Mami 1811 – Familienroman - Gisela Reutling - E-Book

Mami 1811 – Familienroman E-Book

Gisela Reutling

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Beschreibung

Seit über 40 Jahren ist Mami die erfolgreichste Mutter-Kind-Reihe auf dem deutschen Markt! Ein Qualitätssiegel der besonderen Art, denn diese einzigartige Romanreihe ist der Maßstab und einer der wichtigsten Wegbereiter für den modernen Familienroman geworden. Weit über 2.600 erschienene Mami-Romane zeugen von der Popularität dieser Reihe. "Ich kann sie doch nicht allein lassen", sagte Andrea mit zu Boden gesenktem Blick. "Sie hat ja nur noch mich." Der schlanke junge Mann an ihrer Seite unterdrückte einen Seufzer. Er sah auf den Fluß, an dessen Ufer sie spazierengingen. Ein vollbesetzter Ausflugsdampfer zog dahin, bunte Wimpel flatterten im Frühlingswind, verwehtes Lachen und Stimmengewirr drangen herüber. Könnten wir nur auch lachen und fröhlich sein, ging es Christian durch den Sinn. Aber ihre Gespräche drehten sich im Kreis und endeten immer wieder bei dem einen Punkt

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Mami –1811–

Liebe, liebe Stiefmama

Roman von Gisela Reutling

  »Ich kann sie doch nicht allein lassen«, sagte Andrea mit zu Boden gesenktem Blick. »Sie hat ja nur noch mich.«

  Der schlanke junge Mann an ihrer Seite unterdrückte einen Seufzer. Er sah auf den Fluß, an dessen Ufer sie spazierengingen. Ein vollbesetzter Ausflugsdampfer zog dahin, bunte Wimpel flatterten im Frühlingswind, verwehtes Lachen und Stimmengewirr drangen herüber.

  Könnten wir nur auch lachen und fröhlich sein, ging es Christian durch den Sinn. Aber ihre Gespräche drehten sich im Kreis und endeten immer wieder bei dem einen Punkt.

  »Jede Mutter muß irgendwann ihrem Kind sein eigenes Leben lassen«, sagte er nach einer kurzen Pause. »Du kannst nicht immer alle eigenen Wünsche und Ansprüche zurückstellen.«

  »Mama hat sehr viel für mich getan, Christian«, wandte Andrea ein. »Ihr verdanke ich alles. Ich würde es ihr schlecht vergelten, wenn ich jetzt mit dir fortginge. Wer weiß, was aus mir geworden wäre, wenn ich damals nicht so liebevolle Adoptiveltern gefunden hätte.«

  »Aber du hast deine Eltern ja auch glücklich gemacht mit deinem Dasein, da sie keine eigenen Kinder bekommen konnten«, hielt er ihr entgegen. »Ich sehe keinen Grund, daß du dich aus lauter Dankbarkeit für immer angebunden fühlen solltest.«

  »Es wäre etwas anderes, wenn mein Vater noch bei ihr wäre«, sprach Andrea gedankenvoll weiter. »Aber er hat sie verlassen. So kann ich sie doch nicht auch noch verlassen. Ihr schwaches Herz würde es am Ende nicht aushalten, und ich müßte mir ewig Vorwürfe machen.«

  »Ihr schwaches Herz«, wiederholte Christian. Es lag etwas im Ton seiner Stimme, das Andrea aufblicken ließ.

  »Du glaubst nicht daran«, sagte sie leise. »Das ist nicht recht von dir, Christian.«

  »Soll man es nicht merkwürdig finden, daß sich ihr Leiden immer gerade dann zeigt, wenn wir etwas zusammen unternehmen wollen«, bemerkte er.

  »Das gibt sie doch nicht nur vor«, verteidigte Andrea die geliebte Mutter. »Ihr ist bange vor längerem Alleinsein, der Gedanke daran regt sie auf, und dann stellen sich eben diese Herzbeschwerden ein. Sie hat zuviel gearbeitet, das hat ihre Gesundheit angegriffen. Und für wen hat sie es getan? Nur für mich.« Die Worte flossen ihr immer schneller über die Lippen. »Als es nach Vaters Fortgang knapper bei uns wurde, weil die Unterhaltszahlung so hoch nicht war, ist sie als Wirtschafterin in einen fremden Haushalt gegangen, um mir mein Musikstudium zu ermöglichen. Ich hätte sonst etwas anderes machen müssen. Aber das wollte sie nicht. Sie hat es nur aus Liebe zu mir getan«, schloß Andrea nachdrücklich.

  Was sollte er darauf sagen…

  Sie schwiegen im Weitergehen. Mütter schoben ihre Kinderwagen vorüber, auf den Bänken saßen Ältere, unterhielten sich oder blinzelten zufrieden in die Sonne.

  »Wird es also«, begann Christian nach einer Weile, und er mußte sich räuspern, »keine Heirat geben, kein hübsches gemeinsames Haus in der Via Campione in Rom?«

  Dort hatte man ihm eine Wohnung in Aussicht gestellt.

  Andrea sagte lange nichts. Endlich sprach sie leise: »Ich werde auf dich warten, Christian. So lange wirst du ja nicht in Italien bleiben. Du kannst dich trotzdem weiter um eine Stellung hier bemühen. Eines nicht zu fernen Tages wird es schon klappen.«

  »Ich habe einen Dreijahres-Vertrag unterschrieben«, sagte Christian, wobei er starr geradeaus blickte.

  Andrea erschrak. Das hatte er ihr noch nicht gesagt, daß es für so lange sein sollte. »Drei Jahre«, wiederholte sie gepreßt. »Mußte das sein?« Sie berührte seine Hand. »Ach, warum das alles, Christian?«

  »Weil sich mir hier nichts Vergleichbares geboten hat, das weißt du doch«, antwortete er. »Es gibt zu viele Junglehrer, die eine Anstellung suchen. Und den anderen Grund kennst du auch. Italien ist die Heimat meiner Mutter, ich war immer sehr gerne dort, wenn wir in den Ferien bei den Großeltern waren. Es gibt viel unvergänglich Schönes zu bewundern für einen kunstsinnigen Menschen. Dir würde es bestimmt auch gefallen, Andrea, eine Zeitlang dort zu leben. Wenn du mich wirklich liebtest, würdest du mit mir gehen.«

  Andrea wandte ihm ihr Gesicht zu. Ihre sanften grauen Augen hatten sich verdunkelt. Mit einer verlorenen Geste strich sie eine Strähne ihres honigblonden Haares beiseite, die der Wind ihr über die Wange geweht hatte.

  »Zweifle nicht an meiner Liebe, Christian«, bat sie schmerzlich. »Aber ich habe hier eine Kindespflicht zu erfüllen.«

  »Du bist vierundzwanzig Jahre alt«, sagte er mit einiger Heftigkeit. »Du hast das Recht, dich freizumachen von dieser übergroßen Abhängigkeit. Deine Mutter müßte erkennen, daß es für sie ein Leben ohne dich geben kann. Sie ist noch nicht alt, sie sollte die Kraft dazu finden. Auch andere Mütter müssen loslassen können.«

  »In unserem Fall liegen die Dinge doch etwas anders«, widersprach sie.

  »Das siehst du nur so. Du bist zu weich, Andrea.«

  Es wurde nun Zeit, umzukehren. Es ging auf halb sechs zu, Andrea hatte am Abend Vorstellung. Wieder waren sie keinen Schritt weitergekommen.

  Oder doch?

  Christian mußte es wohl als endgültig hinnehmen, daß Andrea ihre Meinung nicht mehr ändern würde. Die Trennung stand bevor. Das AUS.

  Da glaubte man nun, die wahre Liebe gefunden zu haben. Das Mädchen, die Frau, mit der man Seite an Seite gehen wollte. Und was blieb?

  Als Andrea nach Hause kam, empfing ihre Mutter sie mit den Worten: »Marina hat angerufen. Sie wollte dir wohl wieder ihr Herz ausschütten. Ich sehe das gar nicht gern, daß sie dich mit ihren Problemen belastet. Du hast zur Zeit mit dir selber genug zu tun.« Sie sah in das etwas müde Gesicht ihrer Tochter. »Hat Christian dir wieder zugesetzt?«

  »So kann man es nicht nennen, Mama. Er will mich nur nicht verlieren.«

  »Wenn er dich wirklich liebte, würde er im Land bleiben«, behauptete Ulrike Marian.

  Wenn du mich wirklich liebtest, würdest du mit mir gehen, hatte Christian gesagt. Wo lag die Wahrheit?

  »Christian muß ja auch an seine berufliche Zukunft denken«, äußerte Andrea. »Hier sieht es schlecht aus für Lehrer.«

  »Mit etwas Geduld hätte sich schon etwas für ihn gefunden, wenn auch in einer anderen Stadt«, glaubte die Mutter. »Dann hätte ich mir eine kleine Wohnung in eurer Nähe genommen. Ja, Andrea, dafür hätte ich hier alles aufgegeben. Aber ich ziehe doch nicht nach Italien, wo ich kein Wort der Sprache verstehe. Und du willst es ja auch nicht.«

  »Nein, Mama«, sagte Andrea still. »Ich lasse dich doch nicht allein.«

  Ein Lächeln ging über das schmale, von Jahren des Leides gezeichnete Gesicht der Frau. »Das weiß ich, Kind«, gab sie mit einem warmen Blick zurück.

  Sie aßen zu Abend. Bald darauf mußte Andrea sich auf den Weg machen. Sie fuhr mit der Straßenbahn zum Stadttheater, einen Wagen konnte sie sich noch nicht leisten. Heute stand die »Zauberflöte« auf dem Programm. Bei Mozart mußten die Musiker alles geben.

  Wie immer winkte Ulrike ihrer Tochter nach, dieser schlanken, anmutigen Gestalt, die leichten Schrittes dahinging. Mein Liebstes, dachte sie zärtlich. Niemand soll dich mir nehmen.

  Später machte sie es sich vor dem Fernseher bequem. Sie sah sich einen Spielfilm an, der ihr wegen seiner oberflächlichen Handlung nicht viel gab. Da nahm sie sich lieber eine Handarbeit vor, bei der sie auch ihre Gedanken schweifen lassen konnte. Sie häkelte an einem großen, wärmenden Umschlagtuch für Oma Ilse, das sie ihr zu ihrem 85. Geburtstag im Herbst schicken wollte. Mit der Mutter ihres geschiedenen Mannes stand sie immer noch in Verbindung, weil diese in der schwersten Zeit zu ihr gehalten hatte. Obwohl es doch der einzige Sohn war, der aus der Ehe ausgebrochen war und ihr noch ein leibliches Enkelkind schenkte.

  Sie erwartet ein Kind von mir, hatte Lothar zu ihr gesagt, als er vor fünf Jahren mit dem Scheidungsbegehren an sie herangetreten war.

  Damals war es ihr gewesen, als würde ihr der Boden unter den Füßen weggezogen. Sie hatte wohl seit kurzer Zeit geahnt, daß es da noch etwas gab in seinem Leben, das ihn unruhig machte und veränderte. Aber sie wollte es nicht wissen. Sie wollte klug sein und abwarten. Wenn wirklich eine andere Frau dahintersteckte, so konnte es nur eine flüchtige Beziehung sein. Er würde dafür nicht eine langjährige Ehe aufs Spiel setzen, die in ruhigen Bahnen verlief, nicht besser und nicht schlechter war als hunderttausend andere. Lothar war Anfang Fünfzig, und er sah gut aus. Als freier Architekt war er öfter beruflich unterwegs. Es mochte eine Versuchung an ihn herangetreten sein, er wollte sich mit einem Abenteuer noch etwas beweisen, wie es Männern in diesem Alter wohl geschah.

  Aber nun das!

  Sie hätte um ihn gekämpft, wenn die andere, die soviel Jüngere, nicht schwanger von ihm gewesen wäre. Dagegen blieben ihre Waffen stumpf. Die Demütigung brannte, daß es doch an ihr gelegen hatte, daß ihre Ehe kinderlos geblieben war.

  Als sie sich einst nach Jahren vergebenen Hoffens entschlossen hatten, ein Neugeborenes zu adoptieren, hatte dieses kleine Wesen ihr Leben unsagbar bereichert. Bald liebten sie es beide, als sei es ihr leibliches Kind. Es machte keinen Unterschied. Sie war sanft und lieb, ihre Andrea, und sie wuchs in glücklicher Geborgenheit auf.

  Erst als sie zwölf Jahre alt geworden war, hatte Ulrike es ihr gesagt, daß sie sie nicht geboren, sondern an ihr Herz genommen hatte, nachdem sie auf die Welt gekommen war.

  »Und die Frau, die mich geboren hat?« hatte Andrea mit großen Augen gefragt, mit tiefer Verwunderung in ihrer Stimme.

  »Wir wissen nichts von ihr, mein Liebling. Nur, daß sie sehr jung war und es in ihrem Leben keinen Platz für dich gab.«

  »Aber du und Papa, ihr habt Platz für mich gehabt«, sagte das Kind, und es konnte schon wieder lächeln.

  »Einen weiten leeren Platz hast du bei uns ausgefüllt«, bestätigte die Mutter, »und fortan waren wir die glücklichsten Eltern der Welt.«

  Das Thema war nicht mehr zwischen ihnen berührt worden, auch später nicht, als Andrea größer wurde. Die Wurzeln waren zu tief, als daß dieses neue Wissen sie in irgendeiner Weise hätte beschäftigen können.

  Immer deutlicher trat die hohe Musikalität der Heranwachsenden zutage. Wenn die anderen Mädchen in ihrer Klasse sich für diese oder jene Sportart begeisterten, zu Schlagerfans wurden oder schon mit Jungs in die Disco gingen, griff Andrea lieber zu ihren Noten und übte für die nächste Unterrichtsstunde. Ihre erste Geige war ein Kleinod für sie. Ihr Taschengeld gab sie für Opern- und Konzertkarten und für Schallplatten aus. Obwohl es nur eine mittlere Großstadt war, in der sie lebten, wurde doch kulturell einiges geboten.

  Ihr Berufswunsch war, Musikerin in einem Orchester zu werden. Sie strahlte wie nie zuvor, als sie ihre Aufnahmeprüfung an der Musikhochschule bestanden hatte.

  Aber dann kam der Riß, die erste tiefe Erschütterung in ihrem jungen Leben. Andrea mußte mitansehen, wie die Ehe ihrer Eltern zerbrach, der Vater nach der Scheidung in eine andere Stadt zog und sich nur noch wenig um sie kümmerte. Gerade so, als habe er alles bisherige wie ein altes Kleid abgeworfen und hinter sich gelassen.

  Mutter und Tochter schlossen sich nur um so inniger aneinander.

  Ich hätte, dachte Ulrike jetzt, während sie ein neues Wollknäuel aus dem Korb nahm, jede Arbeit angenommen, um meinem Kind die teure Ausbildung zu finanzieren. Ihr Herz war gebrochen. Aber deshalb durfte nicht Andrea irgendeinen ungeliebten Beruf ergreifen.

  Und sie hatte es geschafft, wenn auch unter Aufbietung ihrer letzten Kräfte. Sie sah immer nur das Ziel vor Augen.

  Leidenschaftlich hatte sie Anteil genommen an Andreas Fortkommen. Ihre Begabung und ihr Fleiß wurden von den Professoren anerkannt. Jeder kleine Erfolg war auch ihrer, der Mutter, Erfolg, der sie mit Stolz erfüllte.

  Vor einem Jahr hatte Andrea ihre Ausbildung beendet und bekam eine Anstellung am hiesigen Orchester. Damit wurde ihr Leben leichter. Sie, Ulrike, konnte zu Hause bleiben und ihr Mädchen nach Herzenslust verwöhnen.

  Die Freundschaft mit Christian Boysen mußte sie akzeptieren, auch wenn ihr das nicht leichtfiel. Sie war so daran gewöhnt, daß Andreas Freizeit ihr gehörte, daß sie sie in anderen Stunden vermißte.

  Anders würde es sein, wenn Andrea einmal heiratete, was sicher eines Tages der Fall sein würde. Dann würde sie dem jungen Paar den Haushalt führen. Andrea konnte weiter ihren Beruf ausüben, und wenn Kinder kamen, würde sie denen die geliebte Oma sein.

  Nichts konnte das Band der Gemeinsamkeit zerreißen, das sie so fest umschlang. Dessen war Ulrike ganz sicher.

  Sollte er nur nach Rom gehen, der Christian. Andrea würde ihn vergessen. Die erste Liebe fand selten Erfüllung. So groß konnte sie auch nicht sein. Andrea hatte nie viel darüber gesprochen, keinen Überschwang der Gefühle für ihn gezeigt.

  Ulrike ließ ihre Handarbeit sinken. Sie träumte ein bißchen vor sich hin. Wenn Andrea doch eines Tages Martin Peukerts Zuneigung erwidern könnte… Er hatte ein Haus, sie konnten darin zusammen leben. Um sein Töchterchen brauchte er sich dann keine Sorgen mehr zu machen, weil es zuviel allein war. Und an Andrea hing die kleine Alice sowieso. Ja, das könnte alles sehr schön sein!

  Zuerst hatte Lothar nur beruflich mit ihm zu tun gehabt. Martin Peukert hatte das Bauunternehmen seines Vaters weitergeführt, nachdem dieser sich zur Ruhe gesetzt hatte. Aus der Zusammenarbeit war eine Männerfreundschaft entstanden, die sich freilich abgekühlt hatte, als Lothar gegangen war. Dafür hatte der Jüngere kein Verständnis, die Verbindung brach ab. Aber zu ihnen kam er noch gelegentlich, an manchen Tagen lud sie ihn auch mit Alice zu sich ein. Die warmen Blicke, die der früh Verwitwete auf ihre Andrea heftete, entgingen ihr nicht, auch konnten die beiden herzlich und unbefangen miteinander plaudern und lachen, und das stille Kind zeigte sich in solchen Stunden von reizender Lebhaftigkeit.

  Doch hätte es Andrea sehr verwundert, welcher Wege die Gedanken ihrer Mutter dabei gingen.

  Ulrike sah auf die Uhr. Der Abend war ihr schnell vergangen. Nun würde Andrea wohl bald kommen. Sie blieb immer auf, denn vorher fand sie doch keine Ruhe. Ein paar Reihen konnte sie immerhin noch an ihrer Handarbeit weitermachen.

  Als der Schlüssel sich in der Wohnungstür drehte, stand sie auf und ging ihrer Tochter entgegen.

  »Hast du dir ein Taxi genommen, Liebes?« fragte sie. Sie wollte nicht, daß Andrea, wenn eine Vorstellung lange dauerte, spät abends allein unterwegs war. Es passierte soviel.

  Andrea schüttelte den Kopf. Sie streifte sich die leichte Jacke von den Schultern. »Herr Peukert war in der Oper. Er hat am Künstlerausgang auf mich gewartet und mich nach Hause gefahren.«

  »Wie nett«, lächelte die Mutter überrascht. »Gerade heute habe ich an ihn gedacht. Was hat er denn gesagt?«

  »Er läßt dich grüßen. Alice ist ein bißchen krank gewesen, aber jetzt geht es ihr wieder gut. Sie wollte wissen, wann sie mit ihrem Papa einmal wieder zu uns kommen dürfte.«

  »Ich werde ihn anrufen und ihn für nächsten Sonntag zum Mittagessen zu uns einladen, ja?«

  »Wie du meinst, Mama.«

  Andrea war müde. Sie wollte schlafen und nichts mehr denken müssen. Auch nicht an Christian mehr denken. Ihre Mutter wollte noch wissen, wie die Vorstellung gewesen war, und wieviel Vorhänge es gegeben hatte. Und ob sie nicht noch eine Kleinigkeit zu sich nehmen wollte vor dem Schlafengehen.

  »Heute nicht, Mama.« Andrea küßte die schmale Wange. »Gute Nacht.«

  »Gute Nacht, mein Kind. Schlaf wohl, und schlaf dich aus.«

  »Ja. Morgen früh um zehn habe ich Probe. Zeit genug zum ausschlafen.« Noch ein Lächeln, und sie verschwand in ihrem Zimmer.

  Aber dann mußte sie doch noch an Christian denken, und sie wußte, daß sie um ihn weinen würde, wenn er ging.

*