Nicht mit mir! - Hannes Wildecker - E-Book

Nicht mit mir! E-Book

Hannes Wildecker

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Beschreibung

Eine Gebietsreform, die alle bisherige Selbstständigkeit ad absurdum führt? Nicht mit mir! Ich werde es verhindern! Mit allen Mitteln! Vor dem Hintergrund der Gebietsreform des Landes Rheinland-Pfalz entstand der Kriminalroman "Mords-Reform"angesiedelt insbesondere im vorderen Hunsrück, gelegen an der Grenze des hochwäldischen Saarlandes zum einen und der Mosel zum anderen als untere Grenze zur Eifel hin. Zentrum der mit einem zwinkernden Auge betrachteten verbrecherischen Geschehnisse ist dabei die fiktive Verbandsgemeinde Forstenau.

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Hannes Wildecker

Nicht mit mir!

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Nicht mit mir!

Impressum

Was geschieht?

Prolog

1.Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

Eine Info zum Schluss

Impressum neobooks

Nicht mit mir!

Hannes Wildecker

Ein Krimi aus der Reihe Tatort Hunsrück

Folge 9

Impressum

Texte: © Copyright by Hans MuthUmschlag: © Copyright by Hans Muth

Verlag: Hans Muth

Kapellenstr. 654316 [email protected]

Druck: epubli, ein Service der

neopubli GmbH, Berlin

Printed in Germany

Nach dem Roman Mords-Reform, mit frdl. Genehmigung des Verlags Stephan Moll, Burg Ramstein, 2018

Was geschieht?

Im Land Rheinland-Pfalz steht wieder einmal eine Reform an: Die Gebietsreform, auch Verwaltungsreform genannt. Dabei steht der Gedanke im Vordergrund, mehrere kleinere Verbandsgemeinden zu einer zusammenzuziehen, was Vor- und Nachteile mit sich bringt. Abgesehen von den Befürchtungen, dass kleineren Verbandsgemeinden sich wie das 5. Rad am Wagen vorkommen, befürchten sie, dass das, was sie sich in jahrelanger Arbeit erwirtschaftet haben, ihrer Eigenverwaltung entschwindet.

In dieser Angelegenheit gibt es ablehnende Aussagen, aber auch einige befürwortende. In der vorliegenden erfundenen Krimi-Handlung beabsichtigt ein Psychopath diese Reform für einen bestimmten Verwaltungsbereich zu verhindern und erpresst die Verbandsgemeinde Forstenau, die ihrerseits gar nicht die Möglichkeiten besitzt, auf seine Forderungen einzugehen. Zum Glück hat Bürgermeister Walter Anders gerade zu dieser Zeit Besuch von zwei hohen Dienstgraden des Ministeriums. Doch auch ihnen sind die Hände gebunden.

Die Angelegenheit wird dramatisch, als ein erster abgetrennter Finger eines Kommunalpolitikers im Bürgermeisteramt vorgefunden wird. Overbeck und Leni Schiffmann von der Trierer Kripo treten auf den Plan, können aber nicht verhindern, dass schon am nächsten Tag ein weiterer Finger im Amt auftaucht. Als dann noch ein Kommunalpolitiker aus Forstenau ermordet aufgefunden wird, spitzt sich die Angelegenheit zu.

En regionaler Kriminalroman, gewürzt mit einem kräftigen Schuss Satire und Humor behandelt ein Thema, das allen Betroffenen in Rheinland-Pfalz auf der Seele liegt. Originale Informationen zu Beginn der einzelnen Kapitel informieren über die tatsächliche Themenlage. Der Inhalt des Romans ist natürlich frei erfunden.

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"Hannes Wildecker, über die regionalen Grenzen hinaus bekannt und beliebt, ist durch seine heimatverbundenen und lokal orientierten Werke Botschafter unserer Region. Obwohl es sich um Kriminalfälle handelt, verspürt der Leser eine ganz eigene Heimatliebe und lokale Verbundenheit."

Bernhard Kaster

Mitglied des Deutschen Bundestages

Prolog

Seine Hände zittern und sein ganzer Körper bebt, wie es in den vergangenen Wochen fast täglich der Fall gewesen ist. Sein Gesicht ist eingefallen wie das eines Kranken oder das eines Alkoholsüchtigen. Doch er ist keines von beidem. Er trinkt nicht, jedenfalls nicht oft und er kann sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal einen Arzt aufgesucht hat. Die Ursache liegt somit nicht in irgendeiner Krankheit oder einem der Gebrechen, die den Körper mehr als von der Natur vorgesehen, erzittern lassen.

Vielleicht ist seine Vergangenheit dafür verantwortlich, sein bewegtes Leben, das er und seine Frau geführt haben. Er erinnert sich auch nicht nur an einen Tag, den er sich zurückwünschen wollte und er hatte sie nicht aufgehalten, als sie gegangen war, wortlos, nur mit einem mitleidigen Blick und einem Koffer in der rechten Hand.

Es waren kaum zwei Tage vergangen, da hatte er sie bereits wieder vermisst und war umhergeirrt, um sie zu finden, sie wieder in sein Haus zu schleppen und wahrscheinlich wäre wieder alles von vorne losgegangen: die Demütigungen, die ständigen Anrufe, die anderen Männer. Er hatte sie nicht gefunden und irgendetwas in ihm war froh darüber. Er war nach Hause gefahren und hatte sich betrunken, nach langer Zeit wieder einmal betrunken. Danach hatte er sich dafür entschieden, die Schlampe, wie er sie im Geiste nur noch nannte, aus seinem Gedächtnis zu streichen. Er gewöhnte sich an diesen neuen Zustand und endlich hatte er Zeit für das, was ihn schon seit einiger Zeit bewegte, das in seinem Kopf immer mehr Raum einnahm, dessen er sich nun mit aller Kraft widmen wollte.

Seine Hände beben, als die Schere durch das dünne Papier der Tageszeitung, den Trierischen Volksfreund, gleitet und einzelne Buchstaben, mal große und mal weniger große ausschneidet. Nicht, dass er die Buchstaben in seiner Form aus dem Papier trennt, er schneidet sie vielmehr mit einem ein Quadrat umfassendes Umfeld aus. Hat er einen Buchstaben aus seinem lesbaren Inhalt gelöst, legt er ihn in den Deckel eines Schuhkartons, den er auf einem Stuhl platziert, ehe er sich dem nächsten Wortteil zuwendet.

Das Zittern seiner Hände lässt nicht nach, ebenso wenig wie seine Aufregung, die kausal zu der Unruhe seiner Extremitäten steht, die seine innere Verfassung nach außen trägt. Ab und zu legt er die Schere auf dem Tisch ab, reibt sich die Hände, um das Blut, das die Öffnungen der Scherenhaltung zeitweise in seinem natürlichen Fluss zurückgehalten hat, wieder zirkulieren zu lassen und streckt die Arme von sich, um sich dabei selbst über seinen erregten Zustand zu wundern. Gleichzeitig stößt er böse Verwünschungen aus, auf die er auch nicht während der Ausschneide-Arbeiten verzichtet.

Er betrachtet noch einmal das wüste Durcheinander auf dem Tisch, die teils zerschnittenen, teils zerfetzten Zeitungen, dann wendet er seinen Blick von ihm ab, geht zum Fenster und sieht in den regnerischen Nachmittag hinaus. Während im Fernseher im Nebenraum wiederum oder immer noch über die seit Monaten vergangene Fußball-Europameisterschaft berichtet wird und der Reporter zum hundertsten Mal bedauert, dass die deutsche Mannschaft trotz guter Leistungen im Halbfinale ausgeschieden ist und dass Spanien ein würdiger Gewinner des Turniers sei, schaut er durch die teils beschlagene, teil verschmutzte Scheibe auf das satte Grün der Bäume, deren Blätter durch den Aufprall der Regentropfen auf und niederwippen. Sein Blick gleitet über die satten grünen Wiesen, die Weiden, die sich hinter seinem Haus erstreckten, bis hin zu dem langgezogenen Fichtenhain, der sich bis in die Nachbarortschaften der Hochwaldgemeinde, seines Heimatortes, erstreckt.

Er wohnt am Rande des Ortes, dessen Anzahl der Einwohner noch überblickbar ist, wo einer den anderen kennt, jeder mit jedem ein gutes Verhältnis hat. Nein, nicht mit jedem. Er selbst zum Beispiel hat ein solches mit diesen andern nicht. Er will es auch nicht. In seinen Augen kriechen die meisten von ihnen der Obrigkeit zu Kreuze, sind Ja-Sager und Kopfnicker. Wird etwas von oben her beschlossen, finden sie sich meist mit der neuen Situation ab und wechseln ihre Meinung so schnell wie ein Chamäleon seine Farbe.

Das ist nicht seine Welt. Und so ist es auch kein Wunder, dass man ihn als politischen Außenseiter betrachtet, und man lässt es ihn auch spüren. Als er sich vor Jahren sein eigenes Haus mehr oder weniger mit seiner Hände Arbeit errichtete, hatte er niemanden, der ihm wirklich dabei half. Damals, vor rund zehn Jahren, war er vierzig gewesen. Eine eigene Familie mit Kindern hat er nie besessen, die Frau, die ihn nach rund fünf Jahren verlassen hatte, zählt er nicht dazu. Aber er ist immer noch zurechtgekommen, hier, in diesem Ort, mit den Menschen, von denen er keinen als seinen Freund betrachtet. Dennoch ist ihm das Geschehen außerhalb seiner vier Wände außerordentlich wichtig. Die große Politik verfolgt er im Fernsehen und in der Tageszeitung und es schnürt ihm den Hals zu, wenn Entscheidungen herbeigeführt werden, die in keiner Weise seine Zustimmung finden, weil es für ihn keine nachvollziehbare Erklärung dafür gibt. Aber er muss diese Entscheidungen als Bürger des Landes hinnehmen und wenn ihn dann die Wut überkommt, geschieht dies ausschließlich in seinen eigenen vier Wänden. Dann tobt er und verflucht die gesamte politische Landschaft und lässt seinen Zorn von oberster Ebene hinabgleiten bis in die unterste Basis. Dann schreitet er zornentbrannt in seinem Wohnraum hin und her, flucht vor sich hin, beschimpft diejenigen, die sich auf der Mattscheibe seines Fernsehers redeschwingend zeigen und nicht allzu selten hat er Rachegedanken und Pläne geschmiedet, auf welche Weise er selbst in die Entscheidung würde Einfluss nehmen können. Und da bekanntlicherweise der Krug so lange zum Brunnen geht, bis er bricht, bewahrheitet sich auch in seinem Falle nun endlich das Sprichwort. Er hat es satt. Jetzt ist es genug. Nun betrifft es ihn auch. Es betrifft ihn in einer Art und Weise, die er persönlich nimmt.

Er wendet seinen Blick, der nun nicht mehr auf die Wiesen und Wälder des vorderen Hunsrücks gerichtet ist, sondern durch alles, was vor ihm liegt, durchzusehen scheint, ab, dreht sich um, geht zu seiner schwarzen Ledercouch hinüber und bleibt davor stehen. Dort liegen ebenfalls aus Zeitungen herausgeschnittene Teile, die jedoch nicht dazu dienen, einzelne Buchstaben zu verwerten. Die Zeitungen, die er nebeneinander über die gesamte Sitzfläche verteilt hat, geben inhaltlich Schlagzeilen über ein bestimmtes Thema preis:

„Ab Juli droht Verbandsgemeinden in der Region die Zwangshochzeit“

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„Vor Ort gibt es Protest gegen Fusionen. Aber CDU-Chefin Julia Klöckner schlägt Gespräche vor, um parteiübergreifend ein Konzept zu entwickeln.“

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„Hermeskeiler machen neuen Heiratsantrag.“

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„Reinsfelder geben Nachbar-Verbandsgemeinde einen Korb.“

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„Verbandsgemeinde will ihrem Kampf ums Überleben mit einer Bürgerumfrage Nachdruck verleihen.“

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„CDU Mandern hält Fusion mit Nachbar-VG Ruwer für beste Lösung.“

Man will uns verkaufen, flüstert der Mann, während seine Blicke über die Schlagzeilen flogen, von einer zur anderen und wieder zurück. Dann schreit er: Ihr wollt über uns bestimmen wie über ein Ferkel, das ihr zur Schlachtbank führt! Verwaltungsreform nennt ihr das, wenn ihr uns die Selbstständigkeit nehmt! Was wir uns aufgebaut und errichtet haben, das sollen nun andere als ihr Eigen betrachten und damit repräsentieren? Wir werden nur noch das fünfte Rad am Wagen sein, Hinzukömmlinge, die auf Almosen angewiesen ist! Man wird es uns spüren lassen, dass wir nicht dazugehören!

Die Stimme des Mannes wird leiser. Ich werde es verhindern, flüstert er nun. Ihr da oben werdet tun, was ich sage. Und wenn ihr es nicht tut, werden jene leiden, die ihre Köpfe in eure Richtung drehen und mit glänzenden Augen bestätigend nicken.

Der Mann wendet sich wieder seiner Puzzlearbeit zu, schneidet mit hektischen Bewegungen weitere Buchstaben aus der Zeitung aus. Nach einiger Zeit hält er inne. Dann nickt er bestätigend, nimmt einen weißen Papierbogen und ordnet die Fragmente so aneinander, dass sie für ihn einen Sinn ergeben.

Seine Augen beginnen zu funkeln und ein diabolisches Grinsen legt sich über sein Gesicht. Das Spiel kann beginnen, kommt es schließlich über seine Lippen und ein lautes Lachen, von dem seine grauen Augen verschont bleiben, hallt durch den Raum. „Ihr werdet meinem Fingerzeig folgen!“

1.Kapitel

Montag, 10 Uhr,

Forstenau, Bürgermeisteramt

Kaffeeduft durchzog den vom Eingang her gesehenen rechten Bereich des Trakts im Erdgeschoss der Verbandsgemeinde-Verwaltung von Forstenau und das Brabbeln der dafür verantwortlichen Maschine wurde zum Ende hin stärker und lauter, ehe es langsam verebbte. Es klang, als wollte sich die Maschine gegen die Vollendung der kulinarischen Maßnahme wehren, um sich schlussendlich doch in ihr Schicksal zu ergeben.

Die Verbindungstür des Sekretariats zum Chefzimmer stand weit offen, denn Bürgermeister Walter Anders erwartete eine Delegation aus dem Mainzer Ministerium des Innern, Sport und Infrastruktur. Thema der heutigen Besprechung war nicht die schon lange im Raum stehende Verwaltungsreform, diese Diskussionen trugen die Mitarbeiter des Ministeriums nicht in untergebene Dienststellen. Was dieses Thema betraf, beobachtete man die Wirkung der drohenden Vereinigungen abwartend von oben herab, jeden Trend, gleich in welche Richtung beobachtend und festhaltend für eine spätere Verwertung.

Der Grund des hohen Besuchs war ein gänzlich anderer und eigentlich irrelevant für die weiteren Ausführungen, weshalb wir an dieser Stelle auch großzügig darauf verzichten wollen.

Als die beiden Abgesandten des Ministeriums endlich eingetroffen waren, verliefen die ersten Gespräche in geordneten Bahnen. Höflichkeitsfloskeln wurden ausgetauscht und schließlich näherte man sich dem eigentlichen Thema, dessen Ergebnis eigentlich nur eine Formsache darstellte.

Verena Becker, eine attraktive Mittvierzigern mit strenger Frisur –die schwarzen Haare hatte sie zu einem Knoten gebunden, der schwarze Rock und die weiße Bluse betonten ihre üppige Figur-, war Sekretärin und rechte Hand von Anders. Sie unterbrach die Besprechung ihres Chefs und den beiden Herren aus dem Ministerium genau zweimal. Zum einen brachte sie ein Tablett mit Tassen, Zucker und Milch und einer Kanne heißen Kaffees und erntete dafür ein dankbares Lächeln der Mainzer Delegation. Als sie das zweite Mal den Raum betrat, was in keinem Fall ohne einen triftigen Grund passiert wäre, sah die Runde in ihrem Gesicht etwas, das an Ernsthaftigkeit kaum noch zu überbieten war.

Sie schloss die mit einem Polster zur Geräuschdämmung versehene Tür, denn im Sekretariat tauchten im Laufe eines Arbeitstages zahlreiche Vertreter politischer Gremien auf, um Gespräche der verschiedensten Kategorien mit dem Bürgermeister zu führen. Die Ortsbürgermeister der insgesamt 13 Gemeinden innerhalb der Verbandsgemeinde gaben sich dabei die Tür in die Hand. Manche kamen öfter, offensichtlich, weil die Last, die sie sich selbst auferlegt hatten, sie zu erdrücken schien und sie Hilfe vor Ort benötigten. Aber auch diejenigen Ratsmitglieder, die sich von ihren eigenen Leuten verraten und verfolgt fühlten und aus diesem Grund zu einem Scharmützel geblasen hatten, kamen, um sich Schützenhilfe beim Bürgermeister zu erbeten. Dass sie im Laufe der Zeit aus dem Scharmützel einen Krieg vom Zaun brachen, an dessen Folgen sie selbst am meisten zu leiden hatten, bemerkten sie dabei oftmals kaum. Auch wenn die Presse mit scharfen Zungen ihrer immer wieder gedachte, waren sie selten bereit, andere Wege einzuschlagen. Selbst wenn der Bürger, der sie um ihrer Fähigkeiten Willen in den Rat gewählt hatten, erkennen ließ, dass es doch nun genug der Farce sei, hielten sie an der eigenen Meinung fest und schafften lieber einen Abstand zwischen sich und denen, die da völlig anderer Meinung waren.

Doch zurück zur eigentlichen Situation im Bürgermeisteramt: Verena Becker also legte mit ernster Miene wortlos einen braunen Briefumschlag von der Größe eines DIN a 4-Papiers vor Bürgermeister Anders auf dem Tisch ab. Doch sie machte keine Anstalten, den Raum wieder zu verlassen, wie es ihr der Anstand sonst immer geboten hatte. Der Grund lag auf der Hand. Sie hatte den Umschlag, wie sie es mit der täglichen Post an allen Tagen der Woche handhabte, geöffnet, um den Inhalt wie sonst, meist einen Antrag oder eine Beschwerde, in die Unterschriftenmappe zu geben, um sie dem Chef vorzulegen. Dafür war heute keine Zeit, wie sie selbst nach Einsicht in den Inhalt beschloss. Erwartungsvoll wartete sie auf die Reaktion des Bürgermeisters.

„Was ist das?“ Voller Erstaunen blickte Anders auf den Zettel, den er aus dem Umschlag ans Tageslicht beförderte, um noch einmal, dieses Mal mit einem erschreckten Tonfall zu wiederholen: „Was zum Teufel ist das?“

„Wahrscheinlich ein Scherz“, versuchte die Sekretärin beruhigend auf ihn einzuwirken, doch ihre Stimme zitterte, während sie starr auf den Umschlag auf dem Tisch sah. „Vielleicht …“ Ihre Stimme versagte.

Anders schien sie nicht zu hören. Er starrte auf das Blatt Papier, das er halb aus dem Umschlag herausgezogen hatte und schob es langsam wieder in das Innere zurück.

„Ein Drohbrief“, sagte er mit leiser Stimme und sah von einem zum anderen der Mainzer Delegation. „Irgendein Verrückter schickt mir einen Drohbrief.“

„Ein Drohbrief?“ Der ältere der beidem Männer aus dem Ministerium, ein kleiner untersetzter Mittvierziger mit lichtem blonden Haar mit dem unaussprechlichen Namen Czypansicz, Martin Czypansicz –seine Familie war offensichtlich polnischer Abstammung- riss die Augen auf und sah Anders fragend an. „Ein Drohbrief? Gegen Ihre Person? Gegen Sie persönlich?“ Dass er die Frage in ihrem Sinn verdoppelte, schien ihm seine Aussage attraktiver zu machen und seine weit geöffneten runden Augen trugen ihr Übriges dazu bei. Und dann wagte er eine leise Frage: „Was schreibt er denn?“

„Ich möchte den Brief nicht noch einmal anfassen, bevor ich die Polizei informiert habe“, brummte Anders zurück, doch seine Gedanken schienen weit weg. Was zum Teufel soll das bedeuten? Wer schreibt mir einen Drohbrief? Aus Zeitschriften ausgeschnittene Buchstaben auf einem Blatt Papier zu einem Wortgefüge aneinandergeklebt? Meine Zeit auf diesem Amt in dieser Position ist bald auf natürliche Weise beendet. Das wird man doch wohl noch abwarten können!“

Laut sagte er: „Also gut, ich werde zumindest nachsehen, was darauf geschrieben steht.“ Er nahm ein sauberes, seidenes Taschentuch aus seiner inneren Jackentasche, faltete es behäbig auseinander und fasste es mit Daumen und Zeigefinder, so, dass der Stoff die Hautschicht der Finger von außen abschirmte. Dann griff er in den Umschlag und zog das Papier bis zur Hälfte heraus. Es reichte, um zu lesen, was darauf geschrieben, ja, besser gesagt, darauf montiert war: Frist ab morgen! 13 Tage Keine VG-Fusion Kein Spass.

„Eine Kunststoffhülle“, kam es fast lautlos über seine Lippen.

Verena Becker stand immer noch bewegungslos da und starrte auf den Umschlag und den halb herausgezogenen Zettel.

„Eine Kunststoffhülle oder etwas ähnliches, bitte!“ Sein Ton verschärfte sich um einen Deut und seine Sekretärin machte eilte davon, um das Gewünschte herbeizubringen. Czypansicz und sein Kollege sahen sich schweigend an und harrten der Dinge, die da kommen sollten.

Verena Becker brachte den gewünschten durchsichtigen Umschlag und vorsichtig verstaute Anders das Schreiben und den Umschlag darin. Dann legte er die Hülle in der Mitte des Tisches ab, so dass jeder der Anwesenden einen Blick darauf werfen konnte.

„Da hat jemand etwas gegen die neue Verwaltungsreform“, kicherte der Kollege von Czypansicz, den Anders bei der Begrüßung mit Harald Breuer angesprochen hatte. Doch er verstummte sogleich, als er die vorwurfsvollen Blicke der beiden Männer auf sich gerichtet sah.

„Der hat sie nicht alle“, brachte Anders trocken heraus. „Ein Psychopath.“

„Wenn es ein Mann ist.“ Czypansicz beuge sich über den Tisch, um das Schreiben aus der Nähe in Augenschein zu nehmen.

„Wollen Sie damit andeuten, dass Sie erkennen, dass es sich bei dem Schreiber um eine Frau handelt?“, fragte Anders kopfschüttelnd und mit Falten auf der Stirn. Sein Schnurrbart, der inzwischen die weiße Farbe seiner kurzgeschnittenen Haare angenommen hatte, zuckte leicht.

„Ich will damit sagen, dass es nicht unbedingt ein Mann sein muss. Es kann auch eine Frau geschrieben haben.“

„Niemand hat hier etwas geschrieben. Geschnitten wurde hier. Mehr nicht. Und wenn ich mir den Inhalt so betrachte, kommt mir die Idee, dass es nicht unbedingt ein Erwachsener gewesen sein muss.“

„Sie meinen, ein Kind hat diesen Brief geschr … die Buchstaben ausgeschnitten und aufgeklebt? Ich weiß nicht. Aber eines weiß ich: Sie sollten jetzt die Polizei verständigen.“

Anders schnappte sich die Folie mit dem Schreiben und schob beides in den Briefumschlag zurück. „Das mit der Polizei hat Zeit. Was soll das Ganze? Es kann sich doch nur um einen Streich handeln. Niemand wird ernsthaft verlangen wollen, dass eine angestrebte Reform wegen einer solchen Drohung ad acta gelegt wird. Sie werden sehen, es werden keine weitere Reaktionen mehr kommen.“

„Und wenn doch?“, fragte Czypansicz mit schräg angewinkeltem Kopf und lauerndem Gesichtsausdruck. „Warum nehmen Sie die Sache nicht ernst? Eine Reform wird der Schreiber nicht verhindern können, aber wenn es sich tatsächlich um einen Psychopathen handelt, werden weitere Reaktionen kommen, da bin ich mir sicher.“

Anders winkte ab. „Der Schreiber ergeht sich nicht einmal in Einzelheiten. Er will einfach, dass eine Reform nicht umgesetzt wird. Noch gibt es keine Reform. Sie wird es frühestens in zwei Jahren geben, nach der Kommunalwahl, keinen Tag vorher, das wissen Sie genau so gut wie ich. Also warten wir doch erst einmal ab.“

„Das sieht der Absender aber anders. Er hat eine Frist von 13 Tagen gesetzt. Was meint er damit? Er hat nicht einmal mit begreifbaren Konsequenzen gedroht.“ Czypansicz nahm einen Schluck aus seiner Kaffeetasse und verzog das Gesicht. Während der Diskussion hatten sie den Kaffee total vergessen und nun war er lauwarm und schmeckte fade.

„Aber er droht. Kein Spaß schreibt er, mit zwei s. Das entspricht wahrlich nicht der aktuellen Rechtschreibung“, stellte er kopfschüttelnd fest. „Wenn das keine Drohung ist. Da kommt noch was nach. Also, ich würde auf jeden Fall die Polizei verständigen. Schon alleine deswegen, dass wir uns nichts vorzuwerfen haben.“

„Sie betrifft das Ganze doch nicht. Wenn jemand hier in der Sch … in die Bredouille kommt, dann bin ich das doch“, schnaubte Anders und hätte fast seinen Kaffee in die Tasse zurückgespuckt. Vorwurfsvoll sah er zu seiner Sekretärin auf, die immer noch regungslos im Raum stand. „Na? Was ist?“, fragte er und zeigte vielsagend auf seine Kaffeetasse. Verena, deren Gesichtsfarbe sich im Verlauf der noch nicht einschätzbaren Situation erheblich gerötet hatte, stammelte irgendetwas Unverständliches und eilte in den Nebenraum, wo sie sich an der Kaffeemaschine zu schaffen machte.

„Es ist nicht alleine Ihre Angelegenheit“, hörte Anders den Beamten des Ministeriums sagen. „Die Verwaltungsreform betrifft auch uns, das Ministerium. Wenn also eine Drohung gegen Sie oder Ihre Behörde mit dem Thema der Verwaltungsreform im Raum steht, dann richtet sie sich auch gegen uns. Ich fordere Sie deshalb auf: Verständigen Sie die Polizei … sofort!“

Das Schrillen des Telefons im Nebenzimmer beendete die Diskussion und nach wenigen Sekunden stand die Sekretärin in der Tür, mit aufgerissenem Mund, gestikulierend.

„Was ist denn jetzt schon wieder los?“, fragte Anders sichtlich genervt. „Wenn es nicht wichtig ist, wimmeln Sie den Anrufer ab. Er soll später anrufen, am Nachmittag.“

Verena Becker schüttelte den Kopf und stotternd brachte sie hervor: „Es … es ist wichtig!“ Dabei zeigte sie mit fahrigen Bewegungen auf den Tisch, auf dem der Umschlag mit dem ominösen Schreiben lag.

„Was ist denn los, Frau Becker?“ Es klang ärgerlich und fordernd zugleich. „Können Sie nicht sprechen? Also?“

„Der Anrufer ist der … Schreiber“, stotterte Verena und zeigte weiterhin auf die Tischplatte.

„Was denn jetzt? Anrufer oder Schreiber?“ Als Verena nicht antwortete, schien endlich er Groschen zu fallen. „Der Schreiber?“, fragte er leise, wobei er zu den beiden Ministeriums-Beamten sah und erhob sich. „Stellen Sie durch.“

„Der Erpresser?“, fragte Czypansicz so leise, als könne man seine Worte bis ins Nebenzimmer hören und verstummte sofort, als keine Antwort kam.

Anders wartete einen Moment, dann läutete sein Telefon. Er erhielt keine Gelegenheit, sich zu melden, denn sein Gesprächspartner kam mit seinem Anliegen sofort auf den Punkt. Die krächzende Stimme, die auf Anders einsprach, war kaum als die eines Mannes oder einer Frau einzuordnen. Irgendwie hatte der Anrufer sie verfälscht.

Vielleicht hat er ein Tuch über die Muschel gelegt, dachte Anders, In Kriminalfilmen hatte er solche Vorgehensweisen schon mal gesehen. Oder er so ein elektronisches Ding, das die Sprache verzerrt. Auch davon hatte er schon gehört, irgendwo, wahrscheinlich auch im Fernsehen.

„Hören Sie, ich sage alles nur einmal! Meinen Brief haben Sie wohl erhalten, davon gehe ich aus?“

Anders nickte, obwohl ihn der Anrufer nicht sehen konnte. Aber er schwieg, um ihn nicht zu verärgern, ihm keine Gelegenheit zu geben, wieder aufzulegen. Er musste erfahren, was genau der Erpresser von ihm wollte.

„Sie haben meinen Brief erhalten? Ja, Sie haben ihn erhalten, ich spüre es. Also: Das Schreiben soll Sie immer daran erinnern, dass ich es ernst meine“, kam die nahezu unkenntliche Stimme, für Anders wie aus weiter Ferne. „Morgen beginnt die Frist. Ich weiß, Sie haben heute hohen Besuch aus Mainz. Nutzen Sie die Gelegenheit, denn nur der heutige Tag ist ein Tag ohne Konsequenzen. Die folgen dann morgen. Es sei denn, Sie können mir positive Nachrichten zukommen lassen.“

„Wer sind Sie … nein“, Anders sah seinen Fehler, den Mann nach seiner Identität zu fragen, sofort ein, „ich wollte sagen, man kann nicht so einfach eine geplante Reform …“

„Ich gebe Ihnen Zeit bis morgen, 14 Uhr. Dann möchte ich Ergebnisse haben.“

„Aber wie …?“

„Wie? Ach, Sie meinen, wie Sie mich erreichen können? Da gibt es heutzutage Möglichkeiten. Auf der Website der Verbandsgemeinde werden Sie mir Ihre Antwort geben. Gleich auf der ersten Seite, auf der Sie ihr stolzes Lächeln präsentieren. Morgen, 14 Uhr. Kennwort: Reform. Sagen Sie das auch den Menschen vom Ministerium. Ich warte auf Ihre Antwort, sonst …“

„Aber ich kann doch nicht …“ Der verzweifelte Versuch, den Anrufer davon zu überzeugen, dass dessen Forderungen in keinem Fall erfüllt werden könnten, wurde von dem Geräusch des aufgelegten Hörers und anschließendem Besetztzeichen beantwortet. Wie in Zeitlupe legte Anders den Hörer seines Telefons auf und sah zu den beiden Männern hinüber, gerade in ihre höchst erwartungsvollen Gesichter.

Wie Schakale hocken sie da, kam ihm der Vergleich. Sie lauern darauf, dass ich das Falsche tue, um dann zuzubeißen. Diesen Gefallen werde ich ihnen nicht tun.

„Der Erpresser gibt uns Zeit bis morgen, 14 Uhr.“ Er sagte bewusst uns, um den beiden zu verstehen zu geben, dass sie mit im Boot saßen, so wie es Czypansicz selbst eingefordert hatte. „Aber … aber er muss doch wissen, dass wir nichts tun können“, fügte er hinzu.

„Psychopathen denken anders“, antwortete Czypansicz und erhob sich. „Können Sie uns eine Lokalität für die nächsten Tage empfehlen? Ich habe das Gefühl, wir werden hier noch gebraucht.“

„Sehen Sie aus dem Fenster“, brummte Anders, in Gedanken immer noch bei dem Anrufer, „Zwei Hotels in unmittelbarer Nähe. Sie werden um diese Zeit nicht ausgebucht sein.“

Verena Becker erschien erneut in der Tür und gab Anders ein entschuldigendes Zeichen, indem sie die Schultern hochzog und die Handflächen dabei nach oben drehte.

„Was ist denn schon wieder? Gibt es denn heute überhaupt keine Ruhe mehr?“

„Draußen ist wieder der Ortsbürgermeister aus ...“

Sie kam nicht weiter. „Nicht schon wieder!“ Anders‘ Gesicht schien aufzuschwellen. „Vergeht denn kein Tag, an dem ich keine Ruhe vor ihm habe? Schicken Sie ihn weg. Sagen Sie ihm, er soll ein anderes Mal wiederkommen. Nein, sagen Sie ihm, ich rufe ihn an.“

Verena zog die Tür hinter sich zu und Anders schloss die Augen. Er atmete ein paar Mal durch und fuhr sich durch seine Haare, die sich feucht anfühlten.

„Ortsbürgermeister können manchmal lästig sein“, sagte Czypansicz süffisant. „Viele von ihnen sind ihrer Sache einfach nicht gewachsen.“

„Wem sagen Sie das?“, hauchte Anders. „Aber der ist besonders lästig und von seiner Position offenbar überfordert. Wenn das so weitergeht, übersteigen seine Fahrtkosten zum Amt im Monat irgendwann seinen Ehrensold als Ortsbürgermeister.“

Verena Becker erschien erneut in der Tür. „Er ist weg.“

Anders atmete durch. „Gott sei Dank!“ Dann schien er einen Entschluss getroffen zu haben, denn mit fester Stimme sagte er: „Frau Becker, verbinden Sie mich mit der Polizei!“

2. Kapitel

Montag, 13:30 Uhr,

Trier, Kommissariat

„Mahlzeit!“

Mit mürrischer Miene betrat Hauptkommissar Overbeck sein Büro in der fünften Etage des Trierer Polizeipräsidiums und ließ die Tür hinter sich geräuschvoll ins Schloss fallen. Seine kräftige jugendliche Erscheinung mit dem normalerweise frohen Gesichtsausdruck kam heute eher schleppend daher. Wäre da nicht sein nach hinten gekämmtes und zum Zopf gebundenes blondes Haar, das ein Runzeln der Stirnhaut kaum möglich machte, wäre seine betrübte Miene vollkommen gewesen. Heute hatte er am Morgen freigemacht und Überstunden abgefeiert. Dann war er noch einer dienstlichen Angelegenheit in der Stadt nachgegangen und wollte nun die letzten Stunden des Tages ruhig hinter sich bringen.

„Au weia. Da geht es einem aber gar nicht gut.“

Die Stimme kam aus Richtung der beiden Schreibtische, die sich in dem Büro schräg gegenüber standen und gehörte Leni Schiffmann, deren Anblick offensichtlich auch nichts an der Laune Overbecks ändern konnte. Leni trug heute ihr brünettes, leicht welliges Haar offen, so dass die Spitzen ihre Schultern berühren. Sie hatte ein leichtes Rouge aufgelegt, gerade so viel, wie der kriminalpolizeiliche Dienstherr es zuließ, was ihr schönes Gesicht mit den leicht hervorstehenden Backenknochen und den vollen Lippen richtig zur Geltung kommen ließ. Eine locker getragene helle Bluse rundete die obere Erscheinung Lenis –mehr konnte Overbeck momentan hinter dem Schreibtisch nicht ausmachen- ab.

„Probleme?“, versuchte sie es noch einmal, doch Overbeck hatte sich bereit seiner ledernen Trainingspuppe zugewandt, die er am Ende des doch sehr großen Büros aufgestellt hatte, zugewandt. Dann hagelte es plötzlich Faustschläge, Tritte und Ellbogenstöße auf das schmerzunempfindliche künstliche Pendent eines Menschen und das Klatschen der Treffer hallte durch den Raum.

Leni hatte sich inzwischen an dieses Ritual gewöhnt. Ja, es war allmählich zu einem Ritual geworden, was Overbeck dort anstellte. Immer, wenn es ein Problem gab oder wenn seine Laune auf dem Nullpunkt gefallen war, musste der arme Kerl in der Ecke dran glauben. Er stand dort, seit Overbeck das erste Mal die Dienststelle betreten und Leni erfahren hatte, dass ihr Kollege ein Kampfsportler war. Karate, Aikido und andere Kampfsportarten beherrschte er und er hatte sogar ein eigenes Studio in Trier, wo er sein Können weitervermittelte.

Sogar Leni hatte anfangs geglaubt, dass dieser Sport der richtige für sie sei, doch dann hatte sie es aufgegeben. Nicht allein aus dem Grund, dass sie keine Lust mehr dazu gehabt hätte, vielmehr waren es die ständigen Einsätze, die sie entweder vom Training fernhielten oder sie aus dem Dojo abriefen.

Overbeck hörte auf, auf die Puppe einzuschlagen und schlich zu seinem Schreibtisch. Meist ging es ihm nach einer solchen Aktion besser, doch heute war das anders.

„Der Jogi hat uns die EM gekostet“, fuhr es plötzlich aus ihm heraus und er packte seine dunkelblaue Jeans am Gürtel und brachte sie mit einem Ruck wieder in die Lage, die sie vor seinem sportlichen Ausbruch hatte.

„Es war die falsche Aufstellung. Ganz Deutschland hat es so gesehen, schon beim Einlaufen der Mannschaft, nur der Jogi nicht. Und die Nationalhymne! So, wie sie gesungen haben, genauso haben sie gespielt. So ein verfluchter Mist.“

Leni grinste. „Ach, daher weht der Wind. Der Herr kann nicht verkraften, dass Spanien Europameister geworden ist. Mensch, Overbeck, das ist doch nur ein Fußballspiel. Und es ist doch schon einige Zeit vergangen. Man muss auch vergessen können“, frotzelte Leni. „In zwei Jahren wird es besser, bei der WM. Neues Spiel – neues Glück.“

„Nur ein Fußballspiel, sagst du. Eine EM ist nicht nur ein Fußballspiel. Die Fahnen an den Häusern, den Autos … Leni, das ist mehr … das ist …“

„Guten Morgen zusammen. Ich hoffe, ich störe nicht allzu sehr. Aber nein, wie ich mitbekommen habe, ging es ja nur um Fußball. Wie man sich für so etwas interessieren kann. Da wüsste ich Sinnvolleres.“

Kriminaloberrat Peter Krauss stand in der Tür und hätte er direkt in das Gesicht von Overbeck, der sich zum Fenster gedreht hatte und auf die Stadt Trier hinaussah, sehen können, wären ihm die Worte im Hals steckengeblieben. So aber fuhr er fort:

„Kaum hat das Nachlaufen nach dem Ball ein Ende, hat die Bevölkerung wieder Zeit, sich auf andere Dinge zu konzentrieren … was nicht heißt, dass es immer bessere Dinge sind.“ Dann wechselte er das Thema uns Overbeck schien es, als wolle er das Thema Fußball mit einer lästigen Körperbewegung abschütteln.

„Meine Herrschaften, es gibt Arbeit für Sie.“ Krauss wartete einen Moment, um die Aufmerksamkeit auf sich gerichtet zu sehen. Leni schaute erwartungsvoll zu ihm auf Overbeck drehte sich langsam in seine Richtung um.

„Was ist denn mit Ihnen, Kollege Overbeck?“, entfuhr es Krauss, als er in das Gesicht seines Gegenübers schauen konnte. „Und in naivem Ton fuhr er fort: „Sind Sie krank? Doch hoffentlich nicht. Sie werden gebraucht. Heute. Für einen neuen Fall.“

„Ich … bin … nicht … krank!“ Overbeck ging zu seinem Schreibtisch und ließ sich auf seinen Bürosessel fallen, der sich aufgrund dieser unerwarteten Maßnahme mit einem stöhnenden Geräusch beschwerte. Er versuchte, seine Aufregung zu dämmen, denn er wusste, dass Kraus der falscheste Ansprechpartner war, den es nur geben konnte, das eigentliche Problem zu diskutieren.

„Mir geht es gut … die Hitze … mehr nicht.“

„Das freut mich sehr“, frohlockte Krauss. „Ich dachte schon, Sie seien einer von denen, die einem verlorenen Fußballspiel nachtrauern. Dinge gibt es. Na, ja.“

Overbeck lächelte Krauss breit und schweigend an, dass dieser seine Backenzähne bewundern konnte. Hätte der aber in seine Augen gesehen, wäre ein Blitz durch seinen Körper gefahren und hätte ihn dahingerafft.

„Eine Erpressung“, begann Krauss, für den das Thema Fußball bereits zu den zu schreddernden Akten gelegt war. In Forstenau. Eine etwas pikante Angelegenheit. Das Rathaus … die Verwaltung der Verbandsgemeinde … wie soll ich es sagen? Der Bürgermeister hat einen Drohbrief erhalten.“

„Man will ihn erpressen?“, fragte Leni und erhob sich. Sie wusste: es ging gleich los. „Was verlangt der Erpresser?“

„Na, ja, so einfach ist es nicht. Die Erpressung richtet sich nicht gegen seine Person, sie richtet sich eher gegen … eine Sache.“

„Gegen eine Sache? Wie soll das gehen?“ Krauss sah das ungläubige Staunen in Lenis Gesicht.

„Nun, irgendwie geht es schon gegen Personen … aber auch gegen eine Sache. Ich werde es Ihnen erklären, wobei ich hoffe, dass ich das Problem richtig verstanden habe. Da gibt es jemanden hier in unserer Region, der will verhindern, dass es zu der angestrebten Verwaltungsreform kommt. Ich gehe davon aus, Sie sind über diese Reform informiert?“

Krauss machte eine Kunstpause und wartete auf eine Zustimmung der beiden Kollegen.

Leni nickte nur mit dem Kopf und Overbeck gab zu verstehen, dass er wohl wisse, was eine Verwaltungsreform ist und was es mit ihrem Sinn oder Nichtsinn auf sich habe.

„Also“, fuhr Krauss fort, „Dem Bürgermeister der Verbandsgemeinde Forstenau, dessen Amtssitz ja bekanntlich Forstenau ist -Frau Schiffmann kennt sich dort ja bestens aus, ist schließlich ihr Wohnort- dieser Bürgermeister hat ein anonymes Schreiben erhalten, dass er die anstehende Gebiets-Reform unter allem Umständen verhindern müsse.“

„Und wenn nicht?“, fragte Overbeck trocken.

„Wenn nicht? Naja, der Anrufer sprach nur von irgendwelchen Folgen, es gibt nichts Konkretes.“

„Der Anrufer?“ Leni horchte auf. Ich dachte, der Bürgermeister habe ein anonymes Schreiben erhalten?“

„Ja, ja, Sie haben Recht. Hat er ja auch. Aber am selben Tag noch erhielt er auch einen Anruf des Schreibers. Die Stimme war angeblich verstellt oder verfälscht worden, sagt zumindest der Bürgermeister.“

„Womit wird er denn jetzt genau erpresst? Außerdem, eine Reform aufhalten, wie soll das gehen?“

„Das herauszufinden ist Ihre Sache. Ich möchte, dass Sie beide nach Forstenau fahren und sich der Sache annehmen.“

Leni schaute kurz zu Overbeck hinüber, dann zu Krauss, doch ehe die Frage, die ihr bei einem Einsatz in ihrer Heimatgegend auf den Lippen lag, diese verlassen konnten, hatte Krauss ihr Anliegen bereits durchschaut.

„Fragen Sie nicht, Frau Schiffmann, ich weiß, wo Sie schon wieder der Schuh drückt. Wenn die Ermittlungen in Forstenau intensiviert werden müssen, können Sie gerne Ihre Zelte für ein paar Tage dort aufbauen.

Krauss nahm zur Kenntnis, dass Leni zufrieden lächelte, nickte und wollte das Büro verlassen. Doch dann blieb er stehen, drehte sich auf dem Absatz herum. „Was ich noch sagen wollte. Wie der Zufall es will, hat der Bürgermeister gerade Besuch von zwei Herren aus dem Ministerium, worüber er sicherlich nicht sehr erbaut sein wird. Gehen Sie die Sache etwas, wie soll ich sagen, mit etwas Fingerspitzengefühl an. Sie wissen schon, was ich meine. Und halten Sie mich auf dem Laufenden. Vielleicht kann ich Sie von hier aus unterstützen.“

Dann fiel die Tür hinter Krauss zu. Leni und Overbeck sahen sich an. Leni grinste verschmitzt. „Er ist heute so verständig. Er hat nichts dagegen, wenn wir unsere Zelte in Forstenau aufschlagen, und er will auch noch mithelfen. Da wird doch wohl nichts passiert sein.“

„Wie dem auch sei.“ Overbeck sah auf seine Armbanduhr. „Wenn wir heute noch etwas erreichen wollen, sollten wir uns beeilen. Ich melde uns beide bei der Verwaltung in Forstenau an. Dann machen wir uns auf die Socken. Ich gehe davon aus, du nimmst deinen eigenen Wagen?“

3. Kapitel

Podcast

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Montag, 15:00 Uhr,

Forstenau, Bürgermeisteramt

Im Bürgermeisteramt war es merkwürdig still an diesem späten Nachmittag. Die beiden Beamten des Ministeriums hatten sich zurückgezogen, schneller als Bürgermeister Walter Anders es für möglich gehalten hätte. Ihm konnte es nur recht sein. Ihm oblag ab sofort die alleinige Verantwortung für das, was er und seine Behörde unternahmen und die beiden Mainzer Gestalten, wie er sie in seinen Gedanken nannte, konnte er dabei nicht gebrauchen. Er war auch nicht gewillt, ihnen irgendwann und in irgendeiner Weise Rapport zu melden. Wenn sie etwas von ihm wollten, dann sollten sie herkommen, persönlich und ihre Anliegen begründet vorbringen.

Anders legte den Hörer zurück auf die Tischstation. In einer Stunde würden die Beamten der Kriminalpolizei eintreffen. Diese Angelegenheit machte ihm alle Pläne zunichte. Eine interessante Ratssitzung in einem der 13 Orte in seinem Zuständigkeitsbereich musste er absagen. Gerade diese Sitzung, wo es mal wieder drunter und drüber ging und seine ordnende Hand über die üblichen Maßen hinaus gefordert war. Was er nicht alles in den letzten beiden Jahren seiner Dienstzeit über sich ergehen lassen musste. Da zerfleischte man sich auf unterster kommunaler Ebene mit dem einzigen Ziel, den potentiellen Wähler auf sich aufmerksam zu machen und merkte nicht einmal, dass man zum Gespött der gesamten Verbandsgemeinde wurde. Und er, Anders, war mittendrin in dem unrühmlichen Scharmützel, das kein Ende zu nehmen drohte.

„Brauchen Sie mich heute noch?“, hörte er wie aus weiter Ferne die Stimme Verena Becker. „Ich hätte da noch etwas vor, heute Abend und …“

„Nein, nein, gehen Sie schon“, brummte Anders und irgendwie war es ihm auch recht, nachher nur mit den Kriminalbeamten im Amt über diesen Erpressungsversuch zu reden. Er hörte kaum noch das Bis morgen, Chef seiner Sekretärin. Seine Gedanken wanderten in den vergangenen zwei Stunden durch die Ortschaften der Verbandsgemeinde, deren Häuser und Familien, die ihm fast alle bekannt waren. Ja, er kannte jedes Haus und jede Familie in seinem Dienstbereich und darauf war er stolz. Man sagte ihm nach, er sei mehr über die einzelnen Ortsbewohner informiert, als die restlichen Bewohner über ihre Mitbürger.