Logisch-Philosophische Abhandlung. Tractatus Logico-Philosophicus - Ludwig Wittgenstein - E-Book

Logisch-Philosophische Abhandlung. Tractatus Logico-Philosophicus E-Book

Ludwig Wittgenstein

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Beschreibung

Ein zentraler Text der Philosophiegeschichte: Wittgensteins Abhandlung ist so einflussreich wie kurz und auch darin kaum einem anderen Text der Philosophie vergleichbar. Basierend auf seiner neuen kritischen Ausgabe führt Wolfgang Kienzler in das epochemachende Werk ein und erläutert dessen Argumentationsgang und die Hauptthemen wie die Bildtheorie des Satzes, die Grundunterscheidung zwischen Sagen und Zeigen, die tautologische Natur der Logik, die allgemeine Form des Satzes, das Problem des Solipsismus und des Subjekts als Grenze der Welt, die Unsagbarkeit der Ethik und schließlich die Unsinnigkeit aller philosophischen Sätze sowie die rein erläuternde Natur der Philosophie selbst – in einer für Studium und Selbststudium besonders geeigneten kommentierten Ausgabe. E-Book mit Seitenzählung der Originalpaginierung.

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Ludwig Wittgenstein

Logisch-Philosophische Abhandlung. Tractatus Logico-Philosophicus

[Great Papers Philosophie]

Herausgegeben von Wolfgang Kienzler

Reclam

2023 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Covergestaltung: Cornelia Feyll, Friedrich Forssman

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2023

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN978-3-15-962106-7

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-014246-2

www.reclam.de

Inhalt

Logisch-Philosophische Abhandlung

Zu dieser Ausgabe

Zur logischen Notation

Anmerkungen

Zusammenfassung des Gedankengangs

Glossar

Literaturhinweise

Nachwort

1 Warum ist die Logisch-Philosophische Abhandlung so bedeutend?

2 Die Nummerierung und eine kurze Übersicht

3 Die literarische Form

4 Frege, die moderne Logik, logische Gegenstände und die Wahrheitswerte

5 Russell, der logische Atomismus und die Typentheorie

6 Eine Ontologie von Wirklichkeit und Sprache: Tatsachen, Sachverhalte, Gegenstände

7 Bilder von Tatsachen und Bilder als Tatsachen

8 Satz und Satzzeichen, Symbol und logische Syntax

9 Hertz und die Mannigfaltigkeit von Modellen

10 Sagen und Zeigen: externe und interne Verhältnisse

11 Tautologie und Kontradiktion: Zur Natur der Logik

12 Elementarsätze und logisch komplexe Sätze: Wahrheitsfunktionen

13 Logisches Schließen und Wahrscheinlichkeit

14 Operationen und die allgemeine Form des Satzes

15 Die Grenzen meiner Sprache und der Solipsismus

16 Sätze wie »A glaubt, dass p«

17 Die Natur der Mathematik

18 Die logische Form der Naturgesetze

19 Fragen der Ethik und das Rätsel des Lebens

20 Die richtige Methode der Philosophie und das Wegwerfen der Leiter

21 Der Schluss und das Schweigen

22 Eine Kritik der sprachlichen Vernunft? Das Verhältnis zu Kant

23 Eine Skizze der Entstehung

24 Rezeption und Kritik

Über Ludwig Wittgenstein

[5]Logisch-Philosophische Abhandlung

 

von

 

Ludwig Wittgenstein

[6]Dem Andenken meines Freundes

David H. Pinsent

gewidmet

[7]Motto:  … und alles, was man weiß, nicht

bloß rauschen und brausen gehört

hat, läßt sich in drei Worten sagen.

Kürnberger

Vorwort

Dieses Buch wird vielleicht nur der verstehen, der die Gedanken, die darin ausgedrückt sind – oder doch ähnliche Gedanken – schon selbst einmal gedacht hat. – Es ist also kein Lehrbuch. – Sein Zweck wäre erreicht, wenn es Einem, der es mit Verständnis liest, Vergnügen bereitete.

Das Buch behandelt die philosophischen Probleme und zeigt – wie ich glaube – daß die Fragestellung dieser Probleme auf dem Mißverständnis der Logik unserer Sprache beruht. Man könnte den ganzen Sinn des Buches etwa in die Worte fassen: Was sich überhaupt sagen läßt, läßt sich klar sagen; und wovon man nicht reden kann, darüber muß man schweigen.

Das Buch will also dem Denken eine Grenze ziehen, oder vielmehr – nicht dem Denken, sondern dem Ausdruck der Gedanken: Denn, um dem Denken eine Grenze zu ziehen, müßten wir beide Seiten dieser Grenze denken können (wir müßten also denken können, was sich nicht denken läßt).

Die Grenze wird also nur in der Sprache gezogen werden können und was jenseits der Grenze liegt, wird einfach Unsinn sein.

Wieweit meine Bestrebungen mit denen anderer Philosophen zusammenfallen, will ich nicht beurteilen. Ja, was [8]ich hier geschrieben habe, macht im Einzelnen überhaupt nicht den Anspruch auf Neuheit; und darum gebe ich auch keine Quellen an, weil es mir gleichgültig ist, ob das was ich gedacht habe, vor mir schon ein Anderer gedacht hat.

Nur das will ich erwähnen, daß ich den großartigen Werken Freges und den Arbeiten meines Freundes Herrn Bertrand Russell einen großen Anteil der Anregung zu meinen Gedanken schulde.

Wenn diese Arbeit einen Wert hat, so besteht er in Zweierlei. Erstens darin, daß in ihr Gedanken ausgedrückt sind, und dieser Wert wird umso größer sein, je besser die Gedanken ausgedrückt sind. Je mehr der Nagel auf den Kopf getroffen ist. – Hier bin ich mir bewußt, weit hinter dem Möglichen zurückgeblieben zu sein. Einfach darum, weil meine Kraft zur Bewältigung der Aufgabe zu gering ist. – Mögen Andere kommen und es besser machen.

Dagegen scheint mir die Wahrheit der hier mitgeteilten Gedanken unantastbar und definitiv. Ich bin also der Meinung, die Probleme im Wesentlichen endgültig gelöst zu haben. Und wenn ich mich hierin nicht irre, so besteht nun der Wert dieser Arbeit zweitens darin, daß sie zeigt, wie wenig damit getan ist, daß diese Probleme gelöst sind.

    L. W.

Wien, 1918

11*

[9]Die Welt ist alles, was der Fall ist.

1.1

Die Welt ist die Gesamtheit der Tatsachen, nicht der Dinge.

1.11

Die Welt ist durch die Tatsachen bestimmt und dadurch, daß es alle Tatsachen sind.

1.12

Denn, die Gesamtheit der Tatsachen bestimmt, was der Fall ist und auch, was alles nicht der Fall ist.

1.13

Die Tatsachen im logischen Raum sind die Welt.

1.2

Die Welt zerfällt in Tatsachen.

1.21

Eines kann der Fall sein oder nicht der Fall sein und alles übrige gleich bleiben.

2

Was der Fall ist, die Tatsache, ist das Bestehen von Sachverhalten.

2.01

Der Sachverhalt ist eine Verbindung von Gegenständen (Sachen, Dingen).

2.011

Es ist dem Ding wesentlich, der Bestandteil eines Sachverhaltes sein zu können.

2.012

In der Logik ist nichts zufällig: Wenn das Ding im Sachverhalt vorkommen kann, so muß die Möglichkeit des Sachverhaltes im Ding bereits präjudiziert sein.

2.0121

Es erschiene gleichsam als Zufall, wenn dem Ding, das allein für sich bestehen könnte, nachträglich eine Sachlage passen würde.

 [10]Wenn die Dinge in Sachverhalten vorkommen können, so muß dies schon in ihnen liegen.

 (Etwas Logisches kann nicht nur-möglich sein. Die Logik handelt von jeder Möglichkeit und alle Möglichkeiten sind ihre Tatsachen.)

 Wie wir uns räumliche Gegenstände überhaupt nicht außerhalb des Raumes, zeitliche nicht außerhalb der Zeit denken können, so können wir uns keinen Gegenstand außerhalb der Möglichkeit seiner Verbindung mit anderen denken.

 Wenn ich mir den Gegenstand im Verbande des Sachverhaltes denken kann, so kann ich ihn nicht außerhalb der Möglichkeit dieses Verbandes denken.

2.0122

Das Ding ist selbständig, insofern es in allen möglichen Sachlagen vorkommen kann, aber diese Form der Selbständigkeit ist eine Form des Zusammenhangs mit dem Sachverhalt, eine Form der Unselbständigkeit.

 (Es ist unmöglich, daß Worte in zwei verschiedenen Weisen auftreten, allein und im Satz.)

2.0123

Wenn ich den Gegenstand kenne, so kenne ich auch sämtliche Möglichkeiten seines Vorkommens in Sachverhalten.

 (Jede solche Möglichkeit muß in der Natur des Gegenstandes liegen.)

 Es kann nicht nachträglich eine neue Möglichkeit gefunden werden.

2.01231

Um einen Gegenstand zu kennen, muß ich zwar nicht seine externen, aber ich muß alle seine internen Eigenschaften kennen.

2.0124

[11]Sind alle Gegenstände gegeben, so sind damit auch alle möglichen Sachverhalte gegeben.

2.013

Jedes Ding ist, gleichsam, in einem Raume möglicher Sachverhalte. Diesen Raum kann ich mir leer denken, nicht aber das Ding ohne den Raum.

2.0131

Der räumliche Gegenstand muß im unendlichen Raume liegen.

 (Der Raumpunkt ist eine Argumentstelle.)

 Der Fleck im Gesichtsfeld muß zwar nicht rot sein, aber eine Farbe muß er haben; er hat sozusagen den Farbenraum um sich. Der Ton muß eine Höhe haben, der Gegenstand des Tastsinnes eine Härte, u. s. w. .

2.014

Die Gegenstände enthalten die Möglichkeit aller Sachlagen.

2.0141

Die Möglichkeit seines Vorkommens in Sachverhalten ist die Form des Gegenstandes.

2.02

Der Gegenstand ist einfach.

2.0201

Jede Aussage über Komplexe läßt sich in eine Aussage über deren Bestandteile und in diejenigen Sätze zerlegen, welche die Komplexe vollständig beschreiben.

2.021

Die Gegenstände bilden die Substanz der Welt. Darum können sie nicht zusammengesetzt sein.

2.0211

Hätte die Welt keine Substanz, so würde, ob ein Satz Sinn hat, davon abhängen, ob ein anderer Satz wahr ist.

2.0212

Es wäre dann unmöglich, ein Bild der Welt (wahr oder falsch) zu entwerfen.

2.022

Es ist offenbar, daß auch eine von der wirklichen noch so verschieden gedachte Welt Etwas – eine Form – mit der wirklichen gemein haben muß.

2.023

[12]Diese feste Form besteht eben aus den Gegenständen.

2.0231

Die Substanz der Welt kann nur eine Form und keine materiellen Eigenschaften bestimmen. Denn diese werden erst durch die Sätze dargestellt – erst durch die Konfiguration der Gegenstände gebildet.

2.0232

Beiläufig gesprochen: Die Gegenstände sind farblos.

2.0233

Zwei Gegenstände von der gleichen logischen Form sind – abgesehen von ihren externen Eigenschaften – von einander nur dadurch unterschieden, daß sie verschieden sind.

2.02331

Entweder ein Ding hat Eigenschaften, die kein anderes hat, dann kann man es ohne weiteres durch eine Beschreibung aus den anderen herausheben, und darauf hinweisen; oder aber, es gibt mehrere Dinge, die ihre sämtlichen Eigenschaften gemeinsam haben, dann ist es überhaupt unmöglich auf eines von ihnen zu zeigen.

 Denn, ist das Ding durch nichts hervorgehoben, so kann ich es nicht hervorheben, denn sonst ist es eben hervorgehoben.

2.024

Die Substanz ist das, was unabhängig von dem was der Fall ist, besteht.

2.025

Sie ist Form und Inhalt.

2.0251

Raum, Zeit und Farbe (Färbigkeit) sind Formen der Gegenstände.

2.026

Nur wenn es Gegenstände gibt, kann es eine feste Form der Welt geben.

2.027

Das Feste, das Bestehende und der Gegenstand sind Eins.

2.0271

[13]Der Gegenstand ist das Feste, Bestehende; die Konfiguration ist das Wechselnde, Unbeständige.

2.0272

Die Konfiguration der Gegenstände bildet den Sachverhalt.

2.03

Im Sachverhalt hängen die Gegenstände in einander, wie die Glieder einer Kette.

2.031

Im Sachverhalt verhalten sich die Gegenstände in bestimmter Art und Weise zu einander.

2.032

Die Art und Weise, wie die Gegenstände im Sachverhalt zusammenhängen, ist die Struktur des Sachverhaltes.

2.033

Die Form ist die Möglichkeit der Struktur.

2.034

Die Struktur der Tatsache besteht aus den Strukturen der Sachverhalte.

2.04

Die Gesamtheit der bestehenden Sachverhalte ist die Welt.

2.05

Die Gesamtheit der bestehenden Sachverhalte bestimmt auch, welche Sachverhalte nicht bestehen.

2.06

Das Bestehen und Nichtbestehen von Sachverhalten ist die Wirklichkeit.

 (Das Bestehen von Sachverhalten nennen wir auch eine positive, das Nichtbestehen eine negative Tatsache.)

2.061

Die Sachverhalte sind von einander unabhängig.

2.062

Aus dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Sachverhaltes kann nicht auf das Bestehen oder Nichtbestehen eines anderen geschlossen werden.

2.063

Die gesamte Wirklichkeit ist die Welt.

2.1

Wir machen uns Bilder der Tatsachen.

2.11

Das Bild stellt die Sachlage im logischen Raume, das Bestehen und Nichtbestehen von Sachverhalten, vor.

2.12

[14]Das Bild ist ein Modell der Wirklichkeit.

2.13

Den Gegenständen entsprechen im Bilde die Elemente des Bildes.

2.131

Die Elemente des Bildes vertreten im Bild die Gegenstände.

2.14

Das Bild besteht darin, daß sich seine Elemente in bestimmter Art und Weise zu einander verhalten.

2.141

Das Bild ist eine Tatsache.

2.15

Daß sich die Elemente des Bildes in bestimmter Art und Weise zu einander verhalten, stellt vor, daß sich die Sachen so zu einander verhalten.

 Dieser Zusammenhang der Elemente des Bildes heißt seine Struktur und ihre Möglichkeit seine Form der Abbildung.

2.151

Die Form der Abbildung ist die Möglichkeit, daß sich die Dinge so zu einander verhalten, wie die Elemente des Bildes.

2.1511

Das Bild ist so mit der Wirklichkeit verknüpft; es reicht bis zu ihr.

2.1512

Es ist wie ein Maßstab an die Wirklichkeit angelegt.

2.15121

Nur die äußersten Punkte der Teilstriche berühren den zu messenden Gegenstand.

2.1513

Nach dieser Auffassung gehört also zum Bilde auch noch die abbildende Beziehung, die es zum Bild macht.

2.1514

Die abbildende Beziehung besteht aus den Zuordnungen der Elemente des Bildes und der Sachen.

2.1515

Diese Zuordnungen sind gleichsam die Fühler der Bildelemente, mit denen das Bild die Wirklichkeit berührt.

2.16
[15]

Die Tatsache muß um Bild zu sein, etwas mit dem Abgebildeten gemeinsam haben.

2.161

In Bild und Abgebildetem muß etwas identisch sein, damit das eine überhaupt ein Bild des anderen sein kann.

2.17

Was das Bild mit der Wirklichkeit gemein haben muß, um sie auf seine Art und Weise – richtig oder falsch – abbilden zu können, ist seine Form der Abbildung.

2.171

Das Bild kann jede Wirklichkeit abbilden, deren Form es hat. Das räumliche Bild alles Räumliche, das farbige alles Farbige, etc..

2.172

Seine Form der Abbildung aber kann das Bild nicht abbilden; es weist sie auf.

2.173

Das Bild stellt sein Objekt von außerhalb dar (sein Standpunkt ist seine Form der Darstellung), darum stellt das Bild sein Objekt richtig oder falsch dar.

2.174

Das Bild kann sich aber nicht außerhalb seiner Form der Darstellung stellen.

2.18

Was jedes Bild, welcher Form immer, mit der Wirklichkeit gemein haben muß, um sie überhaupt – richtig oder falsch – abbilden zu können, ist die logische Form, das ist die Form der Wirklichkeit.

2.181

Ist die Form der Abbildung die logische Form, so heißt das Bild das logische Bild.

2.182

Jedes Bild ist auch ein logisches. (Dagegen ist z. B. nicht jedes Bild ein räumliches.)

2.19

Das logische Bild kann die Welt abbilden.

2.2

Das Bild hat mit dem Abgebildeten die logische Form der Abbildung gemein.

2.201
[16]

Das Bild bildet die Wirklichkeit ab, indem es eine Möglichkeit des Bestehens und Nichtbestehens von Sachverhalten darstellt.

2.202

Das Bild stellt eine mögliche Sachlage im logischen Raume dar.

2.203

Das Bild enthält die Möglichkeit der Sachlage, die es darstellt.

2.21

Das Bild stimmt mit der Wirklichkeit überein oder nicht überein; es ist richtig oder unrichtig, wahr oder falsch.

2.22

Das Bild stellt dar, was es darstellt, unabhängig von seiner Wahr- oder Falschheit, durch die Form der Abbildung.

2.221

Was das Bild darstellt, ist sein Sinn.

2.222

In der Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung seines Sinnes mit der Wirklichkeit besteht seine Wahrheit oder Falschheit.

2.223

Um zu erkennen, ob das Bild wahr oder falsch ist, müssen wir es mit der Wirklichkeit vergleichen.

2.224

Aus dem Bild allein ist nicht zu erkennen, ob es wahr oder falsch ist.

2.225

Ein a priori wahres Bild gibt es nicht.

3

Das logische Bild der Tatsachen ist der Gedanke.

3.001

»Ein Sachverhalt ist denkbar« heißt: Wir können uns ein Bild von ihm machen.

3.01

Die Gesamtheit der wahren Gedanken ist ein Bild der Welt.

3.02

Der Gedanke enthält die Möglichkeit der Sachlage, die er denkt. Was denkbar ist, ist auch möglich.

3.03

Wir können nichts Unlogisches denken, weil wir sonst unlogisch denken müßten.

3.031

Man sagte einmal, daß Gott alles schaffen könne, [17]nur nichts, was den logischen Gesetzen zuwider wäre. – Wir könnten nämlich von einer »unlogischen« Welt nicht sagen, wie sie aussähe.

3.032

Etwas »der Logik Widersprechendes« in der Sprache darstellen, kann man ebensowenig, wie in der Geometrie eine den Gesetzen des Raumes widersprechende Figur durch ihre Koordinaten darstellen; oder die Koordinaten eines Punktes angeben, welcher nicht existiert.

3.0321

Wohl können wir einen Sachverhalt räumlich darstellen, welcher den Gesetzen der Physik, aber keinen, der den Gesetzen der Geometrie zuwiderliefe.

3.04

Ein a priori richtiger Gedanke wäre ein solcher, dessen Möglichkeit seine Wahrheit bedingte.

3.05

Nur so könnten wir a priori wissen, daß ein Gedanke wahr ist, wenn aus dem Gedanken selbst (ohne Vergleichsobjekt) seine Wahrheit zu erkennen wäre.

3.1

Im Satz drückt sich der Gedanke sinnlich wahrnehmbar aus.

3.11

Wir benützen das sinnlich wahrnehmbare Zeichen (Laut- oder Schriftzeichen, etc.) des Satzes als Projektion der möglichen Sachlage.

 Die Projektionsmethode ist das Denken des Satz-Sinnes.

3.12

Das Zeichen, durch welches wir den Gedanken ausdrücken, nenne ich das Satzzeichen. Und der Satz ist das Satzzeichen in seiner projektiven Beziehung zur Welt.

3.13

Zum Satz gehört alles, was zur Projektion gehört; aber nicht das Projizierte.

 [18]Also die Möglichkeit des Projizierten; aber nicht dieses selbst.

 Im Satz ist also sein Sinn noch nicht enthalten, wohl aber die Möglichkeit ihn auszudrücken.

 (»Der Inhalt des Satzes« heißt der Inhalt des sinnvollen Satzes.)

 Im Satz ist die Form seines Sinnes enthalten, aber nicht dessen Inhalt.

3.14

Das Satzzeichen besteht darin, daß sich seine Elemente, die Wörter, in ihm auf bestimmte Art und Weise zu einander verhalten.

 Das Satzzeichen ist eine Tatsache.

3.141

Der Satz ist kein Wörtergemisch. – (Wie das musikalische Thema kein Gemisch von Tönen.)

 Der Satz ist artikuliert.

3.142

Nur Tatsachen können einen Sinn ausdrücken, eine Klasse von Namen kann es nicht.

3.143

Daß das Satzzeichen eine Tatsache ist, wird durch die gewöhnliche Ausdrucksform der Schrift oder des Druckes verschleiert.

 Denn im gedruckten Satz z. B. sieht das Satzzeichen nicht wesentlich verschieden aus vom Wort.

 (So war es möglich, daß Frege den Satz einen zusammengesetzten Namen nannte.)

3.1431

Sehr klar wird das Wesen des Satzzeichens, wenn wir es uns, statt aus Schriftzeichen, aus räumlichen Gegenständen (etwa Tischen, Stühlen, Büchern) zusammengesetzt denken.

 Die gegenseitige räumliche Lage dieser Dinge drückt dann den Sinn des Satzes aus.

3.1432

Nicht: »das komplexe Zeichen ›aRb‹ sagt, daß a in der [19]Beziehung R zu b steht«, sondern: daß »a« in einer gewissen Beziehung zu »b« steht, sagt, daß aRb.

3.144

Sachlagen kann man beschreiben, nicht benennen.

 (Namen gleichen Punkten, Sätze Pfeilen – sie haben Sinn.)

3.2

Im Satze kann der Gedanke so ausgedrückt sein, daß den Gegenständen des Gedankens Elemente des Satzzeichens entsprechen.

3.201

Diese Elemente nenne ich »einfache Zeichen« und den Satz »vollständig analysiert«.

3.202

Die im Satze angewandten einfachen Zeichen heißen Namen.

3.203

Der Name bedeutet den Gegenstand. Der Gegenstand ist seine Bedeutung.

 (»A« ist dasselbe Zeichen wie »A«.)

3.21

Der Konfiguration der einfachen Zeichen im Satzzeichen entspricht die Konfiguration der Gegenstände in der Sachlage.

3.22

Der Name vertritt im Satz den Gegenstand.

3.221

Die Gegenstände kann ich nur nennen. Zeichen vertreten sie.

 Ich kann nur von ihnen sprechen, sie aussprechen kann ich nicht.

 Ein Satz kann nur sagen, wie ein Ding ist, nicht was es ist.

3.23

Die Forderung der Möglichkeit der einfachen Zeichen ist die Forderung der Bestimmtheit des Sinnes.

3.24

Der Satz, welcher vom Komplex handelt, steht in interner Beziehung zum Satze, der von dessen Bestandteil handelt.

 Der Komplex kann nur durch seine Beschreibung [20]gegeben sein, und diese wird stimmen oder nicht stimmen. Der Satz, in welchem von einem Komplex die Rede ist, wird, wenn dieser nicht existiert, nicht unsinnig, sondern einfach falsch sein.

 Daß ein Satzelement einen Komplex bezeichnet, kann man aus einer Unbestimmtheit in den Sätzen sehen, worin es vorkommt. Wir wissen, durch diesen Satz ist noch nicht alles bestimmt. (Die Allgemeinheitsbezeichnung enthält ja ein Urbild.)

 Die Zusammenfassung des Symbols eines Komplexes in ein einfaches Symbol kann durch eine Definition ausgedrückt werden.

3.25

Es gibt eine und nur eine vollständige Analyse des Satzes.

3.251

Der Satz drückt auf bestimmte, klar angebbare Weise aus, was er ausdrückt: Der Satz ist artikuliert.

3.26

Der Name ist durch keine Definition weiter zu zergliedern; er ist ein Urzeichen.

3.261

Jedes definierte Zeichen bezeichnet über jene Zeichen, durch welche es definiert wurde; und die Definitionen weisen den Weg. Zwei Zeichen, ein Urzeichen, und ein durch Urzeichen definiertes, können nicht auf dieselbe Art und Weise bezeichnen. Namen kann man nicht durch Definitionen auseinanderlegen. (Kein Zeichen, welches allein, selbständig, eine Bedeutung hat.)

3.262

Was in den Zeichen nicht zum Ausdruck kommt, das zeigt ihre Anwendung. Was die Zeichen verschlucken, das spricht ihre Anwendung aus.

3.263

Die Bedeutungen von Urzeichen können durch Erläuterungen erklärt werden. Erläuterungen sind [21]Sätze, welche die Urzeichen enthalten. Sie können also nur verstanden werden, wenn die Bedeutungen dieser Zeichen bereits bekannt sind.

3.3

Nur der Satz hat Sinn; nur im Zusammenhange des Satzes hat ein Name Bedeutung.

3.31

Jeden Teil des Satzes, der seinen Sinn charakterisiert, nenne ich einen Ausdruck (ein Symbol).

 (Der Satz selbst ist ein Ausdruck.)

 Ausdruck ist alles, für den Sinn des Satzes Wesentliche, was Sätze mit einander gemein haben können.

 Der Ausdruck kennzeichnet eine Form und einen Inhalt.

3.311

Der Ausdruck setzt die Formen aller Sätze voraus, in welchen er vorkommen kann.

 Er ist das gemeinsame charakteristische Merkmal einer Klasse von Sätzen.

3.312

Er wird also dargestellt durch die allgemeine Form der Sätze, die er charakterisiert.

 Und zwar wird in dieser Form der Ausdruck konstant und alles übrige variabel sein.

3.313

Der Ausdruck wird also durch eine Variable dargestellt, deren Werte die Sätze sind, die den Ausdruck enthalten.

 (Im Grenzfall wird die Variable zur Konstanten, der Ausdruck zum Satz.)

 Ich nenne eine solche Variable »Satzvariable«.

3.314

Der Ausdruck hat nur im Satz Bedeutung. Jede Variable läßt sich als Satzvariable auffassen.

 (Auch der variable Name.)

3.315

Verwandeln wir einen Bestandteil eines Satzes in eine Variable, so gibt es eine Klasse von Sätzen, [22]welche sämtlich Werte des so entstandenen variablen Satzes sind. Diese Klasse hängt im allgemeinen noch davon ab, was wir, nach willkürlicher Übereinkunft, mit Teilen jenes Satzes meinen. Verwandeln wir aber alle jene Zeichen, deren Bedeutung willkürlich bestimmt wurde, in Variable, so gibt es nun noch immer eine solche Klasse. Diese aber ist nun von keiner Übereinkunft mehr abhängig, sondern nur noch von der Natur des Satzes. Sie entspricht einer logischen Form – einem logischen Urbild.

3.316

Welche Werte die Satzvariable annehmen darf, wird festgesetzt.

 Die Festsetzung der Werte ist die Variable.

3.317

Die Festsetzung der Werte der Satzvariablen ist die Angabe der Sätze, deren gemeinsames Merkmal die Variable ist.

 Die Festsetzung ist eine Beschreibung dieser Sätze.

 Die Festsetzung wird also nur von Symbolen, nicht von deren Bedeutung handeln.

 Und nur dies ist der Festsetzung wesentlich, daß sie nur eine Beschreibung von Symbolen ist und nichts über das Bezeichnete aussagt.

 Wie die Beschreibung der Sätze geschieht, ist unwesentlich.

3.318

Den Satz fasse ich – wie Frege und Russell – als Funktion der in ihm enthaltenen Ausdrücke auf.

3.32

Das Zeichen ist das sinnlich Wahrnehmbare am Symbol.

3.321

Zwei verschiedene Symbole können also das Zeichen (Schriftzeichen oder Lautzeichen, etc.) mit [23]einander gemein haben – sie bezeichnen dann auf verschiedene Art und Weise.

3.322

Es kann nie das gemeinsame Merkmal zweier Gegenstände anzeigen, daß wir sie mit demselben Zeichen, aber durch zwei verschiedene Bezeichnungsweisen bezeichnen. Denn das Zeichen ist ja willkürlich. Man könnte also auch zwei verschiedene Zeichen wählen, und wo bliebe dann das Gemeinsame in der Bezeichnung.

3.323

In der Umgangssprache kommt es ungemein häufig vor, daß dasselbe Wort auf verschiedene Art und Weise bezeichnet – also verschiedenen Symbolen angehört –, oder, daß zwei Wörter, die auf verschiedene Art und Weise bezeichnen, äußerlich in der gleichen Weise im Satze angewandt werden.

 So erscheint das Wort »ist« als Kopula, als Gleichheitszeichen und als Ausdruck der Existenz; »existieren« als intransitives Zeitwort wie »gehen«; »identisch« als Eigenschaftswort; wir reden von Etwas, aber auch davon, daß etwas geschieht.

 (Im Satze »Grün ist grün« – wo das erste Wort ein Personenname, das letzte ein Eigenschaftswort ist – haben diese Worte nicht einfach verschiedene Bedeutung, sondern es sind verschiedene Symbole.)

3.324

So entstehen leicht die fundamentalsten Verwechslungen (deren die ganze Philosophie voll ist).

3.325

Um diesen Irrtümern zu entgehen, müssen wir eine Zeichensprache verwenden, welche sie ausschließt, indem sie nicht das gleiche Zeichen in verschiedenen Symbolen, und Zeichen, welche auf verschiedene Art bezeichnen, nicht äußerlich auf die gleiche Art [24]verwendet. Eine Zeichensprache also, die der logischen Grammatik – der logischen Syntax – gehorcht.

 (Die Begriffsschrift Freges und Russells ist eine solche Sprache, die allerdings noch nicht alle Fehler ausschließt.)

3.326

Um das Symbol am Zeichen zu erkennen, muß man auf den sinnvollen Gebrauch achten.

3.327

Das Zeichen bestimmt erst mit seiner logisch-syntaktischen Verwendung zusammen eine logische Form.

3.328

Wird ein Zeichen nicht gebraucht, so ist es bedeutungslos. Das ist der Sinn der Devise Occams.

 (Wenn sich alles so verhält als hätte ein Zeichen Bedeutung, dann hat es auch Bedeutung.)

3.33

In der logischen Syntax darf nie die Bedeutung eines Zeichens eine Rolle spielen; sie muß sich aufstellen lassen, ohne daß dabei von der Bedeutung eines Zeichens die Rede wäre, sie darf nur die Beschreibung der Ausdrücke voraussetzen.

3.331

Von dieser Bemerkung sehen wir in Russells »Theory of types« hinüber: Der Irrtum Russells zeigt sich darin, daß er bei der Aufstellung der Zeichenregeln von der Bedeutung der Zeichen reden mußte.

3.332

Kein Satz kann etwas über sich selbst aussagen, weil das Satzzeichen nicht in sich selbst enthalten sein kann. (Das ist die ganze »Theory of types«.)

3.333

Eine Funktion kann darum nicht ihr eigenes Argument sein, weil das Funktionszeichen bereits das Urbild seines Arguments enthält und es sich also nicht selbst enthalten kann.

 Nehmen wir nämlich an, die Funktion F(fx) [25]könnte ihr eigenes Argument sein; dann gäbe es also einen Satz: »F(F(fx))«, und in diesem müssen die äußere Funktion F und die innere Funktion F verschiedene Bedeutungen haben, denn die innere hat die Form (fx), die äußere die Form ψ((fx)). Gemeinsam ist den beiden Funktionen nur der Buchstabe »F«, der aber allein nichts bezeichnet.

 Dies wird sofort klar, wenn wir statt »F(F(u))« schreiben »(∃):F(u).u = Fu«.

 Hiermit erledigt sich Russells Paradox.

3.334

Die Regeln der logischen Syntax müssen sich von selbst verstehen, wenn man nur weiß, wie ein jedes Zeichen bezeichnet.

3.34

Der Satz besitzt wesentliche und zufällige Züge.

 Zufällig sind die Züge, die von der besonderen Art der Hervorbringung des Satzzeichens herrühren. Wesentlich diejenigen, welche allein den Satz befähigen, seinen Sinn auszudrücken.

3.341

Das Wesentliche am Satz ist also das, was allen Sätzen, welche den gleichen Sinn ausdrücken können, gemeinsam ist.

 Und ebenso ist allgemein das Wesentliche am Symbol das, was alle Symbole, die denselben Zweck erfüllen können, gemeinsam haben.

3.3411

Man könnte also sagen: Der eigentliche Name ist das, was alle Symbole, die den Gegenstand bezeichnen können, gemeinsam haben. Es würde sich so sukzessive ergeben, daß keinerlei Zusammensetzung für den Namen wesentlich ist.

3.342

An unseren Notationen ist zwar etwas willkürlich, aber das ist nicht willkürlich: Daß, wenn wir etwas [26]willkürlich bestimmt haben, dann etwas anderes der Fall sein muß. (Dies hängt von dem Wesen der Notation ab.)

3.3421

Eine besondere Bezeichnungsweise mag unwichtig sein, aber wichtig ist es immer, daß diese eine mögliche Bezeichnungsweise ist.

 Und so verhält es sich in der Philosophie überhaupt: Das Einzelne erweist sich immer wieder als unwichtig, aber die Möglichkeit jedes Einzelnen gibt uns einen Aufschluß über das Wesen der Welt.

3.343

Definitionen sind Regeln der Übersetzung von einer Sprache in eine andere. Jede richtige Zeichensprache muß sich in jede andere nach solchen Regeln übersetzen lassen: Dies ist, was sie alle gemeinsam haben.

3.344

Das, was am Symbol bezeichnet, ist das Gemeinsame aller jener Symbole, durch die das erste den Regeln der logischen Syntax zufolge ersetzt werden kann.

3.3441

Man kann z. B. das Gemeinsame aller Notationen für die Wahrheitsfunktionen so ausdrücken: Es ist ihnen gemeinsam, daß sie sich alle – z. B. – durch die Notation von »~p« (»nicht p«) und »pq« (»p oder q«) ersetzen lassen.

 (Hiermit ist die Art und Weise gekennzeichnet, wie eine spezielle mögliche Notation uns allgemeine Aufschlüsse geben kann.)

3.3442

Das Zeichen des Komplexes löst sich auch bei der Analyse nicht willkürlich auf, so daß etwa seine Auflösung in jedem Satzgefüge eine andere wäre.

3.4

Der Satz bestimmt einen Ort im logischen Raum. Die Existenz dieses logischen Ortes ist durch die [27]Existenz der Bestandteile allein verbürgt, durch die Existenz des sinnvollen Satzes.

3.41

Das Satzzeichen und die logischen Koordinaten: Das ist der logische Ort.

3.411

Der geometrische und der logische Ort stimmen darin überein, daß beide die Möglichkeit einer Existenz sind.

3.42

Obwohl der Satz nur einen Ort des logischen Raumes bestimmen darf, so muß doch durch ihn schon der ganze logische Raum gegeben sein.

 (Sonst würden durch die Verneinung, die logische Summe, das logische Produkt, etc. immer neue Elemente – in Koordination – eingeführt.)

 (Das logische Gerüst um das Bild herum bestimmt den logischen Raum. Der Satz durchgreift den ganzen logischen Raum.)

3.5

Das angewandte, gedachte, Satzzeichen ist der Gedanke.

4

Der Gedanke ist der sinnvolle Satz.

4.001

Die Gesamtheit der Sätze ist die Sprache.

4.002

Der Mensch besitzt die Fähigkeit Sprachen zu bauen, womit sich jeder Sinn ausdrücken läßt, ohne eine Ahnung davon zu haben, wie und was jedes Wort bedeutet. – Wie man auch spricht, ohne zu wissen, wie die einzelnen Laute hervorgebracht werden.

 Die Umgangssprache ist ein Teil des menschlichen Organismus und nicht weniger kompliziert als dieser.

 Es ist menschenunmöglich, die Sprachlogik aus ihr unmittelbar zu entnehmen.

 Die Sprache verkleidet den Gedanken. Und zwar [28]so, daß man nach der äußeren Form des Kleides nicht auf die Form des bekleideten Gedankens schließen kann; weil die äußere Form des Kleides nach ganz anderen Zwecken gebildet ist, als danach, die Form des Körpers erkennen zu lassen.

 Die stillschweigenden Abmachungen zum Verständnis der Umgangssprache sind enorm kompliziert.

4.003

Die meisten Sätze und Fragen, welche über philosophische Dinge geschrieben worden sind, sind nicht falsch, sondern unsinnig. Wir können daher Fragen dieser Art überhaupt nicht beantworten, sondern nur ihre Unsinnigkeit feststellen. Die meisten Fragen und Sätze der Philosophen beruhen darauf, daß wir unsere Sprachlogik nicht verstehen.

 (Sie sind von der Art der Frage, ob das Gute mehr oder weniger identisch sei als das Schöne.)

 Und es ist nicht verwunderlich, daß die tiefsten Probleme eigentlich keine Probleme sind.

4.0031

Alle Philosophie ist »Sprachkritik«. (Allerdings nicht im Sinne Mauthners.)

 Russells Verdienst ist es, gezeigt zu haben, daß die scheinbare logische Form des Satzes nicht seine wirkliche sein muß.

4.01

Der Satz ist ein Bild der Wirklichkeit.

 Der Satz ist ein Modell der Wirklichkeit, so wie wir sie uns denken.

4.011

Auf den ersten Blick scheint der Satz – wie er etwa auf dem Papier gedruckt steht – kein Bild der Wirklichkeit zu sein, von der er handelt.

 Aber auch die Notenschrift scheint auf den ersten [29]Blick kein Bild der Musik zu sein, und unsere Lautzeichen-(Buchstaben-)Schrift kein Bild unserer Lautsprache.

 Und doch erweisen sich diese Zeichensprachen auch im gewöhnlichen Sinne als Bilder dessen, was sie darstellen.

4.012

Offenbar ist, daß wir einen Satz von der Form »aRb« als Bild empfinden.

 Hier ist das Zeichen offenbar ein Gleichnis des Bezeichneten.

4.013

Und wenn wir in das Wesentliche dieser Bildhaftigkeit eindringen, so sehen wir, daß dieselbe durch scheinbare Unregelmäßigkeiten (wie die Verwendung der und in der Notenschrift) nicht gestört wird.

 Denn auch diese Unregelmäßigkeiten bilden das ab, was sie ausdrücken sollen; nur auf eine andere Art und Weise.

4.014

Die Grammophonplatte, der musikalische Gedanke, die Notenschrift, die Schallwellen, stehen alle in jener abbildenden internen Beziehung zu einander, die zwischen Sprache und Welt besteht.

 Ihnen allen ist der logische Bau gemeinsam.

 (Wie im Märchen die zwei Jünglinge, ihre zwei Pferde und ihre Lilien. Sie sind alle in gewissem Sinne Eins.)

4.0141

Daß es eine allgemeine Regel gibt, durch die der Musiker aus der Partitur die Symphonie entnehmen kann, durch welche man aus der Linie auf der Grammophonplatte die Symphonie und nach der ersten Regel wieder die Partitur ableiten kann, darin besteht eben die innere Ähnlichkeit dieser scheinbar so [30]ganz verschiedenen Gebilde. Und jene Regel ist das Gesetz der Projektion, welches die Symphonie in die Notensprache projiziert. Sie ist die Regel der Übersetzung der Notensprache in die Sprache der Grammophonplatte.

4.015

Die Möglichkeit aller Gleichnisse, der ganzen Bildhaftigkeit unserer Ausdrucksweise, ruht in der Logik der Abbildung.

4.016

Um das Wesen des Satzes zu verstehen, denken wir an die Hieroglyphenschrift, welche die Tatsachen die sie beschreibt abbildet.

 Und aus ihr wurde die Buchstabenschrift, ohne das Wesentliche der Abbildung zu verlieren.

4.02

Dies sehen wir daraus, daß wir den Sinn des Satzzeichens verstehen, ohne daß er uns erklärt wurde.

4.021

Der Satz ist ein Bild der Wirklichkeit: Denn ich kenne die von ihm dargestellte Sachlage, wenn ich den Satz verstehe. Und den Satz verstehe ich, ohne daß mir sein Sinn erklärt wurde.

4.022

Der Satz zeigt seinen Sinn.

 Der Satz zeigt, wie es sich verhält, wenn er wahr ist.

 Und er sagt, daß es sich so verhält.

4.023

Die Wirklichkeit muß durch den Satz auf ja oder nein fixiert sein.

 Dazu muß sie durch ihn vollständig beschrieben werden.

 Der Satz ist die Beschreibung eines Sachverhaltes.

 Wie die Beschreibung einen Gegenstand nach seinen externen Eigenschaften, so beschreibt der Satz die Wirklichkeit nach ihren internen Eigenschaften.

 Der Satz konstruiert eine Welt mit Hilfe eines [31]logischen Gerüstes und darum kann man am Satz auch sehen, wie sich alles Logische verhält, wenn er wahr ist. Man kann aus einem falschen Satz Schlüsse ziehen.

4.024

Einen Satz verstehen, heißt, wissen was der Fall ist, wenn er wahr ist.

 (Man kann ihn also verstehen, ohne zu wissen, ob er wahr ist.)

 Man versteht ihn, wenn man seine Bestandteile versteht.

4.025

Die Übersetzung einer Sprache in eine andere geht nicht so vor sich, daß man jeden Satz der einen in einen Satz der anderen übersetzt, sondern nur die Satzbestandteile werden übersetzt.

 (Und das Wörterbuch übersetzt nicht nur Substantiva, sondern auch Zeit-, Eigenschafts- und Bindewörter, etc.; und es behandelt sie alle gleich.)

4.026

Die Bedeutungen der einfachen Zeichen (der Wörter) müssen uns erklärt werden, daß wir sie verstehen.

 Mit den Sätzen aber verständigen wir uns.

4.027

Es liegt im Wesen des Satzes, daß er uns einen neuen Sinn mitteilen kann.

4.03

Ein Satz muß mit alten Ausdrücken einen neuen Sinn mitteilen.

 Der Satz teilt uns eine Sachlage mit, also muß er wesentlich mit der Sachlage zusammenhängen.

 Und der Zusammenhang ist eben, daß er ihr logisches Bild ist.

 Der Satz sagt nur insoweit etwas aus, als er ein Bild ist.

4.031

Im Satz wird gleichsam eine Sachlage probeweise zusammengestellt.

 [32]Man kann geradezu sagen: statt, dieser Satz hat diesen und diesen Sinn: dieser Satz stellt diese und diese Sachlage dar.

4.0311

Ein Name steht für ein Ding, ein anderer für ein anderes Ding und unter einander sind sie verbunden; so stellt das Ganze – wie ein lebendes Bild – den Sachverhalt vor.

4.0312

Die Möglichkeit des Satzes beruht auf dem Prinzip der Vertretung von Gegenständen durch Zeichen.

 Mein Grundgedanke ist, daß die »logischen Konstanten« nicht vertreten. Daß sich die Logik der Tatsachen nicht vertreten läßt.

4.032

Nur insoweit ist der Satz ein Bild einer Sachlage, als er logisch gegliedert ist.

 (Auch der Satz »ambulo« ist zusammengesetzt, denn sein Stamm ergibt mit einer anderen Endung und seine Endung mit einem anderen Stamm, einen anderen Sinn.)

4.04

Am Satz muß gerade soviel zu unterscheiden sein, als an der Sachlage, die er darstellt.

 Die beiden müssen die gleiche logische (mathematische) Mannigfaltigkeit besitzen. (Vergleiche Hertz’ Mechanik, über Dynamische Modelle.)

4.041

Diese mathematische Mannigfaltigkeit kann man natürlich nicht selbst wieder abbilden. Aus ihr kann man beim Abbilden nicht heraus.

4.0411

Wollten wir z. B. das, was wir durch »(x).fx« ausdrücken, durch Vorsetzen eines Indexes vor »fx« ausdrücken – etwa so: »Alg.fx« – es würde nicht genügen – wir wüßten nicht, was verallgemeinert wurde.

 Wollten wir es durch einen Index am »x« [33]anzeigen – etwa so: »f(xa)« – es würde auch nicht genügen – wir wüßten nicht den Bereich der Allgemeinheitsbezeichnung.

 Wollten wir es durch Einführung einer Marke in die Argumentstellen versuchen – etwa so: »(A,A).f(A,A)« – es würde nicht genügen – wir könnten die Identität der Variablen nicht feststellen. U. s. w..

 Alle diese Bezeichnungsweisen genügen nicht, weil sie nicht die notwendige mathematische Mannigfaltigkeit haben.

4.0412

Aus demselben Grunde genügt die idealistische Erklärung des Sehens der räumlichen Beziehungen durch die »Raumbrille« nicht, weil sie nicht die Mannigfaltigkeit dieser Beziehungen erklären kann.

4.05

Die Wirklichkeit wird mit dem Satz verglichen.

4.06

Nur dadurch kann der Satz wahr oder falsch sein, indem er ein Bild der Wirklichkeit ist.

4.061

Beachtet man nicht, daß der Satz einen von den Tatsachen unabhängigen Sinn hat, so kann man leicht glauben, daß wahr und falsch gleichberechtigte Beziehungen von Zeichen und Bezeichnetem sind.

 Man könnte dann z. B. sagen, daß »p« auf die wahre Art bezeichnet, was »~p« auf die falsche Art, etc..

4.062

Kann man sich nicht mit falschen Sätzen, wie bisher mit wahren, verständigen? Solange man nur weiß, daß sie falsch gemeint sind. Nein! Denn, wahr ist ein Satz, wenn es sich so verhält, wie wir es durch ihn sagen; und wenn wir mit »p« ~p meinen, und es sich so verhält, wie wir es meinen, so ist »p« in der neuen Auffassung wahr und nicht falsch.

4.0621

Daß aber die Zeichen »p« und »~p« das gleiche sagen [34]können, ist wichtig. Denn es zeigt, daß dem Zeichen »~« in der Wirklichkeit nichts entspricht.

 Daß in einem Satz die Verneinung vorkommt, ist noch kein Merkmal seines Sinnes (~~p = p).

 Die Sätze »p« und »~p« haben entgegengesetzten Sinn, aber es entspricht ihnen eine und dieselbe Wirklichkeit.

4.063

Ein Bild zur Erklärung des Wahrheitsbegriffes: Schwarzer Fleck auf weißem Papier; die Form des Fleckes kann man beschreiben, indem man für jeden Punkt der Fläche angibt, ob er weiß oder schwarz ist. Der Tatsache, daß ein Punkt schwarz ist, entspricht eine positive – der, daß ein Punkt weiß (nicht schwarz) ist, eine negative Tatsache. Bezeichne ich einen Punkt der Fläche (einen Fregeschen Wahrheitswert), so entspricht dies einer Annahme, die zur Beurteilung aufgestellt wird. Etc. etc..

 Um aber sagen zu können, ein Punkt sei schwarz oder weiß, muß ich vorerst wissen, wann man einen Punkt schwarz und wann man ihn weiß nennt; um sagen zu können: »p« ist wahr (oder falsch), muß ich bestimmt haben, unter welchen Umständen ich »p« wahr nenne, und damit bestimme ich den Sinn des Satzes.

 Der Punkt an dem das Gleichnis hinkt ist nun der: Wir können auf einen Punkt des Papiers zeigen, auch ohne zu wissen, was weiß und schwarz ist; einem Satz ohne Sinn aber entspricht gar nichts, denn er bezeichnet kein Ding (Wahrheitswert) dessen Eigenschaften etwa »falsch« oder »wahr« hießen; das Verbum eines Satzes ist nicht »ist wahr« oder »ist falsch« – [35]wie Frege glaubte –, sondern das, was »wahr ist«, muß das Verbum schon enthalten.

4.064

Jeder Satz muß