Trauriges kleines Kerlchen - Gisela Reutling - E-Book

Trauriges kleines Kerlchen E-Book

Gisela Reutling

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Beschreibung

Die Familie ist ein Hort der Liebe, Geborgenheit und Zärtlichkeit. Wir alle sehnen uns nach diesem Flucht- und Orientierungspunkt, der unsere persönliche Welt zusammenhält und schön macht. Das wichtigste Bindeglied der Familie ist Mami. In diesen herzenswarmen Romanen wird davon mit meisterhafter Einfühlung erzählt. Die Romanreihe Mami setzt einen unerschütterlichen Wert der Liebe, begeistert die Menschen und lässt sie in unruhigen Zeiten Mut und Hoffnung schöpfen. Kinderglück und Elternfreuden sind durch nichts auf der Welt zu ersetzen. Genau davon kündet Mami. Mit bunten Farben hatte der Sommer Abschied genommen. Susanne arbeitete im Garten, beschnitt die letzten Astern und fegte das erste Herbstlaub zusammen. Sie tat das gern und freiwillig, denn die anderen Bewohner des Reihenhauses zeigten nur wenig Interesse daran, den Vorgarten ordentlich zu halten. Das Ehepaar Hensel im 1. Stock war schon recht betagt, das Bücken fiel ihnen schwer, und das Studentenpärchen in der Dachwohnung hatte ohnehin keinen Blick dafür. Für sie, Susanne, war es eine angenehme Freizeitbeschäftigung an der frischen Luft. Sie überlegte, ob sie winterharte Stiefmütterchen kaufen und auf das schmale Bett pflanzen sollte, das sie im Frühjahr angelegt hatte. Das sähe hübsch aus und gäbe noch einen Farbtupfer, wenn erst alles verblüht war. Doch da sah sie Anja angeradelt kommen. »Hallo!« rief sie ihrer Schwester entgegen. »Du kommst zu ungewohnter Stunde. Hast du heute keinen Dienst?« »Eine Kollegin vertritt mich.« Anja sprang vom Rad und lehnte es gegen den Zaun. »Ich hatte eine wichtige Besprechung.« Sie begrüßten sich mit einem Küßchen auf die Wange. »Hast du davon deine roten Wangen?« lächelte Susanne. Anja war vier Jahre jünger als sie, gerade vierundzwanzig geworden, und sie sah eigentlich immer frisch und rosig aus.

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Mami – 2022 –

Trauriges kleines Kerlchen

Immer denk´ ich an die Mama

Gisela Reutling

Mit bunten Farben hatte der Sommer Abschied genommen. Susanne arbeitete im Garten, beschnitt die letzten Astern und fegte das erste Herbstlaub zusammen. Sie tat das gern und freiwillig, denn die anderen Bewohner des Reihenhauses zeigten nur wenig Interesse daran, den Vorgarten ordentlich zu halten. Das Ehepaar Hensel im 1. Stock war schon recht betagt, das Bücken fiel ihnen schwer, und das Studentenpärchen in der Dachwohnung hatte ohnehin keinen Blick dafür.

Für sie, Susanne, war es eine angenehme Freizeitbeschäftigung an der frischen Luft.

Sie überlegte, ob sie winterharte Stiefmütterchen kaufen und auf das schmale Bett pflanzen sollte, das sie im Frühjahr angelegt hatte. Das sähe hübsch aus und gäbe noch einen Farbtupfer, wenn erst alles verblüht war. Doch da sah sie Anja angeradelt kommen.

»Hallo!« rief sie ihrer Schwester entgegen. »Du kommst zu ungewohnter Stunde. Hast du heute keinen Dienst?«

»Eine Kollegin vertritt mich.« Anja sprang vom Rad und lehnte es gegen den Zaun. »Ich hatte eine wichtige Besprechung.«

Sie begrüßten sich mit einem Küßchen auf die Wange.

»Hast du davon deine roten Wangen?« lächelte Susanne. Anja war vier Jahre jünger als sie, gerade vierundzwanzig geworden, und sie sah eigentlich immer frisch und rosig aus. Aber heute schien ihr hübsches Gesicht förmlich zu glühen. »Was war das denn für eine Besprechung?«

»Werde ich dir gleich erzählen.« Anja blies sich eine blonde Locke aus der Stirn. »Pfhh, ich bin noch ganz durcheinander.«

»Dann komm erst mal ’rein!«

»Moment, ich muß erst mein Rad abschließen.«

Indessen gab Susanne das Laub in den dafür bestimmten Behälter, dann nahm sie Besen und Kehr­schaufel auf, und zusammen gingen sie ins Haus. Zwei schlanke junge Frauen, fast gleich groß und sich auch im Gesichtsschnitt ähnelnd, nur daß Susannes Haar von dunklerem Blond war und glatt und kurz um ihren Kopf lag.

Sie wohnte mit Christian im Erdgeschoß. Ihre Lebensgemeinschaft bestand seit drei Jahren.

»Möchtest du einen Kaffee, oder eine Limo?« fragte sie ihre Schwester, die sich in dem einfach, aber nett eingerichteten Wohnzimmer in den Sessel hatte fallen lassen.

»Nein, laß mal. Ich habe gerade Tee getrunken bei einer alten Dame in einer Villa in der Ulmenallee.«

Susanne legte den Kopf schief. »Feine Gegend! Wie bist du da hingekommen?«

»Mit dem Rad.«

»Komm, mach’s nicht so spannend. Du weißt genau, wie ich es meine.«

Anja wippte mit den Fußspitzen. Heute nachmittag trug sie mal keine Turnschuhe und Jeans, sondern Pumps mit halbhohem Absatz zu einer gutgeschnittenen Hose, die zu der beigefarbenen Jacke paßte.

»Ich werde für ein Jahr nach Au­stralien gehen!« platzte sie heraus.

»Mach keine Witze«, sagte Susanne verblüfft. »Was willst du in Australien?« Fast mußte sie lachen.

»Soeben hat mir Frau Sheldon das Angebot gemacht, und ich wäre schön blöd, wenn ich es nicht annehmen würde. Ich habe dir doch schon von Frau Sheldon erzählt?«

Susanne mußte erst überlegen. »Ist das nicht die Privatpatientin, die sich nur von dir behandeln läßt und immer Kindchen zu dir sagt?«

»Genau! Das mit dem Kindchen, das nervt mich schon manchmal, aber sonst ist sie sehr nett, und ein kleiner Spleen steht einer Dollarmillionärin schon zu, was meinst du?« Sie hob die Arme, faltete die Hände im Nacken und streckte sich im Zurücklehnen, bevor sie fortfuhr. »Also, Susanne, damit du im Bild bist – Frau Sheldon ist gebürtige Deutsche, war mit einem Australier verheiratet, der inzwischen verstorben ist. Mit Bankgeschäften muß er das große Geld gemacht haben. Sie lebt mal hier und mal dort, hat auch in Südfrankreich noch ein Haus. Wahrscheinlich auch eine Traumvilla.«

Anja unterbrach sich. Ihr Blick ging in die Ferne. »Was sind wir dagegen doch für arme Würstchen, Susannne, wenn man das so hört…«

»Nur kein Neid«, sagte Susanne burschikos. »Wir brauchen keine Traumvilla an der Côte d’Azur. Ja, und was weiter?«

»Hm…« Anja kam zurück. »Wo war ich stehengeblieben? Ach ja, bei Frau Sheldon. Weil sie nun durch ein Hüftleiden nicht mehr so beweglich ist, immerhin ist sie auch schon Mitte sechzig, braucht sie auf Reisen eine Begleitung. Jetzt will sie eben mal wieder in ihre zweite Heimat und mich, ihre Physiotherapeutin Anja Gerster, hat sie dazu ausersehen, sie zu begleiten. Nach Australien!« Anja ließ das Wort auf der Zunge zergehen. Sie richtete sich auf. »Genau gesagt nach Sydney, Susanne, und das soll ja eine ganz tolle Stadt sein.«

»Ja, gut, für eine lange Reise, das sehe ich ein«, nickte Susanne. »Aber wieso für ein Jahr?« Fragend sah sie die Jüngere an.

»So lange will sie diesmal bleiben, und ich soll ihr Therapeutin und Gesellschafterin in einem sein, sie auch mal spazierenfahren und so. Soll ich dir mal sagen, was für ein Gehalt sie mir dafür bietet?«

Anja nannte die Summe, die in der Tat für hiesige Verhältnisse beeindruckend war.

Nach einer kurzen nachdenklichen Pause erkundigte sich Susanne: »Hast du es Achim schon gesagt? Der wird nicht davon begeistert sein, denn Australien liegt nicht gerade um die Ecke.«

»Achim hat noch keine Ahnung. Die Angelegenheit ist doch eben erst zur Sprache gekommen. Er wird schon schwer schlucken müssen. Aber da kann ich ihm nicht helfen. Wäre es umgekehrt, würde ich ihm das auch gönnen. Wann kann unsereiner sonst schon mal eine Weltreise machen.« Anja blickte auf. »Du, jetzt könnte ich doch was trinken. Ich hab’ soviel geredet. Hast du eine Cola da?«

Susanne brachte sie aus dem Kühlschrank auf den Tisch, stellte zwei Gläser dazu. Sie dachte noch an Anjas Freund, der denselben Beruf wie diese ausübte, Masseur und Krankengymnast in einem Zentrum für ambulante Therapie und Rehabilitation war.

»Ihr hattet doch für nächstes Jahr schon große Pläne«, bemerkte sie.

»Du meinst die Gemeinschafts­praxis?« Anja winkte ab. »Dafür müssen wir erst einmal die passenden Räume finden. Soweit wir uns bisher umgehört haben, war alles viel zu teuer. Nein, nein, es schadet nichts, wenn wir erst noch etwas mehr ansparen. Und jetzt«, sie nahm einen tiefen Schluck aus ihrem Glas, »jetzt denke ich sowieso nur an das Nächstliegende!«

»Australien«, sagte Susanne trokken. »Wann soll’s denn losgehen?«

»In vierzehn Tagen. Bis dahin muß ein Ersatz für mich gefunden sein.«

»Geht das denn so bald schon?«

»Es muß gehen«, äußerte Anja selbstbewußt. »Ich weiß von Rita, die vor drei Jahren das Examen mit mir gemacht hat, daß sie nach der Babypause gern wieder arbeiten würde. Mit ihr werde ich heute noch reden.«

»Und was machst du mit deiner Wohnung?« gab Susanne zu bedenken. »Willst du ein Jahr umsonst Miete bezahlen?« Anja hatte ein Zimmer mit Kochnische und Dusche in einer großen Wohnanlage.

»Nein, das wäre ja rausgeworfenes Geld. Die biete ich einer Bekannten an, die sich in einer Wohngemeinschaft nicht besonders wohl fühlt.«

»Tz, tz«, machte Susanne mit einer Kopfbewegung, »wann hast du dir das alles denn schon überlegt?«

»Das ist mir alles blitzartig durch den Kopf gegangen, als ich zu dir fuhr«, antwortete Anja fröhlich. »Und ich krieg’ das hin, glaub mir!« Sie sprang auf. »Aber jetzt muß ich gehen. Ich habe natürlich noch tausend Dinge zu bedenken. Was zum Anziehen brauche ich auch noch. Meine Garderobe besteht ja nur aus drei Sachen.« Sie lachte.

Susanne begleitete ihre Schwester hinaus. Die Nachmittagssonne war versunken, die Tage wurden doch schon merklich kürzer.

»Wann kommt Christian denn heute?« erkundigte sich Anja nebenbei.

»Er fährt bis zweiundzwanzig Uhr.«

»Und du hast diese Woche Frühdienst, wie ich weiß. Dann habt ihr ja gar nicht viel voneinander. Aber daran habt ihr euch wohl schon gewöhnt, in eurem komischen Beruf!«

»Der ist gar nicht komisch!«

»Ja, ja, ich habe nichts gesagt. Du hast schon als Kind lieber mit der Eisenbahn gespielt als mit Puppen. Tschüs, Susi, halt mir den Daumen, daß alles klappt!« Damit radelte sie davon.

Mit einem Lächeln ging Susanne zurück ins Haus. Freilich hatte sie sich nie viel aus Puppen gemacht. Technische Dinge hatten sie mehr interessiert. Deshalb war jedoch keineswegs ein Junge an ihr verlorengegangen, wie manche damals gemeint hatten. Der Unweiblichkeit konnte man sie wirklich nicht bezichtigen.

Am liebsten wäre sie Pilotin geworden. Aber das war natürlich ein Traum geblieben. Ein Spleen, so hatte es ihre Oma entrüstet genannt, daran erinnerte sich Susanne heute noch. Die Gute konnte und wollte sowieso nicht begreifen, warum die jungen Frauen von heute Berufe anstrebten, die früher absolute Männerdomäne gewesen waren.

Die lange und teure Ausbildung wäre auch finanziell nicht zu machen gewesen. Und außerdem – die Mutti hätte ja keine ruhige Minute mehr gehabt, sie immer hoch über den Wolken zu wissen.

So war sie S-Bahnführerin geworden, und sie war zufrieden. Es war ihr eine Genugtuung, sich im Führerstand sicher und stets ihrer Verantwortung bewußt zu fühlen. Sie hatte nette Kollegen, einer stand für den anderen ein, und gelegentlich gab es auch mal Zusammenkünfte, um zu reden und sich auszutauschen.

Christian Scholl, ebenfalls Zugführer und dies schon länger als sie, hatte Susanne in ihrer Anfangszeit kameradschaftlich zur Seite gestanden. Es hatte zwei, drei Jahre gedauert, bis aus guter Kameradschaft Liebe gewachsen war, basierend auf gegenseitigem Vertrauen und dem Gleichklang der Interessen und Lebensgewohnheiten.

Irgendwann würden sie heiraten, doch sie hatten keine Eile damit. Dieses wiederum zur Mißbilligung ihrer Großmama, die bei allem ein Wort mitzureden hatte. Das ließ sich die energische alte Dame nicht nehmen. Ihren Edmund hatte sie seit fünfundfünfzig Jahren unter dem Pantoffel, wie man in der Familie untereinander schmunzelnd erkannte.

Es war noch eine Familie, die zusammenhielt, was in dieser Zeit nicht mehr unbedingt an der Tagesordnung war.

Aber, auweia, dachte Susanne, während sie ein paar Hemden für Christian und für sich Blusen bügelte – alle hellblau, wie es zu den Uniformen der Bahnangestellten ge­hörte –, was würde es für Kommentare zu Anjas überraschendem Vorhaben geben!

Sie waren doch alle einfache Bürger, und dieses Mädchen wollte nun einen Ausflug in die große weite Welt machen… Da würde zunächst mal ein Aufruhr nicht ausbleiben.

Und Susannes Ahnung sollte sich bestätigen!

Sie war mit aller Hausarbeit fertig und hatte es sich gerade vor dem Fernseher gemütlich gemacht, als das Telefon läutete. Ihre Mutter war am Apparat, ihr Atem ging rasch.

»Ich bin ja fassungslos, Susanne«, stieß sie hervor. »Was sagst du denn dazu? Anja war doch schon bei dir?«

»Ja. Aber ich hätte nicht gedacht, daß sie dir auch sogleich die Neuigkeit mitteilen würde.«

»Ich hatte sie angerufen, sie sollte morgen in der Mittagspause zu uns zum Essen kommen, ich mache gefüllte Paprika, die mag sie so gern. Sie hätte keine Zeit, sie müßte sich ›Klamotten‹ kaufen. Wieso denn das auf einmal, habe ich sie gefragt. Da ist sie damit herausgerückt. Und dann mußte sie ganz schnell noch weg, will sich nach einer Nachmieterin umsehen. Ich bin ganz fertig, Susanne!«

»Ach, Mutti, reg dich doch nicht so auf, als wäre etwas Schreckliches passiert. Das ist es doch wirklich nicht wert. Natürlich war ich zuerst auch total überrascht. Aber Anja ist doch ganz begeistert, und man kann das ja auch als eine Chance für sie sehen, einmal etwas ganz Besonderes zu erleben.«

»Du kannst so gelassen bleiben, Susanne. Aber ich – für mich kommt das alles zu überstürzt. Au­stralien, das muß man sich mal vorstellen. Und wer ist denn diese Frau überhaupt, der sie dort Gesellschaft leisten soll? Hat Anja das nötig, der zu Diensten zu sein?«

»Sie begleitet Frau Sheldon als Therapeutin, weil diese wegen ihres Leidens ständiger Behandlung bedarf, Mutti«, setzte Susanne ihr geduldig auseinander. »Du hast das wohl etwas falsch verstanden.«

»Ja, kann schon sein, Anjas Worte haben sich ja auch überschlagen, und sie war so eilig«, klagte Ellinor Gerster. »Aber Tatsache ist doch, daß sie ihre ordentliche Stellung hier aufgibt. Und wenn sie dann hinterher arbeitslos ist, was dann? Dann steht sie da!«

»Mach dir darum mal keine Sorgen…« Eine ganze Weile versuchte Susanne, ihrer Mutter die hundert Bedenken auszureden, die sie hatte. Zum Schluß sagte sie. »Der Papa macht doch hoffentlich nicht so ein Theater darum!«

»Der ist nicht da, er hat heute seinen Stammtisch im ›Schwanen‹. Das ist es ja, weshalb ich dich schnell anrufen mußte. Du meinst also, wir sollten Anja ziehen lassen?«

»Liebe Mama«, sagte Susannne gedehnt, »du sprichst, als wäre sie noch ein Teenager. Sie ist aber keine siebzehn mehr, sondern längst erwachsen. Zurückhalten kann man sie sowieso nicht.«

»Ja, ja, das ist mir schon klar«, seufzte Ellinor. Aber ein bißchen beruhigt hatte ihre Älteste sie doch. Susanne hatte die Eigenschaft, kühlen Kopf zu bewahren. Das war gut so.

Als Christian kurz nach halb elf Uhr vom Dienst kam, war Susanne schon für die Nacht fertig, im Schlafanzug mit Bademantel darüber. Sie pflegten immer aufeinander zu warten, wenn sie verschiedene Fahrtzeiten hatten, was in gewissen Abständen, je nach Einsatzplan, der Fall war. Man mußte sich doch erzählen, wie der Tag verlaufen war.

Heute hatte Susanne sogar etwas zu berichten, das über das Alltägliche hinausging. Sie wartete damit, bis er seine Uniformjacke auf den Bügel gehängt und sich eine Flasche Bier genommen hatte. Die durfte er sich schon zur Nacht genehmigen.

Christian zeigte sich freilich von Anjas Vorhaben weniger beeindruckt, als er denn nun davon erfuhr.

»Ist doch klasse, daß sich ihr eine solche Gelegenheit bietet«, meinte er mit einem heiteren Lächeln in seinem männlichen Gesicht, das klare, offene Züge hatte.

»Ja, wenn nur alle so dächten«, sagte Susanne. »Die Familie ist außer sich, allen voran meine Mutter. Ich hatte schon alle Mühe, ihr beizubringen, daß das kein Grund zu einer Aufregung bis zum Herzinfarkt ist.«

Christian mußte lachen. »Kann ich mir vorstellen. Bei allem Respekt, deine Mutter ist eine Glucke, und das wird sie noch sein, wenn ihre Töchter so alt wie sie und über fünfzig sein werden.«

Dann war es für Susanne Zeit, schlafen zu gehen. Um halb sechs war die Nacht für sie herum. »Ich komme bald nach«, sagte Christian, und sie gaben sich einen Gute-Nacht-Kuß.

*

Anja wußte es nun seit drei Tagen, und immer noch hatte sie es ihrem Freund nicht ›beigebracht‹, wie sie das bei sich nannte. Aber heute mußte es sein, denn das Wochenende verbrachten sie größtenteils zusammen. Und richtig, Achim rief sie schon am Vormittag an. Sie hatte gerade zur Einkaufstasche gegriffen, um zum nahegelegenen Supermarkt zu gehen. Ihr Kühlschrank war leer bis auf einen Zipfel Leberwurst und einen halbvertrockneten Käse. Ans Essen hatte sie kaum noch einen Gedanken verschwendet, ihren Hunger nur gerade mal im Schnellimbiß gestillt.

»Ich muß dich ganz dringend sprechen, Anja!« sagte er jetzt.

Sie räusperte sich. »Ja, ich dich auch. Kommst du heute nachmittag?«

»So lange kann ich nicht warten. Ich komme in einer Viertelstunde zu dir und hole dich ab!«

»Abholen? Wozu, wohin?«

»Das wirst du dann schon sehen. Also, bis gleich.«

»Nein, warte«, rief Anja schnell. »Jetzt paßt es mir nicht. Ich muß was einkaufen gehen, und ich habe auch sonst noch einiges zu tun.«

»Aber es muß jetzt sein, Schatz! Wir haben eine Verabredung um elf Uhr. Einkaufen kannst du immer noch. Tschau.«

Wir? Wir haben eine Verabredung? Kopfschüttelnd legte Anja den Hörer auf. Was sollte das denn heißen. Mit einem Achselzucken stellte sie die Tasche wieder hin und zog ihre Jacke aus.

Na gut. Je schneller sie es hinter sich brachte, um so besser.

Achim hatte nicht den Lift genommen, das dauerte ihm zu lange. Er kam die Treppen hinaufgesaust zum 3. Stock.

»Guten Morgen, Anja. Zieh die Jacke an, es ist kalt draußen.«

»Was ist denn los, wo willst du hin mit mir?« protestierte sie.