Nachgedacht Aufgewacht - Hans-Gerd Adler - E-Book

Nachgedacht Aufgewacht E-Book

Hans-Gerd Adler

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Beschreibung

Aus der Geschichte lernen, das bedeutet, sich der Vergangenheit bewusst zu sein, nachzudenken über das Erlebte, um daraus Ansätze für die Gestaltung der Zukunft zu finden. Im 20. Jahrhundert waren auf deutschem Boden zwei Diktaturen entstanden. Unsägliches Leid wurde dem eigenen Volk und der großen Völkergemeinschaft bereitet. Es ist eine Tragik, dass nach der Herrschaft des Nationalsozialismus der Sozialismus auf dem Territorium der aus der Sowjetischen Besatzungszone entstandenen DDR die gleichen Strukturen und Verhaltensmuster übernahm und praktizierte. Die Unterschiede zwischen den Systemen werden in den Farben, den Parolen und den Dimensionen des begangenen Unrechts deutlich. Seine persönlichen Erfahrungen mit dem sozialistischen System und sein Engagement zu dessen Überwindung waren der Anlass für Hans-Gerd Adler, diese Dokumentation anlässlich des 25. Jahrestages der deutschen Einheit zu erstellen. Mit ihr macht er deutlich, dass ein grundhaftes Umdenken erforderlich ist, um die freiheitlich demokratische Gesellschaftsordnung dauerhaft zu sichern. Er dokumentiert sehr ausführlich die Bemühungen um die Sättigung des Hungers nach Gerechtigkeit. Seine literarischen Einflechtungen, bei denen es auch nicht an Humor fehlt, sollen den Leser zum Nachdenken ermuntern, damit dieser sich seiner politischen Verantwortung bewusst wird. Nur ein wacher Geist vermag sich der Last der Vergangenheit zu stellen, um daraus die notwendigen Impulse für den Einsatz um die Wohlfahrt des eigenen Volkes wie auch die der Völkergemeinschaft zu aktivieren.

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Seitenzahl: 260

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Der verantwortliche Umgang mit Freiheit

erfordert ebenso unsere Kraft,

wie wir sie bei der Überwindung

der Unfreiheit

aufgebracht

haben.

Der Autor

Hans-Gerd Adler, Jahrgang 1941, von Beruf Industriekaufmann, qualifizierte sich nach dem Erwerb der Hochschulreife an der Ingenieurschule für Papier- und Verpackungstechnik in Altenburg zum Dipl. Wirtschaftsingenieur (FH). Seit 1977 war er mehr als zwanzig Jahre als Karnevalist tätig. 1989 wurde er Vorsitzender der Bürgerinitiative Demokratische Initiative Heiligenstadt und koordinierte die Friedliche Revolution in der Kreisstadt. Für sein Engagement wurde er 2012 durch Bundespräsident Gauck mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande geehrt. 1990-1994 war er Mitglied im Kreistag Heiligenstadt und 1999-2014 Mitglied im Stadtrat Heiligenstadt. Ab 1990 wurde er zum vielgefragten Zeitzeugen bei Thementagen in Schulen, den Grenzmuseen des Landkreises Eichsfeld und verschiedensten Interessengruppen. Neben seinem politischen Engagement gilt sein besonderes Interesse der Pflege und Erhaltung der Eichsfelder Mundart. Für diese hat er eine neue Schreibweise entwickelt, mit deren Hilfe einheimische Dialekte dauerhaft konserviert werden können.

Widmung

All denen, die Unrecht einst erlitten,

die an der Herrscher Macht zerbrochen,

all denen, die um das Recht gestritten,

mit Mut sind an das Licht gekrochen,

all denen, die noch Sehnsucht tragen

nach Sühne, nach Gerechtigkeit,

all denen, die offen sind für viele Fragen

nach der Lehre aus der Vergangenheit,

all denen, die suchen nach den Wegen,

die unser Volk soll glücklich wallen,

all denen, die darum mit Kraft sich regen,

gereiche das Buch hier zum Gefallen.

Inhaltsverzeichnis

 

Grußwort

Vorworte

Ein Vorwort zum Vorwort

Vorwort

Ein Nachwort zum Vorwort

Jahrestage

Erinnerungen

Die Mauer ist weg!

Fünf Jahre nach dem Fall der Mauer

Zehn Jahre nach dem Fall der Mauer

Zwanzig Jahre nach dem Fall der Mauer

Nun sind es fünfundzwanzig Jahre

Aufbruch

Analogon

Der ähnliche Fall

Etwas bleibt immer

Die Widersacher

Reichskristallnacht

Gettos

Aktion Ungeziefer

Wie sich die Bilder gleichen

Zweimal in einem Jahrhundert

Die sozialistische Selbstschutzanlage

Resignation

Mauersyndrom

Die Mauer muss weg!

Der Tag der Befreiung

Vaterland

Herbstzeit

Angst

Der Dia-log

Ein Doppelrätsel

Wahrheit oder Lüge?

Wer wundert sich - SIE oder WIR?

Das Lied vom Wendehals

Die Sache mit dem Recht

Der Versuch, ein Wort zu analysieren

S Bollwaerk

Forderungen einer Blockpartei

Ein Volk für EIN Volk

Ein Montag im Oktober 1989

Die entwaffnende Waffe

Initiativen

Wir wollen die Einheit

Öffentlicher Rückblick

Eine noch aktuelle Jahrestagsrede

Alte und neue Bundesländer?

Erinnerung an den Aufbruch

Die tragenden Säulen Europas

Eine Symbolik

Eine Ausstellung erinnert

Das Oktoberlied

Danach

Die Mauer

Wahnsinn oder Wunder?

Papa, ist das ein trooßer Intershop!

Unse Klikke

Nachdenklichkeiten

Minne Sorjen

Vergangenheitsbewältigung

Wach bleiben

Herbe Erkenntnis

Das Chamäleon

Warum sind wir auf die Straße gegangen?

Öffentlicher Geschichtsunterricht

Über 50 Deutsche Jahre

Die Grenze im Eichsfeld

Auf dem Weg zur Einheit - Die letzten Monate der DDR

Fünf Jahre deutsche Einheit

Vor fünf Jahren - Die Friedliche Revolution im Eichsfeld

Vor zehn Jahren - Die Friedliche Revolution im Eichsfeld

Erinnerungs- und Gedenkstätten

Grenzmuseum Schifflersgrund in Asbach-Sickenberg

Grenzlandmuseum Eichsfeld in Teistungen

Streiflichter aus der Nachkriegszeit

Spuren des real existierenden Sozialismus

Zwangsaussiedlung und Restitution

Wir hungern nach Gerechtigkeit

Verbot SED/PDS

Anträge zum Verbot der SED/PDS

Diskussionsbeitrag für die Kreistagssitzung

Bundes- und Landesregierung erhalten den Antrag

Weitere Schreiben

Schreiben an die Ministerpräsidenten der neuen Bundesländer

Antworten

Die Aktion Hungerstreik

Außerordentliche Vollversammlung

Wir hungern nach Gerechtigkeit

Reaktionen

Friedensgebet und Demonstration

Die Forderungen

Thüringer Solidarität

Kontakte und Stellungnahmen

Das Ergebnis

Gespräche in Bonn

Aufarbeitung

Schlagabtausch

Ein offener Brief

Eine offene Antwort

Die Auflösung des Untersuchungsausschusses

Eine späte Nachlese

Des Pudels Kern

Metamorphose

Der Parteizyklus

Vorder- und Hintergründe

S luug nur am Geruchche

Die Realität einer Losung

Die 6 Phasen der sozialistischen Planung

Konfession - sozialistisch

I. Überzeugung

II. Kontinuität

III. Kampfeswille

IV. Mensch und Natur

V. Ursache und Wirkung

Abgehakte Prinzipien

Gefahr oder Chance?

Keine Gefahr, aber große Chance

Satte Unterschiede

Eine Umkehrung

Vom Reiz, sich ein neues Auto zu kaufen

Von Anfang bis ND

(sprich: Ende)

Die sieben Wunder der DDR

Am Schlagbaum

Der Doppelgänger

Antagonismus im Sozialismus

Ausblicke

Einigkeit und Recht und Freiheit

Freiheit und Grenzen

Zum Schluss

Eine Analyse

In einem Satz gesagt

Ratschläge für die Zukunft

Nachtrag

Was bleibt?

Verzeichnis der Abkürzungen

Quellenverzeichnis

Bildnachweis

Grußwort

 

des Ministerpräsidenten a.D. des Landes Thüringen, Dieter Althaus

Hans-Gerd Adler leistet mit diesem Buch erneut einen wichtigen Beitrag zur nachhaltigen Geschichtsschreibung.

Nachgedacht aufgewacht dokumentiert und resümiert aus Sicht des Autors die Zeit der Friedlichen Revolution und der ersten wesentlichen Schritte in der Freiheit. Hans-Gerd Adler formuliert mit diesem Buch vor allem auch den Auftrag, uns in der und für die Demokratie zu engagieren.

Die Demokratische Initiative Heiligenstadt mit Hans-Gerd Adler und seinen Mitstreitern war in den Wochen und Monaten der Demonstrationen im Herbst 1989 und der ersten demokratischen Veränderungen in meiner Heimatstadt von prägender Bedeutung. In diesem Buch werden viele Zeitzeugnisse dokumentiert bzw. erläutert. Unter anderem werden die Bemühungen engagierter Demokraten, die SED zu verbieten dargestellt.

Das christliche Menschenbild ist im Eichsfeld unsere Orientierungsgrundlage und damit sind die Werte wie Wahrheit, Freiheit, Gerechtigkeit und Liebe ganz wesentlich. Wenn sie aber grundlegend für uns als Einzelne, die Familie und unsere Gesellschaft sind, stellt sich die Frage, wie passt das in der Demokratie zu der Forderung nach einem Parteienverbot der SED? Es ging den Initiatoren um Hans-Gerd Adler und auch uns als Unterstützer mit dieser Forderung darum, durch das Verbot insbesondere die starke finanzielle Basis der SED zu beseitigen. Diese war im SED-Unrechts-staat entstanden und bildet auch aktuell zusammen mit den ideologisch geprägten Netzwerken die Grundlage für den anhaltenden und stabilen politischen Zuspruch. Inzwischen gibt es mit Bodo Ramelow in Thüringen seit Dezember 2014 den ersten Ministerpräsidenten von der SED Nachfolgepartei DIE LINKE.

Erinnern wir uns an den Abend des 09. November 1989 und an die denkwürdige Pressekonferenz von Günter Schabowski. Auf die Nachfrage eines italienischen Journalisten, wann denn die neue Reiseregelung zu mehr Freizügigkeit in Kraft träte, kam nach Grübeln und Blättern in den Unterlagen die Antwort von Schabowski, dass die Regelung mit sofortiger Wirkung in Kraft tritt. Für die Vertreter der Demokratischen Initiative und für uns alle begann mit diesem 9. November eine spannende Zeit der Freiheits- und Demokratiegestaltung. Wir waren alle freudetrunken über das Ende des SED-Unrechtsstaates und die neuen Freiheitsmöglichkeiten. Wir demonstrierten ab sofort unter der klaren Aussage „Wir sind ein Volk“ für die Wiedervereinigung unseres Vaterlandes. Heute müssen wir feststellen, dass in dieser Zeit unserer Euphorie die SED auch die Grundlagen für den Fortbestand ihrer Partei gelegt hat. Sie sicherte durch vielfältige nationale und internationale Finanztransaktionen eine langfristige Einnahmegrundlage.

25 Jahre Mauerfall und Friedliche Revolution im Jahr 2014 und in diesem Jahr 25 Jahre deutsche Einheit. Diese Daten geben Anlass und sind Aufgabe zu erinnern und nicht zu vergessen. Das Buch Nachgedacht aufgewacht von Hans-Gerd Adler bietet dazu eine lesenswerte Grundlage. Wir müssen uns den Wert unserer Freiheit bewusst machen, damit wir in Dankbarkeit, mit Zuversicht und Gottvertrauen, aber auch durch unser Engagement, zum Beispiel durch die Teilnahme an den Wahlen, die Zukunft der freiheitlich demokratischen Grundordnung dauerhaft sichern.

Heilbad Heiligenstadt, im September 2015

Vorworte

 

Ein Vorwort zum Vorwort

 

Es war am 3. Oktober 1990. Die Karl-Marx-Straße, die Hauptgeschäftsstraße in Heiligenstadt, wurde schon längst wieder Wilhelm1 genannt. Eine schier unübersehbare frohe Schar von Menschen hatte sich eingefunden, um den ersten Tag der Einheit unseres Vaterlandes gebührend zu feiern. Die neugeborenen Bundesbürger sprachen von dem großen Glück der Wiedervereinigung und der großartigen Feier am Vorabend in Heiligenstadt. Auf dem unteren Wilhelm hatte ich einen Stand aufgebaut. Ein Freund hatte mir meinen Tapeziertisch schwarz-rot-gold gestrichen. Dieser war mit zahlreichen Exemplaren meines Buches2 beladen. Es war dies die erste Dokumentation der Friedlichen Revolution, die auf dem Büchermarkt im wiedervereinten Deutschland erschienen war und sich großer Nachfrage erfreute.

Nach nunmehr fünfundzwanzig Jahren drängt es mich erneut, zum Tag der Deutschen Einheit eine Dokumentation zu verfassen. Wohlwissend, dass der Büchermarkt inzwischen eine Vielzahl von Werken, die Friedliche Revolution betreffend, präsentiert, füge ich diesem ein weiteres hinzu. Dies möchte ich aus einem ganz bestimmten Grund tun.

Ich habe den Eindruck gewonnen, dass nicht nur die Ereignisse von vor fünfundzwanzig Jahren mehr und mehr dem Vergessen anheimgefallen sind. Was mich innerlich immer wieder bewegt, ist die Tatsache, dass die von vielen erhoffte Gerechtigkeit nur sehr schwer zu erlangen ist. Darüber hinaus scheint der Umgang mit Systemträgern der SED-Diktatur sowie deren Ideologie dem des Umgangs mit Systemträgern der NSDAP-Diktatur sowie deren Ideologie gleichzukommen. Dieser Eindruck wird dadurch verstärkt, dass die SED-Nachfolgepartei3 weithin als demokratische Partei verstanden wird und in Thüringen sogar als bestimmender Teil einer Koalition die Regierungsgewalt erhalten hat4.

Im Jahre 1991 haben wir in Heiligenstadt einen Hungerstreik gewagt. Dieser hatte zum Ziel, ein Verfahren für das Verbot der SED/PDS in Gang zu setzen. Dadurch sollte erreicht werden, dass das Parteivermögen für eine Wiedergutmachung an den Opfern des SED-Regimes eingesetzt wird. Meine heutige Erkenntnis und Überzeugung ist, dass die Demokratie sowohl ein rechtes als auch ein linkes politisches Spektrum verkraften kann. Dies ist allerdings nur in dem Maße möglich, wie eine sozial-marktwirtschaftlich orientierte und demokratisch geprägte politische Mitte die herrschende Struktur unter der Maxime Freiheit verwaltet. Das Denken und Handeln der Menschen ist nicht programmierbar. Nur Diktaturen sind in der Lage, Menschen darin zu uniformieren. Vor dem Hintergrund, dass dies im 20. Jahrhundert auf deutschem Boden zweimal passiert ist, sind wir alle gerufen, jeglicher Neigung zu einer gesellschaftlichen Uniformität zu widerstehen, um eine erneute Diktatur zu verhindern.

Nachgedacht aufgewacht: Der Buchtitel soll auf die Zeiten hinweisen, die unsere Eltern und wir in leidvoller Erinnerung haben. Es brauchte eine lange Zeit des Nachdenkens, des Erkennens, ehe uns der Mut zur endgültigen Überwindung doktrinärer gesellschaftlicher Systeme erfasste.

Auf gewacht nach gedacht: Der Untertitel ist zuerst für eine subjektive Interpretation offen. Er appelliert zudem auch an einen gesunden und wachen Menschenverstand und drückt die Sehnsucht aus, dass wir aus der Geschichte eines unheilvollen Jahrhunderts endlich zu lernen gewillt sind. Er soll ebenso als Ruf an alle, denen die Bewahrung der freiheitlich demokratischen Gesellschaftsordnung am Herzen liegt, verstanden werden. Zwei in dieser Hinsicht angepasste Schriftbilder würden die Intension allerdings deutlicher werden lassen: Auf! Gewacht! Nachgedacht! Oder: Aufgewacht folgt) nach gedacht.

Das hier vorliegende Buch ist eine Dokumentation. Darin enthalten sind u. a. auch Verse und satirische Ausführungen, die zwischen 1987 und 1994 entstanden und bei den unterschiedlichsten Veranstaltungen öffentlich wurden. Im Jahre 1999 hatte ich begonnen, den angesammelten Fundus meiner eigenen Schriften sowie z.T. weithin bekannter DDR-Zeit-Texte (unbekannte Quellen) zu ordnen. Es war meine Absicht, diese zum zehnten Jahrestag der Friedlichen Revolution als Buch zu veröffentlichen. Das gelang nicht. Im Jahre 2004 unternahm ich erneut einen Versuch. Dieser endete in einem selbst hergestellten Band, den ich an eine beachtliche Zahl von Freunden und Gefährten als Erinnerung an unser gemeinsames Handeln 1989/90 verschenkte. Er trägt den Titel Papa, ist das ein trooßer Intershop! Neu geordnet und ergänzt möchte ich diese Texte, einschließlich der damaligen Vorworte, einem größeren Kreis von Interessenten präsentieren. In die Dokumentation einbezogen sind regional bedeutsame Ereignisse der sogenannten Nachwendezeit (1991-1994). Hierunter nehmen die Bemühungen um ein Verbot der SED/PDS einen besonderen Stellenwert ein.

Alles in allem soll dieses Buch einen Zweck erfüllen. Selbst wenn der eine oder andere Vers bereits veröffentlicht ist5, soll diese kompakte Darstellung zu dem anregen, was im Buchtitel anklingt. Ich möchte dazu aufrufen, all unsere innere Ablehnung sowohl dem Hitler-Regime als auch dem SED-Regime gegenüber nicht im Ursächlichen den Systemen anzuhängen. Systeme sind etwas Abstraktes und Unpersönliches. Sie können nicht in die Verantwortung gezogen werden. Es sind wir Menschen, die sie schaffen und funktionstüchtig machen. Daher können auch nur Menschen zur Verantwortung gezogen und zur Umkehr aufgerufen werden.

Mein Appell geht deshalb an uns alle, dass wir unser Denken erneuern! Es betrifft jeden von uns! Wir alle müssen uns redlich mühen, dass das Böse in uns nicht mächtig wird. Dieses Mühen bleibt ein Prozess, der uns alle Tage unseres Lebens herausfordert. Unsere Gesellschaft kann auf Dauer nur im Frieden leben, wenn wir dafür sorgen, dass sich die Geschichte nicht wiederholt, in der unsere Eltern und wir von Verbrechern und ihren Ideologen beherrscht wurden. Wir werden den Rechts- und den Links-Extremismus nicht in Schranken halten können, wenn nicht jedem von uns bewusst wird, dass es der breiten Masse des Volkes bedarf, den Frieden zu suchen und zu erhalten und die Achtung der Menschenwürde zur Maxime unserer Gesellschaft wachsen zu lassen. Ebenso muss die Erkenntnis zunehmen, dass Freiheit nur dann langfristig erhalten werden kann, wenn jeder Einzelne sich seinem verantwortlichen Umgang mit ihr bewusst bleibt. Die Missachtung der kurz umrissenen Grundsätze auf Dauer würde entweder in ein Chaos oder erneut in eine Diktatur führen. Darüber hinaus bewegen mich weitere Gedanken, die durch die aktuellen politischen Ereignisse bei uns in Thüringen genährt werden:

1. Demokratie, jetzt oder nie! Das war der Ruf derer, die damals auf die Straße gegangen waren. Ich erinnere mich daran, dass jeder Redner bei den Demos auf dem Friedensplatz in Heiligenstadt das Wort Demokratie benutzt hatte. Wie Demokratie jedoch funktioniert, das mussten wir erst lernen. Rede und Gegenrede, darin waren wir nicht geübt. Wir begriffen erst nach und nach, dass das Ziel verbaler Auseinandersetzungen nicht darin besteht, Feindbilder aufzubauen. Dazu waren wir aber durch die Ideologie des sozialistischen Systems in der DDR immer wieder angehalten worden.

2. Mit dem Gang zur Wahlurne kann man ja doch nichts bewegen. Diese sich mit den Jahren breitmachende Auffassung wurde durch das Ergebnis der Landtagswahl 2014 in Thüringen erfahrbar widerlegt. Es wurde für jeden Bürger der Bundesrepublik offenkundig, dass das Wahlergebnis auf demokratischer Grundlage erzielt wurde. Dass sich etwa 40% der wahlberechtigten Bürger des Landes nicht an der Wahl beteiligt hatten, macht deutlich, wie wenig Interesse an der Mitverantwortung für die Landespolitik besteht. Ich wage zu bezweifeln, dass bei einer deutlich höheren Wahlbeteiligung auch ein adäquates Stimmenverhältnis zum gleichen Wahlergebnis geführt hätte. So gesehen waren es am Ende die Nichtwähler, die eine starke politische Mitte verhindert haben.

3. Die Demokratie ist bunt. Die Beherrschung aller in ihr existierenden Parteien und politischen Gruppierungen durch eine Partei ist nicht möglich. Gerade deshalb gehört eben auch ein linkes Spektrum zur Demokratie, das sollte uns schon klar sein. Trotzdem erscheint es unverständlich, dass in Thüringen (SDP) SPD und Bündnis 90/Die Grünen, die sich damals gründeten, um die SED zu entmachten, nun mit der gleichen Partei koalieren. Diese trägt zwar einen neuen Namen, aber sie bringt das übernommene ideologische Erbe erneut zur Geltung. Der Grundsatz, den Walter Ulbricht 1945 prägte6, wird im Parteiprogramm der Linken sichtbar wieder zum Leitmotiv. Die Geschichte ist es, die uns lehrt, dem Sozialismus und seinen Verfechtern gegenüber misstrauisch zu bleiben.

4. Freiheit, Demokratie und Einheit. Das waren die großen Ziele, denen viele Millionen DDR-Bürger 1989 gefolgt waren. Die mit dem Erreichen dieser Ziele ausbrechende Euphorie war verständlich. Jedem vernünftig Denkenden musste aber klar gewesen sein, dass dieser Zustand nur von kurzer Dauer sein konnte. Was in zunehmendem Maße im Alltag dann aber verloren gegangen zu sein scheint, das ist die Frage nach dem Grund unseres damaligen Handelns. Ja, damals waren wir wach im Kampf gegen LINKS. Heute vermisse ich diese Wachsamkeit, die gegenüber dem rechten Spektrum so deutlich vorhanden ist. Mit anderen Worten: Wer immer nur nach rechts schaut, wird irgendwann auf dem linken Auge blind.

Heiligenstadt, im Oktober 2015

Vorwort

Wie schnell doch die Zeit vergeht, das merkt man meist erst dann, wenn uns Anlässe dazu bewegen, Rückschau zu halten. Zehn Jahre nach dem großen Aufbruch des Volkes in der DDR - da fragt man sich, ist das schon wieder so lange her? Ja, die Jahre scheinen wie im Flug vergangen zu sein. Und doch möchte man meinen, dass es gerade erst gestern war. Bei der Betrachtung dessen, was sich seit 1989 alles getan hat, müsste man, wenn man noch in DDR-Maßstäben denken oder empfinden könnte, zu der Erkenntnis kommen, dass wir mindestens eine Epoche von siebenmal sieben Fünfjahresplänen hinter uns gebracht haben. Doch bei der Betrachtung der Vorgänge von damals, im Herbst der brennenden Kerzen, kommt es uns eher so vor, als sei die Zeit kaum vergangen. Mir jedenfalls läuft bei diesem Gedanken immer noch ein Schauer über den Rücken, da jene Zeit eine für mich sehr bewegende war.

Die Angst jener Tage ist unvergessen. Aber auch die Geschlossenheit breiter Volksmassen, ihre Disziplin, ihre wachsende Unerschrockenheit, die rasante Entwicklung der Hoffnung auf ein vereintes Vaterland haben tiefe Eindrücke hinterlassen. Viele unserer Forderungen und Wünsche gingen in Erfüllung. Aber auch herbe Enttäuschungen bleiben uns zehn Jahre nach der Friedlichen Revolution und neun Jahre nach Wiedererlangung der deutschen Einheit nicht erspart. Vielleicht weiß der eine oder andere heute erst, was wir damals alles falsch gemacht, was wir zu tun unterlassen haben, bzw. er glaubt es zu wissen.

Leider, besser gottseidank, gab es für das, was seinerzeit in der DDR bzw. in Deutschland ablief, kein Vorbild. Somit kommt man sicher schwer um die Erkenntnis herum, dass es genau so richtig war, wie es war. Trotz mancher Probleme wie Arbeitslosigkeit, welche besonders diejenigen hart getroffen hatte, die auf die Straße gegangen waren, muss die Entwicklung insgesamt eher positiv eingeschätzt werden. Den Pessimisten sei die Frage gestellt: Kann sich ein ehemaliger DDR-Bürger heute vorstellen, wie es ihm im Jahre 2000 unter sozialistischen DDR-Bedingungen ergangen wäre? Die Antwort möge sich jeder selbst geben.

Neben den Reflexionen ökonomischer und sozialer Befindlichkeiten sind die politischen ebenso wichtig. „Freie Wahlen!“, „SED - das tut weh!“, das sind nur zwei der Parolen, die wohl jeder, der im Herbst 1989 mit zur Demo ging, lautstark gerufen hat. Was ist daraus geworden? Rund 60% Beteiligung an den nun wirklich freien Wahlen und eine SED/PDS wiederum in neuem Gewande. Hinzu kommt noch, dass ausgerechnet DIE LINKE sich zum Fürsprecher mancher verständlicher Sorgen ehemaliger DDR-Bürger, wie auch der um mehr soziale Gerechtigkeit ringenden Schichten der ehemaligen BRD entwickelt. War das die Absicht derer, die 1989 auf die Straße gegangen waren? Auch diesen Fragen möge sich jeder ebenso stellen.

Das vorliegende Buch soll auf besondere Weise eine Rückbesinnung auf die Zeit der Friedlichen Revolution bewirken. Verse, Lieder und andere Texte sind größtenteils chronologisch geordnet. Fast alle Beiträge wurden bei den Demos oder zu besonderen Anlässen, wie z. B. beim Karneval und bei kirchlichen Veranstaltungen, vorgetragen. Auch wenn die Texte Bezug zu regionalen Ereignissen im Eichsfeld haben, dokumentieren sie doch (selbst bei den wenigen Ausnahmen der Verse in Eichsfelder Mundart) allgemein gültige Inhalte jener Zeit.

Mit der Anordnung der Beiträge soll auch ein bestimmter Entwicklungsprozess verdeutlicht werden. So wird mit der Erinnerung an den 13. August 1961 die völlige Resignation des Volkes im Osten zum Ausdruck gebracht. Der Glaube an eine Wiedervereinigung wird schweren Herzens aufgegeben. Dann geschieht das Unfassbare. Erst zaghaft mutig (1987), dann mit voller Kraft und Zuversicht im Herbst 1989. Am Ende steht die unbändige Freude und Hoffnung auf die gemeinsame Wohlfahrt des geeinten Volkes. Ganz bewusst, jedoch aus völlig neuer Sicht, verbindet die „Version einer neuen Hymne für ein vereintes Deutschland” das Vergangene mit dem Aktuellen zu einer Zukunftsvision. Dass der Weg zur inneren Einheit Deutschlands trotz aller Freude und Dankbarkeit ein schwieriger war und ist, bringen die Verse in „Dank und Bitte” zum Ausdruck. Es wird aber auch deutlich, dass nur der feste Glaube, eine unerschütterliche Hoffnung und die tätige Liebe als Garanten eines hehren Zieles stehen.

Unverkennbar sind allerdings auch die kleinbürgerlichen Seiten der Menschen und die ernüchternde Abkehr vom euphorischen Beginn. Denn als die Grenze geöffnet wurde, änderten sich bei vielen die Interessen schlagartig. Die Jagd nach dem Begrüßungsgeld und vielem bis dahin Entbehrten ließ manchen guten DDR-Bürger, der es gewohnt war, in der Schlange zu stehen, unverhofft zu einem Menschen mutieren, der seine ganze bisher verborgene Bauernschläue zur Anwendung brachte. Auch in der Begegnung mit ehemaligen Systemtreuen kann man Spannungen immer noch deutlich spüren. Dem Leser wird aber schnell klar, wo es sich um Satire, um heitere Begebenheiten oder um teilweise sehr ernst gemeinte Texte handelt. Gerade letztere sollen auch zu einer kritischen Betrachtung der politischen Situation in Deutschland nach dem Herbst 1989 hinführen. Unverkennbar aber bleibt das Ziel auf die innere Einheit Deutschlands gerichtet.

Mein Wunsch ist, dass jeder Leser der Verse zu der Erkenntnis gelangen möge, dass wir als Angehörige des einen deutschen Volkes aus der Geschichte lernen müssen, um so zu der Überzeugung zu gelangen, dass Deutschland mit zwei Diktaturen genug erleben musste. Darin liegt auch die Wahl des Buchtitels „Auf dem Weg nach Deutschland“ begründet.

Einen Satz möchte ich abschließend aufgreifen, den ich auf einer Demo einmal sagte, und der mir auch heute immer wieder Kraft gibt, die Probleme unserer Zeit zu bewältigen:

Wir wissen nicht, was uns die Wende7 persönlich alles bringt, ob wir selbst die Früchte unserer Revolution ernten können, aber für unsere Kinder und Enkel lohnt sich unser Einsatz allemal!

Heiligenstadt, im Oktober 1999

Ein Nachwort zum Vorwort

Es passiert immer wieder, dass ich beim Nachlesen dessen, was ich geschrieben habe, merke, dass etwas vergessen oder nicht genügend beachtet wurde. Nun könnte ich einfach herangehen und das, was ich z. B. in einem Vorwort noch einflechten möchte, nachholen. Ich will dies aber nicht tun, da das Vorwort im Wesentlichen bereits im Rahmen der Vorbereitungen einer Veranstaltung in Heiligenstadt, anlässlich des zehnten Jahrestages des Mauerfalls in Berlin, entstanden war. Es soll wie alle anderen Beiträge so erhalten bleiben, wie es geschrieben wurde. Bei dem, was ich noch bemerken möchte, handelt es sich nicht um neue Erkenntnisse, aber ich möchte das, was mich diesbezüglich noch bewegt, dem Leser mitteilen. Es sind zwei Gedanken.

Ein erster: Wenn ich von Spannungen bei Begegnungen mit ehemaligen Systemtreuen schreibe, so sind damit ganz persönliche Empfindungen auf Grund meiner Geschichte verbunden. Sicher teile ich diese mit vielen, die unter der SED-Diktatur auf ihre Art gelitten haben. Erst ganz allmählich lassen diese Spannungen nach, verblassen. Andere, neue Alltagsanforderungen rücken in den Vordergrund. Gerade die Herausforderungen unserer Zeit sind es, die mich dazu veranlassen, diesen Gedanken nachträglich zu Papier zu bringen.

Wenn es angesichts der Reformen in unserer Gesellschaft die Menschen wieder auf die Straßen zieht, so gibt es dafür verständliche Gründe. Die einen sind verunsichert, haben Sorge um ihre Zukunft. Die anderen trifft „Hartz IV“ unvermittelt hart. Wieder andere sehen ihre Sorge um soziale Gerechtigkeit und Sicherheit seit der Wiedervereinigung erneut entfacht, weil sie dem Kapitalismus schon immer skeptisch, um nicht zu sagen feindlich gegenüber standen.

Vor diesem Hintergrund darf bei nachträglichen Betrachtungen nicht außer Acht gelassen werden, dass ein nicht geringer Anteil der ehemaligen DDR-Bürger 1989 auf die Straßen ging, um ihre DDR, ihr Heimatland, ihren Sozialismus, für den sie sich Jahrzehnte eingesetzt hatten, zu reformieren und in jedem Fall zu erhalten. Die Staatsideologie, in der wir alle lebten, wurde für diese Menschen das, was für uns Eichsfelder mit Religion verbunden ist, nämlich Glaube und Überzeugung. Es bleibt umso mehr unser aller Aufgabe und Herausforderung, mit allen Menschen, die im geteilten Deutschland aufgewachsen sind und geprägt wurden, den Weg zu gehen, der uns im wiedervereinten Vaterland trotz aller Probleme innerlich so zusammenführt, dass unseren Nachkommen das erspart bleibt, was unsere Generation erleben musste, was uns untereinander entzweite.

Ein zweiter: Der Leser mag sich vielleicht über den etwas eigenartigen Buchtitel8 wundern. Daher erscheint es angebracht, diesen näher zu erklären.

Der Ausruf eines etwa 4-jährigen Mädchens aus der DDR beim erstmaligen Betreten eines Supermarktes im Westen hat mich nicht nur zu einem Vers angeregt. Der Ausruf: „Papa, ist das ein trooßer Intershop!” soll vielmehr die Gefühle und Aufgeregtheiten jener Tage, die für uns alle überwältigend waren, kurz und treffend wiedergeben. Man wird sich gut die großen Augen und das pochende Herzchen des kleinen Mädchens vorstellen können, das sicher schon einmal mit ihrem Vater in einem Intershop der DDR gewesen war und von dort tiefe Eindrücke mitgenommen hatte. Der Intershop stand für einen DDR-Bürger in gewisser Weise für den Westen. Es wird kaum jemanden gegeben haben, der nicht Verlangen nach dem Angebot des Intershops hatte. Leider standen Devisen (Westgeld) für die meisten DDR-Bürger überhaupt nicht oder nur in sehr bescheidenem Maße zur Verfügung. Daher war es nicht verwunderlich, dass mancher den besonderen Laden bei Gelegenheit nur besuchte, um die Luft, die sich sehr deutlich von der in den üblichen DDR-Läden unterschied, zu schnuppern oder seine Augen an der Farbenpracht und Vielfalt des Angebots zu weiden. Alles, was der Begriff Intershop bei ehemaligen DDR-Bürgern an Erinnerungen, Wünschen und Gefühlen auslösen mag, steht als Metapher für das Ereignis des neunten Novembers 1989, an dem die Mauer in Berlin fiel, und sicher auch für die Zeit danach. Wie zu erwarten, kommt prompt die Frage der Kleinen, ob der Vater mit ihr jetzt immer in den Intershop gehen würde (...deehn wir da setz immer hin?). Auch sie steht als Metapher für das Verlangen des Volkes der DDR nach Wiedervereinigung. Ich würde mir sehr wünschen, dass etwas von dem Staunen, der Freude und dem Verlangen jener Tage in uns wach bleiben möge, damit uns die Dankbarkeit über eine unblutige Wiedervereinigung ob unserer Alltagssorgen nicht verloren geht. Lassen Sie uns das kleine Mädchen, welches das „g“ noch nicht aussprechen konnte, dafür ein Bild sein. Vielleicht holt Sie auch der eine oder andere Vers oder Beitrag für einige Stunden zurück in die Zeit von damals.

Heiligenstadt, im August 2004

1   Am 24.03.1990 verkündete Bürgermeister Beck in der NDR-Sendung „Aktuelle Schaubude“ in Heiligenstadt die Rückbenennung der Karl-Marx-Straße in Wilhelmstraße.

2   Wir sprengen unsere Ketten - Die friedhche Revolutìon im Eichsfeld - Eine Dokumentation.

3   Umbenennung von SED in PDS am 04.02.1990, am 17.07.2005 in Die Linke. PDS und am 16.06.2007 durch Zusammenschluss von Die Linke. PDS und WASG zur DIE LINKE.

4   Am 05.12.2014 wurde Bodo Ramelow (DIE LINKE) zum Ministerpräsident in Thüringen gewählt.

5   Vgl. Adler: Wir sprengen unsere Ketten (1990); Faefferkerner (2007); Brückenköpfe (2009).

6   „Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben.“, zitiert in Leonhard (1990), S. 406.

7   Der Ausdruck Wende war geläufig. Er ist vom damaligen Vorsitzenden des Staatsrates der DDR, Egon Krenz, für die Reformierung des Sozialismus in der DDR geprägt worden. Somit steht er auf keinen Fall für das, was unter dem Begriff Friedliche Revolution verstanden wird.

8   Papa, ist das ein trooßer Intershop!

Jahrestage

 

Erinnerungen

Jahrestage sind Tage der Erinnerung. Sich zu erinnern, ist für uns Menschen wichtig. Erinnerungen können in uns Freude, Stolz und Dankbarkeit, aber auch Wehmut, Trauer, Verdruss und Enttäuschung hervorrufen. Es bleibt allerdings eine entscheidende Frage offen: Was nützen uns unsere Erinnerungen für unser künftiges Leben? Das heißt mit anderen Worten: Sind wir fähig, aus der Geschichte zu lernen?

Manchmal scheint uns das zu gelingen. In vielen Fällen jedoch verfallen wir immer wieder den alten Gewohnheiten. Unsere Stärken und Schwächen, unsere Anlagen und Prägungen sind wie Gewalten, die zu beherrschen uns kaum gelingt. Natürlich kommt es darauf an, ob wir uns wirklich erinnern wollen und wenn, wie tief die Erinnerungen in uns wach sind. Es ist daher nicht verzichtbar, uns Hilfen für das Erinnern zu schaffen. Eine solche Hilfe sind u. a. Jahrestage. So begehen wir in jedem Jahr unseren Geburtstag, obwohl wir uns an unsere eigene Geburt nicht erinnern können. Dennoch ist uns jeder Geburtstag von Bedeutung.

Anders ist es bei Jahres- oder auch Gedenktagen, die sich nicht nur auf unseren privaten Lebensbereich beziehen. Mit solchen aber ist unser Wissen darum vielfach mit dem eigenen bewussten Erleben verbunden. Das versetzt uns in die Lage, Erinnerungen zu wecken und Ereignisse vielleicht sogar nacherleben zu können. Auch wenn nicht definitiv ergründet werden kann, ob die Häufigkeit unserer Erinnerungen auf unser künftiges Verhalten nachhaltig positiv wirkt, müssen wir uns dennoch erinnern. Denn wir sind und bleiben lernfähig, auch in dem Wissen, dass wir in puncto Wirksamkeit mit erheblichen Verlusten rechnen müssen. Nur das Zitieren des Ausspruchs: „Die Geschichte lehrt uns!“ wird nicht den gewünschten Erfolg garantieren. Jeder von uns muss das Seine dazu tun.

Viele Reporterinnen und Reporter der lokalen Presse haben sich mit großem Elan für eine reale und ausführliche Berichterstattung über die politischen Ereignisse im Landkreis Eichsfeld engagiert. Das Eichsfelder Tageblatt hat 1994/95 und 1999/2000 jeweils mit einer Artikelserie von 55 bzw. 35 Berichten die Friedliche Revolution im Eichsfeld bei den Lesern in Erinnerung gebracht. Darum verdient gemacht haben sich besonders die Lokalreporter Ernst Beck9 und Jürgen Backhaus10. Ihre Arbeit (auch die der nicht genannten) möchte ich daher mit entsprechenden Kommentaren im Abschnitt „Öffentlicher Geschichtsunterricht“ würdigen.

An besonderen Jahrestagen wurden die Erinnerungen mit Versen geweckt, die bei den Gedenkveranstaltungen rezitiert wurden. Sie stehen gesondert und am Anfang der Dokumentation, weil sie die jeweils zeitgemäße Entwicklung nach der deutschen Wiedervereinigung aufgreifen. Somit spannen sie den Bogen vom Aufbruch 1989 bis zum 25. Jahrestag der Deutschen Einheit am 3. Oktober 2015.

Die Mauer ist weg!

Begegnung bei der Grenzöffnung zwischen Witzenhausen (Hessen) und Hohengandern (Eichsfeld - Thüringen) am 11. November 1989.

Fünf Jahre nach dem Fall der Mauer

Die Grenze ist gefallen11

Die Grenze ist gefallen,

die Deutschland zweigeteilt.

Es liegt nun an uns allen,

dass diese Wunde heilt.

Die Wunde, die dem Volk geschlagen,

die Wunde, die das Volk erlitten,

die Wunde, die das Volk ertragen,

die Wunde, die es fast zerstritten.

Vierzig Jahre Diktatur

und Knechtschaft! Sieg der Massen?

Überall sieht man die Spur,

die das Regime hat hinterlassen.

Was sichtbar unser Volk getrennt,

das ist nun überwunden.

Was innerlich uns dennoch trennt,

wird lange uns noch schunden.

Werden gegenseitig noch vergeben

die OSSI- und die WESSI-Titel,

so muss man sicher damit leben,

doch sind es nicht die rechten Mittel.

Sie bringen uns nicht näher,

sie stempeln einfach ab

und bewirken, was von jeher

wir lehnten gleichsam ab.

Lasst uns darum in Freiheit so begegnen,

dass wir uns in Einheit näherkommen.

Lasst uns die Gräben zu Wegen ebnen,

den Geist nicht löschen, mit dem es begonnen!

Die Grenze ist gefallen,

die Deutschland zweigeteilt.

Es liegt nun an uns allen,

dass diese Wunde heilt.

Zehn Jahre nach dem Fall der Mauer

Ein Resümee12

Unvergessen der Tag,

der neunte November 1989,

an dem die Mauer fiel.

Ein Tag, an dem die Freiheit mit jedem Atemzug

Leib und Seele erfüllte.

Ein Tag, an dem des Volkes Euphorie

ihr höchstes Maß erreichte.

Ein Tag der Kapitulation der kalten Krieger.

Zehn Jahre sind vergangen,

zehn Jahre ohne Sperrgebiet und ohne Mauer.

Zehn Jahre Freiheit, zehn Jahre Einheit,

vom Volke allzu sehr erwartet.

Zehn Jahre ohne Planwirtschaft,

zehn Jahre ohne Diktatur.

Zehn Jahre Deutschland,

im Haus Europa nun vereint.

Zehn Jahre später sind leer die Straßen,

die einst als Podium gedient.

Zehn Jahre später sind leer die Kirchen,

in denen Tausende gekniet.

Zehn Jahre später ist es still geworden

um jene, die das Licht entfacht.

Zehn Jahre nach dem Fall der Mauer

ist die Grenze wieder grün bewachsen.