Weißes Gift - Hannes Wildecker - E-Book

Weißes Gift E-Book

Hannes Wildecker

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Beschreibung

Der Tod eines Landstreichers, eingetreten nach dem Verzehr von Milch einer namhaften Großmolkerei bringt Kriminalhauptkommissar Heiner Spürmann auf den Plan. Gemeinsam mit seiner Kollegin Leni ermittelt er rund um den Erbeskopf, wobei es ihn nach Idar-Oberstein verschlägt. Nachdem im Stausee Talbrück eine Wasserleiche auftaucht, die offensichtlich ermordet wurde, kann Spürmann eine direkte Verbindung zur Milchverunreinigung herstellen. Die Ermittlungen führen ihn zu einem Konkurrenzunternehmen in Idar-Oberstein und zu Erntehelfern in Trittenheim. Dort erhält er nach turbulenten Verwicklungen den entscheidenden Hinweis und kann als Retter in letzter Not den wahren Täter dingfest machen. Der zweite Krimi von Hannes Wildecker beschreibt unter anderem die Gegend um den Erbeskopf bis nach Idar-Oberstein bis in die Winzergegend der Untermosel. Seine Erfahrungen als ehemaliger Kriminalbeamter und Kenner des Hunsrücks sind Protagonist Spürmann eine große Hilfe im Zuge der Ermittlungen.

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Hannes Wildecker

Weißes Gift

Ein Hunsrück-Krimi

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

WEIẞES GIFT

Impressum

Zum Inhalt:

Der Autor:

Prolog

Kapitel

Kapitel

Kapitel

4. Kapitel

Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

Kapitel

Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18.Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel:

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

Epilog

Impressum neobooks

WEIẞES GIFT

Hannes Wildecker

Ein Tatort Hunsrück-Krimi

Der zweite Fall für Leni und Spürmann

Impressum

Texte: © Copyright 2019 by Hans Muth

Umschlag und

Umschlagsfoto: © Copyright by Hans Muth

Verlag: Hans Muth

Kapellenstr. 6

54316 Lampaden

[email protected]

Druck: epubli, ein Service der

neopubli GmbH, Berlin

Printed in Germany.

Nach dem Roman „Milch so weiß wie der Tod“, mit freundlicher Genehmigung des Verlags Stephan Moll, Burg Ramstein 2008

Wer sich den Gesetzen nicht fügen will, muss die Gegend verlassen, wo sie gelten.

Johann Wolfgang von Goethe

Zum Inhalt:

Der Tod eines Landstreichers, eingetreten nach dem Verzehr von Milch einer namhaften Großmolkerei bringt Kriminalhauptkommissar Heiner Spürmann auf den Plan. Gemeinsam mit seiner Kollegin Leni ermittelt er rund um den Erbeskopf, wobei es ihn nach Idar-Oberstein verschlägt.

Nachdem im Stausee Talbrück eine Wasserleiche auftaucht, die offensichtlich ermordet wurde, kann Spürmann eine direkte Verbindung zur Milchverunreinigung herstellen.

Die Ermittlungen führen ihn zu einem Konkurrenzunternehmen in Idar-Oberstein und zu Erntehelfern in Trittenheim. Dort erhält er nach turbulenten Verwicklungen den entscheidenden Hinweis und kann als Retter in letzter Not den wahren Täter dingfest machen.

Der zweite Fall für Leni und Spürmann führt unter anderem in die Gegend um den Erbeskopf bis nach Idar-Oberstein und in die Winzergegend der Untermosel. Seine Erfahrungen als Kenner des Hunsrücks sind Protagonist Spürmann eine große Hilfe im Zuge der Ermittlungen.

Der Autor:

Hannes Wildecker, mit bürgerlichem Namen Hans J. Muth, ist ein deutscher Journalist und Autor. Unter dem Pseudonym Hannes Wildecker schreibt er die Krimi-Reihe „Tatort Hunsrück".

Diese Kriminalromane spielen im Hunsrück von Losheim bis Bad Sobernheim und beschreiben neben dem eigentlichen Fall die Eigenarten der Natur und den natürlichen, bodenständigen Charme der Bewohner von Hunsrück und Hochwald mit ihren Besonderheiten und Problemen.

Hans Muth ist verheiratet und hat zwei erwachsene Söhne. Er lebt im Landkreis Trier-Saarburg.

www.hanneswildecker.de

Prolog

Die prallen Plastiktüten mit der Aufschrift eines großen Lebensmittelkonzerns ziehen an beiden Armen von Manfred Piefke und das Gehen fällt ihm schwer. Es ist kurz vor Dunkelheitseinbruch und Müdigkeit macht sich in ihm breit. Seit sechs Uhr am Morgen ist er schon auf den Beinen, hat fast die gesamte Stadt durchkämmt nach brauchbaren Dingen und auf der Suche nach Seinesgleichen.

Langsam schwindet ihm die Kraft, denn eine richtige Mahlzeit hat er heute noch nicht zu sich genommen. Normalerweise steht er mittags an der Bahnhofsmission an, denn dort wartet auf ihn eine kräftige Suppe und manchmal auch ein Stück Fleisch mit Kartoffeln und Gemüse. Doch heute war ihm der Weg zu weit bis zum Bahnhof. Am anderen Ende der Stadt hatte er Freunde getroffen. Freunde ist eigentlich der falsche Ausdruck, eher Leidensgenossen. Ja. Leidensgenossen, diese Bezeichnung gefällt ihm.

Wir haben alle dasselbe Leiden, denkt Piefke. Keine Wohnung, keine Angehörigen, kein Geld, kein Mitleid. Penner, wie man uns allerorten nennt. Ehrlose, Outlaws, Geduldete. Aber auch wir haben unser Schicksal hinter uns. Ist eigentlich falsch, denkt Piefke. Wir sind doch mitten in unserem Schicksal drin. Leben irgendwo, wo man uns lässt. Im Sommer unter Brücken, in den Grünanlagen der Krankenhäuser und im Winter in zerfallenen Häusern, die von den Eigentümern aus irgendwelchen Gründen aufgegeben wurden, oder um die man sich streitet, ob es Wert hätte, sie abzureißen oder wieder aufzubauen. Das ist eigentlich kein Leben, das ist Dahinvegetieren, denkt Piefke. Das Eigentum stets am Leibe mit sich rumschleppend, denn einmal etwas am Übernachtungsplatz liegen lassen ist die Aufgabe am Eigentum. Im Sommer trägst du deine Kleidung in Plastiktüten nach und im Winter gleichst du einer Zwiebel, denn alle kleidenden Besitztümer stapeln sich auf deinem Körper, auch in der kalten Jahreszeit nur eine Notlösung. Aber, was soll’s? Das ist unser Leben, das ist auch mein Leben. Und das bereits seit fast zwanzig Jahren, erinnert sich Piefke und Bilder aus vergangener Zeit tauchen erst milchig, dann immer klarer werdend, in seiner Vorstellung auf.

Der Weg in die Verwahrlosung bedarf nur eines kleinen Anstoßes, wenn der dazu führende Anlass schon so angewachsen ist, dass er reicht, um geregelte Bahnen zu verlassen.

Piefke erinnert sich ungern, doch manchmal kommen die Gedanken einfach und er kann sich ihrer nicht erwehren. Wie durch einen Schleier sieht er seine Frau in den Armen eines anderen, in seiner Wohnung, in seinem Schlafzimmer, in seinem Pyjama. Wie im Traum hört er ihre Stimme, die ihm sagt, dass es vorbei ist, dass er gehen soll, dass er seine Sachen packen kann.

Die Scheidung, die Ansprüche an ihn, die Kinder, die sich von ihren Eltern abgewendet hatten, brachten den kleinen Stein ins Rollen, der zu einem Felsen anwuchs. Kaum etwas blieb ihm am Monatsende von seinem Verdienten und seine Frau und ihr Liebhaber machten sich auf seine Kosten ein schönes Leben. Nicht mit mir! hatte er sich vorgenommen. Nicht mit mir!

Von einem Tag auf den anderen hatte er seine Arbeit aufgegeben, sein Ränzel gepackt und war auf und davon. Er hatte sogar mit dem Gedanken gespielt, seine Frau umzubringen. Doch die Vernunft hatte gesiegt. Bei ihm war nichts mehr zu holen und es überfiel ihn trotzt allem, oder gerade deswegen, eine wohlige Genugtuung. Von diesem Tag an hat er fast jeden Winkel in Deutschland durchkämmt, aber ein wirklicher Tippelbruder ist er nie geworden. Rastlos in der Welt umher zu wandern, das war und ist nicht sein Ding. Und so landete er schließlich im Hunsrück und ließ sich in Idar-Oberstein nieder. Was man so unter Niederlassen in seiner Situation verstehen mochte. Hier gefällt es mir, denkt er. Ein schöner Fleck zum Sterben, irgendwann, nicht schon jetzt. Die Winter, ja die Winter sind kalt hier. Doch, umso schöner sind die Sommer.

Piefke bleibt stehen. Er muss ausruhen. Er ist nicht mehr der Jüngste. Im kommenden Jahr wird er sechzig. Das wird gefeiert, denkt er. Mit Rotwein, seinen Kumpeln und vielleicht in einem freundlicheren Haus als jenem, in dem er sich derzeit aufhält.

Piefke hat Hunger. Sein heute erbetteltes Geld hat er für eine Riesenflasche roten Landweins eingetauscht. Ein paar Münzen sind ihm geblieben. Am Supermarkt mit der Aufschrift „Gutkauf“ bleibt er stehen und zählt seine Barschaft. Dann geht er hinein und kauft sich einen Liter Milch im Tetra-Pack. „Hunsrück - Milch“ steht groß auf der Packung.

Ist vielleicht nahrhafter als ein oder zwei trockene Semmeln, denkt er und macht sich auf den Heimweg in die Rosengasse. Er schleppt sich die Stiege in dem muffig und nach Urin stinkenden Treppenhaus ins Obergeschoss, wo ein Teil seiner Kumpane schon ihr Nachtlager aufgeschlagen hat. Der über den Tag konsumierte Rotwein hat ihnen bereits jetzt schon die nötige Schläfrigkeit beschert und macht die aufkommende Herbstkälte etwas weniger merklich.

Bald wird es wieder Winter sein, denkt Piefke. Jetzt, Mitte November, sind die Temperaturen noch gut auszuhalten, aber im übernächsten Monat? Er will nicht darüber nachdenken. Wir sind Penner, wir leben jetzt, in den Tag hinein, nicht in die Zukunft. Zukunft, was ist das schon für einen wie mich? Zukunft, pah, die ist für mich Vergangenheit. Wenn ich es recht überlege: Eine Zukunft im Sinne von etwas erreichen, etwas darstellen, etwas sein, die hatte ich nie. Und die werde ich eben nie haben, denkt er, wieder ernüchtert die Gegenwart erkennend.

Piefke stellt seine Plastiktüten neben der Schlafstelle von Martin Scharlow ab. Zu ihm hat er einen engeren Kontakt als zu den anderen. Scharlow ist eine gutmütige Seele, nicht so verschlagen wie manche der anderen. Man kann ihnen deshalb keinen Vorwurf machen, denkt Piefke. Das Leben, das wir führen, hat sie so gemacht.

Scharlow ist noch wach. Er sieht Piefke zu, der seine Habseligkeiten ausbreitet und sein Nachtlager aufschlägt. Als Piefke den Tetra-Pack Milch auspackt, kommt Leben in ihn.

„Darf ich einen Schluck haben?“ fragt er, doch Piefke macht keine Anstalten, ihm etwas abzugeben.

„Ich habe hier noch eine Semmel. Ein Schluck von der Milch für diese Semmel.“

Piefke hat Hunger. Eine Semmel und dann noch ein halber Liter Milch, das würde ihn sättigen. Der nickt zur Bestätigung und Scharlow zeigt ihm das altbackene Mehlprodukt. Dann greift er zum Milchbehälter, dreht mit fahrigen Händen den Schraubverschluss auf, reißt die Dichtungsmembrane heraus und nimmt einen großen Schluck und noch einen.

„Ist genug“, sagt Piefke unwirsch und windet Scharlow das Milchgefäß aus der Hand. Der säuft mir noch alles weg, denkt er und schaut in die Runde. Soll mir ja nicht noch einer kommen, so geht das nicht. Das ist meine Milch. Und für den Teil, den Scharlow gesoffen hat, will ich sofort meine Semmel haben. Er dreht sich zu Scharlow um, doch der kümmert sich nicht mehr um ihn. „Das kann doch nicht wahr sein“, denkt Piefke und ertappt sich dabei, dass er es laut gesagt hat. „Trinkt mir meine Milch weg und legt sich zufrieden hin zum Schlafen.“

„He, Scharlow, so geht das aber nicht. Ich will meine Semmel.“ Er stößt Scharlow mit dem Fuß gegen dessen Allerwertesten, doch Scharlow rührt sich nicht.

Nicht mit mir, denkt Piefke und schüttelt den vermeintlich Schlafenden, der sich immer noch nicht rührt. Piefke wird stutzig. In der Dämmerung kann er das Gesicht von Scharlow nur schemenhaft erkennen. Mit zitternden Fingern nestelt er eine Kerze und Streichholz aus der Jackentasche.

Utensilien zum Feuermachen hat er immer dabei. Eine Kerze in einem kleinen Raum hat ihm schon des Öfteren, auch im Winter, die erforderliche Wärme geschenkt. Er zündet die Kerze an und hält sie vor das Gesicht von Scharlow. Der bewegt sich nicht, sondern sieht ihn nur mit großen Augen an. Piefke will erneut ansetzen und Scharlow mit Vorwürfen überhäufen, doch dann hält er ein. „Mein Gott, Scharlow!“ Vor ihm liegt ein Toter, das weiß er jetzt. Scharlow, sein Gefährte, liegt vor ihm, hat Schaum vor dem Mund. Es scheint, als grinse er ihn verzerrt an. Scharlow ist tot. Piefke kann keinen klaren Gedanken fassen. Eben noch war doch alles in Ordnung und jetzt!

Die Milch, kommt es ihm blitzartig in den Sinn. Es muss mit der Milch zusammenhängen! Wenn das so sein sollte, dann könnte ich jetzt auch so daliegen. Wenn ich als Erster getrunken hätte! Nicht auszudenken!

Piefke packt seine Sachen zusammen, schraubt den Gewindedeckel auf den Tetra-Pack und steckt ihn in seine Tragetasche. Einen Blick noch auf Scharlow, dann verlässt er, wie er gekommen ist, gebeugt von der Last, den Ort, der ihm immer unheimlicher wird. Die Polizei, denkt er. Ich muss zur Polizei. Man wird sonst denken, dass ich etwas damit zu tun habe. Scharlow, mein alter Kumpel! Warum lässt du mich alleine?

Kapitel

Im Fernseher kam wieder mal gar nichts. Natürlich kam etwas, aber alle Programme hatten heute nichts drauf, was auch nur annähernd in meine Richtung tendierte. Lisa war schon auf der Couch eingeschlafen, auch eine Folge des miserablen Fernsehprogramms. Ich beobachtete sie, wie sie mit angewinkelten Knien auf der Seite lag, die gefalteten Hände unter ihrer linken Gesichtshälfte eingeklemmt. Über ein Jahr waren Lisette Bauer und ich nun schon zusammen.

Ich muss gestehen, dass ich mich oft darüber wunderte, denn außer mit regelmäßiger und oft unerwarteter Abwesenheit konnte ich mit wenig bei ihr glänzen und ich fragte mich oft, was Lisa bei mir hielt. Aber verstehe einer die Frauen, dachte ich und vernahm ein leises Schnurren, das man durchaus als den Hauch eines Schnarchens hätte deuten können.

Aber Frauen schnarchen nicht, sie schnurren eben nur. Spricht man sie darauf an und unterstellt ein Schnarchen, hat man äußerst schlechte Karten. Tauscht man aber das Wort Schnarchen gegen das Wörtchen Schnurren aus, kann es sogar sein, dass Frau dies zugibt mit dem Hinweis, dass sie sich eben sehr wohl gefühlt habe.

Ich selbst fühlte mich nicht so richtig wohl. Müde war ich auch noch nicht. Also zog ich aus dem Regal mit meinen rund zweihundert DVD-Filmen die „Gratest Hits“ von TOTO, einem Live-Zusammenschnitt der Kult-Rockband aus dem Jahr 1995 heraus und legte sie in den Rekorder. Während Steve Lukather`s „I`ll be over you“ erklang, nippte ich an meinem Glas Rotwein, lehnte mich zurück und schloss die Augen. Derweil der Sänger seiner Angebeteten versprach, immer für sie da zu sein, machte ich mir schon fast Gewissensbisse wegen Lisa. Wie oft hatte ich ihr versprochen, gemeinsam mit ihr Dinge zu unternehmen, wegzufahren, ziel- und planlos über den Hunsrück, durch die Wälder, die Täler. Alleine mit ihr, ohne Telefon, ohne die ständigen Anrufe, die auch nicht vor meiner Freizeit Halt machten. „Der Polizeibeamte ist immer im Dienst, auch Sie, Hauptkommissar Heiner Spürmann“, hörte ich Willibald Wittenstein, meinen Chef, sagen. Er hatte Recht. Wie oft hatte ich das am eigenen Leib erfahren müssen.

Ich erschrak. Die Musik hatte gewechselt und war härter geworden. Ich drehte „Kingdom of Desire“ leiser und beobachtete Lisa. Doch sie schlief tief und fest.

Aber mit einem Schlag dann war plötzlich die friedliche, fast eheähnlich anmutende Idylle vorbei. „Du bist immer im Dienst!“ schien mir das Telefon zuzurufen und ich sah Wittenstein förmlich mit erhobenem Zeigefinger vor mir stehen. Das Telefon läutete weiter. Lisa rieb sich die Augen und setzte sich aufrecht.

„Musst du los?“ fragte sie und ich zuckte unwissend und erwartungsvoll mit den Achseln.

„Ja, Spürmann?“

Am anderen Ende der Leitung hörte ich Stimmen, die durcheinanderredeten. Mein Tinnitus, der sich immer dann meldete, wenn es begann stressig zu werden, versetzte mich auch dieses Mal nicht. Schließlich meldete sich Kollege Paul Mereien vom Kriminal-Dauerdienst.

„Hallo, Heiner, ich hoffe, du schläfst noch nicht!“

Ich schlug die Augen zum Himmel.

„Es tut mir leid, es wird sicherlich eine lange Nacht für dich. Wir haben einen toten Penner in Idar-Oberstein. Sieht nach Fremdverschulden aus. Aber warte, ich gebe dich weiter. Der Chef möchte dich sprechen.“

„Hallo, Spürmann, so ist das nun mal, wenn man Bereitschaft hat.“ Es war Kriminaldirektor Wittenstein, mein direkter Vorgesetzter. Er war nicht nur mein Chef, sondern hatte alle Kriminalinspektionen unter sich, so auch die Mordkommission.

„Aber Spaß beiseite (wo hier wohl der Spaßfaktor lag?). Der Tod dieses, ja, äh Landstreichers wurde von einem seiner Kumpanen gemeldet. Faselt etwas von vergifteter Milch und so. Also, Fremdverschulden ist zumindest nicht auszuschließen. Kümmern Sie sich bitte darum! Der Zeuge sitzt noch auf der Dienststelle in Idar-Oberstein. Er bleibt dort, bis Sie eintreffen. Also, beeilen Sie sich!“

„Ich werde also mit meinem Privatwagen fahren. Ist das o.k.? Ich meine, wegen der Spesen und so.“

„Ja, das geht in Ordnung, oder haben Sie irgendwann einmal Ihrem Geld nachlaufen müssen?“

Ich gab Wittenstein keine Antwort, was er sicher zu deuten wusste und wechselte das Thema.

„Ich möchte Leni mitnehmen. Kollegin Marlene Schiffmann!“

„Na, Sie sind mir ja einer!“ Ich sah förmlich das Grinsen im Gesicht Wittensteins. „Ich kann mich erinnern, da reagierten Sie auf mein Angebot mit einer Frau zusammen zu arbeiten doch eher allergisch!“

Ich wusste, was Wittenstein meinte. Er spielte auf den Fall im Waldhausener Forst an, auf den „gekreuzigten“ Zuhälter Rietmaier. Leni wurde mir damals frisch von der Polizeischule zur Seite gestellt und ich gebe zu, das war anfangs überhaupt nicht in meinem Sinne, um es gelinde auszudrücken. Doch Leni mauserte sich zu dem, was man einen richtigen Kumpel nennt und dienstlich harmonierten wir in der Folgezeit sehr gut.

„Ich möchte wieder mit Leni arbeiten“, sagte ich frech in die Leitung. „Ist das zu viel verlangt?“

„Nun werden Sie mal nicht anzüglich, junger Mann“, kam sofort das Echo aus der Leitung. „Sie sollen Ihren Willen haben. Aber auch nur deshalb, weil ich mir von Ihnen beiden eine gute Arbeit verspreche. Enttäuschen Sie mich also nicht! Ich gebe Ihnen noch mal Kollege Mereien, der wird Sie mit den Einzelheiten vertraut machen.“

„Paul, verständige bitte Leni“, bat ich Mereien. Ich warte in Forstenau, in meiner Wohnung, auf sie. Von dort aus kann sie mit mir weiterfahren.“

Es dauerte eine knappe Dreiviertelstunde, da fuhr Leni vor.

„So, Heiner, da bin isch“, sagte sie in ihrem unverwechselbaren Adenauer-Dialekt. „Hallo, Lisa, isch muss deinen Mann leider entführen.“ Als sie dabei das „e" der Worte „deinen“ und „leider“ in der ihr eigenen Art in die Breite zog, konnten Lisa und ich uns ein Grinsen nicht verkneifen.

„Passt auf euch auf und kommt gut an!“ rief Lisa uns nach und ich schickte ein Stoßgebet zum Himmel, dass mein alter Opel Astra uns dabei unterstützen möge.

Kapitel

Die Kollegen von der Kriminalpolizei in Idar-Oberstein erwarteten uns bereits. Es war immer wieder das leidige Spiel. Sie, die selbst Kriminalbeamte waren, wurden bei Vorliegen eines Kapitalverbrechens gezwungen, zurück in die zweite Reihe zu treten und der Sonderkommission Platz zu machen.

So ist das nun einmal geregelt und die Zuständigkeitsgrenzen sind genauestens festgelegt. Das hat auch nicht im Geringsten etwas damit zu tun, dass sie die Ermittlungen nicht im Griff hätten, nein, es hatte ganz einfach damit zu tun, dass Sonderkommissionen nun mal die größere Erfahrung auf diesen Gebieten besitzen, da sie tagtäglich mit Kapitalverbrechen konfrontiert werden. Und vor allem konnten sie an dem Fall dranbleiben, ohne durch andere Einflüsse abgelenkt zu werden.

Aber aus Sicht der Kollegen, die ihre Dienststelle dafür zur Verfügung stellen müssen, dass andere ihre Arbeit in ihren eigenen vier Wänden tun, ist das schon hart, zugegeben. Aber in keinem Fall ist es so, dass die Kommission in aller Stille und unter Geheimhaltung aller Fakten ihren Ermittlungen nachgeht. In jedem Fall werden die Kollegen in die Ermittlungen integriert, ihnen werden Recherchen zugewiesen und vor allem: Sie werden als Gleichberechtigte in den Fall einbezogen. Ohne sie wäre die gesamte Kommission aufgeschmissen. Kommission ist gut. In diesem Fall bestand sie aus Leni und mir. Und umso mehr waren wir auf die Mithilfe der Kollegen angewiesen.

„Emmerich, Werner Emmerich, mein Name. Ich bin hier der Kommissar vom Dienst“, kam ein großer, kräftiger Kollege auf uns zu, gab mir die Hand und verbeugte sich kurz vor Leni. Doch die bot ihm ihre Hand, die Emmerich leicht errötend erfasste.

„Sie wohnen in der Pension ‚Bergkristall’, einem kleinen Hotel ganz hier in der Nähe. Ich hoffe, es wird Ihnen beiden zusagen.“

Dann kam Emmerich zum dienstlichen Teil.

„Meine Kollegin Susanne Quarto und ich haben uns bereits mit dem Penn… mit dem Landstreicher unterhalten. Der sagt, er habe heute am Abend im Supermarkt ‚Gutkauf’’ einen Liter Milch gekauft, der seiner Meinung nach vergiftet war. Einer seiner Kollegen hat die Milch getrunken und ist unmittelbar darauf verstorben. Ob die Milch tatsächlich die Ursache für seinen Tod ist, steht bislang nicht fest. Wie auch? Die Milch muss zuerst untersucht werden und der Tote natürlich auch.“

„Wo ist die Leiche jetzt?“

„Wir haben den ersten Angriff ‚gefahren’, Tatortaufnahme und so, Fotos gefertigt und die Namen der Stadtstreicher festgehalten, die im gleichen Gebäude wie der Tote und der Zeuge gehaust haben. Der Tote liegt in der Leichenhalle des städtischen Krankenhauses. Sein Name ist, warten Sie mal, ja, Scharlow, Martin Scharlow. Seine Person ist uns bekannt. Ein Harmloser, kaum straffällig geworden, nur so das Übliche. Ladendiebstahl, Bettelei und so. Ist keiner aus der hiesigen Gegend. Kommt aus Berlin. Der Zeuge Piefke ebenso. Scheint ihnen im Hunsrück besonders gut zu gefallen. Oder gefallen zu haben. Aber, wer stirbt schon gerne im Hunsrück?“

Emmerich gefiel offensichtlich das abgewandelte Zitat eines bekannten Romans.

„Ich möchte den Tatort sehen“, unterbrach ich den literarischen Vortrag von Emmerich. „Können wir gleich dorthin fahren? Den Zeugen, wie hieß er gleich, ja, Piefke, würde ich gerne mitnehmen.“

Mein Handy klingelte, nein, es vibrierte. Ich muss zugeben, in den seltensten Fällen hörte ich mein tragbares Telefon, aber das Vibrieren in meiner Hosentasche, das merkte ich schon.

Es war Albert Steiner, Reporter beim „Trierer Merkur“ und gleichzeitig Leiter der Außenstelle in Hermeskeil. Der Kerl schien entweder eine gute Nase zu haben oder eine gute Quelle. Oder aber, er hörte den Polizeifunk ab, wie es viele in seiner Branche zu tun pflegen, obwohl es nicht erlaubt ist.

„Hallo, Herr Spürmann, Steiner hier, ‚Trierer Merkur’. Sie erinnern sich an mich? Können Sie mir irgendetwas über die Todesursache des Landstreichers sagen? Oder soll ich bei Ihnen vorbeikommen? Kein Problem.“

Gott im Himmel, bloß das nicht. Ich musste ihm etwas erzählen.

„Hören Sie Steiner, es ist noch zu früh. Ich kann Ihnen noch nichts sagen, weil wir mitten in den Ermittlungen stecken. Wie wäre es, wenn Sie mich morgen wieder anrufen?“

„Eine Kleinigkeit nur, für eine Kurzmeldung, Sie verstehen. Ich kann meine Kenntnis doch nicht einfach so für mich behalten.“

„Woher haben Sie denn Ihre Kenntnis?“

Es folgte ein kurzes Schweigen, dann war Steiner wieder da.

„Wann soll ich mich morgen melden?“ fragte er resigniert.

„Rufen Sie mich im Laufe des Tages auf meinem Handy an.“ Ich gab ihm die Nummer. „Und tun Sie mir bitte den Gefallen und warten Sie bis morgen, ehe Sie etwas Falsches schreiben!“

Die Tatortbesichtigung brachte uns nicht viel weiter. Leni machte noch einige Fotoaufnahmen und Piefke zeigte uns genau die Stelle, an der er und Scharlow ihr Lager aufgeschlagen hatten. Die Stadtstreicher, die sonst mit ihnen hier gehaust hatten, waren alle verschwunden, wie vom Erdboden verschluckt. Mit einem Mord, nein, damit wollte man nichts zu tun haben Und mit der Polizei schon gar nicht. Was soll`s? Zumindest hatte man ihre Namen festgehalten.

Auf ihre Aussagen konnten wir allerdings vorläufig verzichten. Was hatten sie uns schon zum Tathergang zu sagen? Nichts! Was hatte uns Piefke zu sagen? Wir würden es erfahren.

Zurück auf der Dienststelle nahmen wir uns Piefke vor. Der arme Kerl war total übermüdet. Er schilderte uns in groben Zügen von seinem Milchkauf, von seinem Tausch mit Scharlow und der Erkenntnis, dass sein Kumpel plötzlich tot war. Mehr war aus ihm nicht herauszuholen.

Ich einige mich mit Emmerich, Piefke im Polizeigewahrsam ausschlafen zu lassen. Das war zwar gegen die Vorschrift, aber wir konnten es mit erforderlichen Vernehmungen seiner Person am anderen Morgen begründen. Und einen festen Wohnsitz hatte er ohnehin nicht. Piefke sah uns dankbar an, bevor wir die Zelle hinter ihm verschlossen.

Leni war derweil nicht untätig gewesen.

„Ich habe im Internet mal alle ‚Gutkauf’- Filialen in der hiesigen Region ausfindig gemacht. Wenn die vergiftete Milch tatsächlich aus einem dieser Großmärkte stammt, dann haben wir morgen früh ein großes Stück Arbeit vor uns. Vorsorglich habe ich der Zentrale der Milch verarbeitenden Fabrik in Weilersberg, dort wird das Produkt mit der Marke ‚Hunsrück – Milch’ verarbeitet, abgefüllt und an die Supermärkte, mit denen man vertragliche Bindungen hat, geliefert, eine Mail gesandt. Ebenso an die Hauptstelle des ‚Gutkauf’. Ich hoffe, dass dann zu Geschäftsbeginn morgen früh alle suspekten Packungen aus den Regalen genommen sein werden. Unsere Arbeit wird es sein, zumindest in den hiesigen Märkten, die Milchpackungen sicherzustellen und untersuchen zu lassen. Rischtisch, Heiner?“

Leni sah mich bei dieser Frage in ihrem Dialekt an, nicht Emmerich, der sich offensichtlich mit seiner Situation als Ermittler in der zweiten Reihe abgefunden hatte.

„So werden wir es machen. Und gemeinsam –ich sah Emmerich an- werden wir das auch schaffen. Und gemeinsam werden wir auch, ich hoffe es jedenfalls, Erfolg haben. Wir werden jede Menge Leute brauchen, morgen früh.“

„Dafür werde ich sorgen!“ Emmerich gab uns die Hand zum Abschied. „Susi Quatro wird morgen auch mit dabei sein.“

„Susi Quatro? Etwa die Sängerin?“

Emmerich drehte sich im Weggehen noch einmal um und lachte. „Nein, wir nennen sie nur so, wegen ihres Namens. Ich meinte natürlich Kriminalkommissarin Susanne Quarto. Aber wir nennen sie alle nur Susi Quatro.“

Kapitel

Der kommende Tag sollte hektischer und noch weniger aufschlussreich werden als der Vorabend. Leni und ich hatten uns im Hotel „Bergkristall“ einquartiert. Der Name des Hotels war bezeichnend, denn in Idar-Oberstein ist das deutsche Edelstein-Handwerk zuhause. Die Zahl der Edelstein - Schleifereien scheint unendlich zu sein. Entlang der Edelstein – Straße gibt es zahlreiche Edelstein- und Schmuckbetriebe. In viele darf man hineinschauen, darf bei der Bearbeitung zusehen. Und, natürlich, auch edles Gestein kaufen.

Früher wurden Am Steinkaulenberg bei Idar-Oberstein Edelsteine zutage gefördert. Das hat sich alles geändert. Heute ist es wirtschaftlicher, die Steine zu importieren und nur zu bearbeiten. Das Suchen überlässt man jetzt den Touristen. Und die finden tatsächlich immer wieder kleine Brocken von Achat, Jaspis oder Amethyst entlang der so genannten Deutschen Edelsteinstraße, einer rund 70 Kilometer langen Themenstraße rund um Idar-Oberstein

In dieser Nacht konnte ich kaum ein Auge zumachen und stand schon vor Aufgehen der Morgensonne vor Lenis Zimmer. Ich wollte zaghaft klopfen, um festzustellen, ob sie noch schliefe, doch im gleichen Moment öffnete sich die Zimmertüre, so dass der Knöchel meines Zeigefingers Leni beinahe ins Auge getroffen hätte.

„Isch kann auch net schlafen“, entfuhr es ihr in ihrem Adenauer Dialekt und man sah ihr ebenfalls eine durchwachte Nacht an.

„Also auf zu frischen Taten!“

Am Frühstückstisch schmiedeten wir den Ablauf des heutigen Tages, Eine halbe Stunde konnten wir uns noch Zeit lassen. Was zur Gefahrenabwehr erforderlich war, hatten wir noch gestern erledigt. Kollege Emmerich hatte uns dabei tatkräftig unterstützt.

„Also, die Filialen der Lebensmittelkette ‚Gutkauf’ sollten jetzt Deutschland weit informiert sein und ihre Bestände überprüfen“, ging ich mit Leni noch einmal alles durch.

„Die Polizeidienststellen haben alle Kenntnis und schließen sich mit den Filialen, in denen verunreinigte Lebensmittel auftauchen werden, kurz und veranlassen alles Notwendige wie Sicherstellung, Untersuchung durch die Chemischen Labore und so weiter.“

„Das bedeutet, wir können uns voll auf unsere Arbeit hier in Idar-Oberstein konzentrieren“, meinte Leni. „Aber siehst du das nicht auch so? Ohne einen entscheidenden Hinweis haben wir doch keinerlei Anhaltspunkt, wo wir mit den Ermittlungen ansetzen können. Wer macht so etwas, das mit den Lebensmitteln? meine ich. Welche Motive haben solche Menschen?“

„Vielleicht hat ja die Herstellerfirma jemandem irgendwann einmal auf die Füße getreten. Vielleicht hat er irgendwann bei den ‚Hunsrück – Milchwerken’ gearbeitet und wurde gefeuert. Wir werden dort ansetzen.“

„Und was ist mit Piefke?“

Ach ja, Piefke. Den hatte ich schon ganz vergessen.

„Um den kann sich Emmerich kümmern. Aber mehr als gestern Abend wird Piefke ihm auch nicht erzählen können.“

Ich wählte auf dem Handy die Nummer von Emmerichs Büro und sagte dem Kollegen, was wir vorhatten. Dann fuhren wir los in das sechzig Kilometer entfernte Weilersberg. Schon von weitem erkannten wir anhand der riesigen Werbung, wo unser Ziel lag. Eine riesige Leuchttafel mit der Aufschrift „Hunsrück-Milchwerke“ machte uns sozusagen den Weg frei.

Der Pförtner, ein älterer Herr im Rentenalter, mit schlohweißem Haar, meldete uns telefonisch an.

„Sie möchten sich einen Moment gedulden“, sagte der Mann in unverkennbar moselfränkischem Dialekt. „Es kommt gleich jemand zu Ihnen.“

Dann widmete er sich wieder seinen Zeitungen und ich sah, dass er dabei war, ein Kreuzworträtsel auszufüllen. Auch nicht gerade die Erfüllung, so ein Job, dachte ich. Leni sah sich derweil gelangweilt durch die Fenster die Außenwelt der Milchwerke an.

Nach etwa zehn Minuten öffnete sich die Verbindungstüre zur Pförtnerloge und ein Mann, Mitte Vierzig, die Haare auf eine Länge kurz geschnitten und gekleidet in einem dunklen Anzug, als käme er gerade von einer Beerdigung, steuerte auf uns zu.

„Sie sind die Herrschaften von der Kripo? Seien Sie herzlich willkommen. Mein Name ist Dr. Miroslaw Kubicka. Ich bin hier der Leitende Ingenieur.“

Ich stellte Leni und mich vor und kam sofort zur Sache.

„Sie haben unsere Mitteilungen bezüglich der Milchverunreinigungen in der Lebensmittelkette ‚Gutkauf’ erhalten, davon gehe ich aus. Wie ist der jetzige Stand?“ Ich wollte von Kubicka einfach hören, was von Seiten der Produktionsfirma unternommen wurde. Es kam schließlich auf jede Minute an.

„Ich habe persönlich heute Morgen bei Arbeitsbeginn sofort mit der Direktion von ‚Gutkauf’ telefoniert. Mir wurde zugesichert, dass sofort damit begonnen würde, in den Filialen mit der Separierung der betreffenden Milchbehältnisse zu beginnen“, berichtete der Ingenieur, der auf mich einen aufgeschlossenen und hilfsbereiten Eindruck machte. Nun konnte eigentlich kaum noch etwas schieflaufen. Druck genug war jetzt eigentlich auf die Direktion von „Gutkauf“ ausgeübt worden. Die Filialen wussten Bescheid, die Fernseh- und Radiosender müsste Kollege Emmerich inzwischen benachrichtigt haben. Eine Aufklärung der Bevölkerung war nun erste Priorität.

Während wir mit Kubicka den Bürotrakt durchschritten und er uns in sein Büro führte, konnte ich feststellen, dass ihm die Angelegenheit doch sehr naheging. Dachte er nun an die Menschen, die möglicherweise in Lebensgefahr schwebten oder hatte er Sorge um das Image seiner Firma? Oder deren Existenz?

Wir betraten das großräumige Büro, das ausgelegt war mit einem samtzarten Veloursteppichboden in dezentem Beige. Die Sonne, die durch die überdimensionalen Fenster in den Raum schien, brachte eine wohlige Wärme. Ich betrachtete die Fotos an den Fenstern der gegenüber liegenden Wand.

„Unsere Firmenchefs seit der Gründung“, beantwortete Kubicka meine ungestellte Frage. "Milch ist mittlerweile weltweit ein gefragtes Lebensmittel. Zurzeit sind wir mit den Hunsrück-Milchwerken die Nummer drei in Deutschland und liegen europaweit unter den 20 größten Molkereien“, erklärt uns Kubicka stolz, wie weit es die Firma gebracht hat.

„Inzwischen sind wir bei knapp 1,2 Milliarden Euro angekommen und peilen die Marke von zwei Milliarden Kilogramm Milch an. Damit wären wir bei den größten europäischen Milcherzeugern angekommen. Es gibt längst keine Milchseen und Butterberge mehr in der Europäischen Union. In Weilersberg rechnet man sich auf dem freien Weltmarkt zukünftig gute Chancen aus. Wir wollen bald schon bei 40 Prozent Exportanteil sein.“

Kubicka beendete sein Referat und drückte auf einen Knopf an der Sprechanlage auf seinem Schreibtisch.

„Frau Krabbe, bringen Sie doch bitte drei Kaffee in mein Büro. Danke!“ Und zu uns gewandt: „Wie geht es jetzt weiter?“

Bevor ich etwas antworten konnte, hatte Leni bereits die Initiative ergriffen.

„Also, die Frage ist doch: Wie kommt das Gift, ich nenne die Substanz einfach einmal so, in die Milch? Wir sehen da verschiedene Möglichkeiten. In einer dieser Theorien kommt, und dafür werden Sie sicherlich Verständnis haben, auch Ihre Firma vor.“

„Wurden in letzter Zeit Arbeiter aus Ihrer Firma entlassen?“ fragte ich Kubicka. „Haben Sie sich beispielsweise uneinig von einem Ihrer Angestellten getrennt? Hat irgendjemand einen Grund, Ihnen auf eine solche Art und Weise mitzuspielen?“

Kubicka griff zum Telefon, wählte eine zweistellige Nummer und gab eine knappe Anweisung.

„Bringen Sie bitte die Abgänge des vergangenen Jahres zu mir.“

Es klopfte und eine junge attraktive Dame, blond mit langen Beinen, an denen hochhackige Pumps den zarten Teppich des Raumes eindrückten, offensichtlich Kubicka`s Sekretärin, brachte Kaffee. Sie schenkte lächelnd ein und verließ wortlos den Raum.