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Camille ist Mutter zweier Teenager und Ehefrau. Wobei Letzteres eher fraglich ist. Stefan verletzte sie sehr, sodass sie nur noch Abstand sucht. Die Zeit heilt alle Wunden, sagt man. So auch bei Cam. Nach einer Weile der Verarbeitung möchte sie einen Neuanfang. Sie muss ihr Leben neu aufbauen, sowohl privat als auch beruflich. Doch wo liegt Cams Zukunft? Kann sie Stefan verzeihen oder lernt sie einen anderen Mann kennen, der ihr den Kopf verdreht? Alle Romane dieser Serie sind in sich abgeschlossen. 1. Bauprojekt: Liebe 2. Zerreißprobe: Liebe 3. UnverwechselBar: Liebe 4. Boxenstopp: Liebe 5. Neuanfang: Liebe
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Veröffentlichungsjahr: 2021
Erinnerungen
Wiedersehen
Grenzen
Limits
Missverständnisse
Parkbesuch
Alte Liebe rastet
Einfluss von anderen
Neue Liebe klemmt
Neue Gefühle
Etwas Besonderes
Gedanken und gebrochene Herzen
Chaos
Fehlinterpretation
Freunde und Wahrheiten
Date
Gier
Guter Wille
Copyright: © 2017 Paula Herzbluth
Coverfoto:
Gestaltung: © NaWillArt-CoverDesign
Motive: depositphotos.com - © alenalihacheva
depositphotos.com - © rukanoga
Korrektorat: Schreib- und Korrekturservice Heinen
Lektorat: B. Kasten
2. Auflage
Paula Herzbluth
c/o Sebastian Münch
Rechtsanwalt / Steuerberater
Gartenstraße 44
40479 Düsseldorf
Alle Rechte vorbehalten. Ein Nachdruck oder eine andere Verwertung ist nachdrücklich nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin gestattet. Sämtliche Personen in diesem Text sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig.
Leid prägt uns.
Schmerz formt uns.
Hoffnung stärkt uns.
Liebe ergänzt uns.
♀
Wieder einmal wache ich schweißnass auf. Meine Haare kleben mir im Gesicht, das feucht von Schweiß und Tränen ist. Auch im Traum kann ich es nicht vergessen. Selbst wenn ich versucht habe, mich am Vortag abzulenken, indem ich meinen Körper bis zur Besinnungslosigkeit geschunden habe. Jede Möglichkeit ist mir dabei recht. Die Wohnung wieder einmal putzen oder die Kleiderschränke ein weiteres Mal ausmisten. Sogar Sport kam schon als Alternative zum Vorschein. Keine Tätigkeit erschöpft meinen Geist so sehr, dass ich die Bilder vergessen könnte. Trotzdem sind die Nächte nicht ansatzweise erholsam. Es ist schon so weit, dass ich mich fürchte, ins Bett zu gehen. Die Angst, dass ich es wieder sehen könnte. Ihn sehe. Meinen Mann. Stefan. Stefan, wie er eine andere Frau küsst. Stefan, der von unserer Küchenhilfe zu einem Kuss hinabgezogen wird. Stefan, der mich entsetzt anschaut, als er bemerkt, dass ich sie anstarre. Und dann die Leere. Das Ausbleiben jeglicher Reaktionen. Er hat sich noch nicht einmal die Mühe gemacht, mir nachzulaufen. Ist in dieser Nacht nicht einmal nach Hause gekommen. Der Mann, der mir mein Herz gebrochen hat, hat mich alleine gelassen, als meine Welt zusammenbrach.
So stehe ich nicht das erste Mal in dieser Woche noch vor Sonnenaufgang in der Küche und ziehe mir meinen ersten Kaffee. Eigentlich habe ich diese braune Brühe nie gemocht. Ich habe immer Tee bevorzugt, doch der Schlafentzug muss kompensiert werden. Grüner Tee und schwarzer Kaffee sind nun meine täglichen Begleiter. Halten mich wach, wo ich doch so gerne schlafen würde. Aber erholsam. Nicht von den Bildern gehetzt und verfolgt.
Mit der dampfenden Tasse trete ich auf den Balkon und setze mich in die noch kühle Luft. Ich ziehe die Beine auf den Stuhl, umschließe mit beiden Händen die Tasse und schaue in den Hinterhof unserer Wohnung. Kein schöner Ausblick, aber besser, als nur drinnen zu hocken. An manchen Tagen, wenn ich hier sitze, habe ich das Gefühl, dass meine Gedanken durch die kühle Morgenluft geklärt werden und ich gehe gestärkter in den Tag.
Ich hatte Glück, dass ich so schnell einen Job gefunden habe. Wie lange bin ich jetzt raus? Fünf Jahre? Länger? Und dass mein alter Chef ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt eine Stelle besetzen musste, ist wohl Fügung. Er kennt mein Potenzial. Weiß, wie ich vor der Verwirklichung von Stefans Traum gearbeitet habe. Damals war ich schon nicht mehr vollzeitbeschäftigt, da die Kinder ja schon auf der Welt waren. Aber er scheint mich und meine Arbeit in guten Erinnerungen zu haben, wenn er mich wieder eingestellt hat. Wir haben uns auf fünfunddreißig Stunden einigen können. Etwas mehr, als er brauchte und etwas weniger, als ich gesucht habe. Aber ein Geschenk des Himmels sollte man nicht ausschlagen. Ihm muss ich mich nicht beweisen. Natürlich brauche ich noch Zeit, um mich wieder einzuarbeiten, aber auch das akzeptiert er einfach. Vielleicht liegt es an der Generation meines Chefs. Vielleicht liegt es auch an ihm selbst. Aber so viel Rücksichtnahme hätte ich nicht erwartet. Und ich bin unendlich dankbar dafür. Irgendwann werde ich mich sicherlich bei ihm revanchieren können.
Mit meiner damaligen Kündigung in meinem heutigen Büro habe ich einfach alles aufgegeben. Habe mich Stefans Traum gestellt. Ihm bei der Verwirklichung seiner Wünsche geholfen. Ja, ich habe mich schon fast selbst aufgegeben, damit wir sein Restaurant eröffnen konnten. Es ist nicht gerade so, dass er mich dazu gezwungen hat. Aber ich wollte ihn immer unterstützen. Er ist begnadet. Er ist der Koch, der jeden Gaumen verzaubern kann. Er konnte es schon immer. Doch als selbstständiger Küchenmeister ist es noch einmal etwas anderes. Plötzlich bist du nicht nur für die Küche zuständig. Es ist dein Restaurant. Dein Geld. Dein Leben. Na ja, eigentlich immer unser Restaurant, unser Geld und unser Leben. Zumindest war es so.
Vor dem Tag X. Vor dem Kuss. Vor dem Kuss, den ich gesehen habe. Wer weiß schon, was da noch alles geschehen ist?
Die Kinder leiden. Auch jetzt noch. Zwei Monate nach der Trennung. Ich versuche, jeden Tag für sie da zu sein. Versuche, ihnen Halt zu geben. Wir sind dafür verantwortlich, dass ihr Weltbild ins Wanken geraten ist. Haben zerstört, was ihnen immer eine Stütze war. Haben uns getrennt, obwohl eine Familie doch für Kinder alles ist. Haben ihnen die Gewohnheit genommen und auch sie müssen sich jetzt mit der neuen Situation arrangieren.
Johannes, der Große, verschließt sich. Jasmin dagegen wird aufmüpfig. Ich habe Angst, dass sie mir entgleiten. Dass sie mich nicht mehr Teil ihres Lebens sein lassen. Aber sie sind schon groß. Denken selbst, sie sind schon erwachsen. Wie man eben noch mit süßen fünfzehn Jahren so ist. Die Welt liegt einem zu Füßen und man erlebt das erste Mal das andere Geschlecht. Auch wenn ich nicht darüber nachdenken möchte, dass meine Kinder vielleicht schon Sex haben, aber wegzudenken ist es auch nicht. So ist das Leben. Sie werden ja auch erwachsen, nur nicht so schnell, wie sie vielleicht denken.
Heute werde ich noch einmal mit Stefan reden müssen. Eine Trennung geht nicht mehr so schnell, wenn man Familie hat. Wenn man ein gemeinsames Leben zusammen aufgebaut hat. Alles muss geklärt, jeder Gegenstand aufgeteilt werden. Über Besuchszeiten müssen wir ja Gott sei Dank nicht verhandeln. Die Kids sind alt genug. Sie sagen, was sie wollen.
Erschöpft schaue ich noch einmal gen Himmel, atme tief die klärende Luft in meine Lungen, bevor ich mich erhebe und ins Innere der Wohnung zurückkehre. In der Küche ziehe ich mir einen weiteren Kaffee, bevor ich nach meinem Handy greife und ihm schreibe. Ich frage, wann er Zeit hat, damit wir uns treffen können. Kläre ihn nicht auf, was ich genau besprechen muss. Weiß auch gar nicht, ob es so dringend ist, dass ich es nicht am Telefon klären könnte. Wahrscheinlich geißle ich mich einfach selbst. Aber ich liebe diesen Mann. Immer noch. Darum tobt in mir auch eine Sehnsucht. Wie sollte es auch anders sein? Wir waren fast achtzehn Jahre zusammen. Ich dachte, dass wir glücklich waren. Leider musste ich einsehen, dass ich mich getäuscht habe. Wir waren nicht glücklich, waren im Alltag gefangen. Die Leidenschaft war verschwunden und wir haben unserer Beziehung nicht mehr die Aufmerksamkeit geschenkt, die sie verdient hat.
Ich weiß nicht, ob ich Stefan jemals als selbstverständlich hingenommen habe. Aber er war da. Immer. Er war mein Fels in der Brandung. Er hat mich gestützt, wenn ich schwankte. Er hat mich gehalten, wenn ich weinte. Er ist für mich eingestanden, wenn ich es selbst nicht konnte. Er hat meine Welt zerstört, in der ich immer sicher war. Er hat mich betrogen, als ich noch dachte, dass er mich liebt. Er hat uns verraten.
Natürlich weiß ich, dass auch ich Schuld daran habe. So sagt man es doch, oder? Aber wie soll ich begreifen, dass er eine andere Frau geküsst hat? Der Grund erschließt sich mir nicht. Auch nach der Trennung nicht. Wahrscheinlich liegt es daran, dass ich niemals fremdküssen könnte. Auch mit bestem Willen kann ich mir nicht vorstellen, dass ich jemanden hintergehen würde, den ich liebe.
Ich schnaube bei meinen Gedanken, weil ich nicht mehr daran glauben kann, dass er mich noch liebt. Wie auch?
Mein Handy klingelt auf der Arbeitsplatte und ich verschlucke mich fast, als ich Stefans Namen lese. Mit zittrigen Fingern nehme ich den Anruf entgegen.
»Guten Morgen«, hauche ich und verfluche mich gleichzeitig für meine schwache Stimme.
»Hey. Du hast geschrieben.«
Seine Worte schmerzen mich. Keine Frage nach meinem Befinden. Kein Nachhorchen, wie es den Kids geht. »Ja, hast du heute Zeit?«
»Ja, klar. Ich nehme mir die Zeit.«
Kopfschüttelnd nehme ich seine Worte hin. Wie unglaublich gönnerhaft von ihm. Wahrscheinlich sollte ich jetzt auch noch dankbar sein.
»An welche Zeit hast du denn gedacht? Und wo sollen wir uns treffen?«
»Vielleicht heute Mittag?«
»Zum Essen?«
Was? »Ich dachte eher an einen Kaffee.«
»Gibt es denn einen bestimmten Grund?«
»Ich habe noch Sachen von dir gefunden, die ich dir gerne geben würde.«
»Oh. Ähm. Ja, klar.«
Plötzlich höre ich im Hintergrund eine weibliche Stimme. In meinem Inneren zieht sich alles zusammen und ich habe das Gefühl, dass mir der Boden unter den Füßen auf ein Neues weggezogen wird.
»Oh, ja klar. Danke, dass du da warst. Bis Montag dann.« Einen Moment herrscht eine unangenehme Stille in der Leitung, bevor Stefan erneut das Wort an mich richtet. »Entschuldige. Wo waren wir gerade?«
Ernsthaft? »Wir wollten klären, wann ich dir deine letzten Sachen geben kann«, fauche ich, obwohl ich mich bemühe, ruhig zu bleiben.
»Cam, was ist denn los?«
»Lass gut sein. Also: wann?«
»Mir ist es reichlich egal. Du weißt, dass ich um vierzehn Uhr wieder im Restaurant sein muss.«
»Dann gegen halb zwei?«, frage ich zuckersüß.
Er seufzt. »Klar. Wo soll ich hinkommen?«
»Sollen wir uns in dem kleinen Café treffen?«, frage ich und könnte mich gleichzeitig in den Hintern treten, dass ich es für ihn wieder so komfortabel wie möglich mache. Das Café liegt zwischen dem Restaurant und Franks Haus. Franks Haus, weil er dort eingezogen ist. Lea versichert mir, dass es nur daran liegt, dass es einfacher für ihn war. Aber im Inneren wusste ich schon die ganze Zeit, dass er dort mit Frank zusammen sein neu gewonnenes Singleleben auslebt. Wie sollte es auch anders sein, wenn er mit Frank gemeinsam unter einer Decke wohnt?
»Dann sehen wir uns da?«
»Bis später«, sage ich ein letztes Mal, bevor ich die Verbindung unterbreche. Der Schmerz und das Gefühl, dass er mich wieder einmal hintergangen hat, verletzen mich. Und die Tränen laufen meine Wangen hinab. Eine Hand drücke ich eilig vor meinen Mund, damit mein Schluchzen nicht ganz so laut durch die Wohnung hallt.
♂
»Ich freue mich auf dich«, raune ich noch ins Handy, obwohl das Telefonat bereits unterbrochen ist.
Ich weiß, ich bin armselig. Aber ich liebe diese Frau. Meine Frau.
Allerdings ich habe unsere Ehe zerstört. Habe eine andere Frau geküsst. Habe nicht interveniert, als sie ihre Arme um meinen Nacken gelegt hat und sich an mich geschmiegt hat. Habe einen Moment nachgegeben, als sie ihre Lippen auf meine legte. Vielleicht war es Überraschung, vielleicht auch Sehnsucht nach Zärtlichkeit. Aber egal, welchen Grund es auch hatte, die Tatsache, dass es passieren konnte, ist unentschuldbar.
Svea, meine Küchenhilfe und die Frau, die mich geküsst hat, habe ich daraufhin entlassen. Schwierige Zeit. Und so stand ich vor zwei Monaten vor einem ganzen Haufen Scherben. Haufen? Wohl eher Berg. Denn so war meine Ehe mit einem unbedeutenden Kuss ruiniert. Meine Frau kommt nicht mehr ins Restaurant, um mich zu unterstützen, und meine Küchenhilfe musste ich rausschmeißen, weil sie sich einfach mehr erhofft hatte. Und die Kids haben wir mit einer Situation konfrontiert, die sie nur schwer verkraften.
Ich sehe ein, dass ich einen Fehler gemacht habe. Einen scheißgroßen Fehler. Jedoch bin ich gewillt, diesen Irrtum wieder geradezubiegen. Ich weiß, dass es hart wird, und ich bin noch nicht einmal sicher, ob es irgendeine Chance für mich gibt. Aber ich liebe nur diese eine Frau. Die Mutter meiner Kinder. Meine Frau.
Viele Nächte lag ich schon wach und habe mir Gedanken dazu gemacht, wie ich sie wieder von mir und meiner Liebe überzeugen kann. Wie viel Zeit braucht man, um einen Fehler zu verzeihen? Wie lange braucht Cam, um mir wieder Vertrauen schenken zu können? Schaffe ich es jemals wieder, sie zu überzeugen? Daran möchte ich allerdings noch nicht einmal denken, denn wenn ich schon an meinem Ziel zweifle, dann hat alles andere keinen Sinn mehr.
Cam war immer mein Mittelpunkt. Sie war alles. Mein Leben.
Umso schlimmer wiegt mein Fehler, den ich begangen habe. Einen Moment habe ich mich begehrt gefühlt, habe mich wieder männlich gefühlt. Für ... Ja, für was genau? Für den Schmerz, den ich allen Personen zugefügt habe, die ich liebe? Für einen Wimpernschlag an Glückseligkeit? Wenn es das überhaupt war. Es war nur dieser Augenblick. Selbst im Nachhinein und mit Abstand verstehe ich mich selbst nicht. Ich begreife nicht, warum ich Svea nicht einfach weggestoßen habe. Aber gut. Ich habe es in diesem Moment nicht gemacht und diesen Fehler kann ich nicht mehr ändern.
Als Frank mich eine Woche später eingeladen hat, in seinem Haus das Gästezimmer zu beziehen, habe ich die Chance ergriffen und bin zu ihm gezogen.
Allerdings ist er Junggeselle durch und durch. Abends zieht er um die Häuser und er schleppt immer wieder Frauen ab, schmeißt Partys und ist das Chaos in Person. So geregelt und geordnet er vielleicht in seinem Beruf ist, umso unordentlicher ist er in seinem Privatleben. Es beginnt bereits beim Frühstück. Er lässt einfach alles stehen und lässt andere hinter sich herräumen. Ja gut, Valentina ist wirklich ein Schatz. So wie heute früh. Sie stellt keine Fragen. Kommt, wenn wir sie darum bitten. Sie braucht das Geld. Aber das ist doch noch lange kein Grund, dass man alles stehen lassen muss. Man kann doch das Geschirr selbst in die Spülmaschine räumen. Wie lange dauert das schon?
Ich sehe ein, dass das Chaos, das gestern Abend auf der Party hier entstanden ist, schon riesig war. Dennoch hätte ich es beseitigt. Hätte einen Grund gefunden, mich abzulenken. Aber so stehe ich nun mit dem Handy in der Hand im Erdgeschoss und das Haus ist wieder aufgeräumt.
Seufzend trete ich in die Küche und beginne einen Teig für frische Brötchen anzusetzen. Backen konnte ich nie gut. Das hat immer Cam übernommen. Dieses Talent hat ihr auch den Kosenamen verliehen. Törtchen. Sie war immer mein Törtchen. War!
Mit einem traurigen Gefühl in der Brust decke ich den Teig ab und stelle ihn zur Seite, damit er ruhen kann.
Danach greife ich in den Kühlschrank und suche alles für Rührei mit Speck raus. Lege einfach alles auf die Arbeitsplatte, was schmackhaft für ein herzhaftes Frühstück aussieht. Frank wird hungrig sein. Nach so einer Party muss der Salzgehalt im Körper wieder aufgebaut werden. Dazu ein Drink aus frischem Obst und Gemüse und er kann heute noch Bäume ausreißen. Wahrscheinlich hat er noch nicht einmal den Ansatz eines Katers. Er ist immer fit und gut drauf. Schwierig, wenn man selbst in einem Loch hängt. Vielleicht hat es mir jedoch auch geholfen, dass ich wieder aufgestanden bin. Keine zwei Tage nach meinem Einzug in sein Haus waren vergangen, als er sich um eine neue Küchenhilfe und eine neue Hilfskraft für den Tresen gekümmert hat. Es wirkt jetzt so, als ob ich dazu nicht fähig wäre. Ich denke, dass es an dieser Situation lag. Alles war zu viel. Und Frank war Freund genug und hat mir geholfen. Wieder einmal. Obwohl, wenn ich genau darüber nachdenke, waren wir noch nie so gut befreundet wie jetzt. Niemals hatten wir so eine Beziehung wie jetzt. Aber er war einfach da. Hat nicht infrage gestellt, dass wir verschieden sind. Ich war immer in einer Beziehung mit Cam und er immer Junggeselle. Darum haben wir auch nie wirklich einen Draht zueinander gefunden. Philip war immer unser Bindeglied – okay, ich sehe ein, dass das bei einer Männerfreundschaft die falsche Formulierung ist –, dennoch hat er uns zusammengehalten. Durch ihn konnte unser Kontakt nie abbrechen. Wir waren zwar immer anderer Meinung, hatten immer konträre Ansichten, jedoch haben wir darüber diskutiert. Und nun ist er der Freund, der mich aufgefangen hat. Philip ist auch da. Nur nicht so anwesend. Er hat jetzt mit seiner Familie genug um die Ohren. Und das ist gut so. Die kleine Josephine stellt sein Leben gerade auf den Kopf. Obwohl er es sich nicht hat nehmen lassen, mir den Kopf zu waschen und mich verständnislos anzuschauen, als er von meinem Handeln erfahren hat. Er ist ins Restaurant gestürmt, als wäre der Teufel höchstpersönlich hinter ihm her. Ja gut, er wusste nicht, was genau passiert war, aber er wusste, dass etwas passiert war. Das war eine Woche nach meinem Auszug. Also der Auszug, bei dem ich nur eilig einige Klamotten in eine Tasche geworfen habe. Der Auszug, der in Minuten vonstattenging und alles geändert hat.
Als ich Philip dann alles erzählte, hat er mich mit einem entsetzten Blick angeschaut und gefragt, wie es dazu kommen konnte. Ich konnte nichts sagen. Da ich die Antwort bis heute nicht kenne. Ich weiß nicht, was in mich gefahren war. Als er dann fragte, ob ich Cam nicht mehr lieben würde, konnte ich nicht antworten. Meine Stimme wäre gebrochen und meine Emotionen, die ich nur zuließ, sobald ich allein war, wären aus mir herausgebrochen.
Irgendwann klopfte er mir auf die Schulter und sagte, dass ich nicht aufgeben solle. Und dass ich keine Dummheiten machen solle, weil ich auch noch zwei wundervolle Kinder hätte, an die ich denken müsse. Wie könnte ich das vergessen? Es sind die Kinder, die mich aus tränennassen Augen angeschaut haben und nicht verstanden, wie ich ausziehen konnte. Sie haben Cam Vorwürfe gemacht. Haben sie gefragt, was sie falsch gemacht habe. Und sie? Sie war einmal mehr die Löwenmutter, die sie schon immer war. Sie hat nichts abgestritten. Hat nicht richtiggestellt, dass ich alles verbockt habe. Auch als ich einschreiten wollte, ist sie dazwischengegangen. In einem späteren, schmerzenden Telefonat hat sie mich aufgeklärt. Sie wolle nicht, dass die Kids an mir zweifeln. Sie hätten jetzt schon genug mit dem Auszug zu kämpfen. Wer an der Situation schuld habe, sei zweitrangig.
Ich liebe diese Art an ihr. Dass sie unsere Kids beschützt, egal, wie sie selbst auch leidet. So ist sie. Alles geht immer zum Wohl der anderen. Niemals denkt sie an sich. Man muss sie immer dazu drängen, dass auch sie einen freien Abend verdient hat. Dass auch sie ein Leben hat.
Aber das Recht, sie zu beschützen, habe ich verspielt, als ich sie verletzt habe. Ich habe das gemacht, was ich niemals wiedergutmachen kann. Man konnte es in ihren Augen lesen, als sie im Türrahmen der Küche stand und mich damit aus dem Kuss gerissen hat, den ich niemals hätte erwidern dürfen. Ihre Augen zeigten den Schmerz, als ihr Herz bei unserem Anblick brach. Sie sagte nichts. Sie schaute mich nur an, legte dann ganz langsam die Hand vor den Mund. Erst dann hat sie sich wie in Zeitlupe abgewendet und die Küche verlassen. Sie ist an diesem Abend nach Hause gefahren und ich habe mich nicht getraut, ihr zu folgen. Hatte nicht den Mumm, mich der Wahrheit zu stellen. Die Wahrheit, die mich so verletzt hat und mich die ganze Nacht verfolgte, als ich im Hinterzimmer des Restaurants auf der Pritsche lag. Natürlich wäre es einfacher gewesen, mich mit Alkohol zu betäuben. Natürlich hätte ich dann schlafen können. Aber ich habe es nicht verdient. Habe mich gegeißelt mit ihrem Anblick, den sie geboten hat, als sie erschüttert im Türrahmen stand.
Wie oft wollte ich jetzt schon mit ihr reden? Zu Beginn hatte ich eben nur Schiss, konnte nicht zu meinem Fehler stehen. Auch damit geißle ich mich. Wenn man einen Irrtum begeht, sollte man doch wenigstens Mann genug sein und die Konsequenzen dafür tragen. Aber ich schaffte es nicht, konnte mich nicht überwinden. Ja und später kam immer wieder etwas dazwischen. Jedes Mal fand ich Ausreden, um Cam nicht die Wahrheit sagen zu müssen. Nicht wieder in ihr verweintes Gesicht schauen zu müssen und zu wissen, dass ich dafür verantwortlich bin. Diese Ausflüchte – auch das musste ich einsehen – dürfen nicht mehr diese Gewichtung haben. Ist Cam und unsere Ehe es denn gar nicht wert, dass ich meinen Stolz zurückstelle und zu meinen Taten stehe?
Immer wieder frage ich mich, was Svea genau dazu veranlasst hat, mich in diesem Moment zu küssen. Da ich noch einiges für Philips und Leas Party vorbereiten wollte, hatte Cam sich schon verabschiedet, um schon einmal nach Hause zu fahren. Svea hatte sich bereit erklärt, mir zu helfen. Sie ist jung und sieht gut aus, doch ist gleichzeitig nicht die Gescheiteste. Aber sie hat mir geschmeichelt. Nicht nur an diesem Abend. Bereits seit ihrer Einstellung hat sie mich angelächelt und mir Komplimente gemacht. Welcher Mann hört nicht gerne positive Dinge über sich? Und das noch von einer jungen und hübschen Frau. Aber selbst das entschuldigt nicht das Ausbleiben jeglicher Reaktion, als sie ihren sportlichen Körper an mich drückte und ihre vollen Brüste an mir rieb. Verwunderung und ein neu gewonnenes Ego hin oder her. Ich hätte es unterbinden müssen, hätte sie darauf hinweisen müssen, dass ich kein Interesse an ihr habe. Dass meine Liebe einzig und allein bei Cam liegt. Doch ich habe mich verloren. Einen Augenblick habe ich vergessen, dass ich Frau und Kinder habe. Habe mich nur noch begehrt gefühlt. Von einer jungen und schönen Frau, die bereit war, ihren Körper gegen meinen zu drücken und mich in einen anderen Moment zu katapultieren.
Doch nun stehe ich hier. In einer fremden Küche und mache Frühstück für einen Mann. Nicht für meine Frau und auch nicht für meine Kids.
♀
Ich bin aufgeregt. Bin so nervös, dass meine Handflächen feucht sind und ich ein nervöses Flattern in meinem Bauch spüre. Ich stehe schon eine Weile im Badezimmer und betrachte das blasse Spiegelbild. Die geschwollenen Augen fallen mir schon gar nicht mehr wirklich auf. Zumindest sonst nicht. Denn heute möchte ich schön aussehen. Möchte Stefan gleich zeigen, was er alles verpasst. Jedoch wird die Kunst darin bestehen, ihm das zu zeigen, ohne dass es ihm wirklich bewusst ist. Wäre ja doof, wenn ich einen Pfeil über mir hätte, der blinkend darauf hinweist, dass er all das verpasst. Vom Gefühl her sind Schminke und das blaue Shirt, das er immer an mir geliebt hat, bereits zu viel. Wahrscheinlich muss ich unauffälliger vorgehen. Aber was soll es auch schon bringen? Nach der weiblichen Stimme im Hintergrund des Telefonats zu urteilen, war sie ja schon da. Oder immer noch? Montag kommt sie wieder ... Ich bin so etwas von am Arsch. Wie kann ich auch nur mit dem Gedanken spielen, dass der Mann mich noch lieben könnte, wenn er jetzt gerade quer durch die Betten vögelt? Und ich bin immer noch das brave Hausmütterchen, mit dem man es machen kann, was? Vielleicht sollte ich mich mal wieder richtig aufbrezeln. Sollte mir beweisen, dass ich immer noch einen Mann abbekommen kann. Auch wenn ich noch nicht einmal in der Lage bin, meinen eigenen zu halten. Könnte ich das? Könnte ich wirklich einen Mann abschleppen? Na ja, was heißt denn schon abschleppen? Es würde ja reichen, wenn ich mich auch mal wieder begehrt fühlen würde. Und wenn ein schöner Abend dabei herausspringt, dann wäre es doch auch okay. Und außerdem würde ich ja niemanden betrügen. Ich bin Single. Somit kann ich tun und lassen, was ich möchte.
Okay, ich sollte erst einmal klein anfangen. Zuerst sollte ich zu diesem Treffen gehen, Stefan die letzten Sachen in die Hände drücken und das Weite suchen. Warum habe ich ein Café genannt? Warum habe ich nicht gesagt, dass der Karton draußen neben den Mülltonnen stehe und wenn er den Inhalt noch haben wolle, solle er sich beeilen. Warum? Warum? Warum? Na, weil ich ein Hornochse bin. Darum. Sein Glück liegt mir auch nach all dem immer noch am Herzen.
Und in diesem Karton liegen noch seine Bücher. Seine ersten Kochbücher, von denen er sich immer noch nicht trennen kann. Den sentimentalen Wert dieser gedruckten Werke kann ich nicht einfach zum Abfall stellen. Obwohl er ja auch unsere Ehe praktisch auf den Müll geworfen hat. Und daran hatte ich auch eine emotionale Bindung. Wahrscheinlich habe ich das auch immer noch. Nur, dass die Gefühle bald endlich versiegen.
Gerade tusche ich meine Wimpern. Nur oben. Falls ich in Tränen ausbreche, möchte ich nicht wie ein Waschbär bei der Paarung aussehen. Vermutlich sollte ich mir langsam mal wasserfeste Wimperntusche zulegen. Aber vielleicht sollte das einfach Anregung genug sein, dass ich endlich aufhöre zu flennen.
Bei diesem Gedanken sammeln sich natürlich Tränen in meinen Augen. Je mehr ich mich im Spiegel betrachte, desto größer wird der Kloß hinten in meinem Hals. Das Atmen fällt mir schwerer. Okay. Hatte ich gerade nicht noch einen Vorsatz? Wollte ich nicht schon lange damit aufgehört haben? Also ziehe ich meine Mundwinkel hoch, erst verkniffen, doch als ich sehe, wie bescheuert ich dabei aussehe, muss ich wirklich lachen. Und ich lache, lache und kann mich kaum noch beruhigen.
Dann habe ich eine Idee.
Ich wickle das Badehandtuch um meinen Körper, trete aus dem Badezimmer und klopfe bei Jasi an die Tür. »Schatz, bist du da?«
»Was ist denn, Mama?«
Ich öffne die Tür und lächle sie zaghaft an. »Hast du wasserfeste Wimperntusche?«
Meine Tochter schaut mich einen Augenblick lang sprachlos an, bevor sie wie von der Tarantel gestochen aufspringt und in ihrer Tasche kramt. Über die Schulter hinweg fragt sie: »Gehst du aus?«
»Hm.«
»Echt?«, fragt sie überrascht.
»Na, hör mal. Was denkst du denn von mir ...«
Sie schaut peinlich berührt in ihren Beutel und in diesem Moment erinnert sie mich an die kleine Jasi von früher. An die schüchterne Maus, die sie einmal war. Damals war einfach alles anders. Stefan und ich waren glücklich. Haben uns geliebt ...
»Denkst du, dass ich zu alt bin, um auszugehen?«, hake ich belustigt nach.
»Mama, ehrlich. Wie alt bist du denn? Bestimmt schon über vierzig.«
Meine Augen weiten sich. »Aber hör mal. So alt bin ich nicht, aber selbst vierzig ist noch nicht alt.«
Sie schnaubt, reicht mir Wimperntusche und zwinkert mir überraschenderweise zu. »Es ist schön, dich mal wieder lachen zu sehen.«
»Danke.«
Aus einem Impuls heraus, trete ich auf sie zu, schlinge die Arme um sie und drücke ihr einen Kuss auf die Wange. Im ersten Moment schmiegt sie sich an mich, bevor ihr pubertierender Kopf ihr sagt, dass das ziemlich uncool ist. »Mama ...«, sagt sie gedehnt gequält. Aber die Sekunden davor reichen für mich aus. Zeigen mir, dass sie noch bei mir ist. Ich sie auch durch die Trennung nicht verloren habe. Sie ist immer noch mein Mädchen.
»Ich liebe dich.« Ein zaghaftes Lächeln, das mir schon fast wieder die Tränen in die Augen treibt. »Auch wenn dein Vater und ich uns getrennt haben, wir lieben euch immer. Werden euch immer lieben. Daran wird sich nichts ändern.«
»Mama, ich bin kein Baby. Ich weiß das.«
»Dann ist gut«, sage ich lächelnd und streichle ihr noch einmal über die Wange.
Mit der geliehenen Wimperntusche in der Hand trete ich wieder zurück ins Badezimmer und schminke mich. Lächelnd. Ein Fortschritt. Nachdem ich das gemacht habe, föhne ich meine Haare und ziehe Jeans und Shirt an. Nicht atemberaubend, nicht berauschend, aber ich fühle mich wohl. Und das ist vielleicht mehr wert, als wenn ich ihm meine Brüste ins Gesicht springen lassen würde. Obwohl ... Meine Brüste hat er immer geliebt.
Ruckartig wende ich den Gedanken ab. Die Tusche sollte nicht überstrapaziert werden und schon zu Hause ihren ersten Test absolvieren müssen. Es reicht, sie als Notfall-Back-up aufgetragen zu haben.
Als ich angezogen und auf dem Sprung in das Café bin, klopfe ich noch einmal bei Jasi.
Sie hebt den Blick von ihrem Schreibtisch und lässt diesen anerkennend an mir hinabgleiten. »Du siehst wirklich gut aus, Mama. Jeans stehen dir viel besser als die blöde Jogginghose.«
Überrascht lache ich auf. »Na, das nenne ich ja mal ein nettes Kompliment. Ich wollte dir nur die Tusche wiedergeben und sagen, dass ich jetzt weg bin.«
»Wohin gehst du denn?« Die Neugierde, die in ihren Augen glitzert, bestätigt nur ihre Worte.
»Das würdest du gerne wissen, was?«, sage ich, um sie zu ärgern.
Doch wahrscheinlich ist es noch zu früh dafür. Ihre Mimik verschließt sich und ein trauriger Gesichtsausdruck legt sich darauf nieder.
»Ich treffe mich mit Papa«, sage ich auch schon versöhnlicher.
Ihre Gesichtszüge hellen sich auf. »Echt?«, fragt sie auch noch hoffnungsvoll.
»Jasi, wir haben uns getrennt. Es ist nicht ohne Grund passiert.«
»Aber warum? Dann sag uns doch einfach, was du falsch gemacht hast. Sag doch einfach, was so schlimm war, dass er dir nicht verziehen hat?«
Ich recke mein Kinn vor und schaue sie an. Ein trauriges Lächeln schleicht sich auf meine Lippen. So nah an der Wahrheit und doch irgendwie ganz weit davon entfernt.
»Ich denke, es wird nicht lange dauern. Er muss ja gleich ins Restaurant.«
»Darf ich mitkommen? Ich vermisse ihn.«
»Aber klar«, sage ich, obwohl ich ihn lieber allein getroffen hätte. Aber was soll ich sagen? Ich kann ihr ja schlecht verbieten, ihren Vater zu treffen.
»Soll ich Jo auch fragen?«
»Natürlich«, flüstere ich mit brechender Stimme. Der Kloß hinten in meinem Hals ist wieder riesig.
Als ich mit beiden Kindern im Auto sitze, schnattert Jasi ganz aufgeregt. Sie erzählt, was sie ihm alles noch berichten muss. Jasis knetende Finger sowie ihre rosigen Wangen unterstreichen einmal mehr ihre Nervosität.
Beim Blick in den Rückspiegel sehe ich Johannes’ verschlossenes Gesicht. Er blickt aus dem Seitenfenster. Sein Anblick schmerzt mich.
Als ich auf den kleinen Parkplatz fahre, rast mein Herz und eine aufgeregte Spannung kribbelt durch meinen Körper.
♂
Seit gefühlten Stunden warte ich im Auto. Natürlich war ich viel zu früh. Ich konnte nicht aussteigen und mich schon ins Café setzen. Als ich den roten Kleinwagen von der Straße langsam auf den Stellplatz hinauffahren sehe, atme ich noch zweimal tief durch und öffne dann die Autotür.
Als ich Jasi strahlend auf dem Beifahrersitz sehe, geht mein Herz auf. Die Kids nicht mehr jeden Tag sehen zu können, schmerzt mich fast schon mehr als die Trennung. Nur auf einer ganz anderen Ebene. Johannes sitzt auf der Rückbank und schaut mich lächelnd an. Aber seine Züge sind nicht so euphorisch. Eher melancholisch.
Ich gehe auf den Kleinwagen zu und Jasi springt hinaus, sobald der Wagen steht.
»Papa«, ruft sie und wir schließen uns in die Arme.
In diesem Moment überfallen mich so viele Gefühle, dass ich mehrfach schlucken muss, bevor ich mich wieder traue, das Wort zu erheben.
»Ihr seid dabei.«
»Ja, als Mama sagte, dass ihr euch seht, haben Jo und ich beschlossen, dass wir mitkommen möchten. Wir haben dich so lange nicht gesehen. Vielleicht können wir ja heute bei dir schlafen. Ich könnte Mama fragen. Jo würde sich bestimmt auch freuen. Er leidet sehr. Aber ich passe auf ihn auf«, sprudelt es weiter aus ihr heraus.
»Warte mal kurz, Süße, ich werde jetzt auch Jo begrüßen.«
Der schüchterne Junge, der es anstrebt, meine Größe zu erreichen, schaut mich an und ich kann den Schmerz in seinen Augen lesen, den ich in meinem Herzen spüre.
»Jo ...«
»Dad.«
Wir nehmen uns in die Arme und ich schlucke meine Gefühle hinunter.
»Schön, dass wir uns sehen«, sage ich immer noch in der Umarmung und sehe über die Schulter meines Sohnes hinweg in Cams Augen. Dort herrscht ein Orkan an Gefühlen. Dass sie mit sich und ihren Emotionen ringt, verrät mir auch, weil sie die Arme vor der Brust verschränkt.
Als ich mich aus der Umarmung löse, schaue ich sie an. Unsicher trete ich auf sie zu, zaghaft lächle ich sie an, was sie ebenso traurig erwidert.
»Hi.«
»Hallo«, raune ich. Ich beuge mich zu ihr hinab und drücke ihr einen Kuss auf die Wange. Doch sie versteift sich. Noch einmal tief einatmend und ihren ganz persönlichen Duft in mir aufnehmend, gehe ich auf Abstand. Ihr Duft ruft in mir so viele Bilder, Erinnerungen und Gefühle hervor.
»Papa, sollen wir denn eine Cola trinken gehen? Gibt es hier auch Kuchen? Jo, was meinst du, sollen wir uns schon einmal einen Platz suchen?« Jasi plappert. Sie ist aufgeregt. Genau wie wir alle.
Cam schaut den Kids hinterher. Jedoch kann ich mir die Chance nicht entgehen lassen. Meine Augen betrachten meine Frau. In diesen wenigen Augenblicken versuche ich, so viel wie möglich in mich aufzunehmen. Sie wirkt müde. Erschöpft, so wie ich mich auch fühle. Die Situation setzt ihr genauso zu wie mir. Doch sie hat sich wieder geschminkt. Sieht schön aus wie immer.
Als sie sich wieder zu mir dreht, versuche ich, meinen Blick zu überspielen.
»Wie geht es dir?«, horche ich nach.
»Wie soll es schon gehen?«
Ich atme tief ein. »Was macht dein Job?«
»Alles wie früher«, erwidert sie wortkarg.
Mit einem stechenden Schmerz in der Brust beobachte ich Cam, wie sie ihre Fußspitzen betrachtet. Ihr Anblick verletzt mich. Nicht nur, dass ich jegliches Recht darauf verspielt habe, sie jetzt in die Arme zu ziehen und trösten zu dürfen. Auch, dass sie nicht mit mir redet. Cam ist wie Jasi. Sie schnattert und redet die ganze Zeit. Eine Ergänzung zu mir. Doch nun nicht mehr. Habe ich sie so verletzt, dass ich sie gebrochen habe?
»Cam ...«, flüstere ich mit bebender Stimme.
»Nicht. Bitte«, fleht sie. Und ich weiß nicht, ob ich ihrer Bitte nachgeben oder mich doch lieber darüber hinwegsetzen und sie in meine Arme ziehen sollte. Mein Blick huscht zum Café. Die Kids haben uns einen Tisch direkt am Fenster gesucht und beobachten uns mit Argusaugen. Es bringt mich zum Lächeln und doch ist diese Observation genau der Grund, warum ich mich ihren Worten beuge. In diesem Moment bereue ich eine Sekunde, dass wir nicht alleine sind. Und gleichzeitig hasse ich mich für den Gedanken.
»Du hast noch Sachen?«, frage ich krächzend.
»Ja, im Auto.« Cam deutet mit einer Hand auf den roten Wagen, öffnet die Zentralverriegelung und tritt an den Kofferraum. Ihre Nähe suchend, traue ich mich neben sie und schaue auch hinein. Der Innenraum ist unordentlich wie immer. Früher hätte ich jetzt etwas gesagt, um sie zu ärgern. Doch heute verkneife ich mir das. Auch das habe ich mir verbockt.
Sie beugt sich hinein und greift nach der Schachtel.
»Warte, ich nehme das schon«, sage ich schnell und fasse auch danach.
Wir berühren uns und erstarren beide. Mir wird plötzlich ihre Nähe bewusst und meine Sehnsucht steigert sich ins Unermessliche.
Wieder ist es Cam, die das Weite sucht, erneut aus meiner Nähe flüchtet. Ihre Reaktion, die ich zwar geistig verstehe, zerreißt mich dennoch. Mein Herz schmerzt, weil ich für diesen Rückschritt verantwortlich bin.
Mit dem Karton zwischen meinen Händen tauche ich wieder aus dem Kofferraum auf und suche ihren Blick.
»Was ist drin?«, frage ich neugierig geworden nach.
Sie zuckt mit den Schultern, schaut kurz zu mir auf, bevor sie wieder den Parkplatzboden studiert. »Deine Bücher und noch Kleinigkeiten, die ich gefunden habe.«
»Danke.«
»Wofür?«
»Dass du sie nicht einfach weggeworfen hast.«
»Echt? Das würdest du mir zutrauen?«
»Nein. Aber ...«
»Was?«, hakt sie nach und schaut doch tatsächlich auf.
»Cam, ich ...« Mir bricht die Stimme, weshalb ich mich räuspere, um ihr antworten zu können, und spreche dann erst weiter. »Ich wollte dich niemals verletzen. Leider kann ich nicht rückgängig machen, dass ich ...«
»Was? Dass du eine andere Frau geküsst hast? Oder sie womöglich auch noch gefickt hast?«, spuckt sie mir die Vorwürfe entgegen.
Meine Augen weiten sich überrascht. »Nein, das habe ich nicht. Niemals.«
Sie schnaubt verächtlich und ich habe es verdient.
»Wirklich, Tört...«, ihre Augen funkeln mich an und ich verbessere mich augenblicklich. »Wirklich, Cam. Das habe ich nicht. Es war nicht einmal mehr als dieser eine Kuss.«
»Nicht einmal mehr?«, fragt sie zischend. »Stefan, bitte nicht jetzt. Dieses Gespräch möchte ich nicht führen.« Und nach einem Moment der Stille fügt sie leise hinzu: »Nicht jetzt.«
Und diese zwei Worte lassen mich überrascht aufblicken und ein Funke Hoffnung beginnt erneut in mir zu glimmen.
Mit dem Karton immer noch in meinen Armen schaue ich von meiner Ehefrau zu meinen Kindern. Jasi winkt mir strahlend zu und ich weiß, dass Cam wieder einmal recht hat. Der Ort und auch der Zeitpunkt sind falsch gewählt. Aber wie kann ich sie denn sonst erreichen? Wann könnten wir uns treffen?
Ich atme noch einmal tief durch, dann gehe ich zu meinem Auto. Dort verstaue ich den Karton und folge nun den drei ins Café. Cam hat sich zu den Kids gesellt und ich hole ihr einen Roibuschtee und einen Kaffee für mich. Mit beiden Tassen trete ich an den Tisch. Ungeübt stelle ich die Teetasse vor Cam ab, die überrascht aufschaut und ein leises »Danke« flüstert. Zaghaft lächle ich sie an, was Jasi natürlich nicht entgeht.
»Und, Papa? Was ist denn jetzt mit heute?«
»Was soll sein?«
Sie rollt mit den Augen. »Dürfen wir heute bei dir schlafen?«
Unsicher schaue ich zu Cam. Denn ich möchte ihr die Kinder nicht entziehen und wäre dennoch so unglaublich froh, wenn ich die beiden heute mehr als diese paar Minuten um mich haben könnte. Sie zuckt mit den Schultern und lächelt zaghaft.
»Gerne. Kommt doch später ins Restaurant.«
Jasi strahlt mich an. »Super. Mama, kannst du uns fahren?«
Traurigkeit, Zerrissenheit und Liebe wechseln sich auf ihrer Mimik ab. »Natürlich. Sagt einfach Bescheid.«
»Noch besser. Bekomme ich denn heute wieder dieses geile Zimmer?«
Ich zucke mit den Schultern. Der Protz in Franks Haus ist mir in diesem Moment einfach unglaublich unangenehm.
»Cool. Frank ist so cool. Echt. Was der schon alles erreicht hat. Und dann dieses Haus. Mama, stell dir mal vor, ich hatte dort einen eigenen Flatscreen in meinem Zimmer, der größer war, als unser Fernseher zu Hause.«
Cam lächelt, doch es erreicht ihre Augen nicht.
»Ist Frank denn auch da?«, fragt Jasi.
Ich zucke gleichgültig mit den Schultern. »Keine Ahnung. Vielleicht. Die Party gestern war etwas ... heftig.«
Cam stößt die Luft aus.
»Party? Bei Frank, oder was?«
»Ja, er hat mal wieder eine Party geschmissen.«
»Warum hast du nichts gesagt?«
Überrascht von den Worten unserer Tochter ziehe ich die Augenbrauen zusammen und verschränke die Arme vor der Brust.
♀
Die Wölbung von Stefans Bizeps bringt mich einen Moment aus dem Konzept. Wie ich diese Geste immer an diesem verschlossenen Mann geliebt habe. Er wirkt dann noch dunkler, bedrohlicher. Und doch wusste ich immer, wie es darunter aussieht.
Als mir dann doch wieder Jasis Worte einfallen, mische ich mich ins Gespräch mit ein. »Jasi, du bist fünfzehn.«
»Und?«
»Was möchtest du denn auf einer Party, wo nur alte Leute sind?«, frage ich nach und benutze ihre Umschreibung meines Alters von gerade eben, als wir noch zu Hause waren. Stefans Augenbrauen wandern bei meiner Wortwahl hoch.
»Frank ist doch nicht so alt wie du«, sagt dieses pubertierende Mädchen.
»Stehst du auf Frank?«, hake ich nach.
Stefans Kopf ruckt zu mir, seine Augen weiten sich überrascht und dann schaut er mit düsteren Blick Jasi an.
»Mama ...«, wieder flehend, quengelnd.
»Und?«, horche ich weiter nach.
»Er ist einfach cool.«
Nun liegt es an mir, die Augenbrauen zusammenzuziehen. »Er ist älter als ich.«
»Echt?«
»Ja«, sage ich und kann nicht vermeiden, dass ein freudloses Lachen über meine Lippen rutscht.
»So alt wirkt er aber nicht. Er ist immer so locker, zieht sich cool an und ...«
»Was?«, bohre ich nach.
»Er ist ziemlich heiß.«
»Das reicht!« Stefans Hand donnert auf den kleinen Tisch, der unter dem Schlag erheblich wackelt. »Cam, ich wusste nicht ...«, bei seinen Worten schaut er mich entschuldigend an.
Ich lache auf. Stefan wirkt in diesem Moment so hilflos und überfordert. Dann zucke ich mit einer Schulter. »Sie hat ja recht.«
Sprachlos schaut Stefan mich an. Doch dieses Mal kann ich seinem Blick nicht standhalten und fische geschäftig meinen Teebeutel aus der Tasse.
»Cam?«, knurrt er meinen Namen.
»Hm?«
»Womit hat Jasi recht?«
Wieder zucke ich mit einer Schulter. »Er ist heiß.«
Als ich einen kurzen Blick wage, bemerke ich, dass seine Augen dunkel sind. Sein Gesicht verschließt sich und aus jeder Pore tropft ... Eifersucht?
»Was?«, frage ich unschuldig nach. »Du kannst doch jetzt nicht sagen, dass es dir noch nie aufgefallen wäre.«
»Mir schon. Aber ich habe gehofft, dass es dir entgangen wäre«, raunt er.
Und ich kann nicht anders, als den Kopf in den Nacken zu legen und lauthals loszulachen.
»Papa, siehst du, Frauen bemerken so etwas«, mischt sich Jasi wieder ein.
»Du bist noch keine Frau. Du brauchst so etwas nicht bemerken«, knurrt er in ihre Richtung. »Und du bist meine Frau ...«
Geschockt von seinen Zurechtweisungen schaue ich Stefan einfach an. Bin viel zu überrascht, dass er seinen Anspruch auf mich hier kundtut. Doch mein Körper versteht seine Worte als ein Versprechen. Sie hinterlassen ein nervöses Flattern in meinem Magen.
Doch bevor ich mir Gedanken dazu machen kann, fragt Jo auch schon in die Stille hinein: »Papa, kann ich vielleicht etwas Geld dazuverdienen und beim Kellnern helfen?«
»Wofür brauchst du denn Geld?«, fragt Stefan nun.
Jo zuckt mit einer Schulter. »Ich wollte jetzt schon sparen, damit ich so früh wie möglich meinen Führerschein beginnen kann.«
Überrascht schaue ich Jo an. So ist er. Er überlegt sich alles genau. Plant seine Zukunft und setzt alle Hebel in Bewegung, damit er seine Ziele erreicht. Wenn Hindernisse im Weg stehen, dann sind sie nur dafür da, um aus dem Weg geräumt zu werden. So war er immer. Seinem Vater so ähnlich. Und Jasi ist das komplette Gegenteil von ihm. Mit sechzehn Jahren den Führerschein beginnen? Damit kann sie sich auch beschäftigen, wenn sie so alt ist. Das Geld ansparen? Lieber heute feiern. Aber ich kann noch nicht einmal sagen, dass sie dann ihren Führerschein nicht machen kann. Sie macht es einfach anders. Sie geht dann einige Monate für ihr Ziel arbeiten, um sich ihren Traum zu verwirklichen. Aber sie plant das Ganze nicht, ist eher die Spontane.
»Jo, klar kannst du helfen. Ich kann gerade jede gute Kraft im Service gebrauchen«, antwortet er und einen Moment habe ich das Gefühl, dass er in meine Richtung schaut. »Dann sollten wir aber auch einen Vertrag schließen. Damit du auch richtig angestellt bist. Was meinst du?«
Die Freude ist in Jos Gesicht abzulesen und ich lächle verträumt in Richtung der beiden wichtigsten Männer in meinem Leben. Okay, in die Richtung meines Mannes und dem wichtigsten Mann in meinem Leben. So, jetzt ist es besser. Obwohl ohne Stefan niemals Johannes entstanden wäre. Also hat er wahrscheinlich doch einen Platz bei den unerlässlichsten Personen verdient. Oder suche ich nur einen Grund, dass er dort einen Platz bekommt?
»Wann soll ich denn da sein?«, fragt er seinen Vater. Die beiden klären die Einzelheiten ab und ich wende mich an Jasi.
»Jasi, noch einmal zu Frank«, flüstere ich dicht bei ihr.
»Mama, schon okay. Ich weiß, dass er zu alt für mich ist.« Bei ihren Worten zwinkert mir dieses gewiefte Mädchen zu und ich kann nichts anderes machen, als lächelnd den Kopf zu schütteln.
Als wir kurze Zeit später wieder zusammen im Auto sitzen, schiele ich wieder herüber zur Beifahrerseite. Jasi erzählt mit wild herumwedelnden Händen von Stefans Gesicht und lehnt dann den Kopf in den Nacken und lacht aus vollem Halse. Ein Blick in den Rückspiegel zeigt mir, dass Jo zwar wieder aus dem Fenster schaut, doch dieses Mal liegt auch ein Lächeln in seinem Gesicht. In mir breitet sich liebevolle Freude aus. Auch wenn dieser Moment weit von Perfekt entfernt ist, ist er doch ein besonderer. Wir drei lachen das erste Mal seit der Trennung wieder zusammen.
Im Nachhinein bin ich froh, dass die Kids bei diesem Treffen mit dabei waren. Wenn sie nicht gewesen wären, hätte ich wahrscheinlich den Parkplatz fluchtartig verlassen, als Stefans Haut auf meine traf. Die Berührung traf mich mit einem Schlag. All meine Nervenenden waren wieder auf ihn gepolt. Meine Haut hat sich nach weiteren Verbindungen verzehrt, mein Kopf hat gesagt, dass ich nicht so stur sein und auch verzeihen sollte. Jedoch wäre mein Herz am liebsten ein weiteres Mal vor Sehnsucht gebrochen.
Aber es war gut. Wir haben zusammengesessen und zusammen gelacht. Und das nach zwei Monaten. Ehrlich gesagt hätte ich nicht gedacht, noch einmal in seiner Nähe lachen zu können. Aber die Situation hat sich einfach ergeben. Die Kids haben es möglich gemacht. Mittlerweile denke ich ja sogar, dass Jasi Stefans Reaktion bewusst provoziert hat. Sie wusste schon immer genau, welche Knöpfe sie zu drücken hat, um ihn auf die Palme zu bringen. Und sein Blick war wirklich Gold wert.
Trotz der schönen Minuten hoffe ich jedoch, dass sich die Kids nicht allzu viele Hoffnungen machen. Auch wenn ich schon einen Schritt weiter bin. Ich bin noch Meilen davon entfernt, Stefan wieder vertrauen zu können. Wie auch? Wenn das Vertrauen missbraucht wurde, dann muss es erst wieder wachsen und gedeihen, oder? Aber kann ich ihn jemals wieder anschauen und lächelnd zugucken, wenn Stefan mit anderen Frauen redet? Wie soll das gehen?
Ich beschließe, die Fragen in diesem Moment nicht weiterzuverfolgen. Mich nicht unter Druck zu setzen. Wenn sich etwas ergibt, dann ergibt es sich. Sonst werde ich mich auch mit dieser Situation arrangieren können. Ich werde es sicherlich lernen. Und vielleicht ist es dann gut, wenn ich auch mal wieder ausgehe ...
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Nachdem wir uns verabschiedet haben, sitze ich auch noch nach Minuten einfach so in meinem Wagen. Ich blicke geradeaus und lasse Situationen von eben wieder Revue passieren. Sehe wieder, wie Cam den Kopf in den Nacken legt und aus vollem Hals loslacht. Wie schön dieser Klang ist. Wie ich diesen Anblick vermisst habe. Meine Frau, so greifbar nah und doch waren mir Berührungen versagt. Ihr geschockter Gesichtsausdruck, als ich sie beim Kofferraum zufällig berührt habe, zeigt einfach, dass sie mich immer noch nicht in ihrer Nähe ertragen kann. Aber ihr volltönendes Lachen sagt doch eigentlich, dass sie entspannt war.
Wahrscheinlich lag es an den Kids. Sie waren heute meine Glücksbringer, haben es möglich gemacht, dass Cam einen Moment nicht an meinen Fehltritt gedacht hat. Einen Augenblick waren wir wieder eine Familie, saßen zusammen in einem kleinen Café und erzählten irgendwelche Sachen.
Und das Beste an diesem überraschend verlaufenden Nachmittag ist eigentlich, dass Cam die Kinder ins Restaurant bringt. Keine zwei Stunden werden vergehen, bis ich sie wiedersehe. Meine Frau ... Ja, gut. Die Kids werden auch da sein und ich freue mich auch wirklich auf sie. Aber Cam ... Gleich zwei Mal an einem Tag. Das ist etwas, das ich schon lange nicht mehr hatte und mich doch jede Sekunde danach sehne.
Immer noch in Gedanken versunken, starte ich den Motor und lenke den Wagen Richtung Restaurant. Die Lage ist abgeschieden, sodass Jasi und Jo nicht problemlos allein vorbeikommen können. Sie brauchen jemanden, der sie fährt. Umso glücklicher bin ich, dass ich Jo unterstützen kann, wenn er bald den Führerschein machen möchte. Ja, natürlich weiß ich, dass er zuerst nicht allein fahren kann und ihn trotzdem jemand fahren muss. Aber das ist der erste Schritt in Richtung Unabhängigkeit. Der erste Schritt in die Welt. Jasi dagegen ist anders. Sie ist impulsiver, schert sich nicht eine Sekunde, was andere von ihr denken. Sie denkt nicht an morgen und plant auch nicht großartig ihre Zukunft. Sie lebt. Und dann machen mir Aussagen einfach Angst, wenn sie von Männern sagt, dass sie heiß seien. Und dann noch Frank. Wahrscheinlich sollte ich mal beobachten, wie sie miteinander umgehen. Nicht, dass Frank sich auch an meine Tochter ranmacht. Sie ist immerhin erst fünfzehn. Aber das traue ich selbst Frank nicht zu. Erstens, weil sie fünfzehn ist und er es weiß. Und zum anderen, weil sie meine Tochter ist. Ja, er lässt nichts anbrennen. Aber er hat trotz all dem Charakter. Er hat Größe. Sonst hätte es ihn auch nicht weiter interessiert, wo ich wohne und wie es mir geht. Er hat mich dazu gedrängt, dass ich wieder ins Restaurant gehen und weitermachen soll. Sie brauche Zeit, sagte er. Sie werde merken, dass ein Kuss nicht die komplette Vergangenheit aufs Spiel setzen kann. Aber Cam hat ein Gehirn wie ein Elefant, was meine Fehltritte betrifft. Dass der Kuss mit Svea somit niemals vergessen werden wird, brauche ich nicht erklären.
Ich parke den Wagen auf dem Parkplatz von unserem Restaurant, steige aus, öffne die Tür und trete ein. Es liegt eine Stille in diesen Räumen, die ich noch vor drei Monaten gemocht habe. Nun wirkt sie erdrückend. Um etwas frische Luft in den Innenraum zu lassen, keile ich einen Stopper unter die Tür und laufe quer durch das Restaurants, damit ich auch die breite Fensterfront öffnen kann.
Der Blick nach hinten raus ist so wunderschön.