Lore-Roman 99 - Ina Ritter - E-Book

Lore-Roman 99 E-Book

Ina Ritter

0,0
1,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Nur einer erbt nach dem Tod des alten Grafen Schloss Hallenstein mitsamt des großen Gutes, und das ist Graf Oldwig, der ältere der beiden Brüder. Der bescheidene Graf Harald hadert nicht mit den Familiengesetzen, aber seine von Neid zerfressene Braut, Marion Baroness von Tügel, schäumt vor Wut. Ihr ist der als Abfindung eingesetzte Betrag viel zu niedrig, sie will mehr!
Marion entwirft einen Plan, um an das Erbe heranzukommen. Sie scheint endlich Erfolg zu haben, als sie ihre Freundin Nadja von Rosenthal mit Graf Oldwig bekannt macht. Der Graf erkennt, dass er seine heimlichen Gefühle für die kleine Gutssekretärin Kerstin vergessen muss, wenn er Hallenstein einen Erben schenken will.
Oldwig ist bereit, sein Glück für die Familientradition zu opfern und Nadja zu heiraten. Er weiß nicht, dass sie niemals Kinder bekommen kann und der Fortbestand der Hallensteins nicht gesichert ist. Aber Baroness Marion weiß es. Ihre böse Saat scheint aufzugehen ...


Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 155

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Sekretärin auf Schloss Hallenstein

Vorschau

Impressum

Sekretärin auf Schloss Hallenstein

Schicksalsroman um eine heimliche Liebe

Von Ina Ritter

Nur einer erbt nach dem Tod des alten Grafen Schloss Hallenstein mitsamt des großen Gutes, und das ist Graf Oldwig, der ältere der beiden Brüder. Der bescheidene Graf Harald hadert nicht mit den Familiengesetzen, aber seine von Neid zerfressene Braut, Marion Baroness von Tügel, schäumt vor Wut. Ihr ist der als Abfindung eingesetzte Betrag viel zu niedrig, sie will mehr!

Marion entwirft einen Plan, um an das Erbe heranzukommen. Sie scheint endlich Erfolg zu haben, als sie ihre Freundin Nadja von Rosenthal mit Graf Oldwig bekannt macht. Der Graf erkennt, dass er seine heimlichen Gefühle für die kleine Gutssekretärin Kerstin vergessen muss, wenn er Hallenstein einen Erben schenken will.

Oldwig ist bereit, sein Glück für die Familientradition zu opfern und Nadja zu heiraten. Er weiß nicht, dass sie niemals Kinder bekommen kann und der Fortbestand der Hallensteins nicht gesichert ist. Aber Baroness Marion weiß es. Ihre böse Saat scheint aufzugehen ...

Oldwig von Hallenstein begrüßte die Baroness von Tügel mit festem Handschlag.

»Ich danke dir für dein Kommen.«

»Es ist doch selbstverständlich, dass ich eurem Vater die letzte Ehre erweise.«

Er war einen Kopf größer als die zierliche Baroness, ein breitschultriger sonnengebräunter Mann, mit dichtem blondem Haar.

»Wir hatten nicht damit gerechnet, dass es so schnell gehen würde«, murmelte sein Bruder Harald von Hallenstein.

Oldwig zuckte resigniert die Schultern.

»Er hat, wie man so sagt, einen schönen Tod gehabt. Abends haben wir noch zusammengesessen, und als Frau von Stuckenberg ihn am nächsten Morgen wecken wollte ...«

»Wann wird die Testamentseröffnung sein?«, fragte Marion von Tügel. Sie bemerkte, dass die beiden Brüder sie erstaunt anschauten und lächelte verzerrt. »Oder hat er kein Testament gemacht?«

»Doch, selbstverständlich.« Oldwig fand es unpassend, dass sie in diesem Augenblick an materielle Dinge dachte.

Aber seinen Bruder schien es nicht zu stören. Er war unsterblich in seine schöne Braut verliebt. Verstehen konnte Oldwig ihn, denn die Baroness war wirklich eine ungewöhnlich aparte Erscheinung.

Sie hatte dichtes braunes Haar, ein ebenmäßig geschnittenes Gesicht und eine vollendete Figur. Neben ihr wirkte Harald direkt bäuerlich. Er war derber als Oldwig, und die Gutmütigkeit strahlte ihm aus den Augen.

»Was macht das Studium?«, fragte er ablenkend.

»Harald macht im Herbst sein Examen«, erwiderte Marion, obwohl sie nicht gefragt worden war. »Er arbeitet auch an seiner Doktorarbeit.«

»Ach, du willst promovieren?« Das war Oldwig neu.

»Marion meinte, es wäre besser.«

»Die Leute haben mehr Vertrauen zu einem Rechtsanwalt mit Doktortitel«, erklärte Marion. »Und auf das halbe Jahr, das Haralds Studium länger dauern wird, kommt es nicht an.«

»Marion hat recht, ein Titel imponiert den Leuten immer«, stimmte der junge Graf ihr bei. Er fächelte sich Luft zu. »Mächtig heiß heute.«

»Geht in eure Zimmer. Frau von Stuckenberg hat alles vorbereitet. Anschließend nehmen wir einen kleinen Imbiss ein.«

»Können wir ganz gut vertragen. Wir sind morgens gleich nach dem Frühstück losgefahren ...«

Was für ein Haus, dachte Marion von Tügel, als sie an der Seite ihres Verlobten die rechte Marmortreppe emporging. In halber Höhe der Halle traf sie sich mit dem linken Aufgang.

Immer wieder beeindruckte sie die Pracht des Schloss ähnlichen Gebäudes. Ihre Eltern wohnten anders, praktisch war es nur ein Einfamilienhaus. Harald war unbeeindruckt durch seine Umgebung, aber schließlich war er hier auch aufgewachsen.

»Ein Jammer, dass du nicht der älteste Sohn bist«, meinte sie, als sie über den mit einem dicken Läufer belegten Flur gingen.

»Einer kann nur der Älteste sein.«

Harald hatte von Anfang an gewusst, dass Oldwig einmal Gut Hallenstein übernehmen würde. So war es in der Familie immer gewesen, der älteste Sohn übernahm das Gut, die anderen Söhne wurden entweder Offiziere oder studierten.

Er hatte sich fürs Jurastudium entschieden. Neid oder Missgunst lagen ihm völlig fern.

»Oldwig ist ein hervorragender Landwirt«, erklärte er seiner Verlobten geduldig.

»Mag sein.« Marion von Tügel nagte auf ihrer dezent nachgezogenen Unterlippe. »Aber du wärst bestimmt ein genauso guter Landwirt geworden.«

»Sicherlich. Ich habe mich von Anfang an für die Landwirtschaft interessiert. Aber so viel Geld, um für mich ein Gut zu kaufen, haben wir nicht. Als Jurist werde ich auch mein Auskommen haben.«

»Wie viele Räume hat euer Haus?«

»Wie viele Räume es hat?«, wiederholte Harald von Hallenstein und krauste die Stirn. »Ich habe sie noch nicht gezählt. Jedenfalls viel mehr, als wir beim besten Willen brauchen können. Die meisten Zimmer stehen leer.«

»Es müssen doch fast dreißig Räume sein«, murmelte Marion.

»Kann sein. Wenn es dich interessiert, zählen wir sie gelegentlich einmal.«

»Und dann die beiden Festsäle. Richtige Tanzsäle.«

»Wer braucht heutzutage so etwas noch?«, meinte Harald. »Du hast wieder dein altes Zimmer bekommen. Hoffentlich fühlst du dich hier wohl.«

»Ganz sicher.«

Marion trat über die Schwelle der Tür, die Harald ihr höflich geöffnet hatte. Es war ein wunderschönes Gastzimmer mit breitem Balkon davor, nach Süden gelegen. Von hier aus hatte man einen herrlichen Blick über das flache Land.

»Du weißt gar nicht, auf was du alles verzichten musst«, murmelte sie. »Ist es hier nicht schön?«

Der Mann war ihr gefolgt und legte den Arm um ihre Schultern.

»Hallenstein ist das schönste Fleckchen Erde, das ich kenne.«

»Aber wir werden in der Stadt leben müssen.«

»Am Rande der Stadt. Wir suchen uns eine Wohnung im Grünen. Und jedes Wochenende fahren wir nach Hallenstein.«

Als Gäste, dachte Marion. Und wenn Oldwig erst verheiratet ist, als unerwünschte Gäste.

»Wenn er erst verheiratet ist, sind wir hier nur geduldet«, sprach sie aus, was ihr durch den Kopf ging.

»Unsinn.« Harald wusste es besser. »Ich verstehe mich sehr gut mit Oldwig ... wir sind nur ein Jahr auseinander und waren eigentlich immer ein Herz und eine Seele. Du verschwendest dein Mitleid, wenn du glaubst, mich bedauern zu müssen. Einer kann Hallenstein nur erben.«

»Und du findest es ganz richtig, wenn Oldwig alles bekommt?«, fragte Marion aufgebracht.

»Einen Besitz wie Hallenstein kann man nicht teilen.«

Auch das hatte Harald schon mehr als einmal gesagt, dennoch klang seine Stimme nicht eine Spur ungeduldig.

»Vielleicht... hat dein Vater in seinem Testament...«

Marion klammerte sich an diese Hoffnung, auch wenn der Verstand ihr sagte, dass die Aussichten für Harald schlecht standen.

»Ich bekomme eine Abfindung in Bargeld. Es wird Oldwig nicht leichtfallen, sie aufzubringen. Braucht er auch nicht, wir lassen das Geld als Hypothek hier stehen, und er bezahlt uns Zinsen.«

Harald ist viel zu gutmütig, dachte die junge Baroness. Er merkt gar nicht, wie Oldwig ihn ausnutzt. Er ist mit den Brosamen zufrieden, die vom Tisch des Reichen fallen. Aber noch war es zu früh, handelnd einzugreifen. Wenn sie erst verheiratet waren, dann würde sich einiges ändern.

Harald war Wachs in ihren Händen. Er war eine gute Partie. Sie durfte nur nicht daran denken, dass sein Bruder dieses Gutshaus erbte und das viele Land, das dazugehörte. An seiner Seite würde ich mich wie eine kleine Königin fühlen, dachte sie.

Anfangs hatte sie versucht, mit Oldwig zu flirten, aber bald begriffen, dass sie nicht sein Typ war. Wenn er stirbt, dachte sie, ohne Kinder zu hinterlassen, dann bekommt Harald alles. Aber Oldwig war gesund und nur ein Jahr älter als Harald. Er dachte gar nicht daran, ihr den Gefallen zu tun, diese Welt vorzeitig zu verlassen.

Aber träumen konnte sie ja davon, hier einmal Herrin zu sein. Und wenn sie hier Herrin war, dann würden die beiden Festräume unten nicht überflüssig sein. Sie würde Gäste einladen, Feste geben, von denen man sprechen würde.

Noch drei Tage bis zur Testamentseröffnung. Und die fünfhunderttausend Mark, die sicherlich abfielen, würden sie auf gar keinen Fall als Hypothek auf Hallenstein stehenlassen. Als Erstes würden sie einen herrlichen Urlaub machen, sich dann nach einem Haus umschauen ...

***

»Sind Sie mit Ihren Vorbereitungen fertig?«, fragte Oldwig von Hallenstein die Gutssekretärin freundlich.

»Ja, Herr Graf. Wollen Sie meine Unterlagen einsehen?«

Oldwig stand mit verschränkten Armen lässig an den Schreibtisch gelehnt und schaute auf Kerstin Grothe hinab.

»Vielen Dank, aber ich weiß, dass ich mich auf Sie verlassen kann.«

Kerstin wurde unter seinem Blick ein wenig rot, und weil sie das spürte und sich darüber ärgerte, drehte sie den Kopf rasch zur Seite.

»Sie haben sich ein paar freie Tage verdient, Fräulein Grothe. Sagen wir eine Woche.«

»Vielen Dank, Herr Graf.«

»Was wollen Sie in dieser Zeit unternehmen? Vielleicht verreisen?«

»Nein, ich bleibe selbstverständlich hier«, erwiderte Kerstin.

»Selbstverständlich?«, fragte Oldwig mit mildem Spott.

Es machte ihm Spaß, Fräulein Grothes Erröten zu sehen. Im Gegensatz zu ihren Vorgängerinnen hatte sie nie versucht, mit ihm zu flirten. Sie war korrekt bis in die Fingerspitzen, besaß dabei aber einen Sinn für Humor, den er bei den meisten anderen Frauen vermisste.

»Ich bin gern hier. Ich ziehe Hallenstein jedem anderen Ort vor, Herr Graf. Und außerdem darf ich hier ja reiten, soviel ich will.«

»Ich wundere mich immer wieder, dass ein Stadtkind wie Sie Gefallen am Landleben findet.«

»Vielleicht ist unter meinen Vorfahren jemand vom Lande.« Kerstin wünschte ihn weit fort, und zugleich wollte sie, dass er bei ihr blieb und sich privat mit ihr unterhielt.

»Ich danke Ihnen für die Umsicht, die Sie bei dem Trauerfall bewiesen haben, Fräulein Grothe. Ohne Ihre Hilfe wäre ich mit allem nicht fertiggeworden.«

»Es ist meine Pflicht...«, begann Kerstin.

»Sie tun viel mehr als Ihre Pflicht«, fiel der Graf ihr etwas unhöflich ins Wort. »Sie denken mit. Das findet man sehr selten. Die meisten anderen führen nur Befehle aus.«

»Vielen Dank, Herr Graf.«

Oldwig grinste. »Das sagen Sie nun schon zum dritten Mal, Fräulein Grothe. Ich bin es, der zu danken hat. Ich wüsste nicht, was ich ohne Sie anfangen würde. Wenn ich an den Papierkram denke, mit dem ich mich früher immer herumschlagen musste ... Schließen Sie Ihren Schreibtisch ab«, schlug Oldwig vor. »Nutzen Sie das schöne Wetter aus. Ich wünschte, ich könnte auch reiten, aber in diesen Tagen geht es nicht.«

»Vielen...« Kerstin brach ab und biss sich auf die Lippe.

Oldwig gab ihr einen kameradschaftlichen Schlag auf den Rücken.

»Machen Sie sich ein paar schöne Tage, Fräulein Grothe. Hoffentlich hält sich das Wetter. Es sieht eigentlich so aus.«

Kerstin streifte sein markantes Gesicht mit einem flüchtigen Blick. Seit einem Jahr etwa arbeitete sie auf Hallenstein, und sie hatte inzwischen begriffen, was für ein hervorragender Landwirt Graf Oldwig war.

Sie wusste auch von den Kämpfen, die er mit seinem Vater zu bestehen gehabt hatte. Graf Maximilian sträubte sich gegen viele Neuerungen, die sein Sohn einführen wollte.

Aber irgendwie hatte Oldwig seinen Willen immer durchgesetzt.

»Wann machen Sie einmal Urlaub, Herr Graf?«, fragte sie befangen.

Sie wechselte sonst kaum jemals ein privates Wort mit ihm, seine Haltung forderte sie nicht gerade dazu heraus.

»Auf Hallenstein ist für mich immer Urlaub«, behauptete Oldwig, und falls es ein Scherz sein sollte, klang es nicht so. »Ich bin früher ein paarmal verreist. In den Süden. Nach spätestens drei Tagen habe ich meine Koffer wieder gepackt und bin zurückgekommen.«

»Was für ein Glück für Sie, dass Sie der älteste Sohn sind.«

Oldwig stutzte. Darüber hatte er sich offensichtlich noch gar keine Gedanken gemacht.

»Sie haben recht«, bestätigte er sinnend. »Ich habe wirklich alle Ursache, meinem Schicksal dankbar zu sein. Ich würde mich nicht zum Advokaten eignen.«

Ob Harald traurig war, dass Hallenstein an ihn fiel? Auch mit dieser Frage hatte Oldwig sich bisher noch nicht beschäftigt.

»In einer Woche erwarte ich Sie dann wieder hier, Fräulein Grothe.« Er nickte ihr flüchtig zu und ging hinaus.

Kerstin drehte sich unwillkürlich herum und schaute ihm nach. Was für ein Mann, dachte sie. Einen wie ihn hatte sie nie vorher getroffen. Und sie hatte nicht geglaubt, dass es überhaupt noch Menschen wie ihn gab. Auch Harald war ganz anders. Wen er wohl einmal heiraten wird? Es gab genug junge Damen, die alles Mögliche versuchten, sein Interesse zu wecken. Aber entweder war Graf Oldwig blind für ihre mehr oder weniger offenen Angebote, oder er war nicht interessiert.

Ob er eine Freundin hat? Schon mehr als einmal hatte Kerstin sich diese Frage vorgelegt. Aber sie war überzeugt, dass ihm die Arbeit völlig genügte.

Reiß dich zusammen, altes Mädchen!, rief sie sich innerlich zu. Du schwärmst für ihn wie ein Backfisch. Ein Graf Oldwig denkt gar nicht daran, dich zu beachten. Du bist für ihn die tüchtige Arbeitskraft, und vielleicht findet er dich sympathisch, aber dass du auch ein Mädchen bist, hat er bestimmt noch nicht bemerkt.

Eine halbe Stunde später hatte sie sich umgekleidet und ging auf die Pferdeställe zu.

»Wollen Sie heute wieder Schwalbe reiten?«, fragte der Knecht im breiten Dialekt der Gegend.

»Ja. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, mir Schwalbe zu satteln... Ich tu es sonst auch gern selbst.«

»Das mach ich schon, Fräuleinchen. Für Sie tu ich das gern mal.«

Er nickte ihr zu und schlurfte in den Stall, um das Pferd für Kerstin zu satteln.

Das Mädchen blieb draußen in der Sonne stehen. Das Gesicht hatte sie, die Augen geschlossen, emporgewandt. Sie sog die Sonnenstrahlen förmlich in sich hinein. Sie hätte mit keinem Menschen auf der Welt tauschen mögen, auch wenn Hallenstein sehr einsam war und es hier nach Ansicht der Städter keinerlei Abwechslung gab.

Kein Kino, Theater selbstverständlich erst recht nicht, keine Bücherei in der Nähe, aber dafür diese herrliche Landschaft, die zu jeder Jahreszeit ihre ganz besonderen Reize hatte. Und vor allem gab es hier Pferde.

Kerstin hatte erst auf Hallenstein reiten gelernt. Jetzt saß sie im Sattel, als wäre sie es von Kindesbeinen an gewohnt.

Oldwig Graf Hallenstein war ein sehr bekannter Turnierreiter. Leider fehlte ihm jetzt die Zeit, sich richtig auf die schweren Prüfungen vorzubereiten. Die Landwirtschaft war ihm wichtiger als irgendeine Trophäe.

»Dann wünsch ich Ihnen man viel Vergnügen, Fräuleinchen.« Otto reichte ihr die Zügel des Pferdes.

»Vielen Dank, Vater Otto.«

Kerstin schwang sich mit einem Satz in den Sattel. Sie ritt jeden Tag, aber meistens kam sie erst spät dazu. Graf Hallenstein verlangte zwar nicht, dass sie sich an bestimmte Bürostunden hielt, aber Kerstin schloss ihren Schreibtisch immer erst ab, wenn sie die anfallende Arbeit fertig hatte.

»Ein Teufelsmädchen!«, murmelte Otto und leckte sich die Lippen. Direkt wert, dass man einen Schluck auf ihr Wohl trank.

***

Marion von Tügel wusste selbst nicht, weshalb sie die Gutssekretärin so hasste. Irgendetwas an Kerstin Grothe brachte ihr Blut in Wallung und ließ sie ihre sonstige Vernunft vergessen.

Vielleicht spürte sie, dass Kerstin das genaue Gegenteil von ihr war, ehrlich, zuverlässig, und vor allem sehr liebenswert. Marion musste ihre Liebenswürdigkeit spielen, und so mancher Mann spürte das Unechte ihres Gehabes. Aber dieses arme Mädchen war von Natur aus mit einem sonnigen Gemüt beglückt, und irgendwie strahlte das auf ihre Umgebung aus.

Marion stand am Fenster des Gastzimmers und schaute verdrossen von dem Balkon auf die in Sonnenlicht getauchte Landschaft. Ein Reiter. Sie kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können. Ein Nachbar vielleicht?

Zwei Minuten später wusste sie, wer auf dem schönen Pferd spazieren ritt. Die Gutssekretärin, das unverschämte Geschöpf, das die Großzügigkeit der Grafen Hallenstein über Gebühr ausnutzte. Bevor die Baroness sich klar wurde, was sie wollte, hatte sie schon das Zimmer verlassen und ging auf die Pferdeställe zu.

Otto streifte sie mit einem schiefen Blick und zog sich wieder zurück, bevor sie ihn womöglich ansprach.

Seine Augen leuchteten jedoch auf, als er durch die offen stehende Tür Kerstin erkannte, die im Trab näher kam. Wie schnell sie reiten gelernt hatte, und wie sicher sie jetzt im Sattel saß! So eine hätte der junge gnädige Herr sich suchen sollen!

»Haben Sie nichts Besseres zu tun, als zu reiten?«, fragte Baroness Tügel und trat hinter dem Baumstamm hervor, der sie bisher Kerstins Blick verdeckt hatte.

Kerstins Schwalbe stieg mit der Vorhand empor, und es gehörte die ganze Geschicklichkeit der Reiterin dazu, nicht aus dem Sattel zu kommen.

»Und mit Ihrem Pferd werden Sie nicht einmal richtig fertig«, fuhr Marion gehässig fort. »Weiß Graf Hallenstein, dass Sie sich während Ihrer Bürozeit hier draußen herumtreiben?«

»Ja.« Kerstin dachte gar nicht daran, sich von der Baroness herausfordern zu lassen und ihr etwa mit gleicher Münze heimzuzahlen.

»Ich verstehe. Sie haben ihn gebeten, Ihnen freizugeben. Haben Sie sich draußen irgendwo mit ihm getroffen? Mir können Sie Ihr Liebesnest ruhig verraten. Ich weiß ja, wie Sie es mit ihm treiben.«

»Nun machen Sie aber mal einen Punkt!« Otto hatte mehr als einen Schluck auf Kerstins Wohl getrunken, und deshalb war er nicht so vernünftig wie sonst. »Das sag ich dem gnädigen Herrn wieder! Sie sollten sich schämen, gnädiges Fräulein! Nur weil Sie selbst so was machen, denken Sie, andere täten das auch.«

Mein Gott, Otto hat getrunken, schoss es Kerstin durch den Kopf. Sie schwang sich graziös aus dem Sattel.

»Versorgen Sie Schwalbe, Otto, aber vorher entschuldigen Sie sich bei dem gnädigen Fräulein.«

Otto spürte, dass es Kerstin ernst war. Und eigentlich hatte er auch ein bisschen reichlich viel gesagt.

»Tut mir leid, das alles«, brachte er hervor.

Kerstin ahnte nicht, wie ungeheuer hochmütig sie in diesem Augenblick aussah, weit mehr Dame als Baroness Tügel.

Wie gern würde ich ihr die Augen auskratzen, dachte Marion. Was fällt dieser Tippse nur ein, sich mir gegenüber so aufzuspielen. Vor allem wusste Marion genau, dass sie einfach zu weit gegangen war.

Sie hatte gehofft, dass Kerstin abgeworfen würde, und als Otto sie dann noch so unverschämt angriff, war es um ihre Vernunft ganz und gar geschehen.

»Sie hören noch von mir, meine Liebe«, stieß sie drohend hervor. »Ich werde mit dem Grafen Hallenstein über Sie sprechen.«

Kerstin neigte knapp den Kopf, machte eine halbe Wendung nach rechts und ging einfach davon.

Otto grinste zufrieden. Das Fräulein hatte die Baroness irgendwie prächtig fertiggemacht, fand er, und das ohne viele Worte zu verlieren.

Marion starrte Kerstin Grothe nach. Warum habe ich sie so angegriffen?, fragte sie sich. Eigentlich geht die Person mich nichts an. Aber sie musste fort von Hallenstein, das war ihr in diesen Tagen klar geworden. Oldwigs wegen. Er interessierte sich für keine infrage kommende Frau, aber dieses Mädchen hatte es irgendwie geschafft, sein Interesse zu wecken. Und deshalb musste sie auch fort.

»War es schön?« Als Kerstin das Haus betrat, wollte Graf Oldwig es gerade verlassen.

»Ja, sehr schön. Ich bin so froh, dass Sie mir erlauben zu reiten.«

Oldwig schaute sie an. Es war nicht seine Absicht, sie mit Baroness Tügel zu vergleichen, denn schließlich kamen die beiden Damen aus ganz verschiedenen Welten, und es wäre unfair gewesen, eine kleine Büroangestellte mit einer Baroness zu vergleichen.

Dennoch war etwas in ihm, das ihn zwang, sich Marion im Geiste neben Kerstin vorzustellen. Und genau wie Otto verstand er nicht, dass jemand Marion lieben konnte.

»Vielleicht fahre ich einen Tag zu meinen Eltern«, erklärte Kerstin.