Magische Angriffs-Waffen - Harry Eilenstein - E-Book

Magische Angriffs-Waffen E-Book

Harry Eilenstein

0,0

Beschreibung

Die Reihe Die achtzigbändige Reihe "Die Götter der Germanen" stellt die Gottheiten und jeden Aspekt der Religion der Germanen anhand der schriftlichen Überlieferung und der archäologischen Funde detailliert dar. Dabei werden zu jeder Gottheit und zu jedem Thema außer den germanischen Quellen auch die Zusammenhänge zu den anderen indogermanischen Religionen dargestellt und, wenn möglich, deren Wurzeln in der Jungsteinzeit und Altsteinzeit. Das Buch Die Germanen haben mit ihren Waffen eine Vielfalt von Vorstellungen assoziiert, die es ermöglichen, ältere Mythen zu rekonstruieren. Zu diesen Motiven gehören das "Schwert im Stein", das Schwert, das zerbricht und neugeschmiedet wird, das flammende, goldene Schwert des ehemaligen Sonnengott-Göttervaters Tyr; der Speer mit der goldenen, Runen-beschriebenen Spitze, der einen Menschen, der ins Jenseits reisen will, symbolisch tötet, und der auch ein ganzes Heer dem Tod weihen kann; der Hammer, der alle Riesen besiegt, der Menschen und Dinge segnen kann und der einst auch die Mühle gewesen ist, mit der Thor das Getreide seiner Frau, der Korngöttin Sif, gemahlen hat; die Keule, mit der der Donnergott die Regenräuberschlange erschlagen hat, die bei den Germanen zu der Riesenschlange Jörmungandr geworden ist; und die drei Pfeile des Sonnengott-Göttervaters, die stets ihr Ziel treffen - woraus später dann der "Apfelschuss" des Wilhelm Tell entstanden ist.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 810

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Bücher von Harry Eilenstein:

Astrologie (496 S.)

Photo-Astrologie (428 S.)

Horoskop und Seele (120 S.)

Tarot (104 S.)

Handbuch für Zauberlehrlinge (408 S.)

Physik und Magie (184 S.)

Der Lebenskraftkörper (230 S.)

Die Chakren (100 S.)

Das Chakren-System mit den Nebenchakren (296 S.)

Meditation (140 S.)

Reinkarnation (156 S.)

Drachenfeuer (124 S.)

Krafttiere – Tiergöttinnen – Tiertänze (112 S.)

Schwitzhütten (524 S.)

Totempfähle (440 S.)

Muttergöttin und Schamanen (168 S.)

Göbekli Tepe (472 S.)

Hathor und Re 1: Götter und Mythen im Alten Ägypten (432 S.)

Hathor und Re 2: Die altägyptische Religion – Ursprünge, Kult und Magie (396 S.)

Isis (508 S.)

Die Entwicklung der indogermanischen Religionen (700 S.)

Wurzeln und Zweige der indogermanischen Religion (224 S.)

Der Kessel von Gundestrup (220 S.)

Der Chiemsee-Kessel (76 S.)

Cernunnos (690 S.)

Christus (60 S.)

Odin (300 S.)

Die Götter der Germanen (Band 1 – 80)

Dakini (80 S.)

Kursus der praktischen Kabbala (150 S.)

Eltern der Erde (450 S.)

Blüten des Lebensbaumes 1: Die Struktur des kabbalistischen Lebensbaumes (370 S.)

Blüten des Lebensbaumes 2: Der kabbalistische Lebensbaum als Forschungshilfsmittel (580 S.)

Blüten des Lebensbaumes 3: Der kabbalistische Lebensbaum als spirituelle Landkarte (520 S.)

Über die Freude (100 S.)

Das Geheimnis des inneren Friedens (252 S.)

Von innerer Fülle zu äußerem Gedeihen (52 S.)

Das Beziehungsmandala (52 S.)

Die Symbolik der Krankheiten (76 S.)

König Athelstan (104 S.)

Herz des Tanzes – Tanz des Herzens (160 S.)

Die Themen der einzelnen Bände der Reihe „Die Götter der Germanen“

1. Die Entwicklung der germanischen Religion

2. Lexikon der germanischen Religion

3. Der ursprüngliche Göttervater Tyr

4. Tyr in der Unterwelt: der Schmied Wieland

5. Tyr in der Unterwelt: der Riesenkönig Teil 1

6. Tyr in der Unterwelt: der Riesenkönig Teil 2

7. Tyr in der Unterwelt: der Zwergenkönig

8. Der Himmelswächter Heimdall

9. Der Sommergott Baldur

10. Der Meeresgott: Ägir, Hler und Njörd

11. Der Eibengott Ullr

12. Die Zwillingsgötter Alcis

13. Der neue Göttervater Odin Teil 1

14. Der neue Göttervater Odin Teil 2

15. Der Fruchtbarkeitsgott Freyr

16. Der Chaos-Gott Loki

17. Der Donnergott Thor

18. Der Priestergott Hönir

19. Die Göttersöhne

20. Die unbekannteren Götter

21. Die Göttermutter Frigg

22. Die Liebesgöttin: Freya und Menglöd

23. Die Erdgöttinnen

24. Die Korngöttin Sif

25. Die Apfel-Göttin Idun

26. Die Hügelgrab-Jenseitsgöttin Hel

27. Die Meeres-Jenseitsgöttin Ran

28. Die unbekannteren Jenseitsgöttinnen

29. Die unbekannteren Göttinnen

30. Die Nornen

31. Die Walküren

32. Die Zwerge

33. Der Urriese Ymir

34. Die Riesen

35. Die Riesinnen

36. Mythologische Wesen

37. Mythologische Priester und Priesterinnen

38. Sigurd/Siegfried

39. Helden und Göttersöhne

40. Die Symbolik der Vögel und Insekten

41. Die Symbolik der Schlangen, Drachen und Ungeheuer

42. Die Symbolik der Herdentiere

43. Die Symbolik der Raubtiere

44. Die Symbolik der Wassertiere und sonstigen Tiere

45. Die Symbolik der Pflanzen

46. Die Symbolik der Farben

47. Die Symbolik der Zahlen

48. Die Symbolik von Sonne, Mond und Sternen

49. Das Jenseits

50. Seelenvogel, Utiseta und Einweihung

51. Wiederzeugung und Wiedergeburt

52. Elemente der Kosmologie

53. Der Weltenbaum

54. Die Symbolik der Himmelsrichtungen und der Jahreszeiten

55. Mythologische Motive

56. Der Tempel

57. Die Einrichtung des Tempels

58. Priesterin – Seherin – Zauberin – Hexe

59. Priester – Seher – Zauberer

60. Rituelle Kleidung und Schmuck

61. Skalden und Skaldinnen

62 Kriegerinnen und Ekstase-Krieger

63. Die Symbolik der Körperteile

64. Magie und Ritual

65. Gestaltwandlungen

66. Magische Waffen

67. Magische Werkzeuge und Gegenstände

68. Zaubersprüche

69. Göttermet

70. Zaubertränke

71. Träume, Omen und Orakel

72. Runen

73. Sozial-religiöse Rituale

74. Weisheiten und Sprichworte

75. Kenningar

76. Rätsel

77. Die vollständige Edda des Snorri Sturluson

78. Frühe Skaldenlieder

79. Mythologische Sagas

80. Hymnen an die germanischen Götter

Inhaltsverzeichnis

A Das Schwert

Das Schwert ist die wichtigste Angriffs-Waffe der Germanen gewesen und hat daher auch eine reiche Symbolik.

I Die allgemeine Bedeutung des Schwertes

I 1. Die Bezeichnung „Schwert“

I 1. a) Das Wort „Schwert“

Das deutsche Wort „Schwert“, das altnordische „sverd“, das angelsächsische „sweord“, das altfränkische „swerd“, das althochdeutsche „swert“ und das altfriesische „swerd“ gehen alle auf das germanische „sverda(m)“ für „Schwert“ zurück. Der indogermanische Ursprung dieses Substantivs ist das Verb „suer“ für „schneiden, stechen“.

I 1. b) Der Wortschatz

Es gibt eine ganze Reihe an technischen Begriffen, die das Schwert betreffen. Das Schwert besteht aus der Klinge, die sich im Griffbereich verdünnt und durch ein Loch in der Parierstange und durch den hohlen Griff bis zu dem Schwertknauf (Kugel) am Ende des Griffes verläuft. Dort wird ein Nagel durch den Schwertknauf und durch ein Loch in der Verlängerung der Klinge gesteckt wird, sodaß die Parierstange, der Griff und der Knauf stabil am Schwert befestigt sind.

schematischer Aufbau eines Schwerts

Es wurden verschiedene Arten von Schwertern unterschieden:

I 1. c) Die Bezeichnungen der Nordgermanen für das Schwert

Die Nordgermanen hatten eine Fülle von Umschreibungen für das Schwert. Ein Teil von ihnen bezieht sich auf die Krieger:

sax

- „Kurzschwert der Sachsen“

imnir

- „Kämpfer“

folk

- „Schar, Volk, Heerschar“

Eine weitere Gruppe von Umschreibungen bezieht sich auf die Bewegungen und die Wirkung des Schwertes beim Kampf:

flämingr

- „das Geschwungene; das Hin- und Herbewegte“

lögdir

- „Stoßer“

vifr

- „Geschwungenes“

hjörr

- „Schneidender“

skalkr

- „Schneidender“

skalm

- „Schneidender“

skölm

- „Schneidender“

snidill

- „Schneidender“ (Sichel, Schwert)

sigd

- „Sense“

sigdir

- „Sense“ oder „Siegender“

skarr

- „Verletzer“

togningr

- „Reißer“

raufnir

- „Lochmacher“

brynthvari

- „Brünnen-Durchbohrer“

bengrefill

- „Wunden-Grabgerät“

mörnir

- „Geheimnis des Abschabens“ („ma-runja“ => „mörnir“)

thvari

- „Bohrer“

ormthvari

- „Schlangen-gestaltiger Bohrer“

vättlimi

- „Kampf-Zweig“

lävateinn

- „Schadenszweig“

valnir

- „Todbringendes“

Zum Teil werden die Schwerter auch einfach als Feinde der Gegner umschrieben:

Eine vierte Gruppe von Schwert-Namen ist von dem Schlachtengetöse inspiriert worden:

gellir

- „Lautes“ (Kampflärm)

glamr

- „Lauter“

gelmingr

- „Lauter“

gjallr

- „Lauter“

Es gibt auch einige Bezeichnungen, die sich auf das Aussehen und die Eigenschaften des Schwertes beziehen:

Sehr beliebt ist die Umschreibung des Schwertes bzw. seiner Klinge als „Feuer“, „Flamme“ und dergleichen:

log

- „Licht, Flamme“

logi

- „Flamme, Lohe“

brandr

- „Brand, Feuerholz“

brimir

- „Brand, Feuer“

ljomi

- „Glanz, Licht“

skjomi

- „Glänzendes“

skygdir

- „Glänzendes“

herberi

- „Heer-Licht“

Einige Schwert-Bezeichnungen sind ironisch gemeint, wobei die häufige Assoziation zu „Penis“ auffällt (beide sind „Stoßer“):

Schließlich gibt es noch Umschreibungen für das Schwert, die eine mythologische Wurzel haben und sich auf den ehemaligen Göttervater Tyr beziehen:

ägir

- „Ägir, Meeresgott, Tyr in der Wasserunterwelt“

dreyramörir

- „Moorbewohner“ (Tyr als Fenrir in der Fensalir-Unterwelt)

goinn

- „Schlange“ (Name eines der beiden Alcis-Söhne des Tyr, die in der Unterwelt u.a. die Gestalt von zwei Schlangen haben und die Tyrs Schwert neu schmieden)

Bei einer Schwert-Bezeichnungen ist die Herkunft des Wortes unklar und bei einer anderen die Deutung:

I 1. d) Thulur des Snorri Sturluson

Namen für 'Schwert' (1. Liste):

Die Schwert-Namen „Mimir“ und „Mimung“ bestätigen noch einmal, daß das Schwert des Tyr einst eine große Bedeutung gehabt haben muß, da Mimir/Mimung ein Tyr-Riese ist. Auch „Ägir“ und „Niddhöggr“ (Drache) sind Tyr-Namen. Sehr deutlich sind auch die beiden Schwertnamen „Tyr-Finger“ und „Heimdalls Haupt“, die hier jedoch nicht aufgezählt werden (Heimdall ist ursprünglich einmal ein Beiname des Tyr gewesen).

In geringerem Maße sind auch noch die folgenden Schwert-Namen Hinweise auf Tyr: „Adler“ (Seelenvogel des Tyr), „Naglfar“ (Jenseitsreise-Schiff der Sonne), „Moorbewohner“ (Tyr als der Riese Grendel oder als der Fenris-Wolf in der Moor-Unterwelt), „Mistelzweig“ (der Tyr-Nachfolger Baldur wurde mit einer Mistel getötet) und „Sieg-Nuß“ (Sieg-Stein im Schwertknauf).

I 1. e) Runennamen

Neun Runen, also ein Viertel der Runen, haben einen deutlichen Bezug zu der Mythologie der Germanen:

Man sieht diesen Runen an, daß sie sich auf eine alte Schicht der germanischen Mythologie beziehen – eben die aus der Zeit zwischen 100 v.Chr. und 100 n.Chr., als die Runen von den Germanen aus Norditalien „importiert“ und benannt worden sind.

Vier dieser Runen beziehen sich auf den damaligen Göttervater Tyr, sein Schwert, seinen Schild und seine beiden Söhne; einer auf den Götter-Urahn Mannus und ein weiterer auf Yngvi, einen seiner drei Söhne; sowie je einer auf die Erde, die Sonne (Doppeltzählung) und die Weltesche.

Zu dieser Zeit ist der mit Schwert und Schild bewaffnete Tyr noch der Sonnengott-Göttervater der Nordgermanen gewesen.

I 1. f) Das 20. Exeter-Rätsel

Ich bin ein wunderliches Ding, / für den Kampf geformt,

schön gekleidet / und meinem Herrn sehr teuer.

Bunt bemalt ist meine Brünne, / der leuchtende Draht, den mein Träger,

der mich lenkt, mir gab, / umarmt meinen Todes-Edelstein,

und der manchmal meine Wanderungen / zum Streit lenkt.

Dann bringe ich Schätze heim / am strahlenden Tag:

Werkstücke der Schmiede, / Gold für die Hallen.

Ich töte oft / die lebenden Krieger

mit Waffen des Krieges. / Ein König schmückt mich

mit Juwelen und Silber / und gibt mir Ehre in der Halle,

hält nicht mit Lob zurück / verkündet öffentlich

meine großen Taten vor den Männern, / wenn sie ihren Met trinken;

manchmal hält er mich zurück / oder läßt mich frei,

wenn er kampfmüde ist. / Ich habe oft einen anderen

durch die Hand eines Freundes verletzt. / Ich werde nah und fern gehaßt,

von den Waffen bin ich die, die verflucht ist. / Ich brauche nicht darauf zu hoffen,

daß mich ein Sohn rächen wird / und meinem Mörder das Leben nimmt,

falls jemals ein Feind / mich im Kampf angreift;

und meine Verwandtschaft wird nicht anwachsen, / die Sippe, der ich entsprang –

sofern ich nicht meines Herrn beraubt / einen neuen finde

und mich von dem Besitzer fortwende, / der mich als erster belohnt hat.

Ab dann ist mir bestimmt, / wenn ich einem neuen Herrn folge,

für ihn Schlachten zu schlagen, / wie für den anderen,

zum Vergnügen meines Fürsten, / und auf den Reichtum von Kindern

verzichten muß / und keine Frau kenne;

denn der, der mich einst / als Sklave hielt,

hat mir diesen Segen verweigert. / Daher muß ich

einsam und allein / den Reichtum der Helden genießen.

Oftmals bin ich ein Narr in meinem Schmuck / und erzürne eine Frau,

vermindere ihr Verlangen; / ihre Zunge beschimpft mich;

sie schlägt mich mit ihren Händen, / tadelt mich mit Worten,

singt einen Fluch. / Ich kann diesen Streit nicht leiden …

Lösung: Schwert (Es wird ab ca. der Hälfte des Rätsels personifiziert.)

I 1. g) Zusammenfassung

Das Schwert wurde mit dem ehemaligen Sonnengott-Göttervater und Kriegsgott-Schwertgott Tyr assoziiert. Drei Runen sind nach dem ehemaligen nordgermanischen Göttervater und seinen beiden Waffen benannt worden: Tyr (Tyr), Thorn (Schwert) und Sol (Schild).

Aus dieser alten Schicht der germanischen Mythologie stammen auch die Schwertnamen „Fleisch-Mimir“, „Mimung“, „Niddhöggr“, „Ägir“, „Adler“, „Naglfar“, „Moorbewohner“, „Mistelzweig“ und „Sieg-Nuß“, die sich auf Tyrs Schwert beziehen.

II Das Schwert in den Mythen

II 1. Das Schwert des Tyr

Bei der Absetzung des ehemaligen Sonnengott-Göttervaters Tyr durch Odin und Thor um 500 n.Chr. sind die Mythen des Tyr in ihre Einzelteile zerfallen und umgedeutet und in die neuen Mythen eingebaut sowie zu Sagen umgedeutet worden. Aus diesem Grund muß man in den Sagen zwar nach den Elementen der einstigen Tyr-Mythen suchen, aber da sich solche Bruchstücke reichlich finden lassen, läßt sich die einstige Symbolik des Tyr-Schwertes doch recht gut rekonstruieren.

II 1. a) Sigdrifa-Lied: die Rune Tyr

Siegrunen lerne, willst Sieg Du haben!

Auf den Schwertknauf schneide sie,

auf die Blutrinne und des Rückens Breite

und rufe zweimal zu Tyr!

Dieses Runen-Lied bezieht sich ausschließlich auf Tyr als den Kriegs- und Schwertgott.

Der Hinweis, daß man Tyr zweimal anrufen soll, könnte ein Indiz dafür sein, daß Tyr zwei wesentliche Aspekte hat. Dies werden vermutlich „Tyr im Diesseits“ (Tag-Sonne) und „Tyr im Jenseits“ (Nacht-Sonne) sein. Diese Zweiseitigkeit findet sich auch bei Tyrs Nachfolger Odin wieder: Er hat ein sehendes (lebendiges) und ein blindes (totes) Auge, er wird von zwei Wölfen und von zwei Raben begleitet und er reitet ein achtbeiniges „Doppelpferd“. Im Fiölswin-Lied wird gesagt, daß einer seiner beiden Wölfe am Tag und der andere in der Nacht wacht.

II 1. b) Norwegisches Runengedicht: die Rune „Tyr“

Tyr ist ein einhändiger Ase;

der Schmied muß oft blasen.

Die Einhändigkeit des Tyr scheint allgemein von großer Bedeutung gewesen zu sein.

Der Hinweis auf den Schmied könnte sich evtl. auf das Schwert des Tyr beziehen und auch darauf, daß man die Tyr-Rune in die Klinge von Schwertern gravierte. Zudem ist der Schmied Wieland eine der vielen Gestalten des Tyr in der Unterwelt, in der er sein am Abend zerbrochenes Schwert neuschmiedet.

In der um 1185 n.Chr. von Saxo grammaticus verfaßten „Gesta danorum“ („Geschichte Dänemarks“) erscheint auch Odin als Schmied. Odin hat viele Motive aus den Tyr-Mythen übernommen, als Odin um 500 n.Chr. zusammen mit Thor den Gott Tyr als nordgermanischen Göttervater abgesetzt hat.

II 1. c) Isländisches Runengedicht

Das erste Wort in der ersten Zeile aller Strophen dieses Liedes ist der germanische Runen-Name. Das erste Wort in der vierten Zeile dieser Strophen ist stets die lateinische Übersetzung des ersten Wortes in der ersten Zeile, auf das dann ein alter isländischer Königstitel folgt.

Diese drei Worte sind hier „Yr“; „(Regen-)Bogen“ und „Yngvi-Nachkomme“.

Yr ist ein gebogener Bogen

und brüchiges Eisen

und der Pfeil des Farbauti.

(Regen-)Bogen der Yngvi-Nachkommen.

„Gebogen“ („bendr“) und „Bogen“ („bogi“) sind im Altnordischen zwei verschiedene Worte.

Aus welchem Grund die „yr“-Rune mit „brüchigem Eisen“ assoziiert wurde, ist zunächst unklar.

Yngvi-Freyr ist der Urahn der schwedischen Könige.

II 1. d) Trideilur Runa

Dies ist ein zweites isländisches Runenlied, das sich nur geringfügig von dem vorigen unterscheidet. Meistens fehlt lediglich die vierte Zeile.

1. Version

Yr ist ein gebogener Bogen

und brüchiges Eisen

und der Pfeil des Farbauti.

2. Version

Yr ist ein zweifach gebogener Bogen

und der Axtkampf-Sieg

und der Pfeil des Farbauti.

An der Stelle von „brotgjarnt jarn“ („brüchiges Eisen“) steht in der 2. Version dieser Strophe „bargadi ganga“. Da es das Wort „bargadi“ jedoch nicht gibt, wird es wohl einen Buchstabendreher enthalten, sodaß eigentlich „bardagi ganga“ gemeint gewesen ist, was „Axtkampf-Sieg“ oder allgemeiner „Sieg in der Schlacht“ bedeutet.

Das „brüchige Eisen“ sollte somit dem „Axtkampf-Sieg“ entsprechen. Zunächst einmal besteht die Klinge einer Axt aus Eisen – aber warum sollte diese Klinge brüchig sein?

Über das Substantiv „barda“, von dem der Begriff „bardagi“ abgeleitet worden ist, ist lediglich bekannt, daß es eine Art von Streitaxt gewesen zu sein scheint. Dieser Begriff ist wiederum eine Bildung zu dem Substantiv „bard“, das zunächst „Bart“ und davon abgeleitet auch „Hutkrempe, Rand des Helms, befestigter Steven eines Drachenschiffes, Drachenkopf eines Drachenschiffes“ bedeutet. Diese Worte haben das Bild einer hervorstehenden Schneide gemeinsam, die einem Bart verglichen wurde.

Die germanischen Götter tragen auf ihren Abbildungen stets lange, spitz zulaufende Bärte. Es ist zwar kein Gott mit einem „Axt-Bart“ bekannt, aber Tyr trägt einen Bart und ein Schwert, das sein wichtigstes Symbol ist – und dieses Schwert zerbricht an jedem Abend bzw. in jedem Herbst. Die Umschreibung „brüchiges Eisen“ kann man auch als „zerbrechendes Eisen“ oder ganz wörtlich als „Eisen („jarn), von dem bekannt ist („-gjarnt“), daß es oft zerbricht („-brot“)“ übersetzen. Dieses „oft zerbrechende Eisen“ wird daher keine Streitaxt, sondern Tyrs Schwert sein.

Diese Deutung wird dadurch bestätigt, daß es auch die Schwert-Bezeichnung „langbardr“ („Lang-Bart“) gegeben hat.

Die beiden Versionen der Strophe zu der „yr“-Rune lauten somit genauer übersetzt wie folgt:

1. Version

Yr ist ein gebogenen Bogen

und die oft zerbrechende Klinge (des Tyr)

und der Pfeil des Farbauti.

2. Version

Yr ist ein zweifach gebogener Bogen

und der Schwertkampf-Sieg

und der Pfeil des Farbauti.

Aus dieser Übersetzung ergibt sich wiederum, daß es einen engen Zusammenhang zwischen dem Gott Tyr in der zweiten Zeile und dem Riesen Farbauti in der dritten Zeile geben sollte. Da zum einen Loki Farbautis Sohn ist und zum anderen in den alten Mythen Tyr und Loki Brüder sind, ist Farbauti auch der Vater des Tyr und somit der Tyr-Riese im Jenseits.

Das Schwert des Tyr zerbricht bei seinem Tod, d.h. beim Sonnenuntergang oder zu Herbstanfang.

II 1. e) Sigdrifa-Lied

Die Walküre Sigdrifa singt ihrem Geliebten Sigurd ein Lied über die Orte, an denen sich (magisch wirksame) Runen befinden.

Dieses Lied, das Odin von Mimirs Haupt (Tyr) gelernt hat, beginnt mit der Schilderung des Sonnenwagens und der Rosse, die ihn ziehen. Dies wird daher einst das wichtigste mythologische Motiv gewesen sein – offenbar zu der Zeit, als Tyr noch der Sonnengott-Göttervater gewesen ist, der auf einem goldenen Streitwagen, der von zwei goldmähnigen Schimmeln gezogen worden ist, über den Tages-Himmel gefahren ist (siehe u.a. „Pferd“ in Band 42).

Auf dem Berge stand er mit blankem Schwert,

Den Helm auf dem Haupt.

Da hub Mimirs Haupt an weise das erste Wort

Und sagte wahre Worte: …

Dieser „Er“ auf dem Berg ist der wiedergeborene Schwertgott-Göttervater Tyr mit seinem Schwert und seinem Goldhelm auf seinem Hügelgrab.

„Mimir“ ist Tyr als Riese im Jenseits. Wie im Ahnenkult üblich, sprach der Schamanengott Odin mit dem Haupt des toten Mimir, also mit dem von ihm abgesetzten Göttervater Tyr, um dessen Weisheit zu erlangen.

II 1. f) Odins Rabenzauber

In „Odins Rabenzauber“ bemühen sich die Asen, schlechte Vorahnungen und Omen zu deuten, die sich auf Baldurs nahenden Tod beziehen. In diesem Lied wird der Gott Tyr zweimal erwähnt: einmal als „Nahrung Fenrirs“ und einmal als „weißer Schwertgott“.

Der ironische Name „Nahrung Fenrirs“ bezieht sich darauf, daß der Fenris-Wolf Tyr den rechten Arm abbiß.

Der Name „Schwertgott“ kennzeichnet Tyr zunächst einmal als kriegerischen Gott. Da das Wort für „weiß“ auch „strahlend“ bedeutet, könnte Tyr in den Strophen aus „Odins Rabenzauber“, in denen Tyr „Weißer Schwertgott“ genannt wird, auch die untergehende Sonne sein oder ihr verglichen worden sein, da an der betreffenden Stelle die am Abend untergehende Sonne beschrieben wird.

Antwort gab Omi, sie alle hörten es:

,,Die Nacht ist zu nutzen zu neuem Entschluß.

Bis morgen bedenke, wer es vermag,

Um glücklichen Rat den Göttern zu finden.“

„Omi“ ist ein Beiname des Odin, der „Lämender“ bedeutet und sich auf Odin als Kriegsgott bezieht.

Über die Wege zu Walis Mutter

Sank Fenrirs Nahrung nieder.

Von Hroptr und Frigg vom Gastmahl entlassen

Schieden die Götter, als Hrimfaxi auffuhr.

„Wali“ ist der Sohn von Odin und der Riesin Rinda, die Odin durch einen Zauber verführte – ähnlich wie die Riesentochter Gunnlöd. Wali ist der am Morgen wiedergeborene Sonnengott-Göttervater. Er wurde dem Wegtam-Lied zufolge in der „Halle im Westen“, also auf der Jenseitsinsel, auf der die Sonne untergeht, geboren. Die „Wege zu Walis Mutter“ sind folglich der Jenseitsweg. Tyr, die „Nahrung Fenrirs“ sank also über dem Jenseitsweg nieder.

Der Vers „Über die Wege zu Walis Mutter sank Fenrirs Nahrung nieder.“ bedeutet daher, daß Tyr ins Jenseits ging. In dem Zusammenhang des Liedes erscheint Tyr daher als ein Gott des Abends, d.h. der untergehenden Sonne.

„Hroptr“ („Weiser“) ist Odin, der den Rat der Asen zur Deutung der Omen einberufen hatte.

„Hrimfaxi“, d.h. „Rauhreif-Mähne“ ist das Pferd der Nacht.

In dem Lied wird noch mehr über den Tyr-Riesen, also über „Tyr im Jenseits“, berichtet:

Da hebt sich von Osten aus dem Eliwagar

Des reifkalten Riesen dornige Rute,

Mit der er in Schlaf die Völker schlägt,

Die Midgard bewohnen, vor Mitternacht.

„Eliwagar“ bedeutet „Eiswogen“ und ist der Name der polaren Gletscher rings um den Weltenbaum am Nordpol.

Der „Schlafdorn“ („dornige Rute“) ist sonst im Besitz des Odin, der damit manchmal Menschen in Schlaf versetzt, wie z.B. die Walküre Brünhilde, die sich seinem Willen widersetzt hatte. Ursprünglich ist dieser „Dorn“ (die Schwert-Rune „Thorn“) das Schwert des Tyr gewesen. Die Formulierung „mit dem Dorn schlagen/stechen“ wurde des öfteren nicht nur für „Töten“, sondern auch für „Einschläfern“ benutzt.

Die Kräfte ermatten, die Arme ermüden,

Schwindelnd wankt der weiße Schwertgott.

Ohnmacht befällt sie in der eisigen Nachtluft,

Die Sinne schwanken der ganzen Versammlung.

Mit „die Sinne schwanken“ ist „müde werden“ gemeint.

In dieser Strophe wird Tyr als „Schwertgott“ umschrieben.

Da trieb aus dem Tore wieder der Tag

Sein schön mit Gestein geschmücktes Roß;

Weit über Mannheim glänzte die Mähne:

Des Zwerges Überlisterin zog auf im Wagen.

„Des Zwerges Überlisterin“ ist eine Umschreibung für die Sonne. Sie bezieht sich auf die Mythe, in der Thor den Zwerg Alwis dadurch überlistet, daß er ihn solange in Rätsel verstrickt, daß schließlich ein Sonnenstrahl auf den Zwerg fällt und er dadurch zu Stein wird. In diesem Bild ist der „Zwerg im Hügelgrab“ über den „Zwerg im Stein“ zu einem „Zwerg aus Stein“ geworden.

„Mannheim“ ist die Menschenwelt.

Da in diesen Strophen die untergehende Sonne dem Tyr gleichgesetzt wird, sollte man davon ausgehen können, daß auch die aufgehende Sonne dem Tyr entspricht. Dies wird dadurch bestätigt, daß der Sonnengott-Göttervater in seinem von zwei Pferden gezogenen Wagen ein in fast allen indogermanischen Religionen bekanntes Bild ist.

Wenn man in diesen Strophen alle Kenningar (Umschreibungen) durch die schlichte Bezeichnung des Gemeinten ersetzt und die etwas altmodische Sprache in das heutige Deutsch überträgt, erhält man die folgenden Strophen, die allerdings nicht mehr allzu lyrisch sind:

Übertragung der Strophen in heutiges Deutsch

Antwort gab Omi, sie alle hörten es: ,,Die Nacht ist zu nutzen zu neuem Entschluß. Bis morgen bedenke, wer es ver- mag, um glücklichen Rat den Göttern zu finden.“

Odin antwortete und alle hörten es: „Nutzt die Nacht, um einen neuen Entschluß zu finden. Bis zum Morgen solltet ihr einen guten Rat für die Götter gefunden haben.“

Über die Wege zu Walis Mutter sank Fenrirs Nahrung nieder. Von Hroptr und Frigg vom Gastmahl entlassen schieden die Götter, als Hrimfaxi auffuhr.

Über der Erde sank der Sonnengott-Göttervater Tyr nieder. Odin und Frigg verließen am Abend das Mahl und verabschiedeten die anderen Götter.

Da hebt sich von Osten aus dem Eliwagar des reifkalten Riesen dornige Rute, mit der er in Schlaf die Völker schlägt, die Midgard bewohnen, vor Mitternacht.

Da erhob sich die Nacht im Osten, die mit ihrem Schlaf-Zauberstab alle Völker, die die Erde bewohnen, vor Mitternacht einschlafen läßt.

Die Kräfte ermatten, die Arme ermüden, schwindelnd wankt der weiße Schwertgott. Ohnmacht befällt sie in der eisigen Nachtluft, die Sinne schwanken der ganzen Versammlung.

Dem strahlenden Schwertgott Tyr schwinden die Kräfte, ihm werden seine Arme schwer und er wankt müde. Die ganzen versammelten Götter schlafen ein in der eisigen Nachtluft.

Da trieb aus dem Tore wieder der Tag sein schön mit Gestein geschmücktes Roß. Weit über Mannheim glänzte die Mähne: Des Zwerges Überlisterin zog auf im Wagen.

Am Morgen fuhr der Sonnengott-Göttervater Tyr wieder in seinem Wagen, das von seinem mit edlen Steinen geschmückten Roß gezogen wurde, aus der Nacht heraus. Über der ganzen Menschenwelt glänzt die Sonne. Tyr fuhr in seinem Wagen den Himmel hinauf.

II 1. g) Skaldskaparmal

Ein Mann hieß Ägir oder Hler. Er bewohnte die Insel, die nun Hlesey heißt, und er war sehr zauberkundig.

Er unternahm eine Reise nach Asgard. Die Asen sahen seine Fahrt voraus und empfingen ihn freundlich, aber trügten ihn mit allerlei Sinnestäuschungen.

Und am Abend, als das Trinken beginnen sollte, ließ Odin Schwerter in die Halle tragen, die waren so glänzend, daß ein Schein davon ausging und es keiner andern Beleuchtung bedurfte, während man aß und trank.

Der Meeresriese Ägir-Gymir-Hler ist der Gott Tyr in der Wasserunterwelt. Hlesey, also die „Insel des Hler“ ist die Jenseitsinsel Walaskialf („Toteninsel“).

In diesem Lied besucht also Tyr seinen Nachfolger Odin in Asgard – und wird von ihm getäuscht, da Odin nach 500 n.Chr. der mächtigere Gott gewesen ist. Dieses „Täuschen“ entspricht den vielen Rätselwettstreiten zwischen Odin und Tyr, die alle von Odin gewonnen werden.

Ursprünglich ist dieser „Besuch“ des Tyr in Asgard das Frühlingsfest gewesen, bei dem der Sommergott Tyr aus der Unterwelt zurückkehrt und die Herrschaft des Wintergottes Loki beendet. Im Herbst, wenn wieder die Herrschaft des Loki beginnt, kommen die Götter hingegen in die Jenseitshalle des Tyr-Ägir auf dem Meeresgrund.

Die Schwerter, die Odin in die Halle tragen läßt, sind das vervielfältigte Schwert des Tyr, das offenbar wie der Sonnengott-Göttervater Tyr und sein Goldhelm ebenfalls geleuchtet hat. Auch sein Schild wird gestrahlt haben – wurde doch die Sonne als ein Schild dargestellt.

Tyrs Sonnenschwert, Sonnenhelm und Sonnenschild gehörten zu den Dingen, die Odin bei der Absetzung des Tyr erbeutet hat – mit dem vervielfältigten Sonnenschwert beleuchtet Odin seine Halle, mit den ebenfalls vervielfältigten Sonnenschild hat er Walhalls Dach gedeckt (Skaldskaparmal) und den Goldhelm trägt er bei besonderen Gelegenheiten, z.B. wenn er den Tyr-Riesen Hrungnir besucht (Hrungnir-Lied).

II 1. h) Skaldskaparmal

„Warum wird Gold 'Ägirs Feuer' genannt?“

„Diese Geschichte hat denselben Inhalt wie die, die wir bereits erzählt haben:

Ägir ging nach Asgard zu einem Fest, aber als er wieder heimkehrte, lud er Odin und alle Asen ein, ihn in drei Monaten zu besuchen.

Zuerst kamen Odin und Njörd, Freyr, Tyr, Bragi, Widar und Loki und ebenso die Asinnen Frigg, Freya, Gefiun, Skadi, Idun und Sif. Thor war nicht dort, da er in die östlichen Länder gezogen war, um Trolle zu töten.

Nachdem die Götter ihre Plätze eingenommen hatten, ließ Ägir sofort leuchtendes Gold auf den Fußboden der Halle legen, und dieses Gold strahlte Licht aus und erhellte die Halle wie Feuer. Es wurde dort so als Licht bei dem Festmahl benutzt, wie in Walhalla Schwerter anstelle von Feuern benutzt werden.“

Das Fest in Asgard ist die Rückkehr des Tyr-Ägir aus dem Jenseits (die Halle des Ägir im Meer) in das Diesseits (Asgard) – der Beginn der Herrschaft des Tyr und somit der Sommer. Drei Monate später ist die Herrschaft des Tyr und somit auch der Sommer vorüber und Tyr kehrt in das Jenseits zurück, wohin er dann die Asen zu einem Fest einlädt.

In Asgard wird somit der Beginn des Sommers gefeiert – ursprünglich der Sieg des Sommergottes Tyr über den Wintergott Loki, der bei dem Fest in Asgard die Götter so sehr beleidigt, daß sie in schließlich in der Hel gefangen legen (siehe das Lied „Lokasenna“).

In der Wasserunterwelt des Ägir wird dann der Beginn des Winters gefeiert – ursprünglich der Sieg des Loki über Tyr, der dann in den Odin-zentrierten Mythen zum Ragnarök geworden ist.

Das Gold auf dem Hallenboden des Tyr-Ägir ist daher sein zu unbearbeitetem Gold umgedeutetes Sonnen-Schwert und sein Sonnen-Schild.

II 1. i) Gylfis Vision

Da sprach Gangleri: „Groß scheint mir die Macht dieser Asen zu sein und es ist nicht verwunderlich, daß ihr so viel Macht besitzt, wenn ihr so viele Einzelheiten über die Göttern kennt und wißt, wen von ihnen man in welchem Fall anzurufen hat. Gibt es aber nicht noch mehr Götter?“

Har versetzte: „Da ist noch ein Ase, der Tyr heißt. Er ist der kühnste und mutigste und er hat große Macht über den Sieg in der Schlacht – darum ist es für tatkräftige Männer gut, ihn anzurufen.

Wer kühner ist als andere und sich vor nichts scheut, von dem sagt man sprichwörtlich, er sei Tyr-tapfer.

Er ist auch so weise, daß man von Klugen sagt, sie seien Tyr-weise.

Einer der Beweise seiner Kühnheit ist dies: Als die Asen den Fenriswolf zu überreden versuchten, sich mit der Fessel Gleipnir binden zu lassen, traute er ihnen nicht, daß sie ihn wieder lösen würden, bis sie zum Unterpfand Tyrs Hand in seinen Mund legten. Und als die Asen ihn nicht wieder lösen wollten, biß er ihm die Hand an der Stelle ab, die nun Wolfsgelenk heißt. Seitdem ist Tyr einhändig.

Er wird nicht als ein Friedensstifter zwischen den Menschen angesehen.“

Ursprünglich wird der Sommergott Tyr seine Hand beim seinem Kampf am Abend bzw. im Herbst gegen den Wintergott Loki verloren haben – vermutlich ist gleichzeitig auch sein Schwert zerbrochen, das er dann im Winter im Jenseits als Tyr-Wieland neugeschmiedet hat.

II 1. j) Erfikvädi über Magnus Barfuß

Der Skalde Gilsi Illugason hat um 1103 n.Chr. die folgenden Verse gedichtet:

Das düstere Meer schlug

gegen den geschmückten Nacken,

die Bugwelle sprang in das Maul

des goldenen Hauptes.

Die Leichen-Flamme der Tiefe

schien wie Glut des Himmels

von dem Schädel

an des Herrschers Drachenschiff.

- Nacken: Bogen („Hals“) am Bug des Schiffes, auf dem der Drachenkopf sitzt

Kenning-freie Übersetzung: „Das düstere Meer schlug gegen den beschnitzten Bug des Drachenschiffes des Fürsten und die Bugwelle schäumte bis in das Maul des vergoldeten Drachenkopfes, der wie die Sonne leuchtete, empor.“

Die Leichen-Flamme, also das Schwert, scheint wie die Glut der Tiefe, d.h. wie die Sonne in der Wasserunterwelt. Diesem Bild in dieser Strophe liegt offenbar das Bild eines Sonnen-Schwertes zugrunde – zumal dieses Schwert auch noch der „Glut des Himmels“, d.h. der Sonne verglichen wird.

Schließlich wird diese gesamte Symbolik dazu benutzt, um den vergoldenten, d.h. „Sonnen-gleichen“ Drachenkopf an einem Drachenschiff zu beschreiben – und das Drachenschiff ist ursprünglich das Schiff gewesen, in dem die Sonne und somit auch der ehemalige Sonnengott-Göttervater Tyr über den Himmel und durch die Unterwelt gefahren ist.

II 1. k) Die Goldhörner von Gallehus

Auf dem kleineren der beiden um 400 n.Chr. hergestellten Goldhörnern von Gallehus in Dänemark sind sehr wahrscheinlich der Tages/Sommer-Gott Tyr im Diesseits mit einer strahlenden Sonne auf seiner Brust, seinen Genitalien und seinem Schild sowie der Nacht/Winter-Gott Tyr im Jenseits mit der „Schwarzsonne“ auf seiner Brust, seinen Genitalien und seinem Schild abgebildet worden. Vermutlich ist die Darstellung in der Mitte der Brust, also auf dem Herzchakra („Sonnen-Chakra“) am wichtigsten gewesen, da sie am deutlichsten ausgeführt worden ist.

Die zweite Sonne auf den Genitalien ist entweder ein Hinweis auf das Wurzelchakra oder auf den Penis, den Tyr bei seiner Wiederzeugung im Jenseits braucht (siehe dazu auch „Wiederzeugung“ in Band 51 und „Kundalini“ in Band 64).

Die Reise zu dem ehemaligen Göttervater Tyr ist auf diesen beiden Goldhörnern mit vielen Details abgebildet worden.

Beide Gestalten tragen den Halsring, der ein Symbol der Sonne und der Jenseitsreise ist (siehe „Ring“ in Band 57).

oberster Bildstreifen des kleineren Goldhornes von Gallehus

Tag/Sommer-Tyr im Diesseits mit strahlender Sonne auf seiner Brust (Umzeichnung)

Nacht/Winter-Tyr im Jenseits mit schwarzer Sonne auf seiner Brust (Umzeichnung)

Auf den beiden Goldhörnern ist wie in einem Comic eine Jenseitsreise dargestellt worden – wobei man bedenken muß, daß einem damaligen Betrachter alle diese Bilder geläufig gewesen sind und er nicht erst anhand der Bilder herausfinden mußte, worum es bei der dargestellten Geschichte eigentlich geht.

Die Jenseitsreise auf den Goldhörnern von Gallehus

1. der Entschluß zur Jenseitsreise

der Fuß ist das Symbol des Sonnengottes, der als Wanderer angesehen wurde und auch jede Nacht bzw. jeden Winter durch das Jenseits reiste

2. der rituellsymbolische Tod

die Schwerter sind möglicherweise Symbole des Göttervaters Tyr

3. der Eingang in die Unterwelt

im Ritual wird der Einzuweihende in einen wassergefüllten Schacht getaucht (ein solcher noch erhaltener (keltischer) Einweihungs-Schacht ist z.B. der Glastenbury Well in Südengland)

4. dreiköpfige Jenseitsgöttin

die dreifache Göttin (die späteren drei Nornen) hält das Opfertier (die späteren Böcke des Thor), das sie mit ihrer Axt tötet

5. Identifizierung mit dem Opfertier

der in das Fell des Opfertieres eingehüllte Jenseitsreisende

6. der Tier-Mensch

der mit dem für ihn geopferten Pferd identifizierte Jenseitsreisende

7. Jenseitsreisender als Schlange

in den Mythen ist dies z.B. Odin auf dem Weg in das Hügelgrab zu Gunnlöd oder Tyr als Sonnendrache

8. Wiederzeugung als Mensch

aufrecht: der König bzw. der Schwertgott Tyr als das Vorbild des Königs; waagerecht: die Göttin im Jenseits

9. Erwecken der Kundalini

die Kundalini-Feuerschlange berührt (und erweckt) mit ihrer Zunge das Wurzelchakra

10. Erwecken der Kundalini

das Verlassen des Körpers bei der Jenseitsreise (Nahtod-Erlebnis; „Astralreise“) und das Innere Feuer (Kundalini) treten meist gemeinsam auf

14. Wiederstillen als Opfertier

Hindin und Kitz: Wiederstillen

11. Wiedergeburt als Seelenvogel

Vogelkopf-Mensch: der Jenseitsreisende als Seelenvogel

15. Wiederstillen als Schlange

Schlange „säugt“ zwei Junge: Dies kann nur ein symbolisches Wiederstillen des Jenseitsreisenden in Schlangengestalt sein, da Schlangen keine Säugetiere sind.

12. Erreichen des Göttervaters

der Sonnengott-Göttervater Tyr mit Schwert und Sonnenschild, zu dem die Jenseitsreise führt

16. Wiederstillen im Ritual

der Priester bringt dem Jenseitsreisenden das Horn mit Met

I 1. l) Zusammenfassung

Tyr besaß ein Schwert, das wie die Sonne strahlte. Nach seiner Absetzung durch Odin und Thor wurde es ein Teil von deren Beute und diente ab da zur Beleuchtung von Walhalla.