Morild - Viktoria Schwenger - E-Book

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Viktoria Schwenger

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Beschreibung

9. April 1940. Deutschland überfällt das neutrale Norwegen und damit endet das bisher sorglose Leben der jungen Norwegerin Morild. Obwohl der Kontakt zu Besatzungssoldaten von ihren Landsleuten verachtet wird, verliebt sie sich Hals über Kopf in den deutschen Soldaten Max. Allen Anfeindungen zum Trotz hält sie treu zu ihm, bekommt sein Kind und heiratet ihn schließlich in Oslo. Der Preis, den sie zahlen muss, ist hoch: Sie verlässt ihre geliebte Heimat und flüchtet mit ihrer Tochter über Schweden durch das kriegsgebeutelte Deutschland in die Heimat von Max im Süden des Landes, während ihr Mann in Norwegen stationiert bleibt. Nach der Kapitulation Deutschlands 1945 hofft Morild auf Max' Rückkehr, doch dieser gerät in französische Kriegsgefangenschaft. Jahre bangen Wartens in der Fremde beginnen für sie …

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Vollständige E-Book-Ausgabe der im Rosenheimer Verlagshaus erschienenen Originalausgabe 2019

© 2019 Rosenheimer Verlagshaus GmbH & Co. KG, Rosenheim

www.rosenheimer.com

Titelfoto: © Rosenheimer Verlagshaus GmbH & Co. KG

Lektorat: Beate Decker, München

Worum geht es im Buch?

Viktoria Schwenger

Morild

9. April 1940. Deutschland überfällt das neutrale Norwegen und damit endet das bisher sorglose Leben der jungen Norwegerin Morild. Obwohl der Kontakt zu Besatzungssoldaten von ihren Landsleuten verachtet wird, verliebt sie sich Hals über Kopf in den deutschen Soldaten Max.

Allen Anfeindungen zum Trotz hält sie treu zu ihm, bekommt sein Kind und heiratet ihn schließlich in Oslo. Der Preis, den sie zahlen muss, ist hoch: Sie verlässt ihre geliebte Heimat und flüchtet mit ihrer Tochter über Schweden durch das kriegsgebeutelte Deutschland in die Heimat von Max im Süden des Landes, während ihr Mann in Norwegen stationiert bleibt.

Nach der Kapitulation Deutschlands 1945 hofft Morild auf Max Rückkehr, doch dieser gerät in französische Kriegsgefangenschaft. Jahre bangen Wartens in der Fremde beginnen für sie …

Inhalt

Erinnerung

Meine Kindheit und Jugend in Norwegen

Die Deutschen kommen!

Max

Widerstand und Konzentrationslager

Maxie, das Kind der großen Liebe

Wir heiraten!

Abschied von Norwegen

Julie

Eine neue Heimat

Kriegsende

Jahre des Wartens

Max kehrt heim!

Heidi, »das Kind der Wiedersehensfreude«

Endlich ein eigenes Heim

Die Reise nach Norwegen

Abschiede

Erinnerung

Ich heiße Morild Nirschl und bin am 25. Januar 1920 in Norwegen geboren, lebe jedoch seit meinem dreiundzwanzigsten Lebensjahr in Deutschland.

Ich kann es nicht glauben, dass ich bald neunundneunzig Jahre alt werde, so flogen die Jahre und Jahrzehnte dahin. Vielleicht erlebe ich, mit Gottes Hilfe, noch meinen hundertsten Geburtstag.

Meine Großmutter Karen in Norwegen erzählte mir oft vor langer, langer Zeit aus ihrer Kindheit und Jugend und meinte einmal: »Weißt du, Morild, je älter man wird, umso mehr kann man sich an die Vergangenheit erinnern, an Dinge, die man lange vergessen hatte.«

Damals lachte ich darüber, heute weiß ich, dass sie recht hatte.

Aus dem Nebel der Erinnerungen tauchen viele Geschehnisse, Menschen und Gesichter auf, an die ich lange nicht mehr gedacht habe, schöne, doch auch schmerzliche Ereignisse sind es.

Sicherlich hat es auch damit zu tun, dass ich der Autorin Viktoria Schwenger meine Lebensgeschichte erzähle, damit sie diese aufschreibt.

Es ist eine Geschichte von Treue und Verrat und einer großen, unerschütterlichen Liebe in schwierigen Kriegszeiten, für die ich meine Heimat Norwegen verlassen und eine zweite Heimat in Deutschland gefunden habe.

Morild Nirschl, August 2018

Die Deutschen kommen!

Der Zweite Weltkrieg, den die Deutschen unter Adolf Hitler angezettelt hatten, begann am 1. September 1939 mit dem Überfall auf Polen. Am Vormittag desselben Tages erklangen die inzwischen legendären Worte Hitlers im Radio: »Seit 5 Uhr 45 wird zurückgeschossen.«

Damit sollte den Deutschen weisgemacht werden, Polen hätte Deutschland überfallen.

Norwegen war, ebenso wie Schweden und Dänemark, schon im Ersten Weltkrieg neutral gewesen und wollte es auch jetzt, im Zweiten Weltkrieg, bleiben. Trotzdem war die Stimmung angespannt.

Vorboten, dass Norwegen seine Neutralität wohl nicht würde aufrechterhalten können, gab es bereits vor dem Einmarsch der Deutschen.

Da geschah im Februar 1940 der dramatische Zwischenfall mit der Altmark, einem deutschen Versorgungsschiff, das sich im Jøssingfjord, mit britischen Kriegsgefangenen an Bord, vor den Engländern versteckt hatte. Die Altmark wollte diese Gefangenen mittels einer Passage durch die neutralen Gewässer Norwegens nach Deutschland bringen. Nach einer dramatischen Katz- und Mausjagd brachten die Briten das Schiff im Jøssingfjord auf, enterten es und befreiten ihre Kameraden. Anschließend wurde die Altmark mit ihrer Besatzung wieder freigegeben.

Ich hatte diese Nachricht im Radio gehört und ahnte nicht im Entferntesten, welch entscheidende Rolle einer jener deutschen Soldaten in meinem Leben spielen würde.

An Politik war ich im Gegensatz zu meinem Vater nicht interessiert, meine Aufmerksamkeit galt nur Mode, Tanzen und Spaßhaben.

»Papa, Norwegen ist doch neutral, und wir machen in diesem Krieg nicht mit«, meinte ich naiv, als ich wieder einmal mitbekam, wie er sorgenvoll mit meiner Mutter diskutierte. Er lächelte schief und meinte sarkastisch: »Hoffentlich wissen es die anderen auch und halten sich daran!«

Mit den »anderen« meinte er England. Das britische Königreich hatte unter der Weisung ihres damaligen Marineministers Winston Churchill begonnen, die neutralen Hoheitsgewässer Norwegens zu verminen. Es wollte damit den Transport von Eisenerz aus dem schwedischen Kiruna verhindern, welches über Narvik in Nordnorwegen nach Emden in Deutschland transportiert wurde. Über die Hälfte des Eisenerzes, das die Deutschen verwendeten, kam aus Kiruna und wurde von ihnen für die Kriegsführung dringend benötigt.

Das Vorgehen der Engländer brachte Norwegen in eine schwierige Situation. Die Regierung protestierte zwar gegen die Enterung der Altmark, die eine Verletzung der Neutralität Norwegens bedeutete, andererseits hoffte man insgeheim auf die Hilfe der Engländer. Man befürchtete zudem, dass sich die Deutschen durch diese Maßnahme der Engländer provoziert fühlen und eingreifen würden. Und so kam es schließlich auch.

Am 8. April 1940 erfuhr unsere Regierung, dass englische Zerstörer innerhalb der norwegischen Hoheitsgewässer, bei Narvik, Minen legten. Bereits am nächsten Tag gingen deutsche Truppen in der Stärke von 300.000 Mann in Bergen, Trondheim, Narvik und Oslo an Land. Längst hatte Hitler die Besetzung Norwegens geplant. Die Minenlegung der Engländer in norwegischen Hoheitsgewässern gab ihm nun, seiner Meinung nach, die Berechtigung zur Okkupation.

Da half es Norwegen nichts mehr, dass das riesige deutsche Schlachtschiff Blücher mit über achthundert Mann Besatzung bei Drøbak, der engsten Stelle im Oslofjord, von den Norwegern versenkt wurde. Dies blieb aber auch die einzige erfolgreiche Aktion gegen die Deutschen, denn die norwegische Armee war katastrophal schlecht ausgerüstet, sie hatten der deutschen Wehrmacht nichts entgegenzusetzen. Immerhin gab dieser Handstreich unserem damaligen König noch die Chance, nach England zu fliehen.

Den Norwegern wurde die Besatzung der Deutschen folgendermaßen verkauft: »Wir kommen als Freunde und Beschützer nach Norwegen, um die feindliche Übernahme des Landes durch England zu verhindern.«

»Morild, jetzt haben wir Krieg«, sagte meine Mutter mit blassem Gesicht, als wir aus dem Radio erfuhren, dass ein riesiges deutsches Kriegsschiff in den Oslofjord eingelaufen war. Dann ging es plötzlich Schlag auf Schlag.

»Der König ist mit seiner Familie und der gesamten Regierung aus Oslo geflohen!«, klang es aus dem Radio.

Erst später erfuhren wir, dass König Haakon am 7. Juni die Flucht von Narvik in Nordnorwegen nach England gelungen war und er dort eine Exilregierung eingesetzt hatte. Er hatte sich, im Gegensatz zu seinem Bruder, dem dänischen König, jeder Zusammenarbeit mit den Deutschen verweigert und es vorgezogen, ins Exil zu gehen.

Wenig später erklärte der norwegische Führer der faschistischen Nasjonal Samling Partei, Vidkun Quisling, im Radio, dass eine nationale Regierung unter seiner Führung die Macht übernommen habe und jeder Widerstand gegen die Deutschen einzustellen sei.

»Wer ist das, dieser Quisling?«, fragte ich meinen Vater.

»Unser früherer Verteidigungsminister, ein Landesverräter«, meinte mein Vater verächtlich. »Wenn die Leute der Nasjonal Samling Partei jetzt in Norwegen das Sagen haben, dann gnade uns Gott! Sie sind Nazis und halten zu den Deutschen!«

Selbst heute noch wird der Name »Quisling« als Synonym für Landesverrat benutzt.

In den Lokalzeitungen und im Radio wurde zu Ruhe und Besonnenheit aufgerufen, trotzdem waren die Nerven angespannt. Es kam zu ersten Hamsterkäufen, denn man wusste nicht, wie die nächsten Tage und Wochen verlaufen würden, und wollte gerüstet sein. Ängstliche verließen sogar die Stadt und suchten Zuflucht bei ihren Verwandten auf dem Lande.

Einar, der Verlobte meiner Freundin Åse, wurde eingezogen und bei den Kämpfen in Nordnorwegen eingesetzt. Åse war todunglücklich, hatte Angst um ihn. Ich versuchte, sie zu beruhigen: »Du wirst sehen, der Krieg ist bald vorbei. Dann kommt er zurück zu dir.« Doch sie mochte es nicht glauben und weinte sich fast die Augen aus.

Bereits am 10. Juni 1940, nur zwei Monate nach dem Überfall der Deutschen auf Norwegen, unterzeichnete der norwegische Oberbefehlshaber auf Weisung König Haakons die Kapitulationsurkunde, und die norwegischen Truppen stellten die Kämpfe ein. Die norwegische Armee war der deutschen Wehrmacht in den Kämpfen, die überwiegend im Norden des Landes stattfanden, völlig unterlegen.

In einer Proklamation rief der König aus England zum Widerstand der Norweger gegen die Deutschen auf und verbot jeden persönlichen Kontakt zu den Deutschen.

Wir saßen angespannt im Wohnzimmer, als diese Nachrichten im Radio gesendet wurden.

»Papa, hör doch, der Krieg ist vorbei, so schnell!«, meinte ich erleichtert.

Er fuhr mir durchs Haar. »Die Kämpfe schon, aber Norwegen ist nicht mehr unser Land! Jetzt haben die Deutschen das Sagen! Wer weiß, was kommen wird?« Er sah bedrückt drein.

»Ach, Papa, vielleicht wird alles nicht so schlimm, und sie sind in ein paar Monaten weg!«, versuchte ich ihn zu beruhigen.

Doch er schüttelte nur stumm den Kopf. »Schön wäre es, aber daran glaube ich nicht. Wen die Deutschen einmal am Wickel haben, den lassen sie nicht mehr los. Sie wollen ein großdeutsches Reich errichten, und dazu sollen auch wir Norweger gehören! Sie tun so, als ob wir ihr Brudervolk wären, eine ›arische‹ Rasse, die zu ihnen passt.« Er sah angewidert drein.

»Was ist eine arische Rasse?«, fragte ich.

»Genau weiß ich auch nicht, was sie damit meinen. Auf jeden Fall meinen sie, die arische Rasse sei besser als alle anderen Rassen und sollte die Welt beherrschen. Schöne Menschen, blond, blauäugig, stark, treu und was weiß ich nicht alles. Auf jeden Fall nicht die Juden, die verfolgen sie unbarmherzig.«

»Aber ich bin nicht blond und blauäugig«, widersprach ich. »Übrigens ist Hitler selbst auch nicht blond und blauäugig. Und er müsste doch arisch sein, wenn das so eine besonders gute Rasse ist!«

»Na, daran siehst du, was für ein Narr er ist. Aber so etwas darfst du nie sagen!«, warnte er mich. »Das ist gefährlich, hörst du? Am besten ist, du hältst den Mund über alles Politische.« Er strich mir liebevoll über das Haar. »Auch wenn du nicht blond und blauäugig bist, du bist Norwegerin, vergiss das nie!« Er fügte kopfschüttelnd hinzu: »Ich frage mich, wer sich mit den Deutschen einlassen wird. Kein anständiger Norweger würde das tun, außer den Schurken von der Nasjonal Samling Partei. Mit den deutschen Soldaten, die jetzt überall in der Stadt sind, darfst du nicht sprechen, hörst du? Lächle sie nicht an, schau an ihnen vorbei, beachte sie nicht! Verspichst du mir das, Morild?« Er sah mich streng an.

»Klar, Papa, das verspreche ich dir!«

Mit dem Einmarsch der Deutschen hatte sich das Stadtbild Oslos völlig verändert. Überall wimmelte es von deutschen Soldaten, überwiegend waren es junge Männer. Sie patrouillierten in der ganzen Stadt, an allen Straßenecken waren Geschütze aufgestellt, und in ihrer freien Zeit bevölkerten sie die Lokale, Geschäfte und Kinos. Wenn sie im Trupp in Uniform und Gleichschritt durch die Stadt marschierten, hörte man sie schon von Weitem ihre Lieder schmettern.

Wir, meine Kolleginnen aus der Fabrik und meine Freundinnen, waren eher neugierig und aufgeregt als ängstlich. Manchmal liefen wir zum Hafen, setzten uns auf die Kaimauer und beobachteten, was dort los war. Die jungen Männer sahen eigentlich sehr nett aus in ihren schmucken Uniformen, und die meisten benahmen sich freundlich und höflich, vor allem uns jungen Mädchen gegenüber.

Schnell bekamen wir die Folgen der deutschen Besatzung zu spüren. Nicht nur, dass das deutsche Militär alle wichtigen und schönen Gebäude besetzte, wie das Storting (das Parlament) und das Schloss, selbst die Residenz des Kronprinzen Olaf, die außerhalb Oslos lag, beschlagnahmten sie.

Auch in vielen anderen Häusern der Stadt machten sie sich breit, Schulen, Hotels und andere öffentliche Gebäude wurden besetzt, auch in besseren Privathäusern und Villen quartierten sich deutsche Offiziere ein.

Auf Plakaten und in Bekanntmachungen wurden Verbote und Verhaltensregeln veröffentlicht, die unter Androhung von Strafen bei Nichtbeachtung strikt eingehalten werden mussten.

Im September wurden alle Parteien verboten, alle außer der Nasjonal Samling mit dem verachteten Vidkun Quisling, mit seinen roten Haaren, die er wie Hitler gescheitelt trug.

Bald darauf wurden die Gewerkschaften verboten, und das betraf meine Familie durch die Stellung meines Vaters direkt.

Eines Tages kam mein Vater unvermutet früh aus seinem Büro im Gewerkschaftshaus. Er war blass und hatte eine Verletzung auf der Stirn.

»Was ist passiert, Ivar?«, fragte meine Mutter erschrocken, als sie ihn sah.

Er nahm sie an der Hand und führte sie aus der Küche in das Wohnzimmer. Offensichtlich wollte er mit ihr allein sprechen, doch ich folgte ihnen. Immerhin war ich zwanzig und alt genug, um zu wissen, was geschehen war!

Mein Vater ließ sich erschöpft in einen Sessel fallen. »Die Gestapo war heute bei uns im Büro. Nach allen Parteien, der Sozialistischen und erst recht der Kommunistischen Partei, haben sie jetzt auch die Gewerkschaften verboten.«.

Er schüttelte resigniert den Kopf. So deprimiert hatte ich meinen Vater noch nie gesehen.

»Sie hatten SS-Leute dabei, die das Büro untersucht und verwüstet haben. Als ich dazwischengehen wollte, hat mir einer mit dem Gewehrkolben auf die Stirn geschlagen.« Er fuhr sich vorsichtig mit der Hand über die verletzte Stirn.

»Um Himmels willen«, rief meine Mutter aus. »Was willst du denn jetzt tun?«

Er sah meine Mutter an. »Sie haben mich gewarnt. Wenn ich weiterhin politisch oder gewerkschaftlich tätig bin, machen sie mich einen Kopf kürzer.« Er machte eine schneidende Bewegung zum Hals.

Meine Mutter schrie auf und hielt sich erschrocken die Hand vor den Mund.

Vater stand auf und ging zurück in die Küche, zum Spülbecken. Er nahm einen Lappen, der dort hing, und wischte sich das verkrustete Blut von der Stirn.

Ich war entsetzt über das, was er berichtet hatte.

Inzwischen war auch Inger nach Hause gekommen, die sich vor Kurzem mit einem jungen Norweger, Erling, verlobt hatte. »Was willst du jetzt machen, Papa?«, fragte sie.

»Wir, meine Genossen und ich, werden weiterarbeiten. Wir können Norwegen und alle unsere Ideale nicht kampflos aufgeben«.

»Aber wenn sie euch erwischen?«, reagierte meine Mutter entsetzt.

»Das werden sie nicht! Wir werden vorsichtig sein!« Er nahm sie in die Arme. »Mach dir nicht zu viele Sorgen, Ragnhild!« Und zu uns gewandt: »Sprecht mit niemandem darüber, hört ihr?«

Wir nickten.

Von da ab sahen wir unseren Vater nicht mehr so regelmäßig wie früher. Er wohnte weiterhin bei uns, aber was er arbeitete und wo, das wussten wir nicht und sollten es auch nicht erfahren.

»Je weniger ihr wisst, umso besser ist es für euch!«, meinte er nur.

Das Leben allgemein wurde schwieriger. Als Erstes wurden Lebensmittel rationiert. Die deutschen Soldaten mussten mitversorgt werden, und was nicht als Nachschub aus Deutschland kam, nahm sich die Wehrmacht für ihre 300.000 Soldaten, die in Norwegen stationiert waren, von der Bevölkerung.

Elektrischer Strom wurde begrenzt, man wusste nie genau, wann man welchen bekam. Es war gut, dass wir neben dem modernen Elektroherd einen alten Kohleofen besaßen. Somit war man mit Kochen und Heizen unabhängiger.

Dann wurde das Hören von Nachrichten verboten, später mussten alle Radios abgegeben werden. Wir waren empört, denn nun konnten wir auch keine Musik mehr hören, keine flotten Schlager, nach denen wir oft getanzt hatten.

Nicht alle haben ihre Rundfunkempfänger abgegeben und folgten heimlich Radio London, was strengstens verboten war und bei Entdeckung drastisch bestraft wurde.

Später wurden auch die Privatautos beschlagnahmt, nur die Mitglieder der Nasjonal Samling, die mit der Gestapo zusammenarbeitete, durften ihre Autos behalten oder bekamen welche zugeschanzt.

Jedermann durfte nur noch fünfzig Kronen von der Bank abheben; man wollte verhindern, dass ein Run auf die Banken stattfinden und der gesamte Zahlungsverkehr zusammenbrechen würde.

Die Zeitungen wurden gleichgeschaltet, durften nur berichten, was die Besatzungsmacht erlaubte. So gelang es immer weniger, andere Nachrichten als die der deutschen Propaganda zu erfahren, sofern man nicht heimlich Fremdsender abhörte.

Norwegische Sportvereine sollten sich, nach deren Untersagung, unter einem deutschen Sportverband vereinen, was die Norweger verweigerten. An den Schulen zeigte man deutsche Propagandafilme, ebenso in den Kinos vor den Filmen. Verdunkelungen wurden angeordnet und bei Nichtbeachtung streng bestraft. Vor allem nachts verfügte man Ausgangssperren.

Durch den teilweise eingestellten Fähr- und Zugverkehr fühlte man sich isoliert, konnte nicht mehr wie bisher frei herumreisen.

All diese Maßnahmen sollten den Norwegern bewusst machen, dass ihr Land unter Kontrolle der Deutschen stand, sie die Macht übernommen hatten.

Dann fielen die ersten Bomben der Engländer auf Norwegen und auch auf Oslo.

Wenn der Fliegeralarm über der Stadt heulte, mussten wir bis zur Entwarnung in den Keller unseres Hauses flüchten. Den grässlichen Ton der Sirenen habe ich noch heute in den Ohren.

Einmal, so erinnere ich mich, wurde die Stadt komplett evakuiert, weil man erfahren hatte, dass die Engländer sie bombardieren wollten, um die deutschen Besatzer zu vernichten. Wir nannten das später den »Katastrophentag«, der glücklicherweise nur einen Tag dauerte.

Um sicher zu sein, flüchteten wir aufs Land zu einem Bekannten, Jul Hannsen. Es fielen glücklicherweise keine Bomben auf Oslo, aber viele auf Bergen und im Norden Norwegens.

Einmal kam der Betriebsleiter unserer Firma zu uns und schickte uns alle nach Hause: »Das wird nichts mit Arbeiten heute, zu viele Fliegeralarme. Bleibt zu Hause und geht in den Keller, das ist besser so!« Auch die Schulkinder wurden nach Hause geschickt.

Immer öfter geschah es, dass Menschen verschwanden, verschollen blieben. Auch Freunde und Bekannte waren darunter.

Inzwischen wusste man, dass die Deutschen über ganz Norwegen verteilt Konzentrationslager errichtet hatten, wohin sie diese Menschen brachten.

Eines dieser KZs war etwas außerhalb von Oslo, Grini fangeleir. Anfangs wusste man nichts Genaues darüber, später erfuhr man, dass sie als Hinrichtungsstätten, als Gefangenen- und Durchgangslager für Transporte in die großen Konzentrationslager in Deutschland benutzt worden waren.

Bald begannen auch die Verfolgung und Deportation von Juden, die in Norwegen lebten. Auch wir kannten einige jüdische Familien, doch viele hatten es geschafft, rechtzeitig in das benachbarte neutrale Schweden oder gar nach Amerika zu fliehen.

Trotz all dieser Widrigkeiten versuchten wir Mädchen, unser Leben weiterzuleben wie bisher.

Wir gingen ins Kino und ließen die deutsche Propaganda, die von den glorreichen Siegen an allen Fronten berichtete, über uns ergehen. Meist waren auch deutsche Soldaten anwesend, dann äugten wir neugierig zu ihnen hin. Sie versuchten, mit uns in Kontakt zu kommen, sprachen uns an, aber wir wussten, dass wir nicht mit ihnen reden durften.

Auch öffentliche Tanzveranstaltungen waren inzwischen verboten, aber wir kannten Räume in Kellern, legten dort Platten auf und tanzten trotzdem.

Oft kamen auch junge deutsche Soldaten dazu. Auch sie sehnten sich nach etwas Abwechslung von ihrem Dienst und wollten mit uns Mädchen flirten. Sie waren jung und hatten mit ihrem ruhigen Dienst in Südnorwegen das große Los gezogen, im Gegensatz zu Soldaten, die in anderen Kriegsgebieten in Europa hart an der Front kämpfen mussten.

Einmal wurde unsere Tanzveranstaltung verraten, und die »Kettenhunde«, so nannten wir die Soldaten der SS, der Schutzstaffel Hitlers mit ihren besonderen Uniformen und Rangabzeichen, stürmten in den Saal. Sie drehten die Musik ab und befahlen den Soldaten barsch, zu gehen.

»Schämt euch, hier zu tanzen, während eure Kameraden in Russland an der Front kämpfen!«, brüllten sie.

Auch wir mussten verschwinden. Trotzdem haben wir uns immer wieder zum Tanzen getroffen, dieses Vergnügen wollten wir uns von den Deutschen nicht nehmen lassen.

Einmal lief ein riesiges deutsches Kriegsschiff in den Hafen ein, um Frischwasser aufzunehmen. Am Abend strömte eine Menge von Soldaten zu unserer Tanzveranstaltung in Begleitung norwegischer Mädchen, und wir wunderten uns, wo sie die so schnell »aufgerissen« hatten. Standen die schon am Hafen und warteten auf die Soldaten? Erregte Diskussionen unter uns Freundinnen folgten. Wie konnten sich diese Mädchen nur so benehmen!

Am nächsten Tag waren die jungen Männer wieder fort, mit ihrem Schiff hinauf in den Norden transportiert worden, wo die Kämpfe stattfanden.

Die deutschen Soldaten waren überall. Sie marschierten durch die Stadt, gingen in ihrer Freizeit in kleinen Gruppen einkaufen, standen, jetzt im Sommer, am Hafen herum und versuchten, mit Mädchen in Kontakt zu kommen.

Gelegentlich hörte man von einem Mädchen, das sich mit einem Soldaten eingelassen hatte. Das wurde heftig diskutiert. Grundsätzlich war man strikt dagegen, einige wenige urteilten nicht ganz so hart, hatten ein gewisses Verständnis für die jungen Soldaten in der Fremde bei uns. Ganz sicher waren nicht alle begeistert in den Krieg gezogen, sondern mussten gezwungenermaßen an die Front.

Doch grundsätzlich war es ein Skandal, wenn ein Mädchen ein Verhältnis mit einem Deutschen hatte. Man nannte sie abfällig »Tyskertøs«, was so viel wie »Deutschenflittchen« bedeutete.

So vergingen der Sommer und ein langer, kalter, dunkler Winter, bis es endlich wieder warm wurde. Ein ganzes Jahr waren die Deutschen nun schon in Norwegen.

Åse und ich nahmen erneut unsere Ausflüge aufs Land auf. Sie war glücklich, dass ihr Freund Einar zurück nach Oslo kam, und die beiden wollten so bald als möglich heiraten.

Eines Tages sagte meine Mutter zu mir: »Deine Cousine Ingeborg aus Ålesund kommt uns besuchen. Sei so lieb und kümmere dich ein wenig um sie, zeig ihr Oslo und nimm sie mit auf eure Ausflüge. Sie hat außer Ålesund noch nichts gesehen, und jetzt im Krieg kommt sie ohnehin nirgendwo mehr hin.«

Ingeborg war drei Jahre jünger als ich, ein ruhiges, schüchternes Mädchen, und ich nahm sie gerne zu unseren Ausflügen mit.

Max

Es war der 1. Mai 1941. Ein wunderschöner, warmer Sonntag, daran erinnere ich mich genau.

Ich beschloss, mit Ingeborg hinaus zum Oslofjord zu fahren. Wir packten unsere Badesachen und Proviant ein und nahmen den Bus bis Ekeberg, wo inzwischen eine deutsche Seemannsschule stationiert war.

Wir wanderten am Hochufer des Fjords entlang, bis wir eine geeignete Stelle zum Sonnenbaden fanden, zogen unsere Badeanzüge an und genossen den schönen Tag. Der Himmel war blau, kein Wölkchen zu sehen, und wir schauten hinunter auf die sich kräuselnden Wellen des Wassers, beobachteten die kreischenden Möwen, die über dem Fjord ihre Flugkunststückchen vorführten.

Wir ahnten nicht, dass zwei junge Soldaten, die vom Flachdach der Seemannsschule den Hafen kontrollierten, uns mit dem Fernrohr beobachteten.

Der herrliche Frühsommertag neigte sich dem Ende zu, und Ingeborg und ich packten unsere Sachen, um den Bus zu erreichen, der uns nach Oslo zurückbringen sollte. Da sah ich zwei junge Männer in Matrosenuniformen auf uns zukommen.

»Da kommen deutsche Soldaten!«, raunte ich Ingeborg zu. »Du darfst sie nicht anlächeln und nicht mit ihnen reden, ignoriere sie einfach!« Ingeborg nickte folgsam.

Die beiden kamen näher und begrüßten uns in einem etwas holprigen Norwegisch: »Hey, ein schöner Tag heute!«

Wir schwiegen, wandten uns ab und nahmen unsere Taschen auf. Der eine sprang herzu und nahm sie mir ab. Er zeigte auf sich und sagte: »Ich heiße Max!«, dann deutete er auf mich: »Und du?«

»Morild«, sagte ich widerstrebend.

»Ah, Morild!«

Ich sah ihn an. Er sah sehr gut aus, seine braunen Locken waren vom Wind zerzaust, was ihm ein verwegenes Aussehen gab. Seine dunklen Augen blitzten, und er lächelte mich an, freundlich und ein wenig schüchtern, wie mir schien. Mein Herz begann, heftig zu klopfen.

Er sprach ein wenig norwegisch, und ich hatte während der Besatzungszeit einige Worte Deutsch gelernt, trotzdem war unsere Unterhaltung recht eingeschränkt.

»Zum Bus, nach Oslo?«, fragte er.

»Ja«, antwortete ich einsilbig und wollte nach meiner Tasche greifen, doch er gab sie mir nicht zurück, sondern ging neben mir her, lächelte mich immer wieder an.

Sein Freund, der sich als »Fritz« vorgestellt hatte, ging mit der armen Ingeborg, die vor Aufregung zitterte, hinter uns her.

Immer wieder blickte ich Max neugierig von der Seite an, und wenn er es bemerkte und mich anlächelte, sah ich schnell weg. Er gefiel mir.

Es war nicht nur sein gutes Aussehen, sondern die Art, wie er mich ansah, wie er lachte.

Als wir in die Nähe der Bushaltestelle kamen, blieb ich stehen, deutete nach vorne auf die ersten Häuser des Ortes und schüttelte den Kopf.

»Ich verstehe«, meinte er bedauernd. Er gab mir meine Tasche und nahm meine Hand. Dann zeigte er auf seine Uhr, zeigte auf die Sieben.

»Morgen, hier, sieben Uhr?« Er sah mich bittend und erwartungsvoll an. Ich schüttelte den Kopf. »Bitte!«, beharrte er.

Ich zögerte, schüttelte erneut den Kopf.

»Ich werde hier sein, Morild!«

Ich warf ihm einen bedauernden Blick zu, sagte nichts, ging weiter, Ingeborg hinter mir herziehend.

Kurz vor dem Ort drehte ich mich um. Er stand immer noch an derselben Stelle, blickte mir nach. Nun hob er die Hand und winkte. Ich winkte verstohlen zurück.

Ingeborg und ich rannten los zum Bus, atemlos erreichten wir ihn gerade noch. Als wir schließlich saßen, meinte Ingeborg: »Du wirst doch morgen nicht dort hingehen, oder etwa doch?«

»Nein«, gab ich entrüstet zurück. »Auf gar keinen Fall!«

Als ich abends im Bett lag, konnte ich meine Gedanken nicht von dem jungen Mann losreißen, der Max hieß und Deutscher war.

Immer wieder sah ich ihn vor mir, seine wilden Locken im Wind, seine strahlenden Augen und sein spitzbübisches Lächeln. Ich spürte die Berührung, als er mir zum Abschied seine Hand gegeben hatte, mich durchströmte ein warmes Gefühl, bis in mein Herz hinein.

Endlich schlief ich ein.

Der nächste Tag war ein gewöhnlicher Arbeitstag und doch gänzlich anders für mich. Ich träumte vor meiner Nähmaschine vor mich hin, ließ jede Sekunde der Begegnung mit Max vor meinem inneren Auge immer und immer wieder ablaufen.

»Hey, Morild! Was ist los mit dir? », rief mir Åse von ihrem Arbeitsplatz aus zu. »Ich habe dich jetzt schon zwei Mal gefragt, ob du heute Abend mit zum Tanzen kommst.«

»Ich weiß nicht, ich bin müde!«, gab ich zurück.

»Müde? Du?«, lachte sie. »Wenn es zum Tanzen geht? Das kann ich nicht glauben! Bist du krank?«

»Nein! Ich bin nicht krank, nur müde«, und als Åse wieder verwundert den Kopf schüttelte, meinte ich zögernd: »Na gut, dann komme ich eben mit. Wann geht es los?«

»Nicht zu spät, um fünf Uhr, gleich nach Arbeitsschluss. Wir müssen vor der Ausgangssperre um zehn zu Hause sein, bevor die Kettenhunde womöglich wiederkommen!«

Am Abend zog ich ein hübsches Kleid an, legte Puder und Lippenstift auf, kämmte meine Locken und flocht mir ein Band ins Haar. Ich drehte mich vor dem Spiegel. Was wohl Max sagen würde, wenn er mich so sähe? Zu gern würde ich ihn wiedersehen. Ich sah mir im Spiegel in die Augen. Und wenn ich …? Ich streckte meinem Spiegelbild die Zunge raus. Nein, ich durfte nicht einmal daran denken! Ich wollte keine »Tyskertøs« sein, kein Deutschenflittchen.

Ich ging durch die Stadt zu der Tanzveranstaltung, sah die vielen Soldaten auf den Straßen, schaute verstohlen jeden an, hoffte, Max zu sehen, aber er war nicht dabei. Als ich endlich ankam, war die Party schon in vollem Gange.

»Morild, wo steckst du denn so lange?«, begrüßte mich Åse, die mit Einar vorbeitanzte.

»Ach, ich habe Kopfschmerzen, es geht mir nicht gut!«, rief ich ihr nach. Sogleich kam einer aus unserer Clique zu mir, wollte mit mir tanzen, doch ich gab ihm einen Korb, und er zog beleidigt ab.

Ich setzte mich abseits in eine dunkle Ecke und sah den anderen zu. Die große Uhr an der Wand zeigte kurz vor sechs. Wenn ich jetzt losrennen würde, könnte ich den Bus nach Ekeberg noch erreichen, rechnete ich mir aus. Sollte ich wirklich? Als ich sah, dass ein anderer Freund auf mich zukam, stand ich schnell auf und lief nach draußen. Ich hatte weder Lust, zu tanzen, noch Lust, mich zu unterhalten.

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