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Während Matt, Tom, Xij und Hordelab in Amerika unterwegs sind, um weitere zivilisierte Völker mit Peilsendern zu versorgen, stoßen Grao und Ira endlich auf das Dorf der Daa'muren im nördlichen Indien. Doch das Wiedersehen mit den Artgenossen gestaltet sich anders als erwartet. Bald müssen sich die beiden entscheiden: Stehen sie auf der Seite der Menschheit oder der Daa'muren? Für Ira, die in den Menschen Freunde sieht, ist das schnell entschieden - aber Grao ist tief in seinem Inneren noch immer ein Kind des Wandlers. Wird er so weit gehen, Ira und ihre Mission zu verraten?
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Seitenzahl: 152
Veröffentlichungsjahr: 2017
Cover
Impressum
Was bisher geschah …
Die Kinder des Wandlers
Leserseite
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Lektorat: Michael Schönenbröcher
Titelbild: Koveck; Vadim Sadovski/shutterstock
Autor: Wolf Binder
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-5438-6
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Am 8. Februar 2012 trifft der Komet „Christopher-Floyd“ – in Wahrheit eine Arche Außerirdischer – die Erde. Ein Leichentuch aus Staub legt sich für Jahrhunderte um den Planeten. Nach der Eiszeit bevölkern Mutationen die Länder und die Menschheit ist degeneriert. In dieses Szenario verschlägt es den Piloten Matthew Drax, „Maddrax“ genannt, dessen Staffel ins Jahr 2516 versetzt wird. Zusammen mit der telepathisch begabten Kriegerin Aruula erkundet er diese für ihn fremde Erde. Bis sie durch ein Wurmloch, das sich im Forschungszentrum CERN auftut, in ein Ringplanetensystem versetzt werden, während der Mond auf die Erde zu stürzen droht.
Auf dem Ringplaneten herrschen die Initiatoren, die Spezies aus allen Teilen der Galaxis durch das Wurmloch entführen, um sie Kompatibilitäts-Tests zu unterziehen. So geraten auch Matthew Drax, Aruula und Matts Tochter Xaana in das fremde Sonnensystem, stoßen jedoch durch die Einmischung der Kontras auf das dunkle Geheimnis der Systemherren: Man will einen Teil der Menschheit auf den Mond Novis umsiedeln, um deren Gehirne für eine Art Superrechner zu nutzen, und macht sich die Zwangslage zu Nutze, dass der Erdmond abzustürzen droht. Doch dann werden die Gefährten gefangen und ihrer Erinnerungen beraubt. So helfen sie in gutem Glauben den Initiatoren bei ihren Versklavungsplänen.
Während Aruula und Xaana auf Novis bleiben, reisen Matt und der Initiator Hordelab zur Erde, um Peilsender an hochstehende Zivilisationen zu verteilen, mittels derer sie später geortet und evakuiert werden sollen. Um Kontakt zu Techno-Enklaven aufzunehmen, lassen die Wissenschaftler vom Hort des Wissens einen Satelliten aufsteigen. Begleitet von Xij, der Mutter Xaanas, und deren Mann Tom Ericson macht sich Matt mit dem Amphibienpanzer PROTO auf den Weg, derweil Hordelab nach Agartha springt, um den Bau einer Transport-Plattform für das Wurmloch zu überwachen – und festgesetzt wird. Derweil trifft Matt auf die Kolonie Colonel Kormaks, erkennt aber dessen Machtgier und überlässt ihm keinen der Peilsender.
In Agartha begegnet Hordelab den Daa’muren Grao und Ira, die eine mysteriöse Verbindung zwischen sich erkennen. Die beiden verhelfen dem Initiator zur Flucht und schließen sich Matt, Tom und Xij an. Als sie von einem Dorf mit überlebenden Daa’muren in Indien erfahren, wollen Grao und Ira es ausfindig machen. Matt überlässt ihnen PROTO, während er mit den anderen nach Meeraka springt.
In Waashton erleben sie einen Aufstand der Nosfera mit, die eine Prophezeiung auf den abstürzenden Mond anwenden wollen, um die Herrschaft über die Menschen zu erlangen. In El’ay verhindern sie, dass sich die Lava eines ausbrechenden Vulkans in die Stadt ergießt, und in Sub’Sisco helfen sie dem Androiden Miki Takeo dabei, Menschen und Mendriten aus der einsturzgefährdeten Unterwasserstadt zu retten. Dabei lokalisieren Tom und Xij weitere Techno-Enklaven in Meeraka, zu denen sie sich anschließend auf den Weg machen.
Die Kinder des Wandlers
von Wolf Binder
Der oberste Herr begutachtete die eingefangenen Weichhäute.
„Hast nicht Zufriedenheit?“, fragte Hinchiz. Nachdenklich kratzte er sich mit der Klauenhand über die Schuppen und versuchte, sich an den Auftrag des Herren zu erinnern. Fünf Weichhäute, hatte er verlangt. Eins, zwei, drei, vier … fünf Weichhäute hatten sie ihm gebracht. „Lebt und zappelt alles.“
Der Wandelbare verschränkte die Arme. „Ihr kommt spät“, sagte er und deutete auf die Morgensonne. „Hat man euch entdeckt?“
Hinchiz schüttelte den Kopf. „Wir sind Vorsicht. Nicht dummlaut.“
„Lasst diese drei hier. Mit den beiden anderen macht, was ihr wollt. Solange ihr sie nicht laufen lasst.“
Hinchiz schnaubte Frostatem aus und ließ seine spitzen Zahnreihen aufeinander krachen. „Werden letzten Weg gehen.“
„Was haben sie vor?“, keuchte Gal’hal’ira und deutete auf einen Bildschirm.
Eine Außenkamera des Amphibienpanzers fing das Bild einer Barbarengruppe am Steilhang vor ihnen ein. Staub und Gesteinsbrocken rieselten über eine Absperrung aus Baumstämmen, als die in Leder gehüllten Gestalten sich daran zu schaffen machten.
Mit Entsetzen beobachtete Grao, wie die Barriere nachgab und eine Gerölllawine über den Abhang herabstürzte.
Fluchend beschleunigte er PROTO. Die großen Plastiflex-Räder trieben den Panzer vorwärts, rumpelten durch Schlaglöcher und über Felsbrocken. Es war nicht leicht, das Ungetüm auf der gewundenen Straße zu halten – allein mit seinen sechs Metern Breite ragte er darüber hinaus.
Dem Steinschlag zur anderen Seite hin auszuweichen war zu gefährlich. Dabei machten ihm die Bäume weniger Sorgen als die Felsblöcke, die zwischen ihnen lagen. Offenbar hatten diese Wilden ihre Geröllfalle nicht zum ersten Mal eingesetzt.
„Wir hätten nicht anhalten dürfen“, sagte Ira.
„Das hätten wir bei den letzten drei Zwischenstopps nicht“, antwortete Grao. „Je näher wir unserem Ziel kommen, desto verrückter gebärden sich die Primärrassenvertreter.“
„Achtung!“
Vor ihnen lag ein gewaltiger Felsblock auf der Straße.
Grao zwang den Panzer nach links, vorbei am Felsen in eine Senke voller Buschwerk und junger, dünnstämmiger Bäume. Knackend und krachend zog der fünfzehn Meter lange Koloss eine Schneise durchs Gehölz. Dreck spritzte hoch und Holz splitterte.
PROTO verlor rapide an Geschwindigkeit und der Antrieb heulte auf, als die Räder durchdrehten. Mit dem letzten bisschen Schwung kamen sie der Straße nahe genug, dass die Vorderräder wieder Halt fanden. Schotter flog und der Panzer nahm Fahrt auf.
Hinter ihnen ergoss sich die Gerölllawine auf die Straße und versperrte den Durchgang zum Dorf der Wilden.
Grao atmete auf und reduzierte das Fahrtempo, während die Felsformationen zu ihrer Rechten in flaches Geländer übergingen und hinter ihnen zurückfielen.
„In guter Mission unterwegs zu sein ist leider nicht immer erfreulich“, sagte Ira und lehnte sich im Copiloten-Sitz zurück. „Dabei hatte ich ein gutes Gefühl bei dieser Siedlung.“
„Gefühle werden überschätzt“, kommentierte Grao. „Wir sind Daa’muren und sollten der Logik vertrauen.“ Dass es nicht so einfach war, wusste Grao’sil’aana nur zu gut. Selbst er war mit der Zeit gegenüber Emotionen anfällig geworden; mit Daa’tan hatte es begonnen und bei Gal’hal’ira setzte es sich fort.
„Ohne Gefühle müsstest du auf das hier verzichten.“ Ira deutete mit einer Geste auf ihren Körper und lächelte verschmitzt. „Und du glaubst nicht, wie kalt eine einsame Nacht sein kann.“
Die Straße führte in südöstlicher Richtung und machte nach fünfzehn Kilometern einen Schwenk nach Süden, um sich dem Lauf eines breiten Stroms anzupassen.
Blattlose Wälder, Hitze und Staub dominierten Induu. Das hatten die beiden Daa’muren bereits aus der Luft beobachtet, als sie vor Wochen das Lonsdaleit für die Agarther in Induu beschafft hatten. Früher war das Land eine artenreiche Dschungelzone gewesen, doch seit sich der Mond der Erde annäherte, unterlag alles dem Wandel.
Grao lenkte den Panzer an das Steilufer und stellte den Antrieb ab. Während Ira durch die Heckluke ins Freie trat, kletterte Grao durch den Notausstieg an der Oberseite. Die zusätzlichen fünf Meter Höhenunterschied verhalfen ihm zu einer guten Aussicht.
Fahlgelber Boden beherrschte die weiten Ebenen, die toten Bäume waren großteils zerborsten und ragten wie Stachel aus dem kargen Erdreich. Nur einzelne ferne Waldstreifen durchzogen mattgrün das Land.
Grao setzte sich auf die aufgeheizte Panzerung. Seine Schuppen raschelten, als er eine Hautfalte öffnete und das Kristallfragment ans Licht der Vormittagssonne holte. Seit ihm dieses unerwartete Zeugnis daa’murischen Lebens in die Hände gefallen war, fühlte er sich seinem Volk wieder näher. So unsinnig dieser Gedanke auch sein mochte.
„Ein interessantes Land.“ Ira war ebenfalls auf das Dach gestiegen und leistete Grao Gesellschaft. „Ein bisschen heiß und zu aggressive Bewohner, aber wenigstens gibt es Wasser“, sagte sie und beschattete die Augen. „Sind wir hier richtig?“
Grao schloss die Hand um den grün glimmenden Daa’murenkristall und konzentrierte sich auf die leichte Vibration. „Er schwingt stärker als je zuvor“, antwortete er auf Iras Frage. „Aber die Richtung ist unklar. Wir sollten uns von der Vorstellung verabschieden, dass uns der Splitter bis vor die Tore der Daa’muren-Enklave bringt.“
„Ich bin sicher, dass wir die Siedlung nicht übersehen können, selbst wenn wir es wollten.“
Grao nickte. In Iras Worten schwang eine ungewisse Furcht mit. Auch Grao war unschlüssig, wie sich das Zusammentreffen gestalten würde, vor allem wegen der Entscheidung über die Evakuierung nach Novis.
Sie kehrten in den Amphibienpanzer zurück und studierten das gespeicherte Kartenmaterial, das mehr als fünfhundert Gestirnumkreisungen alt war und aus der Zeit vor der Ankunft des Wandlers stammte. Trotz der Veränderungen während dieser Zeit waren sie ausgesprochen nützlich. Der breite Strom vor ihnen musste der Ganges sein, der sich weiter südostwärts schlängelte, bis er sich in Allahabad mit dem Yamuna vereinte.
Sie führten die Reise fort und gelangten an eine Furt. Weil sie diesseits des Stroms wiederholt auf wilde Barbarenstämme gestoßen waren, setzten sie über und tauchten in eine der toten Waldungen ein.
„Ich mag diesen Ort nicht“, sagte Ira. „Er atmet Verderben. Alles ist verdorrt und die Bäume sehen aus, als hätten sie einen qualvollen Todeskampf hinter sich.“
„Und genau wie der ganze Planet haben sie ihn verloren.“
„Bei Sol’daa’muran!“, rief Ira und justierte eine Außenkamera nach. „Da war etwas!“
Grao richtete seine Aufmerksamkeit auf den Monitor und entdeckte tiefer im Wald einen Schutzwall. Er war aus dem Holz der toten Bäume erbaut und mochte an die sechs Meter hoch sein. Aus dem Augenwinkel bemerkte er eine Bewegung durch eines der vorderen Sichtfenster.
Das mutierte Horsay eines Gespanns scheute und bäumte sich auf, als Grao viel zu spät auswich. Der Wagen schleuderte und überschlug sich.
„Halt sofort an!“, forderte Ira. „Wir müssen nachsehen, ob jemand verletzt wurde.“
„Bist du verrückt? Bei unserem Glück auf den letzten viertausend Kilometern sind das abermals nur aggressive Einfaltspinsel. Und komm mir nicht damit, dass es die Daa’muren-Enklave sein könnte. Wir sind ihr zwar nahe, aber so nahe auch wieder nicht.“
Über Iras blassblau geschuppte Stirn zog sich eine Zornesfalte. „Den Unfall hast du mit deinen Fahrkünsten verschuldet. Halt sofort an!“
Einen Moment war Grao versucht, Iras Wunsch zu ignorieren, aber er wollte sich in den nächsten Stunden, vielleicht sogar Tagen nicht mit einer verärgerten Daa’murin herumschlagen.
Also bremste er ab und nahm, bevor sie ausstiegen, die Gestalt eines hochgewachsenen Technos an, den er immer wieder auf ihrer Reise imitiert hatte. Auch Ira blieb ihrer Wahl treu: eine langhaarige Amazone vom Volk der Dreizehn Inseln. Als Kleidung – ebenfalls aus ihren Schuppen geformt – trugen sie beide einen metallisch glänzenden Overall, wie er für Technos typisch war.
Sie verließen PROTO durch die Heckklappe und sicherten den Zugang. Waffen führten sie nicht mit sich, das würde nur die Primärrassenvertreter nervös machen, außerdem war ihr Körper Waffe genug.
Der verunfallte Wagen hatte sich quer vor einen Baum gelegt. Drei bärtige Männer, bedeckt mit Staub und Schmutz, versuchten ihn aufzurichten, was durch das angespannte Horsay erschwert wurde. Es tänzelte herum, zerrte am Geschirr und zertrat die herumliegenden Früchte und Wurzeln, die von der Ladefläche gerutscht waren.
„Entschuldigt!“, rief Ira und trat auf sie zu.
Die drei fuhren herum. Der Leinenkleidung nach zu urteilen gehörten sie keinem der Barbarenstämme an, aber für Technos schienen sie und ihr Gespann zu rückschrittlich. Außerdem trugen sie keine Waffen.
Ira wandte sich an einen Mann mit kurzgeschorenen Haaren. Mit seinen gut dreißig Jahren schien er der Älteste der Gruppe zu sein. „Wir waren abgelenkt und haben euer Gefährt zu spät bemerkt“, sagte sie entschuldigend. „Das ist Grao, mein Name ist Ira.“
Grao zweifelte, ob der Primärrassenvertreter überhaupt die Sprache der Wandernden Völker verstand. Doch die Miene des Mannes hellte sich auf. „Hari“, sagte er. „Das sind Uudai und Pratap. Wir kommen vom Wurzelfeld und … Vishnu sei Dank ist nichts Schlimmeres passiert.“ Seine Aussprache war holprig und manche Worte muteten verdreht an, dennoch waren sie zu verstehen.
„Mein Begleiter ist ein miserabler Fahrer“, sagte Ira und erntete von Grao einen missmutigen Blick.
Hari nickte. „Jeder macht Fehler, aber nicht jeder steht zu ihnen.“
Ira deutete auf das Horsay. „Ich kann gut mit Tieren. Darf ich …?“
Der Bärtige sah sie verblüfft an. „Ja … sicher.“
Ira stellte sich vor das Horsay und stieß seltsam kehlige Laute aus. Das gefährliche Stirnhorn des Tieres senkte sich, und tatsächlich wurde es schlagartig ruhiger. Grao schüttelte den Kopf. Er wusste, dass Ira anders war, aber dieses Einfühlungsvermögen war erschreckend. Er selbst hätte das Tier kurzerhand getötet, um Wagen und Ware zu bergen.
Gemeinsam kippten sie den Wagen auf die Räder und luden die Ernte auf.
„Ihr kommt aus der Siedlung?“, erkundigte sich Ira beiläufig.
„Suganj ist mittlerweile unser Zuhause“, antwortete Hari rätselhaft. „Wo liegen eure Wurzeln?“
„Wir sind Reisende und kommen weit aus dem Westen.“
„Aus Peersa?“, riet Hari. „Tuurk oder Euree?“
Grao war erstaunt. „Woher kennst du diese Orte?“
Hari lächelte. „Nur wegen unserer ärmlichen Kleidung müssen wir nicht dumm sein.“
„Besonders schlau seid ihr aber auch nicht“, entgegnete Grao. „Sonst würdet ihr nicht unbewaffnet herumlaufen.“
Hari ließ sich nicht davon beeindrucken. „Die wilden Stämme wagen sich nicht so nahe an Allahabad heran“, sagte er. „Gleichzeitig ist es weit genug entfernt, dass Drakullen nur selten hier auftauchen. Außerdem …“, er holte eine stark gebogene einschneidige Klinge unter seinem Gewand hervor, „sind wir nicht völlig wehrlos.“
„Sagtest du Drakullen?“, fragte Ira. Auch Grao horchte auf. Die Drakullen waren die evolutionäre Vorstufe ihrer wandelbaren Echsenkörper gewesen.
„Sie kommen nur selten über den Ganges“, sagte Hari. „Ein Staubsturm ist gefährlicher und ein Tyger wahrscheinlicher als ein Drakulle – oder ein Daa’mure.“
Nun war Grao endgültig elektrisiert. Daa’muren. Der Primärrassenvertreter sprach das Wort furchtsam, aber dennoch wie selbstverständlich aus. Daa’muren schienen ein Teil seines Lebens zu sein!
„Kommt doch mit“, sagte Hari. „Ich bin sicher, meine Brüder und Schwestern wollen euch und euer ungewöhnliches Gefährt kennenlernen.“
„Nach Allahabad?“, fragte Grao.
„Dort sind die Daa’muren zu Hause“, entgegnete Hari. „Wir leben in Suganj, gleich dort drüben.“
Grao konnte es kaum fassen, dem Ziel der Reise so nahe zu sein. Er schüttelte den Kopf. „Danke für die Einladung, aber unser Ziel ist Allahabad.“
Hari sah ihn entsetzt an. „Habt ihr nicht zugehört? Dort hausen die Daa’muren mit ihren Drakullen. Aus gutem Grund wagen sich die Barbaren nicht an die Stadt heran, und ihr wollt mitten hinein? Außerdem baut sich ein Staubsturm auf.“
„Ein Grund mehr, uns zu beeilen“, sagte Ira. „Wir haben einen weiten Weg zurückgelegt, um mit den Daa’muren in Kontakt zu treten. Sie werden uns nichts tun. Außerdem haben wir PROTO dabei und sind vor allen Widrigkeiten sicher.“
Einer der beiden anderen Männer, Uudai, trat zu ihnen. „Ihr werdet einen Führer brauchen.“
„Bist du närrisch?“, rief Hari aus. „Du kannst doch nicht –“
„Du kennst meine Gründe“, schnitt Uudai ihm das Wort ab. „Und du weißt, dass ich mich nicht aufhalten lasse.“ Damit schien für ihn das Thema erledigt, denn er wandte sich an Grao und Ira und fuhr fort: „Ihr werdet meine Hilfe brauchen. Der Verlauf des Ganges ist tückisch, überdies haben die Stürme der letzten Jahre einige Straßen verschüttet, sodass wir Umwege fahren müssen. Ich bringe euch auf dem besten Weg nach Allahabad.“
Vor ihren Augen verschwand die Umgebung und das gedimmte Licht einer großen Halle empfing sie. Matthew Drax drehte den Kopf und erkannte goldene Statuen, die ringsum die Wände säumten, und dazwischen erlesene Wandvorhänge mit roten und blauen Stickereien, die den Prunk einer Jahrtausende alten Welt heraufbeschworen.
Unbestreitbar befanden sie sich im Zentrum der Welt: in Agartha.
„Eindringlinge!“, erscholl ein Ruf. Matt entdeckte einen Gardisten in roter Uniform, der hinter einer Säule hervortrat und mit seinem Lasergewehr auf sie anlegte. „Keine falsche Bewegung oder wir eröffnen das Feuer!“
Matt hob die Hände. So einen Empfang hatte er nicht erwartet. „Mein Name ist Matthew Drax!“, rief er laut. „Ich muss König Yönten Wangmo in einer dringlichen Angelegenheit sprechen!“
Er bemerkte einen zweiten Gardisten, der soeben ein Gespräch über seinen Armbandkommunikator beendete und dann, wie sein Kollege, auf sie zielte. „Erst legt eure Waffen ab!“, forderte der Mann. Offenbar erkannte er weder Matthew noch Xij.
Matt kam der Aufforderung nach und legte seine Pistole mit Laseraufsatz sowie den Elektroschocker zu Boden. Xij Hamlet und Tom Ericson folgen seinem Beispiel und entledigten sich des Teleskop-Kampfstabs, eines Bowie-Messers und des Colts.
„Jetzt der Fremdling!“, forderte der Gardist.
„Ich bin unbewaffnet“, gab Hordelab zurück. Ihm schien die Situation am wenigsten zu gefallen. Kein Wunder, war er doch ein entflohener Gefangener des Stadt-Staates.
Matt wies auf das Gerät an Hordelabs Gürtel. „Der Sprungfeldgenerator“, sagte er. „Leg ihn ab. Sobald Wangmo eintrifft, wird sich die Situation klären.“
Auf der Stirn des Außerirdischen zeigte sich eine steile Falte und seine Augenlider zuckten über die großen, schräg gestellten Augen. Dann gab der Grey nach und legte das handtellergroße Gerät zu den Waffen.
Lautes Trampeln hallte aus den Gängen. Etwa ein Dutzend schwerbewaffnete Gardisten nahmen Aufstellung rund um die vier Gefährten. Einer von ihnen sammelte die Waffen und den SFG ein.
„Läuft das hier immer so ab?“, fragte Tom. Er war zum ersten Mal in Agartha.
„Wenn man am Tor Einlass begehrt – nein.“ Eine Frau mittleren Alters mit kurzen Haaren und kalten Augen trat in den Kreis der Gardisten. Ihre Waffe steckte im Gurt. „Wohl aber bei Leuten, die wie aus dem Nichts mitten in der Nacht im Palast auftauchen.“
„Tashi Dawa“, erkannte Matt die Führerin der leuchtenden Sicherheit. „Es freut mich, dich wiederzusehen.“
„Maddrax, Xij.“ Sie nickte. „Die Freude ist auf meiner Seite.“ Ein Mundwinkel zuckte zu einem flüchtigen Lächeln hoch. „Ich hoffe, ihr habt Verständnis, aber seit dieser Verräter mit Hilfe der Daa’muren geflohen ist, sind wir in Alarmbereitschaft.“
Tashi gab den Gardisten einen Wink, die Waffen zu senken. Darüber hinaus machte sie jedoch keine Anstalten, die Situation zu bereinigen. „Ihr dürft die Hände herunternehmen. Der König der Welt wird jeden Moment zu uns stoßen.“
Den Palastgardisten konnte Matt nichts vorwerfen. Sie kamen nur ihrer Aufgabe nach. Und auch Tashi Dawas Verhalten war nachvollziehbar. Er wandte sich an Hordelab. „Wir hatten nicht abgesprochen, dass wir direkt vor den Ratssaal springen.“
„Das waren meine gespeicherten Koordinaten“, antwortete er. „Außerdem kommen wir so gleich zur Sache. Sagtest du nicht, dass Wangmo dir vertraut?“
Ein Neuankömmling hielt Matthew von einer Erwiderung ab. Ein großgewachsener, muskulöser Mann mit hellblonden Haaren kam um eine Gangbiegung. Yönten Wangmo, der König der Welt. Über seiner gelben Robe trug er einen blauen Umhang, die traditionelle agarthische Kleidung. Matt konnte sich nicht erinnern, ihn jemals anders gesehen zu haben.
„Yönten Wangmo!“ Matt streckte die Hände zur Seite. „Vergib uns unser Eindringen. Es sind schwierige Zeiten.“