Mutter und der Bleistift - Josef Winkler - E-Book

Mutter und der Bleistift E-Book

Josef Winkler

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Beschreibung

Es beginnt im indischen Ellora, wo der Erzähler stundenlang durch die buddhistischen, aus dem Fels gehauenen Tempel geht. In den Ruhepausen schlägt er Ilse Aichingers »Kleist, Moos, Fasane« auf. Durch einen bestimmten Satz sieht er sich ins Jahr 1943 versetzt, in dem der Großvater einen Brief ausgehändigt bekommt, worin steht, dass nun auch Adam, sein dritter Sohn, im Krieg gestorben ist. Seine Tochter, die spätere Mutter des Erzählers, wird über den Tod des Bruders mit den Worten »Der Adam kommt auch heim, aber anders …« in Kenntnis gesetzt. Daraufhin kehrt Schweigen in den Bauernhof ein. Ihr Leben lang wird die Mutter, die kürzlich gestorben ist, eine Schweigende sein. »Mutter und der Bleistift« schildert Szenen aus ihrem Leben. Peter Handkes Muttererzählung »Wunschloses Unglück« mischt sich ein, dazu »Abschied von den Eltern« von Peter Weiss. »Roppongi«, dem »Requiem für einen Vater« (2007), lässt Josef Winkler mit »Mutter und der Bleistift« ein Requiem für die Mutter folgen.

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Roppongi, dem »Requiem für einen Vater«, läßt Winkler ein Requiem für die Mutter folgen. Dessen erster Teil, Da flog das Wort auf, beginnt im indischen Ellora, wo der Erzähler durch die buddhistischen, aus dem Fels gehauenen Tempel geht. In den Ruhepausen schlägt er Ilse Aichingers »Kleist, Moos, Fasane« auf. Als durch einen bestimmten Satz Aichingers sein Wort auffliegt, sieht er sich in einen Tag des Jahres 1943 versetzt, an dem der Großvater einen Brief ausgehändigt bekommt, worin steht, daß nun auch Adam, sein dritter Sohn, im Krieg gestorben ist. Seine Tochter, die spätere Mutter des Erzählers, wird über den Tod des Bruders von ihrer Großmutter mit den bizarren Worten »Der Adam kommt auch heim, aber anders …« in Kenntnis gesetzt. Nach dem Tod der drei Söhne verstummte die Familie, der Krieg hatte ihre Sprache erdrosselt. Ihr Leben lang war die Mutter, die kürzlich gestorben ist, eine Schweigende.Mutter und der Bleistift, der zweite Teil, beginnt in Südfrankreich, wo der Erzähler, ebenfalls in einer Pause, in der Église Lagrasse Peter Handkes »Gestern unterwegs« aufschlägt – »Schreiber, Steinmetz des Atems«. Als er eine Frau beobachtet, die in der Muschel des Weihwasserbeckens, in dem sich kein Tropfen Weihwasser befindet, die Kalkreste berührt und ein Kreuzzeichen macht, erinnert er sich an eine Zeit, als das Weihwassertrinken noch geholfen hat, an seine Mutter an der Singer-Nähmaschine, die zu ihm, dem Erzministranten, sagte: »Bring mir eine Flasche Weihwasser aus der Kirche, sie ist schon wieder leer!« Gleichzeitig forderte sie ihren am Küchentisch kritzelnden Sohn und Linkshänder auf, den Bleistift in die rechte Hand zu nehmen. Monatelang rief sie: »Wirst du wohl den Bleistift in die schöne

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2013

© Suhrkamp Verlag Berlin 2013

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Mutter und der Bleistift

»Wenn wir nur das Reich Gottes suchen, soll unsalles andere nachgeworfen werden.Das trifft am Kopf und in den Rücken.«

»In der Kindheit hat es auch schon Spiegel gegeben, aber in größerer Entfernung. Allmählich kommen wir uns immer näher, es bleibt nur wenig Raum mehr um uns, bis wir uns ganz nahe sind. Der nächste Schritt heißt: den Spiegel mit der Faust zertrümmern, bluten, sich zerschneiden. Oder wir bleiben stehen.« Beim Lesen dieser Sätze von Ilse Aichinger in dem als »Aufzeichnungen« betitelten Teil ihres Buches »Kleist, Moos, Fasane«, das ich vergangenen Sommer nach Indien mit- und in Ellora, in den buddhistischen, aus dem Stein herausgeschlagenen monolithischen Felstempeln in den Ruhepausen unserer sechsstündigen Wanderung durch diese heiligen Höhlen immer wieder zur Hand nahm, fiel mir –  – die Madonna sulla seggiola von Raffael über den Betten meiner Eltern ein, die man an der gegenüberliegenden Wand im Spiegel mit dem breiten Rahmen wiedersehen konnte, der Rahmen, wie die Kästen und Betten dieses Zimmers, war aus dem Holz des großen Nußbaums vor dem Elternhaus meiner Mutter, der einst unweit vom Gravensteinerapfelbaum stand, unter dessen Ästen wir als Kinder mit dem Fußball im Kreis liefen, bis uns schwindlig wurde, oder auf Zehenspitzen stehend nach den wachsgelben, mit karmesinroten Tupfen und Strichen gefärbten Gravensteineräpfeln griffen, wobei wir manchmal auf das faulende, am Boden liegende Fallobst und auf die uns beängstigenden, auf dem Dachboden aus der papierartigen Masse grauer Ballons geschlüpften gelbbraunen Wespen traten und sie im mürben, saftigen Fruchtfleisch des Gravensteinerapfels begruben. Unter diesem alten Spiegel, dem ersten Spiegel, den ich überhaupt wahrgenommen habe – ja, das Spiegelbild wahr-nehmen –, in dem man verzerrt die Madonna sulla seggiola von Raffael mit ihrem gütigen und stolzen Gesicht und den dicklichen, unter ihrem grünen Schultertuch verstohlen nach den Brüsten seiner Mutter greifenden, auf ihrem Schoß sitzenden Jesuknaben sehen konnte, den betenden Engel im Hintergrund, der mit seinem besorgten, traurigen Blick schon das Einschlagen der Kreuzigungsnägel hört, stand in einem Stehrahmen das schwarzweiße, leicht unscharfe, traurige Brustbild meiner Großmutter mütterlicherseits, die im Alter von 60 Jahren an gebrochenem Herzen gestorben war, wenige Stunden nachdem sie neuerlich eine Herzspritze, wie es genannt wurde, vom Hausarzt vom anderen Ufer der Drau bekommen hatte, die Großmutter, die im Zweiten Weltkrieg in einem einzigen Jahr drei Söhne in jugendlichem Alter verloren hatte, die Brüder meiner Mutter, die 18, 20 und 22 Jahre waren bei ihrem Tod auf den Schlachtfeldern. schreibt Ilse Aichinger. Und: schreibt Ilse Aichinger. Als mein Großvater Johann Winkler, vulgo Aichholzer, vor dem Gartenzaun, unweit vom Nußbaum, der später gefällt wurde, und unweit vom Gravensteinerapfelbaum, der nie gefällt wurde, von der Postbeamtin, denn männliche Postbeamten gab es keine mehr, einen Brief bekam, in dem mit dem aufrichtigsten Kriegsbeileid bekanntgegeben wurde, daß nun auch sein dritter Sohn Adam nicht nur in Gottes Namen, sondern auch für den Führer und fürs heilige Vaterland, versehen mit den heiligen Sterbesakramenten des Kriegspfarrers, gestorben war, begann mein Großvater am ganzen Körper zu zittern, brach mit dem Brief in der Hand in die Knie und stammelte ein Gebet, das später meine Mutter in der Haushaltsschule auf ein Stück Leinen sticken mußte: »Seele, geh nach Golgatha, / Nahe dich zu Jesu Kreuze / Und bedenke, was dich da / Für ein Trieb zur Buße reize! / Nur ein hartes Herz wie Stein / Kann hier unempfindlich sein. / Schaue doch das Jammerbild / Zwischen Erd und Himmel hangen, / Wie das Blut in Strömen quillt, / Daß ihm alle Kraft vergangen! Ach der übergroßen Not: Jesus sinket in den Tod!« Tags darauf kam die Tochter meines Großvaters, die achtzehnjährige Maria Winkler, meine spätere Mutter, mit dem Omnibus von der Haushaltsschule, der sogenannten »Landfrauenschule Buchholz«, nach Kamering in ihr Elternhaus und traf an der Stelle, wo mein Großvater mit der Todesnachricht in der Hand in die Knie gegangen war, ihre kleinwüchsige, immer giftige Großmutter an, die ihr die Nachricht vom bereits dritten gefallenen Bruder überbrachte und zu ihr wörtlich sagte: »Mitzele! Der Adam kommt auch heim, aber anders!« Irgendwo in Jugoslawien, ich weiß nicht mehr genau wo, ich habe es verabsäumt, meine in diesem Jahr, einige Monate vor unserer Abreise nach Indien, für die ich im Reisegepäck zwei Bücher von Ilse Aichinger hatte, »Schlechte Wörter« und »Kleist, Moos, Fasane«, im Alter von 86 Jahren verstorbene Mutter zu fragen, wo ihr Bruder, der Adam, genau gefallen ist in Jugoslawien, ja, vom Wort war immer die Rede, er ist nicht erschossen oder getötet worden, er ist gefallen, und er war ein Held, hat es immer geheißen, und es war ein Heldentod, hat es immer geheißen, und ich weiß nur mehr, daß er, wie auch öfter erzählt wurde, wenn vom Adam die Rede war, besonders in den Trauertagen meiner Kindheit, zu Allerheiligen und Allerseelen, aber auch zu Weihnachten, wenn wir vor dem aufgeputzten Christbaum standen, wenn man wieder tränenreich in himmelschreienden Gebeten den Tod der drei jungen Männer beklagte – Und jetzt noch für den gefallenen Adam, für den Stefan und für den Hansl ein Vaterunser! sagte der Vater Jahr für Jahr unter dem beleuchteten, mit Süßigkeiten, mit Engelshaar, Lametta und mit Sternspritzern behängten Christbaum –, wenn man also von ihm sprach, daß er, der Adam, war, und auch in seiner Todesminute soll er übereifrig gewesen sein und als erster mit einem Maschinengewehr in der Hand – so schilderten es seine überlebenden Kameraden – auf der Suche nach dem Feind eine Tür aufgetreten haben und in einen Keller eingedrungen – und durch eine hochgehende Mine in mehrere Stücke zerrissen worden sein. Jedenfalls mußten seine Kameraden die Hände, die Füße und den Kopf des Gefallenen im rauchenden und nach Schießpulver riechenden Keller zusammenklauben, das Wort war auch mehrmals in meiner Kindheit gefallen, wenn vom Adam die Rede war, ihn, also seine Körperteile, zusammenklauben und in einen Jutesack stecken, den blutüberströmten Torso aus dem Keller ziehen, ehe er eingesargt, die Arme zu den Schultern, das Bein zum Unterkörper und der Kopf zum aufgerissenen Hals gelegt werden mußten und ihm der Kriegspfarrer noch das Kreuz an Stirn und Lippen drückte, das schon voll war vom eingetrockneten Speichel der Gefallenen, vieler Gefallener, denn wann und wo hätte er das Kreuz im Schützengraben desinfizieren sollen, ehe der Sarg zugenagelt, weggetragen und am nächsten Bahnhof verfrachtet werden konnte, was für ein Wort . Die Fracht seiner sterblichen Überreste – das hat mich tief beeindruckt als Ministrant, wenn der Pfarrer Franz Reinthaler von den sprach, das empfand ich als vornehm und würdig, und trotzdem steckt das Wort in dieser alles erdrückenden Ausdrucksweise – wurde mit einem Zug von Jugoslawien nach Villach gebracht, wo der ältere Bruder des Verstorbenen, mein anderer Onkel, mit einem Heuleiterwagen, an dem zwei braune Haflingerpferde mit langer weißbrauner Mähne angespannt waren, ein Leichenwagen mit eisenbeschlagenen, im Sand knirschenden Holzrädern, am Bahnhof wartete und den Sarg über den Feldweg in sein zwanzig Kilometer weit entferntes, kreuzförmig gebautes Heimatdorf Kamering brachte, das später auch zu meinem Heimatdorf wurde, einen halben Tag lang war er unterwegs, am Waldrand, auf Wiesen und in der Flur. »O Lamm Gottes ohne Schuld, / Alles das hab ich verschuldet, / Und du hast aus großer Huld / Pein und Tod für mich erduldet! / Daß ich nicht verloren bin, Gibst du dich am Kreuze hin.« Mit einem aufgeschlagenen schwarzen Gebetsbuch in der Hand soll mein Großvater Johann Winkler, vulgo Aichholzer, im Garten unter dem blühenden Gravensteinerapfelbaum auf die Ankunft des Leichnams seines Sohnes gewartet haben, stundenlang soll er gewartet haben, ganz alleine im großen Garten, und keiner wagte es, sich ihm zu nähern. , heißt es bei Ilse Aichinger, und: , heißt es ebenfalls bei Ilse Aichinger. Meine Großmutter, die, wie meine Mutter, Maria Winkler hieß, kniete in der kühlen Dorfkirche mit dem Namen »Maria in Dornach« – jemand hatte vor Zeiten die heilige Mutter Gottes nicht auf dem Sessel, sondern in einem Dornenbusch gesehen, deshalb wurde die Kirche getauft – zwei Stunden betend vor dem Altar und konnte sich danach kaum noch erheben von diesem höllischen Knien, bei dem sie sich auch noch, aus ihrer Kindheit, an das Knien auf der Kante eines Brennholzscheites erinnerte, sie mußte nach der Ankunft des Heuleiterwagens, auf dem nicht das frisch mit der Sense geschnittene Gras und auch nicht das von den Kinderbeinen, von den Beinen eines Knechts oder von den Beinen einer Magd niedergetretene duftende Heu lag, sondern der Sarg mit dem zerfetzten Leichnam ihres zwanzigjährigen Sohnes Adam – sie hörte in der sperrangelweit geöffneten Kirche die Hufe der vorbeilaufenden Pferde –, von zwei faltigen, schwarzgekleideten Klageweibern aus der Kirche Maria in Dornach und dem Friedhof, der ihr zum Kriegshof mit tausend übergroßen Maulwurfsaugen wurde, wo vom zahnlosen Totengräber das Erdloch schon ausgehoben worden war, in dem sich so manch halbierter, in der Erdwand steckengebliebener Regenwurm krümmte, über den senkrechten Balken des kreuzförmig gebauten Dorfes geführt werden, fünf-, sechsmal, erzählten die Klageweiber, soll sie in die Knie gegangen sein auf der damals noch unasphaltierten, steinigen Dorfstraße von Kamering. »Unbeflecktes Gotteslamm, / Ich verehre deine Liebe, / Schaue von des Kreuzes Stamm, / Wie ich mich um dich betrübe! / Dein für mich verblutend Herz / Setzt mich in den tiefsten Schmerz.« Als dann die Pferde mit dem Heuleiterwagen beim Aichholzer angekommen waren, erhob sich mein Großvater vom Stuhl unter dem blühenden Gravensteinerapfelbaum, schlurfte langsam durch das tiefe Gras des Gartens, vorbei an der Holzhütte, auf den breiten Hof zu, wo zwischen dem Bauernhaus und dem Stall mit dem darübergesetzten Heustadel der Heuleiterwagen, der zu einem Totenwagen umgekrempelt worden war, zum Stillstand gekommen war, einmal, zweimal knarrten die Räder ganz leise nach, dann war Stille, dann kam die Totenstille. Von der anderen Seite kam in der engelhaften und ebenso teuflischen Begleitung der beiden Klageweiber meine gebrochene Großmutter, die damals noch keine fünfzig Jahre alt war. , schreibt Ilse Aichinger. Vor dem Heuleiterwagen, auf dem der mit Fichtenzweigen bedeckte Sarg ihres Sohnes stand, und vor den beiden erschöpften Pferden, die weißgrünen Schaum vor dem Maul hatten, an ihren Kaubügeln nagten mit ihren langen gelben Zähnen, ständig wegen der sie plagenden, blutsaugenden Bremsen, die sie aus den Auen mitgebracht hatten, ihre Köpfe schüttelten, mit den Beinen zuckten und laut schnauften, fielen meine Großmutter und mein Großvater einander in die Arme – Seele, geh nach Golgatha! –, während der ältere Bruder des Gefallenen, der einen halben Tag lang mit dem Leichnam durchs Tal gefahren war, zuerst die Köpfe der unruhigen, verschwitzten Pferde streichelte, das Pferdegeschirr, das Kummet, einen steif gepolsterten, mit Stroh gefüllten Ring aus Leder, der mit roten Rosenblüten verziert war aus dem Garten seines Elternhauses, den Tieren vom Hals hob und der Knecht heranlief, um mit einer Krähenfeder den selbstgebrauten, die Bremsen verscheuchenden, stinkenden Knochensud auf den Bauch und um die feuchten Augen der unruhigen, erschöpften Pferde zu schmieren, bis sie rundum schwarz waren, die Augenlider. , schreibt Ilse Aichinger in ihrem Buch »Kleist, Moos, Fasane«. Meine Mutter, ihre ältere Schwester und ihre beiden noch kleineren Geschwister – zwei Mädchen – standen, wie soll ich sagen: gelähmt, verloren, hilflos, brauchten sie überhaupt Hilfe?, auf den Betonstufen des Hauseinganges, der ebenfalls breit war; alles war breit und groß auf diesem Bauernhof, der Garten, der Raum zwischen Haus und Stall, selbst der Flur des Hauses war der allerbreiteste Flur aller Häuser im Dorf, übergroß war auch der Dachboden, wo schließlich die letzten Fetzen der drei Gefallenen gelandet sind. Einen Tag lang wurde der schon stark nach Verwesung riechende Leichnam des Soldaten im breiten Flur seines Elternhauses aufgebahrt. Auf dem geschlossenen Sarg, der nicht mehr geöffnet wurde, denn man wollte ihren Sohn, wie es hieß, so in Erinnerung behalten, wie er fortgegangen war, und kein anderes Bild des Schmerzes und des Schreckens sollte, auch nicht spiegelverkehrt, über das Bild der Erinnerung gelegt werden, lagen über einem aufgenagelten Kruzifix die schlichten, knorrigen und schönen Äste mit den weißen Blüten und den weißrosa Blütenknospen des Gravensteinerapfelbaumes aus dem großväterlichen Garten, der auch ein großmütterlicher war. »Ach, was kann ich tun für dich? / Ich will dir mein Herz ergeben. / Herr, laß mich beständiglich / Unter deinem Kreuze leben! / Wie du mein, so will ich dein / Lebend, leidend, sterbend sein.« Der Leichenzug war kurz, die jungen Männer waren im Krieg, es war das Jahr 1942, alte Leute, Frauen und Kinder gingen hinter dem Sarg her, der von zwei Frauen und zwei Männern aufgeschultert wurde. Der aus Deutschland stammende Pfarrer Kais, den es für eine Zeitlang nach Kärnten verschlagen hatte, ein gern in den Häusern des Dorfes gesehener, Hochdeutsch sprechender Kauz, der nach dem Krieg Europa satt hatte und für immer nach Kanada ging – auf einem Foto in meinem Erinnerungsalbum sehe ich ihn lachend mit einem weißen, breitkrempigen Hut und schwarzem, priestertauglichem Anzug in einem kanadischen Dorf vor der Haustür stehen, die Türklinke drückend –, dieser Pfarrer Kais zelebrierte zwischen zwei kleinen Ministranten, die eine schwarze, schwere Leinenkutte und ein weißes Spitzenhemd trugen, sprach die tröstenden und ebenso trostlosen Worte und hielt die Totenmesse für den gefallenen Soldaten.

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