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Venedig, 1753: Der Karneval ist im vollen Gange. Auf einem Maskenball flirtet der junge Adlige Lorenzo mit einer Dame, die sich kurz darauf als Mann entpuppt. Wutentbrannt über die Täuschung, verlässt Lorenzo das Fest. Später will er den Anderen zum Duell herausfordern, da er sich in seiner Ehre verletzt fühlt. Doch wer ist der Mann hinter der Maske?
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Veröffentlichungsjahr: 2020
Titelei
Inhaltswarnungen
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Epilog, Nachwort und Danksagung
Impressum
Maskiert
historische Gay Romance Novelle
© Amalia Zeichnerin 2018
Inhaltswarnungen zu dieser Novelle
Tod eines wichtigen Charakters, Andeutungen von Gewalt, explizite Sexszenen
„L'amore di carnevale muore di quaresima.”
Italienisches Sprichwort –
„Karnevalsliebe stirbt zur Fastenzeit.”
1
11. Februar 1753 – Venedig
Lorenzo
Ein bunt durcheinander wirbelnder Wirrwarr aus Masken, raschelnden Kleidern und glitzerndem Schmuck flog an ihm vorüber, als er sich an den Rand der Tanzfläche begab. Die heitere Musik eines Menuetts mischte sich mit perlendem Gelächter, während der blumige Duft von Parfüm die Luft ebenso erfüllte wie der Geruch von Schweiß und warmen Speisen.
Lorenzo nahm ein Glas Rotwein von einem der Tabletts, mit dem ein Bediensteter herumging. Seine Halbmaske, die als Bauta bekannt war, erleichterte das Trinken und Speisen, denn die Kinnpartie war leicht vorgewölbt. Dennoch musste er sich etwas verbiegen, um den Becher an seinen Mund führen zu können.
Der Karneval war in vollem Gange, überall in den Gassen Venedigs liefen kostümierte, maskierte Menschen herum, und auch in den Gondeln sah man sie über die Kanäle fahren. Stand und Status spielten kaum noch eine Rolle in diesen Tagen, weil sich ein Großteil der Bevölkerung hinter Masken verbarg und angesichts der bunten Kostüme die Zugehörigkeit zu einem Stand kaum noch zu erkennen war.
Am kommenden Aschermittwoch würde der Zauber des Karnevals wieder vorbei sein, doch bis dahin wollte sich Lorenzo dem Vergnügen hingeben, wie so viele andere Venezianer. Er war mit zwei Freunden hergekommen, die er allerdings im Getümmel des vollen Ballsaales längst aus den Augen verloren hatte.
In dem hohen Raum dominierten rosenfarbene Tapeten, Landschaftsgemälde in vergoldeten Rahmen und große Kristallleuchter an der Decke, welche für reichlich Glanz und Licht sorgten. Die Gastgeber dieser Feier gehörten zu den angesehensten und reichsten der Stadt. Entsprechend opulent und beliebt waren ihre Bälle. Ihre vier Töchter waren unter den unverheirateten jungen Männern der Oberschicht heiß begehrt gewesen, doch sie alle waren längst versprochen oder verheiratet.
Lorenzo entstammte einer alteingesessenen Patrizierfamilie, den Contarinis. Seine Eltern hatte längst eine Ehe für ihn arrangiert. Cordelia, mit der er sich irgendwann bald verloben sollte, kannte er kaum. Sie hatte ein hübsches Gesicht und ein helles Lachen, was aber bisher nicht ausgereicht hatte, um sein Herz zu erobern. Um genau zu sein, hatte noch nie eine Frau sein Herz gewonnen, auch wenn er es sich mehr als einmal gewünscht hatte.
Gestern war er Cordelia auf einer anderen Karnevals-Feierlichkeit begegnet und hatte mit ihr getanzt, doch sie klagte schon relativ bald über Kopfschmerzen. Höflich, wie es sich geziemte, hatte er mit ihren Eltern gesprochen und Cordelia zusammen mit ihrer Anstandsdame nach Hause begleitet, während ihre Eltern noch auf der Feier geblieben waren. Anschließend stellte er fest, dass es spät geworden war, also ging er nicht zurück zum Fest, sondern schlug den Weg nach Hause ein.
Heute wollte Lorenzo sich vergnügen, bis der Morgen graute, das hatte er sich fest vorgenommen. Mit eleganten Bewegungen glitten die tanzenden Paare an ihm vorüber, in farbenfrohen, reichlich dekorierten Kleidern, die im Schein der Kerzen schimmerten. Eine größere Frau in einem weiß-goldenem Kleid fiel ihm auf. Ihr Gesicht lag verborgen unter einer gefiederten Halbmaske mit einem Spitzenschleier, der ihr Kinn bedeckte.
Lorenzo nahm sich vor, sie um den nächsten Tanz zu bitten, deshalb wartete er bis zum Ende des Menuetts. Er folgte der Dame, deren Tanzpartner sie in die andere Richtung führte, während die Musiker die letzten Töne spielten. Lorenzo verneigte sich schwungvoll vor ihr. „Darf ich euch um den nächsten Tanz bitten, Siôra Maschera?”
Herrin Maske, das war die offizielle Anrede für alle Maskenträger, unabhängig von ihrem Geschlecht.
„Ihr dürft, Siôra Maschera”, erwiderte die Dame. Versteckt unter der Maske, war ihr Gesichtsausdruck nicht zu erkennen und auch ihre Stimme klang ein wenig dumpf.
Für Lorenzo war das einer der Reize der Maskierung – man blieb unerkannt, auch was eigene Absichten und Gefühle betraf. Außerhalb des Karnevals diente die Bauta den venezianischen Adligen als Gesellschaftsmaske. Bei einigen politischen Abstimmungen war das Tragen dieser Maske sogar Pflicht, damit der Träger anonym bleiben konnte.
Ein zarter Rosenduft wehte von der Dame in seine Richtung, als er sie auf die Tanzfläche zog. Wie gern hätte er ihr Gesicht gesehen, aber vorerst blieb ihm nichts anderes übrig, als es sich vorzustellen.
Die Musiker spielten nun eine fröhliche Gavotta, bei der die Tänzerinnen und Tänzer schnelle, hüpfende Schritte vollführten und immer wieder die Partner inmitten des Tanzes wechselten. Lorenzo wurde ein wenig schwindlig dabei, außerdem schwitzte er unter seiner Maske. Gleichzeitig fühlte er den Rotwein zu Kopf steigen. Die raschen Drehungen um die eigene Körperachse machten es nicht besser, außerdem rutschten seine Schuhe auf dem glatten Marmorboden. Unter der Maske verlor er kurzzeitig seine Dame aus den Augen, die nun mit einem anderen Herrn tanzte, wie es der Tanz vorgab. Doch am Ende der Gavotta war sie wieder an seiner Seite.
„Verratet mir Euren Namen”, bat er sie.
Sie klappte ihren Fächer auf. „Aber mein Herr, im Karneval sind wir nichts als Masken. Wir werden zu unseren Masken.”
„Wohl wahr…”, musste er ihr recht geben, schließlich war es Tradition. „Dann sagt mir wenigstens, ob Ihr vergeben seid.”
Sie kicherte leise, während sie sich Luft zufächelte. „Auch das ist eine Frage, die im Karneval keine Rolle spielt, nicht wahr?”
Was sollte er darauf erwidern? Wieder hatte sie Recht. Ob er wohl bei ihr auf mehr als nur einen Tanz Chancen hatte? Das ließ sich sicher bald herausfinden. Dieser Palazzo war groß – gewiss gab es hier Zimmer, die sich für ein Schäferstündchen eigneten.
Vielleicht lag es am Wein, der ihm zu Kopf gestiegen war, doch Lorenzo fühlte sich abenteuerlustig. Oder vielleicht wollte er sich etwas beweisen. Möglicherweise konnte diese Dame sein Herz gewinnen? Ein flüchtiger Gedanke an Cordelia, den er allerdings beiseite drängte. Noch waren sie nicht verheiratet.
Die Nacht war schon weit fortgeschritten. Lorenzo wollte lieber gleich sein Glück versuchen, ehe ihm ein anderer Mann dazwischen kam.
„Würdet Ihr mich begleiten, Siôra Maschera? Ich möchte mich ein wenig im Palazzo umsehen.”
Sie zögerte kurz, dann nickte sie. Die Dame klappte ihren Fächer zu und ergriff die ihr dargebotene Hand.
Gemeinsam verließen sie den Ballsaal. Helle Stuckverzierungen schmückten den Flur bis hinauf zur Decke, die mit mythologischen Gestalten bemalt war, und auch hier brannten einige Kerzen, die in Haltern an der Wand hingen. Sie beleuchteten die zarten, von Perücken umrahmten Gesichter der Familienportraits. Lorenzo hatte allerdings keinen Blick für diese Galerie, sondern nur für die Dame an seiner Seite.
Im ersten Raum, dessen Tür er einen Spalt breit öffnete, hatten es sich vier Leute auf einem langen Canapé bequem gemacht. Lorenzo zuckte überrascht zusammen, als er bemerkte, was sie dort machten. Sie bereiteten einander auf verschiedene Weise Lust – natürlich ohne dabei ihre Masken abzunehmen.
Lorenzo schoss bei diesem Anblick die Schamesröte ins Gesicht, obwohl er ähnliches mit der weiß-golden gekleideten Dame vorhatte. Wenn sie denn einwilligte.
Einer der Männer im Raum blickte auf. Der Mund unter seiner Halbmaske verzog sich zu einem anzüglichen Grinsen. Eine Dame kniete vor dem Herrn, verdeckte seine Leibesmitte mit ihren hochgetürmten Frisur, in der mehrere Blumen steckten. Lorenzo konnte sich nur allzu gut vorstellen, was sie dort trieb. Der Gedanke daran sandte eine warme Flamme in seinen Unterleib. Es erinnerte ihn an vergangene Erlebnisse, an Besuche in den Bordellen der Stadt.
Rasch schloss er die Tür wieder, ehe einer der Anwesenden ihn ansprach. Hoffentlich hatte seine Dame nichts von dem Treiben gesehen. Vermutlich hätte sie dann die Flucht ergriffen? Oder zählte sie gar zu den Frauen, die … nein, darüber wollte er lieber nicht weiter nachdenken. Er würde bald ohnehin mehr über sie in Erfahrung bringen. Zumindest hoffte er das.
Gemeinsam wanderten sie den Flur weiter entlang. Die Dame schwieg und er war mit einem Mal zu verlegen, um etwas zu sagen. Stattdessen öffnete er eine weitere Tür. Eine Bibliothek, voll mit Regalen und Büchern aller Art. Davon einmal abgesehen standen hier nur ein Stuhl und ein Sessel. Auch nicht das, was er suchte.
„So viele Bücher …” Sie blieb in der Tür stehen.
„Meine liebe Siôra, wir sind nicht zum Lesen hier. Oder vielmehr … möchte ich lieber in Euch lesen.”
Sie verbarg sich einen Moment lang hinter dem Fächer und kicherte ein weiteres Mal.
Ein Diener in entsprechender Uniform – mit dunklem Gehrock und Kniebundhosen – kam an ihnen vorbei, deutete eine Verbeugung an, sagte aber nichts. Es stand ihm nicht zu, die Gäste anzusprechen, vor allem nicht im Karneval.
Die Dame wedelte hektisch mit ihrem Fächer.
„Ist Euch nicht gut?”, fragte Lorenzo.
„Oh doch, mir ist nur ein wenig warm.”
Der Flur war schier endlos, noch viele Türen lagen vor ihnen – viele Räume, die erforscht werden konnten. Manche Türen waren verschlossen, andere Zimmer waren leer bis auf die Möbel, die zum Teil mit Tüchern verhängt waren.
Was seine Freunde wohl gerade machten? Hatten sie auch eine Frau – oder zwei – gefunden, mit denen sie sich vergnügen konnten? Falls dem so wahr, gönnte er es ihnen von Herzen.
Schließlich fand Lorenzo, wonach er suchte: Ein leeres Schlafzimmer, sicher für Gäste. Ein Doppelbett stand in der Mitte, das über einen Baldachin verfügte. Lorenzo machte eine auffordernde Geste, die Dame sollte eintreten.
Sie folgte ihm nach drinnen, was er mit Freude zur Kenntnis nahm. Schließlich hätte sie ihm auch eine Ohrfeige geben und ihn fragen können, was ihm denn einfalle. Aber angesichts des Bettes mussten ihr seine Absichten vollkommen klar sein.
Lorenzo entzündete einige Kerzen, damit sie hier nicht völlig im Dunkeln umher tappen mussten. Allerdings erreichte deren Lichtschein nicht alle Ecken des Zimmers. Ihm war das gleichgültig, denn er würde die Dame schließlich nicht nur sehen, sondern auch spüren.
„Ihr wollt also in mir lesen, mein Herr? Dann lasst euch gesagt sein, dass ich vielleicht offenherzig sein mag, aber kein offenes Buch bin.”
„Das erwarte ich auch gar nicht von Euch.”
„Dann schlagt gern ein, zwei Seiten auf, doch lasst mir mein Kleid. Wäre ich gänzlich entblößt und man fände uns hier, könnte das unangenehme Folgen für uns beide haben.”
Er stutzte. Was meinte sie damit? Sie waren durch ihre Masken getarnt. Oder fürchtete sie, jemand würde sie anhand ihres nackten Körpers erkennen können? Das würde bedeuten, dass sie sich schon durch so manches Bett geschlafen hatte. In seinem erhitzten Zustand störte ihn diese Vorstellung keineswegs, sondern erregte ihn eher noch mehr.
Es war nicht notwendig, ihr das Kleid auszuziehen. Auch wenn es ihn gereizt hätte, ihre Brüste zu berühren, die unter Stoff und Spitze gänzlich verborgen waren.
„Dann legt Euch bitte hin, meine Teuerste.”
Sie legte ihren Fächer beiseite, ehe sie auf das Bett rutschte, bis nach oben zu den voluminösen Kissen. Sie streckte sich ihm entgegen.
Lorenzo streichelte über ihren Hals und die halb entblößten Unterarme, bedeckte sie mit sanften Küssen. Er wollte den Schleier am unteren Rand ihrer Maske anheben, doch sie drehte den Kopf beiseite.
Die Siôra gab sich also keusch, wollte nicht auf den Mund geküsst werden. Was das Feuer in seinem Inneren nur noch heißer entfachte. Ihren Hals und die weichen Ohren ließen sich ebenso gut küssen, was sie mit einem Seufzen quittierte.
Das ermutigte ihn, so dass er sich vor sie auf das Bett kniete und ihre Röcke hochschob. Mit beiden Händen strich er über ihre seidenen Strümpfe, ihre Beine hinauf. Dabei sah er immer wieder zu ihr, die sich in die Kissen zurücklehnte – vielleicht, so hoffte er, in freudiger Erwartung?
Ihre Röcke bildeten ein Knäuel auf ihrem Unterleib, doch er schob seine Hände darunter, bis er jenseits der Strümpfe auf nackte Haut stieß. Er stockte, als er ihren Schritt erreichte, dort spürte er etwas fleischiges, längliches.
Oh, nein! Unfähig zu begreifen, was er vor sich hatte, griff er danach, betastete es. Die Erkenntnis dämmerte in ihm. Welch falsches Spiel spielte man hier mit ihm! Kaltes Grausen packte ihn, ein flaues Gefühl erfasste seinen Magen. Er schrie auf vor Wut, was den Kerl zusammenzucken ließ. „Wie konntet ihr nur?”
Am liebsten hätte er den elenden Maskierten auf der Stelle verprügelt. Wenn ihm nur von dem Wein nicht so schwindlig gewesen wäre. Er sprang vom Bett auf, froh, sich noch nicht entkleidet zu haben. Er musste hier weg, auf der Stelle!
Ohne sich noch einmal umzudrehen, taumelte er nach draußen, den Flur entlang, bis er ein Zimmer auf der gegenüberliegenden Seite mit einem Balkon fand, der über dem Kanal hing. Lorenzo öffnete rasch die Balkontür. Er trat hinaus und beugte sich über die Brüstung, denn er musste würgen. Ätzend schwappte ein dünnes Rinnsal seine Kehle hinauf und bahnte sich einen Weg über seine Lippen. Es war ein Fehler gewesen, so viel Wein zu trinken. Zumindest angesichts dieser Situation, die ihn völlig aufwühlte.
Einen Moment lang hing er weiter über der Brüstung und atmete tief durch. Die kalte Nachtluft tat ihm gut. Mit beiden Händen stützte er sich auf dem Geländer ab und schaute auf das schwarze Wasser des Kanals hinunter, welcher an einigen Stellen von Fackeln oder Laternen beleuchtet wurde, deren tanzende Lichter schimmernde Reflexe auf die dunklen Fluten zauberten.
Eine Gondel schipperte träge vorbei, von maskierten Passagieren besetzt, die ebenfalls Laternen dabei hatten. Verhaltenes Gelächter drang zu ihm herauf, von weiter weg der sirrende Klang einer Geige.
Er starrte hinunter auf den Kanal und sah der Gondel nach. Als ihm zu kalt wurde, verließ er den Balkon. Nach Hause, das war sein einziger Gedanke. Für ihn war dieses Fest vorbei.
Auf dem Heimweg gingen ihm verbotene Gedanken durch den Kopf. Wie seltsam, dass er hier einem als Frau verkleideten Mann begegnet war. Auf der anderen Seite wusste er, dass es nichts Ungewöhnliches im Karneval war – manche Männer verkleideten sich als Frauen und auch umgekehrt manche Frauen als Männer.
Als er über die merkwürdige Begegnung nachsann, empfand er eine diffuse Erregung. Schon oft hatte sich in seiner Seele etwas geregt, für das er keine Worte fand. Wann immer er gutaussehende Männer betrachtete, spürte er Empfindungen, die gewiss sündig waren. Ein Ziehen im Unterleib oder gar eine Hitze, die sich darin ausbreitete… Anfangs hatte er geglaubt, es hinge einfach mit seiner Schwäche für Schönheit zusammen, die man ja sowohl bei Frauen als auch bei Männern finden konnte. Er sah einfach gern Schönes. Aber das ging gewiss vielen Menschen so und es erklärte nicht, warum ihn der Anblick eines attraktives Mann zu erregen vermochte.
So ging es ihm schon seit gewiss zehn Jahren. Niemandem hatte er sich anvertraut, zu viel Angst hatte er vor Unverständnis und Strafen. Er beging sogar die Sünde, dies nicht zu beichten, auch wenn er damit zum Lügner wurde. Eine innere Stimme hatte ihn davor gewarnt, mit anderen darüber zu sprechen.
Auf der anderen Seite empfand er auch Erregung, wenn er mit einer Frau zusammen war. Zumindest war es ihm so mit den Frauen in den Bordellen ergangen, die seine Freunde und er besucht hatten.
Sicherlich war er wirklich ein Sünder, und gewiss verdammt. Manchmal träumte er nachts von Männern. Sie waren wunderschön, wie die Statuen alter Künstler, die halbnackt waren. Wie der beeindruckende „David” des Michelangelo, den er bei einem Besuch in Florenz gesehen hatte.
In seinen Träumen waren es manchmal mehrere Männer oder auch nur einer. Der lag dann neben ihm im Bett oder sie saßen gemeinsam auf einem Diwan und kamen sich so nah, dass es ihm den Atem raubte. Sie gaben sich einander hin, im Liebesspiel, wie Mann und Frau, und doch wieder anders. Diffuse Träume zumeist, er konnte sich danach nie an alle Einzelheiten erinnern. Meistens waren sein Nachthemd oder auch die Laken feucht nach einem solchen Traum und sein Geschlecht zeigte deutlich seine Erregung.
Gelegentlich träumte er auch von Frauen auf diese Weise, doch es kam seltener vor. Cordelia dagegen tauchte nie in seinen Träumen auf und wenn er ehrlich zu sich selbst war, konnte er sie sich auch kaum in einer solch sündhaften Situation vorstellen.
Nachdenklich ging er weiter, vorbei an einer fröhlich lärmenden Gruppe Kostümierter, die ihn johlend begrüßte. Er nickte ihnen nur zu und hastete weiter. Wie es schien, war er in diesem Karneval vom Pech verfolgt – erst die Sache mit Cordelia und nun das. Hätte er doch eine andere Frau zum Tanz aufgefordert statt dieses verkleideten Mannes!
2
Felicio
Was für eine Misere! Warum hatte er sich auf dem Fest nicht genauer ausgedrückt? Seine Worte waren viel zu vage gewesen, um dem Herrn auf dem Fest deutlich zu machen, dass er ein Mann in einem Kleid war. Das Kleid, welches er nun ordentlich zusammengefaltet und in der Truhe verstaut hatte.
Aber der Andere war hinaus gestürmt, ehe er überhaupt mit ihm sprechen oder sich entschuldigen konnte. Felicio hatte sein Kleid glatt gestrichen und war ihm nachgeeilt, doch der Fremde war bereits verschwunden.
Wieder einmal hatte Felicio das Gefühl, vom Pech verfolgt zu werden. Rund sieben Monate war es her, dass er aus Florenz geflohen war. Hier in Venedig konnte er tun und lassen, was er wollte – solange das Geld reichte. Er griff nach dem Beutel mit den Münzen.