Martin Walser  - Der weise Mann vom Bodensee - Ilka Scheidgen - E-Book

Martin Walser - Der weise Mann vom Bodensee E-Book

Ilka Scheidgen

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Beschreibung

Ob Martin Walser diese Charakterisierung gefiele, ein weiser Mann zu sein? Vielleicht. Vielleicht jetzt im Alter. Früher ganz sicher nicht. Denn wer weise ist, schreibt nicht. Jedenfalls keine Literatur. Oder muss zumindest nicht schreiben. So wie Martin Walser. Schreiben wie Atmen. Ein Schreibender ist ein Zweifler, ein Suchender, keiner, der Antworten weiß. Die sucht er höchstens. In jedem Buch neu. Nun mit fast neunzig Jahren hat Martin Walser ein Buch vorgelegt mit dem kapriziösen Titel "Statt etwas oder Der letzte Rank" und nennt es Roman. Und man starrt auf das Weiß im goldenen Rahmen auf dem Umschlag und liest einen Satz wie diesen "Unfassbar sein wie die Wolke, die schwebt". Und weiß, das hier ist so etwas wie die Summe, die Quintessenz all seines bisherigen Schreibens. Das Weiß im Weiß ist das Nichts, ist die Leere, ist Alles, ist Mystik, worüber wir uns bei meinem Besuch am Bodensee vor gut zwanzig Jahren unterhalten haben. In einem "Gespräch, das, wie es ja soll, zu weit ging". Da ist Martin Walser wieder angelangt, will mir scheinen. Unglaublich, wie er auf der Klaviatur aller literarischen Genres spielt. Die er schon immer bravourös beherrschte: die Lyrik und die Erzählung, den Roman und Essay, das Theaterstück und den Aphorismus. Alles ist da. "Statt etwas". Die Hilde Domin Biografin Ilka Scheidgen legt zum 90. Geburtstag von Martin Walser am 24. März 2017 mit diesem Buch ein sehr persönliches Porträt des Schriftstellers vor. Ausgehend von ihrer Begegnung in seinem Haus am Bodensee über Essays, Porträts und Rezensionen seiner Bücher fächert sich ein breites Bild von Leben und Schaffen des 1927 in Wasserburg am Bodensee geborenen Dichters und Dramatikers auf. Seit seinen Anfängen bei der Gruppe 47 gehört Martin Walser zu den profiliertesten deutschen Autoren der Nachkriegsgeneration. Er wurde mit zahlreichen renommierten Preisen ausgezeichnet, u.a. 1981 mit dem Georg-Büchner- Preis, 1996 mit dem Friedrich-Hölderlin-Preis und 1998 mit dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels. 2015 erhielt Walser den Internationalen Friedrich-Nietzsche-Preis. Mit mehr als sechzig Prosawerken und zahlreichen Theaterstücken gehört Martin Walser zu den produktivsten deutschen Schriftstellern. Seit seinem Debütroman "Ehen in Philipsburg" 1957 hat Martin Walser 60 Jahre Literaturgeschichte geschrieben.

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Gott ist ein lauter Nichts, ihn rührt kein Nun noch Hier: Je mehr du nach ihm greifst, je mehr entwird er dir.

Angelus Silesius

Inhalt

Einleitung

Biografisches

Mein Besuch bei Martin Walser

Nach meinem Besuch

Ein liebender Mann

Zweitausendacht

Weiterschreiben

Zweitausendzwölf

Zweitausendvierzehn

Zweitausendfünfzehn

Zweitausendsechzehn

Zweitausendsiebzehn

Gedanken zum Schluss

Veröffentlichungen

Einleitung

Ob Martin Walser diese Charakterisierung gefiele, ein weiser Mann zu sein? Vielleicht. Vielleicht jetzt im Alter. Früher ganz sicher nicht. Denn wer weise ist, schreibt nicht. Jedenfalls keine Literatur. Oder muss zumindest nicht schreiben. So wie Martin Walser. Schreiben wie Atmen. Ein Schreibender ist ein Zweifler, ein Suchender, keiner, der Antworten weiß. Die sucht er höchstens. In jedem Buch neu.

Nun mit fast neunzig Jahren hat Martin Walser ein Buch vorgelegt mit dem kapriziösen Titel „Statt etwas oder Der letzte Rank“ und nennt es Roman. Und man starrt auf das Weiß im goldenen Rahmen auf dem Umschlag und liest einen Satz wie diesen „Unfassbar sein wie die Wolke, die schwebt“. Und weiß, das hier ist so etwas wie die Summe, die Quintessenz all seines bisherigen Schreibens.

Das Weiß im Weiß ist das Nichts, ist die Leere, ist Alles, ist Mystik, worüber wir uns bei meinem Besuch am Bodensee vor gut zwanzig Jahren unterhalten haben. In einem „Gespräch, das - wie es ja soll – zu weit ging“.

Da ist Martin Walser wieder angelangt, will mir scheinen. Unglaublich, wie er auf der Klaviatur aller literarischen Genres spielt. Die er schon immer bravourös beherrschte: die Lyrik und die Erzählung, den Roman und Essay, das Theaterstück und den Aphorismus. Alles ist da. „Statt etwas“.

Martin Walser

Der Romanautor, Dramatiker und Essayist Martin Walser wurde am 24. März 1927 in Wasserburg am Bodensee als Sohn eines Gastwirts geboren. Als 16-Jähriger wurde er als Flakhelfer eingezogen und kam bei Kriegsende in Gefangenschaft. 1946 konnte er das Abitur ablegen. Walser studierte in Tübingen und Regensburg Germanistik, Geschichte und Philosophie und promovierte 1951 über Franz Kafka. Schon während seines Studiums arbeitete Walser beim Süddeutschen Rundfunk, für den er bis 1957 tätig war. In dieser Zeit begann er aber auch schon zu schreiben und wurde ab 1953 zu den Tagungen der Gruppe 47 eingeladen.

1950 heiratete Walser die Pianistin Katharina Neuner-Jehle, mit der er gemeinsam vier Töchter hat. Das Ehepaar lebt in Nußdorf am Bodensee.

Martin Walser hat eine Fülle von Romanen geschrieben, die fast sämtlich das Scheitern so genannter kleiner Leute am Leben behandeln. Ironisch-sarkastisch, aber nicht ohne Mitgefühl beschreibt Walser deren Glücksverlangen, den Wunsch nach gesellschaftlichem Aufstieg und die Überforderungen durch eine rücksichtslose Leistungsgesellschaft.

Martin Walsers Werk wurde vielfach ausgezeichnet, u. a. 1957 mit dem Hermann-Hesse-Preis, 1981 mit dem Georg-Büchner-Preis, 1996 mit dem Friedrich-Hölderlin-Preis und 1998 mit dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels. Mit seiner Dankesrede zu diesem Preis, in der er von einer ‚Instrumentalisierung des Holocaust’ sprach, löste er die so genannte Walser-Bubis-Debatte aus, in der Ignatz Bubis Walser vorwarf, Auschwitz zu verharmlosen. Walser hat sich auch schon vor dieser Kontroverse wiederholt gegen den Terror von Meinungen gewehrt.

2015 erhielt Walser den Internationalen Friedrich-Nietzsche-Preis. Außerdem wurde er mit dem Orden „Pour le Mérite“ ausgezeichnet und zum „Officier de l’Ordre des Arts et des Lettres“ ernannt.

Mein Besuch bei Martin Walser

Ein sonniger Septembernachmittag. Nußdorf – ein ruhiger Ort am Ufer des Bodensees, wenige Kilometer vom geschäftigen Überlingen entfernt und auf Sichtweite der barocken Klosterkirche Birnau. Weinstöcke und Obstbäume stehen in Reih und Glied. Die Sonne und eine leichte Brise verlocken Tausende von Segelbooten dazu, sich auf dem Wasser zu verteilen, und verleihen ihm ein heiter getupftes Aussehen zu. Straßennamen wie Zur Forelle, Zum Hecht, Zur Barbe, Zum Stichling lassen den See auch auf dem Trockenen allgegenwärtig sein.

Mit dem Besuchstermin bei Martin Walser hat es etwas gedauert, denn als ich ihn zum ersten Mal anrief, war er noch mitten in der Arbeit an seinem neuesten Roman und bat mich zu warten, bis er ihn beendet hätte. Dann noch einmal ein Aufschub. Walser war zwischenzeitlich erkrankt. Doch dann ist es so weit, dass ich ihn in seinem Haus in seinem Haus am Bodensee besuchen kann.

Das Haus von Martin Walser, schindelbedeckt, weinlaubumrankt. Die Klingel am Gartentor von Stauden überwuchert.

Frau Walser empfängt mich und führt mich hinauf ins Arbeitsreich ihres Mannes.

Es ist unter dem Giebel des großzügigen Einfamilienhauses eingerichtet. Der Blick geht hinunter zum See, an dessen schilfbestandenem Ufer das Grundstück unmittelbar angrenzt.

Hier lebt Martin Walser mit seiner Familie seit 1968.

Und er schätzt es, in so unmittelbarer Nähe des Bodensees zu wohnen, der ihn seit seiner Kindheit wie eine Selbstverständlichkeit begleitet.

Nach einer herzlichen Begrüßung setzen wir uns auf die bequemen Sessel unmittelbar vor dem großen Giebelfenster mit Blick auf Garten und See. Hier also wirkt Martin Walser.

Der Bodensee, an dem Walser 1927 in dem Ort Wasserburg geboren wurde, hat ihn, wie er mir erzählt, nicht losgelassen. Nach seinem Studium der Germanistik, Philosophie und Geschichte in Tübingen und Regensburg und seiner Beschäftigung beim Süddeutschen Rundfunk in Stuttgart ist er mit Beginn seiner Laufbahn als freier Schriftsteller 1957 an ihn zurückgekehrt. Der See ist Walser-Lesern aus seinen Romanen bestens vertraut. Ohne ihn als Hintergrund scheint Walser auch beim Schreiben nicht auskommen zu können.

Sein Schreibtisch und das Regal mit seinen Arbeitsbüchern (allesamt mit der Hand geschrieben und ordentlich nummeriert, damit er sich aus ihnen für seine Romane ‚verproviantieren’ kann) stehen in einer Nische des hohen hellen Raumes, am weitesten entfernt vom Fenster.

Zur Zeit schaut man von hier oben vorwiegend auf Bäume, die, jetzt noch im vollen Laub, den See und die Sonnenreflexe auf dem Wasser nur spärlich freigeben. Man muss nah ans Fenster treten oder auf den angrenzenden Balkon, um das Ufer des Sees zwischen den mächtigen efeubewachsenen Stämmen von Eichen und Kiefern hindurchsehen zu können. Dort liegt das Ruderboot, selten genutzt, wie mir Martin Walser erzählt und ein altes Surfbrett, das inzwischen abgelöst wurde von einem besseren, moderneren, welches er häufiger benutzt. Aber am liebsten das pure Element Wasser! Nichts geht darüber: Schwimmen im See. Und nicht nur mal kurz, sondern eine Stunde lang. Erst dann wird es richtig wohltuend. Man lässt alles hinter sich, ist frei. Der See - ohne ihn kann Walser sich ein Wohnen nicht vorstellen.

Frau Walser tritt noch einmal diskret ins Reich ihres Mannes, bringt uns Kaffee und Kuchen und ist so unauffällig, wie sie eingetreten ist, wieder zur Tür hinaus. Kurz darauf begehrt der Hund, der elfjährige Appenzeller „Robbi", Einlass. Martin Walser öffnet ihm, bedenkt ihn mit einem zärtlichen Blick. Er wird die ganze Zeit anwesend sein, ohne zu stören.

Martin Walser, einer der bedeutendsten und erfolgreichsten deutschen Gegenwartsautoren, mit zahlreichen Auszeichnungen geehrt, liebt trotz seines hohen Bekanntheitsgrades die Zurückgezogenheit. Öffentliche Auftritte sind ihm, der sich in jungen Jahren offen politisch engagierte (z.B. im Wahlkampf 1961 für die SPD oder als Vietnamkriegsgegner} unangenehm geworden. Was nicht heißen soll, dass er sich nicht weiterhin ins politische Geschehen einmischt: kritisch und differenziert, mitleidend und nicht besserwisserisch sich zu Wort meldend.

Ziemlich einsam unter den Intellektuellen stand Walser mit seiner Auffassung zur deutschen Teilung, mit der er sich - seinem „Geschichtsgefühl" gemäß -nicht abfinden konnte. Das trug ihm viel Unverständnis, ja Häme ein. Dennoch empfand Walser nach der Wiedervereinigung weder Genugtuung noch gar Schadenfreude, sondern nur eine reine Freude darüber, dass es so gekommen ist, und dass er es noch erleben durfte.

Und dann sind da die Walserschen Romanfiguren: allesamt aus dem Mittelstand oder Kleinbürgertum, dem der Autor sich selbst zurechnet – Menschen wie du und ich. Treffsicher und mit Witz, subtil und doch niemals verkomplizierend zeichnet Walser seine Charaktere.

Irgendwie liebenswürdig sind sie eigentlich alle in ihren Marotten, Selbstzweifeln, Erfolglosigkeiten. Selbst die Karrieresüchtigen und Prestigejäger werden, obwohl psychologisch treffend als solche enttarnt, in ihren Verrenkungen und Heucheleien niemals wirklich böse niedergemacht oder vom Moralkatheder aus verurteilt.

Nein, Martin Walser ist kein Pessimist, obwohl er sich in den Schwächen und Verbiegungen der Menschen bestens auskennt. Er ist ein Moralist, ohne Moral zu predigen. So versteckt Walser in seinen Romanen Reflexionen klar wie Glas und von scharfsichtiger Analyse.