Mythor 141: Fluch der Hestande - Hugh Walker - E-Book

Mythor 141: Fluch der Hestande E-Book

Hugh Walker

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Beschreibung

ALLUMEDDON, die Entscheidungsschlacht zwischen den Heeren des Lichts und der Finsternis, wurde abgebrochen. Der Lichtbote griff ein und verhinderte den Sieg der Dunkelmächte, indem er durch sein Erscheinen Vangor ins absolute Chaos stürzte und die Kräfte beider Seiten zersplitterte. Viele starben bei den Katastrophen, die das Gesicht der Welt veränderten. Doch Mythor, der Sohn des Kometen, überlebt das Ende des alten Vangor und rettet sich hinüber in den Morgen einer neuen Zeit. Mythor hat einen Auftrag zu erfüllen. Denn bevor der Lichtbote Vangor verließ und zu anderen Welten weiterzog, forderte er den Sohn des Kometen auf, Ordnung in das herrschende Chaos zu bringen, Inseln des Lichts zu gründen und den Kampf gegen das Böse wieder aufzunehmen. Aber als Mythor in der veränderten Welt erwacht, ist er ganz auf sich allein gestellt, ohne Waffen und Hilfsmittel, ohne Freunde und Gefährten. Noch schlimmer: Er ist seiner Erinnerungen beraubt und hilfloser Gefangener einer Hexe. Aus deren Gefangenschaft befreit, erlebt Mythor an Ilfas Seite eine neue, unbekannte Welt - und seine Suche nach der verlorenen Erinnerung bringt ihm Übles ein - den FLUCH DER HESTANDE ...

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Nr. 141

Fluch der Hestande

von Hugh Walker

ALLUMEDDON, die Entscheidungsschlacht zwischen den Heeren des Lichts und der Finsternis, wurde abgebrochen. Der Lichtbote griff ein und verhinderte den Sieg der Dunkelmächte, indem er durch sein Erscheinen Vangor ins absolute Chaos stürzte und die Kräfte beider Seiten zersplitterte.

Viele starben bei den Katastrophen, die das Gesicht der Welt veränderten. Doch Mythor, der Sohn des Kometen, überlebt das Ende des alten Vangor und rettet sich hinüber in den Morgen einer neuen Zeit. Mythor hat einen Auftrag zu erfüllen. Denn bevor der Lichtbote Vangor verließ und zu anderen Welten weiterzog, forderte er den Sohn des Kometen auf, Ordnung in das herrschende Chaos zu bringen, Inseln des Lichts zu gründen und den Kampf gegen das Böse wieder aufzunehmen.

Aber als Mythor in der veränderten Welt erwacht, ist er ganz auf sich allein gestellt, ohne Waffen und Hilfsmittel, ohne Freunde und Gefährten. Noch schlimmer: Er ist seiner Erinnerungen beraubt und hilfloser Gefangener einer Hexe.

Aus deren Gefangenschaft befreit, erlebt Mythor an Ilfas Seite eine neue, unbekannte Welt – und seine Suche nach der verlorenen Erinnerung bringt ihm Übles ein – den FLUCH DER HESTANDE ...

Die Hauptpersonen des Romans

Mythor – Ein Mann ohne Gedächtnis.

Ilfa – Mythors Kampfgefährte entdeckt sich selbst.

Fryll – Ein Schrat.

Garnoth – Ein Artgenosse Frylls.

Raegeseder

1.

Seit zwei Tagen liefen sie über eine steinige Ebene, auf der es keine Schatten gab. Die graue Luft war fast weiß, und sie konnten weiter sehen, als je zuvor – weiter als hundert Schritte. Das vermittelte ein ungewöhnliches Gefühl der Sicherheit, denn es hatte Wegstrecken gegeben, bei denen die sichtbare Welt ein Dutzend Schritte vor ihnen in einer dunkelgrauen Luftwand endete, aus der der plötzliche Angriff eines Raubtiers zur tödlichen Überraschung werden konnte.

Aber hier genügte es, die Augen offen zu halten, um jede Gefahr rechtzeitig zu bemerken, und es blieb genug Zeit, die Klinge blank zu ziehen.

Mythor überließ Ilfa die Führung, obwohl der junge Draufgänger auch nicht viel mehr über diese Gegend wusste, als dass sie die Wälder meiden sollten, denn die Waldbewohner besaßen ihre eigenen Gesetze.

Aber es gab Mythor ein wenig Gelegenheit, zu grübeln. Was er von Ilfa über sich erfahren hatte, war nicht viel. Ein Wolf, ein Einhorn und ein weißer Falke schienen mehr über ihn zu wissen als er selbst. Aber sie zeigten sich ihm nicht. Er wusste nur aus Ilfas Erzählungen von ihnen.

Ein Wolf hatte Ilfa ins Versteck der Hexe Yorne geführt, in dem Mythor gefangen war. Und Ilfa hatte Worte wiederholt, die Yorne gesprochen hatte, bevor sie starb: dass sein Name Mythor war; dass er nie wieder für die Lichtwelt kämpfen würde; dass er nicht sterben durfte, um nicht wiedergeboren zu werden; dass er nie aus dem Kelch der Erinnerung trinken würde!

Für einen, dessen Geist so leer war wie der seine, waren dies Funken, an denen die Phantasie sich entzündete.

Er war also ein Krieger gewesen, bevor Yorne ihm das Gedächtnis raubte. Es konnte kein Zweifel daran bestehen, denn er verstand es, mit Schwert und Dolch und selbst mit Ilfas Bogen bestens umzugehen. Wenn es also stimmte, dass er ein Krieger war, war die Wahrscheinlichkeit groß, dass auch die anderen Dinge der Wahrheit entsprachen.

Sein Name war Mythor. Er hatte für die Lichtwelt gekämpft! Was aber war die Lichtwelt?

Sie musste irgendwo jenseits liegen! Früher oder später mussten sie jemanden finden, der von der Lichtwelt wusste. Dort mochte auch jemandem der Name Mythor vertraut sein.

Yorne hätte alle Antworten gewusst. Aber Yorne war tot.

Da war auch noch der Kelch der Erinnerung!

Die Vorstellung, solch einen Kelch zu leeren und seinen Kopf zu füllen, verfolgte ihn bei Tag und Nacht.

Aber vielleicht waren seine Erinnerungen längst verloren. Vielleicht war der Kelch nur Yornes Fluch, um ihren Gefangenen über ihren Tod hinaus zu peinigen!

Niemand war ihnen bisher auf ihrem Weg begegnet, der ihnen etwas sagen hätte können. Raubkatzen waren die einzigen größeren Kreaturen gewesen, die ihren Weg kreuzten.

Ilfa wusste wenig über die Welt und die Menschen. Außer wie ein kleiner Teufel zu kämpfen und sich vor den Bewohnern des Waldes in acht zu nehmen, hatte sein Vater ihm nichts beigebracht.

Aber eine Schar von ein paar Dutzend Menschen aus einem Land, das sie Kantalien nannten, war in Helmonds Revier gelangt. Sie hatten von seltsamen Dingen gesprochen: von einem gewaltigen Kräftemessen zwischen Licht und Dunkel. Von ALLUMEDDON. Von einem Lichtboten. Aber keiner hatte davon viel verstanden. Es waren nur alte Geschichten von Ländern, die es geben mochte oder nicht. Für Ilfa gab es nur das Schattenparadies. Es war sein Zuhause. Ringsum lag das Aegyr-Land.

Mythor wollte mehr über diese Kantaler wissen. Aber Ilfa wusste nicht, wohin sie gezogen waren. Vater hätte es gewusst, aber Vater war tot.

Je mehr Mythor grübelte, desto mehr nährte er den Gedanken, dass die gefürchteten Waldbewohner über Wissen verfügen mochten, das ihm weiterhelfen konnte.

Eine steinerne Ebene wie diese, über die sie seit Tagen wanderten, war tot und leer wie eine Wüste. Es war seltsam, dass er solche Vorstellungen wie Wald und Wüste entwickelte, denn er kannte beides nicht. Doch so wie er zu kämpfen und zu sprechen vermochte, wusste er auch dies.

Aber die Ebene war nicht leer.

*

»Etwas beobachtet uns«, unterbrach Ilfas helle Stimme Mythors Gedanken. Der junge Krieger nahm den geschwungenen Bogen von den Schultern und legte einen Pfeil an die Sehne.

Beide hielten an und sahen sich um. So weit die Augen die weißliche Luft zu durchdringen vermochten, war alles still und leblos.

»Du musst dich irren«, brummte Mythor.

»Nein.«

Es klang so sicher, dass Mythor seine Klinge zog. Sie setzten langsam ihren Weg fort.

»Es ist vor uns«, sagte Ilfa bestimmt.

»Was macht dich so sicher?«

Ilfa zuckte die schmalen Schultern. »Ich weiß es eben. Vater und seine Schar haben aus mir einen guten Jäger gemacht. Ein guter Jäger weiß auch, wann er gejagt wird.«

Ilfa verhielt mitten im Schritt.

»Es muss sehr nah sein«, flüsterte er.

Mythor nickte nach einem Augenblick. »Ich denke, ich sehe etwas ... grüne Steine, die sich bewegen ... ein gutes Stück vor uns ...«

»Ich sehe sie auch. Ich zähle drei.«

»Was sind sie?«, fragte Mythor.

»Feinde«, erwiderte Ilfa lakonisch. Er spannte den Bogen.

»Sie sind kein gutes Ziel.«

»Gut genug für mich«, erklärte der Junge bestimmt.

Aber Mythor hielt ihn am Arm. »Warte. Vielleicht sind sie friedlich.«

»Obwohl sie uns auflauern?«, erwiderte Ilfa ungläubig.

»Vielleicht weil sie uns für Feinde halten ...«

»So lass uns wenigstens ihre Überzahl ausgleichen«, schlug Ilfa vor.

Mythor zögerte. »Ich will mit ihnen reden. Sie könnten etwas wissen ...«

Ilfa senkte den Bogen und nickte. »Mag sein«, stimmte er zu. »Aber dann reden wir aus sicherer Entfernung.«

»Du traust wohl niemandem?«

»Niemandem. Und als dein Freund rate ich dir: lass deine Neugier niemals stärker als dein Arm sein.«

»Du hast recht, Freund. Mein leerer Kopf ist ein Plagegeist, aber in dieser Welt ist es leichter, ihn zu verlieren, als ihn zu füllen.«

Ilfa grinste. »Die Wahrheit ist, dass deine Fragen auch meine Neugier geweckt haben. Ich möchte mehr über dich wissen.« Er senkte den Blick unter Mythors forschenden Augen. »Rasten wir hier und lassen wir sie den nächsten Schritt tun. Wenn es nur drei sind, werden wir mit ihnen fertig.«

Sie ließen sich auf den Steinen nieder, scheinbar ohne große Wachsamkeit, doch sie ließen die grünen Gestalten nicht aus den Augen. Sie aßen einige Bissen vom Fleisch des Bären, den sie erlegt hatten, bevor sie vor zwei Tagen in diese Felsenebene kamen. Das gebratene Fleisch war an den Grenzen der Haltbarkeit angelangt. Sie brauchten frische Beute. Aber in dieser Öde schien es nichts Lebendes zu geben – außer diesen drei Gestalten.

»Ist dir aufgefallen, dass es wärmer geworden ist?«, fragte Ilfa.

»Ja, aber ich war nicht sicher.«

»Es kommt aus dem Boden. Die Steine sind warm.«

Mythor nickte. Er tastete danach. Sie waren in der Tat wärmer als die Luft. Aus den Augenwinkeln sah er, wie die drei Gestalten sich bewegten. Sie glitten zwischen den Felsen vorwärts.

Ilfa legte sein Schwert vor sich auf den Boden und griff nach dem Bogen.

Auch Mythor griff nach dem Schwert. Sie waren nah genug. Er stand auf.

»Wer seid ihr?«, rief er.

Die grünen Gestalten erstarrten. Dann sprangen sie auf und stießen ein lautes Geheul aus. Sie waren barbarische Krieger, die mächtige, hammerähnliche Waffen schwangen. Sie waren fast nackt, mit gedrungenen, muskulösen Körpern – und ihre Haut war grün.

Ihr Ansturm sah nicht nach Palaver aus.

Ilfa spannte den Bogen, schnellte hoch und ließ den Pfeil noch in der Bewegung von der Sehne.

Einer der Grünen fiel keine zwei Dutzend Schritt vor ihnen. Die beiden anderen hielten an und starrten auf die leblose Gestalt ihres Gefährten. Dann hoben sie mit einem Aufbrüllen ihre Hämmer, aber sie verhielten mitten im Schritt, als sie sahen, dass Ilfa erneut einen Pfeil an die Sehne legte und den Bogen spannte. Mit einem wütenden Knurren wichen sie zurück, duckten sich zwischen das Geröll und machten sich mit blitzartigen Sprüngen von Deckung zu Deckung davon, bis der weiße Dunst sie verschlang.

Ilfa ließ den Bogen sinken. »Wir werden wachsamer als bisher sein müssen.«

Mythor nickte. Mit der Klinge in der Faust ging er auf den Gefallenen zu. Ilfa folgte ihm, ohne die Augen vom milchigen Horizont zu lassen.

»Hast du Krieger wie diese schon gesehen?«, fragte Mythor.

Ilfa schüttelte den Kopf.

Der Tote war fast einen Kopf kleiner als Mythor, aber ungleich muskulöser und kräftiger. Die grüne, ölig glänzende Haut hätte ihn im Wald gut getarnt, doch hier zwischen den grauen Felsen konnte es kaum Auffälligeres geben. Seine Züge wirkten tierhaft: die niedrige Stirn, die kleinen Augen unter dicken Brauenwülsten, die flachgedrückte Nase, den fast rachenhaften Mund mit den Zähnen des Fleischfressers. Ein Anflug von grauem Haar war an den Backen zu sehen. Das Kopfhaar fiel in brustlangen blauschwarzen Strähnen.

Ein Streifen weichen Leders war als einziges Kleidungsstück zwischen seine Schenkel geschlungen. Ein breiter Gürtel hielt ihn. Außer dem gewaltigen Hammer trug er keine Waffen bei sich.

Mythor löste die Lederschlaufe vom Handgelenk des Toten. Der Hammer war schwer – als wäre er aus Metall oder Stein.

Mythor schwang die Waffe und nickte anerkennend. »Für einen, der damit umgehen kann ...«

»Und für einen von seiner Statur«, ergänzte Ilfa. »Du willst ihn doch nicht mitnehmen?«

Mythor grinste. »Wenn du ihn trägst?«

Ilfa lachte und wurde rasch ernst. »Es gefällt mir nicht, dass die anderen beiden entwischt sind. Sie wollten uns töten. Und ihre Gefühle sind sicher nicht freundlicher geworden, nachdem wir einen der ihren erledigt haben ...«

»Wo drei sind, können sich auch mehr herumtreiben«, meinte Mythor.

»So müssen wir zusehen, dass wir diese Ebene verlassen.« Ilfa zog den Pfeil aus dem Körper. »Ich habe knapp ein Dutzend Pfeile. Einer größeren Zahl könnten wir hier nicht standhalten. Im Handgemenge haben wir gegen solche Hämmer keine Chance.«

»Wahrscheinlich«, stimmte Mythor zu. »Deshalb schlage ich vor, dass wir keine Zeit verlieren. Vorwärts. Wir ändern die Richtung!«

Mit wachsamen Blicken rundum auf das graue, begrenzte Sichtfeld, und mit Bogen und Schwert bereit in den Händen stapften sie über das Geröll, so rasch es der unsichere Weg zuließ. Nach einer Weile waren sie sicher, dass ihnen niemand folgte. Mehrmals ließen sie sich in guter Deckung auf den Boden nieder, schlossen die Augen, und lauschten angestrengt auf Geräusche aus der Nebelwand um sie.

Es blieb alles still.

Wenig später glühte der Nebel rot aus der Richtung, die ihr eigentliches Ziel war – Westen, wie Ilfa von seinem Vater gelernt hatte. Es gab sie nicht alle Abende, diese Röte, ebenso wie die Morgenröte im Osten.

Die Dunkelheit, die der Röte folgte, war allumfassend, und die Kälte, die sie brachte, nicht minder.

Solcherart war die Nacht in Aegyr-Land.

»Denkst du, dass irgendwo die Welt anders ist als hier?«, fragte Ilfa.

»Wusste dein Vater es nicht?«, fragte Mythor.

»Wenn er davon gesprochen hat, ist es lange hier, und ich habe es vergessen.«

Sie lagen in der Dunkelheit zwischen den Felsen, dankbar für die ungewöhnliche Wärme, die aus den Steinen unter ihnen kam.

»Sag mir, was eine Jungfrau ist«, verlangte Ilfa unvermittelt.

Mythor starrte den Jungen an. »He«, sagte er. »Dein Vater hat wohl wesentliche Lücken in deiner Erziehung gelassen?«

Ilfa grinste ein wenig unsicher. »Dafür scheinst du eine ganze Menge zu wissen, obwohl du kein Gedächtnis hast.«

»Ja, das ist seltsam«, stimmte Mythor zu. Er zuckte die Schultern. »Solche Dinge weiß man eben ... wenn man sie einmal weiß ...«

»Also, was ist eine Jungfrau?« Ilfa klang ungeduldig.

»Ein Mädchen, das noch unberührt ist.«

»Großer Thorimol. Ich ...«

»Wer ist das?«

Ilfa hielt verblüfft inne. »Ich weiß es nicht. Vater rief den Namen manchmal, wenn er überrascht war, oder wenn er fluchte. Er kam mir eben wieder in den Sinn ...«

»Hat dein Vater zu irgendwelchen Göttern gebetet?«

»Nicht, so lange ich zurückdenken kann.«

»Und du?«

»Ich auch nicht. Zu wem auch?«

»Zu diesem Thorimol zum Beispiel.«

»Selbst wenn ich wüsste, wer er ist, was sollte ich ihm wohl vorbeten? Und wozu?«

»Zum Beispiel, um ihn freundlich zu stimmen.«

Ilfa lachte unterdrückt. »Kennst du solche Götter?«

Mythor dachte nach. »Ich ... ich kenne überhaupt keine Götter ...«

»Aber du weißt, dass es welche gibt?«

»Ja«, erwiderte Mythor unsicher.

»Was haben sie denn getan, dass wir sie anbeten sollten?«

»Sie haben die Welt erschaffen.«

»Woher willst du das wissen?«

»Wenn nicht die Götter, wer sonst? Sie haben auch dich und mich erschaffen.«

Ilfa dachte eine Weile nach. »Dich vielleicht«, sagte der Junge. »Das würde schon erklären, warum du dich an nichts erinnerst, was vorher war. Aber ich hatte einen Vater ... und eine Mutter, auch wenn ich mich nicht mehr an sie erinnere. Ich wurde geboren wie der Nachwuchs der Bären und Wölfe und Raubkatzen. Ich habe es oft genug beobachtet ...«

»Wenn du sie so gut beobachtet hast, wird dir auch aufgefallen sein, was sie tun, bevor sie den Nachwuchs bekommen«, stellte Mythor fest. »Unberührte Mädchen gebären keine Kinder. Ich meinte auch nicht, dass die Götter nun gerade dich und mich erschaffen haben, vielmehr unsere Vorfahren, die allerersten ...«

Aber Ilfa hörte nicht zu. »Eine Jungfrau ist also ein Mädchen, das noch keine Kinder geboren hat, wenn ich dich recht verstehe ...?«

»Nicht ganz, Freund. Es führt nicht immer gleich zum Nachwuchs, wenn man mit einer Frau liegt. Eine Jungfrau hat noch nie etwas mit einem Mann gehabt ...«

»Wenn sie schweigt ...?«

Mythor lachte. »Das kann man feststellen. Es hinterlässt nämlich Spuren, wenn sie mit einem Mann zusammen war, so dass einer, der weiß, wo er hinzusehen hat, auf den ersten Blick sieht, ob sie noch unberührt ist oder nicht ...«

»Hast du viele Spuren hinterlassen?«

»Junge, Junge, du willst alles genau wissen ...« Er stockte und sagte hilflos: »Ich erinnere mich nicht ...«

Ilfa schwieg enttäuscht. Schließlich fragte er: »Wenn du jetzt einer Jungfrau begegnen würdest ... würdest du mit ihr ... liegen?«

»Ich bezweifle, dass wir hier irgendetwas anderem als Steinen und grünhäutigen Teufeln begegnen ...«

»Würdest du?« Ilfa ließ sich nicht beirren.

»Wenn sie mir gefällt ...«

»Gefällt ...?«

»Nun, wenn sie ein freundliches Lächeln für mich hat und wohlgeformte ...« Er unterbrach sich. »Aber Jungfrauen sind entweder sehr jung, oder schwer zu überzeugen, sonst wären sie es nicht so lange geblieben.«

»Gibt es Gründe, weshalb eine Jungfrau es nicht mit einem Mann machen will?«, bohrte Ilfa weiter.

»Den einen oder anderen. Aber das sind Erfahrungen, die du selbst machen musst. Sicher hast du deine Vorstellungen, wie das Mädchen deiner Träume aussehen soll ...«

»Nein«, unterbrach ihn Ilfa ein wenig traurig. »Ich habe überhaupt keine Vorstellung von einem Mädchen. Ich ... ich habe nie eines gesehen ...«

»Du hast noch nie ein Mädchen gesehen?«, entfuhr es Mythor.

»Niemals. Mein Vater war der einzige Mensch in meiner Umwelt. Die Rotte bestand aus Hengstern, Haryien und Mimesen. Mein Vater hat nie darüber gesprochen, selbst über Mutter kaum ...«

»Du hast Yorne gesehen, als du mich befreit hast«, warf Mythor ein.

»Sie war ein Ungeheuer. Mit ihr hätte ich niemals ... liegen können.«

»Wir sind schon seltsame Gefährten«, murmelte Mythor schläfrig. »Du hast noch nie ein Mädchen gesehen, und ich erinnere mich an keines.« Er gähnte. »Ich schätze, wir werden einiges nachholen müssen, wenn sich die Gelegenheit bietet. Schlaf jetzt. Bis zur Morgendämmerung sind wir ziemlich sicher.«