Mrs. Caldwell spricht mit ihrem Sohn - Camilo José Cela - E-Book

Mrs. Caldwell spricht mit ihrem Sohn E-Book

Camilo José Cela

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Beschreibung

Literaturnobelpreisträger Camilo José Cela erzählt von der großen Trauer einer Mutter »Ich spreche mit meinem geliebten Sohn Eliacim« In kurzen, imaginären Gesprächen unterhält sich Mrs. Caldwell mit ihrem im Krieg gefallenen einzigen Sohn. Ihre Erinnerungen an unzählige Details aus seinem Leben verbinden sich zu einem geschlossenen Bild. In oft erschütternder, lyrischer Prosa folgt er den Gedanken Mrs. Caldwells, die sich immer mehr verwirren und ihren Weg in den Wahnsinn nachzeichnen.

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Übersetzung aus dem Spanischen von George Leisewitz überarbeitet von Gerda Theile-Bruhns unter Mitwirkung des Autors

 

ISBN 978-3-492-98394-5

 

© für diese Ausgabe: Piper Verlag GmbH, München 2018

© Camilo José Cela 1951

© Heirs of Camilo José Cela, 2002

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »Mrs. Caldwell habla con su hijo« 1953

Deutschsprachige Ausgabe:

© Peter Schifferli Verlags-AG »Die Arche«, Zürich, 1961

Covergestaltung: Zero Media GmbH

Covermotiv: FinePic, München

Datenkonvertierung: abavo GmbH, Buchloe

 

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Inhalt

Cover & Impressum

Prolog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

14a. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

41. Kapitel

42. Kapitel

43. Kapitel

44. Kapitel

45. Kapitel

46. Kapitel

47. Kapitel

48. Kapitel

49. Kapitel

50. Kapitel

51. Kapitel

52. Kapitel

53. Kapitel

54. Kapitel

55. Kapitel

56. Kapitel

57. Kapitel

58. Kapitel

59. Kapitel

60. Kapitel

Kapitel 60a

61. Kapitel

62. Kapitel

63. Kapitel

64. Kapitel

65. Kapitel

66. Kapitel

67. Kapitel

68. Kapitel

69. Kapitel

70. Kapitel

71. Kapitel

72. Kapitel

73. Kapitel

74. Kapitel

75. Kapitel

76. Kapitel

77. Kapitel

78. Kapitel

79. Kapitel

80. Kapitel

81. Kapitel

82. Kapitel

83. Kapitel

84. Kapitel

85. Kapitel

86. Kapitel

87. Kapitel

88. Kapitel

89. Kapitel

90. Kapitel

I

II

91. Kapitel

92. Kapitel

93. Kapitel

94. Kapitel

95. Kapitel

96. Kapitel

97. Kapitel

98. Kapitel

99. Kapitel

100. Kapitel

101. Kapitel

102. Kapitel

103. Kapitel

104. Kapitel

105. Kapitel

106. Kapitel

107. Kapitel

108. Kapitel

109. Kapitel

110. Kapitel

111. Kapitel

112. Kapitel

113. Kapitel

114. Kapitel

115. Kapitel

116. Kapitel

117. Kapitel

118. Kapitel

119. Kapitel

120. Kapitel

I

II

III

IV

V

121. Kapitel

122. Kapitel

123. Kapitel

124. Kapitel

125. Kapitel

126. Kapitel

127. Kapitel

128. Kapitel

129. Kapitel

130. Kapitel

131. Kapitel

132. Kapitel

I

II

III

133. Kapitel

134. Kapitel

135. Kapitel

136. Kapitel

137. Kapitel

138. Kapitel

139. Kapitel

140. Kapitel

141. Kapitel

142. Kapitel

143. Kapitel

144. Kapitel

145. Kapitel

146. Kapitel

147. Kapitel

148. Kapitel

149. Kapitel

150. Kapitel

151. Kapitel

152. Kapitel

153. Kapitel

154. Kapitel

155. Kapitel

I

II

lll

156. Kapitel

157. Kapitel

158. Kapitel

159. Kapitel

160. Kapitel

161. Kapitel

162. Kapitel

163. Kapitel

164. Kapitel

165. Kapitel

166. Kapitel

167. Kapitel

168. Kapitel

169. Kapitel

170. Kapitel

171. Kapitel

172. Kapitel

173. Kapitel

174. Kapitel

175. Kapitel

176. Kapitel

177. Kapitel

178. Kapitel

179. Kapitel

I

II

180. Kapitel

181. Kapitel

182. Kapitel

183. Kapitel

184. Kapitel

185. Kapitel

186. Kapitel

187. Kapitel

188. Kapitel

189. Kapitel

190. Kapitel

191. Kapitel

192. Kapitel

193. Kapitel

194. Kapitel

195. Kapitel

196. Kapitel

197. Kapitel

198. Kapitel

199. Kapitel

200. Kapitel

201. Kapitel

202. Kapitel

203. Kapitel

204. Kapitel

205. Kapitel

206. Kapitel

207. Kapitel

208. Kapitel

209. Kapitel

210. Kapitel

211. Kapitel

212. Kapitel

Schlußwort

Prolog

 

Ich lernte Mrs. Caldwell in Pastrana kennen, als ich vor längerer Zeit durch die Alcarria reiste. Mrs. Caldwell löste gerade ganz vorsichtig im Sterbezimmer der Prinzessin von Eboli die Fliesen los. Sie wickelte die Kacheln einzeln in Seidenpapier und verstaute sie in ihrem Koffer, dessen Bauch vollgestopft war mit den verschiedenartigsten, jedoch peinlich geordneten Dingen.

Eines Tages nach dem Abendessen im Gasthaus las sie mir aus den Erinnerungen an ihren geliebten Sohn Eliacim vor, der zart wie das Blatt eines Wasserfarns gewesen und als Held in den stürmischen Wellen des Ägäischen Meeres umgekommen ist.

Mrs. Caldwell hatte vor, ihre kleine Arbeit zu nennen: Ich spreche mit meinem vielgeliebten Sohne Eliacim.

Sie hatte noch mehr Titelvorschläge in ihrer Mappe. Dieser jedoch war ohne Zweifel der schönste.

Vor anderthalb Monaten schrieb mir ein Freund aus London, der Wachtel-Kastrierer Sir David Laurel Desvergers, und teilte mir die traurige Nachricht mit, daß Mrs. Caldwell im Königlichen Irrenhaus jener Stadt verstorben sei. Sir David schickte mir außer dem Brief noch ein Paket mit dem Manuskript der Mrs. Caldwell und schrieb dazu: »Sie hat gewünscht, daß man diese Papiere an Sie senden solle. An Sie, den jungen Vagabunden, mit dem sie bis zum Überdruß, beinah bis zum Ekel vertraut gewesen sei. Mrs. Caldwell sprach mit viel Sympathie von Ihnen und erklärte meiner Frau und mir, Sie hatten einen süßen, ausweichenden Blick, sehr ähnlich dem ihres geliebten Sohnes Eliacim Arrow Caldwell, der zart wie die Blätter eines Wasserfarns gewesen und, wie Sie vielleicht wissen, als Held in den stürmischen Wellen des Ägäischen Meeres [östliches Mittelmeer] umgekommen ist.«

Die Erinnerungen, die ich hiermit dem Publikum übergebe, stammen also von meiner armen Freundin Mrs. Caldwell, der alten Stromerin, mit der ich bis zum Überdruß, wenn auch nicht bis zum Ekel vertraut war. Sie möge in Frieden ruhen.

1. Kapitel

Ich weiß genau, warum du so herumspringst, mein kleiner Eliacim!

Du kamst hereingesprungen wie ein verrückter Cherubim, wie ein Cherubim, dem eine feuchte Wolke scheinbar das Hirn ausgesogen hat. Ich war schon daran gewohnt, dich so zu sehen. Dein Vater – Gott hab ihn selig – hat sein ganzes Leben damit zugebracht, die merkwürdigsten Sprünge aller Art zu vollführen: Seitensprünge, Salti mortali, polnische Sprünge, Sprünge wie eine eifersüchtige Rohrdommel, zimperliche Sprünge … Du sprangst herbei, unglaublich hohe Sprünge machend wie ein verrückter Cherubim.

»Ich will dir was erzählen«, sagtest du mit vor Freude roten Wangen, »etwas worüber man sich totlachen oder zum mindesten sich einen Bruch anlachen kann.« Ich aber antwortete dir mit tauber Seele: »Nein, erzähl mir nichts, ich habe Ohrenschmerzen.«

»Du hast Ohrenweh?«

»Ich habe es ja eben gesagt! Sie tun mir schrecklich weh.« Du zucktest darauf die Achseln, blinzeltest mit unbeschreiblicher Anmut, wenn auch vielleicht unbewußt und fingst an, leise zu pfeifen, ganz, ganz leise wie eine junge Amsel bei Sonnenaufgang:

 

Wie gerne ich lebe

Jetzt, wo mir die Ohren nicht weh tun.

Ich bin glücklich, beinahe ganz glücklich!

 

Man konnte sofort erraten, was du pfeifen würdest, mein Verräter, meine stinkende, vertraute Hyäne. Dazu brauchte man kein Luchs zu sein, um das zu wissen. »Kannst du dir denken, was ich dir sagen will?« fragtest du vorsichtig.

»Nein.«

»Nun, dann erzähl ich dir gar nichts. Das ist schlimmer. Ich werde dir nicht einmal sagen, daß es mir nicht egal ist, wenn dir die Ohren schmerzen. Das Wetter ist nicht für die Empfindsamen und nicht für die Leidenden gemacht. Mir tun auch manchmal die Ohren weh und ich sag’s niemandem außer dir. Mir tun auch oft die Ohren weh, zum Beispiel, wenn ich Pfefferminzsuppe esse und ich finde keine Brust, an der ich mich ausweinen kann.« Mit den Fingern in der Nase bohren wie du es tust, ist nicht angebracht für einen Staatsbeamten, für einen öffentlichen Angestellten. Das ist unwürdig. Du warst schon Staatsbeamter, warst schon öffentlicher Angestellter und trotzdem läufst du häufig, wenn auch nicht zu häufig, mit dem Finger in der Nase herum, als seist du ein Arzt oder ein ungarischer Graf. Ich mache dich schon nicht mehr darauf aufmerksam. Es ist deine eigene Angelegenheit. Das alles geschah in einer furchtbaren Sturmnacht in der Klubhütte, weißt du noch? Ich erinnere mich ganz genau. Du warst gerade Mitglied des Klubs geworden. Ohne den Einfluß deines Onkels Rosendo Gerald warst du nie in deinem Leben aufgenommen worden. Aber das ist ein anderes Kapitel. Ich hatte dir damals gesagt, ich wolle dich für fünfzehn Tage in die Berge einladen zum Faulenzen und du bemerktest, was ich immer so gern von dir hörte, daß die Tannen die Luft mit Ozon bereichern. Kann es möglich sein, daß du dich nicht mehr daran erinnerst?

Dort war auch dieser Schriftsteller, der nach langem Nachdenken die Worte aussprach: »Zwei dicke, schwarze Wolken vergnügen sich mit den Blitzen beim Tennisspiel.« Es war damals, wo Mistreß Pyle ihrem Manne untreu wurde. Es war zu komisch, sie zu beobachten!« Der Luftdruck ist zu niedrig«, meinte Mr. Pyle. »Es ist die Bergkrankheit.«

Am Feuer sitzend, warst du in ein Buch Gedichte vertieft, und ich zerstreute mich, indem ich folgendes dachte: Meinem lieben Söhnchen Eliacim würde ich gern allen Zauber der Natur schenken. [Ich weiß genau, daß mein Gedanke nicht besonders originell ist und das ist es, was ich dir, meinem Sohn, nie verzeihen kann, auch wenn ich es möchte. Ich will es aber gar nicht.] Die Welt des oberen Stockwerkes, der Nimbus des Schlafgemaches ist viel komplizierter.

»Gut, nun erzähl mir endlich diese Geschichte, bei der man sich totlachen oder wenigstens einen Bruch anlachen kann.«

Du bist sehr verwöhnt, Eliacim, sehr verwöhnt. Du hast dein Leben hingebracht, ihm deinen Willen aufzuzwingen.

Ein Diener des Klubs sagte: »Der Herr wird am Telefon gewünscht.«

Ich wußte zur Genüge, daß alle jungen Männer deines Alters sich unsterblich in die Freundinnen ihrer Mütter verlieben. Deshalb fragte ich dich: »Warum trinkst du so viel, mein Sohn? Wenn du in diesem Tempo weitertrinkst, wirst du dich frühzeitig ruinieren.«

Du fingst darauf wieder an zu pfeifen. Aller Wahrscheinlichkeit nach war das Lied, das du dir ausdachtest, ungefähr so:

 

Wie ich Sie im Geheimen liebe

O süße Hortensia meines Herzens,

o allersüßeste Hortensia Pyle.

Für einen Kuß Ihres schön bemalten Mundes

für einen einzigen Kuß,

auch wenn Sie ihn mir nicht in heißem Begehren geben

würde ich Ihnen mit Freuden

meine ganze Zukunft schenken.

Tralala, tralala, tralala.

Irgendeinmal konnten wir uns im unsicheren Lichte

des Mondes an den Händen halten,

um uns kurze, erregende Liebesworte

ins Ohr zu flüstern

Zum Beispiel: Tropisch oder Lippen

oder goldene Perle oder Flaumhärchen.

Ich glaub’ schon.

Ich bin jung und ich bin voller Hoffnung.

Tralala, tralala, tralala.

 

Glaube mir mein Sohn, all das ist Lug und Trug für mich.

2. Kapitel

Music Hall

Du kamst herein und sagtest: »Wo ist Genoveva, die Mulattin aus Algerien? Wo ist sie hin die ruchlose Genoveva? Man hat mir gesagt, daß sie sich die Haare grau Farbe. Wissen Sie etwas davon?«

Niemand antwortete dir. Neben mir saß eine schon ältliche Dame, die, wie sie mir erzählte, die Frau eines Husarenoberst war, der sich beachtlich bei Dünkirchen ausgezeichnet hatte. Sie fragte mich: »Kennen Sie diesen netten jungen Mann?«

Nun gut, sie hat nicht das Wort nett gebraucht.

»Ja, es ist mein Sohn, mein einziger Sohn, und er heißt Eliacim.«

»Sehr witzig, sehr witzig«, meinte sie.

Verzeih mir, mein Sohn, aber ich mußte allem zustimmen, was diese Dame sagte. Ich werde es dir nicht wiederholen. Denn wenn es auch nicht übermäßig unfreundlich war, so war es auch nicht sonderlich angenehm für dich, was man so gemeinhin angenehm nennt. Du gingst dann wie ein Triumphator zur Bar. Ich dachte: aha, es ist so weit. Aber nein, zum Glück nicht.

Die Frau des Husarenobersten war sehr gesprächig, ja geschwätzig. Sie war ältlich, wie ich dir schon sagte, hatte aber wundervolle grüne Augen voll Versprechungen, die in Erfüllung gegangen waren.

»Mein Mann heißt Epiphanias. Meinen Sie nicht auch, das sei ein wohlklingender und schöner Name? Mein Mann trinkt gern Ojén, ein spanischer Branntwein, der sehr gut für den Magen ist. Er wurde an einer Vorhautverengung operiert. Und Ihr Mann?«

»Mein Mann ist tot. Als junger Mann mußte er die gleiche Operation durchmachen. Als er starb, konnten wir uns nur ein Begräbnis zweiter Klasse leisten, denn wir waren in keiner sehr guten finanziellen Lage. Er, der Arme, hat das wohl gemerkt. Denn kurz vor seinem Tode fragte er mich dauernd: ›Meinst du nicht, man konnte von dem Herrn im zweiten Stock etwas Geld borgen? Er ist immer so nett gewesen. Vielleicht brächten wir dann doch ein Begräbnis erster Klasse zustande?‹ Sie werden verstehen, liebe Freundin, daß ich mich auf beiden Ohren taub stellte. Sie als verheiratete Frau werden wissen, was ich meine.«

Du trankst inzwischen Whisky und machtest einen recht guten Eindruck mit deiner neuen, orange-blauen Krawatte, die sehr sorgfältig gebunden war, und mit deinen Augen, die du ohne Zweifel von dem geerbt hast, der, wie dein armer Vater immer sagte, so nett gewesen sei. Und dieser Herr hatte auf meine Bitte hin sicherlich das fehlende Geld gegeben, um deinem Vater, wie er es verdiente und wie es sein letzter Wille war, ein Begräbnis erster Vorzugsklasse A zu ermöglichen.

3. Kapitel

Hilf mir bitte diesen Strang cyclamenfarbener Wolle abzuhaspeln.

»Ich will nicht, ich will nicht! Begreifst du denn nicht, wen du um all diese Dinge bittest, um die nichtigsten Dinge?«

Mein Sohn, du warst gelb vor Wut wie eine süße Kartoffel in Sirup, wie ein funkelnagelneuer Ehering. Du warst nicht wütend darüber, daß ich dich bat, mir den Strang zu halten, damit ich die cyclamenfarbene Wolle aufwickeln konnte [andere Male hast du mir mit viel Vergnügen bei solcher Arbeit geholfen], sondern wegen der sieben Gründe, die ich jetzt, wo ich keine Angst mehr habe, dir aufzählen werde.

[Entschuldige, daß ich römische Ziffern benutze wie Müller in seiner »Geschichte der griechischen Literatur«. Ich weiß wohl, es ist ein Mangel an guter Erziehung, und ich hatte es vermeiden müssen.]

 

I. Mit meiner Freundin Rosa, trotzdem sie aus Mallorca ist, kann man nichts anfangen. Du weißt das genauso gut wie ich, ja sogar besser. Viel Mondschein, viel Hand in Hand und zu bestimmten Zeiten viele Einladungen, den Duft der Blumen zu genießen; viel gemeinsames Lesen von Gedichten des Samuel Taylor Coleridge … Aber das war deine Angelegenheit! Verkehrte Taktik. Wenn ich jünger wäre, würde ich selbst es dir an einem Experiment zu beweisen versuchen. Es würde wirksamer sein, meine ich, der geliebten Frau die Brust, die Schultern, die Schenkel mit Margeriten zu bedecken. Rosa, Rosa!

 

II. Du suchtest nach Gründen, um wie dein Vetter Albert sagen zu können: »O Gott, o heiliger Gott, warum überläßt Du mich meinen eigenen, schwachen Kräften in so entscheidendem Augenblick!« Aber mein Lieber Sohn, wenn deinem Vetter Albert jemand in den schwierigen, entscheidenden Augenblicken beistehen würde, wäre dein Vetter Albert wesentlich weniger glücklich. Er selbst hat es mir bei einer bestimmten Gelegenheit gebeichtet mit Tränen in den Augen: »Tante, bitte entblöße diese Schulter nicht…«

 

III. Seit zweiundsiebzig Stunden spielen sie – trotz deiner Aufmerksamkeit – im Radio nicht mehr das Lied vom Gondoliere, das von den goldenen Locken und dem tiefen Blick – kitschig aber eindrucksvoll! Mir tut es auch weh, glaube mir…

 

IV. Du bist unsicher, wenn ich dich schelte und dir zum Beispiel sage: Mein Sohn, warum bestehst du so hartnäckig darauf, Zickzack über den Bürgersteig zu gehen, um auf keine Striche zu treten? Merkst du denn nicht, daß du dadurch Anlaß zu Gemunkel gibst? Ich sage das ja nur in Hinsicht auf deine Zukunft.

 

V. Der Mond, das blasse Gestirn der Nacht, wie sich jener Verkehrsminister so reizend ausdrückte, befindet sich in einer wenig günstigen Phase.

 

VI. In der Bierkneipe »Die Libelle aus silberfarbenem Atlasstoff, die pfeift, singt, trinkt und Glück vermittelt« werden die Sandwichs mit Yorkshire-Schinken nicht mehr verkauft von jenem Bauernmädchen aus Wales mit den gedrechselten Beinen und den Backen wie Sonnenblumen, dem Haar so schwarz wie Gagat. Sie hieß… ich habe vergessen, wie sie hieß. Aber daran erinnere ich mich, daß, während sie die Gläser ungestüm abwusch, ihr Halsausschnitt sich spannte und glänzte.

 

Und VII. Deine liebe Braut, das Fräulein Pepper [nein, nein, ich habe keine Lust, sie mit dem lächerlichen Namen, den sie hat, zu nennen!] schielt vor Gefühlsseligkeit. Als ich dich darauf hinwies, warst du aufgebracht. Aber jetzt wirst du gemerkt haben, daß Mütter immer die Wahrheit sagen.

Und die Wahrheit ist, daß ich es nicht für klug hielt, beim Abwickeln des Strangs cyclamenfarbener Wolle, die ich gekauft hatte, dich um Hilfe zu bitten. Jetzt, wo der Frost kommt, wollte ich dir einen Schal stricken, der dich vor Erkältungen, vor allem vor der Bronchitis schützen sollte.

4. Kapitel

Ein Tango aus alten Zeiten

Ich fühle mich wie ein kleines Mädchen, wenn ich mit dir jenen greulichen Tango tanze, der so anfängt: Komm wieder in meine Arme, vergiß, was geschah. Wir sind Nullen mein Sohn, einfach Nullen, geliebter Eliacim.

Mit silbernem Haar. Wie entsetzlich! Mit einem bitteren Zug um den Mund. Wie entsetzlich! Mit totem Blick. Wie entsetzlich!

Mein Sohn, tanze mit mir diesen Tango. Halte mich fest an dich gedrückt und trällere mir leise dieses widerwärtige Lied ins Ohr; es schenkt mir die Jugend wieder und füllt mir die Brust mit schlechten Absichten. Gehorche deiner Mutter, mein Sohn, damit niemand sagen kann, du seiest ungehorsam.

5. Kapitel

Die Tradition

Mein Sohn, wenn du die Tradition nicht liebst, wirst du niemals völlig glücklich sein. Du wirst nur zeitweise glücklich in verlorenen Augenblicken, wenn du, trotz allen Widerstandes kein anderes Mittel mehr weißt, als glücklich zu sein. Nur obenhin glücklich, wie ein Kügelchen das, da man es so lange angesehen hat, Vertrauen faßt und sich plötzlich in einen Skarabäus mit Flügeldecken von altgoldener Farbe verwandelt.

Du mein Sohn, solange du das Althergebrachte nicht liebst, wirst in deinem Herzen die Orchideen nicht wuchern sehen. Nein, keine Orchideen, besser Lilien. Denn Lilien bewirken den nützlichen Ruhm, den Ruhm, nach dem man eingeschätzt wird und der verursacht, daß man von dem, der ihn hat, sagt: Das ist ein Traum von einem Jungen. Der wird’s weit bringen!

Und du mein Sohn, solange du die Tradition nicht liebst oder wenigstens so tust, als ob du sie liebtest, wirst das goldene Ei nicht legen.

Ich erfülle meine Pflicht und mache dich darauf aufmerksam. Du kannst nun handeln wie es dir richtig erscheint.

6. Kapitel

Eine Partie Poker, die niemand sehr interessant fand

Es waren drei Spieler, mein Sohn, drei und mit dir vier. Es schlug ein Uhr in der Nacht. Die Bar war gedrängt voll Damen und Herren. Jener Amerikaner, den die Polizei einige Tage später über die Grenze abschob, fing seine Litanei wie jede Nacht an: Ladies and Gentlemen. Es klingt gut dies »Ladies and Gentlemen«. Die junge Herzogin von Selsey erzählte mit schreiender Stimme die freche Geschichte vom Torero und dem Jagdhund. Der Admiral MacTrevose, ganz rot vor Glück, drückte seine Knie gegen die Knie der Mrs. Stornoway, diese schüchterne Rothaarige, die ihrem Mann so viel Verdruß macht. Du, mein Sohn, ganz vertieft in dein Pokerspiel, vergaßest die einfachsten Regeln des göttlichen Triebwerkes, als du Maria Rose am Handgelenk packtest und sagtest: »Verzeihung, mir wäre es lieber, wenn Sie nicht betrügen würden.« Ich war stolz auf dich, als ihr Mann dir jenen schrecklichen Schlag auf den Mund versetzte, das kannst du mir glauben!

7. Kapitel

Das Schlimme kam hinterher

Du warst ein selbstquälerischer Junge, zeigtest der Welt ein barsches Wesen. Wahrscheinlich hieltest du dich für schwieriger als nötig. Du dichtetest in Versen und in Prosa, ohne großen Erfolg, das ist wahr. Du dachtest oder besser gesagt, du träumtest mit gewissem Genuß, gewisser Heftigkeit sogar. Und die hauchzarte Bewegung eines Blütenblattes, der lärmende Laut eines bunten Schmetterlings im Flug oder eines verliebten Spatzen Blick, der fähig ist, Kathedralen einzureißen oder dein Herz, vor allem dein einsames Herz, all das erschien dir wie einem Schachspieler die Läufer, Türme, Königin und Bauern, logische Teile von völlig konventionellem Wert. Das Schlimme kam erst hinterher!

8. Kapitel

Der Cognac und der Rum

Bei jungen Leuten wie du, Eliacim, besteht stets die Möglichkeit zu einer übertriebenen Neigung für Synopsis. Ich habe dir immer gesagt: denk doch etwas vager, denke mehr Unpräzises. Etwas Konfusion ist nun einmal praktisch.

Aber du versteiftest dich eigensinnig darauf, nicht auf die Ratschläge der Älteren zu hören. Nun zum Glück warst du schon Staatsbeamter, Angestellter und könntest dich selbst einschätzen. Trotzdem glaube ich, du solltestgewisse Gewohnheiten ändern. Dem Weihnachtsputer gibt man ein paar Gläschen guten Cognacs, ehe man ihm den Hals durchschneidet. Weißt du, es ist wie ein Ritus. Dem zum Tode Verurteilten hat man früher auch ein Glas Rum gegeben. Es scheint, daß – sie wie soll man sagen – gestärkter von dannen gehen. Rum ist ein sehr männliches Getränk.

9. Kapitel

Die Libelle

Ich wünschte, du warst eine Libelle oder etwas ähnliches, klein, elegant, damit ich dich ewig an meinem Herzen tragen konnte.

10. Kapitel

Havanna-Zigarren

Du hattest deine Berufsausbildung beendet, auch das praktische Jahr, und damit war wirklich und ohne jegliche Zweifel deine Lehrzeit fertig. Da führtest du mich in den Park zu der hölzernen Bank unter dem alten Nußbaum, genannt »der glücksbringende Wurm«. Du sagtest und machtest dabei eine so überirdische Gebärde, daß ich – allerdings nur einen Augenblick lang – an eine Liebeserklärung dachte:

»Bist du zufrieden mit mir, liebe Mütter?«

Ich betrachtete aufmerksam einige allegorische Zeichnungen, die eine andere Frau und ein anderer Mann an einem längst vergangenen Tage in die Rinde des Nußbaums mit einer Messerspitze eingeritzt hatten. Ich wußte wahrhaftig nicht, was dir antworten. Ich war auf diese Frage nicht gefaßt.

Ich wollte es wieder gut machen und dachte: Mein Sohn, der alle seine Illusionen in diesen entscheidenden Augenblick gelegt hat, verdient es, daß man ihn mit mehr Zärtlichkeit, mit liebevolleren Gesten beschenkt.

Ich sagte zu dir: »Weißt du welche Havanna-Zigarren die aromatischsten, köstlichsten, handlichsten sind?«

Dein Blick folgte dem meinen und vereint ruhten sie auf einem von einem Pfeil durchbohrten Herzen, das jene Liebesleute vergangener Tage in der Rinde des »glückbringenden Wurms« des alten Nußbaums hinterlassen hatten. Er ist wie eine Klagemauer.

11. Kapitel

Isabella

Auf der Rennbahn Liebest du dich neulich vom Gefühl hinreißen und verlorst dein Geld. Die alte Isabella berückte dich mit ihren niederträchtigen Künsten, und jetzt mußt du die Folgen tragen. Und du wirst nicht gewitzigt, du wirst nicht gewitzigt. Und nicht nur, weil ich nicht immer hinter dir her sein kann.

Daß sie eine göttliche Gestalt hat, weiß ich. Ich weiß auch, daß sie aus guter Familie ist, gut erzogen und daß sie vor nicht langer Zeit die erstaunlichsten Erfolge in den Badeorten am Kanal hatte. Das macht nichts. Ich glaube trotzdem weiter, daß Isabellas sechs Jahre schon mehr als genug sind. Und wie erst beim Zweimeilen-Rennen!

12. Kapitel

Eine literarisch-musikalische Versammlung, zu der sogar ein Ex-Minister erschien

Sie wurde mit großem Vorbedacht organisiert. Das heißt, in Wirklichkeit organisiertest du es mit großem Vorbedacht, alles ganz genau überlegt bis zu den kleinsten Einzelheiten, die so oft übersehen werden, selbst von den durchtriebensten Hausfrauen. Deine Helfer waren sehr zufrieden, die Qualität des Gebäcks war ausgezeichnet, und gottlob konnte man noch rechtzeitig den besten schottischen Whisky auftreiben. Es liegt mir fern, dir deine Verdienste absprechen zu wollen. Aber in Wirklichkeit war es ein großes Glück, wie sich alles abwickelte. Du machtest die Honneurs äußerst gewandt mit rührender Miene und einer deutlich angelernten Grazie. Du kamst mir vor wie eine Botschaftssekretärin, wie ein Modemodell, wie ein junger Kanzelredner, ein Parfümhändler, beinah wie ein Damen-Coiffeur. Alle waren begeistert, wie du dich erhobst, eine Hand hobst, als wolltest du sagen: »Sehen Sie hier, meine Damen und Herren, ein entzückendes Frühjahrsmodell, chic und doch einfach, die Eleganz der Linie durch keine unnütze Zutat gestört usw. usw.« Du lächeltest mit deinem ausdruckvollsten, bestrickendsten Lächeln: »Meine Damen und Herrn, ich habe das Vergnügen, Ihnen den jungen Dichter aus dem Süden vorzustellen, der bisher völlig unbekannt war und dessen künstlerische Ideen … usw. usw.«

Der junge Dichter aus dem Süden hatte einen etwas zu kleinen Anzug an, rundliche Hüften und eine sehr blasse Gesichtsfarbe. Er setzte sich die Brille auf und begann seine Gedichte zu rezitieren:

»Mit tiefem Bedauern muß ich Sie, mein Fräulein, an Ihre wiederholten nicht erfüllten Versprechungen ewiger Liebe erinnern, die sich, ach, im Dunst verloren haben …«

Den korpulenten Herrn Ex-Minister stellte jedermann vor, wie um ihn in seinen Gefühlen zu kränken: »Der gewisse Herr Soundso, Ex-Minister von Demunddem.« Der Ex-Minister also stimmte ein vaterländisches Lied an in Versen von vierzehn Silben und danach produzierte er sich am Klavier, wofür er viel Beifall erntete.

Ich, mein Sohn, wußte nicht, was ich tun sollte und litt, wenn du mich anblicktest. Ich litt schrecklich und unversöhnlich.

13. Kapitel

Im Schwimmbad

Die dicken, die abscheulichen, die ungeheuren Damen im Schwimmbad sind alle Mütter. Seit fünf Tagen schwimmen sie über dem Ertrunkenen. Du hast mir das erzählt. Das Wasser wird jeden Sonntagabend gewechselt und der Ertrunkene, ein junger Provinzler, der ein bescheidenes Dasein fristete, indem er Gesangstunden gab, mußte, allen Symptomen nach schon seit Montagmorgen dort unter Wasser liegen. Am Freitag schmeckte das Wasser nach Chlor und hatte eine trübe Farbe wie schmutzige Milch.

Die dicken, die abscheulichen, die ungeheuren Damen der Badeanstalt – alle sind sie Mütter – schwimmen ungeschickt umher, schlucken Wasser, spucken das Wasser aus. In früheren Zeiten – ach, wie die Zeit vergeht! wurde viel Unfug getrieben, viel Unfug. Du hast es mir erzählt.

Die dicken, die abscheulichen, die ungeheuren Damen im Schwimmbad – alle Mütter hielten manchmal inne, lächelten erstaunt mit einer Miene, die leicht zu deuten war. Du hast es mir gut erklärt, wie du im Zimmer umherschwammst gleich einer dicken Frau ohne Charme. Es war sehr komisch, dich dabei zu beobachten!