Wittgenstein - Engelmann - Ludwig Wittgenstein - E-Book

Wittgenstein - Engelmann E-Book

Ludwig Wittgenstein

4,8

Beschreibung

Der vorliegende Band enthält die Korrespondenz zwischen dem Architekten, Kulturphilosophen und Literaten Paul Engelmann (1891-1965) und Ludwig Wittgenstein (1889-1951), die sich - mit einer längeren Unterbrechung in späteren Jahren - von 1916 bis 1937 erstreckte: eine sich gegenseitig befruchtende Freundschaft, die sich in mannigfachen Gedanken über Literatur, Kunst, Religion und Philosophie widerspiegelt. Neben dem Briefwechsel werden auch Auszüge aus Engelmanns Erinnerungen an Ludwig Wittgenstein wiedergegeben. Das in Zusammenhang mit Wittgensteins Philosophieren so oft zitierte "Unaussprechliche" - das sowohl der Kunst wie der Religion zuzuordnen ist - scheint eines der zentralen Gesprächsthemen der Freunde gewesen zu sein. Paul Engelmann hatte nicht nur die Gabe, Dinge zu formulieren, bei denen es Wittgenstein schwerer fiel, die richtigen Worte zu finden, er besaß auch die Fähigkeit, die Dinge aus der richtigen Perspektive zu betrachten und somit im Alltäglichen das Besondere zu erblicken, das Leben an sich als Kunstwerk zu sehen: mit den Augen des Dichters, des Philosophen und des Architekten. Die hier publizierten Briefe und Erinnerungen fügen dem Bild Ludwig Wittgensteins weitere bedeutende Facetten hinzu und machen gleichzeitig aufmerksam auf Leben und Werk einer vielseitig begabten, hoch intellektuellen Persönlichkeit des vergangenen Jahrhunderts. Herausgegeben von Ilse Somavilla, unter Mitarbeit von Brian McGuinness.

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Ilse Somavilla (Hrsg.)

Wittgenstein – EngelmannBriefe, Begegnungen, Erinnerungen

unter Mitarbeit von Brian McGuinness

© 2006

HAYMON verlag

Innsbruck-Wien

www.haymonverlag.at

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, Mikrofilm oder in einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

ISBN 978-3-7099-7745-3

Umschlag: Benno Peter

Satz: Karin Berner / Haymon Verlag

Cover von Pierre Stonborough, Wien

Dieses Buch erhalten Sie auch in gedruckter Form mit hochwertiger

Ausstattung in Ihrer Buchhandlung oder direkt unter www.haymonverlag.at.

Inhalt

Vorwort

Vorwort von Josef Schächter

Einleitung von Paul Engelmann

LUDWIG WITTGENSTEIN – PAUL ENGELMANN BRIEFWECHSEL

PAUL ENGELMANN: ERINNERUNGEN AN LUDWIG WITTGENSTEIN

Wittgenstein in Olmütz

Religiöses

Literatur, Musik, Film

Bemerkungen zum Tractatus

Die Familie Ludwig Wittgenstein

Kraus, Loos, Wittgenstein

Der wortlose Glaube

VERSTREUTE NOTIZEN AUS DEM NACHLASS PAUL ENGELMANNS

Allgemeines zur Beziehung Engelmann – Wittgenstein

Gedanken über Religion und Kunst

Ästhetik

Notizen zur »Anständigkeit« bzw. zur »praktischen Ethik«

Persönliches

Notizen über Philosophisches

Literatur

Abschließende Bemerkungen

KOMMENTAR

Erläuterungen zu den Briefen

Brian McGuinness: Nachwort

Ilse Somavilla: Paul Engelmann und Ludwig Wittgenstein: Leiden am Dasein und leidenschaftliche Suche

ANHANG

Editorische Notiz

Dank

Literaturverzeichnis

Vorwort

Der vorliegende Band enthält die Korrespondenz zwischen Paul Engelmann und Ludwig Wittgenstein, die sich – mit einer längeren Unterbrechung in späteren Jahren – von 1916 bis 1937 erstreckte. Er stellt gegenüber der 1967 erfolgten Erstausgabe von Brian McGuinness1 insofern eine entscheidende Erweiterung dar, als mittlerweile auch Briefe Engelmanns an Wittgenstein aufgefunden wurden und hier erstmals im Zusammenhang veröffentlicht werden.

Zudem wird die Korrespondenz der beiden Freunde durch Briefe Ernestine Engelmanns, der Mutter von Paul, sowie Briefe von Max Zweig und Heinrich Groag ergänzt.

Neben dem Briefwechsel werden auch Engelmanns Erinnerungen an Ludwig Wittgenstein, wie sie bereits in der ersten Ausgabe vorliegen, herausgegeben. Shimshon Stein und Josef Schächter hatten sich der mühevollen Aufgabe unterzogen, aus den umfangreichen, schier unüberschaubaren Notizen ein kleines, in Kapitel unterteiltes Kompendium zusammenzustellen, das ein flüssiges Lesen ermöglicht. Abgesehen von einzelnen Korrekturen und Ergänzungen werden diese »Erinnerungen« hier unverändert wiedergegeben.2

Nach Durchsicht weiterer Notizen im Nachlaß von Paul Engelmann wurden für diesen Band noch zusätzlich einzelne Passagen herausgegriffen, die hier in einem eigenen Kapitel – den »Verstreuten Notizen« – veröffentlicht werden. Aufgrund des äußerst fragmentarischen Charakters von Engelmanns Aufzeichnungen war es nicht möglich, all seine Erinnerungen betreffend seine Begegnung mit Ludwig Wittgenstein vorzustellen. Wie Engelmann selbst betonte, ging es ihm nicht um eine wortgetreue Wiedergabe seiner Gespräche mit Ludwig Wittgenstein, sondern vor allem um deren »Nachwirkung« in seinem Inneren, um das »Ergebnis«, das die Gespräche in ihm hinterließen, und die Entwicklung seiner davon angeregten Gedankengänge:

Ich gebe von meinen äußeren Erinnerungen, d.h. von Erinnerungen an bestimmte Geschehnisse, usw. nur soviel wieder, als es mir, und sei es noch so geringfügig – etwas Wesentliches über L.W. zu sagen scheint: dagegen gebe ich in möglichster Ausführlichkeit alles wieder, was sich in mir als Nachwirkung meines persönlichen Kontaktes mit ihm angesammelt hat. Ich halte diese Kommentare zu seinen Gedanken darum für so mitteilenswert, weil sie durchwegs aus Dingen bestehen, deren Verständnis mir ohne den persönlichen Kontakt ebenso verschlossen geblieben wäre wie andern. (Nachlaß Paul Engelmann, im Besitz von E. Benyoëtz)

Es wäre jedoch verfehlt anzunehmen, daß die sich aus den Gesprächen mit Wittgenstein ergebenden Gedanken Engelmanns über Literatur, Kunst, Religion und Philosophie nur auf den großen Einfluß des Freundes zurückgeführt werden können. Wie auch aus dem Briefwechsel der beiden hervorgeht, kann man von einer gegenseitig befruchtenden Freundschaft sprechen, und es war Engelmann, der Wittgenstein in vieler Hinsicht anzuregen verstand und ihm durch seine überlegene Fähigkeit, Gedankengänge zu artikulieren, »Geburtshelfer«3 war, wenn es darum ging, die Dinge zur Sprache zu bringen.

In einem unveröffentlichten Fragment zu einer Art autobiographischem Roman Paul Engelmanns sind die Hauptfiguren – »Janowitz« und »Weinberger« – in vieler Hinsicht mit Engelmann und Wittgenstein zu vergleichen. Auch dort weist Janowitz/Engelmann auf die mit Weinberger/Wittgenstein geführten Gespräche und auf die Schwierigkeit hin, diese schriftlich festzuhalten. Wie in der Wirklichkeit geht es ihm um die »Resultate«, die »Nachwirkung« der Gespräche, da diese in Dialogform aufzuzeichnen ihm zu mühevoll erscheint:

Es ist mir viel zu mühevoll, diese Gespräche, die Janowitz mit Weinberger führte, in Dialogform aufzuschreiben; meine Zeit und meine Arbeitskraft ist begrenzt, und ich möchte die mir zur Verfügung stehende maximal zum Vorteil des Lesers verwenden, damit er durch die Lektüre dieses Buches möglichst viel profitiert. Daher gebe ich im folgenden die Resultate dieser Dialoge, wie ich sie von Janowitz habe, nicht diese selbst.

Was davon Weinbergers Anteil ist und was der von Janowitz, ist nachträglich nicht festzustellen. Es wird wohl nicht ganz so sein wie in Eckermanns Gesprächen mit Goethe, wo alles von diesem stammt; aber gewiß war der Anteil Weinbergers bei weitem überwiegend, er ist hier der Lehrer und Janowitz der Schüler, der zum Schluß die reifere Einsicht des Lehrers in sich aufnimmt und seine Irrtümer dadurch berichtigt.

Sollte Weinberger einmal diese Blätter zu Gesicht bekommen, so würde er gewiß dagegen protestieren, vieles von dem hier Verzeichneten gesagt, und es gerade so gesagt zu haben. Teilweise wohl, weil er heute, nach Jahren, wohl kaum mehr ein in allem Einsatz verläßlicher Zeuge seiner damaligen Reden sein wird; aber auch, weil manches doch aus Janowitzs eigenem Kopf stammen wird und daher nicht Weinberger <zugeschrieben> werden kann. Diese Aufzeichnungen sind also in keiner Weise als eine Quelle für einen Weinberger-Biographen zu benützen, so interessant sie einem solchen vielleicht doch sein werden. Sie sind vielmehr bloß Zeugnisse für das, was sich unter Weinbergers überragendem geistigen Einfluß, oft wohl gar nicht dessen Intention entsprechend, bei ihm gebildet hat und was dann für sein weiteres Leben <auch> bestimmend geblieben ist. (aus: IV Viertes Buch, Sogenannte »Aliyah«. In der Jewish National and University Library, Dossier 220)

Seit den von Engelmann geäußerten Bemerkungen hat sich in der Wittgenstein-Forschung gezeigt, daß sowohl der Briefwechsel wie auch Engelmanns Erinnerungsnotizen durchaus ihren Platz unter biographischen sowie zeit- und kulturgeschichtlichen Quellen beanspruchen können.

Darüber hinaus hat sich die Rezeption der Philosophie Wittgensteins in eine Richtung bewegt, die – im Gegensatz zu der in früheren Jahren vorwiegend sprachanalytischen Annäherung – nun zunehmend auch jene Aspekte betont, deren Bedeutung Engelmann als einer der Ersten hervorhob: Ethik, Ästhetik und Religion.

Engelmann scheint somit einer von Wenigen gewesen zu sein, die zur Zeit der Entstehung des Tractatus den tieferen Sinn des Werkes verstanden haben, so wie Wittgenstein es sich von seinen Lesern wünschte. Zudem hat Engelmann auch auf Wittgensteins Wiener Hintergrund und den Einfluß von Heinrich Hertz hingewiesen.4

Die Freundschaft zwischen Engelmann und Wittgenstein erfuhr in früheren Jahren – von 1916 bis ca. 1927 – ihre tiefste Ausprägung.

Erst in den Jahren 1942–1964 ging Engelmann daran, seine Erinnerungen an die Gespräche mit Wittgenstein aufzuzeichnen – dies in mannigfacher Form und folglich zahlreichen Versionen, wie es eben Engelmanns Art zu schreiben war.

Wittgenstein wiederum kam in seinen thematisch breitgefächerten Bemerkungen – in der Zwischenzeit als Vermischte Bemerkungen publiziert – hin und wieder auf Engelmann zu sprechen.

Am 22.8.1930 notierte er im MS 109:

Engelmann sagte mir, wenn er zu Hause in seiner Lade voll von seinen Manuskripten krame so kämen sie ihm so wunderschön vor daß er denke sie wären es wert den anderen Menschen gegeben zu werden. (Das sei auch der Fall wenn er Briefe seiner verstorbenen Verwandten durchsehe) Wenn er sich aber eine Auswahl davon herausgegeben denkt so verliere die Sache jeden Reiz & Wert & werde unmöglich [...]

So wenn E. seine Schriften ansieht & sie herrlich/wunderbar findet (die er doch einzeln nicht veröffentlichen möchte) so sieht er sein Leben, als ein Kunstwerk Gottes, & als das ist es allerdings betrachtenswert, jedes Leben & Alles. Doch kann nur der Künstler das Einzelne so darstellen daß es uns als Kunstwerk erscheint; jene Manuskripte verlieren mit Recht ihren Wert wenn man sie einzeln & überhaupt wenn man sie unvoreingenommen, das heißt ohne schon vorher begeistert zu sein, betrachtet. Das Kunstwerk zwingt uns – sozusagen – zu der richtigen Perspective, ohne die Kunst aber ist der Gegenstand ein Stück Natur wie jedes andre & daß wir es durch die Begeisterung erheben können das berechtigt niemand es uns vorzusetzen. […]

Nun scheint mir aber, gibt es außer der Arbeit/Tätigkeit/Funktion des Künstlers noch eine andere, die Welt sub specie äterni einzufangen. Es ist – glaube ich – der Weg des Gedankens der gleichsam über die Welt hinfliegt & sie so läßt wie sie ist, – sie von oben im/vom Fluge betrachtend.[sie vom Fluge betrachtend] [sie von oben vom Fluge betrachtend].

Würde man im Sinne Engelmanns die Gesamtheit seiner Manuskripte veröffentlichen, so hieße dies, ein gewaltiges Werk vorzustellen. Im Rahmen dieser Ausgabe, die sich auf die Freundschaft Engelmanns mit Wittgenstein beschränkt, wäre eine Präsentation aller Manuskripte Engelmanns nicht angebracht. Selbst unter seinen Erinnerungsnotizen über Wittgenstein konnte aufgrund der Unvollständigkeit sowie auch Wiederholung von Textstellen in mehreren Versionen nur eine Auswahl getroffen werden. Diese aber soll es dem Leser ermöglichen, »aus der richtigen Perspektive« einen Einblick in die Persönlichkeit Paul Engelmanns – als Mensch wie auch als Denker – zu gewinnen. Darüber hinaus sollen die hier vorgestellten Texte zeigen, inwieweit die Freundschaft mit Wittgenstein auf gegenseitiger geistiger Befruchtung beruhte und der Gedankenaustausch sich auf den Gebieten der Kunst und der Religion auswirkte.

Das in Zusammenhang mit Wittgensteins Philosophieren so oft zitierte »Unaussprechliche« – das sowohl der Kunst wie auch der Religion zuzuordnen ist – scheint eines der zentralen Gesprächsthemen der Freunde gewesen zu sein. Wie der Briefwechsel zeigt, war es Engelmann, der Wittgenstein – am Beispiel eines Gedichtes von Ludwig Uhland – auf die Möglichkeit hinwies, dieses »Unaussprechliche« in der Literatur auszudrücken – auf »unaussprechliche Weise auszusprechen.«

Engelmann hatte nicht nur die Gabe, Dinge zu formulieren, bei denen es Wittgenstein schwerer fiel, die richtigen Worte zu finden; er besaß auch die Fähigkeit, die Dinge aus der richtigen Perspektive zu betrachten und somit im Alltäglichen das Besondere zu erblicken – das Leben an sich als Kunstwerk zu sehen: mit den Augen des Dichters, des Philosophen und des Architekten.

Innsbruck, September 2005Ilse Somavilla

Anmerkungen:

1 Diese erschien zuerst in einer englischen Übersetzung von L. Furtmüller, hrsg. von Brian McGuinness: Paul Engelmann. Letters from Ludwig Wittgenstein. With a Memoir. Oxford: Basil Blackwell, 1967. Die deutsche Ausgabe erschien 1970: Paul Engelmann. Ludwig Wittgenstein. Briefe und Begegnungen. Hrsg. von Brian McGuinness. Wien und München: R. Oldenbourg.

2 Siehe dazu auch die Editorische Notiz.

3 Vgl. Erinnerungen, S. 108: »Wenn ich einen Satz nicht herausbringe, kommt der Engelmann mit der Zange (Geburtszange) und reißt ihn mir heraus!« Vgl. auch den Brief bzw. das Fragment eines Briefes von Paul Engelmann an Elizabeth Anscombe, datiert mit 8.XII.1959. (EB)

4 Vgl. dazu auch Allan Janik: Wittgensteins Wien. München, Wien: Hanser, 1984 und »Die Rolle Engelmanns in Wittgensteins philosophischer Entwicklung«, in: Paul Engelmann. Architektur. Judentum. Wiener Moderne. Hrsg. von Ursula Schneider. Wien und Bozen: Folio Verlag, 1999. S. 39–55.

Vorwort

von Josef Schächter

Paul Engelmann ist im Juni 1891 in Olmütz geboren. Über seine Geburtsstadt und über den geistigen Kreis in dieser Stadt schreibt er in diesem Buche.

Paul Engelmann ist im Februar 1965 in Tel Aviv, Israel, gestorben. In dieser Stadt war er seit 1934 als Innenarchitekt tätig, schrieb Bücher und Aufsätze und nahm an vielen philosophischen und literarischen Gesprächen teil. Das vorliegende Buch schrieb er in den letzten Monaten seines Lebens, und es ist insofern fragmentarisch, als er noch über seine Zusammenkünfte mit Ludwig Wittgenstein, insbesondere in der Zeit, als sie das Haus für Wittgensteins Schwester zusammen bauten, berichten wollte und nicht mehr in der Lage war, es zu tun.

Außer Olmütz und Tel Aviv spielte noch eine Stadt eine bedeutende Rolle in seinem Leben: Wien, wo er bei Adolf Loos Architektur studierte und mit Karl Kraus und Ludwig Wittgenstein sehr viel zusammen war.

Engelmanns Arbeit als Architekt zeichnete sich durch besondere Schönheit und Schlichtheit der Formen aus. Er zog jedoch aus dem Ruf, den er als Architekt hatte, keinen materiellen Nutzen. Mit Absicht begrenzte er diese Tätigkeit auf das notwendige Minimum, um über freie Zeit für seine geistige Tätigkeit zu verfügen. Unter anderen bisher noch nicht veröffentlichten Schriften verfaßte er ein Werk über Psychologie in graphischer Darstellung. Er gab eine Schriftenreihe über philosophische und künstlerische Probleme und über Persönlichkeiten wie Adolf Loos und Karl Kraus heraus.

Engelmann war darum bemüht, seine menschliche Umgebung zu beeinflussen. Er beabsichtigte nicht bloß, das Innere der Wohnung zu ändern, er wollte vielmehr auch den Städtebau, die Wirtschaft und das gesamte geistige Leben reformieren. Sein Einfluß blieb aber beschränkt. Auf ihn paßt dasjenige, was Karl Kraus im folgenden Gedicht über den Läufer sagt, der vom Ursprung kommt:

Zwei Läufer

Zwei Läufer laufen zeitenlang,

der eine dreist, der andere bang:

Der von Nirgendher sein Ziel erwirbt;

der vom Ursprung kommt und am Wege stirbt.

Der von Nirgendher das Ziel erwarb,

macht Platz dem, der am Wege starb.

Und dieser, den es ewig bangt,

ist stets am Ursprung angelangt.

Engelmann war Mystiker im Sinne Wittgensteins. Für ihn lag der Sinn der Welt und der Sinn des Lebens außerhalb der physikalischen und psychologischen Welt. Seine kulturphilosophischen und psychologischen Arbeiten aber wie auch seine Wirtschafts- und Städtebaupläne haben rationalen Charakter, denn das Mystische kann sich nur zeigen und kann nicht ausdrücklich gesagt werden.

Engelmann schrieb in seiner Jugend und auch später Gedichte. Von einem dieser Gedichte ist in einem der in diesem Buche wiedergegebenen Briefe Ludwig Wittgensteins (Brief Nr. 15) die Rede. Er hat auch eine Anthologie deutscher Dichtung aus vier Jahrhunderten zurückgelassen. Hoffentlich gelingt es, seine Schriften zu veröffentlichen.

Haifa, im Mai 1965Josef Schächter

Einleitung

von Paul Engelmann

Es hat mir in den Jahren, seit Wittgenstein berühmt geworden ist, nicht an Aufforderungen und Vorschlägen gefehlt, diese Briefe doch endlich zu veröffentlichen. Einer der Gründe, die mich davon abgehalten haben, es zu tun, war der, daß der Mensch, an den die Briefe gerichtet waren, zwar mit mir identisch ist, daß aber die Redewendung, »jemand sei seither ein anderer Mensch geworden«, trotzdem auf mich paßt. Und zwar nicht bloß wegen der an sich schon großen und in diesem Fall besonders großen seelischen Differenz zwischen Jugend und Alter, sondern gerade die Dinge, welche Wittgenstein damals veranlaßt haben, mit mir, und gerade so, wie er es getan hat, zu verkehren und zu korrespondieren, haben sich bei mir inzwischen gründlich geändert, wenn auch natürlich manches gleichgeblieben ist.

Daher wird man verstehen, daß sein damaliges, in mancher Beziehung zweifellos zu günstiges Urteil über meine Person, meinen Charakter und meine Fähigkeiten, mir heute in mancher Hinsicht peinlich ist; und besonders der Gedanke, daß Leser, die mich nicht persönlich kennen, es automatisch auf den noch lebenden Empfänger der Briefe, wie er heute ist, übertragen könnten. All diese Gründe bestehen für mich weiter, aber die äußere Situation hat sich eben in den letzten Jahren gründlich geändert.

Der Nachruhm ist ja das Satyrspiel zur Tragödie eines genialen Lebens. Und angesichts der Art, wie er sich äußert, habe ich schließlich, 1958, einen längeren Brief an Miß Elizabeth Anscombe geschrieben, deren Name mir nicht nur als der der Herausgeberin der Investigations, nach seinem Tode, bekannt war, sondern auch als der einer Schülerin, die ihm in den letzten Jahren seines Lebens nahegestanden hat. Ich schrieb unter anderem, daß ich keine besondere Lust habe, meine Erinnerungen an ihn niederzuschreiben und zu veröffentlichen; er hätte sich gewiß darüber geärgert, daß hier manches über sein geistiges Privatleben, das er einem nahen Bekannten so und nicht anders mitgeteilt hat, einer literarischen und philosophisch interessierten Öffentlichkeit mitgeteilt würde, die er, wie ich weiß, im ganzen mit Recht, niedrig eingeschätzt hat. Das war auch ein Grund, warum ich, außer meinen genannten Gründen, gegen eine Veröffentlichung, auch anderseits keine stärkere Verpflichtung dazu empfunden habe – während ich doch meine, daß dadurch vielleicht erwünschte und wichtige Korrekturen seiner Anschauung zu erreichen wären. Ich fragte sie um ihren Rat, was ich tun solle, und sie antwortete unter anderem:

If by pressing a button it could have been secured that people would not concern themselves with his personal life, I should have pressed the button; but since that has not been possible and it is certain that much that is foolish will keep on being said, it seems to me reasonable that anyone who can write a truthful account of him should do so. On the other hand to write a satisfactory account would seem to need extraordinary talent. – Further, I must confess that I feel deeply suspicious of anyone’s claim to have understood Wittgenstein. That is perhaps because, although I had a very strong and deep affection for him, and, I suppose, knew him well, I am very sure that I did not understand him. It is difficult, I think, not to give a version of his attitudes, for example, which one can enter into oneself, and then the account is really of oneself: is for example infected with one’s own mediocrity or ordinariness or lack of complexity…

Diese für mich im ganzen ermutigende Antwort war einer der Gründe, die mich schließlich veranlaßt haben, das Buch, und zwar in der Form, in der es hier vorliegt, zusammenzustellen. Die Erwartung, die Miß Anscombe hier ausspricht, daß ich imstande sein werde, ein objektives Bild von Wittgensteins Persönlichkeit zu geben, habe ich aber leider nicht erfüllen können; und wenn sie mir trotzdem in freundlicher Weise das Copyright für eine Veröffentlichung der Briefe in dieser Zusammenstellung, das sie und ihre Miterben zu vergeben haben, zusichert, so bin ich diesen für ihre Freundlichkeit zu aufrichtigem Dank verpflichtet. Ich weiß aber, daß ein objektives Bild der Persönlichkeit zu geben, ganz außer den Grenzen meiner schriftstellerischen Fähigkeiten liegt. Sein Bild, das zu geben allein meiner Fähigkeit entspricht, ist durchaus subjektiv, so wie das Bild, das ein guter Porträtist von einem bedeutenden Mann geben kann. Gewiß: was hier vorliegt, ist (auch ohne jede falsche Bescheidenheit von meiner Seite gesehen) zu bezeichnen als ein »account really of myself; infected with my own mediocrity, or ordinariness or lack of complexity« – und gewiß durch alle drei.

Seitdem ich diesen Brief erhalten habe, ist ja der so getreue Bericht über Wittgensteins Leben von Norman Malcolm und Georg Henrik von Wright1 erschienen; er beweist, daß es durchaus möglich ist, ein objektives und trotzdem lebendiges Bild eines so komplizierten Menschen, wie Wittgenstein es war, zu geben, und daß so etwas eben nur nicht meine Sache ist; aber in diesem Bericht fehlt gerade, als einzige, die Epoche, der die folgenden Briefe entstammen: die Epoche der Fertigstellung und des Erscheinens des Tractatus, von der hier die Rede ist. Ob noch etwas, auch außer dieser Tatsache, das, was ich zu geben habe, rechtfertigt, hängt davon ab, wieweit es mir gelungen ist, nicht nur mich durch ihn, sondern auch ihn durch mich zu beleuchten.

Tel Aviv, Januar 1965

Paul Engelmann

Anmerkung:

1 Ludwig Wittgenstein: A Memoir by Norman Malcolm. With a Biographical Sketch by Georg Henrik von Wright. Oxford, New York: Oxford University Press, 1984.

LUDWIG WITTGENSTEIN – PAUL ENGELMANN BRIEFWECHSEL

1 VON ERNESTINE ENGELMANN

Olmütz, 24./XII.1916.

Lieber Herr Wittgenstein!

Das war heute als ich zum geschmückten Weihnachtstisch gerufen wurde, eine ganz reizende Überraschung, da ich Ihre herrliche Spende vorfand! Ich danke Ihnen recht herzlich für Ihre entzückende Aufmerksamkeit als solche, sowie für das kulinarische Gedicht selbst, das mich, wie das »Tischlein deck’ dich«, also wie ein Märchentraum berührt. Es ist so außerordentlich lieb von Ihnen mich und somit uns alle mit so viel herrlichen Dingen bedacht zu haben, daß ich Ihnen (denn ich weiß bestimmt, daß es Ihnen Freude machte dies Märchen zu ersinnen und auf uns zu übertragen) und auch mir die Freude daran nicht schmälern möchte; dennoch kann ich Ihnen den Vorwurf nicht ersparen, daß Ihre Phantasie wieder einmal mit Ihnen durchgegangen ist und sich in einer Üppigkeit geäußert hat, die an »Tausend und eine Nacht« gemahnt. Ich habe nicht das Herz dazu, diese ganze Pracht zu zerstören und werde mich zunächst noch möglichst lange an dem herrlichen Anblick erfreun. Also nochmals viel herzlichen Dank!

Wir hoffen Sie wohlauf und in bester Stimmung und dieser Gedanke entschädigt uns für Ihre Abwesenheit, die eine fühlbare Lücke zurückgelassen. Gestern war wieder ein sehr hübscher Musikabend, wenn auch, der größern Gesellschaft zuliebe, populärer Natur. Wir alle grüßen Sie bestens und wünschen Ihnen recht angenehme müßige Tage der Freiheit, vergessen Sie darüber nicht ganz die Olmützer! Um Ihnen jedes Dilema zu ersparen, gebe ich Ihnen die Versicherung, daß dieser Brief keine Antwort erfordert, Sie also ohne Selbstvorwurf Ihrer Antypathie gegen das Briefschreiben treu bleiben dürfen.

Mit freundlichen Grüßen

Ihre

Ernestine Engelmann.

2 AN PAUL ENGELMANN

25. 12. 16.

Lieber Herr Engelmann!

Heute auf einen Sprung bei Loos. Er ist noch immer nicht zum Arbeiten gekommen, sagt aber, Sie werden die Zeichnungen binnen 14 Tagen erhalten. Ich aber schwöre darauf, daß diese Arbeit auch nicht wird angefangen werden!

Schreiben Sie mir, wie es Ihnen geht, & was Sie treiben. Denken Sie an mich und empfehlen Sie mich Ihren Herrn Eltern.

Ihr ergebener

Ludw Wittgenstein

3 VON MAX ZWEIG

Lieber Wittgenstein!

Von meinem Urlaub zurückgekehrt, habe ich zu meinem Bedauern erfahren, daß Du nicht mehr in Olmütz bist. Es hat mir sehr leidgetan, Dir nicht wenigstens Adieu gesagt zu haben, doch hoffe ich zuversichtlich, daß Du nach Olmütz zurückkommst und uns noch längere Zeit erhalten bleibst. Ich würde es als schmerzlich empfinden, wenn Deine Erscheinung in unserem Leben und Kreise nur eine Episode geblieben wäre, obwohl ich überzeugt bin, daß auch dann Dein Bild aus meinem Gedächtnis nicht mehr schwinden wird. Gestatte mir, Dir auf diese Weise zu gestehen, daß Du mir die allertiefste Verehrung meines Herzens abgerungen hast, und daß ich Dich ebenso herzlich liebgewonnen habe, als ich Dich freudig verehre, und verzeihe mir, daß ich es Dir gestehe. Ich hoffe aus innerstem Herzen, daß wir alle uns zu besseren Zeiten und mit besseren Kräften wiederfinden werden. Ich würde mich glücklich schätzen, Dich zum Freunde zu haben, obwohl ich nie hoffen darf, Dir je dasselbe sein zu können.

Ich bitte Dich, diese Zeilen zu entschuldigen, doch sind sie nur von meinem Gefühle diktiert. Ich wünsche Dir einen heiteren und fruchtbaren Urlaub und grüße Dich von ganzem Herzen

Dein

Max Zweig.

Olmütz, 27. Dezember 1916.

4 VON PAUL UND ERNESTINE ENGELMANN

Lieber Herr Wittgenstein!

Vielen Dank für Ihren Brief und Ihre Bemühungen bei Loos, sowie herzliche Neujahrswünsche!

Ich habe die Absicht, Freitag abends in Wien einzutreffen und 2–3 Tage dortzubleiben, da ich es für dringend nötig halte, über die beiden Projekte zu sprechen. Ich habe soeben an Loos geschrieben, und ihn gebeten, mir zu telegraphieren, wenn er Samstag und Sonntag nicht in Wien sein sollte. Es ist aber auch möglich, daß er jetzt nicht in Wien ist und daher meine Anfrage nicht beantworten kann. Wollten Sie so gut sein, mir gleich mitzuteilen, ob er in Wien ist?

Ich hoffe Sie in Wien zu sehn, und werde Sie Samstag zwischen 6 und 7 Uhr aufsuchen. Wenn Sie um diese Zeit schon wieder unterwegs nach Olmütz sind, so hoffe ich Sie dort zu sehn. – Fritz Zweig wollte Sie besuchen und wird Ihnen gewiß alles, was Sie über Olmütz hören wollen, mitteilen.

Wir hatten eine sehr schöne Silvester-Feier, zugleich Abschieds-Abend für Freund M. Zweig. Jetzt habe ich aber vorläufig genug von den Festen.

Auf baldiges Wiedersehen in Wien oder Olmütz!

Ihr

Paul Engelmann

Olmütz, 2. Januar 1917

Lieber Herr Wittgenstein!

Gerne füge ich an Pauls’ Brief viele herzliche Grüße bei. Es hat mir sehr leid getan, daß Sie bei unserer Sylvesterfeier fehlten, die wirklich in allen ihren Teilen äußerst gelungen war. Überhaupt vermissen wir Sie, der ja schon ganz zum »Ensemble« unserer gemüthlichen Abende gehört.

Hoffentlich sind Sie mit dem Wiener Aufenthalt recht zufrieden und kehren recht erfrischt nach Olmütz zurück. Wollen Sie mich, bitte, Ihrer verehrten Frau Mama bestens empfehlen und meinen verbindlichsten Dank für ihren liebenswürdigen Brief übermitteln. Mit herzlichen Grüßen für Sie selbst

Ihre

Ernestine Engelmann.

5 AN PAUL ENGELMANN

4. 1. 17.

Lieber Herr Engelmann!

Loos ist nicht in Wien. Er fuhr am 25.12. nach Tirol und wollte gestern (3.1.) zurückkommen. Er wird also wahrscheinlich Samstag schon hier sein. Ich fahre Samstag abends ab und kann Sie daher nicht mehr sehen. — Fritz Zweig war bei mir.

Ich gehe wahrscheinlich in kürzester Zeit in’s Feld zurück. Möge es uns allen gut gehen!

Herzlichste Grüße an Sie und die Ihren.

Ludw Wittgenstein

6 AN PAUL ENGELMANN

Wittgenstein Fhrch

F.H.R. 5/4

Feldp. Nr. 286

[Poststempel: 26. 1. 17]

Herrn Paul Engelmann

Oberring 6 T

Olmütz

Mähren

Kann wieder arbeiten, Gott sei Dank! Schreiben Sie mir gleich und ausführlich, wie es Ihnen geht. Grüßen Sie Alle herzlichst und sich selbst auch.

Wittgenstein

7 VON ERNESTINE ENGELMANN

Olmütz, 30. Januar 17.

Lieber Herr Wittgenstein!

Herzlichen danke für Ihre freundlichen Grüße! Wir alle – unsere liebe Abendgesellschaft mit inbegriffen – hatten schon ein Lebenszeichen von Ihnen herbeigesehnt und Ihre liebe Karte an mich gieng daher von Hand zu Hand; es haben sich alle gefreut von Ihnen zu hören. Ich kenne Ihre ganz ausgesprochene Abneigung gegen das Briefschreiben, hoffe aber, daß wir, deren wärmste Wünsche Sie stets und überall hin begleiten, doch ab und zu von Ihnen hören werden und will’s Gott, nur Gutes, Befriedigendes.

In der wohl richtigen Voraussetzung, daß man im Felde gerne Briefe bekommt, und sich auch nicht darüber ärgert, wenn dieselben ungebührlich lang ausfallen, will ich Ihnen recht ausführlich über alles Wissenswerte berichten. Direkt ereignet hat sich ja eigentlich bei uns nichts Besonderes, aber altmodisch, wie ich nun einmal bin, bedeutet ein genußreicher Abend für mich schon ein feines inneres Erlebnis. Und da kann ich nun wirklich nicht anders, als Ihnen danken, recht warm und herzlich dafür danken, daß Sie auch aus der Ferne noch und wohl ganz unbewußt so herrlich für unsere Abende sorgen; denn die Aufsätze und Betrachtungen (Kritiken wäre ein schlechtgewählter Ausdruck hiefür) von Kürnberger, die Paul allabendlich vorliest sind ein herrlicher, vornehmer Genuß. Wie schade, daß Sie nicht mit dabei sein können, Sie würden sich sicher neuerdings daran erfreun. Im Übrigen habe ich die Empfindung, als ob Sie ungesehn mitten unter uns weilten. Jedenfalls – und dafür müßte ich Ihnen eigentlich noch viel mehr danke sagen, tue es ja auch für mich oft und oft – hat Ihre liebe Gesellschaft auf Paul einen durchaus veredelnden Einfluß geübt, der sich, vielleicht niemandem so deutlich sichtbar, wie mir, stetig in laufend kleinen und größeren Dingen zeigt. Sie sehn also, wie sehr und vielfach wir Ihnen verpflichtet sind. Hoffentlich führt ein guter Stern uns wieder zusammen. Von Herrn Groag und Max Zweig hören Sie wohl direkt und wissen daher wohl schon, daß Ersterer am 12. Februar hier bei der Artillerie einrückt. Kapellmeister Zweig soll in den nächsten Tagen hier zu längerem Aufenthalte ankommen, da werden wir wieder etwas Musik zu hören bekommen.

II.

Herr Groag genießt seine Freiheit vorläufig noch und nützt sie als eifriger Schlittschuhläufer recht aus. Herr v. May ist momentan und bis auf Weiteres in Olmütz, besucht uns manchmal und erkundigt sich stets mit herzlichem Interesse nach Ihrem Ergehn.

Hoffentlich sind die Nachrichten, die Sie über das Befinden der verehrten Frau Mama und all der Ihren, erhalten recht gute. Heute kam Ihre liebe Karte an Paul, die ja Gott sei Dank sehr erfreulich klingt. Paul schreibt Ihnen sehr bald und ausführlich und läßt indeß durch mich bestens für Ihre Nachricht danken. Er, sowie mein Mann und alle die andern grüßen Sie recht herzlich.

Nun zum Schluß nochmals recht herzlichen danke dafür, daß Sie so lieb und fein für unser geistiges und leibliches Wohl bedacht waren. Möchte es Ihnen doch so gut gehn, als es unter den gegebenen Verhältnissen nur irgend möglich ist und ein gütiges Geschick uns alle bald im Frieden behaglich vereint finden. Wärmstens wünscht dies

Ihre

Sie recht herzlich grüßende

Ernestine Engelmann.

8 VON PAUL ENGELMANN

Paul Engelmann

Olmütz

Mauritzplatz 18

Herrn Ludwig Wittgenstein

K.u.k. Fähnrich

F.H.R. 5/4

Feldpost N° 286

Lieber Herr Witgenstein!

Nehmen Sie es mir nicht übel, daß ich Ihre l. Karte so lange unbeantwortet gelassen habe. Die Mitteilung, daß es Ihnen gut geht, hat mich sehr gefreut, hoffentlich hält dieser Zustand an. Ich habe die feste Absicht, ihnen im Laufe der nächsten Tage ausführlich zu schreiben und sende Ihnen für heute nur die herzlichsten Grüße.

Ihr

Paul Engelmann

3. März 1917.

9 AN PAUL ENGELMANN

Wittgenstein Fhrch

F.H.R. 5/4

Feldp. Nr. 286

Herrn Paul Engelman

Oberring 6 T

Olmütz

Mähren

Möchte Ihnen auch bald ausführlich schreiben. Ich denke oft mit Freude an Sie. Herzliche Grüße.

LWittgenstein

29.3.17.

10 AN PAUL ENGELMANN

31.3.17.

Lieber Herr Engelmann!

Ich habe zwei Ursachen Ihnen heute zu schreiben. Die erste will ich Ihnen später sagen, die zweite ist, daß heute jemand von hier nach Olmütz fährt. Die Erste ist folgende: Ich erhielt heute aus Zürich zwei Bücher jenes Albert Ehrenstein, der seinerzeit in die Fackel schrieb (.Ich habe ihn einmal ohne es eigentlich zu wollen unterstützt) und zum Dank schickt er mir jetzt den »Tubutsch« und »Der Mensch schreit«. Ein Hundedreck; wenn ich mich nicht irre. Und so etwas bekomme ich hier heraus! Bitte schicken Sie mir – als Gegengift – Goethes Gedichte, zweiter Band, wo die Venetianischen Epigramme die Elegien und Episteln stehen! Und auch noch die Gedichte von Mörike! (Reklam) Ich arbeite ziemlich fleißig und wollte, ich wäre besser und gescheidter. Und diese beiden sind ein und dasselbe. —

Gott helfe mir!

Ich denke oft an Sie. An den Sommernachtstraum und an das zweite Ballett im Eingebildeten Kranken, und daran daß Sie mir Suppe gebracht haben. Aber daran ist auch Ihre Frau Mama schuld, die mir auch unvergesslich ist. Bitte empfehlen Sie mich ihr. —

Grüßen Sie Zweig und Groag.

L. Wittgenstein

Grüßen Sie bitte auch Herrn Lachs von mir.

11 VON PAUL ENGELMANN

Lieber Herr Wittgenstein!

Eben erhalte ich Ihren Brief, der mich riesig freut, aber zugleich daran erinnert, daß ich Ihnen noch immer nicht geschrieben habe. Ich wollte es schon sehr oft tun, habe es aber immer wieder aufgeschoben. – Aus Ihrer früheren Karte habe ich gesehn, daß es Ihnen gut geht u. daß Sie wieder arbeiten können, wie Sie ja auch jetzt schreiben; das freut mich außerordentlich, hoffentlich hält es lange an! Die gewünschten Bücher sende ich Ihnen gleichzeitig mit diesem Brief. Ihre Meinung über den »Dichter« Ehrenstein teile ich ganz, er ist aber ein äußerst anständiger Mensch, und ich habe schon vor zwei Jahren meine Meinung über ihn in den Schüttelvers zusammengefaßt:

Sehr gerne hab’ ich Ehrensteinen,

Nur seine Werke steeren einen.

Ein Gedicht, eines der schönsten, dies ich kenne, will ich Ihnen hier abschreiben, hoffentlich haben Sie einen ähnlichen Genuß davon, wie ich:

Graf Eberhard’s Weißdorn

Von Ludwig Uhland.

Graf Eberhard im Bart

Vom Würtemberger Land

Er kam auf frommer Fahrt

Zu Palästina’s Strand.

Daselbst er einsmals ritt

Durch einen frischen Wald;

Ein grünes Reis er schnitt

Von einem Weißdorn bald.

Er steckt’ es mit Bedacht

Auf seinen Eisenhut;

Er trug es in der Schlacht

Und über Meeres Fluth.

Und als er war daheim,

Ers in die Erde steckt,

Wo bald manch neuen Keim

Der milde Frühling weckt.

Der Graf getreu und gut

Besucht’ es jedes Jahr,

Erfreute dran den Muth,

Wie es gewachsen war.

Der Herr war alt und laß;

Das Reislein war ein Baum,

Darunter oftmals saß

Der Greis in tiefem Traum.

Die Wölbung hoch und breit

Mit sanftem Rauschen mahnt

Ihn an die alte Zeit

Und an das ferne Land.

__________

Es ist ein Wunder von Objektivität. Fast alle andern Gedichte (auch die guten) bemühen sich, das Unaussprechliche auszusprechen, hier wird das nicht versucht, und eben deshalb ist es gelungen.

Vielen Dank noch nachträglich für das Buch von Kürnberger. Fast alles darin ist sehr gut, »der Rhapsode Jordan« u. »das Denkmalsetzen in der Opposition (I.)« großartig. Das Buch ist ein Denkmal der »Achtzigerjahre«, wie man die letzte Kultur-Epoche am bequemsten bezeichnen kann.

Heini Groag ist eingerückt, und fühlt sich wohl. Dadurch, daß er nur einmal wöchentlich zu uns kommen kann sind unsere Abendgesellschaften kleiner geworden. Fritz Zweig, der am 16. hier ein Konzert des Wiener Tonkünstlerorchesters (III. Leonoren-Ouvertüre, Klavierkonz. v. Beeth., V. Symph.) dirigieren wird, spielt sehr häufig vor; mir haben von allem, was er bisher gespielt hat, Variationen von Brahms über ein Thema von Händel am besten gefallen. Herrlich! Sie kennen es sicher.

Mir geht es im ganzen gut, nur bin ich wechselnden Stimmungen in einer Weise unterworfen, die für einen bald 26jährigen Menschen etwas beschämendes hat.

Viele herzliche Grüße, Schreiben Sie mir bald wieder, wenn Sie Zeit haben, Sie machen mir dadurch eine große Freude.

Ihr

Paul Engelmann

Olmütz, 4. Apr. 1917

Bitte schreiben Sie mir, ob Sie »Bunte Steine« von Stifter« kennen. Wenn nicht, so schicke ich es Ihnen.

Meine Mutter würde Sie grüßen lassen, aber sie ist nach Berlin gefahren, um meine Schwester nachhause zu bringen.

12 AN PAUL ENGELMANN

9. 4. 17.

Lieber Herr Engelmann!

Vielen Dank für Ihren lieben Brief und die Bücher. Das Uhlandsche Gedicht ist wirklich großartig. Und es ist so: Wenn man sich nicht bemüht das Unaussprechliche auszusprechen, so geht nichts verloren. Sondern das Unaussprechliche ist, – unaussprechlich – in dem Ausgesprochenen enthalten!

Die Händel-Variationen von Brahms kenne ich. [Unheimlich] –.

Was Ihre wechselnde Stimmung betrifft so ist es so: Wir schlafen. (Ich habe das schon einmal Herrn Groag gesagt, und es ist wahr) Unser Leben ist wie ein Traum. In den besseren Stunden aber wachen wir so weit auf daß wir erkennen daß wir träumen. Meistens aber sind wir im Tiefschlaf. Ich kann mich nicht selber aufwecken. Ich bemühe mich, mein Traumleib macht Bewegungen, aber mein wirklicher rührt sich nicht. So ist es leider!

Ihr

Wittgenstein

13 VON HEINRICH GROAG

Heinr Groag

Olmütz, Alleestr. 25/II

Herrn K.u.K. Fähnrich Ludwig Wittgenstein

K.u.K. FeldHaubitz. Rgt. N° 5. Batterie 4.

Feldpost 286.

Lieber Herr Wittgenstein!

Gleich nach Absendung der Karte, die ich von der Pulverwache an Sie schrieb, erhielt ich Ihre liebe Karte. Vielen Dank! Den Band 2 der Goethe Gedichte habe ich nachbestellt, da er in der Reclam Ausgabe nicht zu haben ist. Ich sende Ihnen heute einen Goetheband, den ich beim Promberger antiquarisch kaufte.

Leider ist die Beschimpfung, mit der Sie mich belegten, berechtigt. –

Max Zweig hat in der letzten Zeit viel gearbeitet. Jetzt fürchtet er sehr bald von Olmütz wegzumüssen.

Vorige Woche war Herr Loos hier. Die Sache ist wieder ein Stück weiter gediehen. Paul E. hat 3 Tage hindurch sehr fleißig gezeichnet.

Mir geht es weiter gut. Hoffentlich auch Ihnen! Beste Grüße! Ihr

Heinr. Groag.

Olmütz, 29.IV.17.

14 AN PAUL ENGELMANN

[1917?]

L. H. E. !

Bitte sagen Sie Herrn Groag er möchte trotz der Gefahr so lieb sein, und mir meine Manuskripte schicken. Wenn sie dann verloren gehen so war es Gottes Wille. Ferners, bitte, schicken Sie mir eine Abschrift Ihres Gedichtes. Ich werde sie nicht misbrauchen und das Gedicht nur meiner Schwester Mining vorlesen. Ich wäre Ihnen sehr dankbar. Ich habe mich sehr gefreut Sie gesehen und gesprochen zu haben. Es hat mich erfrischt. Bitte empfehlen Sie mich Ihrer verehrten, lieben Frau Mutter.

Ihr

L. Wittgenstein

15 VON PAUL ENGELMANN

[1917?]

Seele folgt dem Todesengel

Durch das Dunkel tiefer Grüfte

Und er führt sie vor den Richter.

Durch die Nacht, durch die Verwesung

Ringen strahlend Aug’ in Auge:

»Sprich, bekennest du dich schuldig?«

»Schuldlos war ich, schuldlos bin ich,

Bin, wie ich geschaffen wurde,

Schuldig ist, der mich geschaffen.«

Nieder stürzt sie in den Abgrund

Und die Flamm’ umbrennt sie trotzig

Und in Flammen brennt ihr Trotz.

Seele in den Höllenflammen

Sagt: »Er läßt sich’s wohlsein droben

Mit den Engeln, und verhöhnt mich.

Könnt ich sehn ihn, ich erließ Ihm

Keinen Funken meiner Flammen.

Schuldlos leid’ ich, und so leid’ ich.«

Sieh, auf Flügeln stieg ein Sturmwind

Nieder in die Höllenflammen,

Sagte zur der Seele: »Komm!«

Führt’ sie bis in höchsten Himmel

Wo da standen die verhüllten

Engel um den leeren Thron.

»Sagt, wo ist Er, ihr Verhüllten?

Will Er sich vor mir verbergen?«

»Nein, er brennet in der Hölle.«

Da erwachte tief die Seele

Unten in den finstren Flammen

Aus dem Traum, den sie geträumt.

Seele in den Höllenflammen

Sang: »Das ist die Liebe Gottes,

Was mich brennt, denn ich bin sündig.«

Himmel alle da erklangen,

Engel faßten seine Hände,

Schrien auf: »Gott ist allmächtig!«

__________

16 VON PAUL ENGELMANN

Herrn

Ludwig Wittgenstein

F. H. R. 5/4

Feldpost 286

[Karlsbrunn]

Lieber Herr Wittgenstein!

Von einem Ausflug sende ich ihnen herzliche Grüße. Nächstens schreibe ich ausführlicher.

Bitte teilen Sie mir bald mit wie es Ihnen geht.

Ihr

Paul Engelmann

7. Aug. 1917

17 AN PAUL ENGELMANN

Wittgenstein Fhrch

F.H.R. 5/4

Fp. 286

27. VIII. [1917]

Herrn

Paul Engelmann

Oberring 6

Olmüz

Mähren

Ich danke Ihnen für Ihre Karte. Ich hätte Ihnen viel mitzuteilen kann aber nichts schreiben. Mein Gehirn arbeitet sehr häftig. Empfehlen Sie mich wärmstens Ihrer Frau Mutter. Sein Sie herzlichst gegrüßt.

Wittgenstein

18 AN PAUL ENGELMANN

4. 9. 17

L. H. E.!

Bitte sein Sie so gut und schicken Sie mir die Bibel in einem kleinen aber noch leserlichen Format. Meine Adresse ist: F.H.R. 5/4 Feldp. 286. Ich hätte Ihnen manches mitzuteilen, kann es aber noch immer nicht herausgeben. Möchte es Ihnen gut gehen. Ich denke oft an Sie.

Beste Grüße

L Wittgenstein

19 VON PAUL ENGELMANN

Ludwig Wittgenstein

k.u.k. Fähnrich

F.H.R. 5/3

Feldpost 286

Lieber Herr Wittgenstein! Ich befinde mich auf der Rückreise aus Lans b. Innsbruck, wo ich 12 Tage war (mit meiner Mutter und [Schwester] die längere Zeit dort waren) Ihren Brief habe ich erhalten und Ihnen gestern aus Innsbruck, heute aus Salzburg die kleinsten erhältlichen Bibeln geschickt. Sollten sie zu groß sein, so senden Sie die unbrauchbaren Bücher mir, ich [werde] sie verwenden, und suche [dafür kleinere] zu bekommen. Sehr gerne würde auch ich ausführlich [an Sie schreiben?] nehme mir es immer [wieder] vor und es kommt nicht dazu. Von Olmütz aus bestimmt.

Herzliche Grüße

von Ihrem

Paul Engelmann

15. Sept. 17

20 AN PAUL ENGELMANN

Wittgenstein Fhrch

F.H.R. 5/4

Fp. 286

Herrn Paul Engelmann

Oberring 6

Olmütz

Mähren

Besten Dank für die Bücher. Herzliche Grüße

Wittgenstein.

4.10.17.

21 VON HEINRICH GROAG

Heinr Groag

Olmütz, Alleestr. 25

Herrn

K.K. Fähnrich Ludwig Wittgenstein

K.u.K. F.H. Rgt. N° 5. Batterie 4

Feldpost 286.

Poststempel: Olmütz, [VIII.X.1917?]

Lieber Herr Wittgenstein! Gleich nach Erhalt Ihrer l. Karte habe ich von Herrn Trenkler 100 K zugeschickt bekommen. Ich sehe Ihren weiteren Aufträgen entgegen.

Ich war froh aus dem Brief, den Sie an Paul E. geschrieben haben zu erfahren, daß Sie arbeiten können und sich wohl befinden. Auch mir geht es beim Militär gut; ich habe bisher um 5 kg zugenommen. Ich wohne in Schnobolin bei einem Herrn Wazele, dessen Sohn, der jetzt vorübergehend hier ist, mir erzählt hat, er wäre viel mit Ihnen zusammen gewesen. Er spricht von Ihnen u. Ihren großen Spenden an Zigaretten u. Rum mit Begeisterung.

Am Mauritzplatz bin ich jetzt natürlich viel seltener als sonst. Denn ich gehe außer am Sonntag nur 1mal im Laufe der Woche nach Olmütz. Ohne daß sich meine Sympathie für Paul E. und die anderen Freunde verringert hätte, empfinde ich es doch sehr angenehm, wenn ich aus der lauwarmen Atmosphäre in die frische Luft von Schnobolin zurückkomme. Ich würde mich sehr freuen wieder von Ihnen zu hören.

Herzlichen Gruß

Ihr

Heinr Groag

22 AN PAUL ENGELMANN

L. H. E.!

Mit Freude habe ich gehört daß Sie in Neuwaldegg alles auf den Kopf stellen. Auch meine liebe Mama hat einen Narren an Ihnen gefressen, was ich übrigens vollkommen verstehe. Ich arbeite ziemlich viel bin aber trotzdem unruhig. Möchten Sie so anständig bleiben als es gern wäre

Ihr

L. Wittgenstein

28.10.17.

23 VON ERNESTINE ENGELMANN

Olmütz, 9./ XII. 1917.

Lieber Herr Wittgenstein!

Es war mir eine besonders freudige Überraschung durch Herrn Leutnant Höhlmann ganz zufällig direkte und zu meiner Freude recht gute Nachrichten über Ihr Ergehn erhalten zu haben. Sehr gerne benütze ich die Gelegenheit, Ihnen unser aller herzlichste Grüße zu senden.

Paul geht es nun gesundheitlich bedeutend besser und er ist nun voll Eifer mit den verschiedenartigsten Arbeiten beschäftigt. Mit ganz besonderer Freude widmet er sich den baulichen Arbeiten in Neu-Waldegg und ist auch in dieser Angelegenheit seit einigen Tagen wieder in Wien.

Unser schöner abendlicher Kreis ist nun leider bis auf Max Zweig zusammengeschmolzen; gestern hat uns Herr Groag verlassen, um an die Südfront zu gehn, morgen reist Leutnant Zweig aus demselben Anlasse ab. Da wird es recht still bei uns werden! Hoffentlich giebt es für uns alle in absehbarer Zeit ein Wiedersehn in ruhigen friedlichen Zeiten!

Wann gehn Sie denn wieder auf Urlaub? Versäumen Sie dann, bitte, nicht im alten Maurizhause einzukehren, Sie wissen ja, wie sehr wir uns alle freun, Sie bei uns begrüßen zu können. Viele herzliche Grüße und wärmste Wünsche für Ihr Ergehn von

IhrerergebenenErnestine Engelmann.

24 VON PAUL ENGELMANN

Lieber Herr Wittgenstein!

Verzeihen Sie mir mein Nicht=Schreiben, ich glaube, Sie werden aus eigener Erfahrung die Ursachen einer solchen Faulheit kennen.

Herzliche Grüße von

Ihrem

Paul Engelmann

Olmütz, 20. Dez. 1917.

25 VON ERNESTINE ENGELMANN

Lieber Herr Wittgenstein!

Das war heute eine entzückende Überraschung, als in aller Frühe Ihr Diener als schwerbeladener Weihnachtsmann zu uns hereingeschneit kam. Lassen Sie sich für Ihre rührend liebevolle Spende rechtherzlich danken; ich bin tatsächlich beschämt von so viel Güte Ihrerseits und muß Ihnen gestehn, daß mich die freundschaftliche Gesinnung fast noch mehr freut, als all’ die auserlesenen Herrlichkeiten. Ich glaube nicht fehl zu gehn in der Annahme, daß Ihre verehrte frau Mama bei der Auswahl behilflich war und bitte ihr nebst vielen Empfehlungen meinen besten Dank zu übermitteln.

Vielleicht sehn wir Sie doch noch auf der Rückreise? Das wäre riesig nett und würde uns aufrichtig freun.

Mit den besten Grüßen und nochmaligem Dank

IhreergebeneErnestine Engelmann

Olmütz, 24./ XII. 1917

26 VON PAUL ENGELMANN

Lieber Herr Wittgenstein!

Auch ich danke Ihnen vielmals für die herrlichen Sachen, die Sie meiner Mutter zu Weihnachten schickten.

Ob ich am 26. nach Wien komme, ist noch nicht ganz gewiß, da ich stark erkältet bin. Schlimmstenfalls muß ich die Fahrt um einige Tage verschieben.

Mit den herzlichsten Grüßen

IhrPaul Engelmann

24. Dez. 1917.

27 VON PAUL ENGELMANN

Lieber Herr Wittgenstein!

In den Anmerkungen zu »Stadien auf dem Lebensweg« lese ich: »Er schreibt den 17. Mai 1843 in sein Tagebuch: ›Hätte ich Glauben gehabt, so wäre ich bei ihr geblieben. Gott sei Lob und Dank, daß ich das eingesehn habe.‹« Das erinnert mich*) an etwas, was ich Ihnen in Wien sagen wollte. Ich habe es unterlassen und tue es jetzt. Wenn ich Ihnen damit Unrecht tue, verzeihen Sie. Es ist mir vorgekommen, als ob Sie – im Gegensatz zu der Zeit in Olmütz, wo ich das nicht gedacht habe, – keinen Glauben hätten. Wenn ich das schreibe, so soll das durchaus kein Versuch irgend einer Beeinflussung sein. Aber ich bitte Sie, das was ich sage zu bedenken, und den zitierten Satz zu überlegen, und wünsche Ihnen, daß Sie das tun, was zu Ihrem wahren Besten ist.

Herzliche Grüße von Ihrem

Paul Engelmann

Olmütz, 8. Jänner 1917.

28 AN PAUL ENGELMANN

Lieber Freund!

Besten Dank für Ihre Zeilen vom 8./1. Wenn ich sie nur verstünde! Aber ich verstehe sie nicht. Es ist allerdings ein Unterschied zwischen mir jetzt und damals als wir uns in Olmütz sahen. Und dieser Unterschied ist so viel ich weiß der, daß ich jetzt ein wenig anständiger bin. Damit meine ich nur daß ich mir jetzt ein wenig klarer über meine Unanständigkeit bin als damals. Wenn Sie nun sagen daß ich keinen Glauben habe, so haben Sie ganzrecht, nur hatte ich ihn auch früher nicht. Es ist ja klar, daß der Mensch der, so zu sagen, eine Maschine erfinden will um anständig zu werden, daß dieser Mensch keinen Glauben hat. Aber was soll ich tun? Das eine ist mir klar: Ich bin viel zu schlecht um über mich spintisieren zu können, sondern, ich werde entweder ein Schweinehund bleiben, oder mich bessern, und damit basta! Nur kein transzendentales Geschwätz, wenn alles so klar ist wie eine Watschen.

Es ist nicht unmöglich daß ich bald nach Olmütz zum Kader komme.

Sie haben gewiss in allem ganz recht.

Denken Sie an Ihren

ergebenen

L. Wittgenstein

16.1.18.

29 VON ERNESTINE ENGELMANN

Lieber Herr Wittgenstein!

Es war mir leider nicht früher möglich, Ihnen für Ihren letzten humorvollen Brief zu danken, der mich sehr amüsiert hat. Daß Sie das Paketchen mit Süßigkeiten damals nicht erhalten haben, war kein besonderer Verlust, denn die Kriegsbäckereien sind beim besten Willen nicht so gut herzustellen, wie man möchte, und den Hauptzweck, zu zeigen, daß ich Ihrer gedenke, hat meine Sendung ja erfüllt.

Wir haben nun schon lange nicht direkt von Ihnen gehört, hoffen aber, daß Sie wohlauf sind und sich selbst nicht zu viel zumuthen!*

Unser abendlicher Kreis ist nun leider sehr zusammengeschrumpft, seit Leutnant Zweig und, nun seit einer Woche auch Herr Groag fort ist. Kürzlich war Oberl. Freund auf Urlaub, doch konnte leider nicht musiziert werden, da er einen Catarrh hat und auch Herr Zweig als Begleiter fehlte.

Bei uns geht sonst alles im alten Geleise, soweit dies die Zeitverhältnisse jetzt zulassen. Es wird Sie gewiß freun zu hören, daß Paul gut aussieht, er hat auch zugenommen, seine Nervosität ist fast ganz gut und er ist von einer Arbeitsfreudigkeit, wie noch nie in seinem Leben. Es ist meine vollste Überzeugung, daß Sie, lieber Herr Wittgenstein, an dieser Wandlung einen großen Antheil haben. Der Einfluß, den Sie gewiß ganz unbewußt auf Paul ausüben und Ihr Beispiel, dem er (natürlich auch unbeabsichtigt) nachstrebt, haben einen andern Menschen aus ihm gemacht. Das Vertrauen zu seinem Können und das liebevolle Wohlwollen das Ihre werten Angehörigen ihm entgegenbringen, beglückt ihn sehr und spornt ihn bei seinen Arbeiten an, dies alles auch zu verdienen. Wie froh und glücklich ich bin, mein Kind so nach jeder Richtung hin auf gutem Wege zu wissen, können Sie kaum ermessen und ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen dafür danken kann; immer wieder fällt mir, wenn ich an Ihr Erscheinen in unserm Hause denke das Dichterwort ein: »die Stätte, die ein guter Mensch betrat, bleibt eingeweiht«.

II.

Und es kann nur ein wahrhaft guter Mensch sein, der auf Paul einen so tiefen und durchgreifenden Einfluß auszuüben im Stande ist.

Selbst auf die Gefahr hin, daß Sie mich für eine Schwätzerin halten und mir diese lange Epistel übel nehmen werden, mußte ich mir dies von der Seele reden. Auch gehöre ich noch jener alten und altmodischen Zeit an, (wir sprachen ja sogar einmal gemeinsam darüber) da man noch lange, ausführliche Briefe schrieb. Also bitte nichts für ungut, daß Sie heute auch ein Opfer davon geworden sind.

Sonntag fährt Paul wieder nach Wien, um sich vom Fortgang der Arbeiten zu überzeugen und schreibt Ihnen dann wohl selbst darüber. Mit den wärmsten Wünschen für Ihr Ergehn und vielen herzlichen Grüßen

Ihre

ergebeneErnestine Engelmann.

Olmütz, 22./ II. 1918.

30 VON ERNESTINE ENGELMANN

Lieber Herr Wittgenstein!

Die ganze Zeit über haben wir voll Ungeduld ein Lebenszeichen von Ihnen erwartet, Paul hatte trotz mehrmaliger Aufforderung meinerseits immer versäumt sich in Wien nach Ihrer jetzigen Adresse zu erkundigen. Gestern kam nun Ihre liebe Karte und da Paul abwesend ist, benütze ich sehr gerne die Gelegenheit, Ihnen vorläufig in seinem Namen und auch im eigenen für Ihre lieben Grüße zu danken. Ich hoffe, daß Sie bald Näheres über Ihr Ergehn und Ihre Thätigkeit berichten und wünschte so sehr, daß Ihre Nachrichten so günstig lauten würden, als dies unter den gegebenen Verhältnissen nur irgend möglich ist.

Bei uns ist es leider recht still geworden, da unsere liebe Abendgesellschaft sich aufgelöst hat. Kapellmeister Z. ist an der Südfront*, Herr Heini ebenfalls u. z. nicht wie es bestimmt war beim Staab, sondern als Aufklärer; er hat sich mit seinem ganz ungewöhnlich entwickelten Anpassungsvermögen auch ganz gut eingefunden. Max Z. ist wegen Flecktyphus-Epidemie in seiner Baracke kontumaziert und Herr Pater hat auf einem Landgut bei Brünn einen Hofmeisterposten angenommen. Paul ist auf Aufforderung Ihres Fräulein Schwester donnerstag nach Wien gefahren und wird Ihnen sicher bei seiner Rückkehr selbst schreiben. Er ist sehr beglückt, daß die Arbeit in Neu-Waldegg zur Zufriedenheit Ihrer werten Familie ausgefallen ist und ist selbst auch sehr befriedigt davon. Ich bin wieder einmal ungebührlich ausführlich geworden, doch nur in der Annahme, daß man »da draußen« jede Nachricht aus der Heimat freudig begrüßt und für alles Interesse hat. Mit den wärmsten Wünschen für Ihr Wohlergehn

Ihre

Sie herzlich grüßende

Ernestine Engelmann.

Olmütz, 6./ 4. 1918.

31 AN PAUL ENGELMANN

Wittgenstein Lt

G.K.B.H 5/n, Fp. No 290

Herrn

Paul Engelmann

Oberring 6

MährenOlmütz

L. H. E.!

Eine große Bitte: Als ich damals in Olmütz den Darmkatarh hatte verschrieb mir Dr Hahn eine Medizin, die einzige welche mir je genützt hat. Nun habe ich das Rezept verloren, aber den Katarh leider nicht. Möchten Sie die große Güte haben zu Dr Hahn zu gehen und ihn zu bitten mir das Rezept noch einmal auszustellen; wenn er nämlich die Medizin nach ihrer äußeren Beschreibung erkennt – denn was darin war weiß ich nicht. Es war eine trübe etwas gelbliche Flüßigkeit auf deren Grund ein weißer Satz war, den man aufschütteln mußte worauf die Flüßigkeit wie Milch aussah. Geschmack süßlich und angenehm; (jeden Tag 2 Esslöffel). Wenn er mir das R. noch einmal ausstellen kann, dann, bitte, sein Sie so lieb, es mir zu schicken. Meine Adresse ist:

Geb. Kan. Btt5/11, Feldp. 290

Ich denke oft und mit Freude an Sie. Bitte empfehlen Sie mich Ihrer verehrten Frau Mutter.

Ihr

L Wittgenstein

9.4.18.

32 VON PAUL ENGELMANN

Lieber Herr Wittgenstein!

Wie geht es Ihnen? Ich hoffe jetzt bald wieder Gelegenheit zu haben, Sie zu sehen und zu sprechen. Entschuldigen Sie, daß ich Ihnen die ganze Zeit nicht geschrieben habe; sie wissen ja, wie es damit geht. Besonders verzeihen Sie, daß ich Ihnen auf den Brief, in dem Sie mich um das Rezept ersuchten, nicht geantwortet habe, es fiel mir erst nachträglich ein, daß ich das unbedingt hätte gleich tun müssen; hoffentlich hat Ihnen der Dr Hahn, dem ich sofort schrieb, das Rezept aus Trient geschickt und es hat wieder so gut gewirkt, wie früher.

Ich war wieder in Wien; mit den Arbeiten in Neuwaldegg bin ich sehr zufrieden, und freue mich, daß auch Ihre Frau Mama und Ihr Fräulein Schwester damit zufrieden sind.

Fritz Zweig ist jetzt auf Urlaub hier, Heini Groag ist an der Südfront und dürfte erst in 1–2 Monaten kommen.

Über mich etwas zu schreiben, ist sehr schwer, es sieht auch auf dem Papier meist anders aus, als es gemeint ist. Vielleicht läßt sich bald mündlich darüber mehr sagen. Es ist nichts besonderes oder Neues, sondern nur immer das Bewußtsein, daß es nicht so ist, wie es sein sollte oder könnte. Kann man gegen Willensschwäche etwas tun? Ich frage ganz im Ernst, wenn Sie etwas dagegen wissen, schreiben Sie mir bitte davon, ich meine aber etwas, das über gute Vorsätze (vielleicht das einzige, woran ich keinen Mangel habe) hinausgeht.

Ich hoffe bestimmt, daß es Ihnen gut geht.

Auf baldiges Wiedersehen!

Herzliche Grüße von Ihrem

Paul Engelmann

Olmütz, 28. Mai 1918.

33 AN PAUL ENGELMANN

Wittgenstein Lt

G.A.R. 11/Batg 1

Fp 386

Herrn Paul Engelmann

Olmütz

Mähren

Schicke Ihnen ein paar Bücher, die Sie nicht verdienen, da Sie sogar zu faul sind auf eine dringende Anfrage zu antworten

Wittgenstein

1.6.18.

34 AN PAUL ENGELMANN

Herrn

Paul Engelmann

Oberring 6

Olmütz

Mähren

Werde wahrscheinlich bald nach Wien kommen. Besten Gruß.

Wittgenstein

14.7.18.

35 VON PAUL ENGELMANN

Lieber Herr Wittgenstein!

Ich freue mich schon sehr darauf, Sie in den nächsten Tagen in Olmütz zu sehn und bin außerordentlich begierig, Ihr Manuskript zu lesen. Ich bitte, mich bei Ihrem Fräulein Schwester zu entschuldigen, deren Brief ich noch nicht beantwortet habe, doch war ich in der letzten Zeit so nervös, daß mich das Schreiben (die physische Tätigkeit daran) sehr anstrengte. Jetzt ist es viel besser und ich werde in den nächsten Tagen den Brief beantworten. Ebenso konnte ich noch nicht Ihrer Frau Mama für den Aufenthalt auf der Hochreith danken, was diesmal wirklich nicht aus Faulheit so lange hinausgeschoben wird. Sollte Ihre Frau Mama schon in Wien sein, so bitte ich Sie, mich deshalb auch bei ihr zu entschuldigen.

Es geht mir im Übrigen gut.

Auf baldiges Wiedersehn und herzliche Grüße von

Ihrem

Paul Engelmann

Olmütz, 18. Sept. 1918.

36 AN PAUL ENGELMANN

Wittgenstein Lt

G.A.R. 11/Bt 8

Feldp. 290

Herrn Paul Engelmann

Oberring 6

Olmütz

Mähren