Milchkaffee in New York - Jenny Green - E-Book

Milchkaffee in New York E-Book

Jenny Green

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Beschreibung

Vom Liebeskummer geplagt erhält Sophia die Chance, ein Praktikum in New York zu absolvieren. Begeistert stürzt sie sich ins Abenteuer: als Co-Trainerin einer aufstrebenden Frauenfußballmannschaft. Doch das Chaos lässt nicht lange auf sich warten. Fußballerin Nina verliebt sich in Sophia, während Sophia Gefühle für Flo entwickelt ... Wird Nina tatenlos zusehen, wie die Beziehung zwischen Sophia und Flo immer leidenschaftlicher wird?

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Jenny Green

MILCHKAFFEE IN NEW YORK

Roman

Originalausgabe: © 2011 ePUB-Edition: © 2013édition el!es

www.elles.de [email protected]

Alle Rechte vorbehalten.

ISBN 978-3-95609-027-1

Coverillustration:

Vier Wochen zuvor . . .

»Bist du noch ganz bei Trost, Sophia? Du kannst doch nicht einfach deine Koffer packen und für ein halbes Jahr mal so mir nichts, dir nichts verschwinden. Und dann auch noch gleich nach New York! Wann wolltest du mir eigentlich davon erzählen? Hätte ich Anne nicht zufällig auf der Straße getroffen, hätte ich wohl nie etwas von deinem absurden Plan erfahren!« Mit verschränkten Armen stand Pia in der offenen Wohnungstür und verdrehte die Augen.

Wie Blitze schossen ihre Worte durch den kahlen Flur, in dem sich zu beiden Seiten fertig gepackte Umzugskartons stapelten. Außer den braunen Kartons, die sich wie eine Pyramide bis an die Decke türmten, war die Wohnung bereits leergeräumt. Nur noch ein Tag, und dann war diese Wohnung Geschichte. Viele Erinnerungen waren fest mit dieser Wohnung verbunden, doch der Schritt nach vorn war nötig.

»Ich wüsste nicht, dass ich dir irgendeine Rechenschaft schuldig bin. Denn falls du es vergessen hast, meine liebe Pia, warst schließlich du diejenige, die mich nach Strich und Faden betrogen hat. Hinters Licht hast du mich geführt und wochenlang belogen, um deine Affäre mit dieser Arbeitskollegin zu verbergen!« In mir stieg Wut auf. Wut darüber, dass Pia noch immer glaubte, über mein Leben bestimmen zu können. Nach allem, was sie mir angetan hatte. Sie glaubte, einfach hier auftauchen zu können, und alles wäre wieder in Ordnung.

»Du weißt genau, dass es bei uns seit Monaten nicht mehr rosig lief. An manchen Tagen habe ich dich gar nicht zu Gesicht bekommen, da du wie besessen für diese dämliche Hochsprungprüfung trainiert hast.« Pia schüttelte den Kopf und lächelte bitter. »Du hast mich allein gelassen, nicht ich dich. Abend für Abend saß ich allein zu Hause, in der Hoffnung, du könntest doch noch jeden Moment vor meiner Tür stehen. Betti war in dieser Zeit halt für mich da. Es ist einfach passiert, wie oft soll ich mich denn noch dafür entschuldigen?«

»Einfach passiert? Eine wochenlange Affäre?« Ich war fassungslos. »Wenn du meinst, deine geheuchelten Entschuldigungen können noch irgendetwas zwischen uns retten, dann hast du dich getäuscht. Ich bin nicht der Typ Frau, der Fremdgehen gutheißt. Nein, Pia, du bist für mich gestorben. Ein für alle Mal. Und jetzt lass mich endlich die Kartons ins Auto bringen!«

Was fiel ihr eigentlich ein? Glaubte sie wirklich, sie konnte hier einfach so auftauchen und die Schuld für das Ende unserer Beziehung auf mich abwälzen? Glaubte sie denn allen Ernstes, ich würde zu ihr zurückkommen, nach allem, was war? Einfach ein Auge zudrücken und vergessen, was passiert war. Das stellte sie sich wohl so einfach vor. Als ob es nichts Leichteres gäbe, als einen Vertrauensbruch zu verzeihen. Eine wochenlange Affäre passierte ja auch einfach so. Schwupp – und da war sie.

Das Ganze hier wurde mir echt zu bunt!

Mit einer großen Kiste vollgepackt mit Büchern versuchte ich, mich an Pia vorbeizuschieben, die wie ein Fels zwischen dem Türstock der Wohnungstür stand und keine Anstalten machte, sich auch nur einen Schritt zur Seite zu bewegen. Doch sie würde mich nicht mehr aufhalten können. Dafür war es zu spät, egal, was sie auch anstellte.

Das wütende Funkeln in ihren eisblauen Augen war seit der ersten Sekunde, als sie ungebeten meine Wohnung betreten hatte, nicht erloschen und ihr fester Wille, mich zu überzeugen, zu ihr zurückzukehren, ungebrochen. Über drei Jahre lang konnte ich in ihre eisblauen Augen eintauchen und alles um mich herum vergessen, doch nun erzeugte ein Blick in ihre Augen nur Wut und Abscheu. Die Gefühle, die ich für sie verspürt hatte, wenn ich nur in ihre Augen gesehen hatte, waren erloschen. Nichts davon war mehr übrig.

Zornig aufgrund ihrer Dreistigkeit, hier aufzutauchen, und ihrer ungerechtfertigten Vorwürfe, ließ ich die schwere Kiste vor ihren Füßen fallen, so dass ein lauter Knall durch das Treppenhaus hallte und sie erschrocken einen Satz zur Seite machte.

»Pia, wie oft muss ich dir noch sagen, dass es für uns keine zweite Chance gibt? Jetzt nicht und auch in einem halben Jahr nicht, wenn ich wieder nach Regensburg zurückkehre. Unsere Beziehung ist Vergangenheit. Finde dich damit ab, oder versprühe deinen Unmut anderswo, aber nicht mehr bei mir.« Ich merkte, wie mir die Hitze in die Wangen stieg. »Du hast eigenmächtig unsere Beziehung in den Sand gesetzt! Und jetzt mach’s gut, denn wie du sehen kannst, hab ich hier noch genug zu tun. Geh doch zurück zu dieser Betti!«

Schnaubend machte Pia auf dem Absatz kehrt, warf mir ein letztes Mal einen abfälligen Blick zu und verschwand raschen Schrittes im Treppenhaus.

»Glaub ja nicht, das letzte Wort sei schon gesprochen!«, hörte ich sie noch auf ihrem Weg nach unten wild schimpfen. So einfach kommst du mir nicht davon, Sophia.«

Als ich die schwere Haustür endlich ins Schloss fallen hörte, ließ ich mich erleichtert neben einen der Kartons auf den Boden sinken und lehnte meinen, von der heftigen Diskussion heißgelaufenen Kopf gegen die kühle Wand. Dieses Aufeinandertreffen hätte ich mir gern erspart. Warum musste ich ihr auch die Tür öffnen? Da war der Ärger doch vorprogrammiert.

War es nicht genug, die Demütigung ertragen zu müssen, die einem widerfährt, wenn sich herausstellt, dass die eigene Partnerin sich mit einer anderen Frau vergnügt? Konnte ein Beziehungsende nicht einfach ein endgültiger Schlussstrich sein? Und konnte es nicht endlich aufhören, wehzutun?

All diese Fragen drehten sich wie ein Karussell in meinem Kopf. Und auch wenn die Beziehung mit Pia für mich abgeschlossen war und ich kein Zurück mehr sah, saß der Schmerz tief in mir. Es war mir nicht egal, nicht nach so vielen gemeinsamen Jahren. Aber es war der einzige richtige Weg, diese Beziehung zu beenden. Es wäre ohnehin nie wieder wie früher gewesen.

Durch die noch offen stehende Wohnungstür wehte ein frischer Wind, der mich in ein kaltes Gewand hüllte und schaudern ließ. Bilder der vergangenen Beziehung mit Pia zogen an meinem inneren Auge vorbei. All die Höhen und Tiefen, die wir gemeinsam bestritten hatten, durchlebte ich erneut in Kurzfassung, und je mehr ich über unsere gemeinsame Zeit nachdachte, umso mehr schmerzte es mich, dass die Beziehung ein derartiges Ende gefunden hatte.

Wir waren so glücklich und unzertrennlich in den ersten beiden Jahren. Musste ich mich jetzt dafür rechtfertigen, meinem Studium gewissenhaft nachgegangen zu sein? Sollte das eine intakte Beziehung nicht locker wegstecken können? Pia konnte doch nicht allen Ernstes mein Lernpensum für ihren Seitensprung verantwortlich machen. Ich hatte während ihrer Abschlussprüfung alles für sie getan, um ihr den Rücken freizuhalten. Ich hatte mich kein einziges Mal beschwert, es war für mich selbstverständlich sie zu unterstützen. Doch Pia war das egal.

Sie hatte mir Betti vor ein paar Wochen als Arbeitskollegin und gute Freundin vorgestellt, und ich war froh, dass Pia Zeit mit ihr verbrachte und ich mich somit dem Lernen widmen konnte. Dass sie sich allerdings während der gemeinsam verbrachten Stunden im Bett vergnügten, hatte ich keine Sekunde lang geahnt. Ich fiel aus allen Wolken, als Pia mir ihre Affäre beichtete. Sie war mir in den Rücken gefallen und hatte alles kaputtgemacht, was wir uns zusammen aufgebaut hatten. Warum hatte ich nicht früher etwas bemerkt? Bin ich wirklich so blind gewesen?

Und jetzt sollte ich auch noch die Verantwortliche dafür sein, dass unsere Beziehung in die Brüche ging? Ich war fassungslos.

Eilige Schritte im Treppenhaus, die sich meiner Wohnung näherten, rissen mich aus meinen Tagträumen. Ich wusste nicht, wie lange ich schon auf dem kalten Boden kauerte. Die Kälte, die bereits in alle Fasern meines Körpers gekrochen war, lähmte mich. Ich hob meinen Kopf und sah zur Tür.

»Sophia, meine Güte, warum um alles in der Welt sitzt du bei diesen Temperaturen und noch dazu bei offener Tür auf dem kalten Fliesenboden?«, wollte Anne entgeistert von mir wissen, als sie die Wohnung betrat. »Was ist los?«

Anne, meine liebste und beste Freundin. Ich hatte ganz vergessen, dass sie vorbeikommen und mir mit den letzten Kartons helfen wollte.

»Pia war hier«, entgegnete ich mit schwacher Stimme und kämpfte mit den Tränen. »Ja, ich weiß, dass es besser war, die Beziehung zu beenden. Aber, Anne, es tut einfach immer noch verdammt weh, sie zu sehen. Ich erkenne sie kaum wieder. Kann sich denn ein Mensch, dem man einmal blind vertraut hat, von einem auf den anderen Tag so verändern?«

Mit besorgter Miene kniete Anne vor mir und hielt meine kalten Hände fest umklammert. Ihre Wärme tat gut und beruhigte mich etwas. »Sie hat dich nicht verdient. Sie hat es einfach nicht verdient, dass du ihr verzeihst. Ich weiß, es ist schwer zu akzeptieren. Aber glaub mir, Wunden heilen. Zwar nicht in ein, zwei Wochen. Es wird dauern, aber dann kannst auch du wieder lachen«, versuchte Anne mich mit ihrer liebevollen Art, die ich so sehr an ihr schätze, zu trösten.

»Hey, freu dich einfach auf das, was vor dir liegt. Freu dich auf New York!«

»New York«, murmelte ich und betrachtete den Berg Kartons, der sich vor mir befand. »Dann ist das alles hier Geschichte, Anne.«

»Und es ist Zeit für etwas Neues«, fügte Anne hinzu und zog mich an den Händen, um mir aufzuhelfen.

Schneeflocken und eisblaue Augen

Ich hatte zweifelsohne das Talent, den Wecker zu überhören. Hektisch und aufgebracht stürmte meine Mum in mein altes Kinderzimmer, in dem ich schlief, seit ich meine Wohnung in Regensburg an den Nachmieter übergeben hatte. Sie weckte mich unsanft, indem sie mir die kuschelig warme Decke mit einem Ruck vom Körper zog und das Fenster sperrangelweit aufriss. Ein kalter Windstoß wirbelte durch das Zimmer und wehte einen Stapel Papier vom Schreibtisch, der sich über den kompletten Boden verstreute.

»Sophia, in einer halben Stunde müssen wir los. Hast du denn deinen Wecker nicht gehört? Komm, mach schnell, sonst verpasst du deinen Flug.« Mahnend stand meine Mutter vor mir und stützte ihre Hände in die Hüfte. »Zieh dich an, dass du wenigstens noch frühstücken kannst. Wer weiß, wann du wieder etwas zu essen bekommst.«

»Ihr Jugendlichen. Schlaft lieber, als dass ihr frühstückt«, seufzte sie kopfschüttelnd.

Müde grummelte ich, dass ich schon nicht verhungern würde, folgte aber schlaftrunken den Anweisungen meiner Mum, die wie ein Wachhund vor meinem Bett wartete, damit ich auch sicher aufstand und mich nicht noch mal umdrehte. Da durch das Fenster eiskalte Luft strömte, brauchte sie mich kein zweites Mal bitten, und ich sprang schnell in die bereits am Vortag bereitgelegten Klamotten. Meine Lieblingsjeans und meinen grünen Kapuzenpulli, der schnuckelig warm gefüttert war. Schließlich herrschten auch Anfang März noch Temperaturen um den Gefrierpunkt. Ach, wie sehr ich mir den Frühling und warme Temperaturen herbeiwünschte! Ich war es leid, die dicken Klamotten aus dem Schrank zu ziehen und dick eingepackt, kaum bewegungsfähig, durch den Tag zu laufen. Es war endlich wieder an der Zeit für kurze Hosen und leichte T-Shirts. Und eigentlich war es auch noch viel zu früh, um aufzustehen.

»Der frühe Vogel fängt den Wurm«, pflegten meine Eltern zu sagen.

Aber der frühe Vogel konnte mich mal!

Als ich aus dem Badezimmer und in die Küche kam, duftete es bereits herrlich nach frisch aufgebrühtem Kaffee. Meine Mutter hatte den Frühstückstisch in der großen Wohnküche schon gedeckt und natürlich auch eine extra große Tasse Kaffee für mich bereitgestellt. Sie kannte mich eben am besten und wusste, was ich morgens am dringendsten brauchte.

Suchend schaute ich mich um, doch von meinem Dad fehlte jede Spur, obwohl er von uns allen den größten Wert auf ein gemeinsames Frühstück legte. Auf seinem Platz standen bereits eine benutzte Tasse und ein mit Krümeln bedeckter Teller. Er wollte wohl nicht so lange auf mich warten.

Allein nahm ich auf der Eckbank Platz, während sich vor mir auf dem Tisch frische Brötchen und allerlei andere Leckereien türmten. Die Aufregung vor der anstehenden langen Reise über den großen Teich machte mir jedoch an diesem Morgen mehr zu schaffen als die ganzen letzten Tage zusammen, so dass ich nicht einmal eine halbe Tasse Kaffee hinunterbrachte. Und das, obwohl ich normalerweise ohne Kaffee nicht lebensfähig war und missmutig den Tag begann, wenn das Koffein, mein Starthelfer in den Tag, fehlte.

»Mensch, Kind, iss doch etwas! Du kannst doch nicht mit leeren Magen aus dem Haus gehen. Wie sollst du denn die lange Reise überstehen?«, beschwor mich meine Mutter mit besorgtem Blick und hielt mir den Korb mit den Brötchen und Brezen unter die Nase.

Ich tat ihr den Gefallen und rang mich noch dazu durch, wenigstens eine Butterbreze zu essen, als mein Dad plötzlich in die Küche gestürmt kam und wie wild mit dem Zeigefinger auf seine Armbanduhr tippte. In seinem sonst so besonnenen Blick lag Hektik.

»Wenn du nicht wie eine aufgeschreckte Gans durch den Flughafen hetzen oder gar zu spät kommen willst, sollten wir jetzt los! Um deine Koffer und dein Handgepäck musst du dich nicht mehr kümmern, die habe ich schon im Auto verstaut. Also kommt endlich ihr zwei, bevor wir noch im Münchner Berufsverkehr stecken bleiben!«

Angespannt, wie ich meinen Dad eigentlich gar nicht kannte, deutete er uns mit einem Blick auf die Wanduhr an, dass es wirklich höchste Zeit war, aufzubrechen. Wir sollten keine Zeit mehr verlieren, wenn ich nicht wollte, dass das Flugzeug ohne mich abhob.

Eilig holte ich meine Jacke, die ich in meinem Zimmer vergessen hatte, und packte meine angebissene Butterbreze ein, um im Auto fertig zu frühstücken.

Keine zwei Minuten später saßen wir alle drei im Auto, als auch Anne in allerletzter Sekunde auf dem glatten Gehweg um die Ecke in unsere Einfahrt schlitterte und sich mit einer fröhlichen Begrüßung auf die Rückbank des Autos neben mich setzte. Ihr Gesicht war hinter dem dicken Schal und der tief ins Gesicht gezogenen Mütze kaum zu erkennen.

»Ich kann dich doch nicht einfach fliegen lassen, ohne mich persönlich von dir zu verabschieden«, sagte sie grinsend und versuchte verzweifelt, ihre von der Kälte tauben Hände wiederzubeleben.

Kein Wunder bei diesem Wetter! Der Himmel war wolkenverhangen, und dicke Schneeflocken tanzten durch die Luft. Ich hoffte, in New York vom Schnee verschont zu bleiben, diesen Winter hatten wir ohnehin reichlich davon gehabt.

Während Anne und ich über das kalte Wetter schimpften und von warmen Temperaturen träumten, verfolgte mein Dad aufgeregt die Staumeldungen im Radio. Erst als für unsere Strecke keine Verkehrsbehinderungen durchgegeben wurden, entspannte auch er sich und bog mit dem Wagen aus unserer Einfahrt in die mit einer dünnen Schneedecke gesäumte Hauptstraße ein.

Während der gesamten Fahrt überhäuften mich meine Mutter und Anne mit gut gemeinten Ratschlägen. Anscheinend trauten sie mir beide nicht zu, in dieser großen Stadt allein über die Runden zu kommen. Andererseits fand ich es auch wieder rührend, wie sie sich um mich bemühten und es gut mit mir meinten. Es war schließlich das erste Mal, dass ich allein, und noch dazu für ein halbes Jahr, im Ausland war.

»Gib ja gut auf dich Acht! Du weißt, in großen Städten wie New York wimmelt es geradezu von Taschendieben und komischen Gestalten«, beschwor mich meine besorgte Mum.

»Und mach auf jeden Fall viele Fotos und schreib mir, so oft es geht. Ich will alles genau wissen, wenn ich schon nicht dabei sein kann«, fügte Anne hinzu und strahlte über das ganze Gesicht, also würde sie selbst das Abenteuer New York wagen.

»Genau, melde dich ganz oft bei uns«, stimmte meine Mum Anne zu.

Mein Dad quittierte dies alles nur mit einem zustimmenden Brummen und enthielt sich ansonsten unserer Frauengespräche, als er über die Autobahn Richtung München bretterte.

Es reichte, wenn meine Mutter und Anne wild auf mich einredeten.

Als wir nach einstündiger Fahrt endlich am Terminal 2 des Flughafens in München angekommen waren, schienen auch meine Mutter und Anne mit ihren Ratschlägen am Ende zu sein.

Ungewöhnlich still, wie ich sie nur selten zuvor erlebt hatte, begleiteten mich die drei in das riesige Terminal zum Check-in, wo bereits zu früher Stunde hektisches Treiben herrschte.

Als meine Koffer langsam auf dem Förderband verschwanden und ich mich Richtung Sicherheitscheck aufmachen musste, um den Flug nicht zu verpassen, nahm meine Mum mich schluchzend in den Arm und wollte mich gar nicht mehr loslassen.

»Pass ja gut auf dich auf, und lass möglichst oft etwas von dir hören. Du weißt ja, ich habe extra gelernt, E-Mails abzurufen und zu schreiben. Also berichte uns bitte ganz oft, wie es dir geht und ob alles in Ordnung ist!«

Mein Dad klopfte mir nur aufmunternd auf die Schulter. Wie die meisten anderen Väter war auch er kein Mann der großen Worte, wenn es um Abschied ging. Doch sein Blick verriet mir, dass auch er mich nur ungern für so lange Zeit gehen ließ.

Auch Anne hielt mich fest an sich gedrückt, und mir fiel es äußerst schwer, sie in Deutschland zurückzulassen. Es war ungewohnt, Anne ein halbes Jahr nicht zu sehen. Eine kleine Ewigkeit in unseren Augen, da wir sonst jede freie Minute miteinander verbracht hatten. Mir wurde klar, dass sie mir alle fehlen würden in der großen fremden Stadt. Bevor ich endgültig aufbrechen musste, zog mich Anne etwas zur Seite.

»Ich weiß, dass es dir schwerfällt. Aber sieh New York einfach als Chance, Pia zu vergessen.«

»Glaubst du, sechstausend Kilometer Distanz zwischen uns machen die Sache leichter?«

Anne zuckte mit den Schultern und nahm mich noch einmal in den Arm. »Ich weiß, du schaffst das«, flüsterte sie mir ins Ohr. »Mach das Beste aus diesem halben Jahr, und vergiss mich nicht.«

»Wie könnte ich dich vergessen?«, erwiderte ich lächelnd und drückte sie noch mal eng an mich.

Nach der ausführlichen und tränenreichen Verabschiedung und dem Versprechen, ihnen allen mindestens einmal wöchentlich zu schreiben, machte ich mich auf Richtung Flugzeug. Ein letztes Mal winkte ich meinen Eltern und Anne zum Abschied zu, und nur schwer konnte ich meine Abschiedstränen verbergen, als ich die drei in der großen Halle verschwinden sah.

»Aber jetzt Schluss mit den Tränen«, flüsterte ich mir selbst Mut zu, »jetzt geht’s auf nach New York. Tschüss, Deutschland, dich werde ich erst mal nicht vermissen!«

Nach etlichen Sicherheitschecks und Passkontrollen, die kaum enden wollten, stand ich endlich an der Warteschlange, die sich vor dem Einstieg zum Flugzeug gebildet hatte. Ein letztes Mal das Ticket gezückt, und schon lief ich durch den Zugangstunnel ins Flugzeuginnere. Die Schritte durch den Tunnel fühlten sich an wie Schritte in ein neues Leben. Und das waren sie schließlich auch. Schritte in ein Leben, in dem ich zum ersten Mal ganz allein auf mich gestellt war. Und genau an dieser Stelle realisierte ich zum ersten Mal, dass der Zeitpunkt wirklich gekommen war, an dem ich alles Gewohnte hinter mir lassen und völliges Neuland betreten würde. Freude, Angst und Neugier mischten sich und erfüllten meinen ganzen Körper. Es war eine Reise ins Unbekannte. Voller Aufgaben, an denen ich hoffte, nicht zu scheitern.

Eine freundliche Stewardess, die am Eingang des Flugzeugs alle Passagiere mit einem kleinen Willkommenspräsent begrüßte, wies mir den Weg zu meinem Platz.

Ich schleppte meinen schweren Rucksack durch die Reihe, bis ich endlich an der richtigen Sitzplatznummer angekommen war.

Mein Sitzplatz befand sich direkt am Fenster. Hinter mir reihten sich keine weiteren Sitzplätze für Fluggäste. Anstelle dessen befanden sich dort der Platz für das Bordpersonal und der Zugang zu den Toiletten. Ich war sehr zufrieden mit meinem Platz und freute mich auf einen angenehmen und ruhigen Flug. Gespannt wartete ich allerdings noch darauf, wer den Platz rechts neben mir einnehmen würde. Bei zehn Stunden Flug durfte man natürlich auf einen angenehmen Sitznachbarn hoffen. Zehn Stunden schweigend nebeneinander zu sitzen, stellte ich mir weniger schön vor.

Lange blieb der Sitz neben mir leer, während sich die Sitzreihen um mich herum bereits mehr und mehr füllten. Familien mit Kindern, Geschäftsleute und das Bordpersonal hielten sich auf den Gängen auf und redeten wild durcheinander. Ich war froh, meinen Platz bereits gefunden zu haben. Ich machte es mir in meinem Sitz bequem, und da es etwas frisch im Flugzeug war, packte ich die bereitgelegte Decke aus und wickelte mich darin ein. Auch Kopfhörer waren für jeden Fluggast verfügbar, mit denen man die zahlreichen Film- und Musikangebote an Bord auf einem kleinen Bildschirm im Sitz vor einem verfolgen konnte. Langweilig wurde es bei diesem Angebot an Unterhaltung mit Sicherheit nicht.

Während ich noch verzweifelt versuchte, meinen prall gefüllten Rucksack unter dem Sitz so zu verstauen, dass ich meine Füße wenigstens halbwegs bewegen konnte, ließ sich eine junge Frau seufzend und geschafft auf den Sitz neben mir plumpsen.

»Das war knapp!«, hörte ich sie murmeln, und als ich mich wieder aufrichtete, um meine Sitzpartnerin zu begrüßen, schaute ich direkt in eisblaue Augen, die mich für einen kurzen Moment erstarren ließen. Für einen kurzen Moment hatte ich das Gefühl, in Pias Augen zu blicken. In ein Eisblau, das ich bis zu diesem Zeitpunkt für einzigartig gehalten hatte. Ich musste schlucken, um den aufkeimenden Kloß in meinem Hals zu verdrängen. Hatte ich nicht selbst gesagt, mit dieser Reise würde ein neuer Lebensabschnitt beginnen? Und genau in diesem hatte Pia nichts verloren. Ich hatte ein neues Kapitel aufgeschlagen, in dem sie nichts mehr zu suchen hatte.

Mit einem charmanten »Hallo, ich bin Flo! Eigentlich Florentine. Aber nenn mich Flo« holte mich die junge Frau allerdings schnell aus meiner kurzen Starre in die Wirklichkeit zurück und streckte mir zur Begrüßung ihre Hand entgegen.

»Hey, ich bin Sophia«, grüßte ich lächelnd zurück, als ich mich wieder gefangen hatte.

Kurz irritiert über meine Reaktion auf ihre eigentlich durchaus bezaubernden Augen, legte ich mir meine Decke erneut zurecht und rutschte tief in den Sitz in eine bequeme Stellung.

Flo tat es mir gleich und versuchte, es sich so bequem wie möglich zu machen. Etwas unbeholfen fuchtelte sie zunächst mit ihrer Decke vor meinem Gesicht herum, bevor sie endlich die richtige Position gefunden hatte. Wir mussten beide kurz über unsere Koordinationsschwierigkeiten lachen, ehe wir uns anschnallten und für den Start bereitmachten.

Aus den Lautsprechern schallten bereits die obligatorische Sicherheitsanweisung der Stewardess und die Begrüßungsworte des Piloten. Konzentriert versuchte ich, den Sicherheitsanweisungen zu folgen. Fluchtwege, Masken, die aus der Decke fielen, und Sicherheitswesten. All diese Begriffe lösten ein mulmiges Gefühl in mir aus. Zum Aussteigen war es jetzt definitiv zu spät. Ich musste schlucken.

Als die Motoren der Maschine gestartet wurden, merkte ich, wie langsam Panik in mir hochstieg und mir die Luft wegblieb. Ich hatte bisher ganz gut verdrängt, welche Angst ich jedes Mal beim Start und der Landung bekam. Ich konnte es gut verdrängen, da der letzte Flug jetzt schon Jahre zurücklag. Und das Fliegen hatte ich in der Zwischenzeit keine einzige Sekunde lang vermisst. In all der Aufregung und Vorfreude auf New York in den vergangenen Tagen und Wochen hatte ich den Flug weitestgehend ausgeblendet. Er war lediglich das nötige Übel, um überhaupt nach New York zu kommen.

Doch da war ich nun, und die Angst zu verdrängen, gelang mir nicht mehr, so sehr ich mich auch zu innerer Ruhe zwang. Mein Körper wollte mir nicht mehr gehorchen und fing an zu zittern. Hilflos vergrub ich meine Fingernägel immer stärker in der Armlehne, als das Flugzeug in Startposition rollte und die Stewardessen sich angeregt über den Start und den Flug unterhielten. Sie hatten gut reden. Flugangst kannten sie wahrscheinlich nur aus den Büchern.

Das Blut musste mir mittlerweile komplett aus dem Gesicht gewichen sein, als Flo sich zu mir drehte und erschrocken die Augen aufriss.

»Du bist ja ganz blass! Kann ich etwas für dich tun? Flugangst?«, wollte sie besorgt von mir wissen und beugte sich ein kleines Stück zu mir. »So schlimm?«

Ich nickte nur zaghaft und hielt die Augen weiterhin fest geschlossen. Jeder meiner Muskeln war angespannt, und ich konzentrierte mich krampfhaft darauf, ruhig zu bleiben und nicht allzu sehr zu zittern, was mir jedoch deutlich misslang. Ich schlotterte am ganzen Körper.

Nur Augenblicke später beschleunigte das Flugzeug auch schon, und nach wenigen Sekunden rasanter Fahrt auf der Startbahn des Münchner Flughafens hoben wir ab. Der Bodenkontakt brach ab. Genau in diesem Moment erinnerte ich mich nur zu gut daran, wie sehr mich jedes Mal die Angst gequält hatte, wenn ich mit meinen Eltern in den Sommerurlaub fliegen musste.

Erst als das Flugzeug eine bestimmte Höhe erreicht hatte, in der ich die stetige Steigung nicht mehr bemerkte, wagte ich es, wenn auch anfangs nur sehr zögerlich, die Augen wieder zu öffnen. Das Schlimmste war überstanden, zumindest bis zur Landung.

Die Angst legte sich lediglich langsam, und ich atmete ein paar Mal tief durch, um meinen rasenden Puls zu senken. Flo sah mich mitfühlend an, obwohl sie erst vor einer halben Stunde meine Bekanntschaft gemacht hatte. Den Flug hatte sie sich wohl auch anders vorgestellt. Bestimmt nicht mit so einem Angsthasen wie mir an ihrer Seite.

»Ich glaube, du hast das Schlimmste überstanden. Jetzt geht es im ruhigen Flug weiter Richtung New York«, versuchte sie mich weiter zu beruhigen.

Ihre Fröhlichkeit, die sie geradezu umgab, gab mir ein gewisses Gefühl an Sicherheit und verriet mir, dass nicht nur ich mit großer Vorfreude auf New York erfüllt war.

»Solange es ruhig bleibt, ist alles in Ordnung«, erwiderte ich und lächelte entschuldigend.

Der Kaffee und das Wasser, das ich mir kurz darauf von einer Stewardess geben ließ, halfen mir dabei, mich Stück für Stück zu beruhigen. Langsam konnte ich sogar die Aussicht auf die weißen Wolken unter uns genießen, während sich das Flugzeug schwebend und ohne Turbulenzen fortbewegte.

Da wir nun schlappe zehn Stunden nebeneinander verbringen sollten, fasste ich den Entschluss, Flo in eine Unterhaltung zu verwickeln, denn um ehrlich zu sein, war ich neugierig, was der Grund für ihre Reise nach New York war.

Ich wandte meinen Blick nach rechts und hatte zum ersten Mal die innere Ruhe, mir Flo genauer anzuschauen.

Da diese ohnehin in einen der gezeigten Filme auf dem Bildschirm vor ihr vertieft war, bemerkte sie meine neugierigen Blicke nicht.

Ihre braunen Locken reichten ihr bis knapp über die Schultern. Die eisblauen Augen, die mich auf eine gewisse Art faszinierten, mich andererseits aber im ersten Moment schmerzlich an Pia erinnert hatten, waren hinter einer Brille mit dickem, schwarzem Rand verborgen. Sie trug einen braunen Strickpulli, der, wie ich fand, perfekt zu ihren braunen Haaren passte. Wir mussten ungefähr das gleiche Alter haben. Flo war mir vom ersten Moment an sympathisch, und ich war froh, den Flug nicht neben einem unangenehmen oder gar aufdringlichen Fluggast verbringen zu müssen. In so einem Fall konnten sich zehn Stunden anfühlen wie eine Ewigkeit.

Kurze Zeit später fiel Flo auf, dass ich aus meiner Starre erwacht war und endlich meinen Blick gehoben hatte.

Sie lächelte mich an und nahm ihren Kopfhörer von den Ohren.

Als sie mir erneut direkt in die Augen schaute, war ich sofort wieder gefangen von dem Blau ihrer Augen. Ich konnte nicht anders, als mit meinem Blick zu verweilen. Da ich aber nicht den Eindruck erwecken wollte, ich würde sie mustern, konnte ich ihrem Blick nicht lange standhalten.

Stattdessen wandte ich mein Gesicht erneut ab und sah aus dem Fenster, beobachtete, wie die Wolkendecke unter uns aufriss und den darunter liegenden Atlantik preisgab. Ein Kribbeln durchfuhr mich bei diesem Anblick. Schaute man genauer, konnte man aus dieser Höhe sogar kleine Wellen erkennen.

Fasziniert verfolgte ich das mir dargebotene Bild für einige Minuten, ehe die Stewardess auch an unsere Sitzreihe trat und das Mittagessen servierte.

Wie alle anderen Fluggäste klappten Flo und ich den kleinen Tisch vor uns herab, um das Essen abzustellen, welches uns gereicht wurde.

Während wir schweigend, unser Essen kauend, nebeneinander saßen, überwand ich langsam meine Schüchternheit, die sich jedes Mal in mir breitmachte, sobald ich jemand Neues kennenlernte. So war es schon immer, seit ich denken konnte.

Jemanden Fremdes anzusprechen, war noch nie leicht für mich, egal, ob es neue Schulfreude in der fünften Klasse waren oder später dann Frauen, die ich anziehend fand. Die Angst, abgewiesen zu werden, überwog meistens und hielt mich zurück.

Es war jedes Mal eine kleine Überwindung für mich, doch hatte ich den ersten Schritt getan, fiel alles Weitere gar nicht mehr so schwer. Der erste Schritt war für mich allerdings immer der schwerste, und nicht selten benahm ich mich dabei ungeschickt oder trat in ein Fettnäpfchen. Ich war und blieb eben ein Chaot in allen Lebenslagen.

Flos lebensfrohe und sympathische Ausstrahlung hingegen nahm mir meine Scheu. Sie hatte schließlich auch meine Flugangst bereits mitverfolgen müssen.

Um sie aber nicht allzu sehr beim Essen zu stören, genoss ich in Ruhe meinen Kaffee, bis auch Flo ihr Besteck zur Seite gelegt hatte.

»Der Kaffee hier im Flugzeug ist besser, als ich dachte, genau richtig für einen Kaffeejunkie wie mich«, merkte ich lächelnd an, während ich den leeren Becher zurück in die Halterung stellte.

»Hier ist vieles besser, als ich erwartet habe«, fügte Flo strahlend hinzu. »Ich hatte schon befürchtet, den gesamten Flug neben einem unsympathischen, nörgelnden Fluggast verbringen zu müssen. Aber Gott sei Dank hat sich diese Befürchtung nicht bestätigt.«

»An genau dasselbe hatte ich auch gedacht, als ich bereits hier Platz genommen habe und der Platz neben mir noch für eine ganze Weile leer blieb.«

»Ich stehe gern auf den letzten Drücker auf. Das wäre mir heute fast zum Verhängnis geworden.« Flo verzog ihre Mundwinkel zu einem breiten Grinsen, und feine Lachfältchen bildeten sich. Ihr Grinsen steckte an, und ein rundum zufriedenes Gefühl durchfuhr meinen Körper.

Das Eis zwischen uns war endgültig gebrochen, und Flo wollte alles über meine Pläne in New York erfahren.

»Was führt dich nach New York? Urlaub?« Gespannt sah sie mich an.

»Urlaub? Da hätte ich auch nichts dagegen. Aber nein, ich bin für ein halbes Jahr in New York«, antwortete ich.

»Als Au-pair?«

»Oh nein, ich glaube, das würde mir nicht liegen«, erwiderte ich schmunzelnd, »ich mache ein Praktikum an der New York University. Besser gesagt, will ich Trainererfahrung bei der Frauenfußballmannschaft sammeln.«

Flo sah mich über den Rand ihrer Brille an. »Du studierst also Sport? Und was genau machst du dann?«

»Ja, genau. Ich studiere Sport in Regensburg und übernehme jetzt die Co-Trainer-Stelle mit allen damit verbundenen Aufgaben. Trainingseinheiten übernehmen, Saisonvorbereitung, Ligaspiele und so weiter«, fuhr ich sichtlich stolz fort, und ich konnte nicht anders, als über das gesamte Gesicht zu strahlen. Meine Vorfreude war kaum in Worte zu fassen.

»Klingt auf jeden Fall interessant. Ich finde Sport toll, zumindest in der Theorie, in der Praxis hapert es etwas«, gab Flo zu.

Man sah ihr gar nicht an, dass sie einen Bogen um sportliche Betätigungen machte. Flo war schlank und wirkte energiegeladen auf mich. Würde ich selbst keinen Sport machen, würde sich jedes einzelne Stück Schokolade erbarmungslos rächen.

Als ich meinen kleinen Vortrag über den Frauenfußball in Amerika beendet hatte und erst einmal nach meinem Redeschwall Luft holen musste, erkundigte ich mich nach Flos Vorhaben am Big Apple. Ich wollte sie nicht langweilen und noch weiter mit meinem Thema ausschweifen.

»Und was treibt dich nach New York?«, fragte ich sie daher.

»Auf jeden Fall nichts mit Sport«, lachte sie, »wobei mich die Kinder auch ganz schön auf Trab halten werden. Ich bin nämlich für ein halbes Jahr in einer New Yorker Familie als Au-pair.«

»Das wäre wiederum nichts für mich«, gab ich zu, »ich glaube, ich wäre kein gutes Au-pair-Mädchen.«

Flo musste schmunzeln. »Ach, die beiden Kinder Jonas und Kathy sind ganz süß, soweit ich das bisher beurteilen kann. Ich freue mich schon auf sie.«

Auch Fotos der Familie enthielt Flo mir nicht vor. Alle Familienmitglieder wirkten freundlich und umgänglich, und auch in den ausgetauschten E-Mails, so Flo, hatten sie diesen Eindruck nur bestätigt.

Ich mochte Kinder, vor allem wenn ich sie nach kurzer Zeit wieder bei ihren Eltern abgeben durfte. Rund um die Uhr wären sie für mich eine Herausforderung. Ich beneidete Flo nicht um ihre Au-Pair-Stelle. Dann zog ich doch lieber mehrere Stunden Training am Tag vor.

Bereits zwei Stunden waren vergangen, in denen Flo und ich uns angeregt über unsere neuen Aufgaben in New York unterhalten hatten. Unsere Gespräche bezogen sich schon lange nicht mehr nur ausschließlich auf unsere Zeit in New York, denn schon längst sprachen wir auch über private Dinge, wie unsere Familien.

Auf diesem Weg erfuhr ich auch, dass Flo aus der Nähe von Nürnberg stammte, sich ein halbes Jahr Auszeit vom Studium gönnte, um über vieles nachdenken zu können. Über was jedoch, erwähnte sie mit keinem Wort.

»Ich brauche einfach etwas Abstand von Nürnberg, ich bin jung, man sollte die Chancen nutzen, wie sie kommen«, ließ Flo als Erklärung im Raum stehen, und ich bohrte auch nicht weiter nach, denn auch ich hielt mein Liebesleben und alles, was damit zu tun hatte, aus unserer Unterhaltung heraus. Schließlich kannten wir uns erst seit gerade mal ein paar Stunden, seit dem Zeitpunkt, als unser Flugzeug in Deutschland gestartet war. Und natürlich wollte man nicht alles von sich preisgeben. Ich konnte sie nur zu gut verstehen. New York war die hervorragende Gelegenheit, den Ballast der Vergangenheit zurück in Deutschland zu lassen. Und je näher wir New York kamen, umso weniger dachte ich über Pia nach.

Auch so fanden wir genug Redestoff für den gesamten restlichen Flug, der im wahrsten Sinne des Wortes wie im Flug verging. Ich hatte keinen einzigen Film gesehen, da ich mit Flo die beste Unterhaltung hatte.

Da das Flugzeug bereits Kurs auf New York nahm und es nicht mehr lange dauerte, bis wir die Landebahn des John-F.-Kennedy-Flughafens erreichen würden, schlug Flo vor, Nummern auszutauschen, da wir beide Neulinge in der Stadt waren und auf diesem Weg in Kontakt bleiben konnten.

»Wieso die Stadt allein erkunden, wenn es doch zu zweit viel mehr Spaß machen kann«, schlug Flo zwinkernd vor und steckte mir einen kleinen Zettel mit ihrer Nummer zu.

Ich verstaute ihn sicher im vorderen Fach meines Rucksacks, bevor es wieder an der Zeit war, meine Angst vor dem Landeanflug unter Kontrolle zu halten.

»Nicht erschrecken, wenn ich gleich wieder bleich wie ein Gespenst neben dir sitze, aber leider ist die Landung nicht minder schlimm als der Start«, warnte ich Flo so tapfer wie möglich vor. Scherze darüber wollten mir allerdings nicht mehr so recht gelingen. Mein Grinsen hing auf Halbmast.

Denn wie bereits beim Start gewann meine Angst schnell die Oberhand, und ich versank erneut tief in meinem Sitz, die Finger fest in die Armlehnen gegraben und die Augen geschlossen. Keine Sekunde hätte ich in diesem Moment aus dem Fenster sehen können. Sehen, wie das Land unter uns näher kam und ich umso mehr das Gefühl gehabt hätte, unkontrolliert abzustürzen. Genau aus diesem Grund mied ich auch Achterbahnen jeder Art. Das Gefühl, abzustürzen, ersparte ich mir lieber.

Da meine Angst kaum zu übersehen war, nahm sich Flo meiner an und versuchte, mich durch gutes Zureden zu beruhigen.

»Gleich hast du es überstanden. Nicht mehr lange, dann befinden wir uns auch schon wieder auf festem Boden, den du dann für ein halbes Jahr nicht mehr verlassen musst«, flüsterte mir Flo aufmunternd zu, damit die Fluggäste in der Reihe vor uns nichts von meiner Angst mitbekamen. Schaulustige hätten mir gerade noch gefehlt. Um mich zu beruhigen, legte Flo vorsichtig ihre Hand auf meine, so dass sich mein fester Griff um die Armlehne langsam etwas lockerte. Ich lauschte Flos beruhigenden Worten und versuchte, ruhig zu atmen.

Nur noch wenige Minuten waren zu überstehen, bis unser Flugzeug auf der Landebahn aufsetzte und meine Panik ein Ende hatte, redete ich mir selbst immer wieder ein.

In all diesen Minuten, die mir wie eine halbe Ewigkeit vorgekommen waren, ließ Flo meine Hand keine Sekunde los und zog sie erst dann langsam zurück, als wir heil und unversehrt gelandet waren. Unter dem tosenden Applaus der Fluggäste, deren Begeisterung ich aufgrund meiner Angst noch nie verstehen konnte, rollte das Flugzeug gemächlich Richtung Terminal in Parkposition.

Während ich langsam meine sieben Sinne zurechtrückte und der Druck von mir abfiel, schälte sich Flo bereits aus ihrer Decke und machte sich zum Abschnallen bereit. Anscheinend konnte sie es kaum erwarten, den ersten Schritt auf amerikanisches Land zu setzen, während ich noch wie ein Häufchen Elend neben ihr saß. Meine Knie waren weich wie Butter. Flo hingegen sprang schon hastig von ihrem Sitz auf, als der Pilot die Erlaubnis zum Abschnallen gab und sich von den Passagieren verabschiedete.

Bevor sie jedoch eilig zum Ausgang des Flugzeugs verschwand, drehte sie sich noch einmal zu mir um und lächelte mir ein letztes Mal zu.