Mehr als ein bisschen Frieden - Ralph Siegel - E-Book

Mehr als ein bisschen Frieden E-Book

Ralph Siegel

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Beschreibung

Ralph Siegel hat über 50 Jahre die deutsche Musikszene entscheidend mitgeprägt. Mit über 2.000 veröffentlichten Songs und Produktionen sowie 25 Teilnahmen am "Eurovision Song Contest" ist er eine der erfolgreichsten Persönlichkeiten der Showbranche. Mit dieser Biografie gewährt uns Ralph Siegel einen spannenden Blick in sein Leben und hinter die Kulissen der Musikbranche: Studios auf dem Dachboden, Ausflüge in die Spielhöllen von Paris, die ersten Erfolge und Misserfolge, die Frauen, der Durchbruch – Ralph Siegel lässt nichts aus und erzählt mit viel Humor von den Wendepunkten und prägenden Momenten in seinem Leben.

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Seitenzahl: 627

Veröffentlichungsjahr: 2020

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© für das eBook: 1. ergänzte und aktualisierte Taschenbuchauflage 2020, Langen Müller Verlag GmbH, München

© für die Originalausgabe: © 2015, Langen Müller in der F.A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Wolfgang Heinzel

Umschlagfoto: Michael Tinnefeld

eBook-Produktion: VerlagsService Dietmar Schmitz GmbH, Heimstetten

ISBN: 978-3-7844-8389-4

www.langen-mueller-verlag.de

Inhalt

Vorwort zum Vorwort

Vorwort

München 1945 – Am Biederstein 7

Januar 1950

1952 und 1953: Rimsting am Chiemsee

Von Rimsting nach Prien am Chiemsee

»Der Tag, an dem die Musik starb« oder »Sport ist die zweitschönste Nebensache der Welt«

Zurück an den Chiemsee

Internat Schloss Kefikon, Schweiz

1961: École d’Humanité, Goldern

Von Goldern heim nach Rimsting

1962: Rimsting, Prien und München-Grünwald

England – Bournemouth – Bed and Breakfast

1963: Paris – Pension »Champs des Mars«

1964: Avenue de la République

1964: Honorary Citizen of Nashville, Tennessee

1964: New York

1965: München-Grünwald

1965: Back to Schwabing

1966: Michael Kunze

Fred Weyrich

Peter der Große oder Die große Chance

Ein Blick zurück nach Frankfurt

Olympia Musikproduktion

Die Menzingerstraße

Peter der Große und die zweite große Chance

Kurz vorm »Gehtnichtmehr«

Ärzte sind Glückssache

Glück

MIDEM (Marché international de l’édition musicale)

Der Tod meines geliebten Vaters

1972: Die Fusion

Schwabing

Ode an München

Dunja

Maserati Indy

Geschichten, die das Leben schreibt

Julia Anna Marina

Letzte Schallplattenfirma vor dem Friedhof

»Mistel – do you wlite music?«

Back to reality oder Zurück zu Alltag und Beruf

Bernd Meinunger

»Griechischer Wein«

Silver Convention – Number 1 in den USA

1974: Ein »Schicksalsjahr« und der »Grand Prix Eurovision de la Chanson« oder der heutige »Eurovision Song Contest«

Hochzeit mit Dunja

Höchlstraße 2, München-Bogenhausen

Moskau

Auf zu neuen Taten – neuen Talenten

Nashville again …

Highway to heaven or hell

Zurück zum Grand Prix – Jetzt oder nie!

I love Dublin

Manchmal ist der Zufall des Glückes Schmied

Nicole oder Wenn der Zufall es will

Der Grand Prix 1982: Lieder, Lieder und »Nur ein Lied«

Harrogate, 24. April 1982

Tinnitus

Frank Elstner

Giulia oder Julia oder Julchen

Augen und Ohren – was gibt es Wichtigeres?

Mallorca, Pollenca und Alcudia: »Olé España«

Back in the USA

»Enorm in Form«

»Golf or not to golf« oder Beuerberg – wo ist denn das?

40 Jahre und ein bisschen leiser

1986: »Natürliche Feinde«

1987: Nürnberg – der »Grand-Prix-Albtraum«

1988: Nein, bitte nicht schon wieder Nürnberg

1989: Wieder ein Schicksalsjahr

»Back home« oder: Am schönsten ist es halt zu Hause

Wieder Junggeselle

Dagi oder Engel fallen nicht vom Himmel, sondern fahren Rad

Grand Prix 1990 oder Wenn man denkt, es geht nicht mehr, kommt irgendwo ein Licht daher

Dieselvilla, ade

Neue Künstler braucht das Land oder Wie retten wir deren Zukunft?

Ein Lied für Malmö

Far away in America

Hochzeit auf Maui

»Alles neu macht der NDR – mit Dr. Jürgen Meier-Beer«

Alana – ein Wunschkind der Liebe

Andrea Berg – »Du hast mich tausendmal belogen«

Zurück zum Glück und auf den »Berggipfel«

Die Wiesn oder Eine Überraschung, die Folgen hatte

Jerusalem zum zweiten Mal und – unvergessen – Yad Vashem

»Mami und die Liebe pur«

»Liebe deinen Nächsten!«

Marcelli oder Ein Kind voll Herz und Seele

Das Jahr 2000 steht vor der Tür – »What’s another year?«

Das Jahr 2000 oder »Wer weiß schon, was es bringen wird?« …

LOU – »der kleine Coup«

Kriemhild oder Der »Schatz« der Nibelungen

2002: Für den nächsten Grand Prix hatte ich mir nur eine Aufgabe gestellt

Diäten oder Wie kommt es nur, dass andere Menschen so viel essen und trinken dürfen und ich nicht?

2005: 60 Jahre und noch kein bisschen leiser

Mozartpremiere und Hochzeit auf Mauritius

Leben oder sterben?

Krebs

Arbeit hält jung oder Jung bleiben ist Kopfsache

Die traurigste Presseerklärung meines Lebens

Auch der Herbst hat schöne Tage

Ralph Siegels Wunderdiät oder Wie nehme ich in zehn Monaten 40 Kilo ab?

Das virtuelle Büfett

Herbst 2014 oder: Zurück in die rauchende Zukunft

Wenn man denkt, es geht nicht mehr – kommt …?

Mehr als ein bisschen kuscheln

»Neunzehn Jahr, schwarzes Haar« …

Das Wunder von Mar-a-Lago oder Plötzlich saß mir mein verstorbener Vater gegenüber

»C’est la vie« oder »Du kannst nicht immer 17 sein«

Wenn man denkt, es geht nicht mehr, kommt irgendwo ein Engelchen daher

S(p)iegelverkehrt und am Boden zerstört!

Amerika, wir kommen oder »Under The Sun We Are One«

Ein Engel kommt selten allein

Kennen Sie SMAGO?

»There’s No Business Like Showbusiness« oder Von »Antonella« bis »Zeppelin«

»Johnny Blue« oder Graf Zeppelin, ich sehe Sie auf der Bühne steh’n

Johnny Blue, der Dritte oder Eine Lesung im Wintergarten

»Zeppelin« oder Der Broadway lässt grüßen

Die unendliche Geschichte von »Moskau«, »Mockba«, »Moscu«, »Moscow« oder Wenn ein Traum wie ein Fußball zerplatzt

Ich heirate einen Engel

Flieg, Zeppelin, flieg oder Wo führt der Weg uns hin?

Neue Partner, neues Glück oder »Freunde, kommt nach Füssen.«

Johnny Blue der Vierte oder »’N bisschen Frieden«

Johnny Blue darf nicht sterben oder Geht’s noch?

»Münchhausen 2000« oder »Der Lügenbaron«

Ein kleiner Abstecher zum geliebten ESC oder »The Winner takes it all«

Wenn deine Freunde scheiden

Berlin ist eine Reise wert oder Lachen ist gesund

»To be or not to be« oder Es muss im Leben immer weitergeh’n

Wurli und Burli oder Die Teetassen-Wauzi-Zucht

Wussten Sie, was ein Mausarm ist?

Scheiß Corona-Virus oder Covid-19 in Amerika

Liebe Freunde

Bildteil

Vorwort zum Vorwort

»Das Leben ist zu kurz, um Gassi zu gehen, schlechten Wein zu trinken und in zu kleinen Badewannen zu baden« – so sollte eigentlich meine vor fünf Jahren veröffentlichte Autobiografie heißen –, die zweite Auflage hatte es dann als Untertitel. Das Problem war, dass ich unbedingt so einen dicken Wälzer schreiben wollte. 470 Seiten, ursprünglich 700, Großformat, und dafür kein Platz in den Flughafen-Schreibwarengeschäften und vielen kleinen Büchereien oder eben sogar Kiosken und Tankstellen etc. vorhanden war.

»Machen Sie doch ein Taschenbuch oder Softcover-Format«, meinte der eine oder andere Profi – »nicht zu groß, nicht zu lang und auch nicht zu teuer, dafür aber dann mit den Highlights Ihres unglaublichen Lebens.«

Na, über Highlights brauche ich mich nicht zu beklagen, denn ich hatte bis dato ein mehr als spannendes und erfülltes, verrücktes und erfolgreiches Komponisten-Texter-Verleger- sowie Produzentenleben in einer Branche, die mich in die halbe Welt hinausführte, und davon handelt auch dieses neu verfasste Buch.

»Nun, gut und gerne«, meinte ich zu meinem geschätzten Verlag – dann werde ich kürzen, dafür aber noch neue und unbekannte Storys hinzufügen. Ganz besonders auch die letzten sechs Jahre, die eigentlich wiederum einen neuen Abschnitt in meinem Leben bedeutet haben, Revue passieren lassen. »75 und kein bisschen leise« könnte es heißen oder »Das Leben ist eine Achterbahn« oder »Kopfkino«.

Am Ende haben wir uns aber für einen Titel entschieden, der mehr aussagt als alle anderen: »Mehr als ein bisschen Frieden.«

Eines meiner schönsten Lieder, welches ich für meine langjährige Freundin und Künstlerin Nicole geschrieben habe. Es sind eben mehr als 2000 Lieder, die ich für großartige Sänger und Sängerinnen, Gruppen und Duette, TV-Serien, Filme und Musicals am Piano, an der Gitarre oder am Keyboard im Keller, Wohnzimmer oder Studio komponiert oder getextet habe. Besonders stolz bin ich aber auch, dass ich unzähligen Künstlern und Kollegen einen Platz in dieser doch sehr schwierigen Branche ebnen konnte, denn ein Lied kann oft das ganze Leben verändern. »Lieder sind die besten Freunde«, sangen 1983 all meine damaligen Künstler in meiner ZDF-Sendung, und ich glaube, sagen zu können, dass Musik die Menschen verbindet und selbst in schwierigen Zeiten hilft, auch diese zu überstehen.

Es ist Ostersonntag, der 12. April 2020, und ich sitze seit vier Wochen in Florida in Quarantäne, denn die Welt wurde von einem schrecklichen Virus befallen. Zeit genug, um wieder mal über das Leben nachzudenken – nicht nur das eigene, sondern auch über Sinn und Zweck unseres gemeinsamen Lebens auf Erden.

Zeit, Wichtiges und Unwichtiges zu trennen – Zeit, neue Lieder und diese neue Auflage meiner Autobiografie zu schreiben. Mehr als zwei Drittel sind neu, denn ich kann meine spannende Jugend nicht streichen oder neu erfinden, und so gehört sie auch in meine Biografie. Ich glaube auch, dass jeder, der einen Fuß in die Musikbranche setzen möchte oder bereits drin ist, sehr viel aus diesem Buch auf seinen Lebensweg mitnehmen kann.

Vorwort

Soll ich oder soll ich nicht? Ich fragte mich das jeden Tag, während ich am Schreibtisch saß, soll ich mein Herz, meine Gedanken öffnen und in diesem Buch mein Innerstes nach außen kehren? Geschichten erzählen und aus meinem Berufs- und Privatleben ausplaudern, was eigentlich nur mich betrifft, meine Familie und engsten Freunde wissen oder miterlebt haben? Aber ich kam zu dem Schluss: Warum eigentlich nicht? – Wir haben nur ein Leben und erleben jeden Tag Dinge, die unglaublich sind. Natürlich erlebt man selbst alles nur subjektiv, und so versuche ich auch meine Gedanken zu ordnen.

Es war bis jetzt ein spannendes, aufregendes Leben, das ich mit allen Höhen und Tiefen, Ehen und Scheidungen, Hits und Flops, Freund- und leider auch Feindschaften leben durfte. Erlebnisse, bei denen mir selbst beim Aufschreiben Schauer über den Rücken liefen, und Begegnungen, die man nicht für möglich hält. Wie Erfolg von einem auf den anderen Tag das Leben einer ganzen Familie ändern und wie Misserfolg tragische Auswirkungen haben kann. Glück ist wohl einer der wichtigsten Faktoren im Leben, und wer dieses Buch liest, kann vielleicht für sich ein bisschen Glück abschneiden. Wissen über die Musikbranche und besonders den Umgang mit den Protagonisten bzw. Machern. »Wissen ist Macht«, und ich habe viel von meinen Lehrern gelernt und bin ihnen heute noch dankbar.

Es gibt viel zu lachen, zum Nachdenken und vielleicht einiges Unerwartete in meinem Buch zu finden – in den »Memoiren des Ralph Siegel«.

Viel Spaß!

München 1945 – Am Biederstein 7

Es war die Stunde null. Am 30. September 1945 bin ich im Englischen Garten – in der damaligen Geisenhofer Klinik, der heutigen Parkklinik, auf die Welt gekommen, als Ralph Claus Peter Siegel, der Sohn von Rudolph Maria Siegel und Ingeborg Döderlein. Als ich im Leben landete, hatten die Menschen in München schon seit einem guten halben Jahr mit den Aufräumarbeiten nach dem gerade beendeten Krieg zu tun. Es gab da eine Menge Schutt wegzuschaffen, die Stadt wiederaufzubauen und das tägliche Leben zu meistern.

Ich hatte großes Glück, denn ich bin bereits ein »Friedenskind« und dem Irrsinn, dem die halbe Welt und auch meine Eltern ausgesetzt waren, knapp entkommen. Über 700 Mal hatten seit Januar 1945 in München die Sirenen geheult, die Menschen in die Keller und Bunker getrieben, bis schließlich alles vorbei war. 300 000 Ausgebombte lebten zwischen den Ruinen, und die Stadt war Plünderungen ausgesetzt. Es herrschte Chaos in den ersten Tagen nach Kriegsende. Meine Eltern hatten das Kriegsende in Bayern erlebt: Mein Vater Ralph Maria Siegel, der eigentlich Rudolph hieß und sich den Vornamen Ralph selbst gegeben hatte, diesen sogar später im Reisepass eintragen hat lassen, und meine Mutter, die Operettensängerin Ingeborg Döderlein mit dem klingenden Kosenamen »Sternchen«, der sie ein Leben lang begleitet hat.

Ich bin also schon als Sohn eines Künstlerehepaars zur Welt gekommen, sozusagen als die übernächste Generation einer Künstlerfamilie. Mein Großvater Rudolf Siegel war im frühen 20. Jahrhundert auch schon Musiker, Generalmusikdirektor, Dirigent und Opernkomponist in Krefeld.

Ich wurde am letzten Tag im September geboren, im Sternzeichen Waage, war 58 Zentimeter lang, acht Pfund schwer und hatte lange schwarze Haare. Da lag ich nun, ein Sonntagskind – in Kriegswindeln.

Es war sicher eine harte Zeit für alle – eine der vielen Entbehrungen, aber wir hatten Glück. Die Wohnung am Biederstein 7 hatte die Bombardierungen relativ glimpflich überstanden.

Jetzt suchten meine Eltern ein Plätzchen, wo der Krieg weniger Auswirkungen hinterlassen hatte, und fanden es in der kleinen Ortschaft Liedering bei Obing. Ich habe es immer als einen Wink des Schicksals empfunden, dass ein Dorf, in dessen Namen »Lieder« vorkam, uns Schutz bot. In der Tat war das kleine Liedering so etwas wie eine »Insel des Friedens«. Papi, der ja seit jeher ein Talent zum Häuserbauen hatte und Architektur zu seinen Leidenschaften zählte, stellte gemeinsam mit seinem Bruder Bruno in Liedering ein kleines Häuschen auf die Wiese. Vier Wände, vier Fenster und eine Tür, oben ein kleiner, ausgebauter Dachboden. Keine Ahnung, wo die beiden zu dieser Zeit das Baumaterial herhatten, aber das Häuschen stand und war unser Zuhause für die nächsten Jahre, denn München war in dieser Zeit dabei, sich mühsam aus dem Kriegsschutt wieder aufzurappeln. Papi war fast immer auf Tour und machte in München und Berlin Musik für die Amerikaner. Dass daraus noch eines der spannendsten Erlebnisse meines Lebens werden sollte, werde ich später erzählen. Als Gage gab es Lebensmittel und die Dinge des täglichen Bedarfs. Einmal, da brachte er 20 Orangen mit – die Gage dafür, dass er für die Amis swingte und die sich in der Fremde ein wenig wie zu Hause fühlen konnten. Aber dann, wenn er nicht bei uns war, was oft vorkam, war es Mami, die sich um unsere Versorgung kümmern musste. Mami klopfte bei den Bauern an und tauschte Wertgegenstände wie Silber und Porzellan oder Schmuck für Lebensmittel ein. »Mia hen koa onzgs Oa« (wir haben kein einziges Ei), hat sie oft genug zu hören bekommen, wenn die Bauern nicht zu tauschen gewillt waren, aber irgendwie gelang ihr es dann doch immer wieder, etwas auf den Tisch zu zaubern.

Ich war gerade mal so drei Jahre alt, als Mami mit mir zurück nach München zog – ins Untergeschoss der Wohnung am Biederstein 7. Im selben Haus wohnte auch die jüdische Familie Dudeltchik, und ihre Tochter Sarah war meine erste Freundin und Spielkameradin. Sie war ein Jahr jünger als ich, und wir trafen uns nahezu täglich im Garten hinter dem Haus. Später, wenn ich mich als Erwachsener an Sarah zurückerinnert habe, habe ich mir oft Gedanken darüber gemacht, wie es die Dudeltchiks geschafft hatten, in Nazideutschland zu überleben. Das Bewusstsein, dass Sarah Jüdin war und ihre Familie sehr gelitten hatte, fehlte mir als Kind ganz und gar. Sarah war meine Spielkameradin … das war wichtig, nicht die Religionszugehörigkeit. Was kümmert das schon einen vier Jahre alten Buben?

Meine Mami hatte ganz andere Probleme mit mir, denn ich wollte einfach keine Medizin einnehmen, wenn mal ein Schnupfen oder eine Kinderkrankheit wie Masern oder Milchzahnschmerzen bei mir auftraten. Ich aß auch wie alle Kinder keinen Spinat und eigentlich nur Kartoffelbrei. Mami regelte das auf ihre Weise. Sie mischte alle nur notwendigen Medikamente in den Kartoffelbrei, und mit meinem Lieblingsgetränk, dem Himbeersaft, ging es ebenso einfach – schwupps, war der kleine Sohn versorgt.

Mein Vater wiederum, der legte in einer Holzbaracke, nicht weit von unserem Wohnhaus entfernt, im Spätsommer 1948 mit einer von den Amerikanern ausgestellten Lizenz den Grundstein seiner Karriere als Musikverleger, womit auch für meinen weiteren Lebensweg die Weichen gestellt waren.

1949 wurde der Bayerische Rundfunk gegründet, und aus dem ehemaligen Radio Munich wurde der BR. Der erste Intendant, Rudolf von Scholtz, erhielt von der amerikanischen Militärregierung in Bayern die Lizenzurkunde, die ihn zum Radiobetrieb bevollmächtigte.

Und auch Mami sang bald wieder: unter anderem beim Bayerischen Rundfunk mit dem Rundfunkorchester unter der Leitung von Werner Schmidt-Böhlke und vielen anderen Dirigenten. Wenn Mami damals im Gärtnerplatztheater sang, stand ich oft hinter dem Vorhang und, wie man mir erzählte, kommentierte ihre Auftritte meist mit den Worten: »Mami muss tanzen und singen.« Warum ich »muss« sagte, wurde mir erst später klar, denn die Liebe zum Tanzen und Singen ist wahrscheinlich eine Berufung, man fühlt den inneren Zwang, es weiter zu tun, bis es nicht mehr geht. Andererseits ist der Druck groß, in diesen schweren Berufen eben auch Geld für den Lebensunterhalt zu verdienen.

Januar 1950

Die Erinnerungen an den großen Krieg wurden langsam verdrängt, das Wirtschaftswunder trieb die Konjunktur in nahezu atemberaubender Geschwindigkeit an. Es ging aufwärts, und in den Schaufenstern der Läden waren all die Dinge nun bereits wieder Usus, von denen man Jahre zuvor noch nicht einmal zu träumen gewagt hatte. Die Damen der Gesellschaft hatten wieder Freude an schönen Kleidern und Kostümen, und man sprach wieder von Mode und nicht nur davon, ob man etwas anzuziehen hatte. Für mich brach Anfang September auch eine neue Zeit an: mein erster Schultag. Zuerst mit fünf Jahren in München – sehr früh, aber wenig später dann 1951 in Rimsting am Chiemsee. Gemeinsam mit der »Micky Maus Germany«, die ebenfalls ab September 1951 in wöchentlichen Heften immer neue Abenteuer erlebte, startete ich dort ins Schulleben – und wurde von meiner Mutter übrigens öfter Micky gerufen. Mein Vater ärgerte sich immer, wenn Mami »Ralph« rief und er angelaufen kam, und sie hatte eigentlich mich gesucht oder gerufen. Da ich aber der »Kleine« war, nannte er mich so wie die kleine Maus eben »Micky«, und diesen Spitznamen behielt ich lange, auch als ich schon eins achtundachtzig auf die Beine brachte. Irgendwann war’s dann auch Ralph Junior, und später fiel der Junior eben weg – that’s life!

1952 und 1953: Rimsting am Chiemsee

Mein Vater war geschäftlich bereits mehr als erfolgreich, und so begann er Anfang der Fünfzigerjahre damit, einen Baugrund zu suchen, wo er unser neues Familiendomizil errichten wollte. Seine Idee war: Arbeiten in München, wohnen und leben auf dem Land, weg von der Großstadt.

Mami und ich sollten in gesunder Umgebung frische Luft atmen können. In Rimsting wurde er schließlich fündig, und unsere neue Adresse lautete bald: Paradiesstraße!

Diese Straße gab es eigentlich gar nicht, es war vielmehr eine namenlose »Piste«, die ein paar aneinanderliegende Wiesen verband. Ein Rumpelweg sondergleichen, welcher von der Gemeinde Rimsting jahrelang nie ausgebaut oder gepflegt wurde. Papi wurde auf seine Art zum Namensgeber und nannte diese Schotterstraße eben Paradiesstraße. Was der Gemeinderat übrigens nach einigen Jahren offiziell bestätigte. 1952 fing Papi dort zu bauen an, und für die damaligen Verhältnisse entstand ein Traumhaus – ein kleines Paradies eben.

In der neuen Volksschule war ich der einzige evangelisch getaufte Schüler. Der Rest der Klasse war katholisch, und das brachte mit sich, dass ich immer dann freihatte, während die anderen Schüler im Religionsunterricht saßen – das war schon mal anders, und außerdem wurde ich von Sepp, unserem Hausmeister, zur Schule gefahren, und die meisten Kinder mussten halt laufen oder kamen mit dem Rad, und das war erst recht anders! Wie das bei den Klassenkameraden so ankam, kann man sich denken. Ich war für sie der privilegierte Sohn aus gutem Hause. Das ließen sie mich dann auch spüren, und beim Fußballspielen musste ich eben dann schon mal zusehen, was ich ganz unerträglich fand, denn ich liebte Fußball, und dieses Gefühl des Ausgeschlossenseins tat mir oft sehr weh.

Also versuchte ich, auf andere Weise Freunde zu gewinnen und immer wieder Kontakte herzustellen, und ritt mich dabei aber noch tiefer in die Bredouille. Den größten Fehler machte ich, indem ich von meinem Taschengeld einige Schulkameraden dann zum Eisessen einlud. Die Folge war, dass sie fröhlich mitaßen und sich das Eis schmecken ließen, aber kurz darauf war ich dann völlig unten durch. Verstanden habe ich das damals nicht und empfand es als ungerecht und fühlte mich ausgenutzt. Diese Art der Zurückweisung habe ich im Laufe meines Lebens immer wieder in diversen Situationen erlebt und spüren müssen, dass ich immer mal wieder vielleicht zu großzügig gehandelt habe, aber ehrlich gesagt habe ich immer gerne Menschen Freude gemacht und nie dabei gedacht, dass ich damit jemanden kaufen könnte oder wollte. Man kann keine Menschen kaufen, und wahre Liebe schon gar nicht.

Ich hatte schon als kleiner Junge eben den Wunsch, Freude zu bereiten, doch das wird manchmal falsch interpretiert oder ausgelegt. Ich habe mir im Laufe des Lebens auf diese Art immer wieder – ich nenne sie so – »natürliche Feinde« gemacht, ohne dass ich es gewollt oder auch nur geahnt hätte, und lebe eigentlich immer noch nach dem Prinzip: Man muss im Leben auch geben, besonders denjenigen, denen es nicht so gut geht und die nicht so viel Glück hatten wie ich. Meine Eltern waren da nicht anders: Meine Mutter war das größte Beispiel für Güte. Sie hängte es nie an die große Glocke, dass sie freiwillig beim Roten Kreuz arbeitete, trotz all ihrer Aufgaben als »Sternchen Siegel«, Mutter und Ehefrau. Ich bewundere immer wieder Menschen, die sich ehrenamtlich oder aus reiner Opferbereitschaft für andere Menschen einsetzen.

Papi jedenfalls, der kam fast jedes Wochenende mit Freunden und Gästen nach Rimsting und fuhr am Montag wieder nach München. Was sich da an diesen Wochenenden in unserem Haus abspielte, dazu komme ich noch, denn diese Geschichten sind heute noch Thema im Freundeskreis, und im Laufe dieser unvergesslichen Tage in Rimsting gelang es mir dann doch, mit den Jungen im Dorf und den Nachbarn gute Freundschaften zu schließen. Einige dauern bis heute an. Freundschaften waren in diesen Tagen unkomplizierter, aber trotzdem hat sich unser Leben anders abgespielt als das der meisten Menschen um uns herum. Es gab Dinge, die waren überall gleich, sind es bis heute und bringen Geschäftsleute und Freunde zusammen. Fußball ist ein Paradebeispiel dafür. Ich weiß noch heute, als wenn es gestern gewesen wäre, wie wir 1954 am Radio hingen und die WM mitverfolgten: TOOOOOR TOOOOOR!

Helmut Rahn … Deutschland ist Weltmeister, und in Bern ist ein »Wunder« geschehen! Rahn und das Tor zum 3:2 gegen Ungarn.

Unvergesslich, wie wir tanzten und sprangen und im Anschluss feierten. Fritz Walter, Helmut Rahn und besonders Toni Turek wurden für die nächsten Jahre unsere Idole, und als ich viele Jahre später Fritz Walter persönlich kennenlernte, musste ich mich immer noch an die Stunden am Kofferradio in Rimsting erinnern. Ein persönliches Autogramm hängt noch heute über meinem Schreibtisch, und ich freue mich immer wieder darüber, dass er mir dieses Foto mit Widmung noch kurz vor seinem Tod schickte.

Es war eine Zeit, die unvergesslich bleibt, denn die Jugendjahre prägen einen Menschen mehr, als man glaubt. Ich war ein glückliches Kind. Ich durfte fast alles machen – hatte zwei Hasen, die ich Brasil und Santos taufte, den Esel Theo, dazu eine Art Sulky bzw. Kutsche, und ich wurde zweimal die Woche nach Rosenheim gefahren, um dort das »Orff’sche Schulwerk« zu erlernen. Spielerisch erlernte ich mit Instrumenten wie Xylofon, Marimba- oder Vibrafon, Triangel, Trommeln und Pauken die ersten Musikstücke und hatte dabei bereits Freude am Musizieren.

Als Sohn musischer Eltern war es kein Wunder, dass ich bald ein Instrument – ein Knopfakkordeon – besaß, auf dem ich mich versuchte. »Meine Güte, so viele Knöpfe rechts und links«, und man musste auch noch die richtigen Knöpfe treffen. Aber es klang schön, es gefiel mir, und so setzte ich mich nach dem Üben immer ans Klavier von Papi und begann mit den ersten Tonleitern. Als Kind hat man ja noch nicht so viel Kraft, und wenn man darüber nachdenkt, dass Mozart bereits mit fünf Jahren so gut Klavierspielen konnte, wird man ehrfürchtig. Das erinnert mich auch an eine Geschichte auf einer Reise, die ich mal mit Nicole und Robert Jung nach Tokio zum Yamaha-Song-Festival machte, wo eine siebenjährige Pianistin sowie eine 13-jährige Organistin auftraten. Nicole sang den Titel »So viele Lieder sind in mir«, und wir wurden Zweite – die Amerikaner, die die Sendung nach Amerika übertrugen, gewannen. War ja klar. In der Pause trat der Moderator des Festivals an die teilnehmenden Komponisten heran und bat einen Kollegen, doch kurz ein Thema von vielleicht vier Takten zu singen, die dann mein englischer Kollege fröhlich aus dem Bauch heraus anstimmte. Die beiden Kinder saßen am Flügel bzw. der mit allen Sounds ausgestatteten Yamaha-Orgel und improvisierten fast zehn Minuten über das vorgegebene Thema. Wir kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus. »Weißt du, warum die Amerikaner im Showbusiness immer so erfolgreich sind?«, fragte mich kürzlich ein Freund aus Amerika. »Sie üben und üben und üben«, meinte er lächelnd.

Nicht immer war ich mit großer Begeisterung bei der Sache. Die Noten von Cerny oder Chopin, die meine Mutter mir zum Üben vorlegte, versteckte ich mit großer Freude immer unter dem Teppich und war mit kindlicher Naivität der Meinung, sie würde das nicht bemerken. Irrtum. So gab es die ersten und einzigen leichten Hiebe mit dem Teppichklopfer, an die ich mich heute noch erinnern kann. Es hat nicht wirklich wehgetan, aber Angst hatte ich schon. Meiner Mami tat es hinterher selber so leid, dass sie danach weinte und mich in den Arm nahm.

Ich bekam auch Unterricht in Gitarre bei meinem Volksschullehrer Pfister und Akkordeonunterricht bei Franz Langheinrich, der mich später in sein Akkordeonorchester aufnahm. Zur großen Freude der Nachbarn folgte auch noch an Weihnachten das erste Schlagzeug, das mir später noch viel bedeuten sollte, denn es eröffnete mir die Möglichkeit, eine Band zu gründen.

Unser Paradies machte seinem Namen alle Ehre. Die Partys, die meine Eltern schmissen, waren legendär. Es kamen Gäste aus aller Herren Länder, denn Papi war viel auf Reisen, besuchte Verleger in der ganzen Welt, schloss Kontakte und lud die Geschäftsfreunde eben auch nach Rimsting ein.

Von Rimsting nach Prien am Chiemsee

Im Schuljahr 1956 begann das erste Jahr an der Ludwig-Thoma-Oberrealschule, und hier wehte ein neuer Wind. Diese Schule war eine neue Herausforderung, und ich versuchte, meinem Drang, Sprachen zu sprechen, zu folgen – bei dem Vorbild in der Familie eine logische Folgerung – Englisch ganz klar und ab 1958 dann Wahlfach: Latein! Das bereue ich bis heute. Mein Vater meinte, es sei gut, denn damit würde ich später die romanischen Sprachen leichter erlernen. Ich für meinen Teil hätte lieber gleich Französisch genommen, denn Arzt oder Priester wollte ich sowieso nie werden, und meine späteren Lehrjahre in Paris wären mir bestimmt auch leichter gefallen. Aber Papa bestand auf Latein, und ich quälte mich mit Julius Cäsar.

Zu Hause lief alles wie immer. Die treuesten aller Hausmeister, Maria und Josef, waren vom Irschenberg zu uns an den Chiemsee gezogen und helfende Hände in vielen Belangen. Dazu gehörte auch, dass jemand darauf achtete, dass ich Hausaufgaben machte und zum Musikunterricht ging. Also lernen, lernen, lernen, Klavier, Schlagzeug, Gitarre und Fußball und Leichtathletik waren ja auch noch vorrangig in meinem jungen und bereits erfüllten Leben.

Gott sei Dank tat sich da etwas ganz herrlich Neues auf – die Liebe! Durch meinen Besuch der Oberrealschule führte mich mein Weg natürlich immer nach Prien, und so lernte ich Traudl kennen. Traudl war ein paar Jahre älter – hatte schon einen Führerschein und ein Auto dazu. Mann, war die klasse, und da ich inzwischen vom Micky zum Ralph gewachsen war, kam ich eben schon mit eins achtzig daher und konnte als junger Mann durchgehen, wie man so sagt. Was Traudl besonders spannend machte, war ihre ständig wechselnde Haarfarbe. Im Wochenrhythmus leuchtete ihr Haar immer wieder in einer anderen und meist auffälligen Farbe. Sie war die Erste, die mir so richtig den Kopf verdrehte. Wir waren verliebt und trafen uns heimlich in unserem Gästehaus und fingen an, uns zu küssen und zu streicheln – ich wäre fast schon gekommen, bevor mein erstes Mal wirklich stattgefunden hatte.

Schlimm aber war nur, dass ausgerechnet, als wir uns in die Arme nahmen, die Haustür krachte und Hausmeister Josef durch das Treppenhaus lief.

Wir sprangen auf und versteckten uns im großen, mit Rosen bemalten Bauernschrank und sahen leicht zitternd durch die Ritze der Schranktüren, wie Josef kurz ins Zimmer kam, sich wunderte und wieder von dannen zog.

Irgendwann meinte Mami, dass sie mehr Personal benötigte, denn Papi brachte jedes Wochenende mehr Gäste mit nach Rimsting. Papi und Mami suchten daher am besten ein Kindermädchen für den heranwachsenden Sohn, das aber im Haushalt auch mitarbeiten sollte. Papi suchte die Dame persönlich aus – und fand Giselle. Sie kam zu uns ins Haus, war gerade von einem amerikanischen GI frisch geschieden worden und daher glücklich, eine Stellung zu finden. Giselle war noch nicht richtig im Hause eingezogen, da verliebte ich mich sofort bis über beide Ohren in sie. Das Beste aber war, dass diese bildschöne 27-jährige blonde »Engelsfrau« auch mich nicht so unangenehm fand und sich geneigt zeigte, meinen Avancen nachzugeben. Verliebt bis über beide Ohren verbrachte ich die meisten Nächte bei ihr, doch als sie ein paar Wochen später bei meiner Mutter andeutete, dass sie von ihrem Sohn schwanger sei, fand das Mami gar nicht mehr komisch. Das ging schon gar nicht. Mami fuhr mit Giselle nach Prien zum nächsten Arzt, um einen Schwangerschaftstest zu machen. Nachdem das erfreulich negative Ergebnis feststand, brachte meine Mutter Giselle direkt zum nächsten Arbeitsamt. Das war’s.

Und was durchlebt ein Mann, wenn die Geliebte ihn verlassen musste? Einsamkeit – und er sucht Wege, sie zu bekämpfen! Ich fand Spaß beim Fischen …

Auch wenn schon so viele Jahre dazwischenliegen, mit Giselle hatte es mich das erste Mal über die kindliche, naive Liebelei hinaus so richtig erwischt.

Was ist es, das schon einen jungen Menschen, egal ab welchem Alter, zu einem anderen Menschen hinzieht? Vielleicht die Sehnsucht nach Anerkennung? Vielleicht ist es aber auch die ganz natürliche Liebe zu jemandem, zu dem man sich hingezogen fühlt. Aber warum gerade zu diesem einen bestimmten Jungen oder Mädchen, Mann oder Frau? Warum zu der Brünetten und nicht zu der Rothaarigen, die doch eine viel schönere Figur hat, aber nicht so freundlich lächelt? Warum nicht die Blonde mit den blauen Augen, sondern eben gerade die eine, bei deren Anblick plötzlich das Herz zu pochen beginnt und vielleicht sogar bei zärtlichen Gedanken die Gänsehaut über den Rücken läuft. Ist Liebe das Schönste auf der Welt? Ich meine, ja. Ich für mich glaube, die Liebe baut auf Zuneigung, Gefühlen, Achtung und Bewunderung oder Verehrung einer anderen Person auf. Der Wunsch nach individueller Nähe, verbunden mit Sehnsucht nach mentaler oder sexueller Begegnung, wird dabei übermächtig und lenkt uns scheinbar unkontrolliert durch das Erlebnis, das wir Liebe nennen.

Da Giselle mein junges Leben auf abrupte Weise verließ, wurde mein Demo-Tonstudio, welches ich mir am Speicher mittlerweile eingerichtet hatte, Mittelpunkt meiner Gefühle und Gedanken. Ich suchte daher und fand in der Nachbarschaft bald ein paar bereitwillige liebenswerte Musikanten, die gerne mit mir musizierten.

Das Peter Elversen Septett, das damals schon ein bisschen professioneller klang, war geboren. Peter Elversen war übrigens das erste Pseudonym meines Lebens Das Peter Elversen Septett spielte auf Hochzeiten und Kinder-Faschingsbällen. Mami fuhr teilweise mit und beförderte mein Sonor-Schlagzeug zu den Festsälen, in denen wir auftraten, ich, damals noch minderjährig, konnte es ja nicht mit meinem Moped transportieren. Die Pianisten hatten es damals noch leichter – das Piano oder der Flügel war schon angeliefert oder vorhanden, und sie brachten nur ihre Noten mit. Heute ist das auch anders, denn sie schleppen mindestens ein Keyboard und noch ein paar Computer auf den Gig bzw. das Konzert – wie die Zeiten sich doch ändern.

Ich begann auch, meine ersten Lieder zu schreiben. Papi hatte mir ein altes Telefunken-Tonbandgerät mitgebracht, das ich in meinem Studio im Speicher unterbrachte. Dort wurde es recht bald eng, und wollte man in diesem Studio nicht nur liegen, sondern auch stehen, war das durch die Schräglage des Daches ziemlich mühsam. Helmut Hertlein, der Tonmeister meines Vaters, half mir, das eine und andere Mikro anzuschließen, und das kleine Studio wuchs. Ich spielte die Lieder mit dem Akkordeon oder Gitarre auf Band, das mit rasender Geschwindigkeit (38 oder 76 Zentimeter pro Sekunde) lief. In diesen Tagen machte eine Freundin von Papi für mich die Texte, und wir schrieben Wienerlieder: »Herr Ober, zwoa Glaserl und a guats Flascherl Wein« oder »An der Donau hängt der Himmel voller Geigen« und das vielleicht schönste »Der alte Stammgast«. Robert Jung sang die ersten Demos. Wir nahmen Lieder auf wie »Tausend Dank für die Liebe« und »In der Heimat blüh’n die ersten Rosen«, die Robert sang und die ein paar Monate später dann mit Helmuts Frau »Tütchen«, besser bekannt als Bettina Carsten, und dem Quartetto Italiano in München richtig produziert wurden. »In der Heimat blüh’n die ersten Rosen« hat für mich eine besondere Bedeutung. Die Musik stammt von mir, der Text von Papi, und der Titel war der Anfang meiner Karriere als Komponist und Gegenstand meines ersten Autorenvertrags. Ja, es wurden sogar Noten von dem Lied gedruckt. Es blieb das einzige Lied, das Papi und ich miteinander geschrieben haben. Schade. Das stimmt mich heute noch traurig.

Jedenfalls war der Speicher im Rimstinger Haus mein ganz persönlicher Rückzugsort, wo ich ungestört anfing zu komponieren. Ich hatte da alles, was ich so sammelte und was mir an Dingen wichtig war, versteckt und gebunkert und fühlte mich wie in meinem eigenen Himmelreich. Die elektrischen Stromleitungen waren auch von mir verlegt worden, meiner Auffassung nach durchaus fachgerecht. So fasste ich eines Tages in ein mit 220 Volt gespeistes, offenbar nicht isoliertes Kabel. Ein großer Fehler, denn das Kabel brannte sich in meine Haut ein und blieb an meiner Hand kleben. Ich schrie laut und fiel wie tot um. Das Kabel löste sich dabei Gott sei Dank von meiner Innenhand, und ich kam kurz darauf wieder zum Bewusstsein. Den Stromschlag hatte ich überlebt, aber einen Knacks im Herzen abbekommen. Noch heute trage ich die Narben an meiner linken Hand. Meine Mutter brachte mich ins Krankenhaus, und ich bin mir sicher, dass die Extrasystolen, diese Herzschläge, die außerhalb des normalen Herzrhythmus auftreten und die ich seitdem auf den EKGs entdecken kann, von diesem Unfall herstammen. Ich hatte großes Glück, und ein paar Jahre später haben mich diese Extrasystolen vor dem Wehrdienst gerettet – untauglich, Gott sei Dank! So hat doch alles was Gutes im Leben.

Nach diesem Debakel meinte mein Vater, ich solle doch die nächsten Demos eher in München aufnehmen, bevor wieder etwas passiert. Dort, in dem Haus am Biederstein, auch wieder in einem Dachgeschoss, war für damalige Zeiten ein super eingerichtetes Studio und auch das Plattenlabel Stellina, nach Mami »Sternchen« benannt. Es war also alles bereits sehr professionell, und ein gewisser Herr Kittlitz hatte extra für uns ein Sechsspur-Tonbandgerät entwickelt. Das war echtes Neuland, denn mehr als zwei Tonspuren und somit schon Stereo kannte man damals noch nicht. Die Aufnahmen in den großen Tonstudios, wie Trixie und dem Polydor-Studio, wurden alle noch auf den großen »Kuchen« – zwei Tonspuren – produziert. »Kuchen« wurden früher die Tonbandspulen genannt. Das waren keine klassischen Spulen, wie man sie von kleinen Bändern her kannte, sondern auf einem runden Metallstück, den Bobbys, wurden die Bänder aufgefädelt. Es war insofern riskant, denn wenn das Band nicht fest genug gewickelt war, fiel der Kuchen wie eine Papierschlange vom Bobby, und dann hieß es, Kilometer von Tonband, den klassischen Bandsalat, mühsam mit der Hand aufzuwickeln. Aufgenommen wurde damals entweder alles live, also die Bands spielten und der Sänger sang gleich dazu, oder der Sänger sang nach der Orchesteraufnahme direkt noch einmal auf ein zweites Band. Während das erste Band, auf dem die Instrumentalaufnahme drauf war, parallel abgespielt wurde. Der Sänger sang auf das zweite, unbespielte Band noch mal drauf, und dann wurde beides sofort zusammengemischt.

Ein Sechsspur-Tonbandgerät, so wie es der Herr Kittlitz mit seinem Sohn gebaut hatte, das war absolut neu, und ich war glücklich, weil ich darauf arbeiten durfte. Völlig neue Möglichkeiten ergaben sich also, und ich arbeitete mich mit großem Interesse in diese Technik ein. Heimlich spielte ich in diesem Studio meine ersten Aufnahmen für Papi ein. Mit einem Trio an der Hammondorgel 100 nahmen wir »Ralph Siegel spielt Ralph Maria Siegel« auf. Es war mein Geschenk für meinen Vater zu seinem Geburtstag, und es freute ihn sichtlich, denn er hatte feuchte Augen, als ich ihm mit diesen Aufnahmen gratulierte.

»Der Tag, an dem die Musik starb« oder »Sport ist die zweitschönste Nebensache der Welt«

Ich war gerade mal 13 Jahre alt, und Sport und Musik waren ein wichtiger Teil meines Lebens. Fußball war schon damals meine große Leidenschaft, und ich spielte in der Jugendmannschaft des Turn- und Sportvereins T.U.S. Prien. Ich werde nie vergessen, dass ich gegen den »Erzfeind« Traunstein fünf Meter vor dem Tor den Ball über die Latte ballerte – natürlich in der Rücklage –, seitdem denke ich immer, wenn einer von den großen Stars den Ball über den Kasten haut: Weiß der denn nicht, dass er den Körper über dem Ball halten muss, damit der Ball flach fliegt? Leichter gesagt als getan, wenn einem andauernd jemand die Beine weggrätscht. Diese Art von knallhartem Spiel hat es damals ja nie gegeben. Da wären die Spieler lebenslänglich vom Platz gestellt worden. Auch zu Zeiten meiner Freunde Franz Beckenbauer und Bulle Roth spielte man doch fairer, und manchmal denke ich, so, wie die damals spielten, spielen heute die Damen – und darum sehe ich auch die großen Spiele der Fußball-Ladys mit großer Freude.

Ich spielte Tennis, fuhr Skirennen und brach mir nicht nur in St. Moritz und St. Anton jeweils ein Bein, sondern auch noch den Arm am Jochberg und die Schulter am Hahnenkamm in Kitzbühel. Ich fuhr zu allen Veranstaltungen, die spannend waren, wie zum Beispiel in Trostberg die Dreiecks-Motorradrennen. Auch die Leichtathletik stand auf dem Plan. Ich durfte miterleben, wie Ludwig Müller zum »Helden von Augsburg« wurde und den Russen an zwei aufeinanderfolgenden Tagen im 5000- und 10 000-Meter-Lauf geradezu von der Gegengeraden an einfach uneinholbar bis ins Ziel davonlief. Wir tobten vor Begeisterung, und so was spornte mich schon als Junge an. Vielleicht hat sich die Liebe zum Sport bzw. Wettkampf sogar beim Musizieren ein bisschen eingeschlichen und übertragen. Wettbewerbe verlangen einfach das Maximum an Konzentration, Kraft und Hingabe, auch wenn der eine oder andere eben dabei sogar im Krankenhaus landet, und davon kann ich ein Lied singen.

Meine Begeisterung für Musiker und besonders Komponisten schlug große Bögen – von George Gershwin bis Cole Porter, Irving Berlin zu Richard Rodgers, aber auch Sänger wie Louis Prima, die Clarke und King Sisters und Frank Sinatra. Es gab so viel Musik um mich herum, dass ich alles aufsog und versuchte, ihnen nachzueifern. Italien hatte auch noch seine Spuren hinterlassen, denn im Sommer fuhr immer die ganze Familie nach Forte dei Marmi, und da spielten Peppino di Capri und alle »San Remo Festival Stars«, und am Strand liefen natürlich die italienischen Hits wie »Tintarella di Luna« in der Jukebox. Das Musikleben hatte mich also schon in frühen Jahren voll und ganz gepackt, und natürlich kamen auch die ersten Stars aus Amerika wieder nach Europa.

Das Leben spielt aber nicht immer fair und ist auch mit Schicksalsschlägen verbunden. Im Februar 1959 stürzten Buddy Holly, Ritchie Valens und The Big Bopper bei Mason City mit dem Flugzeug ab und kamen ums Leben. Es war der Tag, an dem für viele Fans die Musik starb – wie Don McLean später in dem Lied »American Pie« sang: »The day the music died.« 1959 begann auch für mich, den Teenager, der eben dabei war, den Rock ’n’ Roll für sich zu entdecken, somit mit einem Schockerlebnis. Earl Sinks, der mit Buddy Holly den Song »Peggy Sue« geschrieben hatte und auch einer seiner Gitarristen war, erzählte mir 1964, damals, als ich in Nashville lebte und mit ihm Lieder schrieb, dass er nur durch Zufall nicht in der Maschine gesessen hatte – that’s life!

Zurück an den Chiemsee

Nach Prien sind es von Rimsting ungefähr vier bis fünf Kilometer. Eine Distanz die sich locker mit dem Fahrrad und zur Not auch per pedes bewältigen ließ. Wie oft war ich dorthin unterwegs, denn der Luft- und Kneippkurort hatte damals schon eigentlich alles, was so eine kleine Touristenstadt haben muss. Klar, an erster Stelle den wunderschönen Chiemsee. Die Fraueninsel, die offiziell eigentlich »Frauenchiemsee« heißt, die alle aber nur Fraueninsel nennen, ist eine von drei Inseln im »Bayrischen Meer«. Prien hatte auch zwei bis drei wunderbare Cafés bzw. Möglichkeiten, auch abends »dem Affen Zucker zu geben«, und das Café Reiter war davon wohl das beliebteste. Hier spielte das HTW Quartett mit Hannes und Lothar. Ich machte mir die beiden schnell zu Freunden, was ja nicht so schwer war, denn sie alle, und Musiker ganz besonders, kannten meinen Vater. Also ließen sie mich sogar in der Band mitspielen, obwohl natürlich alle weitaus besser spielten als ich.

Das Café Reiter hatte am Wochenende zum Tanztee geöffnet, und so konnte man schon am Nachmittag die ersten Kontakte mit dem anderen Geschlecht knüpfen. Ich sang oder spielte mit Lothar und den Jungs, denn nach ein paar Titeln wie »Cuando calienta el Sol« konnte ich schon nachmittags vom Podium übers Parkett laufen und die erwählte Dame zum Tanz auffordern, was damals noch zum »Benimm dich« gehörte. Das Tanzcafé war Treffpunkt der Jugend. Für einen Heranwachsenden in der damaligen Zeit gab es nichts Schöneres, als mit einem Rabeneick-Roller vorzufahren. Doppelsitzbank, Weißwandreifen und meist schneller, als die Polizei erlaubt. Das machte ordentlich Eindruck. Später, bereits mit Führerschein, war mein Borgward-Coupé, das ich von Mami übernehmen durfte, der Hammer. Vor dem Café geparkt, und dann die Angebetete oder vielleicht gerade neue Bekanntschaft zum Baden im Chiemsee überreden oder gleich zu uns nach Hause chauffieren … da war das »Tor zum Paradies« bzw. das der Paradiesstraße schon halb geöffnet.

Neben dem Café Reiter gab es noch das Café Muggi in der Bernauer Straße oder jenen dezenten Pianosalon, wo Fritz Häringer, der Besitzer selbst, seine Kunst vortrug. Warum meine Musikerfreunde Hans und Lothar nach ihrer Sperrstunde immer hierherkamen, merkte ich bald, denn sie fragten mich, ob ich denn auch Karten spiele. Besonders Pokern sei doch so spannend. Wie kann man einem geborenen »Spielerkind« nur so eine Frage stellen? Ich war sofort dabei und pokerte mit ihnen oft bis in die Morgenstunden. Um Geld, nicht um Hosenknöpfe. Mein Taschengeld war zwar nicht übertrieben groß, aber mein Vater doch eher großzügig, und so hatte ich in diesen Tagen schon ein wenig mehr Kleingeld in der Tasche. Mami steckte mir auch oft was zu. Zwei Mark waren damals der Einsatz, und es läpperte sich schon einiges zusammen.

Die Spielsucht überfiel mich derart, dass ich in der Nacht aus unserem Haus ausbüxte, nur um zu pokern. Wenn meine Eltern schliefen, kletterte ich an Wochenenden über den Balkon und an der Pergola, einem Eisengitter, hinunter in den Hof, schob den Roller die Straße entlang, startete nach einiger Entfernung, sodass niemand durch den Motorenlärm geweckt wurde, und fuhr nach Prien, um dort mit den Jungs von der Band zu zocken. Das ging so oft und so lange, bis ich blass und abgewrackt durch die Gegend lief. Meine Mutter, die ja von meinen nächtlichen Ausflügen keine Ahnung hatte, dachte, dass ich entweder Schwindsucht hätte oder lungenkrank wäre. Rauchen tat ich ja sowieso schon heimlich, aber dass ich um Geld Karten spielte, war für meine Eltern inakzeptabel. Irgendwann kam alles raus. Meine Mutter tat das einzig Richtige. Um mich abzuschrecken, ließ sie mich nachts mit Tatütata aus der Spielhölle in Prien von der Funkstreife abholen. Was für ein Schock für mich! Ich hockte da in dem Polizeiwagen, hatte Angst wie nie zuvor und dachte nur: Wer kommt wann in welches Gefängnis? Vernachlässigung der Aufsichtspflicht! O Gott. Meine Eltern regelten es schließlich irgendwie, aber: So etwas durfte in keinem Fall wieder vorkommen. Die Stimmung daheim war auf dem Tiefpunkt. Erwachsenwerden war doch nicht so einfach, wie man es sich vorstellte. Viele Hürden, Fallen und Versuchungen lauerten auf meinem Weg durch die Pubertät hinter jeder Ecke.

Meine Ausflüge an den Pokertisch, das Musizieren mit der Band, Sport und die Arbeit im Tonstudio hatten auch Auswirkungen auf meine schulischen Leistungen. Sie waren nicht gerade die besten, und irgendwann beschlossen meine Eltern, auch leider aus anderen privaten persönlichen Gründen, dass es doch besser sei, wenn der Junge jetzt in ein anständiges Internat käme und somit für einige Zeit ein bisschen raus aus dem Haus wäre.

Ich verließ also die Priener Ludwig-Thoma-Oberrealschule in Richtung der inzwischen von mir geliebten Schweiz und in ein strenges Internat. Doch davor durfte ich noch die Ferien in Italien genießen.

Sommer 1959: Sonne, Strand und das erste »Dolce Vita«. Hier lernte ich Pina kennen. Sie schrieb mir auf kleinen Zetteln mit Bleistift Zeilen wie: »Ich liebe dich, und du liebst mich? Saluti e baci sempre tua – Pina.« Auf der Rückseite klebte ein Foto. Pina in Shorts und Shirt vor den Strandkabinen, und das Süßeste war ihr Liebesbrief, denn sie übersetzte ihn wörtlich aus dem italienischen Langenscheidt-Büchlein … unter anderem »Io voglio far ti contento« – mit »Ich will dich befriedigen« – Trapattoni lässt schön grüßen, aber goldig war es doch, und wir sind heute noch die besten Freunde.

Internat Schloss Kefikon, Schweiz

Ich kam in ein über 700 Jahre altes Schloss nicht weit vom Bodensee. Darin ist bis heute die Schule untergebracht.

Womit ich nicht gerechnet hatte, weil ich das auch so nicht kannte und zuvor noch selten ernsthaft damit konfrontiert wurde: Es lag über alldem noch immer der Schatten der Nachkriegszeit. Einige Schüler fühlten sich dazu veranlasst, uns deutsche Mitschüler immer wieder als »Nazikinder« zu beschimpfen und zu hänseln. Es gab da einige »nette« Jungs, die sich besonders hervortaten, und es war ziemlich hart für die wenigen Deutschen, die, so wie ich, im Internat Tag und Nacht mit diesen Mitschülern zu tun hatten. Wir hatten zwar einen straffen Lehrplan, konnten aber auch Handwerken in allen Formen wie Töpfern, Schnitzen und Glasmalerei erlernen. Es gab Elektronikkurse, Theaterspielen und Musikunterricht. Ich spielte in der Schulband des mehr als begabten Klarinettenspielers Jörg Musfeld Gitarre und Akkordeon. Mit Freude spielte ich auch in dem einmal im Jahr im großen Kellersaal errichteten Internatstheater »Robinson darf nicht sterben« und übernahm die Rolle des Daniel Defoe, aber irgendwie war ich in diesem Internat, trotz aller Sportanlagen und Events, einfach nicht glücklich. Wir waren nur Jungs, und der Kontakt zum weiblichen Geschlecht, nach dem man sich in so einem Alter irgendwie schon sehnte, war überschaubar. Wenn sich doch einmal Kontakt zur Weiblichkeit entwickelte, schreckte mich das »Schwiizerdütsch« ab. Dieses »CHHHRRRRRREeesscht mi liab« klang aus dem Mund eines hübschen Mädchens einfach damals für mich eigenartig und auch nicht sehr erotisch. Heute habe mich schon lange daran gewöhnt. Eigentlich finde ich es ab und zu sogar richtig süß und sexy, und darauf komme ich später ganz sicher zurück. So ändert sich der Mensch im Laufe der Jahre. Im Internat war sportliche Betätigung wie Basketball, Fußball oder Leichtathletik – besonders Hochsprung – bestens dazu geeignet, die sinnlichen Gedanken der großteils postpubertären Schüler zu besänftigen. Nur die hübsche Tochter des Internatschefs schmiss die Bemühungen der Schulleitung über den Haufen. Denn sie hatte die Bewunderung aller Jungs auf sich gezogen. Doch da passte der Direktor schon strengstens auf, dass keine engeren Kontakte zustande kamen. Er hütete das Töchterchen wie seinen Augapfel.

Irgendwann merkte ich, dass dort im Internat plötzlich Jungens mit Jungens unter die Bettdecke krochen, und als ich das meinem Vater am Telefon erzählte, meinte er, dass ich doch schnellstens in ein anderes Internat übersiedeln sollte. Mami und Papi suchten ein neues Internat, ich packte meine Koffer und landete bald im Berner Oberland. Ab Ostern 1961 war ich schon nicht mehr in Kefikon.

1961: École d’Humanité, Goldern

Die »Schule der Menschlichkeit«, im Berner Oberland nicht weit von Luzern gelegen, war also mein neues Ziel. 1934 von dem deutschen Reformpädagogen Paul Geheeb und seiner Ehefrau Edith Geheeb-Cassirer gegründet, die bereits die Odenwaldschule im hessischen Heppenheim errichtet hatten. 1934, nach der Machtergreifung der Nazis, verließen die Geheebs Deutschland, emigrierten in die Schweiz und gründeten hier die École d’Humanité.

Es gefiel mir auf Anhieb. Wir Schüler und Erzieher lebten in eigenen Häusern in Gemeinschaft zusammen. Das für mich schon damals Wichtigste: In dieser Schule liebte und lebte man Musik! In Goldern am Hasliberg, der »Mozartalm«, wie mein Vater sie immer nannte, drehte sich alles um die Musen, Sprachen und Kultur. Hier entdeckte ich meine große Liebe zu George Gershwin und fing an, seine Musik immer mehr zu verstehen und zu verinnerlichen, und mein zweistündiger Vortrag an einem der Kulturabende über Gershwin war vielleicht auch der Anfang meiner großen Träume, Komponist zu werden. Hier entstanden erste musikalische Ziele und Vorstellungen meiner Zukunft als Musiker und Künstler. Ich wollte nicht mehr nur Lieder schreiben, sondern auch Konzertstücke, Operetten oder Musicals komponieren. »Porgy and Bess« und die »Rhapsody in Blue« sind bis heute noch zwei meiner Lieblingswerke des wohl größten und herausragenden amerikanischen Komponisten.

Natürlich gründete ich eine Schülerband, und die Tatsache, dass es sich um ein Jungen- und Mädchen-Internat handelte, machte die Distanz zur Heimat weitaus erträglicher. Es tat mir einfach gut, linderte mein Heimweh, denn ich dachte natürlich oft an Prien, an den Chiemsee und an mein Zuhause.

»Love at first sight« war eine junge Dänin namens Kirsten, aber wer sich denkt, dass ein 15-Jähriger große Chancen bei einer bildhübschen blonden 17-Jährigen hat, der weiß genau, was ihm blüht, nämlich nichts – außer unerfüllter Sehnsucht und Träume, die Schäume bleiben. Kirsten liebte ihren Lehrer und der natürlich zu allem Unglück auch sie. Mir blieb der Blick auf die Eigernordwand und zum Trost auch der Blick in die Augen einer Mitschülerin. Sie hieß Batja, war eine indische Königstochter mit Bernsteinaugen und langen schwarzen Haaren, und ich sah in ihrer Schönheit das Bild eines Schmetterlings auf einem Rosenblatt in der Sonne. Alle durften sie anhimmeln, doch selbstverständlich keiner berühren oder nur etwas näher kommen. Ein Schmetterling eben. Also wieder die Gedanken auf die Reihe kriegen – Sport, Basketball und »lernen, lernen, lernen«. Goethe, Lessing, Schiller, Shakespeare und alles, was noch von Reclam gemeinsam zu lesen war, standen auf dem Tagesplan unseres Deutschlehrers, und er kam glücklicherweise auch aus Deutschland, sonst würden wohl alle Schüler ihre Fremdsprachen heute mit einem Schweizer Akzent sprechen, und das klingt nur bei Schweizern nett.

Nur unser Ex-Minister Erwin Huber, der schaffte es, in allen Sprachen seinen gepflegten bayerischen Akzent unterzubringen, sehr zur Freude der amerikanischen oder französischen Politiker und Weltstars aus Hollywood, die München bei diversen Anlässen wie Filmbällen und Ähnlichem besuchten.

Goldern war für mich wunderbar, denn so ein Internat bringt eben mit sich, dass man frühzeitig lernt, sich anzupassen. Zu Hause geht das meist recht einfach. Kommst du von der Schule heim zu Mami, dreht sich die Welt wieder ganz normal, denn die Schule ist aus dem Kopf. Hausaufgaben – o. k., aber wenn sich die Klassentür hinter dir schließt, ist das »Schulgefühl« fast weg. Bist du aber in einem Internat, lernst du eben sehr früh, dich zu arrangieren. Ich meine das wieder nicht musikalisch, sondern menschlich. Die Zeit im Internat ist ein Abschnitt des Lebens, in dem man lernt, sich draußen in der Welt zurechtzufinden und nicht einfach nur an Mutters Rockzipfel zu hängen. Man findet Lösungen für Probleme, die vorher keine Probleme waren, denn man kannte sie einfach nicht. Sie wurden einem von Mami schon zuvor aus dem Weg geräumt. Man erfährt Dinge, die man eben noch nicht kannte, und lernt, damit zurechtzukommen. Wenn man will, wird in der Internatszeit aus einem behüteten Buben, der so seine Abenteuer erlebte, ein etwas ernsthafterer junger Mann. Eine süße und lustige Italienerin, die in der Administration als Azubi arbeitete, fand mich irgendwie besonders nett, und als ich sie beim ersten Flirtversuch auch noch beim Rauchen ertappte, was in den Holzhäusern der Schule strengstens verboten war, fing sie plötzlich an, mich zu küssen. Ich bestand natürlich auf Wiederholung.

Wir trafen uns immer öfter zum gemeinsamen Rauchen, und plötzlich gefiel mir das Internatsleben noch besser. Das Glück meinte es gut mit mir, denn »Italien« wohnte in einem Seitentrakt mit eigenem Eingang, und so konnte ich »Bella Italia« heimlich nachts öfter besuchen. »Auf der Alm, da gibt’s koa Sünd«, sangen Dschinghis Khan später einmal … Was es aber gibt, sind Augen und Ohren, die offenbar alles mitbekommen, und gar nicht so schön fand ich, dass »Bella« ein paar Wochen nach unserem herzlichen »Besserkennenlernen« plötzlich gekündigt wurde. Irgendwer hatte von meinen Ausflügen erfahren und »Italien« aus der Schule entfernt und meinem Vater einen Brief geschrieben. Er möge doch schleunigst seinen Sohn aus dem Internat wieder nach Hause holen.

Mein Vater reagierte damals vehement mit einem »dass man eben auf die Schüler und Praktikantinnen besser aufpassen muss und bei so einem Versagen der Lehrer doch nicht gleich jeder Schüler auch noch entlassen werden kann«. Ich durfte bleiben, musste aber versprechen, nicht mehr zu rauchen. Ich blieb die restliche Schulzeit im Internat, und als »vorbildlicher« Schüler machte ich meine Abschlussarbeiten für die Schweizer Matura mit Gott sei Dank einigermaßen guten Noten.

Von Goldern heim nach Rimsting

1962! John F. Kennedy war Präsident der USA, und bei uns regierte der gute alte Konrad Adenauer. Das waren schon zwei verschiedene Welten. Es war das Jahr, in dem ich 17 wurde. Und wenn es heißt, »Mit 17 hat man noch Träume«, ein Lied, das meine spätere Künstlerin Peggy March sang, so stimmt das auf Punkt und Komma. Ich war nicht mehr derselbe Junge, der ins Internat geschickt wurde. Größer, erwachsener und neue Ideen und Pläne im Kopf. Was war das für eine Zeit. Die Sechzigerjahre führten mich zurück nach Rimsting und wieder in eine neue Schule, die Passold Weissauer Handelsschule direkt am Hauptbahnhof in München. Ich fuhr an den Wochentagen mit dem Zug nach München. Abfahrt in Prien 6:15 Uhr. Das hieß aufstehen um fünf Uhr in der Früh, mit dem Moped von Rimsting nach Prien, dann etwa eine Stunde Bahnfahrt bis nach München.

Dort ab halb acht begann meine Zeit in der Handelsschule, wo ich meinen fast ältesten Freund Wolfgang Schranner kennenlernte. Wir saßen in derselben Schulbank und mochten uns von Anfang an. Dass daraus eine Freundschaft fürs Leben werden würde, wusste ich damals noch nicht, aber er war mir sofort sympathisch. Ich schloss die Handelsschule mit Steno und Schreibmaschine, Buchführung und was auch noch dazugehörte ab, und so war nun schon so ein bisschen mehr kaufmännisches Denken in meinem Schädel drin. Leider, leider hatten wir damals das Thema Steuern nicht auf dem Stundenplan, sonst wäre mir später bestimmt einiges erspart geblieben.

Durch die Schule war ich wieder oft in München, und der nahezu tägliche Besuch in meiner Geburtsstadt gefiel mir von Woche zu Woche immer besser, denn da waren die Verlockungen der Großstadt. Dazu gehörte das kleine Café Popp, unterhalb des Gebäudes der Handelsschule gelegen. Da standen zwei schrecklich schöne Spielautomaten, in die ich all mein Geld steckte. Das Taschengeld, das ich von meinen Eltern bekam, ebenso wie jenes, welches ich inzwischen bei meiner neuen Band, den Skyscrapers, nebenbei verdiente. Natürlich verlor ich fast immer. Mit dieser Band schlug ich meine ersten Wurzeln als Bühnenmusiker in der Münchner Szene. Wir spielten vorwiegend auf Faschingsbällen und Studentenpartys, das Repertoire war querbeet. Tanzmusik. Bandleader Peter Klein spielte nicht nur eine geile Gitarre, sondern auch noch sagenhaft gut Federball, also musste auch noch Federball ins Programm, und so fuhr ich meist auch erst mit dem letzten Zug nach Prien oder übernachtete in München in Familie Kleins Wohnung oder wo auch immer. Der Reiz des Spielens war wieder mal in allen Bereichen in mir erwacht, und leider ritt mich inzwischen auch noch ein Kamel, das sich aber mit C schrieb. Ich ging tatsächlich »meilenweit für eine Camel« …

Die Zigarette wurde zum großen Entsetzen meiner Lunge nun ernsthaft und ständig eine meiner besten Freundinnen. Mit 17 durfte man ja schon weitaus mehr als früher, und so rauchten wir teilweise um die Wette, mein lieber Wolfgang Lucky Strike, und ich wechselte von Camel zu Viceroy, von Salem zu Marlboro und schließlich von L&M zu HB. Geraucht haben damals alle und überall. Im Fernsehen, im Kino, im Flugzeug, wo es die winzigen Aschenbecher gab. Nichtraucherzonen? Wer im Café oder in der Kneipe keinen Rauch einatmen wollte, der musste vor die Tür gehen – heute ist genau das Gegenteil der Fall. »Wer wird denn gleich in die Luft gehen?«, antwortete ich dann darauf, wenn mich meine Mutter nahezu täglich anflehte, diesen »Blödsinn« doch sein zu lassen. Aber ich hörte leider nicht auf sie. Warum auch? Wie gesagt, alles und jedermann rauchte, die Jungs in der Band, die Mädels und die Fans, sogar die Lehrer und am späten Abend auch noch mein Vater. Navy Cut Players, die wohl stärkste amerikanische Filterlose. Eine Zigarette wie ein Torpedo für die Lunge. Meine Mutter reagierte auf ihre Art mit Aktionismus – demonstrativ zündete sie sich abends dann vor uns oder den Gästen ganz laut hustend eine Zigarette an, um sie dann sofort vor allen Leuten noch lauter hustend im Aschenbecher auszudrücken. Alle erstarrten und hatten kurzzeitig ein schlechtes Gewissen, aber niemand hörte auf.

Wie oft ich aufgehört habe, weiß ich nicht mehr, aber es ist traurige Wahrheit, dass ich immer wieder angefangen habe. Als meine Frau mich verließ, küsste ich irgendwann wieder einen »Aschenbecher«, und wieder war die Zigarette mein bester Freund.

1962: Rimsting, Prien und München-Grünwald

Papi hielt es für richtig, dass die Familie doch endlich zu ihm nach München zog und die Wochenendfahrerei mit all den vielen Freunden und Gästen langsam ein Ende haben sollte. Er fing an, ein neues Haus in München-Grünwald zu bauen, was sich aber länger hinzog als geplant. Der Architekt, sein Freund und Helfer, wurde zum »Todfeind«, und Papa baute dann mit einem Baumeister das Haus auf seine Weise fertig. Während er in Grünwald sein Bauvorhaben vorantrieb, lebten Mami und ich zwischen Prien und Schafwaschen. Das Paradies wurde verkauft. In unserem Pool badeten nun andere Menschen, und auch mein Refugium unter dem Dach gehörte nicht mehr mir. Es war zwar schade, dass es mit dem Paradies zu Ende gegangen war, aber ich war ja schon auf halbem Weg nach England, und die Zeit flog ohnehin dahin.

England – Bournemouth – Bed and Breakfast

Mein Vater hatte die Idee, mich nach England zu schicken, um dort endlich richtig Englisch zu lernen. »Man lernt die Sprache wirklich nur richtig gut im Land«, meinte er, und ich unterstützte diese Meinung mit ganzem Herzen. Auf mich warteten schließlich das »European Education Center«, eine Sprachenschule in Bournemouth und der berühmte Badeort im Süden der Insel.

England in den Sixties war für einen Teenager einfach der Hammer! Auch wenn das Zimmer, in dem ich über ein Vierteljahr zu verbringen hatte, so groß wie ein Kleiderschrank war. Englische Studentenverhältnisse, aber das war mir egal. Die Familie Turnball war reizend zu mir, und ich beglückte sie damals mit meinen Piano-Etüden. Allerdings erst nach einer katastrophalen, aber lehrreichen Erfahrung. Das alte Klavier der Familie Turnball stand so herrlich einsam im Wohnzimmer, und natürlich war einer meiner ersten Griffe der in die Tasten. Verstimmt war gar kein Ausdruck. Es klang, als hätte das Piano noch nie einen Klavierstimmer gesehen, geschweige denn gefühlt. »Ja, wenn Sie einen Stimmschlüssel haben?«, bot ich mich an, das Klavier zu stimmen.

»We’ve got one«, meinte Vater Turnball und drückte mir am nächsten Tag einen solchen eisernen Klöppel in die Hand. Ich machte mich also daran, dieses Klavier zu »tunen«, und verbrachte die nächsten Abende zum Entsetzen der Turnballs damit, es eben »mal schnell« zu stimmen. Liebe Leser, Sie können sich nicht vorstellen, was dabei rauskam. Da nützen keine guten Ohren und kein absolutes Gehör, nein – das ist eine so große Kunst und Technik, dass man vor Klavierstimmern alle Hüte der Welt ziehen muss. Ob »wohl- oder gleichtemperierte Stimmung«, es ist eine Meisterleistung des Hörens und Agierens, und wenn Sie dabei einmal gezwungen sind zuzuhören, da wird der Laie fast wahnsinnig. Heute bei den elektronischen Keyboards sieht die Welt ganz anders aus, denn da stimmt das Teil eben der Computer, aber die 260 Saiten eines Flügels lassen sich nur schwer an den Computer anschließen und haben das auch gar nicht so gern. Die Lösung nach vier Tagen war einfach und plausibel: Ein Klavierstimmer musste kommen, und der arbeitete um sein Leben. Die doppelte Gage als normal zahlte ich von meinem Taschengeld, und da waren schon die nächsten Zigaretten infrage gestellt.

Ja, wenn das Geld knapp ist, langt man schon schnell mal in die verbotene Zone. Rothmanns Zigaretten waren eben nur im Zigarettenautomaten zu ziehen, und daran zogen mein neuer englischer Schulfreund Nick und ich nachts auch so lang, so stark und wuchtig, bis die Zigaretten von selbst aus dem Automaten flogen – englische Automaten waren damals eben nicht so stabil wie heute, aber ein schlechtes Gewissen habe ich immer noch.

Nick war ein lustiger Typ, und wir entschieden irgendwann, eine gemeinsame Hitchhiking-Tour durch den Süden Englands zu machen. »Ten Days – Ten Pounds« war unsere Ansage, und wenn es nicht reichte, spielte ich abends in ein paar Kneipen und legte einfach eine Mütze aufs Klavier – funktionierte prächtig. Per Anhalter zu fahren hat so seine gefährlichen Seiten, und das merkten wir bald, als ein netter älterer Herr uns mitnahm und kurze Zeit darauf auf die Idee kam, mit uns doch am nächsten Fluss baden gehen zu wollen. Eigentlich nicht so übel in der Hitze des Sommers, aber als er Nick plötzlich fragte, ob er nicht auch die letzte Hose, also die Unterhose, ausziehen möge, und anfing, ihn zu streicheln, packten wir so schnell wie möglich unsere Siebensachen und rasten wie von der Tarantel gestochen davon – es war doch »wärmer« als gedacht.