Mein Skandinavisches Viertel - Torsten Schulz - E-Book

Mein Skandinavisches Viertel E-Book

Torsten Schulz

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Beschreibung

Das Skandinavische Viertel ist ein beschauliches Wohngebiet am äußersten Rand von Prenzlauer Berg. Zu DDR-Zeiten trennte hier die Berliner Mauer Ost und West, einzig durchbrochen vom später legendären Grenzübergang Bornholmer Straße.Der Schriftsteller Torsten Schulz flaniert durch den ihm vertrauten Kiez und erzählt von Vergangenheit und Gegenwart. Seine mal komischen, mal melancholischen Beobachtungen handeln von Kneipenerlebnissen und urbanem Widerstand, vom Mauerfall, von Begegnungen mit Graf Dracula und von einer neuen Liebe – kurzum, vom Leben in Berlin."Mit erstaunlich leichter Hand und humoristischerErzählfreude." Deutschlandfunk Kultur über Torsten Schulz' Roman "Skandinavisches Viertel"

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Torsten Schulz

Mein Skandinavisches Viertel

Berliner Orte

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten.

Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen, Verfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung auf DVDs, CD-ROMs, CDs, Videos, in weiteren elektronischen Systemen sowie für Internet-Plattformen.

ebook im be.bra verlag, 2019

© der Originalausgabe:

be.bra verlag GmbH

Berlin-Brandenburg, 2019

KulturBrauerei Haus 2

Schönhauser Allee 37, 10435 Berlin

[email protected]

Lektorat: Ingrid Kirschey-Feix, Berlin

Umschlag: Manja Hellpap, Berlin

ISBN 978-3-8393-0141-8 (epub)

ISBN 978-3-89809-160-2 (print)

www.bebraverlag.de

Inhalt

Intro

Der Roman

Die Fiktion

Exer

Zuccherino

Gleimstraße, Andrea

9.11.1989

Bornholmer Hütte

Schwarze Hexe

Jimmy

Wunsch-Geliebte

Rhinower, Stephan

Politische Hauptstraße

Koks

Korsörer, Jakob

Flucht

Wohnen

Dracula, Tanja

Gleimstraße, Annett

Titos Koffer

Solo Sunny, Berlin Ecke Schönhauser

Bornholm I und II

Angelika

Zitierte Literatur

Abbildungsverzeichnis

Der Autor

Intro

Einmal – ich war dreizehn Jahre alt – ging ich die Kopenhagener Straße Richtung Schönhauser und sah die Frau mit dem kleinen runden, muskulösen Po in den gelben kurzen Hosen. Die Frau war vielleicht Mitte zwanzig und ging etwa zehn Meter vor mir. Die Hosen nannte man seinerzeit, manchmal auch heute noch, Hot Pants.

Ich ging hinter der Frau her und achtete darauf, dass der Abstand weder größer noch kleiner wurde. Wenn sie anhielt, um zum Beispiel die Auslage eines Geschäftes anzusehen, hielt ich ebenfalls an, tat irgendwie beschäftigt. Wenn sie weiterging, wartete ich ein paar Sekunden, ehe ich den Zehn-Meter-Abstand wieder herstellte, meinen Blick starr auf ihren Po gerichtet. So folgte ich ihr rechts in die Schönhauser, wiederum rechts in die Gleimstraße, links in die Sonnenburger, nochmal links in die Gaudy, Richtung Schönhauser, von dort wieder in die Kopenhagener usw.

Erst nach über einer Viertelstunde (oder war es noch länger?) kam mir der Verdacht, dass wir in etwa im Kreis liefen. Hatte sie mich bemerkt und trieb ihr Spiel mit mir? Ihr faszinierender Po wäre Entschädigung genug dafür gewesen, aber dann kam mir ein Gedanke, der mich doch peinlich berührte: Verfolgte sie vielleicht ihrerseits jemanden? Einen Mann? Einen gutaussehenden Mittzwanziger, in den sie sich verguckt hatte? Der i-Punkt der Peinlichkeit: Nicht nur sie, sondern auch er hatte mich längst bemerkt, und nach der vierten oder fünften Runde verliebten sie sich ineinander, weil es ihnen zunehmend Freude bereitete, gemeinsam mich armen Erotik-Wicht zum Narren zu halten.

Als sie in die Ystader einbog, ging ich die Gleim weiter bis zur Grenze und rannte dann wie ein Flüchtender über den Falkplatz Richtung U-Bahnhof Dimitroffstraße.

September 2018. Die Dimitroff heißt heute Eberswalder, und auch sonst wurden diverse Straßen umbenannt. Ich fahre mit der M10 von meinem Wohnort, dem sogenannten Wins-Viertel, zum U-Bahnhof Eberswalder Straße, gehe ein Stück die Schönhauser hoch, biege in die Cantianstraße, tauche ins Skandinavische Viertel ein. Ich habe mir für dieses Buch die temporäre Rolle des Viertel-Schreibers zugeteilt. Leider klingt Viertel-Schreiber nach jemandem, der die deutsche Rechtschreibung zu drei Vierteln noch lernen muss oder der einfach nur ein Viertel dessen schreibt, was er eigentlich schreiben könnte oder müsste. Distrikt-Schreiber? Nein, das hört sich an wie Gefängnisprotokollant. Kiez-Schreiber? Ach, geht’s vielleicht noch niedlicher? Egal. Ich fahre mit der M10 zur Arbeit. Was für Arbeit? Sagen wir: die eines Flaneurs.

Der Flaneur ist so ungefähr das Gegenteil des Po-Verfolgers. Er fühlt und lebt fern von Fetisch-Fokussierungen; er ist ein Sammler, von Beobachtungen und Episoden, Mutmaßungen und gedanklichen Assoziationen. Er tut zusammen, was zusammengehört, zusammengehören könnte oder auch nicht zusammengehört. Je nachdem. In diesem Sinne ist er ein Collagist. Nicht nur dass er sich üblicherweise der Story verweigert, er ist nicht einmal darauf aus, ein Ganzes anzustreben, schon gar nicht ein Ganzes, das mehr sein will als die Summe seiner Einzelteile. Er scheint hingegen den Traum zu haben, der Unsichtbare zu sein, der alles sieht und sich insofern, so denkt er’s sich, an nichts festklammern muss. Eine hochmoderne Figur; man denke nur an den Internetsurfer als Variante des Flaneurs. Wie auch immer, die Rolle – das sage ich mir mit allem Nachdruck – habe ich mir verdient. Ich fahre zur Arbeit.

Die Ankündigung einer Lesung von Torsten Schulz aus seinem Roman »Skandinavisches Viertel«

Der Roman

Worum geht’s denn in Ihrem Roman »Skandinavisches Viertel«? Was ist denn das Thema? Natürlich habe ich mich bereits Wochen vor Erscheinen des Buches für diese und ähnliche Fragen zu wappnen versucht. Es ist, so meine Antwort, die Geschichte eines Maklers, der in seiner eigenen Kindheitsgegend tätig ist; der an diesem Orte dafür zu sorgen versucht, dass das Geld nicht alles bestimmt, sondern die Wohnungen denen gehören sollen, die zu ihnen passen. Der mit diesem Unterfangen verbundene moralische Impetus ist die eine Seite der Figur (mit dem gewöhnlichen Namen Matthias Weber), die andere ist eine gewisse Hybris, eine Lust an der Macht und der Ausübung dieser Macht. Im thematischen Kern ist der Roman eine ostdeutsche Familiengeschichte mit Lügen und Geheimnissen. Sukzessive kommt Matthias Weber hinter diese Lügen und Geheimnisse. Mehr dazu, beendete ich jedes Mal meine Erörterung, darf natürlich nicht verraten werden; nur so viel, dass er selbst dabei zu einem ziemlich gewieften strategischen Lügner wird.

Der Roman ist nicht autobiografisch, doch ohne meine Biografie hätte ich ihn nicht schreiben können. Anders gesagt: Eine ganze Reihe von Motiven und Details aus dem sogenannten wirklichen Leben sind in die fiktionalen Erzählzusammenhänge eingeflossen oder haben sie ausgelöst oder gar grundsätzlich bestimmt.

Vor diesem Hintergrund ist das Skandinavische Viertel nichts Dokumentarisches, sondern eher eine Bühne, die ich lustvoll bespiele.

Da ich dieses, mein Flanier-Buch mit der kleinen Po-Episode begonnen habe, stelle ich mir vor, auch der Roman würde mit ihr beginnen. Wer A sagt, muss auch B sagen und nach Möglichkeit schließlich Z: Ich hätte mich auf ein Thema und ein Handlungsgefüge eingelassen, das die Erotik ebenso beinhaltet hätte wie das Zwanghafte und die Angst (vor Peinlichkeit, Verfolgung usw.), die aus dem Zwanghaften erwächst.

An dieser Stelle muss ich Angelika ins Spiel bringen (besser gesagt und wie es dem Flaneur wohl eigen ist: ich will sie ins Spiel bringen): Warum hast du’s nicht getan?, fragt sie. Wir arbeiten Zimmer an Zimmer; wenn wir uns zwischendurch auf dem Flur oder in der Küche begegnen, stellen wir uns manchmal Fragen, die den andern herausfordern sollen – was natürlich gut von eigenen Schreibproblemen ablenkt. Das scheint, neben der Erotik, zur guten Basis unserer Beziehung zu gehören.

Es hat sich, antworte ich, nicht mit dem inneren Thema verbinden lassen, jedenfalls nicht mit einem gewissen Synergie-Effekt. Ich merke, wie ich zu dozieren beginne. Dabei sollte ich einfach sagen: Diesmal ging’s nicht, beim nächsten Roman werden die Karten neu verteilt. Ist das nicht überhaupt der Sinn des Immer-Weiter-Schreibens?

Die realen Straßen im »Skandinavischen Viertel«

Fiktiver Stadtplan vom »Skandinavischen Viertel«

Die Fiktion

Nicht nur als erwachsener Makler erschafft Matthias Weber im Roman sein Skandinavisches Viertel (zumindest soweit seine am Ende bescheidenen Möglichkeiten reichen), auch als Kind hat er es bereits getan.

Nachdem er zwei Grenzsoldaten in ein Gespräch verwickelt, damit von ihrem Dienst abgelenkt und, als sie ihn fortscheuchen wollten, gedroht hat, seinem Onkel Bescheid zu sagen, der ein hoher Funktionär bei den Grenztruppen sei, geht der zwölfjährige Matthias Weber, stolz auf den Erfolg seiner Lüge, nach Hause, »geht in sein Zimmer, nimmt den Weltatlas zur Hand und schlägt die Skandinavien-Seite auf. Die wichtigsten Städte, Seen und Flüsse kennt er auswendig. Oulujärvi, Vänern, Skagern, Bolmen, Haldenvassdraget, Oslo, Odense, Aarhus, Stockholm, Göteborg, Uppsala, Reykjavik, Helsinki, Turku … Er beschließt, die Straßen, die noch keine skandinavischen Namen haben, umzubenennen. Jetzt, sofort. Aus der Seelower wird die Göteborger, aus der Ueckermünder die Aarhuser, aus der Schönfließer die Odenser Straße. Er nimmt seinen Stadtplan und schreibt die neuen Namen über die alten. Die Czarnikauer wird zur Turkustraße, die Sonnenburger zur Oulujärvi, die Gleim zur Helsinkier. Die Driesener zur Tromsöer, die Rhinower, wegen des R am Anfang, zur Reykjaviker, die Schönhauser zur Schonenschen, auch wenn es die in Pankow bereits gibt. Die Pankower Schonensche wird indessen – ein logischer Tausch – zur Schönhauser. Unpassender Weise sind außerhalb des Skandinavischen Viertels noch weitere Straßen mit skandinavischen Namen: Wisbyer, Upsalaer, Trelleborger, Gudvanger … Die tauscht er gegen Gaudy-, Mila-, Topstraße und Am Falkplatz. Aus der Cantianstraße macht er die Osloer, obwohl die, soviel er weiß, schon in Westberlin vertreten ist, allerdings nur als simple Fortführung der Bornholmer. Helmut Just, neun Jahre vorm Mauerbau erschossen, als die Grenze noch Sektorengrenze war, bekommt eine eigene Würdigung, indem seine Straße in Stockholmer umgetauft wird. Damit wäre auch die klangvollste aller skandinavischen Hauptstädte vergeben. Willi Bredel, langweiliger Schullesestoff, muss mit dem schwer aussprechbaren Haldenvassdraget vorliebnehmen. Schließlich Paul Robeson, der eindrucksvolle schwarze Sänger, der mutige amerikanische Bürgerrechtler; der hat die Schwedische Straße verdient, womit nach Island, Finnland, Norwegen und Dänemark endlich auch das wichtigste skandinavische Land im Viertel vertreten wäre. – Matthias legt den Stadtplan ins Regal hinter eine Bücherreihe; die Eltern sollen nicht sehen, was nunmehr zu seiner Geheimmission gehört. Später, stellt er sich vor, im Kommunismus oder wo auch immer, werden die Straßen so heißen, wie er es jetzt in seinen Stadtplan geschrieben hat. Später wird er der zuständige Funktionär für das Viertel sein und der Onkel sein Stellvertreter, sofern er sich bis dahin nicht zu Tode gesoffen hat.«

PS: Wie mochten die führenden Genossen der DDR darüber gedacht haben, dass im Nordwesten Ostberlins eine Reihe von Straßen skandinavische Namen trugen? Denn diese Namen lösten doch wohl zusätzliche Reiselust bei den Bürgern aus, die im Regelfall erst als Rentner ins westliche Ausland durften. Ohne Zweifel hatte die Staats- und Parteiführung zwischen zwei Übeln zu wählen: Zum einen die Verstärkung der Reisesehnsucht, zum anderen die Peinlichkeit oder zumindest das Aufwerfen von Fragen durch eine etwaige Umbenennung. Man unterschätzte vielleicht die Sehnsucht, jedenfalls beließ man es bei den skandinavischen Namen. Insofern überhaupt eine solche Fragestellung und Entscheidungssituation jemals relevant gewesen sind.

PPS: 1907 war das Jahr Skandinaviens im Norden Berlins. Aus Straßen, deren Namen nur aus Zahlen und Buchstaben bestanden, wurden die Aalesunder, die Andersen, die Bergener, die Finnländische, die Gotlandstraße, die Ibsen, die Isländische, die Norweger, die Nordkapstraße, die Stavanger, die Tegner. Bereits 1899 war aus der Straße 18 die Kopenhagener geworden, 1903 folgte die Bornholmer, die Dänen 1904, ebenso wie die Malmöer, deren südlicher Teil 1906 dann zur Ystader wurde. Die Korsörer 1905, last but not least, die Björnson 1911. Diese Namen und Jahreszahlen – das ist nicht nur der Klang der Ferne, sondern auch des Industriekapitalismus, der das Berlin des 20. Jahrhunderts schließlich prägte.

PPPS: Warum eigentlich – um auch das nicht unerwähnt zu lassen – Skandinavisches Viertel? Gibt es nicht bei Wikipedia unter »Prenzlauer Berg« die Aufteilung des gemeinten Areals in Gleimviertel und Nordisches Viertel? An der Stelle sage ich einfach: Der Autor möchte in puncto Selbstermächtigung seinem zwölfjährigen Protagonisten keinesfalls nachstehen. Ein regressiver Zug, der wiederum zum Flaneur zu passen scheint.

PPPPS: Ich bin kein Freund von Statistiken. Vielleicht weil sie Wahrheit vorgaukeln, wo sie diese allenfalls unter bestimmten ausgewählten Aspekten liefern. Aber doch würde ich gerne wissen, wie das Reiseverhalten der Bewohner des Skandinavischen Viertels ist. Ist es so, dass Menschen, die zum Beispiel in der Finnländischen Straße wohnen, häufiger nach Finnland reisen als andere? Oder zumindest nach Skandinavien? Allerwenigstens an die Ostsee …?

Exer

Zurück zum Arbeitsweg des selbsternannten Flaneurs: Die Cantianstraße, die ich Richtung Gleim hinaufgehe, führt am Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark entlang. In meiner Kindheit hieß das Gelände unter meinen Verwandten und Bekannten schlicht und einfach: Exer. Der ASK (Armeesportklub) Vorwärts Berlin spielte hier, der 1965 in FC Vorwärts Berlin umbenannt und 1971 nach Frankfurt an der Oder delegiert wurde. Delegiert – ein euphemistischer Begriff angesichts dessen, dass, wie es gerüchteweise jedermann klar war, Stasi-Chef Erich Mielke seinen BFC Dynamo zum Hauptstadtverein Nummer Eins machen wollte und ihm der FC Vorwärts dabei im Wege stand. Schließlich wurde der BFC, fortan im Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark spielend, sogar zum DDR-Fußballverein Nummer Eins und von 1979 bis 1988 zehnmal hintereinander DDR-Meister, während der FC Vorwärts an seine Erfolge aus der Berliner Zeit nie mehr anknüpfen konnte.

Mielke versus Verteidigungsminister Heinz Hoffmann, Stasi versus Armee – auch das vielleicht eine noch nicht erzählte Geschichte aus dem Bereich der DDR-Oligarchie. Für meine Familie spielten weder der BFC noch FC Vorwärts eine Identifikationsrolle. Unser Verein war der 1. FC Union, der Arbeiterverein. Um seine Spiele zu sehen, fuhren wir – die männlichen Vertreter der Familie – bis nach Köpenick, ins Stadion an der Alten Försterei. Spielte Union auswärts gegen den Bonzen-Verein BFC, gingen wir um die Ecke auf den Exer.

Der Exer war ursprünglich (von 1825 an) ein Exerzierplatz für das Kaiser Alexander Garde-Grenadier-Regiment Nr. 1 der Preußischen Armee. Ende des 19. Jahrhunderts – das Gelände war inzwischen von Wohnhäusern umgeben – gab man die militärische Nutzung auf, und der Exer wurde die erste Spielstätte des Fußballvereins Hertha BSC; seinerzeit BFC Hertha 1892. BFC – unzweifelhaft ein Menetekel. 1904 wechselte BFC Hertha 1892 nach Wedding auf das Gelände der späteren Plumpe.

Mein Stiefvater Bernd ging von der Malmöer Straße, wo er wohnte, über die Sektorengrenze zu Hertha ins Stadion am Gesundbrunnen, genannt Plumpe. Nachdem im August 1961 die Mauer gebaut worden war, war die Plumpe für ihn passé. Mit der mehr oder minder ohnmächtigen Wut, die ihn fortan umtrieb, wurde er Anhänger des »DDR-Widerstands-Vereins« 1. FC Union Berlin.

Für mich war der Exer der Ort, wo Vater Bernd als Kind mit den Brüdern Wruck, die offenkundig ebenfalls im Skandinavischen Viertel wohnten, Fußball gespielt hatte. Horst Wruck spielte später für den FC Vorwärts und einmal, 1969, für die DDR-Nationalmannschaft; Wolfgang »Ate« Wruck für den 1. FC Union und insgesamt zwölf Mal für die Nationalmannschaft. Bernd wurde Ringer, Platz Zwei der Berliner Jugend-Meisterschaft.

Flutlichtanlage auf dem Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark (Exer)