Lore-Roman 178 - Wera Orloff - E-Book

Lore-Roman 178 E-Book

Wera Orloff

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Beschreibung

Dietrich Fürst von Anken-Hilgenau und seine Frau erwarten in diesen Tagen ihr zweites Kind. Zur Unterstützung reist ihre Schwester Komtess Judith von Merenthin an. Doch das Schicksal schlägt erbarmungslos zu, als die junge Fürstin während der Geburt verstirbt. In dieser schweren Stunde gibt Komtess Judith ihrem Schwager das Versprechen, so lange zu bleiben, bis er eine neue Lebensgefährtin und Mutter für seine Kinder gefunden hat.
Endlos lange dauert das Trauerjahr an, in dem sich der Aristokrat in seinem Schloss vergräbt und Judith ihre aufkeimenden Gefühle zu verbergen sucht. Ihr Herz hegt heimlich Hoffnungen. Hoffnung, eines Tages für die Kinder ihrer verstorbenen Schwester eine richtige Mutter zu sein. Sie ist bereit, Dietrichs Frau zu werden. Sie wartet schon so lange auf die Frage, die bisher nicht kam. Wird sie jemals kommen?

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Inhalt

Cover

Das Trauerjahr muss erst vergehen

Vorschau

Impressum

Das Trauerjahr muss erst vergehen

Roman um einen schweren Wegins Glück

Von Wera Orloff

Dietrich Fürst von Anken-Hilgenau und seine Frau erwarten in diesen Tagen ihr zweites Kind. Zur Unterstützung reist ihre Schwester Komtess Judith von Merenthin an. Doch das Schicksal schlägt erbarmungslos zu, als die junge Fürstin während der Geburt verstirbt. In dieser schweren Stunde gibt Komtess Judith ihrem Schwager das Versprechen, so lange zu bleiben, bis er eine neue Lebensgefährtin und Mutter für seine Kinder gefunden hat.

Endlos lange dauert das Trauerjahr an, in dem sich der Aristokrat in seinem Schloss vergräbt und Judith ihre aufkeimenden Gefühle zu verbergen sucht. Ihr Herz hegt heimlich Hoffnungen. Hoffnung, eines Tages für die Kinder ihrer verstorbenen Schwester eine richtige Mutter zu sein. Sie ist bereit, Dietrichs Frau zu werden. Sie wartet schon so lange auf die Frage, die bisher nicht kam. Wird sie jemals kommen?

»Glaubst du, dass es ein Mädchen wird, Dietrich?«

»Wie bitte? Wer? Was, Gerlinde?«

Dietrich Fürst von Anken-Hilgenau war völlig in seine Lektüre vertieft gewesen. Nun schreckte er empor und sah seine Frau verwirrt an.

»Wer denn wohl?« Sie lächelte liebevoll nachsichtig. »Das Baby natürlich.«

»Ach so, entschuldige.« Der neunundzwanzigjährige Fürst strich sich mit der gepflegten Hand über das volle dunkelblonde Haar und war ein bisschen verlegen.

»Wie lautet denn der Titel deines Schmökers? Er scheint dich ja gewaltig zu fesseln.«

»Na, erlaube mal. Das ist kein Schmöker. Es handelt sich um eine umfassende Darstellung der Musik des frühen Mittelalters.«

Die fünfundzwanzigjährige Fürstin Gerlinde nickte resignierend vor sich hin.

»Aha, wenn du dein Steckenpferd reitest, existiert nichts anderes mehr für dich. Das kenne ich schon.«

»Machst du mir einen Vorwurf aus dieser Liebhaberei?«

»Gewiss nicht, sie ist so wunderbar harmlos. Aber manchmal bist du wie besessen von deiner Musikgeschichte. Schließlich steht uns ein großes Ereignis bevor. Ein wenig mehr könntest du auch an das Baby denken.«

Es war ein sanfter, zärtlich ausgesprochener Vorwurf. Und Fürstin Gerlinde sah ihren Mann voll herzlicher Zuneigung an.

Sie waren ein schönes Paar, diese beiden jungen Menschen, die da so friedlich im Wohnzimmer der Fürstin im ersten Stock des Schlosses Hilgenau zusammensaßen.

Fürstin Gerlinde häkelte an einem feinen weißen Jäckchen. Ihre schlanken Finger, die kostbare Ringe trugen, bewegten sich anmutig. Die derzeitige Unförmigkeit ihrer Gestalt verdeckte ein geschickt geschnittenes dunkelblaues Kleid mit großem weißem Kragen. Das braune Haar, das schmeichelnd in lockeren Wellen ihr Gesicht umgab, glänzte seidig und gepflegt. Das Hübscheste an ihr waren aber ohne Zweifel ihre großen sprechenden Augen von dunklem Braun.

Fürst Dietrich seinerseits hätte lieber eine Blondine zur Frau gehabt. Er schwärmte nun einmal für blondes Haar und blaue Augen.

Aber sein Vater, der verstorbene Harald Fürst von Anken, hatte auf eine Verbindung mit der Komtess von Merenthin bestanden.

»Sie haben Klasse, die Merenthins«, hatte er gesagt, »und bringen ein gesundes Erbe mit. Dass sie verarmt sind, spielt keine Rolle. Das Vermögen unseres Fürstenhauses ist groß genug.«

So hatte denn der gehorsame Sohn, der sich dem straffen Regiment des energischen und praktischen Vaters stets fügte, weil er Ruhe und Frieden haben wollte und ihm seine Liebhabereien das Wichtigste auf der Welt waren, die Komtess von Merenthin heimgeführt.

Er hatte keinen Grund, diese Heirat zu bedauern. Wenn es von seiner Seite auch keine himmelhochjauchzende Liebe gewesen war, so waren doch Wertschätzung, Achtung und eine warme Sympathie im Laufe der Jahre gewachsen. Fürstin Gerlinde dagegen war ihrem Mann von ganzem Herzen zugetan. Ihre Ehe und ihre Kinder waren ihr Lebensinhalt.

Das heißt, von Kindern konnte man noch gar nicht sprechen. Es war ja erst eines vorhanden. Der fünfjährige kleine Christof, kurz Chris genannt, lag am Ende dieses langen Korridors im ersten Stockwerk des Schlosses in seinem Kinderzimmer im Bettchen und schlief seinen friedlichen Kinderschlaf. Das zweite Kind des jungen Fürstenpaares sollte in diesen Tagen geboren werden.

Eines der hohen Fenster dieses ebenso kostbar wie gemütlich ausgestatteten Wohngemachs stand weit offen. Die milde Wärme einer Juninacht drang erfüllt von Blütenduft herein. Ein leiser Wind bauschte die Gardine.

Es war gegen neun Uhr abends. Lange schon lag das Abendessen hinter ihnen. Ein Diener hatte ihnen zwei Gläser Wermut mit Eiswürfeln darin gebracht. Ab und zu nippten sie daran. Um die Tischlampe, die ein so gemütliches gelbes Licht verbreitete, tanzte ein Nachtfalter.

»Also, wie ist das nun? Glaubst du, dass es ein Mädchen wird, oder nicht?« Fürstin Gerlinde wollte eine Antwort auf ihre Frage haben.

Dietrich von Anken legte sein Buch auf den Tisch. Es war ihm klar, dass seine Frau ihn doch nicht weiterlesen lassen würde.

Geduldig lächelnd sagte er: »Mir ist es ganz egal, Gerlinde, wenn das Kind nur gesund ist und du die Geburt heil überstehst. Ist es diesmal kein Mädchen, so wird das nächste eben eine kleine Prinzessin. Auf Hilgenau haben noch viele Kinder Platz.«

Fürstin Gerlinde drohte scherzend mit dem Finger.

»Ich werde wohl gar nicht gefragt, ob ich noch viele Kinder haben will, wie?«

Er stand auf, trat zu ihr und beugte sich über sie, um einen liebevollen Kuss auf ihre klare Stirn zu drücken.

»Natürlich wirst du gefragt, Liebling. Ich würde niemals etwas tun, was dir missfällt. Aber ich dächte, wir wären uns in diesem Punkte einig.«

Die Fürstin kannte den Wunsch ihres Mannes nach vielen Kindern. Sie nickte lächelnd und hielt ihm den Mund zum Kuss hin.

»Schon gut. Es war ja nur eine Plänkelei.«

In diesem Augenblick wurde die Tür behutsam geöffnet, und die Komtess Judith von Merenthin, die einzige Schwester der jungen Fürstin, trat ein.

Seit drei Wochen war sie im Hause, um die Leitung des großen Hauswesens zu übernehmen und sich um den kleinen Christof zu kümmern, wenn ihre Schwester zur Entbindung in die Privatklinik von Professor Lämmermann gehen würde. Wenn seine Gattin schon nicht sein Typ war und eigentlich nicht dem Schönheitsideal des jungen Fürsten entsprach, dann war Komtess Judith dies noch viel weniger.

Sie trug ihr dunkelblondes Haar sehr kurz und sportlich geschnitten. Und im gleichen Stil war auch ihre Kleidung gehalten. Selten sah man sie auf hohen Absätzen. Sie bevorzugte Rock und Bluse. Und häufig lief sie in langen oder kurzen Hosen herum. Auf dem Pferderücken war sie mehr zu Hause als im Salon. Ihre gesunden Farben wussten nichts von einem Make-up. Von Weitem schon sah man ihr ihre Begeisterung für Landwirtschaft und Viehzucht an. Und in der Tat hatte sie aus ihrem Bauernhof bei Oldenburg einen Musterbetrieb gemacht.

Judith wäre die richtige Erbin für das Gut in Pommern gewesen, das einst den Merenthins gehört hatte. Aber leider hatte sie es niemals bewusst kennengelernt. Sie war ein kleines Mädchen von vier Jahren gewesen, als der Vater und die Mutter die alte Heimat verlassen mussten.

Wenigstens hatte der Graf von Merenthin Bargeld, Aktien und Wertpapiere sowie den Familienschmuck retten können. Das erlaubte den Ankauf des Bauernhofes bei Oldenburg. Dort war auch Gerlinde aufgewachsen. Und der Graf und die Gräfin hatten dort ein frühzeitiges Ende gefunden, hinweggerafft von schweren Krankheiten.

Auch heute Abend trug Judith eine engsitzende helle Hose und einen kurzärmeligen braunen Pullover.

»Verzeiht, dass ich euch störe«, sagte sie und lächelte, nachdem sie die Tür wieder geschlossen hatte. »Ich bin nur zum Rapport gekommen.«

»Was soll das heißen?«, wunderte sich Gerlinde. »Warum benutzt du diesen militärischen Ausdruck.«

»Nun, ich bin doch jetzt der Babysitter vom Dienst. Und ich kam euch melden, dass Chris den Klapperstorch gesehen hat.«

Sie schmunzelten alle drei. »Nein, so etwas«, rief der Fürst aus. »Flog er etwa durch das Kinderzimmer?«

»Du ahnst nicht, lieber Schwager, was ich in der letzten Stunde durchgemacht habe«, erklärte ihm Judith heiter. »Euer Sohn war kaum in seinem Bett zu halten. Immer wieder riss er mir aus und rannte ans Fenster. Und da hat er, wie er behauptet, dann wirklich zuletzt noch eine schwarz-gelbe Schwinge gesehen. Wie er das gemacht hat, weiß ich nicht. Es ist draußen schon recht dämmrig.«

»Da siehst du es, Gerlinde«, rief der Fürst seiner Frau zu. »Du musst dich beeilen. Chris wird schon ungeduldig.«

Die junge Fürstin hatte sich aus ihrem Sessel erhoben und war ein wenig auf und ab gegangen. Das war an sich nichts Besonderes. Sie tat es häufig in der letzten Zeit, denn langes Sitzen bekam ihr nicht.

Aber jetzt blieb sie auf dem in wundervollen Farben glühenden Perserteppich stehen und schien nach innen zu horchen.

»Ich glaube fast, Chris hat das Signal gegeben«, sagte sie. »Mir scheint, es geht los.«

»Wie? Was?« Sofort wandten sich Fürst Dietrich und Komtess Judith der jungen Frau zu. »Hast du etwa Schmerzen?«, erkundigte sich Judith aufgeregt.

»Soll ich den Professor anrufen, Liebling?«, wollte der Fürst wissen.

»Warte noch ein Weilchen. Ich glaube wirklich, es sind Wehen. Aber sie müssen regelmäßig und in kürzeren Abständen kommen, bevor wir aufbrechen.«

»Ist denn alles bereit?« Fürst Dietrich war ein wenig blasser geworden und schien recht nervös.

»Schon seit Langem«, beruhigte ihn seine Frau. »Wir brauchen nur der Zofe Bescheid zu sagen. Sie holt den gepackten Koffer.«

»Dann will ich doch Befehl geben, dass der Wagen vorgefahren wird.«

Fürst Dietrich war nicht mehr zurückzuhalten. Er ging zur Tür, neben der sich der Klingelknopf befand, und drückte darauf. Gleich erschien ein Diener in Hauslivree.

»Durchlaucht haben geläutet?«, fragte er mit einer devoten Verbeugung.

»Sagen Sie bitte Gustav Bescheid, er soll den Wagen vorfahren und sich bereithalten, uns nach Darmstadt zu bringen.«

Gut Hilgenau lag in der sogenannten »Heiligen Aue«, einem gesegneten, fruchtbaren Landstrich zu Füßen des Odenwaldes an der Bergstraße. Der schnelle Wagen konnte in einer Viertelstunde in Darmstadt sein.

»Gewiss möchtest du dich umziehen«, forschte Judith.

»Nein, nein, ich gehe so«, widersprach die junge Fürstin. »Ich möchte nur meinen leichten Mantel haben.«

»Ich gehe und informierte die Zofe.« Judith verließ den Raum. »Ich bin aufgeregt, Gerlinde. Ich habe Angst um dich.«

»Aber, Liebster, was für ein Unsinn!«, wehrte sie lächelnd ab und strich die Sorgen mit zarter Hand von seiner Stirn. »Ich bin gesund und in bester Verfassung. Eine Geburt ist das Normalste der Welt. Was fürchtest du?«

Er wusste es selbst nicht, was er fürchtete, aber ihm war so bang ums Herz.

Doch dann hatte er keine Zeit mehr, sich diesem Gefühl zu überlassen, denn der Diener kehrte zurück und meldete, dass der Wagen vorgefahren war. Gleichzeitig kam Judith wieder, den leichten Mantel und Gerlindes Handtasche am Arm.

»Anni hat den Koffer schon in den Wagen gebracht«, sagte sie.

Sie brachen auf. Gerlinde küsste ihre Schwester hastig. Die Schmerzen nahmen zu. Jetzt drängte sie zum Aufbruch.

»Grüß meinen kleinen Sohn von mir«, bat sie, »und pass fein auf ihn auf! Ich danke dir, Judith. Auf Wiedersehen.«

Komtess Judith begleitete sie zum Portal. Als der Wagen abfuhr, stand sie auf der Freitreppe und winkte in die sinkende Nacht hinein.

***

Die Privatklinik von Professor Lämmermann befand sich in einer alten Villa in einem Vorort Darmstadts, die innen jedoch in jeder nur möglichen Weise modernisiert worden war.

Die Damen der besten Gesellschaft kamen zu ihren Entbindungen hierher, und der Professor war eine Kapazität. Lange Jahre hatte er an der Universitätsklinik in Frankfurt gewirkt.

Für Fürstin Gerlinde war ein Zimmer mit eigenem Bad und Vorzimmer bestellt. In der Halle der Klinik nahm Schwester Trude sie in Empfang und führte sie in den ersten Stock hinauf.

»Ich glaube, es eilt«, sagte sie mit kundigem Blick. »Erlauben Sie, Durchlaucht, dass ich Ihnen behilflich bin.«

Schnell wurde die junge Frau entkleidet, musste sich nur im Nachtgewand auf ein Fahrbett legen, wurde zugedeckt und in das Entbindungszimmer gefahren.

Hier wartete die Hebamme, Schwester Irma, auf sie. Fürstin Gerlinde kannte sie bereits. Schon vor fünf Jahren, als Chris auf die Welt kam, war sie von Schwester Irma betreut worden.

»Der Herr Professor wird gleich kommen. Er ist auf dem Wege hierher«, sagte die Hebamme und nahm dann eine erste Untersuchung vor, nachdem die junge Fürstin auf dem Kreißbett untergebracht worden war.

Was sie sah, gefiel ihr nicht besonders. Wenn alles normal und in bester Ordnung war, gab es in diesem Stadium einer Entbindung kein Blut. Fürstin Gerlinde aber blutete.

Es schien ihr jedoch nicht schlecht zu gehen. Sie war sehr blass. Die Lippen ein wenig blau, was die Besorgnis noch vermehrte. Aber die Wehen waren kräftig, und sie ertrug sie tapfer und gelassen.

Professor Lämmermanns Assistenzarzt Dr. Küper, der in der Klinik wohnte, wechselte mit Schwester Irma einen Blick und ließ sich das kleine Besteck zur Entnahme einer Blutprobe reichen.

Ein bisschen verwundert schaute Fürstin Gerlinde zu. »Was tun Sie da?«, fragte sie.

»Wir rüsten uns für alle Fälle«, antwortete er ablenkend. »Wir wollen nichts versäumen.«

Schwester Trude brachte die Probe sofort in das Labor, wo die Blutgruppe bestimmt und die entsprechende Konserve bereitgestellt wurde.

Der Professor trat ein. Er war ein hochgewachsener grauhaariger Mann, den auch seine sechzig Jahre nicht gebeugt hatten. Die grauen Augen verbargen sich hinter blitzenden Brillengläsern.

Immer reichlicher floss das Blut, und immer besorgter wurden die Mienen der Ärzte.

Sie traten auf den Korridor hinaus, um über den Fall zu sprechen und nicht von Fürstin Gerlinde verstanden zu werden.

»Was ist Ihre Erklärung für diese Blutung, Herr Professor?«, wollte der junge Arzt wissen.

»Ich tippe auf eine vorzeitige Loslösung des Mutterkuchens.«

Genau das hatte auch Dr. Küper befürchtet. Er wusste, was in einem solchen Falle zu tun war. Man musste die Entbindung so sehr wie möglich beschleunigen.

»Spritzen wir also Hypophysin?«, vergewisserte er sich.

Der Professor nickte. »Wir wollen nach einer guten Armvene suchen und einen Tropf anhängen«, sagte er. »Damit wir für den Fall, dass eine Blutübertragung notwendig wird, schon einmal eine Nadel im Arm haben.«

Fürst Dietrich hatte bereits eine halbe Stunde im Wartezimmer gesessen. Dort war er ganz allein. Und die üblichen durchaus nicht immer aktuellen Zeitschriften vermochten ihn keineswegs zu fesseln.

Jetzt kam er auf den Korridor hinaus und sah die beiden Ärzte vor dem Entbindungszimmer beratschlagend hin und her gehen.

Sofort eilte er auf sie zu.

»Ist etwas nicht in Ordnung?«, erkundigte er sich hastig. »Ich bin so sehr nervös. Es geht doch alles gut, nicht wahr?«

An ihren ernsten Gesichtern sah er, dass durchaus nicht alles in Ordnung war.

»Ihre Gattin blutet«, antwortete der Professor. »Wir kennen die Ursache dieser Blutung noch nicht. Aber wir hoffen, dass wir damit fertigwerden. Jetzt müssen Sie uns bitte entschuldigen.«

Fürst Dietrichs Unruhe stieg ins Unermessliche. Keine Macht der Welt hätte ihn jetzt wieder in das abgeschlossene Wartezimmer hineingebracht. Er wandelte auf dem Flur auf und ab, auf und ab, strich sich über das Haar, bohrte die Hände in die Taschen und seufzte gequält, denn er fühlte sich so schrecklich machtlos.

Drinnen im Entbindungszimmer hatte das Hypophysin inzwischen seine Wirkung getan.

Fürstin Gerlinde hatte sehr aktive Wehen, die die Geburt vorantrieben. Zehn Minuten später war ein gesundes, laut krähendes kleines Mädchen geboren.

Schwester Irma schlug es in ein Laken und trug es beiseite zu dem bereitstehenden kleinen Bettchen. Die neue Erdenbürgerin konnte erst später versorgt werden. Jetzt galt die ganze Aufmerksamkeit der Mutter.

Fürstin Gerlinde war sehr bleich. Unnatürlich erschöpft lehnte sie in den Kissen.

Professor Lämmermann und Dr. Küper sahen sich bedeutungsvoll an. Jetzt erst kam die kritische Phase dieser Entbindung.

Und es geschah genau das, was sie erwartet hatten. Kaum war die Nachgeburt erschienen, da stürzte ein Schwall von geronnenem altem Blut hervor. Und nachdem es fortgeschwemmt worden war, kam hellrotes frisches in unvorstellbarer Menge.

Es war gut, dass der Tropf angebracht war. Sofort rann neues Blut in die Armvene der Patientin. Und auf einen Wink des Professors eilte Schwester Trude zum Labor, um eine weitere Konserve zu besorgen.

Doch so viel sie ihr auch gaben, so viel sie gerinnungsfördernde Mittel zusetzten, die Blutung konnte nicht zum Stehen gebracht werden.

Schwächer und schwächer wurde Gerlinde von Anken. Sie verlor das Bewusstsein. Und eine Viertelstunde später war sie tot.

Mit Tränen in den Augen wandte sich Schwester Irma dem kleinen Mädchen zu, das in seinem Gitterbettchen leise vor sich hin quäkte und nichts davon ahnte, dass es eben so etwas unendlich Kostbares verloren hatte, seine Mutter.

Blass und erschüttert drückte Professor Lämmermann Fürstin Gerlinde die Augen zu, dann wandte er sich um, straffte die hohe Gestalt und trat auf den Flur hinaus, um dem unglücklichen Gatten und Vater die Hiobsbotschaft zu bringen.

Er hatte kaum die Tür des Entbindungsraums hinter sich zugezogen, da stürzte Fürst Dietrich auf ihn zu. In nichts unterschied sich der junge Aristokrat von anderen jungen Vätern, die um ihr Liebstes bangen.

»Wie steht es, Herr Professor? Ich habe das Kind schreien hören. Ist es ein Junge oder ein Mädchen? Wie geht es meiner Frau?«

»Sie haben eine Tochter, Durchlaucht«, informierte ihn der alte Herr, »eine prächtige gesunde Tochter. Dazu gratuliere ich Ihnen herzlich.«

Aber es war kein Lächeln auf seinem Gesicht, während er dies sagte. Die grauen Augen hinter den Brillengläsern blickten ernst und bekümmert. Das Gesicht war in traurige Falten gelegt.

Nur ein kurzer Schimmer der Freude huschte über Fürst Dietrichs Gesicht, dann galten seine Gedanken wieder seiner Frau.

»Weiter, Herr Professor«, verlangte er. »Wie geht es meiner Frau? Sie verbergen mir etwas. Bitte, seien Sie ganz offen.«

»Ich muss es sein«, erwiderte der Professor leise. »Sie werden Ihre Kraft und Beherrschung brauchen, denn ich habe Ihnen nichts Angenehmes zu sagen.«

Dietrich Fürst von Anken-Hilgenau erbleichte.

»Tot?«, murmelte er. »Ist sie tot? Nein, um Himmels willen, das kann doch nicht sein. So jung und gesund, so frisch und lebenslustig. Warum sollte sie tot sein?«

»Und doch ist es so«, bestätigte Professor Lämmermann. »Bitte, kommen Sie. Wir wollen uns setzen. Ich werde Ihnen erklären, wie es gekommen ist. Es war eine Verkettung unglückseliger Umstände, gegen die der beste Arzt machtlos ist.«

Er griff nach dem Arm des Fürsten und fühlte, wie dieser bebte.

Zwei Stunden war es her, dass Fürstin Gerlinde an der Seite ihres Mannes zuversichtlich und heiter die Privatklinik betreten hatte. Mit gesenktem Kopf und hängenden Schultern verließ Fürst Dietrich sie jetzt und sank schwer und matt in das Polster des Wagens.

Er war dankbar, dass er nicht selbst zu fahren brauchte. So saß er da und hielt sich den schmerzenden Kopf. Was soll nun werden?, fragte er sich. Zwei Kinder sind da, die keine Mutter mehr haben. Wer könnte ihnen die Mutter ersetzen? Ihnen genügend Liebe geben?

Dann erst dachte er an sich selbst. Auch auf ihn kam jetzt eine große, eine erschreckende Einsamkeit zu. Gerlinde hatte an allem, was ihn bewegte, Anteil genommen. Sie war sein bester Freund gewesen. Unmerklich hatte sie die Rolle seiner Mutter übernommen, als diese gestorben war, und darüber hinaus hatte sie ihm das Glück der Liebe geschenkt. Auf alles dies musste er jetzt verzichten.

***