Dorf, zu den paar recht armseligen Häusern von Zimmendorf, führte zwischen prallreifen Feldern hindurch. Hier flimmerte die Luft so heiß, dass man meinen konnte, in Glut zu tauchen.

Die Pferde fielen nun auch von selbst in leichten Trab, weil es etwas aufwärts ging. Um seinen Herrn abzulenken, berichtete Franz, dass sich auf Schloss Rosenstein in den letzten Jahren überhaupt nichts geändert hatte. Der Fluss und die Parkmauern schirmten das Reich derer von Helleswang gegen die Außenwelt ab. Darin schien die Zeit stehen geblieben zu sein.

Der Wagen fuhr nun durch die holprig gepflasterten Straßen von Zimmendorf, einer kleinen Waldsiedlung. Für den Durchreisenden, den Fremden wirkte die Armseligkeit möglicherweise romantisch; aber an den zweihundert hier lebenden Menschen war aller moderner Fortschritt vorbeigegangen.

Hier stand das Wirtshaus, das einzige reichere Haus des Dorfes.

Der Fürst erkundigte sich bei seinem Kutscher: »Ist hier noch immer der Höller-Wirt?«

Gleich zog der Franz ein wütendes Gesicht und grollte: »Noch immer, Durchlaucht. Stur und dumm! Meint, die Menschen sollten nur saufen, damit er sich fett verdient! Entschuldigen, Durchlaucht, wenn ich so sage. Er hat jetzt auch Postamt von Zimmendorf. Fühlt sich wie einst der alte Kaiser!«

Dieser Vergleich brachte Fürst Gernot zum Lachen. Die Pferde zogen den leichten Wagen mühelos auch die steile Straße hinauf, die aus dem Dorf führte und bei Schloss Rosenstein enden würde. Am Dorfrand erhob sich, etwas armselig wirkend, das zweigeschossige Gebäude der Schule. Nur dass an allen Fenstern üppig bunte Blumen blühten, verbarg einigermaßen die Spuren des Verfalls.

»Plagt sich der Lehrer Weber noch mit den Dorfkindern?«, wollte der Fürst wissen.

»Der Oberlehrer Weber mit dem Lehrer Gustav Frömmel«, berichtete Franz. »Da hat sich nicht viel geändert während der letzten Jahre. Nur die Tochter vom Oberlehrer hilft jetzt auch mit. Ehrenamtlich, unbezahlt. Das sind gute Menschen! Kämpfen gegen Dummheit der armen Dorfleute und gegen Böswilligkeit des Höller-Wirts. Aussichtsloser Kampf, Durchlaucht! Wenn nicht erlauchtigste Fürstin für die Schule heimlich viel Geld gäbe, wäre nichts da für Hirn! Nur immer Geld für Schnaps!«

Fürst Gernot ergriff sofort die Partei der Dorfbewohner: »Ihre Unwissenheit stammt aus der Armut, Franz. Aber es sind anständige Menschen, gesund wie die Wälder, in denen sie arbeiten. Sie hätten ein besseres Leben verdient!«

Franz murmelte etwas Unverständliches. Weil die Straße wieder eben und durch Kurven dahinführte, widmete sich der Fürst aufmerksamer dem Leiten der Pferde, die nun abermals übermütig ausgriffen.

Bald darauf tauchten die hohen Parkmauern von Rosenstein unter dichten Efeuranken, und von Buschwerk halb verborgen, auf. Die Pferde kannten den Weg, ließen sich nicht mehr zügeln und rannten wild weiter, bis sie vor dem reichverzierten, schmiedeeisernen Tor anhalten mussten.

»Wie schön! Wie zauberhaft!«, rief Fürst Gernot unwillkürlich aus, als er sah, welch herrliche rote und weiße Rosen sich an dem Gitterwerk emporrankten. Er sprang vom Wagen und sagte dem Kutscher: »Das letzte Stück Weges will ich zu Fuß zurücklegen. Zu Fuß will ich heimkehren ins verzauberte Reich meiner Kindheit und Jugendjahre!«

Mit leisem Ächzen in den Angeln öffnete sich das schwere Gittertor. Während Franz mit den ungeduldigen Pferden über die Privatstraße zum Schloss jagte, ging Gernot Fürst von Helleswang verträumt einige Seitenwege. Ihm war, als wäre er nicht eine Stunde von hier fort gewesen. Nichts hatte sich verändert.

»Mama!«, rief Fürst Gernot aus und blickte gebannt auf das wunderschöne Bild: auf die schlanke, hochgewachsene Frau mit dem silberweißen Haar, mit den großen, sanft braunen Augen voller Güte, auf das junggebliebene, fast faltenfreie Gesicht, das noch nie ein Zug von Hass entstellt hatte. Auch damals nicht, als sie die schreckliche Nachricht vom sinnlosen Tod des Fürsten getroffen hatte.

»Gernot, mein Junge!«, sagte sie schlicht mit ihrer noch immer geschmeidigen, voll klingenden Stimme. »Wie schön, dass du schon da bist. Vor einer Stunde blühte eine sehr kostbare Orchidee Papas auf, und da wusste ich, dass du nicht mehr fern sein konntest.«

Amantha Fürstin von Helleswang sprach etwas leise und nur wenig betont. Also verriet sie auch nicht, wie sehr sie sich über die Heimkehr ihres einzigen Sohnes freute. Gernot ging auf sie zu, und sie hielt ihm die Hand entgegen. Er nahm die Hand, die sich noch immer weich und zart angriff, führte sie an die Lippen und drückte einen ebenso liebevollen wie ergriffenen Kuss darauf.

Die Fürstin lächelte und strich mit der anderen Hand einige nicht vorhandene Falten an ihrem weinroten seidenen Kleid weg.

Dann plötzlich breitete sie die Arme weit und rief: »Lass dich umarmen, mein lieber, lieber Gernot! Ich habe mich so sehr auf diesen Augenblick gefreut! Mein Kind!«

»Mama!« Der Fürst umarmte seine Mutter und drückte sie liebevoll an seine Brust. Wie hatte er sich in der Ferne um sie gesorgt, und nie war er die quälende Angst losgeworden, er könnte sie vielleicht nicht mehr lebend sehen. »Du siehst wunderbar aus, Mama!«

Das war seine ehrliche Meinung, und die Fürstin freute sich darüber. Nun drängte sie ihn ein wenig von sich, schaute ihm prüfend ins Gesicht und stellte fest: »Mein Junge, du bist ein bisschen schmal geworden! Kein Wunder, wenn du dich immer da herumtreibst, wo man dir nichts Richtiges kocht! Außerdem sehe ich die ersten Silberfäden an deinen Schläfen. Gernot, mit fünfunddreißig hast du noch keinen Anspruch auf diesen Schmuck, der einen Mann erst interessant macht! Aber wenigstens wird mir bei deinem Anblick bewusst, dass du eigentlich gar kein ,Kind' mehr bist. Willkommen, Fürst von Helleswang, auf Schloss Rosenstein!«

Die alte Dame verneigte sich und lächelte so fein schelmisch, dass Fürst Gernot mit Freude merkte, wie humorvoll sie noch sein konnte.

Plötzlich riss ihn ein leises Klingelzeichen aus seinen Betrachtungen. Auch Fürstin Amantha schreckte auf. Sie zog eine alte, köstlich ziselierte Uhr aus einer Tasche ihres Kleides und warf einen Blick auf das Zifferblatt.

»Teestunde, mein Junge!«, mahnte ihn Fürstin Amantha. »Komm, wir müssen uns beeilen, denn die kleine Lisl trägt auf die Minute pünktlich auf. Und zwar wie immer keinen Tee, sondern Kaffee!«

Da wurde es Fürst Gernot erst so richtig bewusst, dass er wieder heimgekehrt war. Er reichte Mama galant den Arm und geleitete sie ins Schloss, wo der Teetisch schon gedeckt bereitstand. Mit Kaffee.

***

Die nächsten zwei Tage verbrachte Fürst Gernot damit, seine Bücher neu zu ordnen, in seinem Schreibtisch die zu erledigenden Berichte über die Ausgrabungen in der Türkei bereitzulegen und sich wieder ganz auf Schloss Rosenstein einzurichten. Dann war es ihm beinahe so, als wäre er nie von hier weggewesen.

Es hatte sich daheim wirklich nicht viel geändert. Hinter den efeuumrankten Mauern des Schlossparks stand die Zeit still: Über sie drang kein Laut von der Welt herein. Auch das Personal war noch unverändert. In der Küche schaffte die Köchin Mila autoritär, groß, ungebeugt und nur einige Pfunde schwerer geworden. Das Stubenmädchen Lisl war jetzt fünfundzwanzig und somit zehn Jahre in den Diensten der Fürstin von Helleswang. Das Schlosspersonal wurde noch durch die tüchtige, fleißige Hanna ergänzt. Sekretär Dr. Felix Eder besorgte nicht nur die Verwaltung des Schlosses, sondern vertrat auch die Interessen der Fürstin bei Behörden, erledigte ihre Korrespondenz und fungierte manchmal sogar als Gesellschafter oder Vorleser. Ein stiller, angenehmer Mann von fünfzig, der in der Einsamkeit von Schloss Rosenstein glücklich lebte, als hätte er nie im brandenden Lebenskampf dort draußen gestanden.

Nach zwei Tagen hatte der Fürst also alle Arbeiten erledigt, die dazu notwendig waren, dass er sich wieder ganz auf dem Schloss einleben konnte. Am dritten verließ er Rosenstein.

Das sollte ihm zum Schicksal werden.

***

Als Gernot von Helleswang an diesem dritten Morgen erwachte, drang eine köstliche kühle Morgenluft durch das weit geöffnete Fenster in sein Zimmer. Wie hatte er in der glutheißen asiatischen Türkei die Frische eines Sommermorgens vermisst!

Jetzt litt es ihn nicht länger im Bett. Für ein paar Minuten stellte er sich unter die Dusche, dann kleidete er sich schnell an und verließ das Schloss, ohne dass er jemandem begegnet wäre. Es mochte noch nicht sechs Uhr früh gewesen sein. Die Sonne schoss durch die Wipfel der Nadelbäume erste goldene Blitze. Im taufrischen Gras erstickten die Geräusche seiner Schritte. Langsam durchstreifte der Fürst den Park, dann ging er zum Fluss hinunter und folgte dem Lauf des Wassers. Der schmale, von Buschwerk verborgene Weg schien unverändert, als hätte er ihn gestern zum letzten Mal begangen. Tief atmete Fürst Gernot die würzige Luft in die Lungen.

Er kannte eine Stelle unten am Fluss, wo der Weg den Bereich des Schlossparks verließ. Fürst Gernot ging weiter, und er fühlte sich unfassbar glücklich an diesem Morgen. Die Welt schien ihm wie verzaubert. Libellen schwirrten paarweise über das Wasser. Die Sonne brachte ein mit Tautropfen verziertes Spinnennetz zum magischen Aufleuchten. Der Weg führte stets leicht abwärts, begleitet von den übermütig springenden und geheimnisvoll murmelnden Wellen des kleinen Flusses.

Wo das Gewässer in einen Waldsee mündete, öffnete sich die grüne Mauer der Büsche und gab den Blick auf eine mit Nebelschleiern geheimnisvoll geschmückte Zauberwelt frei.

Und im nächsten Augenblick glaubte er, seinen Augen nicht trauen zu dürfen. Keine dreißig Meter vor ihm tauchte ein nackter Mädchenarm aus den Nebelstreifen, die über dem Wasser des Sees schwebten. Ein zweiter Arm! Biegsam wogte ein nackter Rücken, vergleichbar dem Schilf im Wind, zwischen Wasser und Nebel. Für einige Augenblicke zerrissen die Schleier. Der Fürst sah undeutlich ein Mädchenantlitz, von fließendem weichem Goldhaar umschmeichelt.

Erst als diese zauberhafte Erscheinung einen leisen Schreckensschrei ausstieß, wurde sich Fürst Gernot dessen bewusst, dass er ein nackt badendes Mädchen beobachtet hatte. Nur für Sekunden konnte er die »Seenixe« sehen, und da nur von Nebelschleiern keusch umschwebt. Deshalb fühlte sich der Fürst keineswegs einer Indiskretion schuldig. Der erschrockene Ausruf brachte ihm aber ins Bewusstsein, dass er die Unbekannte mit seiner Anwesenheit gestört hatte. Das tat ihm ehrlich leid.

Er wendete sich ab und sah nur noch, dass die nackt Badende erschrocken auf das Ufer zu schwamm. Die hell schimmernden Arme griffen weit aus. Gern hätte der Fürst gerufen, sie sollte sich durch ihn nicht stören lassen, er werde gleich fortgehen; aber da hatten die Nebelstreifen am Ufer die Gestalt schon seinen Blicken entzogen.

Im nächsten Augenblick lag der Wasserspiegel schon wieder so ruhig da, als wäre der Fürst nur einer wunderschönen Illusion erlegen. Einige Minuten lang blieb Gernot von Helleswang unschlüssig stehen, aber weil er von der Unbekannten nichts mehr hörte und sah, beschloss er, seinen Weg doch fortzusetzen. Er war überzeugt, nun niemanden mehr zu stören.

Tatsächlich fand er sie auch nicht mehr. Nur an der Stelle, wo sie etwa das Land erreicht und sich angekleidet haben mochte, war das taunasse Gras niedergetreten. Fürst Gernot lächelte ein wenig und ging weiter.

Nach einer Viertelstunde entschloss er sich zur Umkehr, weil er wusste, Fürstin Amantha freute sich, wenn er das Frühstück mit ihr gemeinsam einnahm. Die ganze Zeit über dachte er an das Mädchenbild voll Anmut, Reinheit und Schönheit. Ein Traum ...

Dann kam er wieder an die Stelle, wo das Gras zu einer Mulde niedergedrückt war. Plötzlich stockte sein Schritt, denn zwischen den Grashalmen schimmerte es golden. Fürst Gernot beugte sich nieder, teilte das Gras ein wenig und entdeckte ein Schmuckstück. Er hob es auf. Ein Medaillon! Keine sehr kostbare, aber handwerklich doch eine gekonnte Arbeit von geschmackvoller Einfachheit. Es hing an einem dünnen Goldkettchen.

»Das hat meine ,Seenixe' verloren«, sagte der Fürst vor sich hin. Sofort wurde ihm klar, was das für ihn bedeutete: das Recht und die Verpflichtung, dieses Mädchen zu suchen!

Solch eine zarte, reine Schönheit zu finden, würde nicht schwer sein, vorausgesetzt, sie war aus Degenhamm oder gar aus Zimmendorf gekommen. Der Fürst untersuchte das Medaillon, durch welchen Mechanismus es zu öffnen wäre. Tatsächlich sprang es auf. Darin war ein Bildnis! Keine Fotografie, sondern eine bezaubernde Malerei, eine Miniatur von besonderer Zartheit. Als kunsthistorisch vorgebildeter Kenner schätzte der Fürst: kein großes Kunstwerk, vielleicht sogar von einem Laien gemalt. Aber mit unendlich viel Liebe!

Ihn enttäuschte nur, dass dieses Bildnis nicht die kleine »Waldnixe« darstellte. Zwar hatte der Fürst ihre Gesichtszüge kaum erkennen können, aber die dargestellte Person schmückte reiches schwarzseidiges Haar, und außerdem war sie reifer, als es das Mädchen gewesen sein mochte.

Der Fürst schloss den Deckel des Medaillons wieder und beeilte sich, zum Schloss zurückzukommen.

***

»Durchlaucht ist soeben ins Frühstückszimmer gegangen«, flüsterte ihm Dr. Eder, der Sekretär, in der Halle zu.

»Und wie fühlt sich die Fürstin heute?«, fragte Fürst Gernot ebenso leise zurück.

Der Sekretär und Schlossverwalter lächelte froh.

»Vorzüglich, Durchlaucht, in Erwartung der angenehmen Gesellschaft beim Frühstück! Sonst musste Durchlaucht immer mit meiner Person vorliebnehmen und sich mit meinem etwas langweiligen Ausführungen über notwendige Einsparungen bescheiden.«

Fürst Gernot lächelte und dankte mit einem Kopfnicken. Ohne besondere Hemmungen nahm er aus der Bodenvase in der Halle einen wunderbaren Strauß Lilien und trug ihn mit hinüber in den bezaubernd eingerichteten Frühstücksraum.

Die Fenster standen alle weit offen. Vogelgezwitscher drang ins Zimmer. Amantha Fürstin von Helleswang trug an diesem Morgen ein freundlich hellrotes Kleid.

»Guten Morgen, Mama!«, rief ihr Fürst Gernot entgegen. »Ergebenen Handkuss! Du hast gut geschlafen? Ein kleiner Blumengruß!«