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Zwei bisher unveröffentlichte Schriftstücke des großen Philosophen geben Anlaß, Wittgensteins Spannungsverhältnis zur Religion und zu kulturellen Werten der menschlichen Zivilisation nachzuspüren. Bei den beiden Texten handelt es sich zum einen um eine tagebuchartige Aufzeichnung eines nächtlichen (Traum-) Erlebnisses aus dem Jahre 1922, zum anderen um das Fragment eines Briefes, den er vermutlich im Jahre 1925 an seine Schwester Hermine schrieb. Wittgensteins Verhältnis zum Glauben war zwiespältig: Einerseits verband er mit ihm etwas Dunkles - nicht nur Geheimnisvolles, sondern Angsteinflößendes -, das sich in einem Gefühl des völligen Ausgeliefertseins an eine göttliche Macht zeigt, an einen strengen, obersten Richter, wie er im Alten Testament vorkommt, und der von ihm das Äußerste verlangen kann. Andererseits bedeutete der Glaube für Wittgenstein etwas Positives, Lichtvolles, eigentlich "das Licht" bzw. das Symbol für reine Geistigkeit, Wahrheit, Transparenz - wonach er auch in seinem Philosophieren strebte: Wie ihm der Glaube im persönlichen Leben "Erlösung" von inneren Nöten zu versprechen scheint, so wird er bei dem Bemühen um Lösung philosophischer Probleme mit "Erleuchtung" verbunden.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Ludwig Wittgenstein / Licht und Schatten
Herausgegeben im Auftrag desForschungsinstituts Brenner-Archiv
Vorwort
Text 1: „Nächtliches (Traum-)Erlebnis“
Faksimile
Diplomatische Fassung
Normalisierte Fassung
Erläuterungen
Text 2: „Der Mensch in der roten Glasglocke“
Faksimile
Diplomatische Fassung
Normalisierte Fassung
Erläuterungen
Ilse Somavilla:Licht und Schatten: Gedanken zu Wittgensteins Texten
Literaturverzeichnis
Editorische Notiz
Dank
Wittgensteins Verhältnis zum Glauben war zwiespältig: einerseits verband er mit ihm etwas Dunkles – nicht nur Geheimnisvolles, sondern Angsteinflößendes –, das sich in einem Gefühl des völligen Ausgeliefertseins an eine göttliche Macht zeigt, an einen strengen, obersten Richter, wie er im Alten Testament vorkommt, und der von ihm das Äußerste verlangen kann. Andererseits bedeutete der Glaube für Wittgenstein etwas Positives, Lichtvolles, eigentlich „das Licht“ bzw. das Symbol für reine Geistigkeit und Wahrheit.
Die Diskrepanz in Wittgensteins Verhältnis zu Gott und zur Religion läßt sich nicht nur inhaltlich in dieser Spannung zwischen Furcht und Hoffnung beobachten, sondern auch in seiner Art des Schreibens, also auf sprachlicher Ebene: hier wechselt nüchtern geführter, distanzierter Diskurs mit sehr persönlichen Eintragungen, die in ihrer Leidenschaftlichkeit einen inneren Zustand offenlegen, der sich zuweilen an der Grenze zum Wahnsinn zu bewegen scheint.
Beginnend von den frühen Tagebüchern bis hin zu den späten Notizen in den Vierzigerjahren kehrt Wittgenstein immer wieder zu Glaubensfragen zurück, ob im persönlichen Leben oder im Zusammenhang mit seinen philosophischen Auseinandersetzungen.
Anhand von zwei bisher unveröffentlichten Schriftstücken soll im folgenden den Spuren von Wittgensteins religiösem Spannungsverhältnis nachgegangen werden, sowie seinem ambivalenten Verhältnis gegenüber Kultur und Wissenschaft.
Es handelt sich zum einen um eine tagebuchartige Aufzeichnung eines nächtlichen (Traum-) Erlebnisses aus dem Jahre 19221, zum anderen um das Fragment eines Briefes, vermutlich im Jahre 1925 an seine Schwester Hermine geschrieben.2
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1 Im Nachlaß Rudolf Koder wurde ein loses, vermutlich aus einem Tagebuch herausgerissenes, Blatt gefunden, auf dem Wittgenstein – neben Notizen für seinen Schulunterricht – das Erlebnis eines Traumes mit seinen nachfolgenden Ängsten festgehalten hat.
2 Dieser Text befand sich im Nachlaß von Ludwig Hänsel und wurde an seine Tochter Maria Dal-Bianco weitergegeben. Frau Maria Monica Dal-Bianco OSB vermachte das Schriftstück ihrem Sohn Peter Dal-Bianco. (Siehe: Editorische Notiz, S. 76/77).