Louis XIV - Johannes Willms - E-Book

Louis XIV E-Book

Johannes Willms

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Beschreibung

Kein anderer deutscher Historiker hat ein so reiches OEuvre zur Geschichte Frankreichs vorgelegt wie Johannes Willms. Er hat vielgerühmte Bücher über die Stadt Paris und über die Französische Revolution geschrieben, Biographien der großen und kleinen "Napoleoniden", von Stendhal und Balzac, Mirabeau und Talleyrand bis zu Napoleon III., und – gleichsam als Zentralmassiv – eine in ihrer Art einzigartige Trilogie. Nach dem Bestseller über Napoleon und der großen Charles de Gaulle-Biographie hat er seine Trilogie der "großen" Franzosen mit dieser grandiosen Biographie Louis XIV.’, die sein letztes Buch werden sollte, glücklich vollendet. Der "Sonnenkönig" Louis XIV ist die historisch erste von drei überlebensgroßen Herrschergestalten, die Frankreichs Geschichte in der Neuzeit maßgeblich geprägt haben. Wie Napoleon und Charles de Gaulle sorgte er für einen Überschuss an Glanz und Macht, aus dem das nationale Selbstverständnis Frankreichs bis heute schöpft. Wer aber war dieser für ein ganzes Zeitalter stilbildende Mann, der den Absolutismus begründete, mit seinem Schloss Versailles neue Maßstäbe der Prachtentfaltung setzte, die Hugenotten grausam verfolgte und Europa mit Kriegen von unerhörter Brutalität überzog? Der Frankreichhistoriker Johannes Willms entwirft in seinem letzten Buch ein faszinierendes Portrait des Mannes, dessen Wort "L’état c’est moi" unsterblich geworden ist.

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JOHANNES WILLMS

LOUIS XIV

DER SONNENKÖNIG UND SEINE ZEIT

C.H.BECK

ZUM BUCH

Louis XIV ist die historisch erste von drei überlebensgroßen Herrschergestalten, die Frankreichs Geschichte in der Neuzeit maßgeblich geprägt haben. Wie Napoleon und Charles de Gaulle sorgte er für einen Überschuss an Glanz und Macht, aus dem das Selbstverständnis der Grande Nation bis heute schöpft. Wer aber war dieser Mann, der den Absolutismus begründete, mit seinem Schloss Versailles neue Maßstäbe der Prachtentfaltung setzte, die Hugenotten grausam verfolgte und auf der Jagd nach Ruhm Europa mit Kriegen von unerhörter Brutalität überzog? Der Frankreichhistoriker Johannes Willms entwirft in seinem letzten Buch ein ebenso faszinierendes wie schonungsloses Porträt des berühmten «Sonnenkönigs», der für ein ganzes Zeitalter stilbildend werden sollte.

ÜBER DEN AUTOR

Johannes Willms (1948–2022) war Journalist und Historiker. Er hat zahlreiche Werke vor allem zur Geschichte Frankreichs vorgelegt, darunter Napoleon. Eine Biographie (22018) und zuletzt Der General. Charles de Gaulle und sein Jahrhundert (22023).

INHALT

VORWORT

ERSTES BUCH: LEHRJAHRE DER MACHT

ERSTES KAPITEL: Unordnung und frühes Leid

ZWEITES KAPITEL: Die Eroberung Frankreichs

DRITTES KAPITEL: Ein Frieden, eine Hochzeit und ein Todesfall

VIERTES KAPITEL: Ich, der König

FÜNFTES KAPITEL: Die Konsekration des Mythos

ZWEITES BUCH: ILLUSION DER MACHT

ERSTES KAPITEL: Rendez-vous mit der gloire

ZWEITES KAPITEL: Im Rausch der Macht

DRITTES KAPITEL:Verzockt

VIERTES KAPITEL: «A Fool’s Paradise»

FÜNFTES KAPITEL: Die Egomanie und ihr Preis

DRITTES BUCH: SCHATTEN DER MACHT

ERSTES KAPITEL: Szenen einer morganatischen Ehe

ZWEITES KAPITEL: Zustände und Zumutungen

DRITTES KAPITEL: Ouvertüre zur Götterdämmerung

VIERTES KAPITEL: Die Macht und ihr Preis

FÜNFTES KAPITEL: Sonnenuntergang

ANMERKUNGEN

ERSTES BUCH · LEHRJAHRE DER MACHT

Erstes Kapitel · Unordnung und frühes Leid

Zweites Kapitel · Die Eroberung Frankreichs

Drittes Kapitel · Ein Frieden, eine Hochzeit und ein Todesfall

Viertes Kapitel · Ich, der König

Fünftes Kapitel · Die Konsekration des Mythos

ZWEITES BUCH · ILLUSION DER MACHT

Erstes Kapitel · Rendez-vous mit der gloire

Zweites Kapitel · Im Rausch der Macht

Drittes Kapitel · Verzockt

Viertes Kapitel · «A Fool’s Paradise»

Fünftes Kapitel · Die Egomanie und ihr Preis

DRITTES BUCH · SCHATTEN DER MACHT

Erstes Kapitel · Szenen einer morganatischen Ehe

Zweites Kapitel · Zustände und Zumutungen

Drittes Kapitel · Ouvertüre zur Götterdämmerung

Viertes Kapitel · Die Macht und ihr Preis

Fünftes Kapitel · Sonnenuntergang

BILDNACHWEIS

ERSTES BUCH

ZWEITES BUCH

DRITTES BUCH

PERSONENREGISTER

Detlef Felken

Anreger Freund Lektor

VORWORT

Louis XIV ist eine der drei Herrschergestalten, die Frankreichs neuere Geschichte nachhaltig beeinflussten. Wie Napoleon oder Charles de Gaulle sorgte auch er für einen Überschuss an Glanz und Macht, dessen Erinnerung das Erbe mehrt, aus dem Frankreich kulturelles und politisches Selbstbewusstsein schöpft. Jedem dieser drei Protagonisten gelang es, als Antwort auf eine existentielle Krise des Landes eine Ordnung zu entwerfen, die Frankreich vor dem Absturz in Bedeutungslosigkeit bewahrte und der Nation neue Geltung verschaffte. Das stiftete eine Konfession, sich der neuzeitlichen Geschichte Frankreichs ungeachtet aller Brüche als vergangene Gegenwart vergewissern zu können.

Kaum dass es der Monarchie gelungen war, die durch die Glaubensspaltung im 16. Jahrhundert befeuerten Bürgerkriege zu befrieden, kam es zu einer Revolte des französischen Hochadels mit dem Ziel, die im Zuge dieses Prozesses gewachsene Gestaltungsmacht der Krone zu beschneiden. Diesen Bestrebungen machte Louis XIV durch das Regime des königlichen «Absolutismus» ein Ende: Militär, Verwaltung, Gesetzgebung, die höfische Kultur, die Staatskirche wie die staatliche Wirtschaftsordnung wurden seinem souveränen Ratschluss unterworfen, der keinerlei Einreden duldete. Dieses Herrschaftsmodell war so erfolgreich, dass Frankreich unter dem «Sonnenkönig», wie Louis XIV glorifiziert wurde, zur kulturell wie politisch führenden Macht in Europa aufstieg.

Selbstredend war das nicht das alleinige Werk des allmächtigen Herrschers, dem die vorliegende Biographie gewidmet ist. Bertolt Brechts «Fragen eines lesenden Arbeiters» geben darauf die einschlägige Antwort. Am Erfolg und Glanz wie an den Abgründen und Grausamkeiten, die kaum weniger ein Merkmal von «Le Siècle de Louis XIV» waren – so der Titel der 1751 erstmals in Berlin erschienenen historischen Darstellung Voltaires –, hatten zahllose Helfershelfer, Minister, Schranzen, Soldaten, Geistliche, Bankiers, Künstler, Ärzte, Schriftsteller, Verbündete und Gegner, Männer wie Frauen einen größeren oder kleineren Anteil. Von diesen werden aber nur die wenigsten im Fluss der Darstellung aufscheinen. Im Mittelpunkt unserer Schilderung steht vielmehr der Mann, der als Louis XIV den lärmenden und oft chaotisch anmutenden Betrieb seiner Epoche am Laufen hielt oder zu beeinflussen suchte. Allein, auch hier gilt, dass bei weitem nicht alles, was in der Zeit seiner Herrschaft der Fall war, von Louis XIV gefingert oder inspiriert wurde. Als Souverän besetzte er zwar den archimedischen Punkt der Macht, von dem aus er nach eigenem Belieben die Verhältnisse zum Tanzen bringen konnte; dabei hatte er es mit einer großen Fülle von Gegenspielern zu tun oder es kamen ihm unvorhergesehene Friktionen, Widerstände und Zufälle in die Quere, denen gegenüber er sich verhalten musste. Dieses wirre Geflecht unterschiedlichster Einflüsse, die sich zum jeweiligen historischen Geschehen verdichten, gilt es zu erhellen und zu erläutern, wenn man den Anteil wie die Tendenz bestimmen will, die Louis XIV mit dem ihm zurechenbaren Agieren zu verfolgen suchte.

Eine andere Schwierigkeit, die sich dem Biographen Louis’ XIV stellt, ist, Auskunft zu geben über das Wesen, den Charakter des Protagonisten. Dessen Beichtväter hüteten das Beichtgeheimnis und gaben folglich keinen Einblick, welche Zweifel und Gelüste den geständigen Sünder umtrieben. Aus seiner Jugend sind zwar einige Hinweise auf den Gefühlssturm der Leidenschaft überliefert, die Maria Mancini, eine der Nichten des Kardinals Mazarin, in ihm auslöste. Kein Brief von seiner Hand gibt indes Auskunft über die Gefühle des reifen Mannes gegenüber den Liebschaften und Mätressen, die ihm zahlreiche Kinder geboren haben. Eine Ausnahme davon machen lediglich die wenigen, sehr kurzen und rein geschäftsmäßigen Mitteilungen an Mme. de Maintenon, mit der er über mehr als vier Jahrzehnte intim verbunden war. Außer der vergleichsweise umfangreichen diplomatischen, militärischen oder politischen Korrespondenz, die, auch wenn sie von seiner Hand geschrieben zu sein scheint, vermutlich von seinem Sekretär Rose zu Papier gebracht wurde, der die Handschrift Louis’ XIV täuschend ähnlich nachahmen konnte, lassen sich nur wenige persönliche Schriftzeugnisse von ihm finden. Von problematischer Authentizität sind ferner auch die Memoiren Louis’ XIV, die in seinem Auftrag zur Unterweisung des Thronfolgers, des Dauphin, aufgeschrieben und von ihm allenfalls autorisiert wurden.

Bleibt also, Louis XIV im Licht dieser amtlichen Dokumente nach seinem Tun und Lassen zu beurteilen, von dem die Zeitgenossen aus eigenem Erleben oder durch Hörensagen unterrichtet in ihren Briefen oder Memoiren ausgiebig Mitteilung machten. Zwar muss der Wert solcher Zeugenaussagen kritisch beurteilt werden, aber dennoch kann der Biograph nicht darauf verzichten, sie auszuwerten. Überdies ist seine Darstellung kein Geschäftsbericht, sondern bei allem historiographischen Anspruch ein erzählerisches Werk, weshalb um des Lesers willen gelegentlich im Geröll der zu vermittelnden Fakten als «silberne Rippe» ein illustrierendes Zitat aufblitzt.

Schließlich gibt es eine große Fülle von Aussagen höchst unterschiedlicher Zeitzeugen, die völlig gleichgültig, ob sie Louis XIV mit Bewunderung oder Abneigung begegneten, in einem Urteil hinsichtlich seiner Persönlichkeit übereinstimmen. Dieser Konsens konzentriert sich auf die Feststellung der ausgeprägten Egomanie des Herrschers, die sich nicht zuletzt in der von ihm inspirierten Schöpfung und Ausgestaltung von Schloss und Park von Versailles manifestiert. Gewiss, die gesamte Anlage von Versailles war dem Zwang geschuldet, ein überwältigendes Abbild von Macht und Herrlichkeit des «Sonnenkönigs» zu geben, das, wie es seine Devise erheischte, «nec pluribus impar» war. Das formulierte die Rollendefinition, die er als absolutistischer Monarch ausfüllen musste und für die er von Kind auf abgerichtet wurde, als man ihm das unstillbare Verlangen nach gloire einimpfte. Sobald er zur Herrschaft gelangte, war ihm diese Rollenidentifikation schon längst zur eigenen Natur geworden, d.h. er war nicht mehr er selber, sondern gab immer die Person von sich, den «Sonnenkönig». Der Rollenzwang, niemals er selber zu sein, in keiner Situation, weder beim Sterben noch bei der Verrichtung der Notdurft, sondern stets nur als Person von sich, als König zu figurieren, war eine unentrinnbare Falle, die ihm die prinzipielle Öffentlichkeit seiner Person zur Pflicht und selbst gelegentliche Rückzüge ins Private unmöglich machte. Ein Surrogat für diesen Verzicht war dann allenfalls der vertraute Umgang, den er mit der um drei Jahre älteren, mütterlichen und ihm zeitlebens in verheimlichter morganatischer Ehe verbundenen Maintenon hatte.

Die aus dieser unbedingten und buchstäblich eingelebten, geradezu krankhaften Rollenidentifikation resultierende Ruhmsucht war, wie Louis XIV einmal eingestand, die Ursache dafür, ständig Kriege führen zu müssen, die von ihm unter fadenscheinigsten Vorwänden angezettelt wurden. Bewaffnete Konflikte zu wagen war ein Zwang, dem er sich stets freudig und mit großem Optimismus unterwarf. Daran änderte auch nichts, dass der Verlauf dieser Kriege die Erwartungen rasch und gründlich enttäuschte. Auch die Versuche, das kriegerische Geschehen zügig zu beenden, um den eigenen Schaden zu begrenzen, scheiterten regelmäßig daran, dass ihm die Mittel fehlten, sich durchzusetzen. Das Eingeständnis aber, dass er damit sein Leben lang einem Irrtum aufgesessen war, zu dem er sich allein durch die Rolle, die er spielen musste, verdammt sah, rang er sich erst in der Stunde seines Todes ab.

Das ändert aber nichts daran, dass Louis XIV fraglos zu einem Mythos geworden ist, dessen gloire noch heute die Besucher von Versailles zu Hunderttausenden in entzücktes Staunen versetzt.

ERSTES BUCH

LEHRJAHRE DER MACHT

Louis XIV

ERSTES KAPITEL

Unordnung und frühes Leid

Am späten Vormittag des 5. September 1638, einem Sonntag, ereig nete sich im Schloss von Saint-Germain-en-Laye ein Wunder. Dessen waren sich nicht nur Millionen Franzosen, sondern auch König Louis XIII gewiss. Das Mirakel war die Geburt des Thronfolgers. Der galt folgerichtig als Gottesgeschenk. Für diese Gewissheit, in die sich König und Untertanen teilten, sprachen diverse Umstände.

Mehr als drei Jahre zuvor, im Mai 1635 hatte Frankreich Spanien den Krieg erklärt und war damit als weitere Partei in den Konflikt eingetreten, der seit 1618 das Heilige Römische Reich verheerte. Aus einem Glaubenszwist zwischen Katholiken und Protestanten, der in Böhmen begann, wurde ein Krieg um das Reich, das 1635 mit dem Eingreifen Frankreichs endgültig Schauplatz eines blutigen, dreißig Jahre dauernden Ringens um die Vorherrschaft in Europa wurde. Kardinal Richelieu, der Louis XIII seit 1624 als Erster Minister diente, wollte mit dem Kriegseintritt eine vermeintlich drohende Einkreisung Frankreichs durch die Habsburger vereiteln.

Auf anfängliche Erfolge, die eine französische Armee im Juni 1635 bis Brüssel, der Hauptstadt der Spanischen Niederlande, führten, folgten Niederlagen, die zum überstürzten Rückzug nötigten. Frankreich, so zeigte sich jetzt, war für einen längeren Krieg nicht gerüstet.[1] Das war auch die Einsicht Richelieus. Wie sehr ihn die militärische Lage beunruhigte, verrät die Empfehlung, die er am 19. Mai 1636 Louis XIII übermittelte, er möge der Jungfrau Maria ein Gelöbnis ablegen. Dafür sei auch kein großer Aufwand vonnöten, da in Notre-Dame Fürbitten in großer Zahl stattfänden. Es genüge deshalb, wenn Seine Majestät geruhe, ein «schönes» Ewiges Licht am Marienaltar aufstellen zu lassen. Im Übrigen könne eine gesteigerte Verehrung der Mutter Gottes nichts anderes als willkommene Wirkungen haben.[2]

Richelieus Befürchtungen wurden nur zu schnell wahr. Anfang Juli überschritt eine spanische Armee in Flandern die Grenze und stieß bis Corbie vor, das Mitte August 1636 erobert wurde. Jetzt mussten die Feinde nur noch die Somme überqueren, um Paris zu bedrohen. Da die Fürbitten nicht anschlugen, gerieten die rund vierhunderttausend Einwohner von Paris in Panik. Um angesichts des drohenden Chaos Handlungsfähigkeit zu demonstrieren, ließ die Krone eine Bürgermiliz aufstellen, die den Angreifern den Weg verlegen sollte. Dank deren Verstärkung durch reguläre Einheiten wurden die Invasoren vertrieben, im Oktober konnte mit der Belagerung von Corbie begonnen werden, das am 14. November kapitulierte.[3] Damit war die Gefahr gebannt. Als Louis XIII die erlösende Nachricht erhielt, versprach er, sich und Frankreich dem Schutz der Heiligen Jungfrau Maria zu weihen. Richelieu versicherte er am 24. November: «Seit der Eroberung von Corbie befleißige ich mich noch mehr frommen Eifers, um Gott für die Gnade zu danken, die er mir erwiesen hat.»[4]

Mit der Ausformulierung dieses Gelöbnisses ließ sich Louis XIII bis zum Dezember 1637 Zeit.[5] Als man es am 10. Februar 1638 feierlich verkündete,[6] wurde auch die Schwangerschaft der Königin bekannt, die am 5. September einen gesunden Knaben gebar. Damit war die Thronfolge endlich gesichert. Das ließ an ein Wunder glauben, das dank des königlichen Gelöbnisses bewirkt worden sei.[7]

Die Geburt des Dauphin konnte vielen als Wunder gelten, denn die Ehe von Louis XIII mit Anne d’Autriche, der Tochter des spanischen Königs Felipe III, am 25. Oktober 1615 in Bordeaux geschlossen, war 22 Jahre kinderlos geblieben. Dafür hatte zunächst der politische Ehrgeiz von Maria de Medici, der seit 1610 verwitweten zweiten Frau von König Henri IV und Mutter des Bräutigams, den Ausschlag gegeben. Die Regentin wollte mit der Hochzeit zweier Minderjähriger das von ihr eingefädelte Bündnis mit Spanien festigen, gegen das außer den französischen Protestanten, den Hugenotten, auch mächtige Adelige opponierten.[8] Allein schon deshalb war es geboten, dass die frisch Vermählten umgehend die Ehe vollzogen, auch wenn beide auf diesen intimen Akt nicht im mindesten vorbereitet waren. Wie der Leibarzt Louis’ XIII, Jean Héroard, in seinem Tagebuch schreibt, wachte die Mutter darüber, dass ihr Sohn ins Bett der mit ihm frisch Verheirateten gelegt wurde. Rund zwei Stunden später habe er das eheliche Lager wieder verlassen und versichert, «es zweimal gemacht zu haben». Diese Auskunft wähnte Héroard durch den ärztlichen Augenschein bestätigt, dass der königliche «Schniedel» gerötet gewesen sei – «il y paraissait le guillery rouge».[9] Das genügte Maria de Medici als Nachweis, dass die Ehe vollzogen worden war, wie sie den Mitgliedern des diplomatischen Corps versichern ließ.

Für den Vollzug der Ehe in der Hochzeitsnacht blieb die Königin den Beweis schuldig, denn sie wurde nicht schwanger. Dabei blieb es auch, zumal der König nach der Hochzeitsnacht das Beilager mit seiner Frau mied. Je länger diese Abstinenz dauerte, desto unverständlicher wurde sie, denn schließlich galt es, den Fortbestand der Dynastie zu sichern. Dafür den entscheidenden Beitrag zu leisten, war die Pflicht des Königs. Auch die Mahnungen des Beichtvaters halfen nichts: Seit der Hochzeitsnacht, die für ihn ein traumatisches Erlebnis gewesen sein muss, empfand Louis XIII beim bloßen Gedanken an Intimität dem Leibarzt zufolge «Scham und große Angst». Erfolg scheint schließlich das beherzte Handeln des duc de Luynes gehabt zu haben, der den sich widersetzenden und heftig weinenden König einfach packte und ihn in der Nacht des 25. Januar ins Bett seiner Frau legte: Der König «s’esfforce deux fois», wie Héroard gehört haben will.[10]

Die damit nach mehr als vier Jahren vollzogene Ehe war ein Akt von größter staatspolitischer Bedeutung. Der Hof säumte deshalb nicht, am Morgen des 26. Januar alle Botschafter davon in Kenntnis zu setzen. Trotz der bizarren Umstände scheint dieses Erlebnis bei Louis XIII das bislang unter Schamgefühlen verschüttete erotische Verlangen nach seiner Frau geweckt zu haben, die er von nun an wenigstens einmal in der Woche des Nachts aufsuchte. Dieses Eheleben währte bis zum Frühjahr 1622. Am 16. März erlitt die Königin ihre dritte Fehlgeburt. Für Louis XIII, auf Kriegszug gegen die Hugenotten in Frankreich unterwegs, scheint diese Nachricht den letzten Anstoß für eine neuerliche Entfremdung von seiner Frau gegeben zu haben,[11] die bis zum Herbst 1637 und damit rund fünfzehn Jahre andauerte.

Unter diesen Umständen musste die Geburt eines Thronfolgers als Wunder erscheinen. Dieser Glaube fand seine Bestätigung darin, dass das Bekanntwerden der Schwangerschaft von Anne d’Autriche mit der Veröffentlichung des Gelöbnisses Mitte Februar 1638 zusammenfiel, mit dem Louis XIII sich, die Krone und die Untertanen dem Schutz der Muttergottes anvertraut hatte. Das war ausweislich der Gelöbnisurkunde als Dank des Königs für das «Wunder von Corbie» vom 14. November 1636 gemeint und nicht als Fürbitte um einen Thronfolger. Dessen Geburt galt den Gläubigen als das größere Wunder, denn es garantierte den Fortbestand der Monarchie. Eine Bestätigung des Wunderglaubens der Massen war der neue, der Jungfrau Maria geweihte Hauptaltar in Notre-Dame de Paris, zu dessen Errichtung sich Louis XIII im Gelöbnis verpflichtet hatte. Tatsächlich wurde er erst 1714 vollendet, ein Jahr vor dem Tod Louis’ XIV. Louis XIII und Louis XIV, Vater und Sohn, figurieren noch heute als Stifterskulpturen zu beiden Seiten dieses Altars.

Die lang ersehnte Geburt des künftigen Thronfolgers, des Dauphin, verlieh Anne d’Autriche eine unangreifbare Stellung in der Monarchie. Das verschaffte ihr Selbstbewusstsein und trug auch dazu bei, ihr Verhältnis zu Kardinal Richelieu zu entkrampfen. Entsprechendes dürfte auch für die Ehe mit Louis XIII gegolten haben, denn dem gebar sie am 21. September 1640 als zweiten Sohn den duc d’Anjou, den künftigen Philippe d’Orléans.

Louis XIV und Philippe, Herzog von Orléans, um 1645

Der Krieg mit Spanien ging aber noch zehn Jahre weiter. Über dessen Finanzierung geriet die Krone in immer größere Geldnot und sah sich deshalb zu neuen Steuerforderungen und Münzverschlechterungen genötigt. Diese und weitere finanzielle Manipulationen provozierten Aufstände, die mit Gewalt erstickt werden mussten. Das galt auch für die Verschwörungen von Angehörigen des Hochadels, an denen die beiden Brüder Louis’ XIII, der duc d’Orléans und der duc de Vendôme, sowie dessen Vetter, der prince de Condé, und der Favorit des Königs, der marquis de Cinq-Mars,[12] beteiligt waren, die einen Sturz der königlichen Regierung, wenn nicht gar die Ermordung von Premierminister Kardinal Richelieu betrieben.[13] Trotz dieser Bedrohungen starb Richelieu am 4. Dezember 1642 eines natürlichen Todes. Ihm folgte ein halbes Jahr später, am 14. Mai 1643, der von Krankheit gezeichnete Louis XIII ins Grab. Am Tag darauf, dem 15. Mai, zog der Dauphin als König Louis XIV in Paris ein.

Der bei der Thronbesteigung kaum fünf Jahre alte König war zu jung, um die Geschäfte zu verantworten, die in seinem Namen vollzogen wurden. Das besorgte bis zu seiner Volljährigkeit eine Regentschaft, die Louis XIII noch vor seinem Tod organisiert hatte. Damit war ein Regentschaftsrat vorgesehen, dem außer der Königin auch Monsieur, der intrigante Bruder Louis’ XIII, Gaston d’Orléans und dessen Vetter, der prince de Condé, angehörten. Diesen drei Mitgliedern des Bourbonen-Clans, denen Louis XIII zutiefst misstraut hatte, sollten sich deshalb noch vier weitere ihnen gleichberechtigte Ratsmitglieder zugesellen, die sich aus dem Kreis enger Vertrauter Richelieus rekrutierten: Kardinal Mazarin, Staatskanzler Séguier, Finanzminister Bouthillier sowie Staatssekretär Chavigny. Mit diesem Regentschaftsrat, der einerseits die Interessen des Clans, andererseits die Richelieus repräsentierte, suchte der sterbende König über seinen Tod hinaus die Politik des Kardinals fortzusetzen.

Diese Absicht geht auch aus dem Wunsch hervor, den Louis XIII unmittelbar nach dem Ableben Richelieus dem venezianischen Botschafter Girolamo Giustiniani anvertraute, «dass alles so bleibt wie es war, ohne jegliche Änderung. Ich will mich der nämlichen Minister bedienen und, da der Kardinal Mazarin mehr als jeder andere eingeweiht ist in die Absichten und Maximen des Verewigten [i. e. Richelieu], habe ich mich entschlossen, ihn in meinen Conseil aufzunehmen».[14] Die Berufung des am 14. Juli 1602 im Königreich Neapel geborenen Jules Mazarin zum Premierminister war dem König von Richelieu nahegelegt worden. Damit war eine Pointe verknüpft, die weder dieser noch Louis XIII vorhergesehen hatten: Die Königinwitwe, die Jules Mazarin seit über zehn Jahren kannte, war ihm in Sympathie verbunden, die zu stärken Louis XIII noch unwissentlich beitrug, als er den Kardinal zusammen mit der princesse de Condé zu Paten des Dauphin bei dessen Taufe am 21. April 1643 bestimmte. Nach dem Tod Louis’ XIII schlüpfte Mazarin dank seiner immer enger werdenden Beziehung zur Mutter des Thronfolgers in die Rolle von dessen väterlichem Erzieher. Vermutlich agierte er dabei weit umsichtiger, als dies ein leiblicher Vater getan hätte. Was ihn das Beispiel der Mutter und die diplomatisch-politische Praxis des Kardinals lehrten, war für die Erziehung des Heranwachsenden sicherlich von größerer Bedeutung als die Wissensvermittlung, die er seitens seiner Lehrer erfuhr.

Auch dürfte das Kind, das schon ein König war und als solcher von seiner Umgebung geachtet wurde, schnell erkannt haben, dass das Vorbild Mazarins für sein künftiges Metier als Herrscher weit nützlicher wäre als das Pauken lateinischer Vokabeln. Tatsächlich setzte der Prozess, mit dem sich Louis XIV im Alter von rund 21 Jahren zu einem Monarchen verpuppte, sehr früh und mit großer Intensität ein. Ursächlich dafür war, dass er unbeschwerte Kindheitserlebnisse eher selten hatte, Gefahr, Not und Bedrängnis dafür umso häufiger erleben musste. Außerdem gehörte es zu seinen Aufgaben, von Kindheit an mit Ernst und Würde höfischen Ritualen zu genügen. Auch wenn sich ihm deren Sinn zunächst kaum erschlossen haben dürfte, wird das Erlebnis, im Mittelpunkt zu stehen, das eigene Selbstbewusstsein erheblich gestärkt haben.

Den Anfang machte ein für den Ancien Régime typischer Staatsakt, bei dem Louis XIV erstmals in der Rolle des Monarchen agierte. Das war der Lit de justice,[15] ein von der Krone angestrengter Prozess, der mit dem feierlichen Einzug des von der Regentin, den Würdenträgern des Regimes und allerlei Schranzen des Hofs begleiteten Königs in den Gerichtshof des Pariser Parlement am 18. Mai 1643 eröffnet wurde. Anlass der Klage war das Verlangen der Witwe, die von Louis XIII veranlasste Regelung der Regentschaft aufzuheben und ihr die alleinige Zuständigkeit zu übertragen. Die Änderung wurde vom Parlement widerspruchslos bewilligt. Damit hatte die Witwe Louis’ XIII die Freiheit, sich der ihr lästigen Aufpasser zu entledigen, um die Regentschaft mit Beratern ihrer Wahl auszuüben. Gaston d’Orléans wurde mit dem klingenden Titel eines Lieutenant-général du Royaume, eines nominellen Oberbefehlshabers der Streitkräfte, abgespeist, während Henri de Condé den Genuss üppiger Präbenden und dessen 22-jähriger Sohn, der duc d’Enghien, den Rang eines Oberbefehlshabers der Flandern-Armee zugesprochen bekam. Auf diesen Handel ließen sich die beiden Prinzen umso bereitwilliger ein, als sie überzeugt waren, dass die Witwe nicht die Fähigkeit besäße, den Staat zu regieren. Schließlich stellte sich ihr damit eine Herausforderung, für die ein Richelieu all seine Kraft und Gerissenheit hatte aufbieten müssen. Drohte also, womit sie rechneten, die Regentschaft zu scheitern, wären sie berufen, für noch größere Zugeständnisse an Geld und Macht die strauchelnde Regentin zu stützen.

Das erwies sich aber als Fehlkalkulation, die zeigte, wie sehr die Königinwitwe unterdessen in ihrem politischen Urteil gereift war. Ein weiterer Beleg dafür war ihre Verständigung mit Mazarin, der als Premierminister auch die Regierungsgeschäfte der Regentschaft wahrnehmen sollte. Eine kluge Entscheidung, denn Mazarin war keinem der diversen Clans verpflichtet, die am Hof miteinander um Macht und Einfluss konkurrierten. Außerdem besaß er dank seiner früheren Tätigkeit als päpstlicher Diplomat und der engen Zusammenarbeit mit Richelieu vorzügliche Kenntnisse des politischen Geschäfts. Auch hatte er ein einnehmendes Wesen, das sich von der adelsstolzen Hochnäsigkeit der Mächtigen bei Hofe unterschied. Schließlich begegnete Mazarin der Witwe auch mit Wärme und Empathie, die sie bei dem allzu spröden und bigotten Louis XIII hatte vermissen müssen. Dies wie auch die Vaterrolle, die Mazarin nach dessen Tod für Louis XIV übernahm, hatte zur Folge, dass Kardinal und Königin sich auch menschlich näherkamen.[16]

Kardinal Jules Mazarin

Kardinal Retz hat in seinen Memoiren ein Porträt Mazarins gezeichnet, das, auch wenn es von Spott trieft, dennoch zeigt, welchen Eindruck dieser machte: «Man gewahrt auf den Stufen des Throns, von wo aus der schroffe und schreckliche Richelieu die Menschen mehr zermalmt als regiert hatte, einen sanftmütigen, milden Nachfolger, der nichts begehrte und der schier darüber verzweifelte, dass ihm die Kardinalswürde es nicht gestattete, sich so tief vor aller Welt zu erniedrigen, wie er sich das wünschte, und dem, wenn er in seiner Kutsche unterwegs war, nur zwei kleine Lakaien folgten».[17] Tatsächlich war Richelieu zu Lebzeiten wegen seiner unnachsichtigen Härte so verhasst, dass er sich nur im Schutz einer eigenen, schwer bewaffneten Leibgarde in der Öffentlichkeit zeigte. Die demonstrative Bescheidenheit, mit der sich Mazarin anfangs gerierte, war aber nichts als Täuschung, denn an Gerissenheit, Korruption und Verschwendung sollte er Richelieu in den Schatten stellen.

Anne d’Autriche

Das lange Sterben Louis’ XIII und die Regentschaft der weithin unterschätzten Witwe verhießen eine Schwächung der Macht Frankreichs. Davon ließen sich manche zu ihrem Schaden täuschen. Dazu gehörte etwa der Gouverneur der Spanischen Niederlande, der bereits die Agonie Louis XIII zu Rüstungen genutzt hatte und der nach dessen Tod erneut in Frankreich einfiel. Der Invasion wurde gleich zu Beginn mit der siegreichen Schlacht von Rocroi am 19. Mai 1643 vom 22-jährigen duc d’Enghien Einhalt geboten. Rocroi war nicht nur eine verlorene Schlacht, sondern für den bislang großen Nimbus der spanischen Waffen ein nachhaltiges Debakel: Die französische Infanterie und Kavallerie erwiesen sich den kriegserprobten spanischen Truppen als überlegen. Insbesondere die gefürchteten und als unüberwindbar geltenden tercios, die von Lanzen starrenden Karrees spanischer Infanteristen, die im Zentrum der Schlachtformation aufgestellt waren, büßten in der Schlacht von Rocroi ihren Schrecken ein.

Kaum weniger gefährlich für die Zukunft der Regentschaft als die drohende Haltung Spaniens war eine Kabale, zu der sich allerlei Adelige zusammenfanden, von denen manche ihrer Umtriebe wegen vom Hof verbannt, nach dem Tod Louis’ XIII aber wieder zurückgekehrt waren. Jetzt, so wähnten sie, sei die Stunde für den Erfolg ihrer Intrigen gekommen. Die Absicht dieser «Importants», darunter Angehörige dreier altadeliger Familienclans der Guise, Luynes und Rohan, die sich um den duc de Beaufort scharten, war es, die alte Monarchie zu restaurieren, damit sich ihnen wieder die Illusion erfüllte, an der Macht der Krone teilzuhaben. Auch drängten sie darauf, mit Spanien umgehend Frieden zu schließen, damit Frankreich der Kriegslasten ledig sei.

Das Verlangen stand im Widerspruch zur Politik Mazarins, der nur zu einem für Frankreich vorteilhaften Frieden mit Spanien bereit war.[18] Folglich mussten die Verschwörer versuchen, Mazarin zu entmachten.[19] Das würde die Königin isolieren und ihr die Fortsetzung der Regentschaft derart erschweren, dass sie sich zu allerhand Konzessionen an die «Importants» gezwungen sähe. Um schnell und sicher an dieses Ziel zu gelangen, plante der duc de Beaufort, Mazarin zu ermorden. Die Absicht wurde indes vereitelt, und die Verschwörung flog auf. Anfang September wurde Beaufort verhaftet, während weitere «Importants» das Exil erwartete. Damit war dieser Spuk einer Palastrevolution beendet.

Die gescheiterte Kabale der «Importants» hatte zur Folge, dass die Königin ihren Wohnsitz änderte. Lebte sie bislang im dunklen Bau des Louvre, übersiedelte sie Ende 1643 in den inmitten von Gärten gelegenen Palais-Cardinal, den heutigen Palais Royal, den Richelieu für sich erbaut und Louis XIII vermacht hatte. Binnen kurzem nahm auch Mazarin hier Wohnung. Dank dieser neuen Wohnverhältnisse konnten Königin und Kardinal unbemerkt miteinander verkehren. Das legt die Vermutung nahe, diese Nähe hätte beiden auch die Voraussetzung für einen intimeren Umgang verschafft. Der Gedanke ist gewiss reizvoll; ihm widerspricht die Klugheit Mazarins, der Politik und Erotik strikt zu trennen verstand. Selbst der Hofklatsch weiß nichts von amourösen Abenteuern des Kardinals zu berichten. Auch die Königin scheint keine einschlägigen Neigungen gehabt zu haben. Das behauptet sogar der mit Mazarin verfeindete Kardinal Retz, der sich dabei auf Auskünfte ihrer früheren Vertrauten Mme. de Chevreuse beruft, die ihm anvertraut habe, Anne d’Autriche sei wegen der langjährigen Vernachlässigung durch ihren Mann frigide geworden.[20]

War die eigene Mutter während seiner Kindheit die mit Abstand wichtigste Bezugsperson Louis’ XIV gewesen, so wurde sie jetzt von Mazarin verdrängt, der ab März 1646 zum Oberaufseher seiner Erziehung bestellt wurde. Als Ersatzvater und Erzieher wurde Mazarin für Louis XIV ein bewundertes Vorbild. Mazarins Pädagogik beschied sich im Wesentlichen damit, das politische Bewusstsein des jungen Königs zu formen, ihn an Beratungen teilnehmen zu lassen und ihn zu ermutigen, seine Ansichten zu äußern. Ein wie begnadeter Erzieher Mazarin war, zeigt sich schon daran, dass er seinen königlichen Schüler als Erwachsenen behandelte, den er tagtäglich empfing, um mit ihm aktuelle Fragen oder die eingelaufenen diplomatischen Depeschen zu erörtern. Diese mit staatsmännischen Überlegungen und Maximen gespickten Unterredungen, die sich um ebenso aktuelle wie konkrete Fragen drehten, die im Lichte der französischen Interessen betrachtet wurden, sollten Louis XIV von früh an ein gründliches Verständnis der europäischen Politik vermitteln.

Die Ziele, die Louis XIV sein Leben lang verfolgte und die von den Ansichten seines Lehrmeisters geprägt waren, suchte er jedoch nicht mit dessen Mitteln zu erreichen, die vor allem zu kluger Diplomatie rieten, sondern mit einer schier ununterbrochenen Reihe von Kriegen. Insofern erwies sich Louis XIV als ein schlechter Schüler, auch wenn er sich zunächst den Anschein gab, die Lehren Mazarins zu beherzigen. Das verraten jene vermeintlich von eigenen Erfahrungen und Reflexionen gesättigten Handreichungen, die der damals junge Monarch, dem die großen Prüfungen seiner Herrschaft erst noch bevorstanden, zwischen 1661 und 1666 unter dem anspruchsvollen Titel «Mémoires» aufschreiben ließ und autorisierte und die von ihm als ein Kompendium staatspolitischer Weisheiten zu Nutz und Frommen des Dauphin gedacht waren.[21]

Die politische Pädagogik Mazarins versprach auch deshalb bei Louis XIV zunächst so gut anzuschlagen, weil sie durch seine Anschauung einer von Konflikten geprägten Wirklichkeit ergänzt wurde. Die hatte im jungen König einen aufmerksamen Beobachter, der sich des Tua res agitur bewusst war. Das erlebte er umso deutlicher, als er früh den Vorzug erkannte, dass die königliche Handlungsvollmacht wegen seiner Jugend von der Regentin und dem Minister ausgeübt wurde. So hatte er in gewissermaßen «verantwortlicher Unverantwortlichkeit» – alle Entscheidungen der Regentschaft wurden ja in seinem Namen getroffen – den Logenplatz inne, von dem aus er die Evolution des wüsten Treibens der «Fronde» betrachten konnte. Fronde ist die Bezeichnung, unter welcher die rasch wechselnden Tableaus einer karnevalistisch anmutenden Anarchie zusammengefasst sind, die in Paris zumal, aber auch in anderen Gegenden Frankreichs den Bestand der Monarchie erschütterten und die von Richelieu und Mazarin für die Herrschaft Louis’ XIV projektierte Zukunft ernstlich in Frage stellten.

Auslöser der Fronde war ein Anfang 1648 einsetzendes Aufbegehren gegen die seit der Herrschaft Richelieus geübte Praxis des auf ungeteilte Autorität des Königs zentrierten politischen Handelns, für die insbesondere der Régime de l’extraordinaire einstand, mit dem die Steuerpacht eingeführt wurde.[22] Damit ließen sich nicht nur die institutionellen Abläufe der Steuererhebung umgehen, sondern man verfügte auch sofort über die veranschlagten Steuereinkünfte, die von den Steuerpächtern vorgestreckt wurden, die sich ihrerseits mit großen Gewinnen refinanzierten, indem sie die Steuern eintrieben. Diese Neuerung sorgte für Verstörungen, die sich zunächst unter Kontrolle halten ließen. Das änderte sich erst, als auch diejenigen einen Beitrag zum Steueraufkommen leisten sollten, die bislang von solchen Forderungen weitgehend verschont worden waren: Die Reichen und die Einflussreichen, also die schmale Oberschicht des Dritten Stands, die ebenso wie Adelige und Kleriker von der Zahlung direkter Steuern befreit waren, für die alle anderen Untertanen aufkommen mussten.[23] Aus dieser Oberschicht rekrutierten sich die Angehörigen der Funktionseliten der königlichen Beamten, der officiers royaux, die sich während der religiös überformten Bürgerkriege in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts als eine wichtige Stütze der Krone erwiesen hatten.[24] Sobald sich Richelieu anschickte, mittels des Régime de l’extraordinaire und der Entsendung von jederzeit abrufbaren Kommissaren die von Beamten kontrollierten Instanzenzüge der Monarchie auszumanövrieren, provozierte er Widerstand. Als dessen Sprecher fungierte der Parlement von Paris, der sich zum Hüter der Verfassung aufwarf. Deshalb nahm der Parlement für sich in Anspruch, die Krone gegen das vorgeblich illegitime Handeln von Ministern zu verteidigen, die im Dienst der Regentschaft standen.[25]

Diese Haltung dokumentiert die Rede, mit der Omer Talon, Avocat général am Parlement de Paris, auf den Lit de justice reagierte, den Mazarin und dessen Finanzminister Particelli d’Hémery im September 1645 angesetzt hatten, um auf einen Schwung 19 neue Steueredikte registrieren, sprich beurkunden zu lassen.[26] Das Verführerische an einem Lit de justice war, dass sich der Parlement de Paris als großes Staatstheater inszenieren konnte: Im geräumigsten Sitzungssaal, der Chambre Saint-Louis, versammelten sich die acht Kammern des Parlements, insgesamt 220 Personen, alle in roten mit Hermelin besetzten Talaren. Die Diskussionen, die geführt wurden, stießen auf lebhafte Resonanz bei einem fachkundigen Publikum, das die Redner mit Buhrufen oder Beifall quittierte. Deshalb glichen diese großen Sitzungen des Parlement agonalen Ritualen, hochartistischen Spiegelfechtereien, bei denen feierliche Deklamationen mit nichtswürdigen Farcen abwechselten, die Interessen des Staates oder das Wohl der Allgemeinheit beschworen, aber im gleichen Atemzug nur eigene Belange verteidigten.

Dafür lieferten zumal Steueredikte, die vom Parlement abgelehnt oder abgeschwächt wurden, das Exempel.[27] Den Räten des Parlement verschaffte ihre Haltung Popularität beim Peuple de Paris, die für das Regentschaftsregime eine unkalkulierbare Drohung heraufbeschwor. Um diese Gefahr zu bannen, suchte man durch neue Warensteuern, die vor allem die wohlhabenderen Schichten treffen sollten, die Front von Peuple und Parlement zu spalten. Die Absicht misslang gründlich, denn die Registrierung des neuen Steuertarifs wurde vom Parlement so lange wie möglich aufgeschoben und schließlich mit der Bedingung garniert, dass Getreide, Wein, Kohle und Holz, Produkte also, die auch von den ärmeren Schichten in großer Menge konsumiert wurden, von der Steuer befreit blieben.[28] Dieses neuerliche Scheitern beseitigte auf Seiten der Regierung die letzten Hemmungen. Ende des Jahres 1647 lief die jeweils für eine Laufzeit von neun Jahren befristete Paulette aus. So hieß die 1604 eingeführte Abgabe, die den königlichen Beamten, die ihre Ämter gekauft hatten, die Gewähr bot, gegen eine Gebühr in Höhe von jährlich 1/60 des Marktpreises ihres Amtes das Recht zu erwerben, dieses weiter zu veräußern oder zu vererben.[29] Die Verlängerung der Paulette war an sich eine Routineangelegenheit. Gleichwohl aber bestand die Möglichkeit, dass sie von der Regentschaft ausgesetzt oder durch Kautelen erschwert wurde. Diese Unsicherheit versprach dem Regime größeren Spielraum bei der Erschließung neuer Geldquellen. Den suchte Mazarin umgehend zu nutzen, indem er neben einigen eher belanglosen Steueredikten den Verkauf von zwölf neuen Stellen für Maîtres des requêtes, die dem Parlement unterstanden, zu einem Paket schnürte. Diese Stellenvermehrung bedeutete natürlich für die bisherigen Inhaber dieser Posten eine erhebliche Verringerung des Betrags, den sie bei dessen Verkauf erlösen konnten.[30] Mittels eines weiteren Lit de justice, des dritten derartigen Kraftakts, zu dem die Regentschaft ihre Zuflucht nahm, wurde die Registrierung des Maßnahmenbündels am 15. Januar 1648 erzwungen.[31]

Dieser Lit de justice verdient deshalb besondere Erwähnung, weil der erst neunjährige Louis XIV erneut eine bedeutende Rolle spielen und das übliche Sprüchlein aufsagen musste. Diesmal blieb er aber in seinem Vortrag stecken und brach deshalb vor Scham in Tränen aus.[32] Das war ihm zwar schon einmal, bei seinem ersten Lit de justice am 18. Mai 1643, gelegentlich der Anfechtung des Testaments von Louis XIII widerfahren. Jetzt aber, da er fast doppelt so alt war und dank seiner Teilnahme an zahlreichen offiziellen Anlässen über einschlägige Routine verfügte, verblüffte dieser Aussetzer. Das ließ sich als ein Anzeichen dafür deuten, dass die kritische Lage des Landes den Hof in erhebliche Unruhe versetzt hatte, die an dem jugendlichen König nicht spurlos vorübergegangen war.

Omer Talon nutzte das entschiedene Vorgehen des Hofs für eine weitere Philippika, um die Regentschaft und mittelbar das ministerielle Regime Mazarins des Missbrauchs der königlichen Autorität zu bezichtigen. Ein neuer Ton war seine beredte Klage über die unbeschreiblichen Nöte des Volkes, die dem in Paris herrschenden Luxus, sprich dem Treiben der Steuerpächter und Finanziers, geschuldet seien.[33] Von dieser Beschwerde ließ sich die Regentschaft nicht beeindrucken, sondern sah sich jetzt erst recht herausgefordert, die anstehende Verlängerung der Paulette für ein weiteres Finanzmanöver zu nutzen. Am 30. April 1648 wurde als neue Regelung verkündet, dass die Paulette nur für die Angehörigen des Parlement de Paris ohne Änderung um neun Jahre verlängert werde; den Mitgliedern der drei weiteren Pariser Cours souveraines – des Grand Conseil, der Chambre des Comptes und der Cour des Aides – sowie denen der Parlements in den Provinzen wurde hingegen bedeutet, sie müssten im Gegenzug für eine Verlängerung der Paulette für vier Jahre auf ihre Gehaltsbezüge verzichten.

Das war der Tropfen, der das Fass des Unmuts, der sich bei den Funktionseliten in der Hauptstadt aufgestaut hatte, zum Überlaufen brachte: Sofort erklärte sich der Parlement mit den drei anderen Cours souveraines solidarisch. Vertreter der vier Gerichte traten in der Chambre Saint-Louis zusammen, um über geeignete Gegenmaßnahmen zu beraten. Das Ergebnis war, eine gemeinsame Front gegen das Ansinnen der Regentschaft zu bilden. Das suchte diese zwar zu verbieten, hatte aber nicht die Autorität, sich durchzusetzen. Die Folge war, dass die Vertreter der Cours souveraines sich über ihr weiteres Vorgehen ungestört beraten konnten. Das Ergebnis, ein Katalog mit 27 Forderungen, die auf eine weitgehende Beseitigung der steuerpolitischen und administrativen Maßgaben des Régime de l’extraordinaire abzielten, überreichte der Premier président des Parlement de Paris Mathieu Molé am 27. Juni der Königin im Palais Royal mit einer selbstbewussten Rede.[34] U. a. wurde verlangt, alle Intendanten und sonstigen Kommissare, die ohne Zustimmung des Parlement tätig waren, abzuschaffen. Die taille sollte von dafür vorgesehenen Beamten und nicht von Steuerpächtern erhoben werden. Für das Jahr 1648 sei außerdem eine Reduzierung dieser Steuer um 1/8 vorzusehen. Rückstände sollten hingegen ersatzlos gestrichen werden.[35]

Das Programm war eine Kampfansage: Die Regentschaft würde sich nur unter Zwang auf diese Forderungen einlassen. Deshalb war es auf den ersten Blick verblüffend, dass sich der Hof bereit erklärte, die taille sogar um ¼ statt wie gefordert um lediglich 1/8 zu reduzieren. Die Regentin wolle damit, wie ihre Vertraute, Mme. de Motteville, schrieb, für den König einnehmen. Dieser Absicht diente auch die Erklärung, mit der sie den Herren vom Parlement «Rosen an den Kopf werfen» wolle. Wenn diese dann aber immer noch nicht zur Vernunft kämen, wüsste sie schon, wie sie zu bestrafen seien.[36]

Die Erklärung der Königin war Anlass für den vierten Lit de justice, für den sich der Hof am 31. Juli 1648 in den Parlement begab. «An diesem Tag war der König noch viel schöner als beim letzten Mal», wusste Mme. de Motteville zu berichten. «Die Röte war aus seinem Gesicht verschwunden; die Schwellung war zurückgegangen;[37] allein er hatte nicht mehr diese delikate Schönheit, wegen der er von aller Welt bewundert wurde. (…) Es war auffallend, dass der Peuple nicht, wie es sonst seine Gewohnheit war, in Rufe Vive le Roi ausbrach, seine Begeisterung vielmehr erkaltet war.»[38] Die Erklärung der Königin brachte aber auch überraschende Zugeständnisse, wie die Ankündigung, dass der Verkauf von zwölf neuen Stellen bei den Maîtres des requêtes rückgängig gemacht werde. Zugleich bestehe man darauf, die Sitzungen der Vertreter der vier Obergerichte sofort einzustellen. Auch sollten künftig Versammlungen in der Chambre Saint-Louis nur mit Zustimmung des Königs abgehalten werden.[39]

Die Zugeständnisse besagten wenig, denn sie ließen sich kassieren, sobald man das Heft wieder fest in der Hand hatte. So lange würde sich auch das Versammlungsverbot der Cours souveraines nicht durchsetzen lassen. Also musste man sich in Geduld üben. Dazu gab es auch keine Alternative, denn exekutives Handeln vereitelte der schiere Geldmangel. Wie groß der war, zeigt das Schreiben Mazarins an Marschall Turenne vom 22. Juni 1648, dass alles Geld, das man habe zusammenkratzen können, an ihn geschickt worden sei.[40] Das war kaum übertrieben, denn sowohl die Königin wie Mazarin sahen sich genötigt, Geschmeide zu versetzen, um an Geld zu kommen.

Der Sieg, den der prince de Condé am 20. August 1648 bei Lens über die Spanier erfochten hatte, verhieß der Regentschaft gewisse Handlungsfreiheiten. Das Eintreffen der Siegesnachricht in Paris soll der zehnjährige Louis XIV mit den Worten kommentiert haben, der Parlement werde dieser Neuigkeit wegen sehr empört sein.[41] Die altkluge Bemerkung des Kindkönigs zeigt, wie unmittelbar ihn das Geschehen schon berührte, das Mutter und Ziehvater in Atem hielt. Im Schutz des feierlichen Te Deum, das vom Hof als Dank für den Sieg am 26. August in Notre-Dame de Paris ausgerichtet wurde, wollte die Regentschaft einen Schlag gegen den renitenten Parlement führen. Durch die Verhaftung einiger seiner Mitglieder, von denen sich vor allem einer, der 72-jährige Pierre Broussel, wegen seiner volkstümlichen Forderungen den Ruf eines «Père du Peuple» erworben hatte, wurde das Gegenteil erreicht: Paris entflammte in einer drei Tage anhaltenden Empörung.[42] Damit hatte man nicht gerechnet. Der Palais Royal, in dem die königliche Familie und Mazarin lebten, lag schutzlos inmitten des entfesselten Chaos. Die Situation war denkbar prekär, denn die Krone verfügte in der Stadt über keine Truppen, die ihr Sicherheit gewährleisten konnten. Blieb also nur, auf den Schutz durch die Bürgermiliz zu vertrauen, die am 27. August mobilisiert wurde. Die damit verknüpften Hoffnungen verflogen indes rasch, denn die Milizeinheiten begannen mit den Aufrührern zu fraternisieren.

Jetzt half nur noch eines, um die ins Wanken geratene Loyalität der Pariser Bürgerschaft zu stabilisieren: Die Regentin musste die letzte Trumpfkarte, den großen Nimbus, den Monarchie und König beim Peuple hatten, ausspielen. Am Abend des 26. August 1648 wurden Offiziere und Bürger der Pariser Miliz im Palais Royal empfangen. Diese Audienz durchzustehen war für Anne d’Autriche ein Opfer, musste sie es doch ertragen, dass viele sich herandrängten, ihre Beine umklammerten und ihre Hände, die wegen ihrer besonderen Schönheit berühmt waren, zu küssen versuchten.[43] Louis XIV dürfte von diesem respektlosen Treiben tief verstört worden sein. Schon am nächsten Tag, dem 27. August, musste sich die Regentschaft dem unvermindert anhaltenden Druck der Aufständischen beugen und deren Idol Broussel freilassen.

Auch wenn die Empörer ihren Erfolg nicht verwerten konnten,[44] schien es für den Hof dennoch das Klügste, Paris am 13. September zu verlassen und sich nach Rueil zu begeben. Die Entwicklung veranlasste Gaston d’Orléans und Condé, die für sich eine Chance auf Machtteilhabe witterten, eine Vermittlung zwischen Hof und Parlement zustande zu bringen. Tatsächlich hatten sie mit dem faulen Kompromiss auch Erfolg, der mit einer königlichen Deklaration am 22. Oktober 1648 gebilligt wurde, deren fünfzehn Artikel im Wesentlichen nur die bereits gemachten Zusagen bestätigten.[45] Neu waren lediglich die vier Artikel, die den Mitgliedern des Parlement das Eigentum ihrer Ämter wie deren Handelswert garantierten sowie ihren Besitzern Straffreiheit zusicherten. Schließlich erhielten sie auch das Versprechen, dass die Krone vier Jahre lang keine neuen Ämter verkaufen werde.

Der Parlement besaß aber nicht die Macht, die erzielten Zugeständnisse auf Dauer zu sichern. Seine Erfolge waren allein der Schwäche der Regentschaft geschuldet, die sich damit aber nicht abfinden würde, wie die Regentin dem Erzieher Louis’ XIV, Marschall de Villeroy, versicherte: «Wahrlich, wenn ich derartigen Forderungen zustimmte und ich es zuließe, die Autorität des Königs so weit zu schmälern, würde mein Sohn nichts anderes sein als ein schöner König in einem Kartenspiel».[46] Im Augenblick war an Widerstand nicht zu denken. So sah es auch Mazarin, der sich für die baldige Rückkehr des Hofs nach Paris aussprach.[47] Das geschah Ende Oktober. Mazarin hatte sich durchgesetzt. Folglich galt es den Anschein zu wahren, als habe jener faule Kompromiss die Lage tatsächlich entspannt. Davon konnte aber keine Rede sein. Louis und seine Mutter saßen praktisch als Gefangene im Palais Royal, und der Parlement wurde nicht müde, mit immer neuen Entscheidungen die Krone herauszufordern.[48] Davon ließ sich der Hof nicht irritieren, denn man verfolgte längst den Plan, eine Konfrontation zu riskieren, um den Parlement zu zähmen.[49] Das Kalkül war, nach dem Friedensschluss mit dem Kaiser in Münster und Osnabrück am 25. Oktober 1648 kampferprobte Truppen zur Verfügung zu haben.[50] Spanien gehörte zwar nicht zu den Unterzeichnern des Westfälischen Friedens und führte weiter Krieg gegen Frankreich, aber der prince de Condé würde dennoch Einheiten der Flandern-Armee in den Raum Paris verlegen können. Auch die würden genügen, um Paris zu erschrecken und den Parlement zur Botmäßigkeit zu bringen. Das Signal gab die Flucht des Hofs in der Nacht zum 6. Januar 1649 nach Saint-Germain-en-Laye. Als die Kutschen mit den Flüchtenden Paris verlassen hatten, wich die Spannung von ihnen, wie die Tochter von Gaston d’Orléans, genannt «la Grande Mademoiselle», in ihren Erinnerungen schreibt. «Niemals», heißt es darin über die Königin, «habe ich ein Wesen von derart heiterer Ausgelassenheit gesehen: Sie hätte so gar nicht mehr sein können, wenn sie eine Schlacht gewonnen, Paris erobert und alle, die ihr Missfallen erregt hatten, hätte aufknüpfen lassen, und dabei war sie doch von all dem sehr weit entfernt.»[51]

Wie überstürzt die Flucht war, wurde im Schloss von Saint-Germain offenbar, wo nichts vorbereitet war außer vier schmalen Feldbetten, die Mazarin zuvor dorthin hatte schaffen lassen.[52] Die boten wenigstens dem König, dessen Bruder, der Königin und dem Minister ein karges Lager, während alle anderen sich mit Strohschütten auf dem kalten Steinboden begnügen mussten. In einem Brief erklärte Mazarin die Flucht des Hofs mit einem drohenden Anschlag.[53] Das war ein sehr durchsichtiger Versuch, die Handlungseinheit von Parlement und Peuple zu spalten, der scheitern musste, weil sich die beiden nicht auseinanderdividieren ließen. Gerade diese Einheit zwischen Parlement und Peuple lässt die erste Fronde als Beginn eines veritablen Bürgerkriegs erscheinen, der sich gegen Mazarin richtete – Gedanken an oder Forderungen nach einem Umsturz der Monarchie spielten indes keine Rolle. Außerdem erhielten sie unerwarteten Zulauf seitens einer Reihe von Adeligen, die sich ihnen aus Hass auf Mazarin oder auch aus Eigennutz zugesellten. Die bekanntesten davon waren der prince de Conti, der Bruder von Condé, sowie dessen Schwager, der duc de Longueville und der duc de Beaufort, der «roi des Halles» genannt wurde und das Idol der Pariser Marktweiber war.

Schnell zeigte es sich, dass die Frondeure die Partie verlieren würden. Ihre Hoffnungen, die von Condés Truppen organisierte Blockade von Paris, mit der die Stadt von Lebensmittelzufuhren abgeschnitten wurde, durch einen Angriff von außen aufzubrechen, zerschlugen sich. Weder fand sich der Gouverneur der Spanischen Niederlande, Erzherzog Leopold, dazu bereit, noch erfüllten sich die Erwartungen der schönen Mme. de Longueville, die Turenne den Kopf verdrehen wollte, damit er mit seinen Söldnern den Frondeuren zu Hilfe eile. Turennes deutsche Söldner, die schon seit zwei Jahren auf ihre Löhnung warteten, lagen im Winterquartier. Dass sich daran nichts änderte, dafür sorgte Mazarin, der ihre Offiziere mit Hilfe des Bankiers Hervart bestechen ließ.[54]

Diese Entwicklungen waren noch nicht abzusehen, als sich Paris und der Parlement auf Widerstand versteiften. Hitzköpfe wie Pierre Broussel machten sich sogar dafür stark, eine eigene Armee aufzustellen.[55] Diesem Wunsch entsprach der Parlement umgehend. Schnell wurde jetzt offenbar, dass vor allem Adelige von kriegerischem Enthusiasmus erfüllt waren. Die meisten drängten sich danach, als Generäle in dieser Armee zu figurieren, die kaum Soldaten hatte. Das spielte so lange keine Rolle, wie es nicht zum Kampf kam. Wer General war, der konnte weiblicher Bewunderung sicher sein. Dafür musste man nicht in die Schlacht ziehen, sondern dafür genügte ein Besuch im Pariser Rathaus, das einer der Orte war, an dem sich die Creme der Frondeure ein Stelldichein gab. Hier hatten Mme. de Longueville und die duchesse de Bouillon zeitweilig mit Kind und Kegel Wohnung genommen und unterhielten einen Salon, in dem sich die Generalität der Fronde-Armee einfand, was Kardinal Retz mit feiner Ironie geschildert hat: «Dieses Durcheinander von blauen Schärpen, Damen, Kürassen und Violinen, die im Saal aufspielten, und Trompeten, die auf dem Platz [i. e. der Place de Grève vor dem Rathaus] geblasen wurden, machten ein Spektakel, das man in Romanen häufiger antrifft als anderswo».[56]

Wie groß die herrschende Euphorie war, zeigte sich auch daran, dass der Parlement am 8. Januar 1649 nicht nur die Aufstellung einer Armee anordnete, ein Beschluss, der nicht von den Kompetenzen seiner Jurisdiktion gedeckt war, sondern in derselben Sitzung auch eine «Kriegserklärung» verkündete, die eine regelrechte «Acht-und-Bann-Erklärung» Mazarins darstellte. Der wurde zum «Feind des Königs und des Staats» erklärt und aufgefordert, sofort den Hof zu verlassen und binnen einer Woche aus Frankreich zu verschwinden, ansonsten er für vogelfrei erklärt werde. Das bedeutete, dass ein jeder ihm ungestraft nach dem Leben trachten konnte.[57]

Die Festlegung auf Mazarin zeigt, dass der Parlement mit der Revolte keineswegs eine Revolution im Schilde führte, die auf einen Umsturz der Herrschergewalt oder gar deren Aneignung abzielte. Das gilt auch für die am Regime de l’extraordinaire geübte Kritik wie die vom Parlement erhobenen sonstigen Forderungen, die dem Verfassungsrahmen der Monarchie entsprachen. Dieser sollte von Auswüchsen befreit werden, die dessen reibungsloses Funktionieren störten. Der Parlement machte sich also anheischig, Missbräuche auch und gerade im Interesse der Krone zu beseitigen. In dem Maße, in dem man damit seitens der Regentschaft und Mazarins auf Widerstand stieß, der für sich riesige Profite aus dem Regime de l’extraordinaire schlug und der dabei noch weit hemmungsloser war als sein Vorgänger und Förderer Richelieu,[58] gewann diese Agitation sowohl an Dynamik wie Breite und nahm damit immer mehr Aspekte des dysfunktionalen Finanzwesens aufs Korn.

Natürlich war diese Kritik keineswegs selbstlos, denn die eigenen Interessen suchte man nach Kräften zu schonen. Außerdem plagte den Parlement der Ehrgeiz, die Politik der Krone mitgestalten zu können. Diese Absicht war es, die der Königin zutiefst zuwider war. Deshalb galt ihr jede Forderung, die auf die Beseitigung von Missständen abzielte, als Angriff auf die Autorität des Königs. Mit anderen Worten: Der Regime de l’extraordinaire musste um jeden Preis verteidigt werden. Daraus erhellt sich, dass den Gegnern der angestrebten Evolution der Monarchie die Person des Königs sakrosankt war, während sie Kritik und wachsenden Hass auf Mazarin konzentrierten. Ein Ventil dafür war die große Fülle von Flugschriften, die Mazarinades.[59] Während die Königin von Schmähungen weitgehend verschont wurde, war Mazarin das Hauptziel des Spotts und der üblen Nachreden dieser Pamphlete: Er war Ausländer, galt folglich als bindungs- und sittenlos, besaß ein riesiges Vermögen, das er durch Korruption und andere illegale Machenschaften zusammengerafft habe. Außerdem war er es, der den König, die Königin und damit die Geschicke Frankreichs bestimmte und kontrollierte. Mazarin war mit einem Wort der Oberschurke, das faulige Glied, das es zu entfernen galt, damit alles wieder gut werde.

Die Blockade, die Condés Truppen gegen Paris verhängten, zeigte schnell Wirkung. Mazarin war indes klug genug, nicht die bedingungslose Kapitulation der rebellischen Hauptstadt erzwingen zu wollen. Zielführend sei hingegen, wenn man versuche, die Opposition von Paris zu spalten, bei der eine Minderheit von Schreihälsen die Gemäßigten übertöne, mit denen eine Verständigung möglich sei. Die auf Vergeltung brennende Königin vermochte Mazarin unter Hinweis auf das Schicksal des Königs von England Charles I, ihres Schwagers und Onkels Louis’ XIV, der gestürzt und zum Tode verurteilt am 30. Januar 1649 hingerichtet worden war, für seine Lösung zu gewinnen. Das gelang ihm umso leichter, als Anne d’Autriche für sich das gleiche Schicksal befürchtete, wenn sie nicht an Mazarin festhielt, wie sie ihrer Vertrauten Mme. de Motteville auseinandersetzte: Entweder wäre sie ohne Mazarin das alleinige Ziel aller Angriffe und Gehässigkeiten oder die Fürsten sähen sich veranlasst, ihr einen neuen Minister zu verschaffen. Da sie sich aber, wie unschwer vorhersehbar, nicht auf einen einigen könnten, würden sie darüber in heftigen Streit geraten, der möglicherweise viel schlimmere Folgen zeitigte als die augenblicklichen Zwistigkeiten. Schließlich habe sie sich entschieden, Mazarin in seiner Funktion nicht nur deshalb zu behalten, weil sie mit seinen Absichten übereinstimme, sondern sie davon überzeugt sei, dass er die königliche Autorität wiederherstellen könne und auch verhindern werde, dass man ihr die Regentschaft nehme.[60]

Die Hinrichtung des englischen Königs, die in Paris am 19. Februar 1649 bekannt wurde, sorgte auch unter den Frondeuren für Ernüchterung und die Einsicht, den Konflikt gütlich beizulegen.[61] Insbesondere die Aussicht, die Söldner Turennes schlössen sich der Fronde an, die nach dem Muster der englischen Ereignisse den Sturz der Monarchie bewirken könnten, war für die monarchisch gesinnten gemäßigten Frondeure des Parlement eine Schreckensvorstellung, die es zu bannen galt. Ende Februar verständigten sich Regentschaft und Frondeure darauf, in Rueil über eine Beilegung der Differenzen zu verhandeln.

Von Maximalforderungen nahmen beide Seiten rasch Abstand, denn tagtäglich wurde der Parlement von einer aufgebrachten Menge umringt, die Vergeltung für die Verluste forderte, für die Mazarin verantwortlich gemacht wurde. Der wiederum sah mit Bangen, kaum dass er durch massive Bestechung die Gefahr der Soldateska Turennes gebannt hatte, einen anderen Alpdruck Gestalt annehmen: Noch vor Frühlingsbeginn raffte sich der Gouverneur der Spanischen Niederlande Erzherzog Leopold auf, verließ am 6. März Brüssel und marschierte mit seinen Truppen zügig zur französischen Grenze. Einige Tage später wurden die spanischen Truppen unweit von Soissons gesehen. Französischen Einheiten gelang es jetzt, sie abzufangen und am 22. März zum Rückzug zu zwingen. Da mit einem derartigen Ausgang aber nicht zu rechnen gewesen war, hatte Mazarin schon am 11. März mit dem Parlement eine Verständigung erzielt, mit der man sich auf den Status quo ante festlegte.[62]

Die Königin hatte nach allen Zumutungen, die in ihr ausschweifende Rachegelüste geweckt hatten, nur einen Pyrrhussieg errungen. Mazarin verbitterte an diesem Ausgang, dass der Parlement ungeschoren davonkam. Was ihn noch mehr verstimmen musste, war die Unverfrorenheit des Adels, der für sich eine Prämie einforderte, weil er den Parlement nicht unterstützt habe. Als dessen Vertreter am 18. März in Saint-Germain-en-Laye erschienen, «verlangten sie», wie Mme. de Motteville schrieb, «ganz Frankreich».[63] Die Zugeständnisse, die von Mazarin gemacht wurden, stellten zwar manche zufrieden, während andere, die sich zu kurz gekommen wähnten, sich in Hass auf die Regentschaft ergingen.[64] Zunächst aber spielten alle mit bei der Komödie der Versöhnung, die gegeben wurde, als der König am 18. August 1649 nach achtmonatiger Abwesenheit feierlich in Paris einzog. Die Heringshändlerinnen des Marché-Neuf, deren Idol der duc de Beaufort gewesen war, begrüßten Louis XIV jetzt mit Freudentränen, und selbst der vielen verhasste Mazarin sah sich mit Beifall empfangen. Der Koadjutor in der Erzdiözese von Paris, Jean-François Paul de Gondi, der spätere Kardinal de Retz, der einer der eifrigsten Frondeure gewesen war, heuchelte nun als Chef des Pariser Klerus ebenso freudige Unterwerfung wie die Mitglieder des Parlement, die Vertreter des Stadtrats oder die Repräsentanten der Kaufmannszünfte.[65] Gesellschaftlicher Höhepunkt dieses falschen Freudentaumels war der große Ball, der am 5. September 1649 aus Anlass des elften Geburtstags von Louis XIV im Pariser Rathaus gegeben wurde.

Auch wenn das Ende des Konflikts die Königin kaum zufriedenstellen konnte, so war der Parlement eindeutig dessen Verlierer. Auch den Pariser Peuple, der den Parlement tatkräftig unterstützt hatte, plagte nach diesem Rausch ein Kater, der ihm die Einsicht verschaffte, aus dem Einsatz für die Belange der Großen für sich nichts gewonnen zu haben. Mazarin schließlich, der fürchten musste, von der Königin um eines schnellen Friedens willen geopfert zu werden, hatte diese Gefahr nicht nur überlebt, sondern war aus ihr gestärkt hervorgegangen. Den Beweis dafür lieferte der Artikel 11 der mit dem Parlement geschlossenen Übereinkunft, der es ihm gestattete, sich die für Staatsausgaben in diesem und im kommenden Jahr notwendigen Mittel zu einem Zinssatz von 8,33 Prozent auf dem Finanzmarkt zu besorgen. Das war ein eindeutiger Sieg über die Einsprüche des Parlement, der diese Finanzierung auf Pump der Regentschaft seit dem Sommer 1648 untersagt hatte. Das galt nun nicht mehr, und Mazarin hatte damit wieder die Chance, die Exekutive zu ölen und für seine Ziele einzusetzen.

Als die Episode des Machtkampfs der Krone mit dem Parlement endete, wurde Louis XIV elf Jahre alt. Das wirft die Frage auf, inwieweit er diese Auseinandersetzung bewusst miterlebte und ob er eine Vorstellung davon hatte, welche Interessengegensätze diesen Konflikt kennzeichneten. Vermutlich hatte er davon keine detaillierte Kenntnis, denn die diversen Streitanlässe waren der jugendlichen Erlebniswelt zu abstrakt oder schlicht unverständlich. Was ihn sicherlich aber nachdrücklich verstörte, war die unangekündigte Unterbrechung der Routine, die sein Leben kennzeichnete. So, wenn Offiziere der Pariser Miliz im Schlafzimmer der Mutter erschienen und sie mit ihrer linkischen Devotion bedrängten oder wenn er mitten in der Nacht aus dem Schlaf gerissen und in aller Heimlichkeit nach Saint-Germain-en-Laye geschafft wurde, wo ihn entgegen aller Gewohnheit eiskalte Räumlichkeiten in einem unmöblierten Schloss erwarteten. Andererseits ersparten ihm die langen Aufenthalte auf dem Land in Saint-Germain-en-Laye oder in Compiègne das Erlebnis der Auswüchse, die mit der Fronde in Paris einhergingen. Stattdessen wurden ihm Eindrücke und Erlebnisse zuteil, die ihn auf andere Weise für sein Leben prägen sollten. «Der Aufenthalt der Königin in Compiègne diente auch dazu, dass sie sich ein wenig von den Geschäften erholte, die ihre Ruhe gestört hatten. Der Wald und der Flusslauf, die diese kleine Stadt schmücken, verschafften ihr angenehme Stunden und boten dem König und Monsieur [i. e. seinem jüngeren Bruder] viel Unterhaltung, zumal sie, da sie beide noch zu jung waren, um Anteil am Unglück des Staates zu nehmen, an nichts anderes dachten, als das Vergnügen überall dort zu suchen, wo sie es fänden.»[66]

In Compiègne, wo sich der Hof von Anfang Mai 1649 bis zur Rückkehr nach Paris im August aufhielt, frönte Louis XIV häufig der Jagd, die bis ins Alter eine seiner großen Leidenschaften sein sollte. Möglich, dass ihn dieses unbeschwerte Leben nicht wahrnehmen ließ, dass die königliche Hofhaltung wegen der anhaltenden Finanzmisere sich immer mehr einschränken musste, die Tafel meist nur recht frugale Genüsse bot und das Personal an Schwund litt, weil viele Pagen nicht mehr bezahlt werden konnten und deshalb wieder in ihre Elternhäuser zurückgeschickt wurden.[67] Für Ablenkung sorgte schließlich auch die vielbejubelte Rückkehr des Hofs nach Paris, an die sich in rascher Folge weitere Anlässe anschlossen. Am 25. August etwa nahm Louis XIV an einer prunkvollen Kavalkade teil, die Hofleute vom Palais Royal zum Sitz des Ordensprovinzials der Jesuiten in der rue Saint-Antoine unternahmen. Am 7. September 1649 machte er sich gelegentlich der Teilnahme am Conseil d’en haut erstmals mit den Herrscherpflichten des Königs vertraut. Bei dieser Gelegenheit habe Majestät, wie die offiziöse Gazette von Théophraste Renaudot vom 11. September schrieb, «derart scharfsinnig argumentiert», dass allen Ministern und Staatsräten aufging, «welche Wunder von Ihr in einem weiter fortgeschrittenen Alter zu gewärtigen seien».[68]

Diese Mitteilung der Gazette erinnert von ungefähr an die Anekdote aus dem Neuen Testament, die von Jesus unter den Schriftgelehrten im Tempel berichtet, die er mit seinen Kenntnissen verblüfft habe. Seine regelmäßige Teilnahme am Conseil begann aber erst nach der Erklärung von Louis’ XIV Volljährigkeit, die nach seinem dreizehnten Geburtstag am 7. September 1651 mit einem Lit de justice im Parlement von Paris feierlich verkündet wurde. Gleichwohl kann man davon ausgehen, dass schon mit der Vollendung des elften Lebensjahrs die unbeschwerte Kindheit für Louis XIV endgültig der Vergangenheit angehörte und er sich mit wachsendem Selbstbewusstsein in der Rolle eines Herrschers einzurichten begann. Damit verbunden war eine genaue Wahrnehmung jener Kräfte, Strömungen und Entwicklungen, denen der Hof ausgesetzt war. Die Aufgewecktheit Louis’ XIV fand darin reichlich Anschauung, denn Mazarin, dem es gelungen war, die Geltungsansprüche des Parlement auszuschalten, hatte damit nur einen Etappensieg erzielt, der einer denkbar reaktionären und zutiefst egoistischen Empörung Vorschub leistete. Die wurde von einer Adelsmehrheit getragen, die sich bei der Prämienverteilung an einige Standesgenossen zu kurz oder gar nicht zum Zuge gekommen fühlte.

Die Forderungen des Adels gefährdeten Mazarins Stellung ernstlich, sobald sich der «grand Condé» ihnen anschloss. Der 1621 geborene Louis II de Bourbon, duc d’Enghien, prince de Condé, war ein naher Verwandter Louis’ XIV und damals der mit Abstand mächtigste Fürst Frankreichs, der von der öffentlichen Meinung als jugendlicher Sieger in den Schlachten von Rocroi und Lens bewundert wurde. Das verschaffte ihm eine Bedeutung, für die er sich Anerkennung und Kompensation erwartete, die fällig werden mussten, nachdem er dem Regime ein weiteres Mal die Kastanien aus dem Feuer geholt hatte, als er den entscheidenden militärischen Beitrag leistete, die Fronde des Parlement niederzuschlagen. Tatsächlich war auch er es gewesen, der die Königin dazu nötigte, jene Prämien über den regimetreuen Adel auszuschütten, zu denen sich Mazarin bereitfinden musste. Noch schlimmer wog für den Kardinal aber die Demütigung, die auf seine Entmachtung hinauslief, dass er sich nämlich am 2. Oktober 1649 vertraglich verpflichten musste, kein wichtiges Amt am Hof, in der Armee, innerhalb oder außerhalb Frankreichs ohne die vorherige Zustimmung Condés zu besetzen.

Damit war endgültig ein offener Machtkampf zwischen Mazarin und Condé entbrannt. In dem würde der Kardinal einen schweren Stand haben, weil Condé allein schon wegen seiner nahen Verwandtschaft mit dem Königshaus wie aufgrund seines großen Ansehens den bislang exklusiven Einfluss, den Mazarin auf die Regentin hatte, schmälern würde. Damit war umso mehr zu rechnen, als Condé es aus Stolz auf seine Herkunft wie auch seines Ansehens wegen nicht dulden konnte, als Helfer oder Lakai des Ersten Ministers zu gelten. Wenn er jemandem diente, dann nur der Monarchie, nicht aber deren Leitendem Angestellten! Dieser Anspruch Condés entsprach der Wahrnehmung durch die Zeitgenossen, für die er wegen der Blutsverwandtschaft mit dem Königshaus einen legitimen Anspruch erheben konnte, die politischen Entscheidungen der Regentschaft zu beeinflussen. Mazarin hingegen war ein von der Regentin ernannter Minister, der aus dem Ausland stammte und weder Stand noch Rang vorzuweisen vermochte.[69] Auch war es keineswegs Condés Absicht, die Königin zu entmachten und sich die Regentschaft zuzusprechen. Vielmehr ging es ihm darum, entscheidenden Einfluss auf die Formulierung der Ziele zu nehmen, die von der Krone verfolgt wurden. Außer Frage stand dabei aber auch, dass die getroffenen Entscheidungen in Übereinstimmung mit den eigenen Interessen wie denen seiner Klientel stehen sollten.

Eben dieser Anspruch kennzeichnete Wesen und Wollen der zweiten Fronde, mit der unter der Führung Condés der Adel Herrschaftsansprüche durchzusetzen suchte, die ihm von der Krone und namentlich deren Prokuristen Richelieu und Mazarin immer mehr beschnitten worden waren und die das Ziel eines schnörkellosen monarchischen Machtstaats verfolgten, der keine traditionellen Geltungsansprüche duldete. Condés Gegenentwurf dazu war für Mazarin eine Herausforderung. Deshalb ließ er am 18. Januar 1650 Condé, dessen Bruder Conti und den Schwager Longueville, die zu einer Besprechung mit der Regentin im Palais Royal erschienen, kurzerhand verhaften und in den Kerker von Vincennes werfen.[70] Mit einem entsprechenden Gewaltstreich, mit dem Ende August 1648 mehrere renitente Räte des Parlement festgesetzt wurden, hatte man die erste Fronde entfacht. Auch erwies sich die durch nichts zu rechtfertigende Festnahme der drei Fürsten – der Vorwurf, der gegen sie erhoben wurde, lautete auf Verschwörung gegen den Staat – erneut als ein schwerer taktischer Fehler: Die willkürliche Verhaftung gab das Signal zum Ausbruch eines regelrechten Bürgerkriegs, der überall im Lande aufflammte, denn die drei Hochadeligen geboten über einen wesentlich größeren Einfluss als der Parlement