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Dieses Buch gibt allen, die andere Menschen leiten und führen, ein klares Verständnis darüber, was die Bibel über die Liebe lehrt. Das zu verstehen ist für Leitungsaufgaben – in der Gemeinde oder Familie – von großer Wichtigkeit. Dadurch wird ... • die Beziehungsfähigkeit deutlich verbessert, • die Wirksamkeit im Dienst gesteigert, • das Entstehen sinnloser Konflikte vermieden, • das Evangelium gefördert. Wenn Sie Menschen leiten oder unterrichten – ob als Sonntagsschullehrer, Jugendmitarbeiter, in der Frauen- oder Männerarbeit, beim Bibelstudium, im Gemeindechor, als Ältester, Diakon, Pastor, Missionar oder Evangelist –, wird dieses Buch Ihnen helfen, Ihren Dienst mit noch mehr Liebe auszuüben.
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Seitenzahl: 318
Veröffentlichungsjahr: 2025
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ALEXANDER STRAUCH
DER NOCH BESSERE WEG
Alexander StrauchMit Liebe leitenDer noch bessere Weg
Best.-Nr. 275539 (E-Book)ISBN 978-3-98963-539-5 (E-Book)
Originally published in English under the titleLeading with Love© 2006 by Alexander Strauch
Wenn nicht anders angegeben, wurde folgende Bibelübersetzung verwendet:Elberfelder Bibel 2006, © 2006 by SCM R.Brockhaus in der SCM Verlagsgruppe GmbH Witten/Holzgerlingen.
1. Auflage (E-Book)© 2025 Christliche Verlagsgesellschaft mbHAm Güterbahnhof 26 | 35683 [email protected]
Übersetzung: Ulrike Wilhelm, RenningenSatz und Umschlaggestaltung: Christliche Verlagsgesellschaft mbHUmschlagmotiv: © Shutterstock.com/Viktorya170377
Wenn Sie Rechtschreib- oder Zeichensetzungsfehler entdeckt haben, können Sie uns gern kontaktieren: [email protected]
Liebe und christlichen Führungsstil miteinander verbinden
TEIL 1
Die Liebe ist für die christliche Leiterschaft unentbehrlich
1.Fünf minus eins ist gleich null
2.Lieben oder Sterben
3.Die motivierende Kraft der Liebe
TEIL 2
Charakter und Verhalten eines liebevollen Leiters
4.Langmut und Güte
5.Weder neidisch noch prahlerisch
6.Weder arrogant noch unanständig
7.Weder selbstsüchtig noch schnell zum Zorn
8.Weder nachtragend noch froh über das Böse
9.Erträgt, glaubt, hofft und erduldet alles
TEIL 3
Die Arbeit eines liebevollen Leiters
10.Liebe und Mitgefühl äußern
11.Gastfreundschaft praktizieren
12.Sich um die Bedürfnisse anderer kümmern
13.Gebetsarbeit
14.Den Hunger der Seele stillen
15.Geliebte Menschen bewahren und ermahnen
16.Ungehorsame bestrafen und wieder aufrichten
17.Konflikte nach dem „noch besseren Weg“ lösen
18.Den Geboten Christi gehorchen und andere Gehorsam lehren
Anhang der biblischen griechischen Wörter
Namensverzeichnis
Bibelstellenverzeichnis
Danksagung
„Strebt nach der Liebe …“(1Kor 14,1)
Es ist keine Übertreibung, wenn man sagt, dass die Bibel ein Buch der Liebe ist. Die Geschichte des Evangeliums, „denn so hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn gab“ (Joh 3,16), ist die größte Liebesgeschichte, die jemals erzählt wurde. Weil Gott uns so sehr liebt, sollen auch wir den Herrn, unseren Gott, lieben aus unserem ganzen Herzen, aus unserer ganzen Seele, aus unserem ganzen Verstand und aus unserer ganzen Kraft und unseren Nächsten wie uns selbst (Mk 12,30-31). Da dieses Gebot an alle wahren Gläubigen gerichtet ist, habe ich mich auf das Thema Liebe in Bezug auf christliche Leiter und Lehrer konzentriert. Hier sind die Gründe dafür:
Erstens: Obwohl sich das Christentum von allen Weltreligionen mit seiner Lehre über die Liebe Gottes und der Anweisung an christliche Gläubige, Liebe zu üben, deutlich abhebt, konzentrieren sich christliche Leiter gewöhnlich nicht auf die Liebe, wenn sie eine Leitungsfunktion übernehmen. Es wurde schon viel Gutes über Führungseigenschaften wie Mut, Ideenreichtum, Charisma, Überzeugungskraft, Ausdauer, visionäres Denken, Selbstdisziplin und Entschlossenheit geschrieben. Doch nur wenige Bücher über Gemeindeleitung beziehen die Liebe mit ein. Das ist ein tragischer Fehler, denn das Neue Testament sagt ganz klar, dass die Liebe für die Gabe der Führung und Unterweisung unentbehrlich ist. Tatsächlich ordnet das Neue Testament an, dass Geistesgaben in Liebe ausgeübt werden sollen. Paulus erklärt sogar, dass man ein „tönendes Erz … oder eine schallende Zimbel“ ist (1Kor 13,1), wenn man ohne Liebe leitet und lehrt. Wenn ein christlicher Leiter alle oben erwähnten Führungsqualitäten besitzt, aber keine Liebe hat, dann ist er zum Scheitern verurteilt (s. 1Kor 13,1-3).
Zweitens: Leiter und Lehrer geben den geistlichen Ton einer Gemeinde an. Sie haben die Macht, in ihrer Gemeinde eine liebevollere Atmosphäre zu schaffen. Wenn sie Gott und die Menschen lieben, werden höchstwahrscheinlich auch ihre Gemeindeglieder Gott und die Menschen lieben. Wenn die Leiter jedoch egozentrisch, kritiksüchtig, stolz, böse und herzlos sind, werden die Gläubigen dieselben schlechten Eigenschaften annehmen.
In den letzten Jahren habe ich mit vielen Menschen gesprochen, die mit ihrer örtlichen Gemeinde unzufrieden waren, aber nicht genau wussten, warum. Ich glaube, dass in vielen Fällen jene Liebe fehlte, die im Neuen Testament beschrieben wird. Der Mangel an Liebe ist weit verbreitet und die Ursache vieler Probleme – wie die vom Streit geplagte Gemeinde in Korinth beweist. Darum besteht die Heilige Schrift darauf, dass Leiter und Lehrer Vorbilder in der Liebe sein sollen: „Niemand verachte deine Jugend, sondern sei ein Vorbild der Gläubigen im Wort, im Wandel, in Liebe, im Glauben, in Keuschheit!“ (1Tim 4,12). Für die Gemeinde ist die Liebe lebenswichtig, denn sie ist ihr „Lebensatem“1 und unentbehrlich für die Evangelisation und für das geistliche Wachstum (s. Eph 4,16).
Drittens: In der Gemeindefamilie müssen die Gläubigen als Brüder und Schwestern in Christus eng zusammenarbeiten, um Entscheidungen zu treffen und ihren christlichen Dienst zu tun. Manchmal ist das schwierig. In jeder Ortsgemeinde gibt es Sitzungen in den verschiedenen Gruppen: Sitzungen der Ältesten und Diakone, Mitarbeiterbesprechungen, Vorstandssitzungen, Ausschusstreffen und überregionale Konferenzen. Je länger wir zusammenarbeiten, desto mehr lernen wir die Fehler und unangenehmen persönlichen Eigenschaften des anderen kennen, die das gemeinsame Leben belasten können. Doch sobald man das neutestamentliche Prinzip der Liebe versteht, wird das die Gruppenleitung, die Gruppentreffen und das Gemeindeleben erheblich verbessern. Ohne Liebe können wir nicht in Eintracht miteinander leben und arbeiten.
Viertens: Es gibt viele falsche Vorstellungen von der Liebe, die korrigiert werden müssen. Im Namen der Liebe haben Christen schon ihre Familien verlassen, alle möglichen sexuellen Sünden begangen, Gemeindezucht abgelehnt und das Wesen Gottes sowie die Erlösung – entsprechend der zeitgemäßen Vorstellung von Liebe und Toleranz – neu ausgelegt. Obwohl die Liebe die „Erfüllung des Gesetzes“ ist, wurde sie zum Feind des Gesetzes gemacht (Röm 13,8-10). Obwohl die Liebe „alles Böse“ verabscheut, wurde sie dazu benutzt, das Böse zu rechtfertigen (Röm 12,9). In seinem klassischen Werk Testaments of Love erklärt Leon Morris: „Es gibt nichts Schreckliches, das nicht schon im Namen der Liebe begangen wurde.“2
Trotz dieser Schattenseiten bin ich davon überzeugt, dass Älteste und Lehrer ihre Fähigkeit im Umgang mit Menschen und ihren Gemeindedienst deutlich verbessern würden, wenn sie wirklich verständen, was die Bibel über die Liebe sagt. Ein richtiges Verständnis der Liebe würde sinnlose Konflikte und Streit mindern, die Evangelisation fördern und geistlich gesunde Gemeinden zur Folge haben. Aber am meisten würde es den Herrn freuen.
Dieses Buch wurde daher für alle Leiter und Lehrer in Gemeinden geschrieben – egal, welchen Dienst sie ausüben. Wenn Sie Menschen anleiten oder lehren – wie etwa in der Sonntagsschule, der Jungschar, dem Frauen- oder Männerkreis, dem Bibelgesprächskreis, in der Verwaltung, in Musikgruppen oder als Ältester, Diakon, Pastor, Evangelist oder in der Mission –, dann ist die Liebe für Sie und Ihre Gemeinde unentbehrlich. Michael Green drückt es wunderbar aus: „Die Liebe ist die begehrenswerteste Eigenschaft in der Welt. Und sie ist das Herzstück der Christenheit.“3 Aus diesem Grund fordert Gott uns auf, dass Sie und ich mit Liebe leiten und lehren und in der Liebe zu ihm und allen Menschen stetig wachsen.
1.William Kelly, Notes on the First Epistle to the Corinthians (London: Morrish, 1878), S. 220.
2.Leon Morris, Testaments of Love (Grand Rapids, Mich.: Eerdmans, 1981), S. 3.
3.Michael Green, Evangelism through the Local Church (Nashville: Thomas Nelson, 1992), S. 97.
„Und ich will euch einen noch besseren Weg zeigen.“(1Kor 12,31: Lutherbibel)
Dwight L. Moody, der „Billy Graham des 19. Jahrhunderts“, erzählt, wie die christliche Lehre von der Liebe sein Leben veränderte. Alles begann damit, dass der 27-jährige britische Evangelist Henry Moorhouse eine Woche lang in Moodys Gemeinde predigte. Zum Erstaunen aller predigte Moorhouse sieben Mal nacheinander über Johannes 3,16. Um „so hat Gott die Welt geliebt“ zu beweisen, predigte er über Gottes Liebe, von der die Bibel von der Schöpfungsgeschichte bis zur Offenbarung erzählt. Moodys Sohn berichtet, wie sehr Moorhouses Predigt seinen Vater beeindruckte:
Sechs Abende lang hatte er über diesen Text gepredigt. Als er am siebten Abend auf die Kanzel ging, waren alle Augen auf ihn gerichtet. Er sagte: „Liebe Freunde, ich habe den ganzen Tag nach einem neuen Text gesucht, aber keiner ist so gut wie der alte Text; also werden wir uns wieder dem 16. Vers des dritten Kapitels des Johannesevangeliums zuwenden.“ Dann hielt er seine siebte Predigt über jene wunderbaren Worte: „Denn so hat Gott die Welt geliebt.“ Am Ende der Predigt sagte er: „Meine lieben Freunde, ich habe euch eine ganze Woche lang versucht zu erklären, wie sehr Gott euch liebt, aber ich kann nur stottern. Hätte ich Jakobs Leiter, um zum Himmel hinaufzusteigen. und könnte ich dort Gabriel, der in der Gegenwart des Allmächtigen steht, bitten, mir zu sagen, wie viel Liebe der Vater für die Welt hat, dann könnte er nur sagen: ‚Denn so hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn gab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern ewiges Leben hat.‘“1
Moody konnte die Tränen nicht zurückhalten, als Moorhouse darüber predigte, dass Gott die Menschen so sehr geliebt hat, dass er seinen einzigen Sohn sandte, um für die Sünder zu sterben. Moody bekannte:
Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich nicht gewusst, wie sehr Gott uns liebte. Mir wurde ganz warm ums Herz, und ich konnte die Tränen nicht zurückhalten. Das war wie eine Nachricht aus einem fernen Land: Ich sog alles auf. Und das tat auch die versammelte Gemeinde. Es gibt etwas auf der Welt, das alles in den Schatten stellt, und das ist die Liebe.2
Aufgrund des Eindrucks, den Moorhouse auf ihn gemacht hatte, begann Moody, sich näher mit der christlichen Lehre von der Liebe zu beschäftigen. Das veränderte sein Leben und seine Predigten. Später sagte er:
Ich begann, das Wort „Liebe“ näher zu betrachten. Ich weiß nicht, wie viele Wochen es dauerte, bis ich alle Bibelverse gelesen hatte, in denen das Wort erwähnt wird. Zum Schluss konnte ich gar nicht anders, als die Menschen zu lieben! Ich hatte mich so viel mit dem Thema Liebe beschäftigt, dass ich jedem, dem ich begegnete, etwas Gutes tun wollte.
Die Liebe erfüllte mich ganz, und ich konnte sie nicht zurückhalten. Wenn man sich mit dem Thema der Liebe in der Bibel beschäftigt, ist man so davon durchdrungen, dass man nur noch über die Liebe Gottes sprechen kann. Christlicher Dienst ohne Liebe ist völlig wertlos. Ein Arzt oder ein Rechtsanwalt könnte ohne Liebe gute Arbeit leisten, aber Gottes Arbeit kann nicht ohne Liebe getan werden.3
D. L. Moody hätte nicht biblisch korrekter sein können, als er sagte: „Gottes Arbeit kann nicht ohne Liebe getan werden.“ Genau das ist die Botschaft des bekanntesten Kapitels über die Liebe in der Bibel, nämlich 1. Korinther 13.
Man stimmt allgemein darin überein, dass Paulus der größte erste Missionar, Gelehrte, Lehrer, Evangelist und Glaubensheld ist. Trotzdem wusste er, dass sein Scharfsinn, seine vielseitige Begabung und seine aufopfernde Hingabe nichts wert sind, wenn die Liebe ihn nicht vollkommen durchdringt. Kein anderer Schreiber des Neuen Testaments sprach mehr über die Liebe und lieferte mehr praktische Beispiele für christliche Leiterschaft als Paulus. Mit dessen Briefen und seinem lebenslangen geistlichen Dienst schenkte Gott seiner Gemeinde und allen christlichen Leitern und Lehrern ein Vorbild für liebevolle Leiterschaft. In der gesamten Heiligen Schrift wird nirgends so klar und deutlich zum Ausdruck gebracht, dass die Liebe für die Gemeindeleitung und deren Unterweisung unverzichtbar ist, wie in 1. Korinther 13.
Paulus schrieb dieses Kapitel als Reaktion auf die Streitigkeiten über geistliche Gaben in der Gemeinde von Korinth. Um die falschen Ansichten der Gemeinde über Geistesgaben und ihr insgesamt selbstzerstörerisches Verhalten zu korrigieren, versprach Paulus den Korinthern, ihnen einen „noch besseren Weg“ zu zeigen (1Kor 12,31). Sie sollten verstehen, dass es etwas weitaus Wichtigeres als übernatürliche Gaben gibt. Etwas, das die hervorragendsten Gaben übersteigt und ohne das sie alle wertlos sind. Dieses Etwas ist die Liebe.
Die Liebe, von der Paulus spricht, meint in erster Linie die Liebe zu anderen Gläubigen. Als Jesus nämlich allen seinen Jüngern ein neues Gebot gab, erklärte er, dass sie sich gegenseitig lieben sollen, „genauso wie“ er sie geliebt hat (s. Joh 13,34-35). Diese Liebe opfert sich vollkommen für den Nächsten auf. Jesus brachte sie zum Ausdruck, indem er demütig die Füße der Jünger wusch (s. Joh 13,4-7) und sein Leben für andere am Kreuz opferte. Johannes drückt das so aus: „Hieran haben wir die Liebe erkannt, dass er für uns sein Leben hingegeben hat; auch wir sind schuldig, für die Brüder [und Schwestern] das Leben hinzugeben“ (1Jo 3,16).
Um jeden Zweifel auszuräumen, dass die Liebe tatsächlich der „noch bessere Weg“ ist, und um die Korinther von ihren falschen Vorstellungen über Geistesgaben zu korrigieren, gebraucht Paulus seine ganze Redekunst und seine ganze Kraft, wenn er schreibt:
Und ich will euch einen noch besseren Weg zeigen. Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle. Und wenn ich prophetisch reden könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, sodass ich Berge versetzen könnte, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts. Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und meinen Leib dahingäbe, mich zu rühmen, und hätte der Liebe nicht, so wäre mir’s nichts nütze. (1Kor 12,31b–13,3; Lutherbibel)
Für ein besseres Verständnis dieser Verse wollen wir sie näher betrachten.
Die geistlichen Gaben sollten zur Erbauung und Einheit des Leibes – der Gemeinde – dienen. Doch die Begeisterung der Korinther über die übernatürliche Gabe des Zungenredens verursachte in dieser Gemeinde nur Stolz und Streit. Sie gebrauchten ihre Gaben zur eigenen Befriedigung. Das spaltete die Gemeinde.
Um diesen Irrtum zu korrigieren, nimmt Paulus einmal an, er sei der „begabteste Zungenredner der Welt“4, der fließend „mit Menschen- und mit Engelzungen“ reden kann. Solch eine Gabe hätte die Korinther sehr beeindruckt. Paulus erklärt jedoch, dass er, selbst wenn er diese wunderbare himmlische Gabe besäße, nur ein „tönendes Erz oder eine schallende Zimbel“ wäre – d. h. ein störendes, lautes und leeres Geräusch –, wenn er, gemäß den Versen 4 bis 7, keine Liebe hätte. Ohne die barmherzige Liebe wäre seine wunderbare Gabe des Zungenredens nur ein Krampf.
Paulus sagt nicht nur, dass seine Sprache nur Lärm machen würde, sondern auch, dass er selbst ein hohles, schallendes Geräusch wäre. Ohne Liebe wäre er nicht das, was er sein sollte. Als Christ würde ihm etwas Wesentliches fehlen; und er würde nicht gemäß dem „noch besseren Weg“ leben, weil er ein liebloser Zungenredner wäre. Er würde die Gabe des Zungenredens benutzen, um sich selbst großzumachen, statt der Gemeinde und ihrer Erbauung zu dienen, was die eigentliche Absicht der Liebe ist (s. 1Kor 8,1).
Wenn ich in Predigten oder Vorträgen über dieses Kapitel spreche, verwende ich oft Anschauungsmaterial. Ich hole hinter der Kanzel einen Blechtopf und einen Hammer hervor und fange an, auf den Topf zu schlagen, während ich über Geistesgaben und die Notwendigkeit der Liebe spreche. Am Anfang lachen die Leute. Sie denken, dass es eine wunderbare Illustration ist. Aber ich mache weiter. Während ich auf den Topf schlage, spreche ich weiterhin über geistliche Gaben. Es dauert nicht lange, bis die Leute nicht mehr lachen. Sie sind genervt, verärgert und regen sich immer mehr auf, aber ich schlage weiter auf den Topf. Wenn ich merke, dass sie es nicht länger aushalten, höre ich auf und frage: „Sind Sie verärgert? Genießen Sie es? Gefällt es Ihnen? Finden Sie es erbaulich? Möchten Sie, dass ich für den Rest der Rede weiter auf den Topf schlage?“ Jeder möchte, dass ich aufhöre, und so erkläre ich ihnen nun, dass sie auf andere und auf Gott genauso wirken, wenn sie ihre Gaben ohne Liebe einsetzen. Sie sind nichts anderes als „ein tönendes Erz und eine schallende Zimbel“.
Paulus spricht als Nächstes darüber, was wäre, wenn er die Gabe der Prophetie besäße, und zwar so vollkommen, dass er „alle“ Geheimnisse wüsste und „alle“ Erkenntnis hätte. Er wüsste auf alle Fragen eine Antwort. Er wäre ein wandelndes, sprechendes Lexikon.
Manche Menschen stellen gern ihren Intellekt und ihre theologische Überlegenheit zur Schau. Sie sind stolz auf ihr Wissen und auf ihre Redegewandtheit. Dieser Stolz war in Korinth zu einem ernsten Problem geworden. Manche Gläubige waren aufgrund ihres Wissens arrogant und prahlten vor lauter Selbstgefälligkeit. Sie wollten wegen ihrer prophetischen Erkenntnis und ihrer großen Weisheit bewundert werden. Auf andere mit weniger Wissen und Begabung schauten sie herab. Mit ihrem Hochmut über ihre Erkenntnis verletzten sie den Leib, die Gemeinde (s. 1Kor 8).
Erkenntnis ohne Liebe bläht den Menschen auf und verwirrt seinen Verstand. Das kann dazu führen, dass man intellektuell überheblich wird, andere spöttisch behandelt, sich über andere Ansichten lustig macht und andere mit weniger Wissen bzw. einer anderen Meinung verachtet und beleidigt. Ich kenne einen Pastor, der ein unglaubliches Bibelwissen hatte, der aber viele Menschen mit seiner arroganten Rechthaberei verletzte und seine eigene Gemeinde immer wieder spaltete, bis er allein war. Er hatte zwar viel im Kopf, aber ein kleines Herz. Seine Theologie war so klar wie Eis, aber doppelt so kalt. So entwickelt sich ein Mensch, der viel weiß, aber keine Liebe hat.
Paulus erklärt daher, dass er ohne die Liebe „nichts“ wäre – eine geistliche Niete –, auch wenn er vollkommene Erkenntnis besäße. Er betont, dass ein liebloser Prophet, ein liebloser Gelehrter oder ein liebloser Lehrer für die Gemeinde Gottes wertlos ist. Nach John Short hat die Geschichte das bewiesen:
Durch die Jahrhunderte hindurch waren liebloser Glaube und liebloses Predigen verantwortlich für so manche Tragödie in der Kirchengeschichte. Es wurden sogenannte Ketzer verbrannt, und die ernsthafte Suche nach der Wahrheit wurde unterdrückt. Durch Lieblosigkeit entbrannten heftige Kontroversen, die alles schlimmer machten, und am Ende behandelten sich sogar die Christen untereinander schlecht.5
Eine ähnliche Beobachtung machte auch George Sweeting, der ehemalige Präsident des Moody Bible Instituts: „Ich bin tief enttäuscht, dass es Menschen gibt, die sich mehr um die verborgenen Geheimnisse der Bibel als um Menschen in Not kümmern … Christen machen sich oft zu viele Gedanken um verborgene Wahrheiten der Bibel und haben für schwierige Menschen zu wenig Liebe übrig.“6
Nur in Verbindung mit der Liebe kann die Erkenntnis gemäß dem „noch besseren Weg“ für eine Gemeinde erbaulich sein und sie schützen (s. Eph 4,11-16).
Die dritte geistliche Gabe, die Paulus erwähnt, ist der Glaube (vgl. 1Kor 12,9). Er stellt sich vor, die größte aller denkbaren Gaben zu besitzen, mit der er sogar „Berge versetzen könnte“. Wie Abraham würde er Gott das Unmögliche zutrauen, Wunder zu vollbringen. Er wäre ein machtvoller Beter, ein geistlicher Draufgänger, so eine Art Georg Müller7, der von allen bewundert und geschätzt würde. Er wäre ein mutiger David, der in den Kampf zieht, um den Philister und Riesen Goliath zu töten (s. 1Sam 17,32). Diese mächtige geistliche Gabe wäre jedoch ohne Liebe nur ein Mittel, um sich selbst großzumachen. Für andere Menschen wäre sie wertlos.
Einige „Wundertäter“ im Fernsehen behaupten, dass ihr Glaube Unmögliches vollbringt, aber sie sprechen mehr über Geld, Erfolg und sich selbst als über die Menschen, denen sie eigentlich helfen sollten. Wie die Pharisäer, die sich selbst zur Schau stellten, wollen sie „von den Menschen gesehen werden“ (Mt 6,5). Es gefällt ihnen, von anderen gelobt und für geistliche Helden gehalten zu werden, die für Gott große Taten vollbringen. Sie benutzen ihre wunderbaren Gaben, um sich selbst, aber nicht den Leib Christi zu fördern.
Ich erinnere mich an einen Radioprediger, der oft über die großartigen Dinge sprach, die Gott durch seine Sendung tat, und wie Gott ihm wie durch ein Wunder Geld gab, ohne dass er darum bitten musste (was er dadurch aber auf eine subtile Art tat). Jeder, der diesen Mann persönlich kannte und für ihn arbeitete, hatte jedoch ein anderes Bild von ihm. Sie kannten ihn als einen Mann, der von Geld und Ansehen in der Öffentlichkeit besessen war. Sie sahen, wie er seine Gabe des Glaubens benutzte, um seine eigene finanzielle Sicherheit zu garantieren. Er war für sie ein Mann, der sich überhaupt nichts aus anderen Menschen machte, sondern nur um sich selbst besorgt war.
Es ist kein Wunder, dass Paulus so nachdrücklich betont, dass solch eine mächtige Gabe ohne Liebe „nichts“ wert ist. Er wusste, dass er ohne Liebe mehr tot als eine lebendige geistliche Kraftquelle wäre.
Ohne Liebe ist ein christlicher Leiter in seinem Glaubensleben auf dem falschen Weg. Aber Glaube, verbunden mit Liebe, baut den Leib Christi auf und bringt ihn auf den königlichen, den „noch besseren Weg“ der Liebe.
Als Nächstes überlegt Paulus, wie es wohl wäre, seinen gesamten weltlichen Besitz – sein Zuhause, sein Vermögen, seine Möbel und alle seine wertvollen Dinge – an die Armen zu verschenken. Er gibt alles weg, um vollkommen arm zu sein. Natürlich wäre das eine außerordentlich selbstlose Tat. Würde nicht schon allein das per Definition Liebe bedeuten? Nicht unbedingt. Paulus macht deutlich, dass sogar die selbstloseste Tat ohne Liebe getan werden kann.
Selbstaufopferung kann nämlich auch aus Eigeninteresse geschehen, wie die Geschichte von Hananias und Saphira in der Apostelgeschichte zeigt. Dieses Paar verkaufte sein Eigentum und gab das Geld den Aposteln zur Verteilung an die Armen (s. Apg 5,1-11). Doch taten die beiden dies ohne Liebe. Ihre Sorge galt in Wirklichkeit nicht den Armen, sondern sich selbst. Sie liebten weder Gott noch ihren Nächsten. Wie jene Pharisäer, die Jesus in der Bergpredigt verurteilte, weil sie ihre Taten herumposaunten, opferten auch Hananias und Saphira nur, um in der Gemeinde angesehener zu sein. Sie spendeten, damit die Menschen sie bewunderten, denn ihre Liebe war heuchlerisch (s. Röm 12,9). Sie gaben den Armen, jedoch ohne die echte, innere motivierende Kraft der Liebe. Somit nutze ihre Opfergabe ihnen gar nichts. Obwohl sie den Armen Geld gaben, waren sie geistlich bankrott, und Gott lehnte ihr Geschenk ab.
Daher sagt Paulus: Auch wenn er seinen gesamten Besitz den Armen gäbe, aber keine Liebe hätte, wäre alles sinn- und nutzlos und ohne Ewigkeitswert. Trotz dieser Opfergabe wäre er ein geistlich bankrotter Mann. Er würde nicht anderen Menschen demütig dienen, sondern nur sich selbst.
Wird jemand hingegen von der Liebe angetrieben, die Not der Armen zu lindern, dann profitiert jeder von dem Geschenk. Genau diese Liebe war es, die den Herrn Jesus Christus motivierte, seinen gesamten himmlischen Reichtum aufzugeben und sich für uns arm zu machen. Aus diesem Grund „hat Gott ihn auch hoch erhoben und ihm den Namen verliehen, der über jeden Namen ist“ (Phil 2,9). Jesu Opfergabe entsprach dem „noch besseren Weg“.
Schließlich denkt Paulus darüber nach, wie es wäre, als Märtyrer zu sterben. Er opfert sich für Christus und übergibt seinen Körper den schmerzenden Flammen des Feuers. Andere Gläubige würden durch solch ein Opfer natürlich ermutigt werden, treu im Glauben zu bleiben, und es würde sie zu größerer Hingabe inspirieren. Für Nichtgläubige wäre es ein machtvolles Zeugnis für das Evangelium. Doch Paulus weist darauf hin, dass sogar Leiden und Martyrium für Christus aus falschen Motiven heraus geschehen können.
Einige Menschen sind sehr stolz darauf, für ihren Glauben zu leiden. Andere wollen mit ihrem Tod als Glaubenshelden in die Geschichte eingehen. Am Anfang des Christentums war das Martyrium manchmal ein Mittel, um berühmt zu werden. Ein Historiker bemerkt dazu: „Schon bald wurde allen Christen klar, dass das Martyrium mit außergewöhnlichem Ruhm und Ehre verbunden war.“8 Einige Märtyrer, wie Ignatius, standen schon vor ihrem Martyrium in hohem Ansehen. Auch wenn Ignatius mit seinem Martyrium nicht auf persönliche Anerkennung aus war, könnten andere sehr wohl in der Gefahr gestanden haben, danach zu trachten, als Märtyrer für Christus ehrenvoll in die Kirchengeschichte einzugehen, und damit eine gewisse Unsterblichkeit zu erlangen. Von Polycarp, der lebendig verbrannt wurde, wird gesagt, dass seine Knochen „wertvoller als die wertvollsten Steine und feiner als das feinste Gold“ waren und dass sein Grab ein heiliger Ort wurde, an dem man sich versammelte.9 Weil Paulus die Gefahr einer solchen Verherrlichung erkannte, musste er betonen, dass das Opfer des eigenen Lebens ohne Liebe ein wertloses Opfer ist – lediglich eine leere, religiöse Show, eine inhaltslose Vorstellung.
Wenn das Wohl anderer und die Herrlichkeit Christi die Motivation für die Selbstaufopferung sind, dann ist das Martyrium das größte Liebesopfer. Jonathan Edwards fasst in seinem Buch Charity and Its Fruits zusammen, was Gott über Liebe und Selbstaufopferung sagt:
Gott freut sich über die kleinen Dinge, wenn sie aus echter Liebe zu ihm geschehen. Aus Liebe einem Jünger ein Glas kalten Wassers zu geben, ist in Gottes Augen mehr wert als alle Güter, ja, sogar als alle Reichtümer eines Königreiches, die ohne Liebe den Armen gegeben werden, oder ein Leib, der den Flammen übergeben wird.10
Nur wenn das Martyrium aus Liebe zu Gott und den Mitmenschen geschieht, ist es der „noch bessere Weg“.
Stellen Sie sich einen Moment lang vor, was die Korinther gedacht haben müssen, als sie zum ersten Mal Paulus’ Worte hörten, als diese beim Gemeindetreffen öffentlich vorgelesen wurden. Sie konnten wahrscheinlich ihren eigenen Ohren nicht trauen! Paulus’ Botschaft stand im totalen Gegensatz zu ihrem Denken und Verhalten. Ihnen fehlte die Liebe, und sie merkten es nicht einmal! Ihre Erkenntnis und ihre wundersamen Gaben hatten sie verführt und stolz gemacht.
D. A. Carson, Bibelausleger und Professor des Neuen Testaments an der Trinity Evangelical Divinity School, nennt Paulus’ Gedanken in diesem Abschnitt „göttliche Mathematik“. Gemäß der göttlichen Mathematik sei „fünf minus eins gleich null.“11 Oder wie George Sweeting sagt: „Alle Gaben minus Liebe gleich null.“12
Der Schriftsteller Jerry Bridges veranschaulicht diese göttliche Mathematik, indem er seine Leser bittet, Folgendes zu tun:
Schreiben Sie auf ein Blatt oder in Gedanken eine Reihe Nullen. Schreiben Sie eine ganze Zeile auf. Was ist die Summe? Natürlich Null! Auch wenn Sie eintausend Nullen aufschreiben würden, ergäbe es die Summe Null. Aber wenn nur eine positive Zahl davor steht, ergibt sich sofort ein Wert. Genauso ist es auch mit unseren Gaben, mit dem Glauben und mit der Hingabe. Sie stellen die Nullen auf unserem Blatt dar. Ohne Liebe haben sie gar keinen Wert. Wenn jedoch Liebe davorgesetzt wird, haben sie sofort einen Wert. Und genauso wie die Zahl 2 der Reihe von Nullen einen höheren Wert gibt als die Zahl 1, so steigt auch der Wert unserer Gaben exponentiell, je größer die Liebe dabei ist.13
Ohne Liebe bleiben unsere besten Gaben und unsere höchsten Leistungen für die Gemeinde und vor Gott letztlich fruchtlos. Nach Paulus’ Gedankengang gibt es nichts, was einen dauernden geistlichen Wert hat, wenn es nicht aus Liebe geschieht.
Hätte Paulus, als einer der größten Lehrer und Leiter, den Text von 1. Korinther 13 in unseren Tagen geschrieben, könnten wir vielleicht Folgendes lesen:
Wäre ich der begnadeteste Prediger aller Zeiten, sodass Millionen von Menschen von meiner Rede bewegt wären, hätte aber keine Liebe, wäre ich für Gott und die Menschen nur ein lästiger, hohler Schwätzer.
Hätte ich so viel Charisma und Persönlichkeit, dass ich wie ein mächtiger Magnet alle Menschen anziehen würde, hätte aber keine christusähnliche Liebe, wäre ich nur ein Schwindler und Versager.
Wäre ich der größte Visionär und Leiter, den die Gemeinde jemals gehört hätte, hätte aber keine Liebe, dann wäre ich in die Irre gegangen und verloren.
Wäre ich der meistverkaufte Schriftsteller zum Thema Theologie und Gemeindewachstum, hätte aber keine Liebe, dann wäre ich ein hohlköpfiger Versager.
Wenn ich alle meine Zeit aufopfern würde, um zukünftige Leiter zu schulen, hätte aber keine Liebe, dann wäre ich ein schlechter Leiter und ein schlechtes Vorbild.
1.William R. Moody, The Life of Dwight L. Moody (Chicago: Revell, 1900), S. 140. Siehe auch Dwight Lyman Moody, New Sermons, Addresses and Prayers (Chicago: Goodspeed, 1877), S. 178.
2.Moody, The Life of Dwight L. Moody, S. 139.
3.Richard Ellsworth Day, Bush Aglow: The Life Story of Dwight Lyman Moody, Commoner of Northfield (Philadelphia: The Judson Press, 1936), S. 146. Siehe auch D. L. Moody, Pleasure and Profit in Bible Study (Chicago: The Bible Institute Colportage Association, 1895), S. 87. [dt. Wie die Bibel zum Genuss und Gewinn wird (Langerwehe: ceBooks.de, 2019).]
4.Gregory J. Lockwood, 1 Corinthians, Concordia Commentary (St. Louis: Concordia, 2000), S. 458.
5.John Short, „The First Epistle to the Corinthians“, in: The Interpreter’s Bible, Band 10, Hg. Arthur C. Buttrick (New York: Abingdon-Cokesbury, 1953), S. 170.
6.George Sweeting, Love Is the Greatest (Chicago: Moody Press, 1974), S. 40. [dt. Handbuch der Liebe (Marburg: Francke, 1978).]
7.Georg Müller war der Gründer und Direktor des Waisenheims Ashley Down in Bristol, England; 122 683 Waisen lebten im Laufe der Jahre in diesem Waisenhaus. Über Müllers Glaubens- und Gebetsleben gibt es einige Biografien.
8.Rodney Stark, The Rise of Christianity (San Francisco: HarperCollins, 1996), S. 182. [dt. Der Aufstieg des Christentums. Neue Erkenntnisse aus soziologischer Sicht (Weinheim: Beltz Athenäum 1997.)]
9.Martyrdom of S. Polycarp, S. 18.
10.Jonathan Edwards, Charity and Its Fruits (1852; aktual. Aufl., Edinburgh: Banner of Truth, 1978), S. 61f.
11.D. A. Carson, Showing the Spirit: A Theological Exposition of 1 Corinthians 12–14 (Grand Rapids, Mich.: Baker, 1987), S. 60.
12.Sweeting, Love Is the Greatest, S. 117.
13.Jerry Bridges, Growing Your Faith (Colorado Springs: NavPress, 2004), S. 164f.
„Aber ich habe gegen dich,dass du deine erste Liebe verlassen hast.“(Offb 2,4)
Meine erste Erfahrung, die ich mit der christlichen Liebe machte und die mein Leben verändern sollte, war der Moment, als ein Freund mir das Buch Brother Indeed gab, eine Biografie über Robert Chapman aus Barnstable, England.1 Abgesehen von der Bibel hat niemand meine Einstellung zur Liebe und christlichen Leiterschaft mehr beeinflusst als Robert Chapman.
Zu seiner Zeit nannte man ihn den „Apostel der Liebe“, und Charles Haddon Spurgeon bezeichnete ihn als den „heiligsten Mann“, den er jemals kannte.
Robert Chapman gab seinen Beruf als Anwalt in London auf, um in einer kleinen Baptistengemeinde in Barnstable Pastor zu werden. Vor Chapman hatte diese kleine zerstrittene Gemeinde innerhalb von achtzehn Monaten drei verschiedene Pastoren gehabt. Wie Chapman diese streitende Gemeinde mit seiner Liebe, seiner Geduld und seinem Bibelunterricht veränderte, ist eine Mut machende Lektion über liebevolle Leiterschaft. Aus der Gemeinde wurde schließlich eine große, harmonische Gemeinde. Sie war in ganz England für ihre Liebe, ihren missionarischen Einsatz und ihren leidenschaftlichen Dienst an den Armen bekannt.
Am Ende seines Lebens, im Alter von neunundneunzig Jahren, war Chapman für seine Liebe und Weisheit so bekannt, dass ein Brief aus dem Ausland mit der einfachen Adressangabe „R. C. Chapman, Universität der Liebe, England“ korrekt bei ihm zu Hause ankam.
Vor Chapmans Wirken war die Gemeinde in Barnstable auf ihre Erkenntnisse in Lehrfragen und ihre Gemeindepraxis stolz gewesen, aber ihre Lieblosigkeit hatte sie sterben lassen. Doch als Robert Chapman kam, hauchte er dieser Gemeinde die Leben spendende Liebe ein. Schon bald glühte sie vor Liebe für Christus, vor Liebe füreinander, vor Liebe für die Wahrheit des Evangeliums und vor Liebe für die Verlorenen. Sie wurde zu einer Universität der Liebe.
Im 2. Kapitel der Offenbarung lesen wir von einer anderen Gemeinde, die auf ihre Gerechtigkeit und Treue stolz war, aber wegen ihrer fehlenden Liebe im Begriff stand zu sterben. Unser Herr selbst sagt dieser Gemeinde und ihren Leitern, sie sollten Buße tun und offen sein für die Liebe, die sie wieder lebendig machen würde. Lesen Sie aufmerksam die heiligen Worte und die Warnung Jesu Christi an die Gemeinde in Ephesus:
Ich kenne deine Werke und deine Mühe und dein Ausharren, und dass du Böse nicht ertragen kannst; und du hast die geprüft, die sich Apostel nennen und es nicht sind, und hast sie als Lügner befunden … Aber ich habe gegen dich, dass du deine erste Liebe verlassen hast. Denke nun daran, wovon du gefallen bist, und tue Buße und tue die ersten Werke! Wenn aber nicht, so komme ich zu dir und werde deinen Leuchter von seiner Stelle wegrücken, wenn du nicht Buße tust. (Offb 2,2.4-5)
Am Anfang lobt unser Herr die Gemeinde in Ephesus für ihre guten Werke, ihre Mühe, ihr Ausharren im Glauben, dafür, dass sie das Böse nicht toleriert hat, und für das geduldige Ertragen der Verfolgung. Es gab in dieser Gemeinde viel zu loben, und wir sollten ihre vorbildlichen Eigenschaften schätzen. Es schien alles in Ordnung zu sein. Die Epheser hätten ein Buch über erfolgreichen Gemeindedienst schreiben können. Es war jedoch nicht alles in Ordnung, denn es fehlte etwas Grundlegendes. Mit der göttlichen Einsicht in den wahren geistlichen Zustand dieser nach außen hin erfolgreichen Gemeinde wechselte Jesus Christus vom Lob zum Tadel. Er sagt: „Aber ich habe gegen dich, dass du deine erste Liebe verlassen hast.“
Im Licht aller gelobten Eigenschaften dieser Gemeinde schien die Kritik Jesu fast belanglos zu sein. Aber in seinen Augen hatte das Herz der Gemeinde aufgehört zu schlagen.
Einst blühte die Gemeinde vor echter Liebe. Aber das hatte sich geändert. Es gab immer noch ein gewisses Maß an Liebe, weil sie für die Wahrheit des Evangeliums kämpfte und gute Werke vollbrachte (s. Offb 2,2-3.6). Aber ihre Liebe war nicht mehr das, was sie einmal war. Anstatt immer stärker und tiefer zu werden, verschwand ihre Liebe. Die Gemeinde tat Werke, aber die Freude, die Kreativität, die Aufgeschlossenheit und die Kraft, die die Liebe hervorbringt, waren verschwunden. Die Eigenschaft ihrer Liebe hatte sich verändert, und das wurde sogar in ihren Werken sichtbar. Deswegen tadelt Jesus sie und sagt ihr, sie solle „die ersten Werke“ tun. Er ermahnt sie, daran zu denken, wovon sie „gefallen“ ist (Offb 2,5).
Der Gegenstand dieser Liebe wird in dem Text nicht näher bestimmt. Es heißt nicht „Liebe zu Christus“ oder „Liebe zu den Gläubigen“. Jesus meinte damit wohl damit die Liebe im Allgemeinen (Liebe zu Christus, zum Nächsten und zu den Verlorenen).
Gott fordert von seinen Gläubigen, dass sie ihn vollkommen und ungeteilt lieben (s. 5Mo 6,4-6). Wir sollen Gott mit unserem ganzen Herzen und unserer ganzen Seele und unserem ganzen Verstand lieben (s. Mt 22,37). Außerdem ist die Beziehung zwischen Jesus Christus und seiner Gemeinde der Offenbarung zufolge die einer Ehe; Christus ist der Bräutigam und die Gemeinde ist die Braut.2 Die Braut, die Gemeinde, soll Christus, dem Bräutigam, freudige und ungeteilte Hingabe entgegenbringen. In Ephesus hatte die Braut die wichtigen Eigenschaften ihrer Liebe verloren: die Freude, Gott lobzupreisen; den Hunger, ihn durch sein Wort besser kennenzulernen; den Wunsch, seine Liebe vollkommen zu verstehen; den Durst, geistlich zu wachsen; und die Freude an seinem Lob und seiner Anbetung.
Wir sollen uns gegenseitig so lieben, wie Jesus uns geliebt hat. Es handelt sich um eine ungeheuchelte Liebe (s. 1Petr 1,22), die uns bereit macht, füreinander zu leben (s. 1Jo 3,16). Von den Gläubigen in Ephesus wollte der Herr, dass sie sich selbstlos um die gegenseitigen Bedürfnisse kümmern, ihre Häuser füreinander öffnen, wie eine große Familie zusammenleben, sich gegenseitig freudig dienen, aus tiefstem Herzen füreinander beten, Vorurteile gegenüber Fremden überwinden und sich gemeinsam am Leben in der Gemeinde und zu Hause erfreuen. Doch ihre Liebe war verdorrt.
Amy Carmichael, die sich um misshandelte Kinder kümmerte und ihnen in der Dohnavur-Fellowship in Indien ein Heim bieten konnte, erkannte, wie tödlich es sein konnte, wenn unter ihren Mitarbeitern die Liebe nachließ. So legte sie für das Zusammenleben der Frauen, die mit ihr in dem Waisenhaus arbeiteten, folgende Grundsätze fest:
Lieblosigkeit ist so tödlich wie Krebs. Auch wenn die Krankheit langsam tötet, führt sie letztlich zum Tod. Wir sollten uns vor Lieblosigkeit genauso fürchten wie vor einer Kobra. Sie ist sogar gefährlicher als eine Kobra. So wie ein winziger Tropfen des Kobragiftes sich schnell im ganzen Körper ausbreitet, so genügt ein Tropfen galliger Lieblosigkeit in meinem oder deinem Herzen, der sich unsichtbar und mit schrecklicher Macht in der ganzen Familie ausbreitet, denn wir sind ein Leib – wir sind untereinander Glieder am Leib.
Wir müssen die jungen Menschen die Wahrheit lehren, dass ohne echte Liebe gemeinsames Beten nicht möglich ist. Wenn du irgendwo Lieblosigkeit entdeckst, lass alles liegen und bringe es in Ordnung – wenn möglich, sofort.3
Christus fordert uns auf, alle Menschen zu lieben (s. 1Thes 3,12). Diese Liebe versucht, die körperliche und geistliche Not der Menschen zu lindern. Der barmherzige Samariter gab diese Liebe einem fremden, zusammengeschlagenen Mann (s. Lk 10,30-37). Sie zeigt sich in der Evangelisation und in der Hinwendung zu den Verlorenen. Paulus hatte diese Liebe für Israel: „Ich habe große Traurigkeit und unaufhörlichen Schmerz in meinem Herzen; denn ich selbst, ich habe gewünscht, verflucht zu sein von Christus weg für meine Brüder, meine Verwandten nach dem Fleisch“ (Röm 9,2-3). Diese Liebe für die Verlorenen und die Bedürftigen war in Ephesus völlig verschwunden.
Die Gemeinde in Ephesus hatte sich auf tragische Weise verändert. Sie hatte ihre erste Liebe verlassen, und es musste etwas geschehen, sonst würde der Herr diese Gemeinde richten. „Es ist kein Wunder“, schreibt der puritanische Prediger Nathaniel Vincent, „dass der Satan, der daran arbeitet, die Gemeinden zu vernichten, danach trachtet, die Liebe zu töten.“4
Jesus fordert die Gemeinde auf, sofort drei Dinge zu tun, „wenn aber nicht, so komme ich zu dir und werde deinen Leuchter von seiner Stelle wegrücken“. Auch wenn man darüber diskutiert, was genau mit diesem Gericht gemeint ist, so ist der Ernst der Lage ganz klar. Wenn es keine Veränderung gibt, wird Christus kommen und diese Gemeinde richten.
Fehlende Liebe ist Sünde. Jesus weist zwar in Offenbarung 2,4-5 die Gemeinde zurecht, aber er bietet auch ein Heilmittel an:
1.„Denke nun daran, wovon du gefallen bist“
2.„Tue Buße“
3.„Tue die ersten Werke“
Die Situation war noch nicht verloren, aber die Gemeinde sollte sofort handeln, um die ursprüngliche Flamme der Liebe wieder anzuzünden. Ohne eine Reaktion würde eine Katastrophe über die Gemeinde kommen. Der Herr warnt eindringlich: „Wenn aber nicht, so komme ich zu dir und werde deinen Leuchter von seiner Stelle wegrücken.“ Diese Warnung zeigt, wie ernst Jesus den Verlust der Liebe nimmt. Dieses Drohen bedeutet, dass er dafür sorgen wird, dass diese Gemeinde nicht mehr existiert.
Mit den Briefen an die sieben Gemeinden wird Christi Warnung an alle Gemeinden und christlichen Leiter hinausposaunt (s. Offb 2–3