Mutti, du bist gefeuert! - Gabi P. - E-Book

Mutti, du bist gefeuert! E-Book

Gabi P.

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Beschreibung

Der Egoismus und die Kälte ihrer Mutter bringen Gabi immer wieder aufs Neue auf die Palme. Sprachlos und oft geradezu erschüttert erlebt sie die immer absurdere Verhaltensweise nicht nur gegenüber sich selbst, sondern auch gegenüber ihren Großeltern. Wie Marionetten versucht ihre Mutter die ganze Familie an Fäden durchs Leben zu führen. Als dieses Verhalten immer absurder wird, fasst Gabi schließlich einen folgenschweren Entschluss… In der Fortsetzung des Buches von Gabi P. "Mutti, warum hast du mich nicht lieb?" erzählt die Autorin sehr packend die Geschichte der schwierigen Beziehung zu ihrer Mutter.

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Seitenzahl: 331

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Gabi P.

Mutti, du bist gefeuert!

Über die Autorin

Gabi P. wurde 1958 in einer kleinen Stadt im Sauerland geboren. In den ersten Jahren ihrer Kindheit wuchs sie liebevoll behütet bei ihren Großeltern auf, bis sie durch den Egoismus und die Eitelkeit ihrer Mutter getrieben aus ihrer vertrauten Umgebung, ihrer Heimat und dem sozialen Umfeld herausgerissen wurde. Von einer Stadt in die andere, von einer Schule in die nächste verlief ihr junges Leben in höchst unruhigen Bahnen. Immer wieder fand sie jedoch Rückhalt im Hause ihrer Großeltern. Bei ihnen schaffte sie es schließlich, ihre innere Ruhe zu finden und zu einer fröhlichen jungen Frau heranzuwachsen.

Gabi P.

Mutti, du bist gefeuert!

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter dnb.dnb.de abrufbar.

Impressum

3. Auflage

©2025 Gabi P.

Herstellung und Verlag

epubli – ein Service der Neopubli GmbH, Berlin

Dieses Buch ist die Fortsetzung von „Mutti, warum hast du mich nicht lieb?“

Was ist aus Gabi P. geworden? Haben sich die Wogen zwischen ihr und ihrer Mutter geglättet?

Der zweite Teil der Biographie beschreibt den Lebensweg der inzwischen erwachsen gewordenen Gabi P.

Der gnadenlose Egoismus und die Kaltherzigkeit der Mutter nehmen immer mehr groteske Formen an.

Es bahnt sich ein Ende an, das unausweichlich ist…

„Gabi aufstehen, es wird Zeit!“ Das war Omas Stimme, die mich aus dem Schlaf riss. ‚Ach ja, heute ist mein erster Arbeitstag‘, schoss es mir wie ein Pfeil durch den Kopf und ein leicht mulmiges Gefühl beschlich mich. Gähnend schlug ich die Bettdecke zurück und machte mich auf den Weg ins Bad. In der Küche hörte ich Oma mit dem Kaffeegeschirr klappern.

Kurze Zeit später saß ich am Tisch und löffelte nervös die Frühstücksflocken in mich hinein. Oma sah mich an und lächelte. „Heute fängt ein wichtiger neuer Abschnitt in deinem Leben an. – Jetzt bist du schon fast erwachsen. Wo ist nur die Zeit geblieben? Ich sehe dich immer noch wie du ein kleines Mädchen warst…“ Omas Blick war nachdenklich geworden. Ich lächelte zaghaft zurück und wünschte mir für einen kleinen Augenblick, wieder dieses kleine Mädchen sein zu können.

Ich war schon sehr aufgeregt und fragte mich, was an diesem Tag wohl alles auf mich zukommen würde. Ein Blick auf die Uhr sagte mir, dass es Zeit wurde, sich auf den Weg zu machen. Ich zog meine Jacke an, nahm meine Tasche und ging langsam zur Tür. Oma nahm mich noch einmal fest in den Arm. „Alles Gute für deinen ersten Arbeitstag. Du schaffst das schon!“ Seufzend nickte ich und machte mich auf den Weg zur Arbeit.

Der Weg zu meiner ersten Arbeitsstelle war fast der gleiche, wie der zur Schule.

‚Vorbei mit der Schule… jetzt gehe ich also jeden Tag arbeiten‘ grübelte ich vor mich hin, während ich mich Schritt für Schritt dem Ort näherte, an dem ich eine Ausbildung machen würde. Jetzt war ich doch sehr nervös und mein Herz klopfte mir bis zum Hals und nach etwa 15 Minuten Fußweg erreichte ich die Firma, bei der ich fortan arbeiten würde.

Aufgeregt drückte ich auf die Klingel am Personaleingang. Eine dunkelhaarige Frau mittleren Alters öffnete mir die Tür. Lächelnd bat sie mich herein und gab mir die Hand. „Herzlich willkommen!“, sagte sie und deutete in Richtung des kleinen Büros, das gegenüber vom Eingang lag. Von diesem Moment an hatte ich keine Zeit mehr, nervös zu sein, denn unendlich viele neue Eindrücke prasselten auf mich herein. Und schon war ich mittendrin in der Arbeitswelt.

Die erste Zeit meiner Ausbildung verlief lebhaft und es gab sehr viel Neues für mich zu lernen. Überhaupt war jetzt alles anders. Die Tage waren länger und anstrengender. Und die Umstellung von Schule auf Beruf war nicht immer einfach. Aber mit der Zeit gewöhnte ich mich an das neue Leben.

Wenn ich am Abend nach Hause kam, empfing mich Oma mit ihrem lieben Lächeln. „Na, wie war dein Tag?“ war immer ihre erste Frage, genau wie früher wenn ich aus der Schule kam. Manche Dinge ändern sich anscheinend nie. Aber das war auch gut so. Eigentlich hatte ich fast jeden Abend was Interessantes zu erzählen, während wir beim Essen saßen. Meine Großeltern hörten stets aufmerksam zu. Genau wie früher fand ich immer ein offenes Ohr für einfach alles, was mich beschäftigte und wofür ich Rat oder Hilfe brauchte.

Mein erstes Gehalt und ein Paar rote Schuhe …

Der erste Arbeitsmonat verging wie im Flug und mein erstes Gehalt rückte in greifbare Nähe. „Na, hast du dir schon überlegt was du mit deinem ersten Arbeitslohn machen willst?“, fragte mich Oma eines Abends. Ich grinste sie verschwörerisch an. „Na ja … komisch, dass du mich das jetzt fragst, aber ich hätte da tatsächlich so einen kleinen Wunsch. Ich habe in dem Schuhgeschäft neben meiner Firma ein Paar ganz tolle Schuhe gesehen und die würde ich mir so gerne kaufen. Sie sind rot und haben schicke hohe Absätze. Aber keine Angst, ich habe sie schon mal anprobiert und ich kann sehr gut darin laufen. Und sie passen perfekt zu meinem neuen Rock! Ach … sie sind ein echter Traum … Wie findest du die Idee?“, wollte ich neugierig wissen und strahlte Oma mit leuchtenden Augen an. „Das hört sich gut an. Ein Paar Schuhe … die kann man immer brauchen.“

„Wer kauft neue Schuhe?“ Opa setzte sich zu uns in die Küche. Er hatte einen Teil unseres Gesprächs mitbekommen. „Na ich“, lachte ich und lehnte mich zufrieden grinsend zurück. „Die passen perfekt zu meinem neuen Rock, den ich von euch bekommen habe. Hach, ich freu mich schon. Die Schuhe sind soooo schön. Hoffentlich haben sie die noch nächste Woche?“ „Ach jetzt mach dich mal nicht verrückt. Das klappt schon.“ Oma war wie immer die Zuversicht in Person. „Aber dann musst du sie uns auch hier vorführen … du weißt schon: wie ein Model auf dem Laufsteg“, rief Opa mit spitzbübischem Lächeln. „Ach Opa … du bist unverbesserlich“, lachte ich laut. „Erst muss ich sie mal haben … und dann sehen wir weiter, fügte ich ebenso spitzbübisch hinzu.“ Damit war Opa einverstanden.

Eine Woche später war es dann soweit: das Gehalt war auf meinem Konto und nachdem ich einen kleinen Teil abgehoben hatte machte ich mich auf den Weg ins Schuhgeschäft. Und tatsächlich! Ich hatte Glück: es gab noch ein Paar in meiner Größe und sie saßen wie angegossen. Ich war überglücklich. ‚Die trage ich am Wochenende, wenn ich mit Stefan ausgehe‘, dachte ich und machte mich mit meiner neuen Errungenschaft stolz und gut gelaunt auf den Heimweg.

„Na, hast du die Schuhe bekommen?“, fragte Oma und sah mich gespannt an. Ich strahlte sie an. „Ja hab ich!“ Und wie versprochen zog ich sie an und führte sie meinen Großeltern vor. „Das sind aber wirklich tolle Schuhe und sie stehen dir sehr gut!“, rief Opa begeistert. „Ja, schön sind sie … aber die Absätze sind schon etwas hoch, meinst du nicht?“ Omas Blick war etwas besorgt. „Nein, die sind genau richtig.“ Ich betrachtete mich vor dem Spiegel von allen Seiten. Dann zog ich sie aus und stellte sie zu meinen anderen Schuhen in den Schrank.

Gut gelaunt ging ich in die Küche, wo Oma und Opa inzwischen damit begonnen hatten, das Abendessen vorzubereiten. Schwungvoll ließ ich mich auf den Küchenstuhl fallen. „Mein erster Kauf von meinem ersten selbst verdienten Geld! – Und hier ist wie versprochen mein Anteil am Haushaltsgeld.“ Mit diesen Worten legte ich einige Geldscheine vor Oma auf den Tisch. Dann waren meine Gedanken schon wieder bei meinem Freund und unseren gemeinsamen Wochenendplänen … und bei meinen neuen roten Schuhen.

Der nächste Tag war mal wieder ein Berufsschultag und ich hatte anschließend frei. Immer wieder dachte ich an meine neuen Schuhe und gut gelaunt fuhr ich nach Hause. Doch schon als ich den Flur betrat, sauste meine Stimmung in den Keller, denn aus dem Wohnzimmer hörte ich Muttis Stimme. ‚Was will die denn hier?‘, dachte ich genervt.

„Na, da bist du ja endlich!“ tönte es mir ungeduldig entgegen. „Wo bleibst du denn nur so lange? Wir haben Hunger, aber Oma hat gesagt, wir sollen noch auf dich warten und alle zusammen essen.“ „Was machst du denn heute so außerplanmäßig hier? Ist irgendwas passiert?“, fragte ich mit süßsaurem Lächeln. „Nein, ich hatte etwas in der Nähe zu erledigen und wollte hier nur schnell was zu Mittag essen, bevor ich zurück nach Hause fahre.“ ‚Na Gott sei Dank!‘, dachte ich. Ich setzte mich an den Tisch und wir aßen alle mit großem Appetit von Omas leckerem Linseneintopf.

Wider Erwarten blieb Mutti dann doch noch bis zum Kaffee. „Unsere Gabi hat ihr erstes Gehalt bekommen.“ Opa machte eine verschwörerische Miene. „Ach ja? Schön!“, war Muttis knapper Kommentar. „Stell dir vor, ich habe mir von meinem ersten selbstverdienten Geld ein Paar ganz tolle Schuhe gekauft!“, platzte es aus mir heraus. Ich war so stolz auf meine Errungenschaft, dass ich ihr das einfach erzählen musste. „Ja dann zeig sie doch mal her“, rief Mutti und war auf einmal sehr interessiert.

Ich holte die neuen Schuhe aus dem Schrank und hielt sie ihr stolz entgegen. „Sind die nicht toll?“, strahlte ich sie an. Sie nahm sie und betrachtete sie ausgiebig von allen Seiten. Dann probierte sie sie an und lief damit im Zimmer auf und ab. „Die sind wirklich sehr schön. – Aber für dich sind diese Absätze viel zu hoch. Sowas solltest du in deinem Alter noch gar nicht tragen. Die nehme ich und du kannst meine haben. Die sind noch gut und die Absätze sind nur halb so hoch.“

Entschlossen hielt sie mir ihre Schuhe entgegen. Ich war viel zu verdutzt, um etwas zu antworten, denn mit einer solchen Entwicklung hätte ich nie gerechnet. Ich nahm ihre alten Schuhe und sah sie mir genau an. Sie waren weiß und hatten einen blauen Rand. Die Absätze hatten schon einige Gebrauchsspuren und auch sonst sahen ihre Schuhe ziemlich abgetragen aus.

„Aber du kannst mir doch nicht für diese abgetragenen alten Latschen meine nagelneuen Schuhe einfach so abnehmen. Und außerdem kann ich sehr gut darin laufen. Also gib‘ mir meine wieder und nimm deine eigenen zurück. Ich will sie nicht!“

Empört sah ich sie an. Aber meine Mutter hatte ihre Entscheidung bereits getroffen, und was ich davon hielt, war ihr völlig egal. „Die Schuhe nehme ich und du nimmst meine. Und damit ist Schluss mit der Diskussion.“ Barsch entriss sie mir die neuen Schuhe, die ich in der Zwischenzeit wieder an mich genommen hatte. Dann wies sie auf ihre alten am Boden. „Du nimmst jetzt diese Schuhe. Die sind gut genug für dich und außerdem schön eingelaufen. Mit denen hier kannst du eh nicht umgehen.“

Sie hatte sich meine schönen neuen Schuhe angezogen und schien sie gleich anbehalten zu wollen. „Aber die hat sie sich doch von ihrem eigenen Geld gekauft. Da kannst du sie ihr doch nicht einfach so wegnehmen!“ Empört wies Oma auf meine neuen Schuhe an Muttis Füßen. „Jetzt fang du nicht auch noch an“ herrschte sie Oma an. „Ihr hättet eben besser darauf aufpassen sollen was sie sich da für Schuhe kauft. Und im Übrigen bin ich sowieso schon viel zu spät dran. Ich muss jetzt los.“

Und ehe meine Großeltern oder ich noch etwas erwidern konnten war sie auch schon weg und ließ uns einfach stehen. Ich konnte kaum fassen was mir da gerade passiert war und starrte Oma sprachlos an. Ich hätte nicht für möglich gehalten, dass sie mir einfach meine Schuhe wegnimmt. „Aber das kann sie doch nicht machen!“ Opa hatte in der Zwischenzeit Muttis alte Schuhe, die sie achtlos auf dem Boden hatte liegen lassen, aufgehoben und betrachtete sie kopfschüttelnd.

„Da gibt sie dem Mädchen diese alten abgetragenen Latschen und nimmt sich die neuen Schuhe einfach so mit. Da weiß man wirklich nicht was man dazu noch sagen soll!“ Auch Opa war sehr verärgert. Ich fühlte mich sehr verletzt. Immer wieder behandelte sie mich wie einen Fußabtreter. Benahm sich so eine Mutter? „Diese alten abgelatschten Schuhe kannst du gleich in den Müll schmeißen. Die werde ich nie anziehen!“ sagte ich verächtlich. Und genau das machte Opa dann auch. „Sie hätte dem Mädchen wenigstens das Geld für die Schuhe geben müssen.“ setzte Oma später beim Abendessen noch hinterher.

„Lass uns jetzt nicht mehr davon reden, sonst kriege ich gleich wieder die Wut“ erwiderte ich und biss resigniert in mein Schinkenbrötchen. Auch in der nächsten Zeit wollte ich von dieser Geschichte nichts mehr hören. Zu sehr hatte Mutti mich mit ihrem Verhalten verletzt.

In der nächsten Zeit fragte ich nur sehr selten nach meiner Mutter und sie schien sich ihrerseits in keiner Weise dafür zu interessieren, wie und ob ich in meiner Ausbildung zurechtkam.

Über all die Jahre hatte ich mich daran gewöhnt, dass sie nur selten kam, um mich zu besuchen. Wenn sie mal auf der Bildfläche erschien, dann nur wenn sie irgendwas von Oma oder Opa wollte. Ich war stets nur eine Randfigur. Und irgendwie war es mir nur recht, wenn sie keine Zeit hatte, denn unsere Gespräche endeten fast immer im Streit. Ich ließ mir schon lange nichts mehr von ihr sagen. Seit meiner Teenagerzeit war ich voll auf Konfrontation eingestellt, was unter anderem auch daran lag, dass sie, wenn sie mal Notiz von mir nahm, immer etwas an mir auszusetzen hatte.

Sie war sehr großzügig mit Kritik, doch das Wort Lob schien sie, was mich betraf, nicht zu kennen. Überhaupt sprach sie immer nur über sich, ihre Erlebnisse und natürlich über die Männer die sie gerade an der Angel hatte. Ab und zu versuchte ich mich in die Gespräche zwischen ihr und Oma einzumischen, um auch mal etwas aus meinem Leben zu erzählen, doch nach ein, zwei Sätzen beendete sie mein Gespräch und fing abrupt ein anderes Thema an. Und das drehte sich natürlich um ihre wunderbare Welt … Was für eine Überraschung.

Mit meinen fast 17 Jahren fühlte ich mich, wie jeder Teenager, so gut wie erwachsen und auch meine Großeltern hatten es so manches Mal nicht leicht mit mir, weil ich der Ansicht war, bereits alles über und für das Leben zu wissen. Was natürlich völliger Unsinn war. Rückblickend bewundere ich noch heute die Engelsgeduld die Oma und Opa mit mir zu dieser Zeit hatten.

Eine aufgeblasene Nervensäge …

Eine Sache hatte sich zu meinem Leidwesen verändert: ich musste einmal im Monat ein Wochenende bei meiner Mutter und ihrem Freund verbringen. Oma erklärte mir, dass das Jugendamt verlangte, dass ich etwas mehr Zeit mit meiner Mutter verbringen sollte.

Ich mochte diese Wochenenden nicht besonders, denn sie waren öde und langweilig. Außerdem war Muttis neuer Freund ein altes Lästermaul, und ich war an den Wochenenden, die ich bei ihr verbringen musste, das Hauptziel seiner Attacken. Ich weiß nicht, was mir mehr zuwider war: seine ständigen kleinen Boshaftigkeiten gegen mich oder sein zweifelhafter Humor. Er fand sich selbst zum Schreien komisch.

Außerdem hatte er noch zwei Hobbys: er hatte nahezu jedes Gesetzbuch im Regal stehen und verklagte so gut wie jeden, dessen Nase ihm nicht gefiel. Und er war ein Hypochonder in Reinkultur. Was meine Mutter an dem fand, habe ich nie verstanden.

Und dann kam ein Wochenende, an dem Günther den Bogen weit überspannte und sich den letzten Rest meiner wenigen Sympathie endgültig verscherzte ...

Zunächst lief an jenem Samstag alles so ab, wie immer. Ich saß gelangweilt im Wohnzimmer und las für eine Weile in einem Buch, das ich mir mitgebracht hatte.

Also, dass mir jetzt bloß keiner auf die Idee kommt das Muttern, ihr „lustiger“ Freund und meine Wenigkeit gemeinsam irgendwas unternommen hätten, an einem dieser wundervollen Wochenenden. Gott bewahre!

Wenn ich gelegentlich mal vorsichtig fragte, ob wir nicht mal zusammen in den Freizeitpark fahren könnten, oder so, bekam meine Mutter regelmäßig Schnappatmung! „Jetzt sei mal nicht so undankbar und freu dich, dass ich Zeit für dich habe. Das ist doch auch schon was. Und wenn dir langweilig ist, dann schau nach, ob es was im Fernsehen gibt. Da vergeht die Zeit dann ganz schnell!“ Der mir nur allzu bekannte Vorwurf und der Unmut in Muttis Stimme war wieder einmal nicht zu überhören.

Die Zeit bei ihr tropfte also langsam vor sich hin und nach dem Abendessen zog ich mich ins Gästezimmer zurück, in dem ein schmales Reisebett für mich aufgestellt worden war. Sehr gemütlich war das nicht. Die Matratze war dünn und man konnte die Sprungfedern spüren, wenn man sich hinlegte. Eine Wolldecke und ein kleines Zierkissen von Mutters Sofa, und fertig war die kuschelige Schlafstatt. Kopfschüttelnd setzte ich mich auf das Gästebett. Ich hatte mir für den Abend vorgenommen noch ein wenig in meinem neuen Buch zu schmökern.

Suchend sah ich mich nach einer kleinen Nachttischlampe um, aber die gab es nicht. Na, dann musste die ungemütlich helle Deckenbeleuchtung eben an bleiben. Nach einer Weile, ich hatte mich gerade so richtig in mein Buch vertieft, ging die Tür auf und Mutters Lästerfreund steckte den Kopf herein. „Was wird denn das jetzt, wenn es fertig wird?“ fragte er aufgebracht. „Was soll die Frage!“ antwortete ich genervt. „Das sieht man doch. Ich lese ein Buch.“

„Schatz komm mal schnell her! Deine Tochter liest hier bei voller Deckenbeleuchtung. Das geht so nicht. Das ist Stromverschwendung!“ Günther war jetzt so richtig in seinem Element. „Wieso braucht die so viel Licht? Und wie lange soll das an bleiben?“

„Oh man Mutti, dein Typ nervt! Ich werde ja hier wohl noch eine Weile lesen dürfen!“ herrschte ich meine Mutter an. Günther, der inzwischen aus dem Zimmer verschwunden war, kam schon kurze Zeit später wieder. Er hatte eine Glühbirne in der Hand. Dann machte er das Licht aus und schraubte die Glühbirne raus. „Die hier reicht völlig aus, um ein Buch zu lesen“, sagte er spöttisch und schraubte eine andere Birne in die Fassung.

Dann schaltete er das Licht wieder an und grinste mich frech an. „Sag mal spinnst du jetzt total?“, schrie ich Günther an. Er hatte eine 40 Watt Glühbirne in die Deckenleuchte geschraubt und es war nun sehr dämmrig im Zimmer. „Du hast sie doch nicht alle! Wie soll man bei dieser Funzel was lesen können!“ Meine Stimme überschlug sich fast vor Zorn. Günther stand da und lachte hämisch.

„Jetzt hört auf hier rum zu schreien. Alle Beide!“ Mutti griff sich mit ihren Händen genervt an den Kopf. „Jetzt schraub ihr die blöde Glühbirne wieder rein. Du hast ja jetzt deinen Spaß gehabt. Ich will meine Ruhe haben!“ Günther lachte noch immer und wischte sich über die Augen. „Du bist echt ein Arsch“ schrie ich ihn an. „ Reg dich ab“, meinte er verächtlich und schraubte die 60-Watt Birne wieder rein. Dann verließ er den Raum und schmiss die Tür krachend hinter sich zu. Noch immer wütend, ließ ich mich wieder auf das Gästebett fallen. Ich konnte es kaum erwarten wieder zurück nach Hause zu fahren. Was Mutti nur an DEM fand …

Als ich mich einigermaßen beruhig hatte, schlug ich mein Buch auf und las noch eine Weile. Dann machte ich das Licht aus und war auch sehr bald eingeschlafen.

Am Sonntagmorgen herrschte sowas wie Katerstimmung am Frühstückstisch. Keiner sprach ein Wort. Na toll… so hatte ich mir einen Sonntagmorgen mit Mutti echt vorgestellt.

Am Nachmittag brachten mich Mutti und ihr Freund dann zurück zu Oma und Opa. Dort hielten sie sich auch nicht lange auf und verabschiedeten sich sehr bald. Darüber war wohl niemand froher als ich. „Was war denn los?“, wollte Oma später wissen. Sie hatte gleich bemerkt, dass irgendwas nicht stimmte. Die Anspannung, die in der Luft lag, war ja fast greifbar gewesen.

Ich seufzte und verdrehte die Augen. „Ach, Günther ist so ein Vollidiot!“ Dann erzählte ich haarklein, was sich am Samstagabend zugetragen, und wie sehr ich mich darüber aufgeregt hatte. Bestürzt hörte Oma zu. „Sowas kann er doch nicht machen! Und was hat deine Mutti dazu gesagt?“ „Ha! – Die hat nur gesagt, dass ihr das Geschrei auf die Nerven geht, und dass er die Glühbirne wieder reinschrauben soll. Das war’s.“

„Sie hätte Günther lieber mal ordentlich die Meinung sagen sollen.“ Oma war richtig verärgert. „Nie hält sie zu ihrem Kind!“, sagte sie zu Opa, der sich inzwischen zu uns gesetzt hatte.„Wenn sie das Mädchen schon mal ein Wochenende bei sich hat, sollte sie sich wirklich besser um sie kümmern. – Habt ihr am Sonntag wenigstens mal was zusammen unternommen oder ward in der Stadt ein Eis essen?“, wollte Opa wissen. Ich schüttelte den Kopf. „Nö, ich durfte Fernsehen gucken oder lesen. Ich hab zwar gefragt, ob wir nicht mal zusammen wo hin fahren könnten, aber da hat Mutti nur gemeint, sie sei zu müde vom Arbeiten und bräuchte ihre Ruhe.“

Meine Großeltern sahen sich an, sagten aber nichts. „Nachher kommt noch ein schöner Film im Fernsehen und ich hab auch noch ein paar Süßigkeiten für uns. Wir machen uns jetzt noch einen schönen Abend, und du versuchst jetzt einfach an was anderes zu denken.“

Oma hatte in der Zwischenzeit meine Lieblingsschokolade auf den Tisch gelegt. Lächelnd sah ich sie an. „Du weißt doch immer wieder wie du mich auf andere Gedanken bringen kannst – danke!“ „Hmmmm … die sieht aber lecker aus. Kriege ich auch ein kleines Stückchen?“, fragte Opa mit schelmischem Blick und breitem Grinsen. Jetzt mussten Oma und ich lachen. „Na klar kriegst du was ab … hier, bitte!“ Noch immer lachend über Opas Gesichtsausdruck reichte ich ihm die Leckerei. Und so endete ein scheußliches Mutti-Wochenende am Sonntagabend in Harmonie bei Oma und Opa.

Die neue Woche und der Alltag holten mich im Geschäft sehr schnell wieder ein, und das war gut so. Gleich am Montag hatte ich Berufsschule und wir schrieben eine Arbeit. Ich hatte schon Tage vorher fleißig gelernt und war mir sicher, eine gute Note zu bekommen. Nach der Schule ging es gleich weiter zur Arbeit. Es blieb kaum Zeit für düstere Grübeleien.

„Na, wie war die Klassenarbeit?“ Oma sah mich neugierig und gespannt an, als ich am Abend von der Arbeit kam. „Ich glaube es war ganz gut. Nur bei ein oder zwei Aufgaben bin ich nicht ganz sicher ob ich sie richtig gelöst habe“, antwortete ich nachdenklich. „Sicher kriegst du trotzdem eine gute Note!“ Oma war sehr optimistisch, wie immer … und ich auch.

„Gehst du heute Abend noch weg?“ „Nö, heute nicht. Ich bin echt k.o. Der Tag war irgendwie anstrengend.“ Nach dem Abendessen ließ ich mich also gähnend in den Sessel fallen und sah mir mit Oma und Opa einen Film im Fernsehen an. Als ich später im Bett lag schlief ich sofort ein.

Die kommende Zeit verlief ruhig und ohne „Mutti-Stress“, wie ich ihre Auftritte bei Oma inzwischen liebevoll nannte. Ich war froh und sogar richtig dankbar wenn ich sie nicht sah, denn ihr Erscheinen bedeutete immer Stress für mich.

Aber wie immer, war die Ruhe trügerisch, denn es sollte schon bald erneut zu Auseinandersetzungen zwischen meiner Mutter und mir kommen…

Malefiz, oder wie man einem den Weg verbaut …

Beruflich lief es nicht so, wie es eigentlich sollte, denn die Substitutin, die auch gleichzeitig zuständig für die Auszubildenden war, hatte sich im Laufe der Zeit irgendwie auf mich eingeschossen. Nicht dass ich etwa aufsässig war oder mich sonst wie auffällig verhalten hätte. Und auch meine Noten in der Berufsschule gaben keinerlei Anlass für ihr Verhalten.

Es war wohl so dass ihr meine kleine hübsche Nase nicht gefiel und das war immer häufiger Anlass dafür, dass sie mich in verschiedenster Weise schikanierte.

Es gab mehrere Auszubildende in unserer Firma. Aber jedes Mal war ich es, die es ihr nicht recht machen konnte, egal wie viel Mühe ich mir gab. Und immer wurde ich vor versammelter Mannschaft zurechtgewiesen. Ich war als junges Mädchen ein eher zurückhaltender Mensch und viel zu höflich um zu widersprechen.

Und so fraß ich all meinen Kummer zunächst in mich hinein. Ich wurde auch zu Hause immer stiller und ging mit immer größerem Widerwillen zur Arbeit. Das bemerkten natürlich auch meine Großeltern und eines Tages sprachen sie mich dann darauf an. „Kind, was ist in letzter Zeit eigentlich los mit dir? Du wirst immer stiller, isst kaum noch was und irgendwas scheint dir Kummer zu machen. Willst du uns nicht mal sagen was du hast? Vielleicht können wir dir helfen?“ Oma hatte sich neben mich auf die Couch gesetzt und fürsorglich den Arm um meine Schultern gelegt. Mit gesenktem Blick saß ich da und überlegte ob ich ihr erklären sollte, was in der Firma los war.

„Na nun komm … ich sehe doch dass du Kummer hast. Du fühlst dich sicher besser wenn du dir alles von der Seele redest.“ Zögernd sah ich in Omas besorgtes Gesicht. Dann holte ich ganz tief Luft und schüttete ihr mein Herz aus. Ich erzählte alles, was sich in den letzten Monaten zugetragen hatte. „Was?“ sagte Opa, der sich ebenfalls zu uns ins Wohnzimmer gesetzt hatte entsetzt.

„Wieso hat sie dich denn auf dem Kieker? Soll ich mal mit deinem Chef reden? Du weißt ja, dass ich ganz gut mit ihm kann.“ Heftig schüttelte ich mit dem Kopf. „Nein bitte nicht. Dann wird vielleicht alles nur noch schlimmer“ entgegnete ich nervös. „Aber so kann das doch nicht weiter gehen, Kind!“ sagte Oma und sah Opa besorgt an. „Da muss schleunigst irgendwas passieren.“

Opa hatte die Hände in die Hüften gestemmt. Das tat er immer wenn ihn etwas sehr ärgerte und er zum äußersten entschlossen war. Nachdenklich sah ich meine Großeltern an. „Vielleicht rede ich mal mit Stefan … möglicherweise hat der eine Idee?“ „Das ist gut. Rede mit ihm und wenn ihr dann noch keine Lösung habt, setzen wir uns noch mal zusammen.“ Erleichtert ließ ich mich auf dem Sofa zurückfallen. Oma hatte Recht gehabt. Es hatte sehr gut getan sich alles von der Seele zu reden.

Als mein Freund wenig später kam, setzten wir uns zusammen und ich erzählte ihm von den Vorfällen in der Firma. „Ich habe schon gemerkt, dass da irgendwas nicht stimmt, wenn wir uns abends getroffen haben. Und wenn du jetzt nichts gesagt hättest, wäre ich auf dich zugekommen.“ Und so saß ich mit Stefan den ganzen Abend zusammen und wir überlegten gemeinsam, was am besten zu tun ist. Dann sah mich Stefan nachdenklich an. „Also möglicherweise hätte ich da eine Idee … aber ich weiß nicht ob du das machen würdest.“ „Erzähl schon!“ rief ich und sah meinen Freund gespannt an. „Also: eine Cousine von mir macht eine Ausbildung zur Hauswirtschafterin und hat in der Berufsschule gehört, dass eine Familie hier in Godesberg noch eine Auszubildende sucht. Wenn du willst besorge ich dir die Kontaktdaten und du sprichst einfach mal mit den Leuten. Sie sollen sehr nett sein.“

„Puuuh … das würde ja bedeuten dass, ich meine jetzige Ausbildung abbrechen und eine neue anfangen müsste. Also ich weiß nicht recht …“ sagte ich zögernd. Aber irgendwie war meine Neugierde geweckt und so verabredete ich mich an meinem nächsten freien Tag mit der Familie, die eine neue Auszubildende suchten.

Vom ersten Händedruck an wusste ich, dass Stefans Idee die richtige gewesen war. Die Chemie stimmte von Anfang an.

Es wurde ein sehr interessantes Gespräch. Frau Wesner erklärte mir all meine neuen Aufgaben, den Ausbildungsweg und auch welche weiterführenden Möglichkeiten, die ich nach den ersten zwei Jahren der Ausbildung haben würde sehr detailliert und beantwortete geduldig all meine Fragen.

Am Schluss gab sie mir den Ausbildungsvertrag zur Unterschrift mit, denn ich war ja noch nicht volljährig und so musste ein Erziehungsberechtigter mit unterschreiben. Und nachdem wir einen Termin für ein zweites Treffen verabredet hatten, machte ich mich auf den Heimweg.

Mir gefiel, was ich gehört und gesehen hatte und ich wusste: das ist genau der richtige Weg für mich. Die Aufgaben die auf mich warteten und die Zukunftsaussichten schienen mir wie auf den Leib geschrieben zu sein. Gedanklich verglich ich die neuen Aufgaben mit meinen jetzigen.

Als ich vor über einem Jahr meine Ausbildung angefangen hatte, war ich vom ersten Augenblick an unsicher gewesen. Hatte mir immer wieder eingeredet dass ich froh sein sollte, einen so guten Ausbildungsplatz gefunden zu haben. Wirklich überzeugt war ich von dieser Lehre nie gewesen. Aber jetzt war ich ganz sicher, den richtigen Beruf für mich gefunden zu haben und konnte es kaum erwarten, meinen Großeltern und Stefan von dem Ergebnis zu erzählen.

„Na so wie du strahlst ist alles gut verlaufen, stimmt’s?“ Lachend ließ ich mich in den Sessel fallen. „Oh ja, es war toll und Frau Wesner sagt, wenn ich ihr den Vertrag unterschrieben zurück bringe, kann ich schon am nächsten Ersten anfangen. Ist das nicht schön?“ Und dann erzählte ich mit leuchtenden Augen jedes einzelne Detail und hielt meinen Großeltern meinen neuen Vertrag unter die Nase.

Opa nahm ihn und las interessiert und sehr genau die Einzelheiten durch. Gespannt wartete ich bis er fertig war. „Na und, was sagst du?“ „Alles gut und dein Verdienst ist auch nicht schlecht. Du bekommst sogar mehr als jetzt“ sagte er und lächelte mich an. Auch Stefan las den Vertrag durch. „Da ist wirklich nichts dran auszusetzen. Perfekt!“

Dann fiel mein Blick auf Oma und irgendwie hatte ich plötzlich das Gefühl da ist ein Haar in der Suppe! „Was ist los? Wieso guckst du so ernst?“, wollte ich alarmiert wissen. Oma seufzte tief. „Du weißt, dass deine Mutti den Vertrag mit unterschreiben muss. Sie ist die Erziehungsberechtigte. Und du kennst ja deine Mutti. Die ist nie und nimmer einverstanden damit, dass du deine Ausbildung jetzt abbrichst und eine neue anfängst. – Das wird bestimmt Ärger geben …“ Und Oma sollte Recht behalten.

Gleich am nächsten Tag hatte Opa sie angerufen und in groben Zügen erklärt worum es ging. Wenn meine Mutter ja sonst nie Zeit für mich und meine Anliegen hatte … in diesem Fall sagte sie ihr Kommen schon für den nächsten Nachmittag zu. Da ich eine Woche Urlaub hatte, passte mir das ganz gut. „Hab keine Angst … ich bin ja auch noch da“ versuchte mich Stefan zu trösten. Ihm war nicht entgangen das ich fast zur Salzsäule erstarrt war bei dem Gedanken diesen Kampf mit meiner Mutter ausfechten zu müssen. Ich wusste wie ungerecht und verletzend sie sein konnte und ich hatte einen regelrechten Horror vor dem Treffen mit ihr.

Als es am nächsten Tag mittags an der Tür klingelte klopfte mein Herz bis zum Hals. Trotzdem hatte ich mir natürlich in Gedanken schon einen kleinen Plan zurecht gelegt, was ich ihr alles sagen und wie ich versuchen wollte, sie zu überzeugen. Irgendwie musste das einfach klappen, denn schließlich ging es doch um meine Zukunft und das musste ihr doch wichtig sein!

Aber ich kam gar nicht dazu, ihr auch nur einen einzigen meiner Gedanken nahe zu bringen. Ohne mir auch nur die kleinste Chance für eine Erklärung zu geben polterte sie gleich los, nachdem sie zur Türe hereingerauscht war.

„Was habe ich da gehört? Du willst deine Ausbildung abbrechen? Bist du verrückt geworden? Schlag dir das mal ganz schnell aus dem Kopf, mein Fräulein! Wenn man etwas angefangen hat, führt man es auch zu Ende und läuft nicht einfach mittendrin davon.“

Entsetzt saßen wir alle da und starrten meine Mutter an. Opa gewann seine Fassung als erster zurück. „Jetzt beruhige dich und hör deine Tochter doch erst mal an!“ sagte er mit Nachdruck. „Wir haben den neuen Vertrag alle gründlich gelesen. Damit ist alles in bester Ordnung. Und Gabi hat sich ihren neuen Ausbildungsplatz schon genau angeschaut und Frau Wesner hat ihr erklärt, was ihre Aufgaben sind, und wie die Ausbildung Schritt für Schritt vor sich geht. Und am Ende macht sie dann einen Abschluss zur Hauswirtschafterin und kann dann, wenn sie will, weiter lernen und Ernährungsberaterin werden. Also ich finde das sehr gut!“

Opa hielt ihr den neuen Ausbildungsvertrag entgegen. „Na komm… jetzt lies ihn doch wenigstens mal durch.“ Bittend sah Opa meine Mutter an. „Ich kenne die Familie, bei der sie die Ausbildung machen soll sehr gut. Gabi ist nicht die erste Auszubildenden. Familie Wesner hat schon viel Erfahrung auf dem Gebiet und einen sehr guten Ruf!“ mischte sich Stefan jetzt in die Unterhaltung ein. Und auch Oma meldete sich zu Wort. „Sie ist doch schon so lange so unglücklich an ihrem jetzigen Arbeitsplatz. Sie hat kaum noch was gegessen und geschlafen und konnte sich nicht mehr konzentrieren. Ich glaube auch dass es wirklich besser ist, jetzt einen Schnitt zu machen. Ich denke auch, dass sie in dem neuen Beruf viel besser zurecht kommt.“ Oma strich mir liebevoll mit der Hand über den Rücken.

Alle Augen waren nun auf meine Mutter gerichtet. Doch ihr Blick hatte sich verfinstert und ich konnte am Aufblitzen in ihren Augen sehen, wie wütend sie war. „Ja seid ihr denn alle verrückt geworden? Die macht ihre Ausbildung zu Ende und fertig! So weit kommt das noch dass meine Tochter in fremder Leute Haushalt arbeitet und deren Dreck wegräumt. Die schafft es ja nicht mal in ihrem eigenen Leben Ordnung zu halten. Da soll sie erst mal das lernen. Ich werde diesen lächerlichen Vertrag niemals unterschreiben.“ schrie sie meine Großeltern an.

Dann drehte sie sich zu mir um. „Und du, mein Fräulein, gehst am besten gleich morgen zu diesen Leuten hin und sagst Bescheid, dass du die Arbeit nicht annehmen wirst. Dir werde ich helfen einfach deinen Ausbildungsvertrag abbrechen zu wollen. Wenn du mit jemandem in der Firma nicht zurechtkommst dann wird das wohl an dir liegen und nicht an den Anderen. Streng dich also mehr an, alles richtig zu machen, dann geht das schon!“ Mit offenem Mund starrte ich meine Mutter an. Ich war fassungslos über ihre Ungerechtigkeit.

Nicht mit einem einzigen Wort hatte sie mich nach meiner Meinung oder meinen Gefühlen gefragt. Ja, sie hatte noch nicht einmal den Vertrag richtig gelesen, sondern nur überflogen. Wieder einmal stürzte für mich eine kleine Welt zusammen.

„Du hast doch überhaupt keine Ahnung davon, wie es mir geht, oder wie es auf der Arbeit läuft. Wie denn auch … du bist ja nie da und hast nie Zeit für deine Tochter. Du hast doch für alles und jeden mehr Zeit als für mich!“ schrie ich sie an. Ich war außer mir.

„Wie redest du eigentlich mit mir. Ich bin immerhin deine Mutter!“ schrie sie zurück und kam drohend auf mich zu. „Dann benimm dich auch mal so! Aber dafür hast du ja keine Zeit. Früher nicht und jetzt erst recht nicht. Immer hast du tausend Ausreden. Aber für deine Kerle da hast du immer Zeit. Was bist du nur für eine Mutter!“ Meine Stimme überschlug sich fast vor Wut.

„Das muss ich mir nicht länger anhören. Bevor du dich nicht bei mir entschuldigt hast, brauchst du mir gar nicht mehr anzukommen Fräuleinchen!“ Ohne sich zu verabschieden nahm sie Tasche und Jacke und eilte zornig davon. Krachend fiel die Wohnungstür hinter ihr ins Schloss.

„Die ist doch völlig übergeschnappt! Sie hat ihrer Tochter ja nicht ein einziges Mal zugehört. Ihr ist vollkommen egal, ob es Gabi gut geht oder nicht.“ Opa war auch ziemlich sauer. Oma saß eine ganze Weile nur nachdenklich da und sagte erst Mal nichts.

„Meine Güte … wieso ist deine Mutter nur so ungerecht zu dir? Sie hätte sich wenigstens mal deine Meinung anhören und den Vertrag durchlesen können, bevor sie dich so runterputzt. Ich kann ihr Verhalten einfach nicht verstehen.“ Stefan sah mich total entgeistert an. Oma hatte inzwischen ihre Sprache wieder gefunden. „Ich weiß nicht, warum sie immer so zu ihrer Tochter ist. So haben wir sie nicht erzogen … wirklich nicht.“

Schweren Herzens und mit Tränen in den Augen, machte ich mich am nächsten Tag auf den Weg zu den Wesners. Leise berichtete ich ihnen, dass meine Mutter den Vertrag nicht unterschreiben würde. Sie waren sehr freundlich und trösteten mich. Wir unterhielten uns noch eine ganze Weile. Gegen Abend machte ich mich wieder auf den Heimweg mit dem Gefühl im Bauch einen sehr wichtigen Schritt in meinem Leben nicht machen zu können. Und das fühlte sich sehr falsch an.

Wieder einmal hatte meine Mutter mir Steine in den Weg gelegt und etwas verhindert, das sich für mich sehr wichtig und so richtig angefühlt hatte. Irgendwie erinnerte mich das wieder einmal an ein Brettspiel, das ich kannte. Es hieß Malefiz. In diesem Spiel legt man dem Gegner immer wieder Steine in den Weg, um zu verhindern, dass er sein Ziel erreicht. Genau wie meine Mutter das immer wieder bei mir tat … Und in diesem Fall waren das sehr große Steine, denn meine berufliche Zukunft hätte sich dadurch grundlegend verändert. Aber alles, was mich betraf, hatte sie sowieso immer nur am Rande interessiert.

In der nächsten Zeit hörte ich wie versprochen nichts von meiner Mutter. Sie wartete noch immer auf eine Entschuldigung von mir. Aber darauf konnte sie lange warten. Ich war viel zu zornig und fühlte mich außerdem im Recht. Ihr Verhalten mir gegenüber war falsch und ich war wild entschlossen, wenn nötig meine Meinung zu verteidigen. In der Zwischenzeit genoss ich die Ruhe bei Oma und Opa. Auch Stefan tat alles, um mich von diesem Fiasko abzulenken.

Gerd: der Neue an Mutters Seite …

Als ich eines Abends mal wieder müde von der Arbeit nach Hause kam und Omas leckeren Möhreneintopf aß, setzte sie sich zu mir an den Tisch. „Deine Mutti hat heute Mittag angerufen.“ „Und?“ „Sie hat sich von Günther getrennt.“ „Gott sei Dank!“ rief ich laut und reckte theatralisch die Arme in die Luft. Jetzt musste Oma ob meines trockenen Kommentars und meiner in der Luft wedelnden Arme lachen.

„Sie hat erzählt, dass sie in der Straßenbahn schon wieder jemanden kennen gelernt hat.“ „Was? In der Straßenbahn? Hahaha …. Na welche Überraschung“ lachte ich spöttisch und rollte genervt mit den Augen.

„Sie will mit ihm nach Siegburg ziehen. Und am nächsten Samstag kommt sie mit ihm zum Kaffee, um ihn uns vorzustellen.“ Ich verdrehte erneut die Augen. „Muss ich dabei sein? Ich bin eigentlich am späten Nachmittag schon mit Stefan verabredet!“ „Doch, du sollst auf jeden Fall auch da sein, hat deine Mutti gesagt. Sie will, dass du ihn auch kennen lernst. – Triff dich doch einfach etwas später mit Stefan. Oder frag ihn, ob er nicht auch hierher zum Kaffee kommen möchte. Er ist natürlich ebenfalls herzlich eingeladen.“ „Hmmm… na gut, ich rede mit ihm.“ Ich hatte eigentlich überhaupt keine Lust, Mutti und ihren Neuen zu treffen. Für mich war er nur einer von vielen. Und Muttis Dauergesäusel nebst Augengeklimpere ging mir jetzt schon auf die Nerven. Aber mir blieb wohl nichts anderes übrig.

Der Samstag kam und Oma hatte wie immer einen ihrer leckeren Kuchen gebacken. Das war ein Lichtblick für mich. Stefan nahm Omas Einladung zum Kaffee gerne an. Er war ein großer Kuchenfreund und wollte dem Spektakel, wie er den bevorstehenden Auftritt von Mutti nannte, unbedingt beiwohnen. Als wir auf Omas Couch saßen, grinste er mich verschwörerisch an. „Nimm’s mit Humor.“ „Na wenn du meinst …“ grinste ich zurück.

Mutti hatte ihren großen Auftritt für 15 Uhr angekündigt. Gemeinsam mit Oma deckte ich dann den Kaffeetisch und Opa machte mal wieder einen seiner Späße. Er ahmte Mutti nach, wie sie mit dem Neuen zur Türe reingeschwebt kam. Oma und ich mussten über Opas Gesichtsausdruck und die wilden Gesten lachen. Ich liebte Opas Humor. Damit hatte er mich schon immer zum Lachen gebracht und so manch düstere Stimmung vertrieben.

Kaffeeduft durchzog Omas Wohnung und ich schielte auf die Uhr. Noch etwa eine Viertelstunde, bis Mutti kam, dachte ich mit einem unbehaglichen Gefühl im Bauch, doch da klingelte es schon. Opa öffnete die Tür. Oma und ich standen gespannt in der Küche, da kam sie zur Türe rein gestöckelt.

„Hallo Mutti“ flötete sie und hauchte Oma ein Küsschen auf die Wange. „Darf ich vorstellen? Das ist Gerd.“ Artig überreichte Gerd Oma einen großen Blumenstrauß und lächelte sie dabei charmant an. „Und das sind meine Tochter Gabi und ihr Freund Stefan“ sagte Mutti mit einer knappen Handbewegung in unsere Richtung.