Mit Anlauf nach Berghimmel - Melanie Weber-Tilse - E-Book

Mit Anlauf nach Berghimmel E-Book

Melanie Weber-Tilse

0,0
6,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Lerne die Bewohner in dem Dorf Berghimmel kennen und erlebe in jedem Buch eine neue Geschichte von dort. Jedes Buch ist in sich abgeschlossen enthält aber die wiederkehrenden Charakter aus den Vorbänden. - Mit Anlauf ins "Cake Heaven" Die tollpatschige Nina kehrt, schwer enttäuscht von ihrem Exfreund, in ihr kleines Heimatdorf „Berghimmel“ zurück. Daniel, ihr bester Freund, ermöglicht ihr, ihren Traum zu erfüllen: Die Eröffnung von „Cake Heaven“, einem kleinen, aber feinen Café. Fortan gibt es dort nicht nur die süßesten Kreationen, sondern auch den neuesten Tratsch und Klatsch. Denn die vier Klatsch-Tanten aus dem Dorf haben Ninas Café zu ihrer Zentrale auserkoren. Es könnte wie im Himmel sein, wenn nicht Ninas Exfreund sie zurück haben wollte und herauskommt, dass Daniel sie schon lange liebt … - Mit Anlauf ins Glück Nachdem Leah wegen einer Wohnungsanzeige eher durch Zufall in Berghimmel landet, glaubt sie wirklich im Himmel zu sein. Endlich kann sie zur Ruhe kommen und den Rest ihrer Schwangerschaft genießen. Obwohl sie sich nie wieder auf einen Mann einlassen wollte, kann sie dem Polizisten Sebastian kaum widerstehen. Dabei waren die letzten Jahre mehr als ein Albtraum. Und das gilt es, zu verbergen. Doch Sebastian ahnt, dass mit Leah etwas nicht stimmt. Unbeabsichtigt tritt er durch seine Nachforschungen eine Lawine los, die Leah das Leben kosten kann … - Mit Anlauf in die (fast eigene) Praxis Nach 8 Jahren kehrt Dr. Charlotte Kaiser, von ihren Freunden nur Charly genannt, wieder nach Berghimmel zurück. Viel zu lange war sie von ihrem Heimatdorf getrennt. Nachdem sie in Berlin auf den charismatischen Oberarzt der Tierklinik hereingefallen ist, scheint das Glück jetzt perfekt zu sein: Sie nimmt die Stelle der neuen Tierärztin in Berghimmel an. Doch was hat es mit dem Mann, der nachts nackt in ihrer Wohnung steht auf sich? Und wie schafft Charlotte es, ihrer Vergangenheit endgültig zu entkommen? - Mit Anlauf in die zweite Chance Nachdem Anna ihren Mann Oliver mit seiner Sekretärin in eindeutiger Pose erwischt hat, flüchtet sie mit ihrer Tochter Nadine nach Berghimmel. Dort übernimmt sie den Tante-Emma-Laden und wird schnell in die Gruppe um Nina und ihren Freunden herzlich aufgenommen. Als Richard in ihr Leben tritt, scheint es endlich für Anna wieder bergauf zu gehen. Doch was passiert, wenn man herausbekommt, dass nichts ist, wie es den Anschein hat? Kämpft man für etwas, was man eigentlich aufgegeben hat?

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis

„Cake Heaven“

Glück

Praxis

Mit Anlauf

Mit Anlauf

nach Berghimmel

Sammelband

Melanie Weber-Tilse

Deutsche Originalausgabe, 1. Auflage 2016

Ihr findet mich auf www.weber-tilse.com

https://www.facebook.com/autorin.webertilse

Email [email protected]

Impressum:

Melanie Weber-Tilse

Breslauer Str. 11, 35274 Kirchhain

© Juli 2016 Melanie Weber-Tilse

Alle Rechte vorbehalten!

Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der offiziellen Erlaubnis durch die Autorin.

Covergestaltung: Melanie Weber-Tilse

Foto: © oleksaey / Fotolia.com

Lektorat/Korrektorat: Claudia Augustinowski-Daun / http://alishamcshaw.de/

Mit Anlauf ins

„Cake Heaven“

Erster Band der „Mit Anlauf-Reihe“

Die tollpatschige Nina kehrt, schwer enttäuscht von ihrem Exfreund, in ihr kleines Heimatdorf „Berghimmel“ zurück. Daniel, ihr bester Freund, ermöglicht ihr, ihren Traum zu erfüllen: Die Eröffnung von „Cake Heaven“, einem kleinen, aber feinen Café.

Fortan gibt es dort nicht nur die süßesten Kreationen, sondern auch den neuesten Tratsch und Klatsch. Denn die vier Klatsch-Tanten aus dem Dorf haben Ninas Café zu ihrer Zentrale auserkoren.

Es könnte wie im Himmel sein, wenn nicht Ninas Exfreund sie zurück haben wollte und herauskommt, dass Daniel sie schon lange liebt …

Kapitel 1

Der Bass dröhnte hart in meinem Kopf. Langsam tastete ich mich an der Wand entlang. Wo war dieses verdammte scheiß Klo nur? Das schummrige Licht, der Alkoholpegel in meinem Blut und meine angefressene Stimmung halfen nicht dabei, mich besser orientieren zu können. Endlich spürte ich einen Türgriff zwischen meinen Fingern und ich drückte ihn nach unten. Helles Licht empfing mich. Ich hatte endlich die Toilette gefunden.

Ich schob mich hinein und torkelte in die erstbeste Kabine. Mit zittrigen Fingern zog ich mir meine Leggins samt Slip nach unten und ließ mich aufseufzend auf die Klobrille hinabsinken. Ah, was tat das gut. Gerade noch rechtzeitig hatte ich das Klo erreicht, sonst hätte ich mir eiskalt in die Hose geschissen. Happy Hour war wirklich nichts für mich. Der fünfte Tequila-Orange musste schlecht gewesen sein, denn er haute mir gerade den kompletten Darminhalt heraus. Uhhh, der Geruch trieb mir die Tränen in die Augen. Verdammter Alkohol. Das kam jetzt wirklich einem Giftgasanschlag nahe und ich hatte mich gerade freiwillig zu einem Selbstmordkommando gemeldet.

Jan war an allem Schuld. Hätte er mich die letzte Zeit nicht so vernachlässigt, würde ich jetzt nicht mit Magenkrämpfen auf dem Klo sitzen. Schon gar nicht in einer öffentlichen Disko. Ich schiss mir gerade die Seele aus dem Leib. Mein Magen kehrte sich einmal nach außen und ich musste immer wieder die Klospülung betätigen, sonst würde ich hier elendig an dem Geruch zu Grunde gehen.

Die Tür wurde geöffnet, die Musik drang kurzzeitig lauter an mein Ohr.

„Boah ne, was war das denn für eine Sau. Scheiße stinkt das hier. Ihh, ich kotz gleich.“

Danach war wieder die Musik lauter zu hören und schimpfend verschwand die angefressene Tussi. Gut, ich konnte sie ja verstehen. Es stank wirklich barbarisch, wobei sie noch nicht mal in die Nähe meiner Kabine gekommen war.

Gerade noch rechtzeitig fiel die Tür wieder ins Schloss, als sich mein Darm lauthals dröhnend entleerte. Ohhhh, so stellte ich mir das Kinderkriegen vor. Eine Schmerzwelle nach der anderen jagte durch meinen Körper. Ich hoffte nur, dass es beim Kinderbekommen nicht so laut zuging und schon gar nicht so eine Geruchsbelästigung herrschen würde. Das arme Kind würde doch sofort den Albtraum seines Lebens erfahren.

Nachdem ich sicher schon zehnmal die Spülung betätigt hatte, schien mein Darm leer zu sein. Es tat richtig gut, dass der Schmerz nun nachgelassen hatte. Der Gestank stand zwar noch um mich herum, aber der würde sich wohl irgendwann in der Disko abschütteln lassen. Ich griff nach rechts zum Toilettenpapier, nur um dann festzustellen, dass keins vorhanden war. Mein Kopf schnellte, so schnell es im besoffenen Zustand eben ging, nach rechts und ich schaute mit weit aufgerissenen Augen die leere Rolle an.

Mein Blick huschte in der Kabine umher, ich schaute hinter mich, aber kein Toilettenpapier war zu sehen. Das durfte jetzt echt nicht wahr sein. Nach meiner Darmreinigung saß ich nun auf diesem verschissenen Klo fest und hatte kein Papier, um mich sauber zu putzen. Was war ich doch naiv gewesen zu denken, dass der ganze Tag nicht noch schlimmer hätte werden können.

Ich nahm die leere Klopapierrolle und riss die Pappe in feine Streifen. Damit wischte ich die erste Fuhre weg. Dann zog ich die Leggins und die Unterhose aus und benutzt den String – leider hatte ich keine Frenchie an – und wischte mir, so gut es ging, den Rest noch weg. Sollte ich jetzt den Tanga ins Klo fallen lassen? Bei meinem heutigen Glück, würde jetzt auch noch das Klo verstopfen. Ich entschied mich daher dagegen und warf die Unterhose mit spitzen Fingern in den Mülleimer. Ich zog mir die Leggins wieder an und ging auf wackeligen Beinen aus der Kabine. Hier vorne roch es gar nicht mehr so schlimm. Ich wusste gar nicht, was die blöde Schnepfe vorhin hatte.

Ich wusch meine Hände, spritzte mir Wasser ins Gesicht und schaute mich dann im Spiegel an. Meine Güte, was sah ich beschissen aus. Nicht, dass ich Kack-Spritzer im Gesicht gehabt hätte, nein, das nicht. Ich war blass, hatte dunkle Ringe unter den Augen – was wahrscheinlich an der verlaufenen Wimperntusche lag – und der Lippenstift bröckelte auch langsam ab. Toll, hier neben dem Waschbecken gab es einen Papierbehälter. Wäre ich doch einfach mal aufgestanden und rausgegangen. Ich wischte mir den Rest Lippenstift ab und versuchte, so gut es ging, die wasserfeste Wimperntusche unter den Augen wegzubekommen. Schon klar, wasserfest. Das Zeug hatte sich während meiner Kacksession ohne Murren verabschiedet, jetzt dagegen, klebte es wie Scheiße an mir.

Nachdem ich mich einigermaßen wieder hergerichtet hatte, ging ich mit weichen Beinen nach draußen. Mir kam gerade eine andere Frau entgegen, die sicher mal auf Toilette musste.

„Ich würde da nicht reingehen“, hörte ich mich sagen. „Irgendeine Drecksau hat das ganze Klo vollgeschissen. Normalerweise müsste der Abc-Alarm ausgerufen werden. Ich hätte fast ins Waschbecken gekotzt.“

Dann ging ich weiter und klopfte mir mental auf die Schulter. Das hast du prima gemacht Nina, dachte ich stolz, immer schön von dir als Übeltäter ablenken.

Irgendwie schaffte ich es vor die Disko und winkte einem Taxi zu. Ich ließ mich zu Jan fahren. Ich korrigierte mich, zu uns fahren. Ich wohnte nun seit einem halben Jahr bei Jan. Er war der große Zeitungsboss und ich eigentlich die kleine Angestellte am Empfang gewesen. Bis wir durch Zufall einmal zusammen im Aufzug stecken geblieben waren. Solche Dinge passierten nun mal immer mir. Mich hatte es daher nicht verwundert und ich war richtig ruhig geblieben. Jan dagegen, war wie ein gefangener Puma auf- und abmarschiert, bis ich ihn angeschnauzt hatte. Woher sollte ich auch wissen, wer er war? Ich arbeitete noch nicht lange in der Firma und wusste nicht, wie er aussah. War schon blöde, wenn ich am Empfang arbeitete und nicht wusste, wie der Boss aussieht. Nun ja, trotz alledem war mehr aus unserem Abstecher, äh Abhänger, im Fahrstuhl geworden.

Seit also einem halben Jahr wohnte ich bei ihm. In dem tollen Penthouse, wo man fast ganz München überblicken konnte. Ich arbeitete sogar immer noch am Empfang, auch wenn Jan dies nicht verlangte. Aber ich wollte mich auch nicht aushalten lassen.

Im Eingangsbereich wurde ich direkt von Peter, oder war es Franz, oder …, ach keine Ahnung wer es war, empfangen. Sie sahen doch alle gleich aus, die Portiers. Namen merken war aber ansonsten auch nicht meine Stärke. Noch ein Punkt, der gegen die Arbeit am Empfang sprach.

„Guten Abend Frau Sandner.“

„Nabend“, nuschelte ich und schob mich so leichtfüßig, wie ich konnte, Richtung Aufzug.

„Herr Träger ist noch nicht zu Hause.“

„Umso besser für sein Leben“, murmelte ich noch leiserer vor mich her.

„Wie bitte Frau Sandner? Ich habe sie leider nicht verstehen können.“

„Nichts, nichts. Und nun lassen Sie mich doch bitte einfach zu diesem beschissenen Aufzug gehen.“ Fuck, hatte ich das jetzt wirklich zu Franz-Peter gesagt? Ich dreht mich beim Laufen leicht zu ihm und….

„Vorsicht!“

Aber zu spät. Diese verdammten Blumen. Palmen. Diese Riesendinger halt. Ich versuchte noch meinen Schwung zu stoppen, indem ich mich am Stamm festhielt, aber irgendwie lief jetzt alles schief. Ich wäre eine miserable Gogo-Tänzerin. Gut, der Stamm der Palme war auch etwas anderes als eine Stange, aber mein Abgang sah total beknackt aus. Ganz bestimmt. Und die Palme saß auch nicht so bombig in ihrem Blumentopf, sondern ging gleich mit zu Boden. Da lag ich nun. Auf dem Rücken, wie ein Maikäfer, und auf mir die dicke Palme.

„Oh mein Gott. Haben Sie sich wehgetan Frau Sandner?“ Franz-Peter stand neben mir und zerrte an der Palme herum. Autsch, das Mistding pikste ganz schön.

„Passen Sie doch auf, sie spießen mich gleich mit dem blöden Ding auf“, fauchte ich daher F-P an.

„Entschuldigen Sie, ich habe es gleich.“

Und tatsächlich F-P hievte die Palme von mir herunter. Sah wirklich lustig aus, wie er sie so im Arm hielt. Dafür musste ich nun zusehen, wie ich alleine wieder hochkam. Ich drehte mich daher graziös, wie ich fand, auf alle Viere und stemmte mich am Palmenkübel hoch. Na bitte, ging doch. Mein vormals weißes Oberteil hatte zwar jetzt braune Flecke von der Erde, aber das machte jetzt auch nichts mehr.

Ich ließ F-P mit der Palme einfach stehen und torkelte zu den Aufzügen. Der Vorteil in diesem Nobelschuppen zu wohnen war, dass egal wann ich hierherkam, immer ein Aufzug schon unten auf mich wartete. Wie das funktionierte, wusste ich nicht, es war mir aber auch ehrlich gesagt, total schnuppe. Ich ließ mich geschafft an die verspiegelte Wand der Kabine sinken. Morgen durften die Putzfrauen hier was zu tun haben. Keiner von den Nobel-Popel-Leuten würde sich trauen, an den Spiegel zu packen. Noch nicht einmal die Kinder hier im Haus.

Mit einem Pling fuhren die Aufzugtüren auf und ich konnte direkt in unsere Wohnung hineinfallen. Jan hatte mir erklärt, wie das Prinzip war, dass nur er und ich und gewollter Besuch bis ganz nach oben fahren konnten, andere Leute aber nicht. Denn sonst würden die direkt in unserer Wohnung stehen. Die Erklärung dazu fiel mir aber jetzt in meinem vernebelten Kopf nicht mehr ein. Ich streifte die Ballerinas von den Füßen – wie gut, dass ich keine Pumps angezogen hatte – und ging schnurstracks auf das Sofa zu. Nur kurz hinsetzen, dann würde ich ins Bett verschwinden.

Kapitel 2

Was war das nur für ein lautes Geräusch? Und warum war mein Hintern so kalt? Wo war ich? Noch wichtiger, WER war ich?

„Guten Morgen mein Schatz!“

Ohhh, mein Kopf. Aua das war viel zu laut. „Hmmm“, brummte ich.

„War wohl ein heftiger Abend.“

„Hmmm“, immer noch bekam ich nicht mehr heraus.

„Sollte ich die Frage stellen, warum du keine Unterhose anhast?“

„Was…?“ Aua mein Kopf. Uhh, das war gar nicht gut. Ruckartig Aufrichten ging mal gar nicht. Ich ließ mich wieder vorsichtig auf das Sofa zurück sinken.

„Trink das.“

Jan hielt mir ein Glas mit einer sprudelnden Flüssigkeit hin. Ich vermutete eine aufgelöste Kopfschmerztablette.

Gierig trank ich das kalte süßliche Wasser.

„Und nun würde ich gerne wissen, warum du hier mit halb heruntergelassener Hose und ohne Slip auf dem Sofa liegst.“

Oh, ich hatte die Hose heruntergezogen? Was war nur passiert? Vorsichtig richtete ich mich auf und zog mir die Leggins hoch. Bruchstückhaft kamen die Erinnerungen wieder.

„Hmm, die Hose. Ich habe keine Ahnung, warum ich die Hose unten habe. Den fehlenden Slip dagegen, kann ich erklären. Gestern in der Disko…“

„Du hast in der Disko deinen Slip ausgezogen?“ Jan hob fragend seine Augenbraue.

„Ja, weil….“

„Möchte ich das WEIL wirklich hören?“

Ich überlegte kurz. Wollte er? Wollte ich es erzählen? „Nun ja, da war kein Toilettenpapier.“

Jan sah mich skeptisch an. „Was hat dein Slip mit fehlendem Toilettenpapier zu tun?“

„Ich musste mich doch abputzen!“

„Das bisschen Urin, hättest du doch, wenn nötig, in die Hose tröpfeln lassen können.“

„Ich habe aber nicht nur gepinkelt.“

„Du hättest doch warten können, bis jemand in die Toilette gekommen wäre. In der Disko gehen doch öfter welche aufs Klo.“

„Die Eine ist sofort geflüchtet, außerdem war es mir peinlich.“

„Warum geflüchtet?“

„Herrgott nochmal Jan. Ich hatte Durchfall. Ich habe mir die Seele aus dem Leib geschissen. Ich wäre fast selber an meinen Dämpfen erstickt und du bist daran schuld!“

In Jans Gesicht zuckte es. „Ich bin schuld?“

„Ja, weil ich wegen dir, mir fünf beschissene Tequila-Orange reingeschüttet habe und der Letzte war schlecht. Mensch Jan, das waren vielleicht Schmerzen.“

„Und was ist mit der Palme unten passiert?“

„Da ist F-P schuld. Wenn er mich nicht abgelenkt hätte…“

„Wer ist F-P?“

„Na, Franz-Peter.“

„Und wer ist Franz-Peter?“

„Der gestern Dienst hatte.“

„Ach du meinst Georg.“

„Na siehste, hört sich doch fast wie Franz-Peter an.“

„Was hat nun Georg mit der Palme genau zu tun?“

„Ich sagte doch, er hat mich abgelenkt und danach lag ich mit ihr auf dem Boden.“

Jans Wange zuckte immer mehr. Der Arsch würde doch jetzt nicht lachen. Ich sah ihn sauer an.

„Wage es dich. Ich habe gestern einen beschissenen Tag hinter mir.“

„Wortwörtlich“, murmelte Jan.

„Arsch, das habe ich gehört!“ Die Tablette wirkte endlich und ich konnte mich langsam erheben. „Ich gehe jetzt ins Bad. Ich brauche eine Dusche und muss mir dringend die Zähne putzen. Ich habe einen Pelz auf der Zunge, als ob ich die ganze Nacht am Teppich geleckt hätte. Bäh!“

Beim Weggehen meinte ich ein leises Lachen zu hören. Ich drehte mich zu Jan um, doch dieser hielt sich die Hand vor den Mund und hustete dezent. Schon klar, wollte der mich verarschen?

Grummelnd verschwand ich im Bad und schnappte mir meine Zahnbürste. Nach dem ausgiebigen Putzen fühlte sich meine Zunge ganz glatt an und der ätzende Geschmack war aus meinem Mund verschwunden. Danach ließ ich mich von dem schönen warmen Wasser aus der Dusche verwöhnen.

In einen Bademantel gewickelt und mit einem Handtuchturban, trat ich den Weg in die Küche an. Ich brauchte jetzt dringend Koffein. Jan hielt mir schon eine Kaffeetasse entgegen.

„Danke!“ Ich liebte den Geruch von Kaffee. Ohne mein Lebenselixier konnte ich nicht in den Tag starten.

Jan stand an die Küchenzeile gelehnt und beobachtete mich. Mir war klar, dass wir uns aussprechen mussten.

Seufzend stellte ich meine Tasse ab. „Ja, ich bin sauer auf dich. Nein, ich habe keine Dummheit deswegen angestellt. Dass mir der Tequila einen unverhofften Abgang bescheren würde, konnte ich nicht ahnen. Gut, und die Palme stand doof im Weg. Und F-P wollte ich auch nicht anmotzen.“

„Du hast Georg angemotzt?“

„Ich war besoffen. Ich kam aus einer Disko, in der ich mich eigentlich vergnügen wollte, stattdessen habe ich mir die Seele aus dem Leib … Na du weißt schon. Ich war mies drauf. Wegen dem Ganzen.“

„Es tut mir leid Nina.“ Jan zog mich an sich heran. „Ich möchte mich nicht mit dir streiten. Aber du musst auch verstehen, dass jetzt so kurz vor Weihnachten ein enormer Stress herrscht. Ich würde viel lieber mit dir in die Stadt gehen und Weihnachtseinkäufe tätigen und mit dir die Wohnung schmücken. Hab bitte Nachsicht mit mir, dass ich seit Jahren keine ernstzunehmende Beziehung hatte, mit der ich ein familiäres Weihnachtsfest feiern wollte. Daher hab ich die letzten Jahre auch immer am meisten an Weihnachten gearbeitet, damit andere sich für ihre Familien Zeit nehmen konnten. Es ist für mich etwas schwer, nun alle Aufgaben mit einem Mal abzugeben und umzuschichten.“ Er sah mich zerknirscht an.

„Ach, Jan. Ich verstehe das ja alles. Aber ich habe mich so sehr darauf gefreut. Bisher habe ich nur mit meinen besten Freunden zusammen gefeiert. Für mich ist es das erste Weihnachten mit einer neuen Familie. Ich möchte doch auch alles schön haben, wenn deine Eltern zu Besuch kommen.“

„Ich weiß Schatz und ich freue mich riesig, dass du dir solche Mühe gibst.“

Auf einmal sah mich Jan mit großen Augen an. „Mist, verdammter. Ich habe meine Eltern vergessen. Die wollen Morgen zum Adventkaffee vorbei kommen.“

Eins, zwei, drei … dann sprang ich auf. Für meinen Zustand waren drei Sekunden wirklich schnell, um zu reagieren. Während ich in das Schlafzimmer hastete, ging ich schon die Einkaufsliste durch. Ich zog mir die Unterhose hoch – Adventskranz -, BH und Socken an – Weihnachtsdeko -, ich zog mir Shirt und Pulli über den Kopf – Backzutaten - , jetzt musste ich nur noch die Jeans zuknöpfen – fuck, Wohnung putzen -. Im Eiltempo wollte ich gerade auf die Aufzugstür zu rennen, als mich Jans Räuspern aus dem Bad ablenkte.

Er wedelte mit dem Fön und ich griff mir an die noch feuchten Haare. Mist, ich wäre jetzt wirklich eiskalt so rausgerannt. Ich stürmte ins Bad und nahm Jan den Fön ab.

Das „Danke“ von mir, ging im Föngebläse unter. Zum Glück hatten meine Haare nur Kinnlänge, so dass ich schnell mit Föhnen fertig war. Auf Makeup verzichtete ich heute, dafür war nun wirklich keine Zeit mehr.

In Windeseile schoss ich wieder Richtung Fahrstuhl. Davor stand schon Jan mit meinen Stiefeln, meinem Mantel und der Handtasche in der Hand. Wahrscheinlich wäre ich ohne alles nach draußen gerannt und hätte dann total blöde in der Halle gestanden. Ein gefundenes Fressen für F-P. Aber Moment, der Kerl müsste heute frei haben. Immerhin hatte er die Nachtschicht übernommen.

Ich schlüpfte in Schuhe und Mantel und griff nach meiner Tasche. „Gehst du mit?“ Ich schaute Jan von der Seite an.

„Klar.“

Die Fahrstuhltüren öffneten sich und wir stiegen zusammen ein.

„Dich kann ich doch nicht alleine weglassen. Nicht, dass du mir nachher noch die anderen Palmen niederreißt, oder drin hockst und Georg einen Herzinfarkt bekommt.“

Empört zog ich die Luft ein und holte mit meiner Tasche aus. Gerade als ich ihm diese über den Kopf zog, öffneten sich die Fahrstuhltüren und uns schaute geschockt eine Familie an.

„Mama, warum schlägt die Frau den Mann?“

„Psst, Schatz. Lass uns ruhig einsteigen.“

Das Teufelchen auf meiner Schulter klatschte in die Hände. Ich konnte einfach nicht anders. „Der böse Onkel hier, hat mich unsittlich angefasst.“

Damit ging ich locker neben Jan weiter in die Eingangshalle hinein. Ich hörte noch, wie die Kleine, „Mama, was bedeutet unsittlich?“ ihre Mutter fragte, dann schlossen sich die Aufzugtüren.

„Du kleines Biest!“

„Strafe muss sein, mein Schatz.“ Ich grinste in mich hinein.

Drei Stunden hatten wir mit Einkaufen verbracht. Deko, Zutaten für die Kekse und sogar schon einige Geschenke waren nun in den Tüten verstaut. Jan war die ganze Zeit ohne Murren an meiner Seite geblieben und hatte Packesel gespielt.

Zu Hause angekommen, stürze ich direkt in die Küche.

„Kannst du mir bitte die Tüten mit den Lebensmitteln bringen?“ Während ich in den Schränken nach Schüsseln und Küchenmaschine kramte, stellte mir Jan die gewünschten Tüten auf die Küchentheke.

„Ach, und mach doch gleich noch Weihnachtsmusik an.“ Während ich im Schrank nach dem Spritzbeutel suchte, hob ich die freie Hand. „Ich rate dir, keinen Mucks von dir zu geben.“

Ich kannte Jan genau. Weihnachtsmusik war eigentlich gar nichts für ihn.

Nachdem ich alle Utensilien für das Plätzchenbacken zusammen getragen hatte, erklang leise aus den Lautsprechern sanfte Weihnachtsmusik. Natürlich gab es in der Küche auch ein Boxensystem, welches über die Anlage im Wohnzimmer geschaltet werden konnte, oder über Jans Smartphone. Natürlich waren die technischen Dinge hier im Appartement toll, aber mir würde auch eine kleine süße Wohnung mit zusammengewürfelten Möbeln reichen. Ich kam aus einem kleinen Dorf und meinen Eltern gehörte ein kleiner Bauernhof. Sie betrieben zwar keine Landwirtschaft mehr und auch Tiere gab es kaum noch, doch den Hof würden sie nie aufgeben. Auch wenn ich mich vor einiger Zeit dazu entschlossen hatte, in die Großstadt zu ziehen, damit ich hier einen Beruf ausüben konnte – und wenn es nur am Empfang der hiesigen Zeitung war – so fehlte mir unser Dorf doch sehr.

Meine Lehre als Bürokauffrau hatte ich im Nebenort machen können, allerdings war keine freie Stelle vorhanden, so dass sie mich nicht hatten übernehmen können. Auch in den anderen Firmen gab es keine freie Stelle. So war ich mutig nach München gezogen. Meine Eltern hatten mich am Anfang mit ein wenig Geld unterstützt, damit ich mir eine kleine Wohnung leisten konnte.

Nun aber stand ich in dieser riesengroßen, noblen und modernen Küche. Leise Musik rieselte aus den Lautsprechern und auf der riesigen Arbeitsfläche lagen meine Zutaten für die Weihnachtsbäckerei.

„Ich habe dir schon den Backofen eingeschaltet“, rief mir Jan aus dem Wohnzimmer zu. Auch dieser ließ sich mit dem Smartphone bedienen. Ich zweifelte auch nicht daran, dass der Kühlschrank seinen Inhalt selbst per Internet ordern konnte.

„Würdest du bitte schon aufräumen … ?“ Weiter kam ich nicht, denn Jan unterbrach mich sofort.

„Ich bin schon dabei. Back du die Plätzchen und überlass mir den Rest!“

Ich zog mir mein Smartphone aus der Hosentasche und suchte nach den Rezepten, die mir erst letztens meine Mutter per E-Mail geschickt hatte. Dann ging ich gutgelaunt an die Arbeit. Auch wenn man es nicht von mir dachte, aber ich liebte Backen. Kochen nicht so wirklich, da verbrannte mir schon einmal der Braten, aber Backen war ein Traum. Kuchen, Cupcakes, Muffins und auch Kekse. Eigentlich war mein heimlicher Traum immer noch ein süßes kleines Café zu eröffnen. Aber dafür fehlte mir das Kapital. Außerdem war in der Großstadt das Angebot schon so übersättigt, dass mir auch keine Bank der Welt einen Kredit geben würde. Und Jan würde ich auf keinen Fall fragen.

Leise vor mich hin summend, wog ich die Zutaten ab, mischte alles zusammen, knetete den Teig durch und stach dann die Kekse aus. Ein Blech nach dem anderen wanderte in den Backofen und wieder hinaus. Meine Weihnachtsbäckerei war in vollem Gang. Nach dem Backen erhielten meine Kekse noch verschiedene Verzierungen. Nun waren sie fast zu schade, um sie noch zu essen. Das war etwas, was ich ohne irgendwelche Pannen hinbekam.

„Wow Nina, die sehen fantastisch aus.“ Jan hielt einen Keks ehrfürchtig in der Hand.

„Probier ihn. Ich habe die Kekse nicht zum Anschauen gebacken.“

„Mmmmh, lecker“, nuschelte Jan mit vollem Mund.

„Deine Kekse sind traumhafte Kreationen. Die Küche dagegen, hat ein albtraumhaftes Aussehen.“

Erstmals nach dem Backen nahm ich die Umgebung wahr. Gut, die Kekse waren wirklich ohne Pannen entstanden, die Küche dagegen sah wie ein Schlachtfeld aus.

„Ok, Nina. Du verschwindest aus der Küche und widmest dich der Deko. Ich werde die Küche aufräumen.“

„Aber ich habe doch die ganze …“

„Raus hier!“

Das ließ ich mir natürlich nicht zweimal sagen. Jan hatte mir die Tüten mit den Weihnachtssachen auf das Sofa verfrachtet und so konnte ich mich nun hier weiter austoben. Nach nicht mal einer halben Stunde strahlten die Lichterketten, die kleinen Engelchen und der riesige Adventskranz um die Wette. Anscheinend war Jan in der Küche auch schon fertig, denn er trat zu mir und schaute sich mit skeptischem Blick um.

„Meinst du nicht, dass dies ein wenig zu viel des Guten ist?“

„Ich finde es genau richtig. Es verbreitet eine tolle Weihnachtsstimmung.“

„Wenn du meinst …“

Jan trat an die Anlage und schaltete die Musik aus.

„Dann darf ich jetzt aber noch ein wenig TV schauen?!“

„Ja mach ruhig. Ich werde mich langsam mal in das Bett begeben. Die letzte Nacht war für mich doch ein wenig zu kurz.“

Jan gab mir noch einen kurzen Kuss und versank dann in den Börsenbericht. Ich würde jetzt lieber Das letzte Einhorn, oder Drei Haselnüsse für Aschenbrödel schauen. Das würde jetzt viel besser zu Weihnachten und auch zu meiner feierlichen Stimmung passen. Allerdings verflüchtigte diese sich langsam, nachdem ich noch einen kurzen Blick auf den TV geworfen hatte.

Dann ging ich doch lieber ins Bett, als neben Jan die Börsenkurse, Aktien und was weiß ich noch, anzuschauen. Dabei würde ich wieder nur einschlafen und mit Rückenschmerzen nachts aufwachen. Jan war dann längst im Bett. Er hatte sich immer noch nicht angewöhnt, dass wenn er dann ins Bett ging, mich zu wecken und mitzunehmen. Stattdessen wurde ich dann wach und lag ohne Decke auf der Couch und fror, während Jan wohlig im Bett nebenan im Schlafzimmer schlief.

Daher würde ich jetzt lieber ins Bett gehen. Während ich mich im Bad abschminkte, dachte ich mit Bangen an den nächsten Tag. Wie würden Jans Eltern auf mich reagieren? Wie würden sie generell sein? Das war das erste Zusammentreffen mit ihnen und das obwohl ich schon einige Zeit mit Jan zusammen war. Ich fragte mich schon die ganze Zeit, warum ich sie in den letzten Monaten noch nicht kennengelernt hatte. Jan war nicht wirklich mit der Sprache rausgerückt. Immer gab es nur Ausflüchte. Sie seien viel eingespannt, viel unterwegs … Bla, bla, bla – mehr war das nicht. Ob er mich vor seinen Eltern geheim gehalten hatte, oder sie mich nicht kennenlernen wollten, wusste ich nicht. Ich würde es aber sicher morgen in Erfahrung bringen.

Mit diesen letzten Gedanken kuschelte ich mich unter die Decke und war kurze Zeit später eingeschlafen.

Kapitel 3

Was war denn das für ein Schrillen? Heute war doch Sonntag, der Wecker konnte es nicht sein. Noch einmal erklang das schrille Klingen und ich fuhr im Bett hoch. Jan lag nicht mehr neben mir. Er musste schon zum Aufzug gegangen sein und hatte wohl nachgeschaut, wer da kam. Das Schrillen war nämlich unsere Wohnungsklingel. Wollte jemand ohne Zugangsberechtigung zu uns in das Penthouse, so wurde dies durch das Klingeln angezeigt. Über eine Kamera konnte man direkt sehen, wer im Aufzug wartete. Entweder gab man seine Genehmigung, oder man konnte mit einer Gegensprechanlage Kontakt aufnehmen.

Ich sah auf den Wecker neben mir. Gerade mal 10 Uhr morgens. Am Wochenende schliefen wir gerne schon mal bis mittags. Ich stemmte mich aus dem Bett und schlurfte noch recht verschlafen in den Wohnraum. Ich hatte ein T-Shirt an, was mir bis zu den Knien reichte. Ich liebte solche langen gemütlichen Schlabbershirts zum Schlafen. Mein brauner, kinnlanger Bob stand sicher wieder in alle Himmelsrichtungen ab. Auch wenn er ansonsten pflegeleicht war, nach dem Schlafen sah ich immer aus, als ob nachts irgendwelche Vögel versucht hatten, Nester darin zu bauen.

Gerade als ich mich genüsslich reckte und ein herzhaftes Gähnen zu hören war, betrat Jan mit noch zwei weiteren Personen das Wohnzimmer.

„Guten Morgen“, gähnte ich.

Der Mann, der bei Jan stand, taxierte meine langen schlanken Beine. Was ein Spanner, dachte ich mir. Die Frau dagegen, schaute mich mit zusammengekniffenen Augen an. Die Lippen waren fest aufeinander gepresst. Ach, was eine frigide Zicke, schoss es mir bei ihrem Anblick durch den Kopf.

„Schatz, darf ich dir meine Eltern vorstellen?“

Ich erstarrte mitten im Strecken, mein Mund stand noch auf. In dem Moment gab ich sicher das perfekte Bild für ein Magazin ab. Eins, was über verzweifelte arme Frauen berichtete. Mit dem Bild würde mein Spendenkonto für die erbärmlichste Frau auf Erden im Nu überschwellen.

Nur stand ich jetzt hier vor meinen Schwiegereltern in spe. Jetzt sicher ganz weit in speeee. Ich ließ die Arme sinken und machte ein paar unbeholfene Schritte in Richtung seiner Eltern.

„Am besten ziehen Sie sich erst einmal etwas an, bevor Sie uns begrüßen.“ Eine eiskalte Dusche war gegen die Stimme von Jans Mutter heißes Wasser. Ihr Blick schickte noch Eisblitze hinterher.

„Bin sofort wieder da“, nuschelte ich und verschwand blitzschnell im Schlafzimmer. Scheiße, das war jetzt aber gehörig schief gegangen.

Ich kramte im Schrank nach Nylonstrumpfhose, einem schwarzen Rock und eine weiße, figurbetonte Bluse. In Rekordzeit duschte ich mich, föhnte mir die Haare, legte ein dezentes Makeup auf und schlüpfte in die bereitgelegten Anziehsachen. Mist, die Pumps befanden sich natürlich nicht im Schlafzimmer. Warum musste Jan auch so verdammt ordentlich sein? Schuhe gehörten bei ihm in den Schuhschrank, der sich im Eingangsbereich befand. Dafür musste ich aber am Wohnzimmer vorbei. Entweder nur in Strumpfhose, oder in meinen Hauspuschen, stilecht im Zombielook.

Die konnte ich auf keinen Fall anziehen, da würde Jans Mutter doch gleich in Ohnmacht fallen. Wobei wahrscheinlich jeder Zombie, sollte mal eine Seuche ausbrechen, in ihrer Gegenwart Selbstmord begehen würde. Autsch, das waren aber gemeine Gedanken. Dabei hatte ich sie noch gar nicht richtig kennengelernt.

Ich entschied mich, die Schlappen auszulassen und leise Richtung Eingang zu schleichen. Vielleicht hatte ich Glück und sie standen gerade mit dem Rücken zur Tür. Ich wagte mich also Richtung Aufzug, als ich in Höhe des Wohnzimmers durch die Stimme von Jans Mutter abgelenkt wurde.

„Ich bin wirklich schwer enttäuscht mein Sohn. Wir waren zum Brunch verabredet und nichts ist vorbereitet. Diese Frau hat einen sehr schlechten Einfluss auf dich.“

„Sybille, es tut mir leid“, hörte ich Jan sagen. Er nannte seine Mutter Sybille? Ich blieb stehen und musste dem Gespräch lauschen. Und der Spruch, der Lauscher an der Wand, hört seine eigene Schand, sollte nun mit voller Wucht über mich hereinbrechen.

„Warum warst du heute noch nicht in der Firma? Überhaupt die letzten Wochenenden hast du dich dort sehr rar gemacht!“ Sein Vater war anscheinend hierüber aufgebrachter, als dass wir – nö, nicht wir, sondern Jan – den Brunch vergessen hatten. Hätte ich davon gewusst, hätte ich mir doch einen Wecker gestellt. Aber alles hätte half jetzt nicht weiter.

„Nina wollte mit mir mehr Zeit verbringen. Gerade jetzt vor Weihnachten.“

„Sohn, da lässt du dir so schnell von ein paar dürren Beinen den Blick vernebeln? Die Firma wird dich ein Leben lang begleiten, diese Nina dagegen, wird sicher nicht lange an deiner Seite bleiben. Wenn eine Frau jetzt schon solche Einschnitte von dir verlangt, wird dass, wenn ihr länger zusammen seid, nicht besser werden. Junge, lass dich doch nicht von einer Frau so unterbuttern. Deine Mutter stand und steht immer hinter mir. So eine Frau brauchst du auch.“

„Aber ich liebe Nina, Heinrich.“

„Papperlapapp, das ist nur ein Strohfeuer. Sie sieht ganz hübsch aus, aber du brauchst, um weiter erfolgreich zu sein, eine ganz andere Art von Frau an deiner Seite. Sie wird dir nie den Rücken so frei halten, wie ich das bei deinem Vater tue. Aber deine Cousine wäre eine perfekte Kandidatin. Die habe ich übrigens zu Weihnachten zu uns eingeladen. Du wirst natürlich auch dabei sein. Eine Nina ist aber nicht vorgesehen.“

Ich hielt den Atem an. Das war ja wohl … mir fielen schon gar keine Wörter mehr dafür ein. Was bildeten sich seine Eltern eigentlich ein? Die ganze Situation war total grotesk. Jan sprach seine Eltern mit den Vornamen an, seine Eltern fanden mich beide total scheiße und Jan hatte sich bisher sehr zurück gehalten. Ich wartete also mit angehaltenem Atem, ob er nun endlich auf Gegenwehr gehen würde und mich verteidigen würde.

„Ich werde Nina auf keinen Fall in den Wind schießen.“

Ha, da kam der Gegenangriff, weiter so!

„Ich muss mir aber eine plausible Erklärung einfallen lassen, warum sie nicht mit zu euch zum Weihnachtsessen kommen kann. Wenn ihr meint, ich soll meine Cousine besser kennenlernen, dann sicher ohne Nina.“

Zitternd ließ ich den Atem wieder entweichen. Was war das jetzt? Ich konnte es nicht fassen, was ich hier hörte. Auf der einen Seite wollte er mich warm halten, auf der Anderen aber seine Cousine treffen – ohne mich. So etwas würde ich nicht mit mir machen lassen.

Kopflos rannte ich ins Schlafzimmer, zog meine Koffer vom Schrank herunter. Laut polternd kamen sie neben mir runter. Ich riss die Schranktüren auf und fing an, meine Sachen einzupacken. Lautlos liefen mir die Tränen über die Wange. Es schmerzte so sehr. Ich dachte Jan würde mich lieben. Dieses verdammte Arschloch.

„Nina, was ist hier los?“

Ich fuhr herum und sah Jan mit tränenverhangenem Blick an.

„Verpiss dich.“

Er kam auf mich zu. „Nina, rede mit mir. Was ist los?“

„Ich sagte, verpiss dich!“

Jan stand vor mir und wollte gerade nach meinen Händen greifen, als ich nun meinerseits ihn mit eiskaltem Blick ansah. „Fass mich an und ich breche dir jeden einzelnen Finger.“ Meine Worte kamen zischend heraus. Ich fühlte mich mittlerweile wie ein Eisblock.

„Shit, du hast das Gespräch im Wohnzimmer mit angehört. Es ist nicht so, wie du es verstanden hast Nina.“

Wollte der mich jetzt verarschen?

„Jan, ich bin weder taub, noch blöd. Hol jetzt bitte meine Sachen aus dem Wohnzimmer, die mir sind, dann werde ich verschwinden.“

„Nina, lass uns doch über alles vernünftig reden.“

„Du kannst mich mal am Arsch lecken Jan! Hol meine Sachen, habe ich gesagt. Wir werden jetzt nicht darüber reden, und in Zukunft auch nicht. Ich brauche keinen Mann, der nicht hinter mir steht. Der vor allen Dingen nicht zu mir steht!“

„Nina, nun warte doch mal. Lass uns… autsch, was soll das?“

Jan rieb sich das Schienbein. Ich hatte nun wirklich die Nase voll. Ich musste hier raus. Auf keinen Fall würde ich mir die Blöße geben und vor ihm, oder seinen Eltern, heulen.

„Was ist denn hier los?“

Seine Eltern standen nun auch noch in der Tür.

„Sie scheinen doch nicht von gestern zu sein. Nach was sieht es denn aus?“, antwortete ich nicht gerade freundlich.

„Sie packen?“

„Ganz genau!“

„Sie ziehen aus?“

„Wow, Sie sind ja richtig gut.“

„Nina, nun warte doch. Wir können doch über alles reden. Du musst doch nicht gleich deine Sachen packen.“

Ich drehte mich wieder zu Jan um. „Jan, falls du dich erinnern kannst, hatten wir dieses Thema zu Anfang, als ich bei dir eingezogen bin. Warum wohl habe ich mich so lange dagegen gewehrt? Aus diesen Gründen Jan. Eben weil ich geahnt habe, dass andere unsere Beziehung nicht gutheißen und du dann nicht zu mir stehst. Ich habe dir damals gesagt, dass du dir wirklich sicher sein sollst. Das bist du nicht und ich ziehe sofort meine Konsequenzen. Ich muss mich nicht so hintergehen lassen.“

Ich holte tief Luft, drehte mich wieder zu meinen Koffern und packte weiter.

„Konsequent sind Sie, das muss man Ihnen lassen.“ Jans Vater schaute mir anerkennend beim Packen weiter zu.

Ich ignorierte ihn und wandte mich wieder an Jan. „Würdest du jetzt bitte die restlichen Sachen holen? Ich möchte los, die Fahrt ist weit.“

„Du willst jetzt nach Hause fahren?“

„Ja natürlich. Ich werde mir sicher jetzt kein Hotelzimmer nehmen und die Vorweihnachtszeit dort verbringen. Übrigens Jan, hiermit kündige ich auch. Sofort und auf der Stelle.“

„Du hast aber eine Kündigungsfrist …“

„Du bestehst nun wirklich auf die Kündigungsfrist?“

Jans Vater mischte sich wieder ein. „Ich würde einen Auflösungsvertrag vorschlagen, der auf Montag datiert ist. Die Personalabteilung kann Ihnen diesen zuschicken. Am besten wäre per Fax, damit Sie ihn zügig unterschreiben können.“

„Ich gebe Montag die Faxnummer meiner Eltern an die Personalabteilung weiter.“ Ich musste mich Räuspern. „Und vielen Dank.“

„Wissen Sie Frau Sandner, man muss Ihnen ja nicht noch Steine in den Weg legen.“

Jan war unterdessen meine restlichen Sachen aus der Wohnung holen gegangen und ich stand nun fertig bepackt im Schlafzimmer. Er hielt mir die Stiefel hin.

„Nina…“

„Lass gut sein Jan. Es hat keinen Sinn. Irgendwie habe ich es von Anfang an geahnt.“

Ich zog mir Stiefel und Mantel an. Dann schnappte ich mir meine Handtasche und den erstbesten Koffer, der neben mir stand.

„Lass Nina, das werde ich dir zum Wagen bringen lassen.“

„Danke.“

Ich ging an Jans Eltern mit erhobenem Kopf vorbei, nahm meinen Trolley, den man leicht ziehen konnte und verschwand zum Aufzug. Ohne Umwege fuhr ich in die Tiefgarage und stiefelte zu meinem kleinen, alten Opel Corsa. Puh, das würde mit den Koffern ganz schön eng werden, aber der kleine Wagen würde das schon packen und ich auch!

Neben mir erschienen Jan und F-P, die meine Koffer und einige Taschen dabei hatten.

„Soll ich dir noch helfen?“

„Nein. Das schaffe ich schon alleine. Fahr du wieder zu deinen Eltern hoch.“

„Wollen wir nicht nochmal über…“

„Wie oft noch?“, unterbrach ich ihn. „Wirklich, lass es gut sein.“

„Das hab ich nicht gewollt.“ Er zog den Kopf ein und ging weg.

Ich drehte mich zu dem Haufen an Koffern um und wäre am liebsten jetzt schon verzweifelt darauf heulend zusammengebrochen. Ein Räuspern riss mich zum Glück aus dieser Schmach.

„Frau Sandner, wenn ich Ihnen behilflich sein darf?“ F-P hatte mich also nicht verlassen.

„Würden Sie das wirklich? Ich meine, nach dem Desaster am Freitagabend…“

„Das war doch kein Desaster. Und nun lassen Sie mich die Koffer einpacken, dann müssen Sie nicht länger hier in der Kälte stehen.“

Geschickt und wirklich schnell, ließ der Portier die Koffer in den kleinen Corsa verschwinden. Kofferraum, und Rücksitzbank waren allerdings voll beladen. Aber es passte wirklich alles hinein.

„Vielen, vielen Dank!“

„Nichts zu danken. Ich wünsche Ihnen eine angenehme Fahrt und fahren Sie bitte vorsichtig.“

Ich wusste nicht was mich antrieb, aber ich musste F-P umarmen. Als ich ihm noch einen dicken Schmatzer auf die Wange drückte, war es ihm sichtlich unangenehm.

„Und Sie, bleiben so wie Sie sind. Auch wenn Sie ein wenig zugeknöpft herüberkommen.“ Ich grinste nun wieder. Dann schwang ich mich hinter das Lenkrad und fuhr in den Sonntagsverkehr von München hinaus. Hier würden mich jetzt keine zehn Pferde mehr halten. Nun ging es also doch wieder in die Heimat.

Ich fädelte mich auf die Autobahn ein und nachdem ich meine Reisegeschwindigkeit erreicht hatte, wählte ich per Kurzwahltaste die Nummer meiner Eltern.

Natürlich hatte ich mein Handy in der Freisprecheinrichtung. Bei meinem Pech würde mich sonst sofort eine Polizeikontrolle erwischen.

„Sandner?“

„Hallo Mama, Nina hier.“

„Oh hallo Schatz. Alles in Ordnung? Ich hoffe, du möchtest jetzt nicht für Weihnachten absagen?“

„Nein Mama, ganz im Gegenteil. Ich bin auf dem Weg zu euch. Steht mein Zimmer noch frei?“

„Aber natürlich mein Schatz. Ich werde das Bett gleich frisch beziehen. Fahr bitte vorsichtig!“

„Danke Mama, du bist die Beste. Bis nachher.“

Meine Mutter war wirklich die Beste. Sie fragte nicht nach, was los war. Sicher ahnte sie es, aber sie war so taktvoll, gerade am Telefon nicht damit anzufangen.

Ich dreht das Radio lauter und gab Gas. Mit sagenhaften 100 km jagte ich über die Autobahn. Ich seufzte. Ich kroch natürlich und die Fahrt würde verdammt lange dauern.

Kapitel 4

Ich versuchte, mich so geschickt als möglich zu strecken. Ich war jetzt 6 Stunden unterwegs und es war nicht mehr weit bis zu unserem kleinen Dorf.

Vor zwei Stunden hatte allerdings dichter Schneefall eingesetzt und ich kroch nun wirklich vor mich hin. Das letzte Stück der Strecke kannte ich zwar auswendig, trotzdem musste ich vorsichtig fahren. Mittlerweile lag eine dicke Schicht Schnee und wie erwartet, war hier bei uns im Hinterland kein Winterdienst unterwegs.

Die letzten Kilometer standen nun bevor. Diese musste ich den Berg hinauf schaffen, wo unser Dörfchen lag. Eigentlich musste ich es nicht schaffen, sondern mein armer altersschwacher Corsa. Bisher kämpfte er sich unermüdlich die kurvige Straße hinauf.

Ich konnte kaum noch die Hand vor Augen erkennen. Die Scheibenwischer arbeiteten unermüdlich und ohne mich hätte es mein Autochen sicher nach Hause geschafft. Aber ich saß immer noch hinter dem Lenkrad. Und das war fatal. Die letzte Kurve nahm ich zu euphorisch und Klein-Corsa kam ins Schlittern. Meine Winterreifen waren nicht mehr die Besten. Hatte ich den Wagen in München fast nie gebraucht, so wurde es mir nun zum Verhängnis. Hektisch bemüht, versuchte ich gegen zu lenken, doch der Wagen schob sich unermüdlich Richtung Graben.

Ein Ruck fuhr durch das Auto. Nun war ich also kurz vorm Ziel vom Weg abgekommen. Ich versuchte, nochmal Gas zu geben, aber der Motor heulte nur auf und die Räder drehten durch. Auch das Einlegen des Rückwärtsganges und schubweises Gasgeben halfen nicht. Ich saß im Graben fest.

Frustriert ließ ich meinen Kopf auf den Lenkrad herabsinken. Ich drehte den Zündschlüssel und der Motor verstummte. Eigentlich hätte ich wissen müssen, dass es erst der Anfang einer Reihe von Pannen war. Denn eine Panne alleine gab es bei mir nicht. Ich saß nun einige Hundert Meter vom Dorf entfernt, mitten im Graben. Mit ein wenig Vorstellungskraft konnte ich sogar die Dächer durch das dicke Schneetreiben erkennen.

Ich nahm mein Handy aus der Halterung, um meine Eltern anzurufen. „Nein“, murmelte ich. Und dann lauter, „verdammt nochmal, das darf jetzt nicht wahr sein!“

Ich hatte genau an der einen einzigen Stelle meine Panne, an der kein Handynetz vorhanden war. Sozusagen ein Funkloch auf dem Berg. Genau an dieser Stelle war unser Bermudadreieck.

Somit blieb mir nichts anderes übrig, als das letzte Stück zu laufen. Oder wenigstens so weit, wie ich wieder Handyempfang hatte. Ich sah nicht gerade erfreut nach draußen in die dichten und großen Schnellflocken. Frau Holle gab jetzt wirklich alles und ich war mir sicher, da halfen noch ein paar Azubis mit.

Ich griff nach meinem Mantel auf dem Beifahrersitz, zwängte mich im Auto schon hinein und drückte gegen die Fahrertür. Ich drückte nochmal. Und noch einmal, bis ich mir eingestehen musste, dass die verdammte Tür nicht aufging.

Ich massierte mir die Schläfen und atmete ruhig ein und aus. Ich schob mich auf die Knie und Richtung Beifahrertür. Hoffentlich ging diese auf. Während ich im Vierfüßlerstand unbeholfen versuchte, die Tür zu öffnen, klopfte es. Ich bekam einen riesen Schreck, Bilder von Massenmördern mit Äxten in der Hand, abgetrennten Köpfen und ganz viel Blut, schossen mir Kinomäßig durch meinen eigenen Kopf. Ich schrie und bäumte mich auf. Als mein Kopf gegen den Himmel des Autodaches stieß, wurde mein Schrei zu einem Wimmern und Stöhnen. Während ich mir mit der linken Hand den Kopf hielt, riss ich mit der rechten Hand beherzt den Rückspiegel ab – der sowieso schon lose war – und drehte mich auf dem Sitz so gut es ging zum Klopfgeräusch hin.

Kampfbereit hielt ich den Spiegel in der Hand, als ich das Gesicht am Fahrerfenster sah. Mein Wimmern wurde wieder zu einem Schrei und vor lauter Angst schmiss ich den Rückspiegel – ich gebe zu, absolut gedankenlos – Richtung Seitenscheibe. Natürlich ging diese nicht zu Bruch, aber das Gesicht verschwand von der Scheibe. Draußen erklang ein Brüllen und nun wurde an der Fahrertür gerissen. Mein Schreien war in ein Jammern übergegangen und ich versuchte mich rückwärts über den Schaltknüppel Richtung Beifahrersitz zu schieben.

Die Fahrertür wurde nun aufgerissen, die Schneeflocken flogen sofort hinein und ich schmiss mich mit einem spitzen Schrei nach hinten. Schemenhaft sah ich die Gestalt näher kommen und trat zu.

„Verdammt noch mal, sind Sie verrückt?“, brüllte die Gestalt. „Wollen Sie mich kastrieren?“

Oh Mist, die Stimme kannte ich doch. Den Schmerz ignorierend und versucht, möglichst meine Stimme unter Kontrolle zu bekommen, fragte ich, „Daniel?“

Ein Kopf tauchte nun vorsichtig an der offenen Tür auf. „Nina, bist du das?“

„Ja“, gab ich kleinlaut zu.

„Wolltest du mich gerade entmannen, oder was war das für eine Aktion?“

Ich schämte mich jetzt wirklich. „Nein, aber als ich hier liegenblieb und dann das Klopfen … ach Menno, ich habe da an den Kopfmörder gedacht.“

Daniel schob sich nun weiter in mein Auto hinein und hielt mir die Hand hin. „Das sind Kindergeschichten gewesen. Du weißt doch, dass dies jedem Jugendlichen hier erzählt wurde – vor allen Dingen den Mädchen – damit sie nicht nachts unterwegs waren.“

Das wusste ich natürlich, aber meine Nerven lagen nun mal blank. Nach all dem Mist, brach ich nun in Tränen aus. Der Schmerz, den ich die ganze Zeit verdrängt hatte, kam nun mit voller Wucht an.

„Scheiße Nina, so war das nicht gemeint.“

Daniel zog mich aus dem Wagen heraus und nahm mich in den Arm. Seine Wachsjacke fühlte sich unangenehm kalt und nass an und doch tat es gut, dass mein alter Jugendfreund mich fest im Arm hielt und ich an seiner Schulter Rotz und Wasser heulen konnte.

„Was ein beschissener Tag“, schniefte ich und löste mich langsam aus Daniels Umarmung.

„Komm, ich nehme dich mit ins Dorf und liefere dich bei deinen Eltern ab.“

Auf der Straße stand der große Range Rover, den Daniel schon lange besaß.

„Könntest du vielleicht mein Gepäck noch…?“

„Steig schon einmal ins Auto ein, ich kümmere mich darum.“

Auf zittrigen Beinen ging ich zu Daniels Auto und stieg ein. Der Motor lief noch und es war mollig warm. Erst jetzt bemerkte ich, dass die kurze Zeit draußen ganz schön kalt gewesen war.

Der Kofferraum wurde geöffnet und die ersten zwei Koffer wurden von Daniel hineingehoben.

„Puh, was schleppst du denn so viel Gepäck mit? Man könnte meinen du würdest hierher ziehen.“ Er grinste mich über die Koffer hinweg von hinten an.

Ich hatte mich auf dem Sitz nach hinten gedreht und spielte nun mit einer Haarsträhne.

„Hups, du scheinst wirklich hierher zu ziehen?“

Auch wenn ich schon einige Jahre nicht mehr hier wohnte, so kannte er die Geste noch von früher. Immer wenn er mit einer Vermutung richtig lag, fing ich unbeholfen an, mit meinem Haar zu spielen. Sogar, als ich die Haare mal rappelkurz gehabt hatte, war dieser Tick nicht verschwunden.

„Ich frage jetzt lieber nicht weiter nach.“

Ich war wirklich froh, dass mich Daniel hier draußen gefunden hatte. Nachdem er das letzte Gepäckstück in seinem Auto verstaut hatte, fuhren wir schweigend zum Dorf. Wie ich es von früher her kannte, war die große Tanne schon geschmückt und das goldene Licht im weißen Schneefall sah einfach traumhaft aus.

Daniel hielt vor dem kleinen Fachwerkhaus meiner Eltern an und ging gleich ans Heck, um die Koffer auszuladen. Während ich noch auf das Haus zuging, wurde schon die Haustür aufgerissen und meine Mutter kam mir entgegen.

„Schatz, wir haben uns schon Sorgen gemacht. Und warum bist du mit Daniel hier? Wo ist dein Auto?“

Hatte sie heute Mittag keine Fragen gestellt, so prasselten diese jetzt auf mich ein.

„Mara, lass unsere Tochter doch erst einmal reinkommen.“

Mein Vater trat an uns heran und nahm mich in den Arm. „Willkommen zu Hause mein Kind.“

Auch mit 25 Jahren war ich immer noch ihr kleines Mädchen. Während mich mein Vater zusammen mit meiner Mutter ins Haus schob, half er Daniel dabei, die Koffer auszuladen.

„Danke Daniel. Möchtest du noch mit reinkommen und dich aufwärmen?“

„Nein Danke Helmut. Ich werde Ninas Auto noch aus dem Graben ziehen, danach müssen meine Tiere versorgt werden.“

Ich trat noch einmal in den Flur, um mich bei Daniel zu bedanken. „Ohne dich wäre das heute ein langer kalter Weg geworden.“ Ich umarmte ihn und ging dann wieder mit meiner Mutter in die Wohnstube. Meine Eltern hatten das Fachwerkhaus vor einigen Jahren gekauft und liebevoll renoviert. Ich würde mein altes Zimmer beziehen. Auf Dauer war das nichts, aber für den Übergang sicher die beste Lösung.

„So Nina. Nun erzähl uns doch bitte was vorgefallen ist.“ Meine Eltern setzten sich zu mir auf die große kuschelige Couchgarnitur und warteten ab, dass ich ihnen die Geschichte erzählte.

Nach einigen Tassen heißer Schokolade und einem kleinen Imbiss später, hatte ich alles meinen Eltern erzählt. Wie ich es von ihnen gewohnt war, hielten sich beide zurück. Weder konnte ich mir anhören, dass sie sich das gleich gedacht hatten, noch schimpften sie über Jan.

„Es ist schon spät und ich bin hundemüde. Ich werde mal ins Bett verschwinden.“ Ich gähnte herzhaft. Ich gab meinen Eltern einen Kuss auf die Wange und verschwand in mein altes Kinderzimmer. Zum Glück gab es ein kleines Bad, was nur mir gehörte. Nachdem ich mich fertig gemacht hatte und im Bett lag, rasten meine Gedanken. Was war das nur für ein beschissener Tag gewesen. Wieso war mir früher nicht aufgefallen, dass Jan nicht zu mir stehen würde? Wie konnte ich nur so blind gewesen sein?

Obwohl ich total müde war, konnte ich lange nicht einschlafen, denn die Bilder spulten sich immer und immer wieder in meinem Kopf ab. Leise vor mich hinweinend fiel ich irgendwann in einen unruhigen Schlaf.

Kapitel 5

Ein dumpfes Geräusch riss mich aus meinem Schlaf. Verwirrt rieb ich mir meine verquollenen Augen. Da, schon wieder das Geräusch. Ich quälte mich aus dem Bett und ging zum Fenster. Irgendjemand warf Schneebälle gegen eben dieses. Ich öffnete einen Fensterladen und stecke den Kopf hinaus.

Nicht nur die Kälte traf mich mit voller Wucht, sondern auch der nächste Schneeball traf mich direkt in mein Gesicht.

„Verdammt, was soll das?“, brüllte ich wutentbrannt aus dem Fenster.

„Ahhh, endlich bist du wach. Wurde aber auch mal Zeit.“

Die Stimme kannte ich. Sogar zu gut. „Judith?“

„Wer denn sonst. Zieh dich an und schwing deinen Hintern hier raus. Es ist so ein geiles Winterwetter und die Hunde wollen eine Runde laufen.“

Verwirrt blickte ich nun nach unten und sah meine beste Freundin aus Kindheitstagen dort stehen. „Was habe ich damit zu tun, dass die Hunde laufen wollen?“

„Na, weil du mitkommst. Du kannst vergessen, dass du dich vergräbst. Also rein in deine Winterklamotten und ab mit mir ins Feld.“

„Du hast echt einen Vollschatten“, brummte ich und schloss das Fenster. Mühsam schälte ich mich aus meinen Lieblings-Nachtshirt und zog mir meine dicken Klamotten an. Mein Blick fiel auf den Rock und die Bluse, die über der Stuhllehne hingen und ich gestern noch getragen hatte. Das konnte ich nachher ganz nach hinten in den Schrank verbannen. Wann und wo sollte ich das jetzt noch anziehen?

Das Bellen von Judiths Hunden riss mich aus meinen Gedanken und ich schoss die Treppe nach unten. Wieviel Uhr war es eigentlich? Als ich an der Küche vorbeikam, hielt mir meine Mutter schon einen Thermobecher entgegen.

„Ich habe mir schon gedacht, dass dich Judith aus dem Bett werfen würde. Hier einen Kaffee mit viel Milch, so wie du ihn magst. Und dann wünsche ich euch beiden ganz viel Spaß da draußen.“

Ich schlüpfte in meine dicken Winterstiefel, zog Mütze, Schal und Handschuhe an und nahm dann, bevor ich vor die Haustür trat, einen großen Schluck von meinem Kaffee. Mmmh lecker. Meine Mutter hatte auch noch an die zwei Zuckerwürfel gedacht, die ich in meinem Kaffee unbedingt brauchte.

Dann trat ich vor die Haustür, wo mich Judith und die Hunde stürmisch begrüßten. Das ich da nicht die Kaffeetasse verlor, grenzte an ein Wunder. Denn normalerweise, war ich für alle Pannen prädestiniert.

„Soho Süße. Nun erzähl mir, was dieser Arsch dir angetan hat. Aber erstmal gibt mir einen Schluck von deinem Kaffee ab.“

Während wir nun durch die verschneiten Felder und Wiesen stapften, die Hunde um uns herum tollten, schüttete ich Judith mein Herz aus.

„Was ein Arschloch.“

„Ich kann ihm noch nicht mal einen Vorwurf machen. Letztendlich, was will so ein reicher Mann mit so einer kleinen Dorfmaus.“

„Was ein Quatsch Nina. Wenn man jemanden liebt, ist es egal, welchen Stand er hat.“

„Anscheinend nicht in der Welt der Schönen und Reichen.“

Neben uns hielt der Wagen von Daniel an.

„Guten Morgen ihr zwei. Ihr seid ja früh unterwegs.“

„Ohne Judit würde ich noch im Bett liegen und tief und fest schlummern“, erwiderte ich mit einem bösen Seitenblick zu meiner Freundin.

Doch die ließ sich gar nicht beirren. „Nina, du hast das gebraucht. Frust und Kalorien wegstampfen.“

Ich grummelte leise an meinem Kaffeebecher vor mich hin.

„Ich habe dir dein Auto gestern noch hingestellt Nina.“

„Mein kleiner Corsa und ich haben zu danken. Ich habe ihn heute Morgen schon bewundern können, wie er stolz die neuen Beulen präsentiert hat.“

„Das fällt doch bei der Kiste nicht auf.“ Daniel lachte laut. „Übrigens lass heute noch die Finger vom Rückspiegel. Der Kleber muss erst richtig aushärten.“

„Du hast wirklich was bei mir gut!“ Ich war total begeistert, wie sich hier in diesem Dorf geholfen wurde. Das hatte ich in München total vermisst.

---ENDE DER LESEPROBE---