Männer weinen nicht - Catherine Herriger - E-Book

Männer weinen nicht E-Book

Catherine Herriger

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Beschreibung

Wenn ein Mann Tränen zeigt, wird er entweder dafür bewundert – oder als Waschlappen klassifiziert. Je nachdem, wie sehr er für seine Umgebung einem männlichen Image entsprechen muss. Die traditionelle, tief verwurzelte Rolle, ein unerschrockener Beschützer, ein unerschütterlicher Vater, "ein Fels in der Brandung" sein zu müssen, überfordert den Mann: denn von seiner Erziehung her und aus seinem Rollenverständnis heraus hat er meist nicht gelernt, emotionale Verantwortung zu tragen. Seine Überforderung zeichnet sich sowohl in der sexuellen wie in der emotionalen Beziehung zur Frau ab. Oftmals stellen sich dann Potenzschwierigkeiten ein. Der Mann spürt seine gefühlsmäßige Unzulänglichkeit, ohne das Warum erkennen zu können. Sachlich und mit Sensibilität und Einfühlungsvermögen widmet sich Catherine Herriger, die renommierte Schweizer Diplom-Psychologin und Paartherapeutin, diesem Thema, das zahlreiche Männer und ihre Partnerinnen bewegt.

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Catherine Herriger

Männer weinen nicht

Die programmierte Impotenz des Mannes

Edel eBooks

Inhalt

Vorwort, das durchaus auch als Nachwort gelesen werden kann

An den Mann

1. Die Jäger

An den Mann

2. Vom Jäger und Ackerbauer zum Patriarchen

An den Mann

3. Der Mann und seine Sexualität

An den Mann

4. Der Mann als Sohn und Vater

An den Mann

5. Der Mann zwischen Mutter und Frau

An den Mann

6. Der Mann und seine Arbeit

An den Mann

7. Eine Ehegeschichte aus zwei Blickwinkeln

An den Mann

An den Mann

Schlußwort an den Mann

Literaturverzeichnis

Vorwort, das durchaus auch als Nachwort gelesen werden kann

Anfang 1989 wurde in Washington, USA, ein Club gegründet für Männer, die im ›Schatten ihrer Frauen‹ leben. Nach seinem Eintrittsgrund befragt, erklärte ein Mitglied, er habe einen Brief erhalten mit der Anschrift seiner Ehefrau als Familienvorstand. Dies hätte ihm schlagartig seinen minderen sozialen Status bewußt gemacht. Und da er sich weigere, hinter seiner Frau zurückzustehen, habe er sich zur aktiven Selbsthilfe entschlossen – er trat dem ›Dennis-Thatcher-Club‹ bei.

Das Ganze mutet uns an wie eine Satire aus weiblicher Feder, um begriffsstutzigen Männern zeitgenössische Geschlechterrollen, karikiert verschoben, zu verdeutlichen. Dabei zitiere ich nur den pragmatisch-kurzen Bericht einer seriösen Wochenzeitung.

Ich füge dem eine statistische Erhebung einer weltbekannten Kosmetikfirma zu, derzufolge immer mehr Männer sich operativ das Gesicht und den Hals straffen lassen ...

Vom medizinischen Standpunkt her weiß ›Mann‹ nun, daß männlichen Schwangerschaften bis ins Jahr 2000 auch nichts mehr im Wege stehen wird. Mit dem Einpflanzen des Fötus am Dickdarm (zwecks Ernährung), eingebettet in einer künstlichen Gebärmutter aus Bauchdecken-Fettschichten, kann ein neues Leben durchaus in einem Männerkörper ausgetragen werden ...

Psychologen und Werbeberater betonen, wie sehr der ›Neue Mann‹ im Kommen ist. Seine Merkmale: sensibler, offener, partnerschaftlicher, familienfreundlicher, verletzlicher, kinderbezogener, zärtlicher, gesprächsfreudiger ... Es scheint, als ob Frauen keine gutfunktionierenden Computerhirne mehr wollen, keine starren Felsen in der Brandung, keine noch so attraktiven Machos, sondern reife und verständnisvolle Partner. Der alte Machtkampf zwischen den Geschlechtern sollte aufhören, gegenseitiger Respekt und damit Gleichberechtigung wird gefordert – ein neues Zeitalter für Mann und Frau erwartet. Das Zeitalter des ›Neuen Mannes‹.

Warum denn geistert der coole, superharte Rambotyp so erfolgreich durch die Medien? Von Sensibilität und Austauschbereitschaft kann da wohl kaum die Rede sein! Führungskräfte lernen Körpersprache und Mimik beherrschen: das kühle ›Pokerface‹ ist gefragter denn je, Emotionen sind out! Scheidungsziffern klettern, viele Männer zwischen vierzig und fünfundfünfzig finden sich alleine: die Frau ist weggegangen, voller Wut und Enttäuschung; zu den Kindern ist keine – oder keine sehr tragfähige – Beziehung entstanden – auch sie sind weg. Der Mann zieht Bilanz und muß feststellen, daß ihm außer einer anspruchsvollen und durch jüngere Konkurrenz ständig gefährdeten Karriere wenig bleibt.

Fälle von Potenzstörungen mehren sich in medizinischen und psychologischen Praxen, Anzeigen über potenz- und erektionsstärkende Wundermittel überschlagen sich im mehr oder weniger diskreten Anpreisen, heiße Sexshows, die nichts mehr offen lassen, und immer brutalere Pornos versprechen dem Mann sicheres Aufgeilen.

Es macht durchaus den Eindruck, als wäre der moderne Mann in seiner männlichen Sicherheit, in seinem Sexualverhalten schwer angeschlagen. Zeichnet sich da ein Trend ab, eine Zeiterscheinung? Oder spricht man offener über ein brandaktuelles, aber eigentlich uraltes Thema? Ist die Ankündigung des sich entwickelnden ›Neuen Mannes‹ nichts anderes als ein Trostpflaster für frustrierte Frauen und für die gefühlsmäßig, leistungsmäßig und sexuell potenzgestörten Männer?

Haufenweise Fragen ... – versuchen wir doch der komplexen männlichen Sexualität und Seelenwelt etwas auf die Spur zu kommen. Es soll nicht nur dem Mann die Möglichkeit geben, seine Ansicht zur männlich-väterlichen Geschlechterrolle zu überprüfen und vielleicht zu revidieren – es kann durchaus auch der Frau und Partnerin neues, oder überhaupt!, Verständnis für ihn und seine Schwierigkeiten vermitteln. Vielleicht muß dann nicht mehr auf einen ›Neuen Mann‹ gehofft werden, der sämtliche Probleme überwunden oder nie gehabt hat, sondern es kann gemeinsam und gezielt eine Partnerschaft erarbeitet werden, die reifer und bewußter gestaltet ist – basierend auf echter Erfassung des anderen Geschlechtes und nicht auf erträumter Scheinwelt und Manipulation durch falsche, irreführende Rollenbilder.

Ich wünsche Ihnen, ob Mann oder Frau, einen guten und hoffnungsvollen Start!

Falera, im Mai 1989

An den Mann

Sie haben letzte Nacht im Bett versagt. Ihre Erektion war einfach weg. Es geschah nicht zum ersten Mal. Sie haben auch gefürchtet und gespürt, wie ›es‹ sich wieder anbahnte. Die Reaktion Ihrer Bettgefährtin hätte nicht besser sein können: sie murmelte einige verständnisvolle Worte über Streß, Müdigkeit und Überreizung, streichelte Sie versuchsweise erotisch, dann liebevoll, fand einen sanften Übergang für ein Glas Wein, eine Zigarette, ein nettes Geplauder ... Nachher, in einer für Sie entspannteren Atmosphäre, unternahmen Sie noch einen halbherzigen Versuch. Es ging! Aber im nachhinein mußten Sie sich eingestehen, daß es nicht so toll war. Immerhin, Ihre Partnerin war zufriedengestellt, Sie haben im richtigen Moment tief gestöhnt und ihr dann versichert, wie wundervoll sie war.

Sie gaben ihr auch die zusätzliche Befriedigung, anscheinend genau zu wissen, wie mit männlichen Potenzstörungen umzugehen sei. Nur bei Ihnen blieb ein schaler Nachgeschmack – Ihnen ist nicht ganz wohl, und Sie erinnern sich an all die Male zuvor, mit ihr, mit anderen Frauen ...

Natürlich haben Sie Erklärungen zur Hand: entweder waren Frauen zu aktiv oder zu phantasielos, zu fordernd oder mit zu wenig Temperament – manchmal dauerte es auch einfach zu lange oder es stimmte ästhetisch nicht. Bleibt die Frage: Warum gingen Sie dann mit der jeweiligen ins Bett? Was wollten Sie sich beweisen, bzw. ihr? Spätestens dann, als Sie die Frau in die Arme nahmen, haben Sie doch geahnt, wie es werden könnte; Sie haben die leisen Widerstände Ihres Körpers gespürt und trotzdem übergangen. Warum?

Oder: Sie waren mitten im Liebesspiel und plötzlich stimmte etwas nicht mehr. Sie haben versucht, Ihr Unbehagen zu verdrängen, Ihre Phantasie einzusetzen – nichts! Das Unbehagen blieb, Ihr Penis wurde schlaff, Sie mußten Ihre Partnerin und sich beschwichtigen ...

Möglicherweise haben Sie zusätzliche Erklärungen bereit, wie: in Ihrem Beruf fühlt man sich häufig erschöpft, körperlich und seelisch – Sie sind auch nicht mehr der Jüngste – Sie halten nichts vom Leistungsdenken im Bett – Ihr Orgasmus ist gar nicht so wichtig, Hauptsache ist, daß Sie miteinander zärtlich sind – Sie verschaffen der Frau auf ›andere Art‹ den Höhepunkt – Sie distanzieren sich völlig von ›klischeehaften Erwartungen‹ im Bett – usw., usf. ...

Bei all dem haben Sie aber immer noch nicht den Punkt berücksichtigt, warum Sie mittendrin nicht mehr konnten. Ihre Erklärungen oder Einsichten weisen eigentlich nur darauf hin, daß Sie gar nicht erst in die Situation des Versagens hätten kommen müssen, sondern lediglich Ihrem Gefühl ›Heute nicht!‹ trauen.

Sie haben sich aber in die Situation begeben – Sie haben sich und vielleicht auch die Frau entkleidet, Sie haben gestreichelt und sich streicheln lassen, Sie haben dabei die passenden Worte gemurmelt, Sie hatten vielleicht eine Erektion und sind in die Frau eingedrungen – um dann allmählich buchstäblich abzuschlaffen. Ihr übergangenes Gefühl hat Ihre Anatomie eingeholt, Sie waren der Realität Ihres Körpers ausgeliefert. Sie sind schwach geworden, Sie haben sich eine Schwachstelle gegeben, unter Umständen wird Ihnen sogar Schwäche vorgeworfen – dabei war aber schon die ganze Situation mit sämtlichen Erklärungsversuchen schwach! Und all das, als Sie sich stark zeigen wollten. Gibt Ihnen das nicht zu denken?

Logischerweise können Sie daraus schließen, daß irgendeine geheimnisvolle, ›unterirdische‹ Spannung zwischen der betreffenden Frau und Ihnen bestand, die Ihnen ein deutliches ›Stop!‹ signalisierte. Irgendein Muster in Ihnen wurde empfindlich gestört, Ihr Penis reagierte auf Ihnen noch unbekannte Botschaften, er ›schreckte‹ zurück.

Nun, Sie wissen (vermutlich und hoffentlich) viel über Frauen, aber – wie erwähnte Situation zeigt: zu wenig über sich selbst. Dabei sind Sie das Produkt von Generationen männlicher Geschichte und Entwicklung. Sie haben jahrtausendealtes Erbgut von männlichen Rollenbildern in sich, das Ihr Denken und Fühlen wesentlich mehr prägt, als Sie sich vorstellen können. Möchten Sie sich kennenlernen? Erfahren, warum Sie in gewissen Situationen völlig anders reagieren, als es eigentlich Ihren Erwartungen und Vorsätzen entspräche?

Ich schlage Ihnen vor, wir drehen das Rad der Zeit etwas zurück. Gehen wir doch in die Epoche der vielbewunderten Jäger, die dem heutigen Manne noch immer als Vorbild hingestellt werden – also etwa in das Jahr 9000 v. Chr.

Wir wissen ja aus Zeitschriften, Filmen und diversen Comic-Strips, wie viril und kraftvoll Ihre Vorfahren anscheinend waren, die schwache Frauen ernähren und vor den Gefahren der Natur und der Umwelt beschützen mußten. Das Bild des keulenschwingenden Supermannes, der nach siegreicher Bärentötung seine ihn bewundernde Frau an den Haaren in die Höhle schleppt, geistert immer wieder durch männliche Phantasien. Der potente Ur-Mann, der angeblich auch in Ihnen stecken und Maßstäbe vermitteln sollte, stand noch nie so hoch im Kurs wie jetzt, trotz oder wegen all den Gesprächen, Leitartikeln und Büchern über den ach – so sensiblen ›Neuen Mann‹.

Gehen wir auf die Zeitreise und schauen, wie es denn tatsächlich war.

1. Die Jäger

Schön sind sie nicht, unsere Vorfahren! Erst bei sehr genauem Hinsehen können wir anhand der Geschlechtsmerkmale Mann und Frau überhaupt unterscheiden. Beide haben denselben Körperbau: klein und stämmig, dabei stark behaart. Sie sind ja auch den gleichen Umweltbedingungen und -anforderungen ausgesetzt. Die fortwährende harte Arbeit, zum größten Teil im Freien, der ständige, gemeinsame Kampf ums Überleben, haben den Körper von Mann und Frau abgehärtet und gestählt. Die Haut am ganzen Körper ist rissig, zerfurcht und dabei hart wie Leder. Die Finger- und Zehennägel sind kurz und schaufelartig geformt. Die Gelenke sind verdickt und treten stark hervor. Unter der niedrigen Stirne verlaufen die buschigen Augenbrauen, fast ohne Zwischenraum, über der flachen, fleischigen Nase, der Unterkiefer ist stark ausgebildet und vorgeschoben. Die Lebenserwartung liegt etwa bei 30 Jahren.

Der Jäger lebt in einer Sippe von etwa dreißig bis vierzig Müttern, ihren Kindern und Männern. Er selbst hat ›eingeheiratet‹, d. h. er wurde von einer Frau ausgesucht, die ihn mit seiner Einwilligung in ihre Sippe mitnahm. Sollte die Beziehung auseinandergehen, muß er die Sippe seiner Frau wieder verlassen und in die seiner Mutter zurückkehren, es sei denn, eine andere Frau wählte ihn zum Manne.

Es hat sich bereits eine Form von Arbeitsteilung herausgebildet: während die Männer in Horden auf die Jagd gehen, bemühen sich die Frauen um die vegetabile Nahrungsbeschaffung und die Kleintierjagd mit dem Netz. Sie sind auch zuständig für den Hüttenbau, wenn die Sippe in eine fruchtbarere Gegend ziehen muß. Der gesamte häusliche Bereich untersteht also der Frau.

Noch vor wenigen Jahrhunderten jagten sie mit den Männern, weil die Sippen zu klein waren, und es daher den Einsatz jedes einzelnen brauchte, um mit den allereinfachsten Waffen ein größeres Tier zu erlegen. Die Jagd ist häufig unergiebig und von daher unzuverlässig für das Überleben der Sippe – deswegen sichern Pflanzen und Beeren den täglichen Nahrungsbedarf.

Der schlichten Tatsache wegen, daß die Frauen das Überleben der Sippe garantieren durch tägliche Nahrungsbeschaffung und durch das Gebären von Kindern, stehen sie in hohem Ansehen. In der religiösen Welt wurde die Mutter zur Fruchtbarkeitsgöttin, also zur obersten Gottheit, in der Sippe zum sozialen Mittelpunkt. Deswegen steht ihr auch die erste Partnerwahl zu. In den meisten Fällen ist der Sippensprecher eine Frau. Anliegen und Streitigkeiten werden vor den Frauenrat gebracht.

Es ist die friedvolle, die ›goldene‹ Zeit des Mutterrechtes, des Matriarchates. Alles gehört allen, es gibt noch keinerlei Art von Privateigentum, daher kaum Neid noch Rivalität. Machtstreben und Geltungstrieb des einzelnen haben gar nicht die nötigen sozialen Bedingungen, um sich durchsetzen zu können. Der jeweilige würde verlacht, ausgestoßen oder gar getötet, hätte er bereits Schaden angerichtet. Jedes Sippenmitglied ist für alle verantwortlich, jeder trägt zum gemeinsamen Wohl sein Möglichstes bei, Kinder und Alte sind aufgehoben im Kollektiv. Da es kein Privateigentum und keine bestimmende ›Autorität‹ gibt, sondern Beschlüsse nur im gemeinsamen Einverständnis getroffen werden, können keine Klassen, keine Hierarchien entstehen.

Die Zuordnung der Geschlechter basiert auf gegenseitiger Zuneigung. Da sowohl Mann wie Frau ihre eigene Arbeitsdomäne und Wichtigkeit haben, sind sie einander ebenbürtig. Der gegenseitige Respekt und die allgemeine Achtung sind gewährleistet. Beide teilen dasselbe große Interesse: das Überleben und den Fortbestand der Sippe.

Der Wert des Mannes mißt sich an seinem Einsatz im Kollektiv und an seiner Geschicklichkeit im Herstellen von Waffen, Werkzeug und Schmuck. Ihm gehört die Bewunderung aller für seine ›technischen‹ Findigkeiten; es sind seine Arbeiten, die der Sippe Ansehen verschaffen.

Aus geheimnisvollen Gründen wird die Frau manchmal schwanger, genauso unberechenbar wie die Erde, die den Menschen mit Fruchtbarkeit beglücken kann. Neues Leben entsteht nur im Weib und aus der Erde – noch wird kaum ein Zusammenhang zwischen Geschlechtsverkehr und Zeugung hergestellt, d. h. es gibt keine eigentliche Vaterschaft. Der Begriff ›Vater‹ im heutigen Sinne existiert noch nicht!

Vor kurzem hat die Sippe aufgehört, ihren Toten deren jeweils beste handwerkliche Erzeugnisse ins Grab mitzugeben; man hat erkannt, daß den Lebenden mehr damit gedient ist, bereits bewährte Waffen und Werkzeuge weiter zu verwenden. Natürlich stellte sich die Frage, wem denn die Güter zur Obhut und Pflege übergeben werden sollten. Die Sippe entschloß sich zur Weitergabe in direkter mütterlicher Abstammung. Das erste ›Erbrecht‹ in der Geschichte der Menschheit ist da!

Vorläufig erben beim Ableben einer Frau ihre Töchter, dann ihre Schwestern, dann ihre Tanten. Stirbt ein Mann, so erben die Söhne seiner Schwester, dann die Brüder der Mutter, dann die eigenen. Da man ja nur die Mutterschaft kennt, kann der Mann selbst nichts vererben – er hat keine ihm blutsverwandten Nachkommen.

Im Laufe der nächsten Jahrhunderte werden die Jäger allmählich seßhaft – die Frauen entdecken den Ackerbau. Die Sippen sind nicht mehr auf Gedeih und Verderb der Natur ausgeliefert, sie haben erkannt, daß Boden zum Teil von Menschenhand urbar gemacht werden kann. Diese Erkenntnis bedeutet einen ungeheuren Sprung in der Geschichte: der Mensch versteht erstmals den Zusammenhang zwischen Säen und Ernten. Auf dieser Erkenntnis wird die gesamte technische Entwicklung der folgenden Generationen fußen, bis in unser Jahrhundert!

Es ist selbstverständlich, daß der Ackerbau fast ausschließlich die Domäne der Frau ist. Sie verkörpert Fruchtbarkeit – und ist somit auch für die Fruchtbarkeit der Erde zuständig.

Dank dem Ackerbau leben unsere Vorfahren erstmals im Überfluß – sie können sogar Vorräte anlegen. Zwar hat der Boden für sich und als Bleibe noch wenig Bedeutung. Sobald die Erde erschöpft ist, zieht die Sippe weiter auf der Suche nach neuem, fruchtbarem Boden, der jeweils gemeinsam bebaut wird.

Aber allmählich lernen die Menschen, die Äcker so zu bepflanzen, daß sie abwechselnd wieder bebaubar werden. Die Fruchtwechselwirtschaft ist da – die Sippe kann endgültig seßhaft werden. Der Jäger hat sich vom Nomaden zum Ackerbauer entwickelt. Alljährlich wird der Boden parzellenweise je nach Größe der verschiedenen Sippeneinheiten aufgeteilt. Eine solche Einheit besteht aus einer Mutter, ihren Kindern und den angeheirateten Männern.

Wenn die Sippe früher für die Verpflegungsmöglichkeiten

An den Mann

Nicht wahr, es ist spannend, Geschichte im eigenen Zusammenhang zu erforschen?! Haben Sie bereits bemerkt, daß die heutige Vorstellung über den Jäger und seine Gemeinschaft nur ein lächerliches Zerrbild der damaligen Zeit ist?

Sie wissen jetzt, daß es damals keine ›Häuptlinge‹ und keinerlei Art von Unterwerfung und Dominanz gab. Der coole, autoritäre Führungstyp wäre bestenfalls ausgelacht worden. Die Männer von damals wußten nur zu gut, wie sehr sie aufeinander angewiesen waren, auf den Einsatz und das Können jedes einzelnen. Natürlich gab es bei jeder Tätigkeit jemand, der mehr Erfahrung oder Geschicklichkeit besaß als die anderen und deshalb kurzfristig eine natürliche Führungsaufgabe übernahm – sei es jetzt Fährtenlesen, das Herstellen einer Waffe, eines Werkzeuges oder das Roden eines Gebietes.

Die Männer lebten in einer Gruppe, die Eigenschaften wie Kooperation, Anpassung, Entwicklung von technischen Fertigkeiten, Kommunikation, Rücksicht und Teilen unterstützte und förderte. Der Jäger, der an einem Tag Pech hatte, erhielt den gleich großen Anteil an der Beute wie jener, der sich gerade auszeichnete. Die Freude an der eigenen Geschicklichkeit, die Bewunderung der anderen nährte weder Selbstsucht noch elitäres Denken, sondern stärkte die Gruppenbeziehung. Ein in vielen Domänen hervorragender Jäger erhielt keinen höheren Status als die anderen, wohl aber Prestige, wenn er seine Fähigkeiten in den Dienst des Kollektives stellte. Mit anderen Worten: je größer seine Beute, um so mehr gab er ab, je erwiesener seine Geschicklichkeit, um so mehr Aufgaben erfüllte er.

Die Jäger und späteren Ackerbauern waren also keineswegs eine im kämpferischen Sinne aggressive Männergemeinschaft. Wir kennen auch keine Höhlenmalereien aus dieser Zeit, die Kampfszenen zwischen Menschen darstellen.

Können Sie gefühlsmäßig ertasten, was es bedeutete, Mann zu sein damals, zur Zeit des Mutterrechtes? Der matristische Mann durfte sich ausleben – gemäß seinen Fertigkeiten und seiner Natur. Und seine Natur war eben, daß er keinerlei biologische Verantwortung hatte! Er war an der Nest- und Brutpflege nur insofern beteiligt, als daß er im Rahmen des Kollektives für das Überleben der Sippe mitverantwortlich war. Damals käme der Ausspruch von William G. Somner aufs positivste zum Tragen: »No amount of reasoning, complaining or protesting can alter the fact that woman bears children and man does not.«

Zwischen Mann und Frau gab es keine Hierarchien, sie waren in ihrer naturgegebenen Arbeitsteilung einander völlig ebenbürtig. Die Verehrung, die der Mann der Frau aufgrund ihres Gebären-Könnens entgegenbrachte, war genauso natürlich wie ihre Bewunderung für seine handwerkliche Geschicklichkeit. Beide lebten ihre ur-eigenste Form der Kreativität, des Schöpfertums und paßten dabei völlig in ihre Umwelt und deren Strukturen hinein.

Sexualität und Geschlechtsverkehr hatten einen nebensächlichen und integrierten, von daher kleinen Stellenwert – es gab weder konstruierte Moral noch Verbote. Da der Zusammenhang zwischen dem männlichen Samenerguß und der weiblichen Schwangerschaft unklar war, fehlte der Vereinigung Mann – Frau zudem jegliches Druck- und Erwartungsmoment.

Als einziges Tabu galt der Beischlaf Mutter – Sohn, wobei dies bereits eine Folge der Sippenentwicklung war. Unsere Vorfahren erkannten im Laufe der Zeit, daß durch die Paarung Mutter – Sohn die Suche nach männlichen Beziehungen außerhalb der Sippe überflüssig wäre – die Sippe bliebe ein in sich abgeschlossenes System. Es braucht die ›eingeheirateten‹ Männer aus anderen Sippen als Zuträger für neues Gedankengut und frische Impulse. Eine sehr fortschrittliche, ökonomische Überlegung!