Niemand schweigt für immer - Hannes Wildecker - E-Book

Niemand schweigt für immer E-Book

Hannes Wildecker

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Beschreibung

Der Fund eines Skeletts im Forstenauer Hochmoor bringt die Ermittler Overbeck und Leni auf den Plan, denn der Schädel des Toten weist erhebliche Verletzungen auf. Als sich herausstellt, dass es sich bei dem Toten um einen ehemaligen Lehrer aus der Gemeinde handelt, der vor 60 Jahren spurlos verschwunden war, strömt den Ermittlern Ablehnung und Gegenwehr entgegen. Der Suizid eines ehemaligen Schülers, ein versuchter Mord an einem weiteren Klassenkameraden und die Entführung Lenis führen die Ermittler in einen Sumpf von Misshandlung und Gewalt der Nachkriegsjahre

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Hannes Wildecker

Niemand schweigt für immer

Ein Hunsrück-Krimi

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Niemand schweigt für immer

Inhalt

 Prolog

  1.Kapitel

2. Kapitel

  3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

  6. Kapitel

7. Kapitel

 8. Kapitel

  9. Kapitel

  10. Kapitel

  11. Kapitel

  12. Kapitel

  13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16.Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

 19. Kapitel

20. Kapitel

  21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

  24. Kapitel

  25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

  31. Kapitel

  32. Kapitel

33. Kapitel

  34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

Epilog

Dem guten Lehrpersonal gewidmet

Impressum neobooks

Niemand schweigt für immer

Hannes Wildecker

Hunsrück-Krimi

Ein Tatort-Hunsrück-Krimi

Folge 9

Inhalt

Bei Restaurierungsarbeiten am Knüppeldamm im Hochmoor des Hunsrücker Hochwaldes bei Forstenau stoßen Waldarbeiter auf ein zum Teil mumifiziertes Skelett eines Menschen, dessen Identität als die eines ehemaligen Lehrers festgestellt wird. Overbeck und Leni werden in ihren Ermittlungen in der Bevölkerung immer wieder mit Schweigen und Ablehnung konfrontieret. Als dann ein Suizid und ein Mord geschehen, sehen sich die Ermittler inmitten einer tragischen Vergangenheitsbewältigung.

Handlung, Personen und Orte sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig. Sollte irgendjemand eine Ähnlichkeit mit gleichgelagerten Vorfällen zu sehen glauben, so sollte er wissen, dass sich Fiktion in zahlreichen Fällen von tatsächlichen Begebenheiten nur schwer unterscheiden lässt. Zu viele gleichgelagerte Fälle gab und gibt es auf dieser Welt, als dass man nicht von einem fiktiven auf ein realistisches Ereignis schließen könnte.

Der Autor

 Prolog

Forstenau 1957

Die vier Männer keuchten und fluchten leise vor sich hin, als sie in der Dunkelheit den klapprigen zweiachsigen Holzwagen die leichte Anhöhe hinaufschoben. Sie hatten mit ihrer Last auf dem Karren das Dorf und den Stausee mit dem riesigen Gelände eines Gestüts und der für den Tourismus gestalteten Gastronomie bereits hinter sich gelassen. Der Weg, den sie dabei benutzten, war von rotem Schotter überzogen, der irgendwann einmal in die Oberfläche eingearbeitet worden war. Im Laufe der Jahre jedoch hatte er sich mit Lehm und Erde vermischt, der aus den Wald bedeckten Höhen auf die Fahrbahn geschwemmt worden war.

  Die Männer atmeten schwer und wechselten sich stumm ab, wobei diejenigen, die das Gefährt an der Deichsel zogen, nun am hinteren Ende schoben, während die beiden anderen deren Position vorne einnahmen.

  „Hätten wir nicht das Auto deines Vaters nehmen können, verflucht? Es wäre sicherlich nicht aufgefallen“, flüsterte einer von ihnen mit kratzender Stimme, die in einem unterdrückten Hustenkrampf endete.

  „Nein, hätten wir nicht“, zischte derjenige, dessen Vater offensichtlich über das angesprochene Fahrzeug verfügte. Keiner von uns hat den Führerschein und keiner von uns ...“

  „Du meinst, keiner von uns kann ein Auto lenken?“ Der Angesprochene lachte leise. „Du weißt, dass das nicht stimmt. Es wäre nicht das erste Mal, dass du hinter dem Steuer eures Autos sitzt. Stimmt doch oder?“

  „Das ist etwas anderes, aber ein Transport wie dieser …? Stell dir vor, der Gendarm hielte uns an oder wir würden irgendwelche Spuren im Kofferraum hinterlassen. Nein, so ist es sicherer. Außerdem haben wir es ja bald geschafft.“

  Damit schien das Thema vorerst beiseitegelegt und die anderen beiden, die stoisch ihre Arbeit verrichteten, beteiligten sich nicht an der Diskussion.

  Es hatte den Abend über leicht genieselt, nun hatte der Regen aufgehört, die Wolken brachen langsam auf, ein diffuses und unheimliches Mondlicht auf die suspekte Gruppe werfend.

  Aus der Ferne erklangen die Schläge der Turmuhr, drei an der Zahl und, als gehöre es zum Ritual, erschien langsam der fahle Mond durch eine der Lücken in den Wolken und warf sein gespenstisches Licht über die seltsame Gruppe.

  Unwillkürlich legten die Männer an Kraft zu und keuchend schoben sie den Wagen um einen Deut schneller nach vorne, als befürchteten sie, im Mondlicht bemerkt zu werden.

  Inzwischen lag das Dorf in weiter Ferne und der kleine Tross hatte das Waldgebiet erreicht, wo er auf einen kleineren Weg abbog, um diesem noch etwa zweihundert Meter zu folgen.

  Der Karren ließ sich nun leichter schieben, da sie sich hier auf ebenem Gelände befanden. Langsam bewegten sie sich weiter, tief durchatmend und die verausgabte Kraft wieder langsam in ihren Körper saugend. Schließlich hielten sie an und schnauften erst einmal wortlos durch.

  Dann erhoben sie ihre Blicke und gaben sich durch Nicken ein Zeichen, dass sie erneut bereit seien. Bereit für eine Handlung, deren Verlauf nur sie, heute und in aller Zukunft als ihr Geheimnis bewahren, ja, mit in ihr Grab nehmen wollten.

  Fast gleichzeitig griffen sie in den Wagen und umfassten das, was sie in den letzten Stunden unter Mühen bis hierhergeschafft hatten: ein Etwas, das in dunkle Stoffbahnen eingerollt und mit einem stabilen Seil verschnürt war und durch die Verpackung an die Form eines Menschen erinnerte.

  Die Männer wuchteten das Paket aus der Karre und trugen es abseits des Weges in das moorige Waldgebiet, wobei sie bei jedem Schritt bis an die Knöchel versanken.

  Offensichtlich war ihnen die Örtlichkeit aufs Genaueste bekannt, denn sie schleppten ihr Paket zielstrebig bis zu einer Stelle, an der sie alle, wie auf Kommando, aber ohne dass ein Wort gesprochen wurde, stehenblieben und ihre Last auf dem Boden ablegten.

  Einer der Männer gab den anderen ein Zeichen und machte sich auf den Rückweg zu dem Wagen. Kurze Zeit später kam er, beladen mit einer Schaufel und einer sogenannten Ulmer Hacke zurück.

  Der Größte von ihnen zeigte auf eine bestimmte Stelle im Moor und der Mann, der das Werkzeug mitgebracht hatte, begann zu graben.

Es dauerte nicht lange in dem feuchten und lockeren Boden, bis vor ihnen eine Grube von etwa einem Meter Tiefe ausgehoben war, die sich langsam mit Wasser zu füllen begann. Länge und Breite waren dem verschnürten Paket angepasst, das dort unten auf dem Boden vor ihnen lag.

  Während des Grabens wechselten sich die Männer ab und nun, nachdem man die Grube für groß genug erachtete, half einer der Männer demjenigen, der als Letzter seine Arbeit verrichtet hatte, aus dem Loch heraus.

  Dann fassten sie das Paket, hoben es über die Grube und ließen es nach dem Kopfnicken einer der Männer in die Öffnung fallen. Es platschte, als das schwere Bündel auf der inzwischen mit eingedrungenen Wasser vermischten Erde aufschlug.

  Wortlos machte sich die Gruppe, wiederum abwechselnd, daran, die von ihnen geschaffene Öffnung mit der Erde aufzufüllen und als sie nach Beendigung den feuchten Erdhaufen gemeinsam mit ihren Füßen niedertraten, um eine Erhöhung der Stelle auszugleichen, hatte es den Anschein, als befreiten sie sich damit von einer Last, derer sie sich in dieser Nacht in gemeinsamer Verschwörung entledigt hatten.

  1.Kapitel

Forstenau 60 Jahre später

Es war einer dieser Tage, an denen man glauben mochte, der Himmel würde einem auf den Kopf fallen. Die dunklen Wolken hatten sich verdichtet und eine deprimierende dunkle Glocke über den Hunsrück gelegt.

  Eigentlich hatte sich das Völkchen auf der rechten Moselseite mehr von einem Goldenen Oktober versprochen, doch trotz aller Wetterprognosen, die für den November zwar Kälte, dafür aber gesunde Trockenheit vermeldeten, vermochte niemand so richtig an das Vorhergesagte zu glauben.

  Die Arbeiten in der freien Natur stagnierten an diesem Mittwochmorgen, das Sägen und Äxteschlagen, dessen Hall aus den Wäldern bis in die Ortschaft Forstenau getragen wurde, war weitgehend vorübergehend verstummt.

  Einer allerdings trotzte dem Wetter und machte sich mit einer gesunden Portion Optimismus auf zur Höhe des Osburger Hochwalds: Förster Herbert Kresser. In seiner Begleitung befanden sich fünf Arbeiter, teils Waldarbeiter, teils Männer, die von sozialen Unterstützungen lebten und sich etwas zu ihrem Lebensunterhalt dazuverdienen wollten.

  „Das Wetter reißt bald auf“, hatte Kresser vor wenigen Stunden noch zu den Männern gesagt. „Während diesen regenfreien Phasen werden wir unsere Arbeiten voranbringen.“

  Was er mit Arbeiten meinte, wusste jeder der fünf. In den vergangenen Tagen hatten sie bereits an dieser Stelle, meist unter den gleichen Umständen, die sie auch heute wieder vorfanden, Reparaturarbeiten an einer Touristenattraktion, dem sogenannten Knüppeldamm, der den Gästen der Region erlaubte, trockenen Fußes das Hochmoor zu durchqueren, ausgeführt.

  Die Planken des 410 Meter langen hölzernen Dammes waren nass und boten den Arbeitern kaum einen Halt. Das Moos, das sich mit der Zeit auf dem Holz angesiedelt hatte, setzte alles daran, den Fuß, der es betrat, haltlos werden zu lassen. Insbesondere dort, wo sich die Planken aufgrund ihrer Altersschwäche verzogen und teilweise eine schiefe Ebene gebildet hatten, war die Gefahr für Passanten dieses Knüppeldamms zu groß, um nicht endlich einer umfangreichen Reparatur zugeführt zu werden.

  Rund 20.000 Wanderer kamen nach Angaben der Tourist-Information jedes Jahr hierher, denn die Gegend um Forstenau mit dem 708 Meter hohen Rösterkopf, dem höchsten Punkt im Schwarzwälder- und Osburger Hochwald, war Naturschutz- und Erholungsgebiet zugleich.

  Das, was Tourist- Information und der Forst als die Attraktion des Hunsrücker Hochwalds bezeichneten, bestand eigentlich aus zwei für diese Gegend eher seltenen geologischen Gebilden. Da war zum einen das Moorgebiet, mehrere Kilometer von der Ortschaft Forstenau entfernt an der Verbandsgemeindegrenze, wobei man immer wieder mal gerne mit dem angrenzenden Gemeindeverband zwecks Bestimmung der genauen Liegenschaftsverhältnisse in den Ring stieg. Da sich dieser rund sieben Hektar große Bereich des rheinischen Schiefergebirges leicht abschüssig auf den bewaldeten Höhen befand, wurde er im Volksmund auch Hochmoor genannt.

  Die Leute vom Forst runzelten angesichts dieser Namensgebung durch die Nicht-Insider die Stirn. Für sie lautete die richtige Bezeichnung Quellmoor. Den Unterschied erklärte Förster Kresser mit eindringlicher Vehemenz jedem, der dieses Thema auch nur peripher anschnitt.

  „Ein Hochmoor erhält seine Feuchtigkeit durch das Regenwasser. Ein Quellmoor hingegen wird überwiegend von den unterirdischen Wasserläufen, also dem Grundwasser gespeist, was zur Folge hat, dass die für ein Quellmoor typischen Pflanzen hier bewundert werden können.“

  So schwärmten die Herren in Grün immer gerne mal wieder vom Torfmoos, dem Pfeifen- und Wollgras, Prosera und Bärlapp. Vor allem aber die typische Moobirke ließ das Herz der Forstmänner höherschlagen, ein Baum, der sich seit Jahrhunderten in den Mooren der hiesigen Region gehalten hatte. Während das Quellmoor eine der Sehenswürdigkeiten in dieser Gegend darstellte, fand man hier ebenfalls den zweiten Teil der Attraktivität, den zuvor erwähnten Knüppeldamm, der das Ziel der angeordneten Arbeiten darstellte.

  Um den Menschen die Möglichkeit zu geben, das gesamte Moor zu durchqueren, hatte man bereits vor 1970 diesen 410 Meter langen Damm quer durch den Sumpf gebaut. Dreißig Jahre später wurde er renoviert und just hier und heute erhielt er nun wiederum, der Sicherheit halber, eine Rundumerneuerung.

  Die Treffer der Hämmer in den starken Händen der Arbeiter hallten im Wald wider und wenn ein Schlag danebenging, spritzte den Männern das Wasser, das sich auf den Holzdielen sammelte, um die Ohren.

  „Wir sollten eine Pause einlegen!“ rief Förster Herbert Kresser den Leuten nach geraumer Zeit zu. Es waren fünf an der Zahl, die, auf Knien rutschend, die maroden Planken gegen neue austauschten. Der Himmel hatte für kurze Zeit vergessen, warum er die starken Regenwolken über dem Hunsrück angeordnet hatte und gestattete einen kurzen Blick auf den dahinter erkennbaren blauen Himmel, doch genauso schnell konnte sich diese Lücke auch wieder verschließen.

  „Kaum haben wir begonnen, macht uns das Wetter schon wieder einen Strich durch die Rechnung“, ließ Kresser ärgerlich verlauten und schlug sich mit beiden Händen das Wasser von seiner imprägnierten Jacke.

  Die Leute nickten und erhoben sich schwerfällig. Sie sahen zu Kresser hinüber, der über die Fläche des Hochmoors in Richtung Westen zeigte.

  „Es wird bereits heller, dort hinten. Lasst uns solange zu den Birken am Bach dort hinten hinübergehen, da sind wir etwas geschützt. Zu den Autos ist es zu weit. Ich glaube, das lohnt auch nicht mehr. Das Wetter scheint langsam besser zu werden. Wir werden bald weiterarbeiten können.“

  Die Männer beobachteten, wie Kresser, der mit seinen nahezu sechzig Lebensjahren einen gelenkigen Schritt vom Knüppeldamm auf die Hochmoorfläche machte, um anschließend bis zu den Knöcheln im Morast einzusinken. Es ertönte ein schmatzendes Geräusch aus dem nassen Boden und Kresser lachte. Sein glattrasiertes Gesicht strahlte dabei eine große Freundlichkeit aus, die sich immer mal wieder auch auf seine Mitarbeiter übertrug.

  „Hier ist der Untergrund ziemlich fest. Kommt mir nach. Das Moor wird uns schon nicht verschlingen.“

  Nacheinander sprangen die Arbeiter zu ihm hinüber und folgten dem Förster, der weiter in das Moor hineinging, dorthin, wo sich ein kleiner Weiher angestaut hatte, der von einigen größeren Bäumen umgeben war.

  „Hier bleiben wir die nächsten Minuten“, sagte Kresser und zeigte auf die Wasseransammlung.

  „Dort werden wir in den nächsten Tagen auch mal klar Schiff machen, den Damm beseitigen und das angeschwemmte Holz beiseiteschaffen. Dann wird es auch in der Umgebung des Baches wieder trockener.“

  Zu den Arbeitern gewandt sagte er: „Es muss sein, sonst spült uns der Bach die Oberfläche noch mehr weg. Hier hat er ja schon fast dreißig Zentimeter der Moorabdeckung abgetragen.“ Zur Bestätigung rammte er den rechten Fuß seines mit Stahlkappen verstärkten Stiefels mehrmals in den durchweichten Boden und verspürte plötzlich Widerstand. Er scharrte weiter mit der Fußspitze und als er genauer hinsah, glaubte er im ersten Moment, dürres Geäst zum Vorschein gebracht zu haben. Doch ein genauer Blick darauf belehrte ihn eines Besseren.

  „Tierknochen“, bemerkte er desinteressiert und zog den Kragen seiner wasserdichten Jägerjacke enger um seinen Hals. Von der Krempe seines grünen Jägerhutes, die sich vom Grün des mittleren Kopfteils mit einem helleren Farbton unterschied, lief ein kleines Rinnsal Wasser vor ihm zu Boden. Kresser ging in die Hocke und griff nach einem dürren Birkenzweig, von jenen Bäumen, die hier wuchsen und auf deren Existenz er stolz war. Die Moorbirken. Seine Moorbirken.

  Er dachte mit Schrecken daran, dass man hier vor langer Zeit mit Fichten aufgeforstet hatte, ein Fehltritt sondergleichen, wie er es jedem, der mit ihm über die Botanik des Hochmoors diskutierte, vorwurfsvoll mitteilte. Doch bereits 1998 hatte man unter seiner Leitung das ganze Nadelholz entfernt und den Neubewuchs mit der Pflanzung von 800 Moorbirken beschleunigt.

  Damals, im 18. Jahrhundert, hatte man zur Entwässerung des Quellmoors umfangreiche Grabensysteme angelegt, deren Entwässerungsgräben immer noch deutlich zu erkennen waren und die ihm immer wieder Arbeit bereiteten. Denn sie brachten mit ihrem Wasser Geäst und Moos bis zu dem Wehr am Weg und verstopften den Weiterfluss. Es würde eine der nächsten Arbeiten sein, diese Gräben für den Wasserablauf wieder funktionstüchtig zu machen.

  Mit dem Zweig hob Kresser den vermeintlichen Tierknochen um einige Zentimeter an, um ihn schließlich aus dem Erdreich zu lösen. Die Form des kleinen Knochens ließ ihn nachdenklich werden und er beugte seinen Oberkörper vor, um ihn einer genaueren Betrachtung zu unterziehen.

  Das ist kein Tierknochen, dachte er. Nein die Form passte nicht zu einem Tier. Für ihn als Förster und Jäger war die Anatomie von Tieren, insbesondere von Waldtieren das kleine Einmaleins der Jägerei.

  „Das hier ist kein Tierknochen“, wandte er sich zu den Waldarbeitern und scharrte mit dem Stock die Erde um den Knochen beiseite. Ein weiterer Knochen kam zum Vorschein und dann noch einer. Kresser schreckte zurück. Das, was er dann sah, war ein Etwas, überzogen mit einer lederartigen Haut.

  „Das ist eine Hand … verdammt, eine menschliche Hand. Nein, bleibt, wo Ihr seid. Wir dürfen keinen Fehler machen“, mahnte er die Männer, die nach seiner Bemerkung sofort herantreten und einen Blick auf den Fund werfen wollten.

  „Vielleicht ist es ein Soldat aus dem letzten Krieg. Vielleicht aber auch nicht.“ Kresser nestelte sein Handy aus der Seitentasche seiner grünen Dienstjacke. „Ich werde die Polizei verständigen. Wenn es tatsächlich Menschenknochen sind, und danach sieht es aus, ist ein Verbrechen zumindest nicht auszuschließen.“

2. Kapitel

Der Regen klopfte gegen die Scheiben des Büros in der fünften Etage des Trierer Polizeipräsidiums, als begehre er Einlass in die warmen, nach altem Papier riechenden Räume. Der Oktober brachte in diesem Jahr neben dem Regen ungewöhnlich viel Kälte ins Land und es versprach, ein früher und strenger Winter zu werden. Auch der Wind hatte zugenommen und durch die undichten Fenster des in Würden gealterten Büroblocks zwängte sich der Wind hier und da mit einem leisen Pfeif-Geräusch in das Innere. Der Blick über die Stadt war vom Nebel, der nach einem heftigen Regenguss aufstieg, getrübt, und auch der dahinfließende Verkehr auf den Straßen hielt sich heute in Grenzen.

  Die Tür zum Büro von Overbeck und Leni Schiffmann war weit geöffnet, ein leiser kalter Zug streifte von den Fensterfugen her durch den Raum.

  Das Telefon schrillte mehrmals und verstummte schließlich. Dann näherten sich Schritte von draußen und schließlich stand die schlanke Gestalt von Peter Krauss im Türrahmen, mit Falten auf der Stirn des haarlosen Kopfes und einem durch den Raum schweifenden Blick voller Unverständnis.

Krauss war Kriminaloberrat und Leiter der Kriminalinspektion, dem das Kommissariat angehörte, in dem Leni und Overbeck ihren Dienst verrichteten, wobei Overbeck dessen Leitung als Hauptkommissar innehatte.

  Krauss‘ Streben galt eher der pedantischen Perfektion, als dass er Verständnis für die sich ihm bietende Situation, nämlich der Leere des Raumes und des Fehlens seiner beiden Kollegen, hätte aufbringen können. Dieses penible Bild erfüllte er auch mit seiner Kleidung, die eher in ein Modemagazin als in eine Kriminaldienststelle gehört hätte. Ein dunkelblauer Anzug schmückte die schlanke Statur und die Krawatte, die er, wie alle seine Kleidung, nicht in den billigsten Läden kaufte, stach dezent von seinem blassblauen Hemd ab.

  Krauss durchmaß den Raum mit großen Schritten und blieb schließlich kopfschüttelnd vor der mannshohen ledernen Trainings-Puppe stehen, die Overbeck inzwischen auf einem federnd gelagerten massiven Unterbau befestigt hatte. Overbeck war Kampfsportler und das Menschen ähnliche Ungetüm bot seinem Eigentümer die Möglichkeit zu kurzen Trainingseinheiten, wenn aus dienstlichen Gründen nach Feierabend kaum die Möglichkeit in seinem Dojo dafür bestand.

  Krauss hatte kein Verständnis dafür, dass Overbeck die Dienststelle für seine sportlichen Aktivitäten zweckentfremdete und ab und zu eine Salve mit Händen und Füßen auf das menschenähnliche Gebilde abfeuerte. Er wusste, dass der blondgezopfte Kriminalbeamte in seiner Freizeit den verschiedensten Kampfsportarten nachging. Aber was hatte das bitteschön in dieser Dienststelle verloren?

Dass er, Krauss, seinen Unmut darüber bereits des Öfteren mit Nachdruck geäußert hatte, schien Overbeck nur am Rande zu interessieren. Obwohl er erst einige Monate unter seiner Leitung Dienst verrichte, verfolgte er stets eine klare Linie, was Krauss imponierte, wie er des Öfteren für sich feststellte. Aber manchmal musste man sich doch an die Gepflogenheiten halten. Was sollten den die Menschen denken, die in diesem Büro als Zeugen oder gar als Beschuldigte ein- und ausgingen?

  „Ich halte mich fit für den Dienst“, pflegte Overbeck nur kurz anzumerken, wenn er wieder einmal mit Gewalt gegen die Puppe vorging. Danach schien für ihn das Thema erledigt.

  Meist verließ Krauss dann schnaubend das Büro, um dann später in einem Vieraugengespräch mit Overbeck einen sportlichen Verzicht herbeizuführen. Doch die Puppe blieb weiterhin an ihrem Platz und niemand wusste, was hinter der verschlossenen Tür in Krauss‘ Büro gesprochen worden war.

  Krauss wandte seinen Blick von dem ledernen Monstrum und drehte sich drehte sich kopfschüttelnd ab, just in dem Moment, als Leni und Overbeck das Büro betraten. Sein aufgestauter Ärger wurde im selben Moment in eine andere Bahn gelenkt.

  „Wie darf ich das verstehen, meine Herrschaften …?“, setzte er an, verstummte sogleich jedoch wieder, als er die betretenen Mienen der beiden wahrnahm.

„Was ist geschehen?“, wechselte er Tonart und Mimik und schloss unbewusst den oberen Knopf des Sakkos, als habe er einen offiziellen Auftrag zu erledigen.

  Overbeck entledigte sich seiner gefütterten Windjacke und warf sie über die Lehne eines Stuhls, während Leni sich mit ihrer regennassen Jacke auf ihren Stuhl fallen ließ und den Kopf in ihre Hände stützte.

  „Was ist los?“, versuchte es Krauss noch einmal stirnrunzelnd und mit ratlos hochgezogenen Schultern und sah Overbeck mit vorgeschobenem Kopf fragend an. Der strich sich durch die nassen blonden Haare, löste seine zum Pferdeschwanz gebundenen Haare und schüttelte sie aus. Dann befestigte er den dehnbaren Stoffring wieder und ließ das gebundene blonde Haarbüschel nach hinten fallen. Er sah erst Krauss an, dann zu Leni. Leise sagte er: „Er ist wieder draußen.“

  „Wer ist wieder draußen? Mensch, Overbeck, reden Sie! Was ist passiert?“

  „Sie waren damals noch nicht hier auf der Dienststelle“, begann Overbeck zögernd mit Blick auf Leni, die nun langsam den Kopf wieder anhob und ausdruckslos in den Raum schaute. Ihr Gesicht schien all die femininen Gesichtszüge, die ihr die anerkennenden Blicke der Kollegen sicherten, verloren zu haben. Kantig und eingefallen schienen die Wangen und um die Augen lagen dunkle Schatten.

  „Es war vor Ihrer Zeit“, begann Overbeck. „Wir hatten einen Kollegen des mehrfachen Mordes überführt und seiner gerechten Strafe zugeführt. Das Gericht hat ihn zu lebenslänglicher Haft verurteilt, obwohl der Staatsanwalt zwei Mal Lebenslänglich beantragt hatte. Das Gericht wählte die mildere Variante, da sie ihm für die Tatzeitpunkte zeitweise eine verminderte Unzurechnungsfähigkeit zugestand.“

  „Einen ehemaligen Kollegen, aha. Ja, und? Was ist jetzt? Warum lassen Sie beide die Köpfe hängen?“

  „Florian Lessing, so heißt der Ex-Kollege, ist aus der JVA ausgebrochen. Er hat bei der ersten sich bietenden Gelegenheit –ich glaube, während eines Krankentransports- zwei der Wärter überwältigt und ist mit der Waffe des einen seitdem auf der Flucht.“

  Overbeck stand auf, ging zum Fenster und sah durch die trüben Scheiben über das Nebelverhangene Trier.

  „Irgendwo da draußen hält er sich versteckt. Irgendwo dort“, sagte er mehr zu sich selbst. „Wir können nur hoffen, dass wir ihn bald wieder fassen werden.“

  Krauss räusperte sich. „Ich verstehe immer noch nicht, warum Ihnen beiden das so nahegeht. Ein Gefangener ist entwichen. Na und? Das geschieht ab und zu. Irgendwann wird er wieder eingefangen. Klar, dass von ihm eine Gefahr für die Bevölkerung ausgeht, da sind wir natürlich als Polizei gefordert.“

  „Ich war eine Zeitlang mit ihm liiert“, kam eine leise Stimme aus der Richtung, wo Leni saß.

Krauss‘ Kopf schnellte herum und er starrte sprachlos zu ihr hinüber, doch bevor er etwas sagen konnte, ergriff Overbeck wieder das Wort.

  „Es ist eine lange Geschichte. Eine Liebesgeschichte, wie sie jeden Tag vorkommt“, sagte er leise und sah dabei Kraus eindringlich an.

  „Leni war auf ihn hereingefallen, wie das nun auch immer wieder passieren kann.“ Overbeck hielt inne, bevor er weitersprach. „Nein, hereingefallen ist nun auch der falsche Ausdruck. Sie hatte sich ihn verliebt, ohne zu wissen, dass er quasi ein Doppelleben führte. Aber darum geht es nicht. Nicht mehr. Die Geschichte ist lange vorbei und Leni hatte nichts Unrechtes getan. Es geht heute einfach darum, dass Leni Angst hat, dieser Mensch würde wieder den Kontakt zu ihr suchen.“

  Krauss sah man das Erstaunen und einen Teil Unverständnis förmlich an. „Warum sollte er den Weg wieder zu Frau Schiffmann suchen, wenn doch die Geschichte lange vorbei ist, wie Sie sagen? Frau Schiffmann, was sagen Sie denn dazu?“

  „Sie hatte damals dazu beigetragen, dass Lessing gestellt und verhaftet werden konnte“, beeilte sich Overbeck, Leni zuvorzukommen. Sie musste sich in dieser Sache nicht unbedingt erklären. Sie hatte genug darunter zu leiden. „Es ist nicht auszuschließen, dass er Rachegedanken hegt. Wir sollten also alles daransetzen, des Mannes so schnell wie möglich wieder habhaft zu werden.“

  „Glauben Sie denn, dass er Sie zu Hause … in Forstenau ... aufsuchen wird?“

  Krauss‘ Ton gegenüber Leni war wärmer geworden und ein Hauch von Verständnis schien in seiner Stimme mitzuschwingen.

  „Ich meine, hier, auf der Dienststelle oder während Ihren Ermittlungen sind Sie ja nie alleine. Ich könnte Sie natürlich, nur, wenn Sie damit einverstanden sind, vorerst im Innendienst einsetzen. Aber, wie gesagt, ich überlasse Ihnen die Entscheidung.“

  „Nein, nein“, wehrte Leni ab. „Vielleicht bin ich ja auch nur überängstlich. Danke, aber es geht schon. Ich bin ja nicht alleine.“

  „Und in Forstenau?“, fragte Krauss lauernd.

  „Dort auch nicht. Ich werde das Haus vorerst nur verlassen, um zum Dienst zu fahren.“

  „Genau das werden Sie nicht tun.“

  Krauss wandte sich an Overbeck. „Sie, Herr Overbeck, werden Frau Schiffmann nach Dienstschluss nach Hause fahren und Sie werden sie am Morgen, so lange, bis dieser Mensch gefasst ist, in ihrer Wohnung in Forstenau abholen. Haben wir uns verstanden?“

  Sein Blick ruhte auf Overbeck, keinen Widerspruch duldend. „Es wird sich doch sicherlich nur um ein paar Tage handeln. Oder wäre es Ihnen lieber, wenn ein Kollege aus dem Schichtdienst der uniformierten Kollegen …?“

  „Nein, das geht schon in Ordnung“, beeilte sich Leni mit einem erleichterten Blick auf Overbeck zu sagen und Krauss konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, auch ein flüchtiges Lächeln in ihrem Gesicht erkannt zu haben.

  Für Overbeck war es eine Selbstverständlichkeit, seine Partnerin so weit zu beschützen, wie es ihm nur möglich war. Außerdem stellte es für ihn kein größeres Opfer dar. Leni selbst hatte eine Wohnung in Forstenau, in der Etage über dem Hochwaldstübchen bezogen. So blieb es auch nicht aus, dass er sich nach Dienstschluss schon mal mit Leni gemeinsam bei Lissy, der Wirtin, ein Bier genehmigte. Und wenn es dann einmal mehr wurden, -dafür sorgte auch schon mal der Stammtisch mit seiner illustren Besetzung- hielt Lissy für ihn ein Gästezimmer parat. Sein Opfer war somit nicht allzu groß und wenn er Leni am Morgen abholen würde, könnten sie das mit Ermittlungen in der Region verbinden.

  „Gut“, vernahm Overbeck die knappe Bestätigung seines Chefs. „Dann wäre das ja geklärt. Sie halten mich auf dem Laufenden. Jeden Tag, verstanden?“

Leni und Overbeck nickten, als hätten sie die Geste abgesprochen und auch Krauss nickte, bevor er sich anschickte, den Raum zu verlassen, doch es war kein Nicken der Bestätigung. Es war eine hilflose Geste. An der Tür drehte er sich noch einmal um und sagte, zu Overbeck gewandt: „Die Akte Lessing, ich möchte sie so schnell wie möglich auf meinem Tisch haben.“

  Ohne eine Antwort abzuwarten verließ er den Raum und schloss die Tür hinter sich. Doch gerade, als Overbeck sich Leni zuwandte, öffnete sich die Tür erneut und Krauss stand wieder vor ihnen.

  „Da sehen Sie mal, dass man auch mich mit irgendwelchen Dingen aus der Fassung bringen kann“, begann er mit einem Kopfschütteln, das offensichtlich seiner eigenen Person zugedacht war. „Der Grund, weswegen ich zu Ihnen kam … Sie müssen zum Tatort. Nein, besser gesagt, zu einem Fundort. Im Waldgebiet bei Forstenau, im …“, er sah auf seinem Notizzettel in seiner Hand nach, „im Osburger Hochwald, wurden Teile eines menschlichen Skeletts gefunden. Ein Förster mit seinen Arbeitern, was auch immer die bei diesem Wetter dort wollten, warten an der Fundstelle.“

  „Wahrscheinlich ein Soldat aus dem letzten Krieg sinnierte Overbeck. Also, auf in den Hochwald.“ Overbeck sah zu Leni hinüber und grinste. „Dann bringe ich dich heute zum ersten Mal nach Hause.“

  „Melden Sie sich, wenn Sie etwas Genaueres wissen“ bemerkte Krauss im Hinausgehen. „Nehmen Sie Stiefel und Regenkleidung mit. Ich werde Peters von der Spurensicherung verständigen. Ach ja, und das mit der Akte Lessing … das erledige ich schon selbst.“

  3. Kapitel

Dicke Regentropfen klatschten gegen die Windschutzscheibe des silberfarbenen Dienstwagens, als Overbeck und Leni die Ortschaft Forstenau verließen und am Stausee vorbei in Richtung Osburger Hochwald brausten. Die Scheibenwischer hatten selbst auf der höchsten Stufe Probleme das Wasser beiseite zu schieben, doch bei der Fahrweise Overbecks musste man annehmen, dass er den völligen Durchblick hatte.

  Leni saß verkrampft auf dem Beifahrersitz und schielte ab und zu in Richtung ihres Kollegen, worauf sie jeweils mit einem leichten Lächeln bedacht wurde.

  „Du kennst dich hier aus?“

  Lenis Stimme vibrierte. Sie hatten gerade das Feriendorf hinter sich gelassen und Overbeck verringerte die Geschwindigkeit.

  „Irgendwo hier muss es doch zum Weyrichsbroch abgehen“, ignorierte er Lenis Frage und starrte angestrengt durch die für kurze Zeit frei gewischten Stellen der Windschutzscheibe. „Du wohnst doch hier, Leni. Kennst du dich aus?“

  „Na ja, ich bin zwar auch erst einmal an der Ruwerquelle gewesen, aber ich weiß, dass gegenüber dem Weg, der dorthin führt, noch einer in den Wald abzweigt. Fahr mal langsam weiter.“

  Wie abgeschnitten hörte es mit einem Schlag auf zu regnen, nur noch vereinzelt fielen Tropfen platschend auf die Windschutzscheibe. Overbeck schaltete ein langsameres Intervall ein und fuhr die ansteigende Straße gemächlich weiter.

  „Hier ist der Parkplatz für die Wanderer“, zeigte Leni auf eine freie Stelle auf der linken Seite, „vielleicht noch einhundert Meter. Ja, da vorne.“

„Knüppeldamm“, las Overbeck den Schriftzug auf einem verwitterten Wegweiser vor. „Das steht aber nichts von einem Hochmoor oder so.“

  „Overbeck, Overbeck. Es wird Zeit, dass ich dich in die Besonderheiten und die Attraktionen des Hunsrücker Hochwalds einführe. Also: Für Wanderer und Touristen ist es der Knüppeldamm, der für sie so was wie eine Attraktion ist. Und der führt mitten durch das Hochmoor. Gut, dass mich der Förster jetzt nicht hört. Richtig heißt es natürlich Quellmoor, auf diese Bezeichnung wird er wohl besonderen Wert legen.“

  „Hochmoor, Quellmoor.“ Overbeck hielt den Wagen an und ruderte ungeduldig mit den Armen. „Muss man den Unterschied kennen?“

 „Nur, wenn man will“, antwortete Leni schnippisch. „Hier musst du nach links abbiegen.“

  Sie fuhren den Weg entlang und nach einigen hundert Metern sahen sie die abgestellten Fahrzeuge der Waldarbeiter am Wegesrand.

  Es begann wieder an zu nieseln, doch der große Regen schien vorbei. Man schien das Motorengeräusch gehört zu haben, denn ein kräftiger Mann in grüner Hose, grüner Gummi-Jacke und einem Försterhut erschien am Wegesrand und winkte den beiden freundlich lächelnd zu.

   „Sie kommen von der Polizei?“

  Ohne eine Antwort abzuwarten, machte er eine einladende Handbewegung.

  „Kommen Sie hier herüber, auf den Damm, da ist es trocken“, rief er, als das Fahrzeug auf seiner Höhe angelangt war. „Wir müssen ein kleines Stück den Knüppeldamm hinauf“, gab er bekannt und stellte sich vor.

  „Mein Name ist Herbert Kresser. Ich bin der zuständige Förster für diesen Bezirk.“

  Leni nickte und betrachtete die Aufschrift Landesforsten auf der Jacke des Forstmannes.

  „Mein Name ist Schiffmann. Das ist mein Kollege Overbeck.“

  „Angenehm. Wie Sie sehen, sind wir alle klitschnass geworden. Aber wir wollten auf Sie warten. Es scheint nun doch besser zu werden“, bemerkte Kresser dann mit einem Blick zum Himmel. „Kommen Sie! Wir müssen ein Stück über den Knüppeldamm und dann nach rechts ins Moor.“

  Leni und Overbeck folgten Kresser über die teils schmierigen und morsch anmutenden Planken und gelangten schließlich zu einem Bereich, der offensichtlich kürzlich renoviert worden war. Kresser blieb stehen und drehte sich zu den beiden hin.

  „Sehen Sie, so wie hier wechseln wir alle morschen Planken aus. Dieser Knüppeldamm ist immerhin über 400 Meter lang, da braucht das schon alles seine Zeit. Und das dann bei diesem Wetter. Aber wenn im kommenden Jahr die Wanderer und Touristen kommen, muss alles fertig sein.“

  Kresser zeigte nach vorne. „Kommen Sie“, wiederholte er, ,,es ist nicht mehr weit.“

  „Sie meinen Touristen kommen speziell wegen dieses …?

  „Ja, sie kommen wegen des Knüppeldammes, aber wichtig ist ihnen natürlich auch, dass er sie durch ein naturbelassenes Moor führt. Im Vertrauen: Es ist kein gefährliches Moor. Darin wird niemand versinken, jedenfalls nicht komplett. In keinem Moor kann man versinken. Das sind alles Ammenmärchen, aber gut für den Fremdenverkehr. Und was den Tourismus angeht: Alleine hierher ins Quellmoor kommen im Jahr über zehntausend Menschen, also, da kann man doch sicher von einer Attraktion sprechen, oder? Wir sind da“, sagte er, ohne auf eine Antwort zu warten.

  Kresser zeigte nach rechts in das Sumpfgebiet und auf seine Mitarbeiter, die in einer Entfernung von vielleicht dreißig Metern mit eingezogenen Schultern ausharrten.

  „Kommen Sie, folgen Sie mir.“

In der Ferne hörten sie Motorengeräusch

  „Wird Peters sein“, raunte Leni Overbeck zu. „Herr Kresser, wir warten hier. Die Spurensicherung sollte sich das vor uns ansehen. Ich glaube, die Kollegen sind soeben vorgefahren.“

  Es dauerte nur wenige Minuten, als Schritte auf dem hölzernen Damm im Wald widerhallten. Kurz darauf standen Hauptkommissar Heinz Peters und sein junger Kollege, Kommissar Helmut Franzen vor der Gruppe.

  „Dann wollen wir mal“, sagte Kresser nach der förmlichen Vorstellung der Personengruppe und ging voran. Die Waldarbeiter hatten sich auf einem querliegenden Stamm niedergelassen und erhoben sich, als die Gruppe nähertrat.