Mein ist die Rache - Hannes Wildecker - E-Book

Mein ist die Rache E-Book

Hannes Wildecker

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Beschreibung

Eine brutale Mordserie an verschiedenen historischen Plätzen auf dem Saar-Hunsrück-Steig ruft Hauptkommissar Heiner Spürmann und seine Kollegin Leni Schiffmann auf den Plan. Im Zuge der Ermittlungen stoßen sie auf einen vor acht Jahren bei Losheim begangenen Selbstmord eines jungen Mädchens und stellen schon bald eine Verbindung zu den grausamen Verbrechen her, deren Motive ebenfalls in dem saarländischen Ort ihren Ursprung haben.

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Seitenzahl: 253

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Hannes Wildecker

Mein ist die Rache

Ein Hunsrück-Krimi

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Mein ist die Rache

Impressum

Prolog

1.Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

Epilog

Impressum neobooks

Mein ist die Rache

Hannes Wildecker

Ein Hunsrück-Krimi

Der dritte Fall für Leni und Spürmann

Impressum

Texte: © Copyright by Hans Muth Umschlag und

Umschlagsfoto: © Copyright by Hans Muth

Verlag: Hans Muth

Kapellenstr. 6 54316 [email protected]

Druck: epubli, ein Service der

neopubli GmbH, Berlin

Printed in Germany

Nach dem Roman „Die Bestie vom Saar-Hunsrück-Steig“, mit freundlicher Genehmigung des Verlags Stephan Moll, Burg Ramstein 2008

Rache trägt keine Frucht!

Friedrich Schiller

Prolog

„Hoch auf dem gelben Wa-ha-gen, sitz ich beim Schwager vorn. Lustig die Rosse traben ...!“ tönt es von den Sitzen des geräumigen Van der gehobenen Luxusklasse, auf dem es sich die fünf Insassen gemütlich gemacht haben. Der „Viano“ mit dem glänzenden Stern der Herstellerfirma aus Stuttgart ist für Fahrten, wie sie die illustre Gesellschaft mindestens einmal im Jahr unternimmt, geradezu prädestiniert. Die vier Sitze, oder besser gesagt, die bequemen Sessel im Fahrgastraum können variabel gestaltet werden und davon haben die Insassen ausgiebig Gebrauch gemacht. Ein Tisch in der Mitte, verschraubt am Fahrzeugboden, trennt die beiden komfortablen Sitzgruppen, so dass sich jeweils zwei der vier Männer genau gegenübersitzen und sich nicht bemühen müssen, die Bierflaschen aus dem Kasten auf der Tischplatte, eine schön nach der anderen, zu köpfen.

Sie sind alle Gastwirte, alle aus der Römerstadt Trier und alle in ihrem Gewerbe alte Hasen, wenn man die einfache Gastronomie mit gut bürgerlicher Küche zugrunde legt und keinen gesteigerten Wert auf exquisite Menüs legt. Ein kühles Bier, gut gezapft, natürlich keine sieben Minuten lang, wie viele Sprücheklopfer dies immer verlangen, das haben sie alle im Angebot. Der Verdienst steht bei allen im Vordergrund, denn in der Stadt lebt man noch davon, am Tag langweiligen Gästen ein Bier oder eine Platte mit Schinkenschnitten zu servieren, oder sich am Abend das dumme Gewäsch von Mitgliedern des abendlichen Gaststättenmarathons rein zu ziehen. Doch in der Stadt muss man präsent sein, da ist keine Zeit für einen Zweitberuf und der Gast würde es nicht verstehen, tagsüber vor verschlossener Kneipentür feststellen zu müssen, dass es Zeit wird, sein Stammlokal zu wechseln.

Ja, sie sind alle alte Hasen, alle fünf. Die vier im Fahrgastraum und der Kollege, der hinter dem Steuer des Van sitzt. Ihm gehört der schicke Wagen, den er zufrieden lächelnd durch den Hochwald, einen Ausläufer des Hunsrücks, steuert.

Karl Leyenhofer, von seinen Kumpanen und Gästen einfach „Kalle“ genannt, ist mit 49 Jahren der Älteste der Gruppe. Er kann sich diesen Van leisten, hat immer Geld zur Seite geschafft, auch schon mal ein paar Scheine aus kleineren krummen Geschäften waren ihm dazwischengeraten. „Da kommst du manchmal nicht drum herum“, sagt er dann immer zu sich selbst. „Das ist eben manchmal so. Da musst du ganz schön clever sein!“ Clever ist Kalle allemal, zumindest hält er sich dafür, das stärkt sein Selbstbewusstsein.

Kalle blickt in den Rückspiegel und betrachtet wohlgefällig sein Gesicht. „Für einen Fastfünfziger siehst du gut aus, alter Junge“, denkt er. Sein volles rundes Gesicht ist glatt, kaum eine Falte, in die er sich beim Rasieren schneiden könnte. Das Haar glänzt in prächtigem Schwarz, die Pomade bildet in den durch die Windschutzscheibe verstärkten Sonnenstrahlen kleine Perlen und die kleinen Augen hinter der übergroßen Sonnenbrille sind leicht gerötet. Das sind sie eigentlich immer, denn Kalle leidet unter einer chronischen Bindehautentzündung und diese Röte wird er zeitlebens gepachtet haben. Doch kaum jemand bemerkt davon etwas, denn die Sonnenbrille trägt er Sommer wie Winter und legt sie nur im Bett ab. Es ist auch schon vorgekommen, dass er vergaß, sich ihrer zu entledigen. Meist war dies der Fall, wenn er am Abend mit seinen Gästen zu viel getrunken hatte und übermüdet ins Bett gefallen war.

Jede Frau hätte ihrem Ehemann die Brille in einer solchen Situation abgenommen und auf dem Nachttisch abgelegt, nicht so Elfriede, Kalles Frau. Elfriede hat mit dem Weltlichen abgeschlossen und lebt in ihrer eigenen Welt. Sie ist zwei Jahre älter als Kalle, doch die Alzheimer Krankheit hat sich schon früh ihrer bemächtigt und so liegt sie die meiste Zeit zu Bett und eine Tagespflegekraft kommt einmal am Tag vorbei, bei Bedarf auch öfters, um nach dem Rechten zu sehen. Dieser Bedarf steigerte sich in den vergangenen Monaten immer mehr und es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis sie das Haus verlassen und in ein Heim umsiedeln wird.

Die Straße vor Kalle ist frei und so ist da ausreichend Zeit, sich weiter mit seiner Person zu beschäftigen. Er sieht nochmals in den Spiegel. „Ja, für neunundvierzig sehe ich noch gut aus“, denkt er und lächelt breit, so dass seine Zähne in voller weißer Pracht fast den ganzen Rückspiegel ausfüllen. „Alles noch echt“, denkt Kalle. „Alles echt“.

„Scheiße verdammte!“, brüllt Kalle plötzlich und tritt mit aller Kraft in die Eisen.

„…aber der Wagen, der rollt…Hey!“ Abrupt endet das lautstark geschmetterte Volkslied und nur Kalle sieht den kleinen roten Sportwagen, der ihm die Vorfahrt genommen hat und inzwischen bereits wieder aus Sichtweite ist.

Hinter ihm fluchen laut seine Kollegen. Der Kasten mit den Bierflaschen ist vom Tisch gerutscht und Manni hat ihn gerade noch auffangen können. Manfred Reuter ist der zweite im Bunde. Obwohl er fünf Jahre jünger ist als Kalle, sieht er mindestens fünf Jahre älter aus als dieser. Warum das so ist, darüber gibt es die unterschiedlichsten Annahmen.

„Er säuft mehr als seine Gäste“, sagen die einen, während andere der Meinung sind, der Krebs würde langsam an ihm zehren. Das allerdings stellt eine weitere Theorie in Abrede. „Man hat ihn noch nie mit einer Frau gesehen, so wie der aussieht, ist der HIV-positiv.“

Manni kennt alle diese Gespräche über ihn und er alleine weiß die Ursache. Es ist tatsächlich der Alkohol, der ihm über die Jahre so zugesetzt hat. Seine Frau ist ihm vor fast zehn Jahren mit einem ehemaligen Gast durchgebrannt. Einem guten Gast, erinnert sich Manni. War fast jeden Abend im Lokal, hat sein Bier getrunken, was gegessen und hat seine Frau angestarrt, immer wieder. Ihr hat das gefallen und an einem Abend hat sie ihren Koffer gepackt und ist mit ihm gegangen.

„Ein Glück, dass wir keine Kinder haben!“, hat Manni damals gedacht und wahrscheinlich war das auch ein Grund, dass er sich in der weiteren Zukunft so hat gehen lassen. Erst trank er mit seinen Gästen, dann auch alleine hinter der Theke, während der Arbeitszeit und später noch nach Feierabend in seiner Wohnung. Wären seine Freunde nicht gewesen, wer weiß, wo Manni schließlich gelandet wäre.

Doch insbesondere Kalle hatte ihn überzeugt, dass eine Frau es nicht Wert sei, sich das eigene Leben kaputtzumachen. Kalle hatte einen bekannten arbeitslosen Gastronomen gebeten, Mannis Kneipe so lange zu führen, bis der Entzug stattgefunden hatte. Als Manni schließlich seine Kneipe selbst wieder führen konnte, versuchte er, dem Alkohol fern zu bleiben. Doch dies gelang ihm nur teilweise, aber zumindest konnte er sein Verlangen reduzieren und sich langsam wieder in sein ehemaliges Leben zurückfinden.

Dieses Leben hat ihn hager gemacht. Über seinem schmalen Gesicht, das die Backenknochen hervorstehen lässt, wölben sich buschige Augenbrauen und die mittelblonden Haare auf dem Kopf sind so dünn, dass man die Kopfhaut darunter glänzen sieht. Das rechte Ohr schmückt ein Ohrclip in Form einer kleinen Sektflasche. Sein dunkelgrünes, kurzärmeliges Hemd ist mindestens eine Nummer zu groß und drückt sich in Falten durch die Achsellücken der ärmellosen schwarzen Nappa-Lederweste.

Manni stellt den Kasten zurück auf den Tisch und sofort greifen die Kollegen zu. Mit seinem Feuerzeug öffnet Matthias Meyerfeld vier Flaschen und reicht drei davon weiter.

Sie prosten sich zu und Maathes, unter diesem Namen kennt der eingeweihte Trierer Gaststättenbesucher seinen Kneipenwirt, dreht sich zu Kalle um, der die Gruppe in Rückspiegel beobachtet.

„Auch `n Bier?“

Kalle winkt ab. „Später!“ Schließlich muss er ja fahren.

Inzwischen haben die fünf Gastwirte das Stadtgebiet und den Stadtteil Feyen hinter sich gelassen und fahren die „Pellinger“, wie die Bundesstraße 268 genannt wird, entlang. Ihr Ziel ist Losheim. Dort haben sie in der Privatbrauerei reserviert und wollen heute Abend so richtig die Sau rauslassen.

Maathes prostet den Kollegen am Tisch zu und wischt sich den Schaum vom Mund.

„Schweinerei!“ Er hat die Flasche zu früh abgesetzt und ein Teil des Inhalts ergießt sich auf der Tischplatte.

„Hat denn keiner ein Tempo oder so was Ähnliches?“, ruft er in die Runde und sucht gleichzeitig in seinen Taschen. Endlich findet er ein gebrauchtes Tuch und wischt die hellbraune Flüssigkeit weg.

Maathes ist eigentlich eher der unauffällige Typ eines Gastwirtes. Ein Normalbürger, ein Biedermann, so würde man ihn auf den ersten Blick einschätzen. In zwei Jahren wird er Fünfzig. Im Gegensatz zu manchen Kollegen hat er kein Problem mit dem Älterwerden. „Es kommt alles so, wie es kommen soll“, glaubt Maathes an die Vorsehung. Zufälle gibt es für ihn nicht. „Es ist alles vorherbestimmt“ pflegt er immer zu sagen. Auch dass er nie verheiratet war. „Es hat eben nicht sein sollen. Habe nichts verpasst!“

Und immer, wenn er diese Einstellung preisgibt, streicht er sich über seinen Schnurrbart, den er hegt und pflegt und der gut und gerne eine Spannweite von nahezu zwanzig Zentimetern erreicht hat. Die geschwungene Innenrolle an beiden Enden zwirbelt er mit Bier in die Form. „Bier ist der beste Haarfestiger“, belehrt er jeden Skeptiker, der mit zusammengezogenen Augenbrauen die Prozedur beobachtet.

„Hey Kalle, wie wäre es mit einer Zigarettenpause?“, ruft Heinrich Schröder, der als starker Raucher die Fahrt offensichtlich mehrfach unterbrechen wird.

„Warte noch bis hinter Zerf, Henri!“, entgegnet Kalle aus dem Führerhaus. „Wir machen dann auf einem Parkplatz eine Pinkelpause.“

Henry hustet. Er hustet schon, wenn er an Zigaretten denkt. Verdammtes Laster, auf der einen Seite. Genuss pur für ihn auf der anderen. Er hat nicht vor, aufzuhören.

Wenn es so kommt, wie es kommen soll, dann ist es eben so, denkt er immer dann, wenn der Husten zu stark wird.

Henri ist fünfundvierzig, geschieden und hat eine erwachsene Tochter. Er lächelt, als er an Maria denkt. Sein kleines Mariele. Sein einziges Kind. Sein Blick verdunkelt sich gleich wieder. Seit einem Jahr lebt Maria drüben in den Staaten. Hat einen reichen Ami kennen gelernt, der hat sie mit rüber genommen und geheiratet. Henri war noch nie in Amerika. „Ich werde mein Mariele besuchen!“, verkündet er bei jeder Gelegenheit in seiner Kneipe. „Ich werde Urlaub in Amerika machen!“

Kalle steuert den Van hinter Baldringen und Vierherrenborn die Bundesstraße abwärts und fährt in den Kreisverkehr nahe Zerf ein. Zweihundert Meter später lenkt Kalle den Van auf einen Parkplatz.

„Alles aussteigen, Pinkelpause!“ Kalle schaltet den Motor aus und streckt sich. Nacheinander steigen die vom Alkohol bereits jetzt schon leicht Angeheiterten aus und schlagen sich in die Büsche. Das Bier am Nachmittag fordert sein Recht. Es ist siebzehn Uhr, keine Eile ist angesagt. Das Brauhaus läuft nicht davon. Und Bier, ja Bier gibt es da weiß Gott genug.

Als erster kommt Norbert Nörtiger aus dem Gebüsch, der Jüngste der Gastwirtstruppe, die Spuren seiner Erleichterung unterhalb der Gürtellinie auf dem rechten Hosenbein tragend.

„Nob“ ist die Ausnahme, was das Gewerbetreiben angeht. Während sich die anderen alle der Gastronomie verschrieben haben, besitzt Nörtinger einen kleinen Stehimbiss mitten in der Stadt. Von der Bratwurst über die Frikadelle bis hin zu Schaschlik und Fritten kann man bei ihm alles bekommen.

Doch der Verzehr erfolgt im Stehen, an der Theke, aber auch an den wenigen Tischen, deren Tischplatten erst in Bauchnabelhöhe enden. So hat Nob auch nur wenige Stammgäste. Meist Touristen oder Besucher vom Lande und ab und zu ein Stadtstreicher, wenn der sich durch Betteln ein paar Kröten zusammengespart hat, sind seine Gäste.

Er braucht auf niemanden Rücksicht zu nehmen, und so öffnet er am Morgen gegen elf Uhr und schließt am Abend um die gleiche Zeit. Seine Lebensgefährtin Elvira hilft ihm dabei und auch heute vertritt sie ihn, wenngleich sie für diese Sauftour, wie sie den Trip der Gruppe nennt, kein Verständnis hat.

„Ich kann mir solche Extratouren nicht leisten“, beschwerte sie sich bei Nob, der nur kurz auflachte.

„Ein Mann muss eben tun, was ein Mann tun muss!“, warf er ihr entgegen und weder sie noch er wussten mit dieser Aussage so richtig etwas anzufangen.

„Aufsitzen, es geht weiter!“ Kalle steigt in den Van und startet den Motor. „Der Braumeister wartet, wird`s bald!“

Die letzten Kilometer bis nach Losheim verlaufen auf gerader und ebener Strecke. Sogar die angefangenen halbvollen Bierflaschen bleiben von selbst auf dem Tisch stehen. Der Bierkasten ist weit über halb leer, als die Gruppe in Losheim eintrifft. Alle sehen noch verhältnismäßig frisch aus, bis auf Manni, der wohl die Pinkelpause zum Anlass nahm, hinter den Büschen noch ein wenig an seinem Flachmann zu saugen.

Kalle lenkt das Fahrzeug auf den Parkplatz der privaten Brauerei und betrachtet sich ein letztes Mal im Spiegel. „Alles okay“, denkt er. „Dann lassen wir doch mal alles auf uns zukommen.“

Und so wird es, wie geplant, ein feuchtfröhlicher Abend. Das Bier der Brauerei ist frisch und läuft, ohne anzuecken, durch die Kehlen der geübten Gastronomen. Kein Wunder, denn eine Schweinshaxe vorneweg hat für eine solide Unterlage gesorgt. Die Bedienungen in ihren Dirndln und der prallen Oberweite haben es insbesondere Kalle angetan. Aber außer Bedienen ist da nichts drin. Als er einer der prallen Damen an den Hintern greift, kommt es fast zu einer tätlichen Auseinandersetzung mit dem männlichen Personal.

Manni ist es, der gegen neun Uhr an diesem Abend auf die Idee kommt, noch eine Gaststätte im Ort aufzusuchen. „Ist doch vielleicht gemütlicher als hier in diesem Trubel“, meint er. „Vielleicht können wir in der Stadt was aufreißen. Zurück hierher können wir doch noch immer.“

Eine Abwechslung kommt auch den anderen gerade recht. Und „Aufreißen“, das ist es eigentlich, was alle wollen. Schließlich ist das hier eine Männertour.

Unterwegs ist der Druck auf die Blase dann doch so groß, dass Kalle das Gefährt erst einmal auf einem kleinen freien Platz, neben dem Radweg, rund zwei Kilometer von der Stadt entfernt abstellt und alle in Reih und Glied die Bäume düngen.

„Ich glaube, das wird nichts mehr heute Abend!“ brummt Maathes vor sich hin. „Wo sollen wir jetzt noch ein paar Weiber herbekommen?“

„Alter Schwarzseher!“ Diese beiden Worte von Kalle klingen vorwurfsvoll, so als hege er keinen Zweifel daran, heute noch zum Schuss zu kommen. „Wenn in Losheim nichts los ist, fahren wir halt weiter, nach Merzig oder Schmelz, wir werden sehen!“

Aus der Ferne kommt ein Lichtschein auf die Männer zu und sie können erkennen, dass es sich um eine Radfahrerin handelt, die, obwohl es für die Jahreszeit noch ausreichend hell ist, bereits den Dynamo auf den Vorderreifen gelegt hat.

Die Männer schauen sich ohne Worte an und stellen sich mitten auf den Gehweg, so dass die Radfahrerin keine Möglichkeit sieht, als ihr Rad anzuhalten. Auf der einen Seite des Radweges hindert sie das Gebüsch am Weiterfahren, auf der anderen Seite der Van von Kalle.

Die junge Frau sieht die Männer fragend an.

„Dürfte ich bitte weiterfahren? Ich habe es eilig. Seien Sie so nett!“

„Männer wie wir sind immer nett.“ Kalle drängt sich in den Vordergrund und nähert sich der Frau. „Wollen Sie einen Schluck mit uns trinken? Auf den schönen Sommer, auf den lauen Sommerabend?“

„Bitte, lassen Sie mich durch!“, fleht die junge Frau, die Kalle auf Anfang Zwanzig schätzt.

Durch den Auftritt von Kalle bestärkt, kommen auch die anderen und bilden einen Kreis um das Mädchen, das breitbeinig dasteht, ein Bein auf dieser, das andere auf jener Seite des Damenrades. Ihr seidenartiges Trägerkleid fällt locker bis knapp über die Knie, Strümpfe trägt sie keine, lediglich weiße dünne Socken in den halbhohen Turnschuhen. Das Kleid ist von oben bis unten mit Knöpfen versehen, die bis zum Hals geschlossen sind. Die junge und schlanke Figur drückt sich in jugendlicher Unschuld durch das eng anliegende Kleidungsstück.

Kalle betrachtet die junge Frau von oben bis unten und sieht triumphierend seine Kollegen an. „Ist sie nicht süß? Und so außer Atem von der Anstrengung!“

Tatsächlich ist die Frau vom Radfahren erhitzt. Ihr Atem geht schnell und die Aufregung tut ihres dazu, dass es auch nach diesem Stopp so bleibt.

Die junge Frau nimmt alle ihre Kraft zusammen und sagt mit bestimmtem Tonfall: „Bitte, lassen Sie mich weiterfahren!“

„Kuck mal, die Kleine!“, meldet sich jetzt auch Manni Reuter, bestärkt durch das Verhalten von Kalle, das nun auch die anderen erreicht. „Sie soll uns doch etwas Gesellschaft leisten!“

„Ja, soll sie!“, sagt jetzt auch Nob Nörtinger, obwohl es ihm lieber wäre, man würde die Frau in Ruhe lassen und stattdessen weiter nach Lebach oder Merzig fahren. Aber er will sich solidarisch verhalten. „Einer für alle, alle für einen!“, hat Karl immer gesagt. So soll es auch sein!

„Henri, so ruhig?“ Kalle sieht aus den Augenwinkeln zu Leyenhofer, der als einziger noch keine Regung zeigt.

„Alles in Ordnung, Kalle. Die Frau soll mit uns im Wagen noch etwas trinken. Ist doch nicht zu viel verlangt, oder?“ Damit hat er seine Schuldigkeit getan, hat auch etwas zu der Situation beigetragen.

„Also, junge Frau, auf ein Gläschen!“ Kalle macht eine einladende Handbewegung in Richtung des Van und fasst die Frau am Arm.

„Lassen Sie mich los oder ich schreie!“

„Ach, die Dame will schreien? Wer soll ihr denn zuhören? Sie trinken jetzt ein Glas mit uns, dann können Sie weiterfahren!“, sagt Kalle und seine Stimme hat sich dabei verfinstert. Er drängt, gefolgt von seinen Kollegen, die ein gemeinsames Schäferstündchen immer näherkommen sehen, Frau und Fahrrad in Richtung des Fahrzeuges.

„Hilfe! Hilf…!“ Weiter kommt die junge Frau nicht, denn Kalle hält ihr den Mund zu und zieht sie mit Gewalt zur Fahrzeugtür, die Manni bereits geöffnet hat. Es ist eine Schiebetür, die ausreichend Platz bietet, um mehrere Personen gleichzeitig einsteigen zu lassen. Maathes hat das Fahrrad gepackt und es der Frau entwunden. Er stellt es hinter dem Van ab und während seine Kollegen die wimmernde Frau in das Fahrzeuginnere zerren, deckt er das vordere Kennzeichen mit herumliegenden Ästen ab. Dann eilt auch er zu der Schiebetür, steigt ein und verschließt die Tür hinter sich.

Was sich im Inneren des Van abspielt, könnte nicht einmal ein vorbeikommender Fußgänger erahnen, denn die Frau hat sich inzwischen in ihr Schicksal ergeben. „Lieber Gott, gib mir Kraft!“, betet sie zwischen den groben Stößen der Peiniger, die sie, einer nach dem anderen, besteigen. „Verzeih Ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“

Drei Tage nach diesem Vorfall findet man eine junge Frau auf den Gleisen der Bahnlinie von Losheim nach Merzig, am Ortsende von Losheim, zerschmettert von einem ICE, dessen Führer nach dem Aufschlag psychologische Hilfe in Anspruch nehmen muss. Der Fall wird nach Abschluss der Ermittlungen zu den Akten gelegt. Suizid, kein Fremdverschulden erkennbar, heißt es im Abschlussbericht der Saarbrücker Kriminalpolizei. Es ist keine Seltenheit, dass der Freitod auf den Schienen der Bundesbahn gesucht wird. Es ist ein schneller Tod, der aber dem Leichenbestatter alle Mühen abverlangt, die Leichenteile fein säuberlich aufzulesen und sie mit den Plastiktüten im Blechsarg zu verstauen.

Auch die bis zur Unkenntlichkeit deformierte Leiche der jungen Frau verlangt den Dienern des Todes diese Arbeit ab. Wohin sie die Rechnung dafür senden, das wissen sie inzwischen. Celine Raphael hieß das junge Ding, war gerade mal zwanzig Jahre alt und wollte Nonne werden. Die Ermittlungen bei den Angehörigen ergeben, dass Celine Raphael sich zu Gott berufen fühlte und ihre Entscheidung der Familie bereits mitgeteilt hatte.

Der Grund für den plötzlichen Freitod der jungen angehenden Ordensfrau beschert ihrem Heimatort allen Grund für Spekulationen. Ein Abschiedsbrief existiert nicht. Jedenfalls hat niemand, weder die Polizei, noch die Angehörigen, so wurde es jedenfalls behauptet, einen solchen gefunden oder gesehen.

So schließt sich die Akte über Celine Raphael, um vorübergehend um für ganze acht Jahre Ruhe in den Kellern der Gerichtsbarkeit zu finden.

1.Kapitel

„Auf, Leute, es wird langsam Zeit! Wir haben uns doch einiges vorgenommen!“ Frank Clemens versucht, seine Leute aufmuntern, denn gemeinsam werden sie einen etwa fünfstündigen Marsch vor sich haben. Seine Leute, das sind die Mitarbeiter der Firma Clemens & Sohn aus Morbach, Elektroinstallation und Verkauf von Leuchtkörpern aller Art. Sie sind allesamt Wanderfreunde und der Saar-Hunsrück-Steig mitten in ihrer Heimat lockt immer wieder zu neuen Wanderaktionen. Von den insgesamt elf Etappen haben sie in diesem Jahr bereits drei hinter sich gebracht, nicht während der Arbeitszeit, nein da ist nichts zu machen mit Frank Clemens, da wird gearbeitet, der Betrieb muss laufen. Aber an den Wochenenden, da trifft man sich, nach Absprache versteht sich, und schnallt die Wanderschuhe an. Mal wird die Gruppe, die heute ausschließlich aus Männern besteht, von ihren Partnerinnen oder Partnern begleitet, doch den Frauen sind solche, schon etwas härtere Touren, zu anstrengend.

„Der Steig bietet auch leichte Wandermöglichkeiten und man muss ja auch nicht so draufhalten“, ist deren Kommentar, wenn mal wieder eine der größeren Abschnitte auf dem Programm steht.

Heute hat man sich die so genannte 6. Etappe ausgewählt, die von Nonnweiler nach Börfink. Dort nämlich werden die Wanderer am Nachmittag von dem Kleinbus der Firma Clemens abgeholt. Franks Ehefrau Lydia hat sich als Fahrerin zu diesem Liebesdienst bereit erklärt und die Wanderer auch nach Nonnweiler gebracht. Man wird anschließend gemeinsam noch in einer Gaststätte einkehren, etwas essen und trinken und dann den Heimweg antreten.

Frank Clemens hat seinen rechten Fuß auf einer steinernen Blumenbank vor der Kurhalle in Nonnweiler abgestellt und bindet sich den Schnürsenkel seines Wanderschuhs. Die Nordic-Walking-Stöcke stehen neben ihm, an die Bank gelehnt, bereit, ihn die nächsten Stunden zu unterstützen.

Clemens sieht seine Mitarbeiter von der Seite an.

„Fertig?“

„Fertig!“ antworten die Fünf wie aus einem Munde.

„An uns liegt es nicht, wir sind fertig“, lässt sich ein Mann mit Hornbrille vernehmen.

„Ja, auf jede Kleinigkeit achten, wie in der Buchhaltung. Ich bin also der Hemmschuh“, zieht sich Clemens auch diesen Schuh an. „Alles klar! Also auf!“

Spricht` s, schnappt sich seine Stöcke und setzt sich an die Spitze der Gruppe, um sogleich das Tempo vorzulegen. „Mal sehen, wie die Buchhaltung da mithalten kann“, denkt er schadenfroh. Und er behält Recht. Nach einigen hundert Metern hat sich die Gruppe schon auseinandergezogen, obwohl es bergab geht, in Richtung Talsperre. Der Buchhalter der Firma, Guido Klöppel, Frank Clemens hat ihn beim Zurückschauen gleich erblickt, hält sich tapfer an der Spitze der Verfolger.

„Ich werde auf dem Dollbergkamm auf die anderen warten“, sagt sich Clemens. Er ist nicht der Typ, der mal langsam, mal schnell gehen kann. Er braucht den Rhythmus, den gleichmäßigen Schritt. Auf dem Dollbergkamm, auf der Höhe von Neuhütten, da wird er auf die anderen warten.

Die Treppen zum Seerundweg bedeuten ebenfalls keinerlei Hindernis, es geht vorbei an einem Fischweiher, dann folgt der Aufstieg zum Dollberg. Clemens schaut zurück und stellt mit Genugtuung fest, dass er die Gruppe ein gutes Stück hinter sich gelassen hat. Seinen Buchhalter scheint es ans Ende der Wandergruppe verschlagen zu haben. Clemens lächelt. „Große Töne spucken, aber nichts drauf! Aber darauf kommt es ja nicht an. Klöppel ist ein guter Buchhalter“, denkt er sich. „Ich wüsste nicht, was ich ohne ihn tun sollte.“

Clemens vernimmt das Plätschern einer Quelle und zieht die Juli-Luft des frühen Tages tief in die Lunge. Frisch und nach Wald schmeckend ist der Sauerstoff im Hunsrück besonders in dieser Jahreszeit und Clemens denkt schon daran, stehen zu bleiben und einen Schluck des frischen Wassers zu sich zu nehmen. Doch er besinnt sich und marschiert, ohne seinen Trott zu vernachlässigen weiter, vorbei an der Köhlerhütte, einem Relikt aus vergangener Zeit.

Dann liegt er vor ihm, der „Tirolerstein“, noch rund zweihundert Meter. Der Stein ist eigentlich ein Wegekreuz mit einer dubiosen Vergangenheit, die Clemens aber nicht kennt. Er interessiert sich nicht allzu sehr für Geschichte, auch nicht für die seiner Heimat. Dafür hat er keine Zeit. Seine Geschäfte beanspruchen ihn von morgens bis abends. Dort, an dem „Tirolerstein“, wird er auf die anderen warten. Von hier oben hat man einen guten Ausblick auf die Bergkämme des Hunsrücks. „Dort werden wir Rast machen und eine Erfrischung zu uns nehmen“, denkt Clemens.

Seine Schritte werden plötzlich langsamer, sein eingeschlagener Trott scheint ihm auf einmal egal.

„Da ist doch etwas bei dem Stein“, denkt er. Im näher kommen sieht er, dass er Recht hat. Mit dem Rücken zu ihm gewandt, sitzt eine Person auf dem Sockel des Wegekreuzes, den Rücken gegen das hölzerne Kreuz gelehnt, den Kopf leicht nach vorne gebeugt. Ein Betrunkener? Jemand, dem es schlecht geworden ist, der vielleicht einen Herzinfarkt erlitten hat? Oder ist es eine Falle? Ein geplanter Überfall? Von solchen Dingen hört man doch in letzter Zeit immer öfters. Da legt sich einer auf den Boden und wenn man sich um ihn kümmern will, dann sind seine Kumpane da und…! Clemens will nicht weiter darüber nachdenken. Clemens bleibt stehen und sieht nach hinten. Seine Mitarbeiter sind nur noch etwa hundert Meter entfernt. Nein, da kann nichts mehr passieren! Von wegen Überfall, oder so. Er wendet seinen Blick wieder zu dem Kreuz und der darunter hockenden Person und nähert sich dem mysteriösen Ort.

Er ist nun fast auf Höhe des Steins. Clemens erschrickt.

„Scheiße, der ist ja gefesselt!“, entfährt es ihm, als er sieht, dass beide Arme der Person hinter den Körper gestreckt sind und hinter dem Kreuz zusammengebunden sind.

Clemens schaut sich nach seinen Begleitern um. Die sind noch etwa fünfzig Meter hinter ihm und unterhalten sich fröhlich. „Kein Wunder, wenn die Kondition darunter leidet! Marschieren und sprechen!“, kommt es ihm in den Sinn und er sieht ein, dass diese Gedanken gerade jetzt total unsinnig sind.

Frank Clemens tritt langsam, als könne die Person, der er jetzt schon ansieht, dass es sich um einen Mann handelt, ihm etwas antun, auf diese zu und geht um sie herum, so dass er frontal vor ihr steht.

Clemens schluckt. Er wird leichenblass. „Das kann nicht sein!“, denkt er. „Das ist unmöglich!“ Er kann keinen klaren Gedanken fassen und schaut wie gebannt auf dem Mann, der da vor ihm auf dem Sockel des „Tirolersteins“ sitzt, an den Händen gefesselt, die Augen weit aufgerissen, die Hose vom Bauch abwärts von Blut durchtränkt, aus dem Mund einen Körperteil gleich einer Zunge herausstreckend. Nur, dass dies keine Zunge ist, die der Tote Clemens entgegenstreckt.

Clemens torkelt von der Stelle des Grauens weg, will zu seinen Wanderkollegen, will sie vorbereiten auf den Anblick, doch er kommt nicht weit. Er kann sich gerade noch an dem Ast einer Tanne festhalten, um dann seinen Mageninhalt der freien Natur des Hunsrücks zu übergeben.

2. Kapitel

„Na, wie gefällt dir dieses Haus, Lisa? Klein aber fein und vor allem vielleicht bald mein. Das würde ich mir zumindest wünschen. Und was am allerwichtigsten ist: Ein Preis, für den sich ein armer Polizist nicht ein Leben lang krummlegen muss.“

Lisa sagte erst einmal gar nichts. Obwohl es bereits das dritte Haus war, das wir uns in Forstenau ansahen, hatte sie sich nicht einmal richtig dazu geäußert.

Seit Wochen war ich nun schon auf der Suche nach einem neuen Heim. Das kleine Anwesen, das ich bislang auf Mietbasis bewohnte, hatte inzwischen so viele Macken und Blessuren, dass es auch trotzt der ständigen, provisorischen Reparaturen durch den Eigentümer keine Freude mehr machte, dort noch längere Zeit auszuharren. So hatte ich mir überlegt, mir etwas Eigenes anzuschaffen. Etwas Gebrauchtes, nicht zu teuer, aber mein Eigentum, in dem ich tun und lassen konnte, was mir gefiel, das ich umbauen und einrichten konnte, wie es mir gerade in den Sinn kam.

Lisa ließ sich nicht so leicht in ein Gespräch über einen geplanten Hauskauf einbeziehen. „Es wird dein Haus, du musst wissen, was du tust!“, sagte sie, wenn ich sie um ihre Vorschläge bat. Auch heute verhielt sie sich nicht anders als sonst. So wagte ich einen Vorstoß.

„Hallo, mein Schatz, ich möchte doch auch, dass es dir gefällt. Also wäre ich für eine klitzekleine Meinung deinerseits aufrichtig dankbar.“

Lisa sah mich an. „Heiner Spürmann, was soll ich denn dazu sagen? Es soll doch dein Haus werden und das muss dir ganz alleine gefallen! Du verlangst von mir Entscheidungen wie von einer Ehefrau. Aber ein solches Paar sind wir nicht.“

„Noch nicht!“

„Was meinst du mit ‚noch nicht’?“

„Ich meine … oder anders herum: Würdest du etwa mit mir in dieses Haus einziehen, mit einem weißen Schleier auf dem Kopf, an der Schleppe zupfende Kinder, die auch noch Blumen streuen, begleitet von einem Schwarm von Kollegen, der uns mit Reis bewirft, von dem wir das erste Jahr mühelos leben könnten? Würdest du deine Jugend wegwerfen, nur um mit einem alten Herrn wie mir in diesem Haus wohnen zu können?“

„Ich verstehe nicht ganz…?“

„Kannst du auch nicht. Es ist für mich auch das erste Mal, dass ich mich auf dieser Ebene, Fragen zu stellen, bewege.“

„Kann es sein, dass du mich erpressen willst? Ja genau, jetzt sehe ich klar: Du willst mir einen Antrag machen. Du willst mich in dein neues Haus schleppen, nur, weil es für dich alleine zu groß ist. Du würdest…!“

„Willst du mich heiraten?“

Lisa verstummt auf der Stelle. Ich hatte das Gefühl, dass wir beide für einen Moment ganz alleine auf der Welt waren. Ich war selbst überrascht, dass mir diese Worte, die ich schon längere Zeit auf den Lippen hatte, gerade jetzt so unkontrolliert entfuhren. Nicht, dass ich es nicht ernsthaft wollte, aber eigentlich hatte ich dafür einen gänzlich anderen Rahmen schaffen wollen. Und jetzt standen wir vor einem Altbau in Forstenau, von dem ich nicht wusste, ob er für mich geeignet ist, und dann war da, von einem Moment auf den anderen, eine viel größere Entscheidung, der ich, eigentlich ungewollt, den Vorzug gab.

„Du meinst das ehrlich, oder?“ Lisa sah mich an und ich glaubte zu sehen, dass sie feuchte Augen hatte. „Du meinst das tatsächlich ehrlich!“

„Ja, ich möchte das wirklich. Was sagst du dazu?“

Lisa sah mich nachdenklich an. „Wir sollten nichts überstürzen, Heiner. Ich glaube, du bist noch nicht so weit. Noch bist du mit deinem Dienst verheiratet. Weißt du, es ist etwas Anderes für mich, auf dich zu warten und zu wissen, dass ich das eigentlich gar nicht müsste. Diese innerliche Freiheit, verstehst du? Als deine Ehefrau muss