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Nachdem Johanna endlich den Mut gefunden hat, ihren langjährigen Freund zu verlassen, lässt sie ihr altes Leben hinter sich und sucht sich eine Wohnung in der Heimat. Ihre Schulfreundinnen heißen sie willkommen und unterstützen sie bei ihrem Neustart, der ruhig und besonnen vonstattengehen soll. Bereits vor der Renovierung ihres neuen Rückzugsortes lernt sie Thorsten kennen, der in ihr vom ersten Augenblick etwas zum Klingen bringt. Ob es ihre Nerven sind, die auf diesen Ruhestörer reagieren, oder es sich dabei vielmehr um Verlangen handelt, möchte Johanna gar nicht hinterfragen. Mit jedem Tag realisiert sie mehr, dass sie das erhoffte Gefühlsgleichgewicht in ihrem Neuanfang nicht finden wird.
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Veröffentlichungsjahr: 2022
Copyright: © 2018 Paula Herzbluth
Coverfoto:
Gestaltung: © NaWillArt-CoverDesign
Motive:depositphoto.com – © Syda_Productions
depositphoto.com – © Tzido
pink painting »Designed by Freepik«
Korrektorat: Schreib- und Korrekturservice Claudia Heinen
Lektorat: Susan Liliales und Mia B. Meyers
Paula Herzbluth
c/o Sebastian Münch
Rechtsanwalt / Steuerberater
Großenbaumer Weg 8
40472 Düsseldorf
Alle Rechte vorbehalten. Ein Nachdruck oder eine andere Verwertung ist nachdrücklich nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin gestattet. Sämtliche Personen in diesem Text sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig.
Für Dich!
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Epilog
Danksagung
Vor wenigen Minuten hatte ich den Schlüssel entgegengenommen und betrat nun das erste Mal mein neues Reich. Ich atmete tief ein. Mein Blick wanderte über die leeren Wände der unrenovierten Wohnung. Alles roch fremd und abgestanden. Langsam stellte ich die Handtasche auf den Boden, genau dort, wo ich mir später die Garderobe vorstellte, und öffnete meinen Mantel.
Nachdenklich durchquerte ich den großen Raum, der bald mein Wohnzimmer werden würde. Immer wenn die Absätze meiner schwarzen Pumps auf die Fliesen trafen, hallten die Schritte von den Wänden wider. Vor dem Fenster, das an meinen neuen Balkon grenzte, blieb ich stehen. Ich schaute auf die Felder, die sich hinter dem Wohnhaus erstreckten, und schlang beide Arme um meinen Körper. Innerlich fröstelte es mich, obwohl draußen die Sonne schien und der Anblick wunderschön war. Mit jedem Wimpernschlag, den ich am Fenster stand, fiel mir das Schlucken schwerer und meine Sicht verschwamm. Die Tränen rollten mir über die Wangen und ich wischte sie ruppig weg. Mit energischen Schluckbewegungen versuchte ich, den großen Kloß in meinem Hals zu vertreiben. Es gelang mir nicht wirklich. Zittrig atmete ich ein.
Die viel zu lange unterdrückten Emotionen erschöpften mich, sodass ich die Augen schloss. Immer mehr Tränen liefen mir über die Wangen und mein Schluchzen hallte von den kahlen Wänden wider.
Die Trennung von meinem langjährigen Freund setzte mir zu. Mehr, als ich mir zugestehen wollte. Ich brauchte Distanz, mein eigenes Reich, in dem ich wieder durchatmen konnte. Damals war ich zu ihm gezogen, hatte meine Heimat und meine Freunde zurückgelassen. Fehler, die ich zu korrigieren bereit war. Den Kontakt zu meinen Schulfreundinnen hatte ich in den letzten Tagen schon gesucht. Eine Wohnung hatte ich auch gefunden. Jetzt musste ich hier nur noch einen Job finden. Aber die Einladung zum Vorstellungsgespräch nächste Woche ließ mich hoffen.
Das Klingeln des Mobiltelefons ließ mich aufschrecken. Mit beiden Händen fuhr ich mir über das Gesicht und zog geräuschvoll die Nase hoch. Nicht sehr damenhaft, aber notwendig. Erst nach mehrfachem Blinzeln sah ich die Umgebung wieder scharf. Mit großen Schritten ging ich zum Eingangsbereich zurück und hockte mich neben meine Tasche. Mit zittrigen Fingern fischte ich das Telefon heraus und sah, dass Peter versucht hatte, mich zu erreichen.
Stöhnend ließ ich den Kopf hängen. Das nervtötende Klingeln setzte erneut ein. Vorsichtig öffnete ich ein Auge, um die erwartete Erinnerung auf dem Display zu sehen. Ich schluckte schwer. Es war ein gemeinsames Foto. Lächelnd und glücklich. Vergangen.
Das Geräusch verstummte wieder. An der Art, wie Peter immer weiter versuchen würde, mich zu erreichen, erkannte ich, dass er genervt war. So war er und ich kannte es. Daher rief ich ihn zurück, weil ich nur noch meine Ruhe haben wollte. Etwas Frieden.
»Willst du mich provozieren?«, knurrte er.
»Wie kommst du darauf?«
»Du standest mit Sicherheit neben dem Telefon und hast meinen Anruf trotzdem ignoriert.«
»Peter, ich war einfach zu langsam«, rechtfertigte ich mich und bedauerte es im gleichen Augenblick.
Er schnaubte lediglich.
Als er nichts dazu sagte, hakte ich versöhnlicher nach: »Was wolltest du denn?«
»Wo bist du?«, blaffte er durch die Leitung.
»In meiner neuen Wohnung, das hatte ich dir gesagt. Ich bin direkt nach dem Abschied aus dem Büro hierhin zur Schlüsselübergabe gefahren.« Genervt fuhr ich mir durchs Haar, bevor ich ruhiger ergänzte: »Endlich geht es weiter, das sollte auch in deinem Interesse sein.« Meine Stimme klang noch müder, als ich mich fühlte. Erschöpft bis ins Mark. Diese Streitereien und Diskussionen laugten mich aus und raubten mir die letzte Kraft.
»Wann kommst du zurück?«
Ich seufzte. »Es dauert sicherlich noch eine Stunde.«
»Du musst noch packen.«
Jetzt war es an mir, seinen Kommentar mit einem Schnauben zu würdigen. »Ich muss erst einmal die Wohnung renovieren. Das ist nicht sofort erledigt.«
»Je schneller du hier ausziehst, umso besser.«
»Du kannst ja auch gehen.« Obwohl es für mich niemals zur Debatte gestanden hatte, weiterhin in der gemeinsamen Bleibe leben zu wollen, konnte ich es mir nicht verkneifen.
»Wo soll ich hin?«
»Dir etwas Neues suchen? Das muss ich schließlich auch.«
»Was soll das werden? Du hast gesagt, dass du die Wohnung nicht willst.«
»Peter, ich ziehe ja auch aus. Es dauert eben ein paar Tage länger, als wir uns das beide vorgestellt haben.« Ich atmete tief durch, bevor ich hinzufügte: »Lass uns nicht streiten.«
»Du hast recht. Wir haben so lange zusammen ausgehalten, da kommt es auf eine Woche nicht mehr an.«
Ich rieb mir über die Augen. »So sehe ich das auch.«
»Tja, dann«, verabschiedete er sich.
Es klingelte an der Wohnungstür und ich schaute erstaunt auf.
»Bis später, Peter.«
»Wer ist das?«, fragte mein Exfreund neugierig und einen Ticken zu angriffslustig.
»Ich muss erst die Tür öffnen, bevor ich das weiß.« Mit diesen Worten trennte ich die Verbindung und betätigte mit Herzklopfen den Türöffner. Total überrascht entdeckte ich, wie Yve, Nadia und Claire die Stufen hochkamen. Meine drei besten Schulfreundinnen schauten mich erfreut an.
»Was macht ihr denn hier?«, fragte ich verblüfft.
»Endlich wohnst du wieder in unserer Nähe, Johanna«, stellte Yve fest, strich sich dabei eine blonde Locke aus ihrem Gesicht und strahlte mich an. Sobald sie vor mir stehen blieb, fielen wir uns in die Arme. Genussvoll schloss ich die Augen. Mir wurde warm ums Herz.
»Man kann nicht wirklich von Nähe sprechen«, begrüßte Nadia mich und zog ihre mit Sommersprossen übersäte Nase kraus. »Wie bist du denn an die Wohnung so weit hier draußen gekommen?«, fragte sie noch, bevor auch sie mich umarmte.
Claire klopfte Nadia ungeduldig auf die Schulter und sagte: »Lass mich auch mal. Es ist viel zu lange her. Viel zu lange.« Mit einem sanften Lächeln schaute sie mich an, ehe wir uns in den Armen lagen.
»Ah, ich verstehe, warum du diese Wohnung genommen hast«, rief Yve staunend aus dem Wohnzimmer. »Von hier muss man eine wahnsinnig schöne Aussicht auf den Sonnenuntergang haben.«
»Das hoffe ich«, bestätigte ich lächelnd.
»Wir haben auch etwas mitgebracht«, verkündete Claire und zog eine Sektflasche aus ihrer Handtasche.
»Wofür denn das?«
»Ernsthaft?«, fragte Nadia. »Du bist zurück, das ist mehr als nur eine Flasche wert. Aber die richtige Feier machen wir, sobald du hier einziehst.«
»Ja, wir sind wieder alle zusammen«, bestätigte Claire Nadias Worte.
»Leider sind noch keine Gläser hier«, bedauerte ich. »Ich habe vorhin erst den Schlüssel bekommen. Auf euren Besuch war ich nicht vorbereitet.«
»So war es auch geplant«, gab Nadia mit einem Zwinkern von sich. »Wir machen das einfach wie früher. Die Flasche reichte damals, warum sollte es heute anders sein?«
Claire löste die Metallklammer und drehte beherzt am Korken. Während er mit einem Plopp herausrutschte, schauten wir uns mit einem sentimentalen Glitzern in den Augen an.
»Denkt ihr auch gerade daran?«, fragte Yve breit grinsend.
»War das ein Sommer«, warf Claire sehnsüchtig ein und sah mich dabei direkt an.
Ich zog meine Augenbrauen hoch. »Ich kann es immer noch nicht fassen. Was für ein Desaster.«
»Stell dich nicht so an. Das war ein Sommer, an den wir noch denken werden, wenn wir alt und tattrig sind«, gab Nadia lachend von sich.
»Auf die Sommer, die noch kommen werden«, erklärte Claire und hielt mir die Sektflasche hin.
»Auf die Sommer, die noch kommen werden«, wiederholten wir restlichen drei und genehmigten uns einen Schluck aus der Flasche.
Nachdem auch Yve getrunken hatte, entstand eine kleine Pause und ich schaute verlegen auf den Boden. Ich freute mich, dass meine Freundinnen von früher mich direkt in der Heimat willkommen hießen und mir die langjährige Abwesenheit nicht vorhielten. Zu diesen Frauen hatte ich wieder den Kontakt gesucht, sobald feststand, dass Peter und ich uns trennten. Erst war es mir unangenehm, nach all der Zeit wieder bei ihnen angekrochen zu kommen. Aber ihre herzliche Art, mit der sie mir alle geantwortet hatten, ließ mich meine Bedenken vergessen. Das waren Freunde. Auch wenn sie fanden, dass man Fehler machte, liebten sie einen trotzdem so, wie man war.
»Wie geht es dir?«, erkundigte sich daraufhin Yve besorgt und sah mich aufmerksam an.
Nadia lachte kurz auf. »Wie soll es ihr schon gehen? Wir sind wieder bei ihr, womit es ihr wunderbar geht.«
Davon ließ sich die emphatische Frau nicht abhalten. Sie musterte weiterhin unverhohlen mein vermutlich blasses Gesicht und wartete geduldig auf eine Reaktion.
»Eigentlich hatte ich gedacht, dass ich nun glücklich sein würde«, gab ich leise zu.
»Aber?«, fragte Claire vorsichtig nach und lächelte mich aufmunternd an.
Ich zuckte mit den Schultern und schaute auf meine Zehenspitzen. »Ich weiß es nicht. Ehrlich. Irgendwie bin ich erleichtert. Zum einen, weil ich endlich wieder in eurer Nähe wohne.«
»Nähe ist relativ«, warf Nadia mit hochgezogenen Augenbrauen ein, was ihr einen Klaps auf den Arm von Claire einbrachte.
Von ihrem Einwurf ließ ich mich nicht beirren. »Und natürlich, weil ich es endlich geschafft habe, diesem Trott zu entkommen. Dass ich den Mut gefunden habe, Peter zu verlassen.«
»Warum braucht man dafür Mut?«, hakte Nadia irritiert nach.
Ein bitteres Lächeln stahl sich auf mein Gesicht. »Ich werde bald dreißig.«
»Das heißt noch nichts«, versuchte unterdessen auch Claire, mich zu beruhigen.
»Aber unsere Vorstellungen vom Leben waren immer anders. Stimmts?«, warf Yve ein.
Überrascht schaute ich sie an. »Genau.« Schnell nickte ich und fühlte mich endlich von jemandem verstanden. »Wir wollten mit Ende zwanzig heiraten, mit Anfang dreißig Kinder bekommen. Nach unserem Plan sollte ich schon lange Eigentum haben.« Ich hob die Hände. »Und in Wirklichkeit? Ich habe zwar eine Mietwohnung gefunden, aber im Grunde genommen kann ich sie mir nicht leisten. Sie ist zwar günstig, aber ich habe hier noch nicht einmal einen Job, von dessen Einkommen ich die Miete zahlen kann.«
»Echt?«, fragte Claire ungläubig.
Nadia schnaubte. »Die ist ja auch total ab vom Schuss. Da kann man kein Vermögen verlangen.«
»Du übertreibst. So weit ist es auch nicht von der Innenstadt entfernt«, tadelte Yve schmunzelnd.
»Nein, aber hier muss man sicherlich eine Viertelstunde laufen, bis man zur nächsten Bushaltestelle kommt«, gab Nadia weiterhin zu bedenken.
Ich lachte auf. »Darum geht es nicht.«
»Das sagst du heute. Wenn du immer früher aufbrechen musst, damit du den letzten Bus nach Hause bekommst, bereust du deine Wahl.«
»Für mich zählt nur, von Peter loszukommen. Und das so schnell wie möglich.«
»So schlimm?« Yve blickte mich mitleidig mit ihren dunkelbraunen Augen an und ich fühlte mich sofort nicht mehr so einsam.
»Eigentlich nicht anders als im letzten Jahr. Aber jetzt, wo der Entschluss gefasst ist, möchte ich alles hinter mir lassen.«
»Das wird schnell gehen«, spekulierte Claire wie immer optimistisch. »Thorsten kann für dich tapezieren.« Sie griff zu ihrem Telefon. »Wenn du willst, rufe ich ihn direkt an.«
»Thorsten?«, fragte ich irritiert.
»Stimmt, du kennst ihn gar nicht. Er ist ein Kumpel von meinem Bruder. Er hat sich vor einer Weile als Maler und Lackierer selbstständig gemacht.«
»Okay.« Ich war überrascht und hoffnungsvoll zugleich. Sollte es endlich bergauf für mich gehen? »Es wäre toll, wenn er das machen könnte.«
Claire scrollte bereits durch ihre Kontakte und ging langsam in einen anderen Raum, um ungestört telefonieren zu können.
»Wie sieht es mit Möbeln aus?«, erkundigte sich Nadia. »Sollen wir zusammen shoppen gehen?«
»Falls ich dich dafür einspannen könnte, wäre es toll.« Ich grinste entschuldigend.
»Was für eine Frage. Du weißt, dass ich es liebe, Geld auszugeben. Wenn es noch nicht einmal meins ist, kommt es dem Paradies gleich.« Ich lachte auf.
»Zu wann hast du den Umzug geplant?«, fragte Yve.
Ich verzog gequält das Gesicht, drehte mich kurz um, weil ich Claire im Nebenraum reden hörte. »So schnell, wie es eben geht. Das hängt von allen Umständen ab.«
»Das wird schon«, ermutigte mich Yve lächelnd und drückte aufmunternd meinen Unterarm.
»Und wenn nicht, kannst du erst einmal bei mir einziehen«, bot Nadia an.
»Lieber nicht«, winkte ich direkt ab. Nachdem ich jedoch das verletzte Gesicht meiner Freundin bemerkte, fügte ich rasch hinzu: »Sonst gewöhne ich mich nur an das Innenstadtleben und bereue in kürzester Zeit, dass ich mich in diese Wohnung hier verliebt habe.«
Nun grinste Nadia breit. »Würde sie näher an der Stadt liegen, wäre sie unbezahlbar.«
»Das stimmt wahrscheinlich«, bestätigte ich.
»Hauptsache, wir sind wieder komplett«, gab Yve mit einem ehrlichen Lächeln von sich.
Nadia riss die Lider auf. »Mädels, ich habe eine Idee!« Sie legte eine Spannungspause ein und Yve rollte bereits theatralisch mit den Augen, was mich zum Lachen brachte. »Das wird grandios!« Nadia wartete und schaute uns einzeln an, als würde sie damit die Spannung noch weiter steigern können. »Wir gehen Samstagabend feiern.«
»Warum überrascht mich nicht, dass dieser Vorschlag von dir kommt?«, fragte Yve und stemmte die Hände in die Hüften.
»Ich weiß nicht, was du meinst.«
»Ich kann nicht«, flüsterte ich.
»Oh«, stieß Nadia enttäuscht aus.
»Ich kann nicht einfach einen Abend ausgehen …«
Die beiden schauten mich mit großen Augen an.
»Thorsten hat zwar kaum Zeit«, unterbrach Claire die unangenehme Stille, als sie zurück in den Raum kam. »Aber er macht es gerne für mich.« Plötzlich fiel ihr die merkwürdige Ruhe auf und sie musterte uns. »Was ist los?«
»Nichts«, sagte ich schnell. »Super, danke. Wie wird es ablaufen?«
»Thorsten kommt gleich vorbei.« Claire schluckte und legte den Kopf schief. »Wenn das okay für dich ist?«
Überrascht zog ich die Augenbrauen hoch. Irgendwie hatte ich gehofft, dass meine Unsicherheit selbst meinen Freundinnen entgangen war. »Das ist perfekt. Ich muss nur noch kurz Peter Bescheid geben, dass es bei mir später wird.«
Nadia legte den Kopf schief und musterte mich aus zusammengekniffenen Augen. »Warum?«
»Damit er sich keine Sorgen machen muss.«
»Und wem sagst du Bescheid, wenn du alleine wohnst?«, fragte sie mittlerweile bissiger.
Von der unverhohlenen Aggressivität in ihrer Stimme schreckte ich zurück und schluckte schwer.
Nadia holte tief Luft, um noch etwas hinzuzufügen, aber Yve legte ihr die Hand auf den Arm. Sie verstand die stille Bitte.
»Was diese bezaubernde Frau wieder einmal ungeschickt ausdrücken wollte: Wir sind füreinander da. Du brauchst deinen Ex nicht mehr zu fragen, solltest du mit uns etwas trinken gehen. Du musst ihm auch nicht mehr erzählen, wenn du später nach Hause kommst. Ihr seid kein Paar mehr.«
»Aber er hat mich eben erst gefragt, wann ich zurück sein werde. Wenn ich nicht wie erwartet komme, macht er sich bestimmt Sorgen. Denn obwohl wir uns getrennt haben, können wir immer noch Freunde sein, die sich füreinander interessieren.«
»Das stimmt, natürlich«, räumte Yve ein und schob eine Strähne zurück in ihren Zopf.
Nadia ließ sich nicht mehr aufhalten. »Aber du sagtest gerade, dass du nicht einfach so ausgehen kannst.« Als ich sie unterbrechen wollte, hob Nadia eine Hand. »Johanna, du weißt, dass ich Peter noch nie wirklich leiden konnte. Er hat dich zu einer anderen Person gemacht. Deine Lebensfreude, die so viel von dir ausgemacht hat, verflog mit den Jahren. Er war ein Mann, der dich komplett eingenommen hat und dich deines eigenen Lebens beraubt hat. Du hast verlernt, wie man alleine lebt. Du bist niemandem mehr Rechenschaft schuldig. Du kannst leben, wie immer du es selbst möchtest. Du bist für ihn in eine andere Stadt gezogen, hast dir einen neuen – schlechteren Job – gesucht. Das sollen keine Vorwürfe sein.«
Ich schnaubte, aber ich konnte nicht verhindern, dass sich erneut Tränen in meinen Augen sammelten. Nadia beachtete meine Gefühle nicht und sprach unbeirrt weiter. »Das sind Tatsachen. Ich bin unglaublich froh, dass du endlich erkannt hast, dass Peter dir nicht guttut. Wir sind immer für dich da – waren wir die ganze Zeit. Du musst nur erkennen, dass du nicht alleine bist. Egal, wobei du Hilfe brauchst, wir werden da sein und gemeinsam eine Lösung finden. Wir helfen dir, dein Selbstbewusstsein und dein Lachen wiederzufinden. Das verspreche ich dir.«
Alle schauten überrascht Nadia an und nicht nur ich hatte Tränen in den Augen.
»Ich danke euch«, stieß ich schluchzend hervor und ließ erschöpft Kopf und Schultern hängen. Zuerst war es Nadia, die mich in die Arme schloss. Darauf folgten Claire und Yve, sodass wir zu viert in einer großen Umarmung standen.
»Aber diese Härte wäre wirklich nicht nötig gewesen«, zischte Claire zu Nadia.
Ich lachte freudlos auf und überraschte mit meinen Worten nicht nur die drei anderen, sondern auch mich selbst. »Manchmal braucht man die knallharte Wahrheit, um zu realisieren, wie ernst es ist. Es tut einfach so unglaublich weh.« Weitere Tränen fanden ihren Weg über meine Wange.
»Wir sind bei dir«, tröstete mich Yve.
»Du sollst dich nie wieder alleine fühlen«, fügte Claire sanft hinzu.
»Wir lieben dich«, gestand Nadia. »Auch wenn Peter nicht erkannt hat, wie wundervoll du bist, bedeutet das noch lange nicht, dass du es nicht bist. Manchmal passt es einfach nicht.«
»Ja«, schniefte ich. »Du … ihr habt recht. Aber er trägt nicht alleine die Schuld. Schließlich habe ich es akzeptiert, irgendwie.«
»Das wissen wir, Süße«, tröstete Claire mich und drückte mir einen Kuss auf die Wange.
Mein Magen knurrte in die Stille und wir brachen gleichzeitig in Gelächter aus. Ich löste mich aus den Umarmungen und wischte mir die Tränen weg. »Wisst ihr, wo ich hier am besten Pizza für uns alle bestellen kann?«
»Ich weiß nicht, ob bis hier draußen irgendwer liefern wird.« Nadia verzog bei ihren Worten bewusst das Gesicht.
»Übertreib nicht wieder so«, tadelte Yve sie erneut. »Jo, schau einfach in einer App nach.«
Überrascht blickte ich auf, bis sich langsam ein Grinsen auf meinen Lippen ausbreitete.
»Was ist?«, fragte Yve und schaute mich mit schief gelegtem Kopf an.
»So hat mich lange Zeit niemand mehr genannt«, gestand ich leise.
»Wenn es so ist, wird es aber höchste Zeit.« Yve zwinkerte und ein warmes Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. »Ich hole eben nur die Decke aus meinem Wagen. Wenn wir uns auf den Balkonboden setzen, ist es nicht ganz so unbequem.«
»Gute Idee«, stimmte Claire zu. »Ich komme mit runter. Wenn Thorsten vorfährt, weiß er, dass er hier richtig ist.«
»Wir haben das Haus auch gefunden«, widersprach Yve noch, als Claire ihr die Hand in den Rücken legte und sie aus der Wohnung schob.
Ich gesellte mich zu Nadia auf den Balkon und wir quatschten über ihre Arbeit, während sie eine Zigarette rauchte.
Keine Viertelstunde später klingelte es. Claire und Yve kamen die Treppen herauf, dicht gefolgt von einem Mann. Ich legte den Kopf schief und musterte den Neuankömmling eingehend.
»Das ist Thorsten«, stellte Claire ihn vor und deutete auf den breitschultrigen Kerl, der seine Haare so kurz geschoren hatte, dass man die Haarfarbe lediglich erahnen konnte. Seine Augen waren grau und ernst. Er trug Malerkleidung, die überall bunte Flecken aufwies.
Ich streckte ihm die Hand zur Begrüßung hin, aber er musterte mich nur neugierig. Nach einer gefühlten Ewigkeit nickte er lediglich in meine Richtung, bevor er feststellte: »Dich kenne ich.«
Langsam ließ ich meine ignorierte Hand wieder sinken. »Echt? Da musst du mir auf die Sprünge helfen«, erwiderte ich und lächelte ihn dabei an, obwohl mir eher danach war, diesen Typen einfach fortzuschicken.
»Du bist doch Daniels Kleine.«
Bei dem Namen zuckte ich zusammen, hoffte aber inständig, dass es meinem Gegenüber entgangen war. »Die bin ich schon lange nicht mehr. Woher kennst du ihn?«, erkundigte ich mich.
»Er war bei mir in der Klasse.«
Mit aufeinandergepressten Lippen nickte ich, erinnerte mich an meine Manieren und trat einen Schritt zur Seite. »Kommt erst einmal rein.«
Thorsten ging an mir vorbei und mein Blick fiel auf einen Ohrstecker. Ich verzog überrascht das Gesicht und schaute danach zu Claire.
Sie musterte mich neugierig und hob die Schultern. »Ich wusste nicht, dass ihr euch kennt«, zischte sie. Aber ich ahnte, dass die Worte für niemanden überhörbar waren, und riss mahnend die Augen auf. »Ich geh mal raus auf den Balkon zu den anderen.« Claire eilte an mir vorbei und ließ mich mit Thorsten alleine.
»Was hast du dir vorgestellt?«, erkundigte er sich bei mir und betrachtete seine Umgebung genau.
»Tapete drauf und Farbe drüber. Einfach so wenig Arbeit wie möglich für dich.«
»Strukturtapete oder Raufaser?«
Ich machte eine wegwerfende Handbewegung. »Raufaser reicht völlig.«
»Welche Farbe?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Was am einfachsten ist. Weiß?«
»Welchen Ton ich streiche, ist grundsätzlich total egal«, erklärte er, nahm seinen Blick von den Wänden und richtete ihn auf mich. »Möchtest du es denn nicht wohnlich haben?«
»Natürlich.« Ich musterte ausgiebig den kahlen Putz. »Das wird schon gehen.«
»Willst wohl nicht lange hierbleiben, was? Pass auf, ich tue hier der kleinen Schwester von Dan einen Gefallen. Eigentlich habe ich kaum Zeit, also …« Seine unausgesprochenen Worte hingen in der Luft.
Dieses Gespräch war mir zu feindselig. Ich drehte mich um, ging in die Küche und erkannte an den schweren Schritten hinter mir, dass Thorsten mir gefolgt war.
»Hier wäre wahrscheinlich eine Beschichtung sinnvoll. Damit ich die Wände abwischen kann.«
»Den Überzug auf die weiße Farbe?« Die dunkle Männerstimme tropfte vor Belustigung.
Genervt wirbelte ich zu dem arroganten Typen herum und funkelte ihn mit wütendem Blick an. »Wenn es dir nicht passt, kannst du gerne wieder gehen. Ich werde schon einen anderen Maler finden.« Mein Herz raste und ich atmete schwer. Was war nur mit mir los? So kannte ich mich gar nicht.
Ein Zucken seiner Mundwinkel ließ die Wut weiter in mir aufkochen und in der Sekunde, als ich ihn vor die Tür setzen wollte, hob er beschwichtigend die Hände.
»Alles gut. Ich werde deine Wände weiß streichen. Entspann dich.« Wir schauten uns einen Moment lang in die Augen, niemand schien klein beigeben zu wollen. »Waren das alle Räume?«
»Nein, das Schlafzimmer fehlt noch.« Eilig ging ich vor und mir wurde deutlich bewusst, dass Thorsten mir erneut folgte. Sobald ich das Zimmer betrat, machte ich eine Handbewegung. »Hier ist es.«
»Lass mich raten. Dieser Raum soll auch weiß gestrichen werden, oder?« Er schaute mich ernst an, allerdings funkelte es in seinen Augen bereits verdächtig.
Da ich befürchtete, meiner Stimme nicht trauen zu können, nickte ich lediglich.
»Du bist ein sehr trister Frauentyp, hm?«
»Ich bin doch nicht … Also, wenn dir das nicht passt …« Mir fehlten die richtigen Worte, sodass ich es nicht schaffte, einen Satz zu beenden.
»Entspann dich mal.« Er hob erneut beschwichtigend die Hände und schüttelte missbilligend den Kopf. »War nur ein Scherz.« Er schnaubte, bevor er sich umdrehte, und begann, sich umzuschauen.
Ich war mir allerdings nicht sicher, ob es nicht doch ernst gemeint war. Trotzdem beließ ich es dabei, weil ich die Situation nicht ausarten lassen wollte.
»Wie dem auch sei. Wann soll ich fertig sein?«, erkundigte er sich.
»So schnell es eben geht. Ich muss …«, ich brach ab. Ihm war ich keine Rechenschaft schuldig, daher erklärte ich mich nicht weiter. Unter keinen Umständen wollte ich diesem arroganten Kerl wissen lassen, dass ich momentan in einer Trennung steckte und mich so früh wie möglich wieder nach Ruhe in meinem Leben sehnte. So wie er sich gab, war er ein selbstgerechter Typ, der diese Worte nur als weiteren Beweis für meine Schwäche verstünde.
»Okay, ich komme morgen vorbei.«
»Super. Ich danke dir.«
Mit einer Kopfbewegung teilte er mir mit: »Ich messe alles nur mal eben aus, damit ich weiß, wie viel Farbe und Tapete ich besorgen muss.«
»Danke.« Da er schon einen Zollstock gezückt hatte, fühlte ich mich überflüssig, sodass ich den Raum verließ. Unentschlossen ging ich zum Balkon, auf dem sich die anderen zurückgezogen hatten. Nadia rauchte eine Zigarette und stieß den Rauch in den Himmel, Claire nahm einen Schluck aus der inzwischen fast leeren Sektflasche und Yve lächelte mir entgegen.
Nachdem Claire die perlende Flüssigkeit geschluckt hatte, sah sie mich neugierig an. »Und?«
»So ein arrogantes Arschloch habe ich schon lange nicht mehr kennengelernt. Stellt euch vor, er sagte, dass ich eher der triste Typ sei. Was erlaubt der sich eigentlich?«
»Thorsten? Wirklich?«, erkundigte sich Claire ungläubig.
»Ja, dein Thorsten.«
»Also, müssen wir morgen alleine tapezieren?«, fragte Yve nach und ich fühlte mich gleich besser. Nicht mehr einsam. Alles schien nur noch halb so schlimm.
»Nein, er macht es. Er fängt sogar morgen schon an.«
»So furchtbar, wie das bei dir klingt, kann er gar nicht sein. Außerdem sieht er von hier draußen ziemlich heiß aus«, stellte Nadia fest und fixierte einen Punkt hinter mir. Die anderen folgten ihrem Blick.
Claire rümpfte die Nase. »Für mich ist er eher wie ein großer Bruder. Er hängt immer mit Dan zusammen herum.«
»Ich finde ihn hübsch«, stellte Yve sachlich fest.
»Er trägt einen Ohrstecker«, erklärte ich und sah die drei angewidert an, da mit diesem Satz alles gesagt war.
»Und?«, fragte Nadia verwirrt.
Als hätte Thorsten unsere Blicke gespürte, schaute er zu uns herüber. Ertappt wirbelte ich herum. Claire und Yve grinsten sich an, während Nadia ihm zuwinkte. Sobald ich diese Bewegung von ihr sah, wurden meine Augen riesig und ich konnte mir ein Lachen nicht mehr länger verkneifen. Alle anderen fielen mit ein.
Endlich beruhigte ich mich und wagte einen Blick über die Schulter. Überrascht schreckte ich zurück, nachdem ich Thorsten selbstzufrieden grinsend in der Balkontür stehen sah.
»Das ›arrogante Arschloch‹ wäre jetzt fertig«, stellte er fest.
Unsere amüsierten Gesichter fielen in sich zusammen und ich fühlte mich augenblicklich schlecht. Wie hatte er es mitbekommen können? Ich schaute zum Fenster und … es war offen. Shit!
»Also, ich …«
»Ich brauche noch einen Schlüssel für die Wohnung«, fiel er mir knapp ins Wort.
»Ja, natürlich.« In diesem Moment hätte ich alles gemacht, damit ich der unangenehmen Situation entkommen konnte. Ich trat einen Schritt auf Thorsten zu, aber er wich nicht zurück. Daher musste ich mich an ihm vorbei in mein eigenes Reich quetschen und ärgerte mich gleich noch mehr über ihn.
»Ladys«, es entstand eine bedeutungsschwangere Pause, »Claire, es war mir eine Ehre«, hörte ich ihn noch sagen und meine Freundinnen kicherten wie pubertierende Mädchen.
Ich hockte mich wieder vor meine Tasche, die noch immer achtlos im Flur stand, und suchte nach dem Schlüssel. Mir war es unbegreiflich, wie ich Thorsten ein weiteres Mal in die Augen schauen sollte. Dass er meine Worte gehört hatte, war mir schrecklich unangenehm.
Endlich schlossen sich meine Finger um das kalte Metall, sodass ich mich erhob. Thorsten stand bereits hinter mir und wartete.
Mein Herz klopfte wie wild in der Brust und ich schluckte schwer, rang mit mir. Ich musste mich entschuldigen, das war mir klar. Fest drückte ich meine Hände zu Fäusten und die Fingernägel bohrten sich schmerzhaft in meine Handinnenflächen »Also, ich …«
»Vergiss es«, unterbrach er auch dieses Mal meinen Satz und griff nach dem Schlüssel.
»Aber den brauche ich wieder«, brach es aus mir hervor.
»Keine Sorge. Den behalte ich nicht länger als unbedingt nötig«, informierte er mich. Thorsten öffnete die Wohnungstür und trat in den Hausflur. Er zwinkerte mir zu, bevor er die Treppen hinablief und die Haustür hinter sich schloss.
»Scheiße!« Ich hatte es nicht darauf angelegt, dass er meine abwertenden Worte mitbekam. Natürlich wusste ich, dass meine Meinung ihm mit Sicherheit egal war, dennoch bereute ich es.
»Kannst du mir mal bitte sagen, warum du uns Thorsten bisher noch nicht vorgestellt hast?«, erkundigte sich Nadia in dem Moment lautstark, als ich wieder auf den Balkon trat.
»Wieso?«, fragte Claire verständnislos.
Nadia riss die Augen auf und warf die Hände in die Luft. »Weil er einfach gut aussieht.«
»Er ist wie ein zweiter Dan für mich.« Claire verzog angewidert den Mund. Allein der Gedanke, dass Thorsten gut aussehend sei, schien sie abzustoßen. »Hast du nicht zugehört?«
Nun war es Yve, die sich in die Diskussion einmischte. »Claire möchte nicht, dass man ihre Brüder gut aussehend findet.«
»Warum? Wenn es aber so ist.« Nadia schüttelte verständnislos den Schopf, sodass eine Strähne dabei hüpfte.
Claire rümpfte erneut die Nase. »Das wäre irgendwie ekelig.«
»Für dich. Aber glaube mir: Ich sehe Thorsten nicht als meinen Bruder.« Nadia wackelte mit den Augenbrauen.
»Bah, Nadia! Da entstehen Bilder in meinem Kopf, die ich dort nicht haben möchte.« Claire verzog angewidert das Gesicht.
Sie lachte nur und genoss diese Vorstellung viel zu sehr.
Als es erneut an der Haustür klingelte, erschrak ich und fragte mich, was Thorsten wohl vergessen haben könnte. Sobald ich jedoch die Tür öffnete, stellte ich fest, dass nicht er es war, der die Haustür aufschwang. Vielmehr kam das bestellte Essen, an das ich gar nicht mehr gedacht hatte.
Peter hatte beim Frühstück nicht ein Wort mit mir gewechselt. Am Abend zuvor war ich viel später als angekündigt in der gemeinsamen Wohnung angekommen und mich erwartete mein Bettzeug auf dem Sofa.