Rockstar, Kisses & Kids - Paula Herzbluth - E-Book
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Rockstar, Kisses & Kids E-Book

Paula Herzbluth

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Beschreibung

Nelly ist Erzieherin. Und ein Rockstar! Zumindest nutzt sie tagsüber ihr Gesangstalent sowie das Gitarrespielen, um ihre Schützlinge zu bändigen, während sie abends über die Bühne rockt. Dabei sind Augenringe und Dauermüdigkeit vorprogrammiert. Das alles ist Nelly egal, denn sie lebt ihren Traum und ist an so etwas wie einer festen Beziehung ohnehin nicht interessiert. Aus diesem Grund hat sie auch keinerlei Bedenken, als sie von dem ungeschriebenen Gesetz des neuen Arbeitgebers hört: Persönliche Bindungen zu Eltern und Kindern der Einrichtung sind strengstens untersagt. Aber manchmal kann eine einzige Person alle Ansichten verändern … Dieser Roman verdankt seine teilweise skurrilen Worte einer Vielzahl von Leserbegriffen, die vorab in einem Aufruf gesammelt wurden.

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Veröffentlichungsjahr: 2022

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ROCKSTAR, KISSES & KIDS

PAULA HERZBLUTH

INHALT

Vorwort

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

24. Drei Jahre später

25. Worte

Danksagung

Über den Autor

Copyright: © 2018 Paula Herzbluth

Coverfoto:

Gestaltung: © NaWillArt-CoverDesign

Motive: depositphotos.com - ©nikkytok

depositphotos.com - ©sababa66

depositphotos.com - ©Romul-2009

Korrektorat: Schreib- und Korrekturservice Claudia Heinen

Lektorat: Melanie Reichert – Buchstabenwirbel

2. Lektorat: Susan Liliales und Mia B. Meyers

Paula Herzbluth

c/o Sebastian Münch

Rechtsanwalt / Steuerberater

Großenbaumer Weg 8

40472 Düsseldorf

[email protected]

Alle Rechte vorbehalten. Ein Nachdruck oder eine andere Verwertung ist nachdrücklich nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin gestattet. Sämtliche Personen in diesem Text sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig.

VORWORT

Liebe Leserin, lieber Leser,

dieser Roman kommt dir sicherlich an manchen Stellen komisch vor und einige Worte sind vermutlich ungewöhnlich für ein Buch. Das möchte ich dir gerne erklären.

Nicht alle Worte aus dieser Geschichte stammen aus meiner Feder und ich bezeichne diese Geschichte gerne als Gemeinschaftsprojekt. Auf meiner Facebook-Seite habe ich vor einiger Zeit dazu aufgerufen, dass man sich an meinem neuen Buch beteiligen kann. Wörter, die mir genannt wurden, habe ich in diesen Roman mit eingebaut.

Es waren einige lustige, aber auch sehr ernste Wörter dabei. Am Ende der Geschichte habe ich eine Liste der Worte beigefügt, damit du weißt, welche Hinkelsteine nicht von mir stammen.

An dieser Stelle möchte ich mich noch einmal ganz herzlich bei all jenen bedanken, die sich beteiligt haben.

So, nun wäre das schon einmal geklärt und ich wünsche dir viel Spaß beim Lesen.

Deine

Paula

1

Martin, Paul und ich standen am Tresen eines gemütlichen Pubs und tranken das letzte Bier vor dem Auftritt. Die Wände hinter der Theke waren mit alten Tageszeitungen tapeziert, die in vergangenen Zeiten durch Nikotin vergilbt worden waren. Wir drei bildeten zusammen die Rockerdoll$ und traten in den nahe gelegenen Kneipen sowie auf Festen auf. Unsere Freundschaft war mir wichtig, weil wir bereits seit über zehn Jahre zusammen spielten und diese beiden Jungs für mich wie Familie waren.

Paul, unser Bassist, stützte seinen Ellenbogen auf die Theke und schaute mich mit seinen braunen Augen an. Er fuhr sich dabei durch das dunkelblonde Haar, was mir verriet, dass es ihm unangenehm war, was er zu sagen hatte.

»Scheiße, Nel, kannst du dir vorstellen, dass wir schon wieder in einem Blog für Geschwister gehalten wurden?«

Ich legte den Kopf in den Nacken und lachte laut auf. »Was soll ich sagen? Wir haben beide braune Augen, blondes Haar und sehen scheißegut aus. Das reicht den Leuten.«

Sein Blick glitt von meinen hohen Schnürboots über die löchrige Strumpfhose, unter der man das Tattoo auf meinem rechten Oberschenkel nur erahnen konnte, bis der schwarze Faltenrock die Sicht darauf versperrte. Das ebenso dunkle Tanktop war dagegen schlicht. Es gewährte freie Sicht auf mein Alice im Wunderland-Tattoo, in dem Alice, die auf meinem rechten Oberarm lebte, den Weg zum Verrückten Hutmacher wies, der direkt neben ihr meine blasse Haut verzierte. Die beiden sollten mich stets daran erinnern, dass alles möglich war, wenn man nur nicht den Glauben verlor.

»Natalie findet das nicht gerade lustig«, gestand Paul und verzog dabei leicht das Gesicht.

»Deine Freundin soll nicht so empfindlich sein. Schließlich ist es einfacher damit umzugehen, wenn wir nur als Geschwister dargestellt werden. Sie hätten uns auch als ein Liebespaar titulieren können«, gab ich zu bedenken. Daraufhin lächelte mir Paul verschwörerisch zu, sodass mir auf seiner linken Wange sein Grübchen auffiel. Vor rund fünf Jahren waren wir zur selben Zeit einsam gewesen. Nicht seelisch, das hätten wir auch so kompensiert bekommen. Vielmehr war es die körperliche Nähe eines anderen Menschen gewesen, die uns gefehlt hatte. Uns war beiden klar gewesen, dass wir zwei kein Interesse an einer Beziehung hatten, und es war angenehm gewesen, sich darüber keine Gedanken machen zu müssen. Diese Übereinkunft hatte Paul hastig beendet, als er Natalie kennenlernte. Natürlich war das für mich in Ordnung gewesen, aber sie hatte mit ihm auch wirklich Glück. Er war einer der guten Männer. Trotz allem hatte er mir das Versprechen abgenommen, dass diese Zeit unser Geheimnis bleiben würde. Er hatte keine Lust darauf, dass seine Freundin ihn eventuell aus der Band verbannen würde, weil wir in der Vergangenheit mal etwas miteinander gehabt hatten.

»Man sieht doch wohl, dass ihr niemals Geschwister sein könntet. Nel ist viel kleiner und sie hat im Gegensatz zu deinem Zinken eine Stupsnase«, mischte sich nun Martin ein. »Außerdem hat sie ziemlich geile Titten.«

Unser Schlagzeuger stellte das komplette Gegenteil von uns dar. Er hatte braune Haare, die sich mit Mitte zwanzig bereits lichteten und deshalb auf Millimeter gekürzt waren, was er aber mit einem längeren Ziegenbart zu kompensieren versuchte. Die einzige offensichtliche Gemeinsamkeit von uns waren die braunen Augen, die bei Martin allerdings an jenem Abend merkwürdig glänzten.

Ich fasste mir an meine hübsch verpackten Brüste und pushte sie in die Höhe, sodass im Ausschnitt zwei eindeutige Wölbungen zu sehen waren. Die beiden Augenpaare änderten ihre Richtung und blickten unverhohlen auf mein Dekolleté. Nicht nur die, auch ein Typ in unserer Nähe erlaubte sich einen Blick. Und der war wirklich nicht zu verachten. Eilig musterte ich sein dunkles Haar und die hellen Augen, die in einem unübersehbaren Kontrast standen, bevor ich mich wieder auf meine Bandmitglieder konzentrierte. »Ich weiß ja, dass die beiden süß sind, aber, Martin, du bist wie ein Bruder für mich, dir sollten meine Möpse im Normalfall gar nicht erst auffallen«, brüskierte ich mich gespielt ernst, folgte seinem Blick und fügte hinzu: »Wenn ich sie dir nicht gerade unter die Nase drücke.«

»Tatsachen darf man immer aussprechen«, brummte er.

»Wenn du fett wirst, werde ich dir das auch sagen«, stärkte Paul ihm den Rücken.

»Das ist etwas anderes«, verteidigte ich meinen Einwand. »Wirst du etwa krank?«, erkundigte ich mich bei Martin, um das Thema von meinen Brüsten abzuwenden. Irritiert von der Frage schaute er mich an. »Deine Augen«, erklärte ich knapp.

Er schüttelte langsam den Kopf. »Ich glaube, die sind vom Kontaktlinsenwechsel noch gereizt. Außerdem habe ich letzte Nacht schlecht geschlafen«, erwiderte er und wischte sich über die Stoppeln auf seinem Schädel.

»War sie gut?« Dabei konnte ich mir ein breites Grinsen nicht verkneifen.

Martin schmunzelte ebenfalls. »Ja, Mann.«

Ich boxte ihn an die Schulter und zwinkerte ihm zu.

»Wann fängt dein neuer Job an?«, wollte Paul wissen, bevor er einen Schluck aus seiner Bierflasche nahm.

»Letzten Montag«, erwiderte ich.

»Oh! Und?«

»Versnobte Leitung, gehobene Klientel, ganz wie befürchtet.« Ich zuckte mit den Schultern. »Ist nur ein Job.«

»Den du aber besser mal für etwas längere Zeit behalten solltest. Ich sag es dir gerne noch einmal: Deine Wechselfreudigkeit lässt deinen Lebenslauf nicht gerade im besten Licht dastehen.«.

»Ach«, ich winkte ab, »das wird sich schon finden. Das sind nur die anfänglichen Schwierigkeiten. Das kennt doch jeder.«

Der Barkeeper beugte sich über den Tresen und berührte mich am Arm, um meine Aufmerksamkeit zu bekommen. Erleichtert wandte ich mich ihm zu, da es mir noch immer nicht behagte, dass Paul so über mich dachte. »Ihr könnt gleich loslegen«, sagte er und deutete in die Richtung, wo unser Equipment längst aufgebaut dastand.

Euphorisch drehte ich mich zu den Jungs um und klatschte auffordernd in die Hände. »Wir können anfangen. Seid ihr bereit?«

»Ist das ein Scherz?«, fragte Paul amüsiert. »Wir sind heiß.«

Martin nickte und trank sein Bier mit einem letzten großen Schluck aus, bevor er es lautstark auf die Theke knallte. »Dann mal los«, forderte er.

Überrascht von dieser heftigen Reaktion zuckte ich zusammen. Martin war immer bedacht in seinem Verhalten, auch wenn er mal laut wurde, weil ihm etwas nicht passte. Dennoch arbeitete sein Hirn stets drei Schritte weiter, sodass er für mich oftmals eine Ruhe ausstrahlte, die ich beneidete. Daher schaute ich irritiert zu Paul, der verständnislos den Mund verzog und mit den Schultern zuckte.

Wir traten an unsere Instrumente, ich hängte mir meine Gibson um und stellte das Mikro richtig ein. Ich musterte die Gäste des Pubs. Viele saßen auf Stühlen, andere hatten sich am Tresen positioniert. Ich blieb visuell an einem Kerl hängen, der echt nett aussah. Auch im Zwielicht der spartanischen Beleuchtung konnte ich aus der Entfernung den Umriss des Typen ausmachen, der mir mit seinen strahlend blauen Augen auf die Brüste gestarrt hatte. Langsam zog ich meinen rechten Mundwinkel nach oben, während ich den Kerl weiterhin fixierte. Mit der linken Hand griff ich zum Mikrofon und beugte mich vor.

»Hallo zusammen«, begrüßte ich das Publikum. »Martin, am Schlagzeug, Paul am Bass und Nelly«, ich zeigte mit dem Daumen auf mich selbst, »das bin wohl ich. Wir sind die Rockerdoll$ und hoffen, dass wir euch ein wenig mit unserer Musik unterhalten können.« Vereinzelnd applaudierten Gäste und einer forderte lautstark, dass wir beginnen sollten. Eine weitere Aufforderung brauchten wir nicht, denn wir wussten, was wir wollten – und das hatte sich seit langer Zeit nicht geändert. Wir wollten rocken!

Wir stimmten die ersten Akkorde an und alles andere trat für mich in den Hintergrund. Für mich existierten nur noch die Verse des Songs und die Botschaft, die ich beim Schreiben des Textes hatte vermitteln wollen. Ich spürte wieder die allumfassende Trauer, einen geliebten Menschen verloren zu haben, die mich zu jener Zeit erfüllt hatte. Inzwischen glich dieses Gefühl nur noch einem Echo, es war ganz leise geworden. Wenn ich die Emotion weiterhin ein bisschen erhalten konnte, war auch dieser Song gerettet. Ohne das Gefühl könnte ich diesen Song und die tatsächliche Botschaft in ihm nicht mehr herüberbringen. Realistisch musste man bleiben.

Dem Song folgten weitere und in dem Moment, als ich in einem der Lieder über meine ersten Erfahrungen mit Jungs sang und dass ich die Liebe auch beim Sex in einer Nacht finden könne, besann ich mich wieder auf die Realität. Der Blick des schwarzhaarigen Typen kreuzte meinen. Er betrachtete mich ohne weitere Regung, allerdings spürte ich seine Musterung selbst mit geschlossenen Lidern und ein sehnsuchtsvolles Kribbeln erwachte in mir.

Eine halbe Stunde später spielten wir den letzten Akkord unserer Setlist und meine Stimme hallte in meinen Ohren nach, bevor die ersten auffordernden Rufe aus dem Gastraum der Kneipe aufflammten.

Die Rockerdoll$ waren hier bereits bekannt, sodass sie das Finale unseres Auftrittes forderten, in dem sie mich um einen Kuss baten.

Diese Tradition hatte ihren Anfang gefunden, als ich bei einem Schulkonzert etwas zu viel getrunken hatte. Damals hatte mir eine innere Stimme zugeflüstert, dass es eine geile Idee wäre, wenn ich von der Bühne klettern und meinen heimlichen Schwarm küssen würde. Oh Gott, hatte ich mich gut gefühlt – wenigstens für den Moment –, als meine Lippen, die von Luis getroffen hatten. Die Schüler um uns herum waren ausgeflippt und ich hatte eine Sekunde später eine saftige Ohrfeige spüren dürfen. Luis war kein Single mehr gewesen, was mir in meinen Tagträumen leider entgangen war. Zumindest waren bei dem darauffolgenden Auftritt das erste Mal die Rufe nach einer Wiederholung erklungen. Und wir, die Jungs und ich, fanden es eine ziemlich lustige Idee. Ich war jung, ungebunden und bereit gewesen, die Welt zu erobern. Daran hatte sich bis heute nichts geändert. Eine Tradition hatte somit ihren Anfang gefunden und das Publikum forderte auch an diesem Abend deren Erfüllung ein.

Mit einem tiefen Gefühl der Zufriedenheit stellte ich die Gibson auf den Gitarrenständer und richtete meinen Blick auf einen ganz bestimmten Typen. Auch dieses Mal empfing er mich lediglich mit einem coolen Gesichtsausdruck, als hätte er bereits zu Beginn des Konzerts gewusst, dass ich ihn erwählen würde. Irgendetwas störte mich daran, ich konnte es allerdings nicht genau benennen. Daher fasste ich kurzerhand einen Entschluss. In dem Moment, als ich vor ihm hätte stehen bleiben müssen, machte ich einen weiteren Schritt an ihm vorbei und sah einer Brünetten in die Augen. Sie lächelte mich schüchtern an, was ich als Aufforderung verstand. Langsam, um ihr die Chance zu geben, die Flucht zu ergreifen, überwand ich die Distanz und küsste zum ersten Mal in meinem Leben eine Frau.

Der Applaus brandete über mich hinweg und ich genoss ihn bereits, als die fremde Zunge noch meine liebkoste. Behutsam löste ich den Mund von dem der Braunhaarigen und streichelte ihr mit einem tiefen Blick in die Augen zärtlich über die Wange. Abermals schenkte sie mir ihr schüchternes Schmunzeln, jedoch wusste ich nach diesem Kuss, dass er Show war. Unsichere Menschen übernahmen nicht plötzlich die Kontrolle, wie sie es getan hatte, und doch war es in dem Augenblick genau das Richtige gewesen.

»Ich danke dir«, flüsterte ich ihr ins Ohr und als ich ihr erneut in die Augen schaute, blitzte Schalk darin auf, sodass ich meine Vermutung bestätigt sah. Breit grinsend drehte ich mich um und lief auf die kleine Bühne zu. Immer wieder klopfte man mir anerkennend auf die Schulter oder man nahm mich in die Arme, um mit mir ein Selfie zu machen. In Momenten wie diesen war es einfach, zu denken, dass man ein berühmter Rockstar wäre und mit solchen Auftritten seinen Lebensunterhalt bestreiten könnte.

Paul kam mir entgegen und boxte mich gespielt leicht in die Seite. »Du schaffst es wirklich, uns alle zu überraschen!« Ich zwinkerte ihm zu und blickte von unserem Bassisten zu Martin.

Er saß noch hinter dem Schlagzeug und spielte mit den Drumsticks, als wäre er unschlüssig. Skeptisch, warum nicht auch er diese Euphorie spürte, trat ich vor ihn. Musste ich mir Sorgen machen? Er war heute anders als sonst. Nach den anderen Auftritten sprang er sonst immer als Erster auf. Träge hob er das Kinn und sah mich unschlüssig an.

»Was ist los?«, wollte ich wissen.

Schnaubend schüttelte er den Kopf, schaute mir dennoch weiterhin tief in die Augen.

Irgendetwas störte mich darin. Ein verächtlicher Ausdruck gepaart mit – ich konnte es einfach nicht benennen.

»Habe ich etwas gemacht, das …« Mitten in meiner nächsten Frage wurde ich unterbrochen, indem mir jemand von hinten auf die Schultern klopfte. Ich wandte den Kopf, um nachzuschauen, wer meine Aufmerksamkeit einforderte.

»Hey«, begrüßte mich der schwarzhaarige Typ aus dem Publikum. Eher gesagt erahnte ich dieses Wort, da laute Musik plötzlich aus den Lautsprechern ertönte, und es nahezu unhörbar machte.

Ehrlich überrascht drehte ich mich zu ihm. »Hallo«, sagte ich wenig geistreich und versuchte, meine Verwirrung über sein Erscheinen zu verbergen.

»Geiler Auftritt!« Er beugte sich dabei näher zu mir, damit er nicht schreien musste.

Mir stieg der Duft seines herben Aftershaves in die Nase und ich schloss eine Sekunde genussvoll die Augen. »Enttäuscht, dass ich nicht dich auserkoren habe?«, fragte ich nah an seinem Ohr.

Sein Gesichtsausdruck konnte ich daher nicht sehen, sodass ich gespannt auf eine Antwort wartete. Er schnaubte kurz und ich entnahm diesem Geräusch, dass ihn meine Frage verblüffte.

»Überraschenderweise schon.« Mit jeder Silbe berührten seine Lippen meine Ohrmuschel. »Meiner Frau würde das jedoch nicht gefallen.«

Ich schaffte etwas Distanz zwischen uns. »Kennst du die Traditionen?«

»Klar.«

»Warum hast du dann nicht einfach dein Bier in die Hand genommen?«, erkundigte ich mich.

Eine Idee, die Paul und Martin gehabt hatten, nachdem ich den zweiten Auftritt mit einem finalen Kuss beendet hatte. Paul erklärte mir, dass er noch immer Albträume von der Ohrfeige hätte, die ich mir von Luis’ Freundin eingefangen hatte. Dass ich beim zweiten Kuss nicht wieder einen vergebenen Typen ausgewählt hatte, schrieb er dem Glück zu. Daher die Regel: Wer vergeben war oder nicht von mir geküsst werden wollte, sollte ein Getränk in die Hände nehmen. Unter dem Rest würde ich meine Wahl treffen – und das galt schließlich noch immer.

»Ich lebe gerne am Limit«, meinte er und ich schaute ihn irritiert an.

»Wenn du damit eine Scheidung riskieren möchtest …« Gleichgültig zuckte ich mit den Schultern. »Also bist du hier, um unseren Auftritt zu sehen?«

»Habe ich mich schon vorgestellt?«, überging er meine Frage.

Misstrauisch schüttelte ich den Kopf.

»Isaac Lombert.« Er hielt mir die Hand hin und ich ergriff sie.

»Nelly Chaosprinzessin«, erwiderte ich leichthin.

Er legte den Kopf in den Nacken und lachte schallend, bevor er mich kopfschüttelnd ansah. »Was machst du beruflich, Chaosprinzessin?«

Verwirrt über den Themenwechsel schaute ich ihn fragend an. »Du meinst, wenn ich nicht gerade auf der Bühne stehe?«

»Ganz genau«, bestätigte er.

»Warum möchtest du das wissen, wenn du doch verheiratet bist?«

In seinen Augen blitzte kurz etwas auf – was, das konnte ich nicht benennen. »Vielleicht möchte ich dir ein Angebot unterbreiten?«

»Also, deine Fantasien brauchst du mir nicht erzählen. Daran habe ich kein Interesse.«

»Tz, tz, Nelly Chaosprinzessin, was denkst du nur?«, erkundigte er sich wieder dichter an meinem Ohr und ich war mir sicher, dass er mit seinen Lippen absichtlich über die empfindliche Haut streifte. Ein sinnlicher Schauder lief über meinen Körper. »Ich wollte dich fragen, ob du nicht Lust hast, nächste Woche Donnerstag im Poseidon aufzutreten. Wir hatten die Ratcrafts gebucht, aber die mussten absagen. Der Frontmann hat eine Kehlkopfentzündung und fällt erst einmal aus.«

Überrascht trat ich zurück. Das Poseidon war eine Großraum-Diskothek und es war schon immer unser Traum, eines Tages auf einer großen Bühne wie dieser zu stehen. Das wäre der erste Schritt in die richtige Richtung. »Echt? Wir könnten …« Mir verschlug es die Sprache, daher räusperte ich mich und ließ die Worte einen Augenblick auf mich wirken. Ich schaute an Isaac vorbei zu Paul, der gerade an einem Bier nippte, und die ersten Zweifel schlichen sich ein. »Wir sind eine Band. Rockerdoll$ gehen nicht plötzlich getrennte Wege und ohne die Jungs wäre mein Sound auch nicht mehr derselbe. Ist dir das klar?«

»Auch wenn ich es bedaure, das zu hören, gilt das Angebot natürlich auch für eure komplette Band.«

»Gehört dir etwa der Laden?«

»Ich bin der Event-Manager.«

»Okay«, erwiderte ich, vollkommen von meinen Gedanken eingenommen. Konnte das wirklich wahr sein? War das die Chance, auf die wir so lange gewartet hatten?

»Dann macht ihr es?«, erkundigte sich Isaac und riss mich damit aus meinen Überlegungen.

»Keine Ahnung. Das kann ich nicht allein entscheiden.«

Er reichte mir eine Visitenkarte. »Bis morgen müsste ich Bescheid wissen.«

Wie in Trance bejahte ich und griff nach dem kleinen Kärtchen. Isaac hielt sie jedoch fest, sodass ich ihn fragend anschaute.

Er beugte sich zu mir hinunter und verharrt kurz vor meinem Gesicht. »Vielleicht fällt deine Wahl nächste Woche anders aus …«

»Nelly«, rief mich Paul, sodass ich mich abrupt nach ihm umschaute. Er winkte mich zu sich.

Als ich Isaac meine gepfefferte Antwort entgegnen wollte, war er bereits verschwunden. Suchend sah ich über den Schankraum, konnte ihn aber nur noch durch den Ausgang treten sehen, bevor Paul lachend auf mich zukam.

»Nel, was ist los?«

»Der«, ich zeigte verblüfft in Richtung Tür, »hat mir gerade ein unmoralisches Angebot gemacht.« Nachdenklich schaute ich Paul an.

»Welches denn?«, fragte er neugierig.

»Wir können nächste Woche im Poseidon auftreten, wenn ich dafür …«

»Echt?«, unterbrach er mich und seine Augen wurden riesig. »Martin, komm mal schnell her«, und winkte ihn zu uns. »Nel hat einen Gig für uns klargemacht.«

»Wo?«, erkundigte sich dieser monoton.

»Ich sag nur ein Wort«, Paul legte eine demonstrative Spannungspause ein, »Poseidon«, hauchte er, malte mit beiden Händen Halbkreise in die Luft und sah verträumt an die Decke.

Über so viel Schauspieltalent musste ich plötzlich lachen.

»Geil«, stellte Martin gedehnt fest und kaute nachdenklich auf seiner Lippe herum. »Das sollten wir feiern.«

»Ja, coole Idee, Martin«, ich hielt ihm euphorisch meine Hand zum High-five entgegen, er tippte lediglich ab.

»Dann gebe ich Natalie nur kurz Bescheid, dass sie herkommen kann«, sagte Paul und holte bereits sein Telefon aus der hinteren Hosentasche hervor.

Martin verzog das Gesicht, als würde er sich über irgendetwas ärgern. »Was hat sie denn damit zu tun? Sie gehört doch nicht zu uns.«

Verwirrt tauschten Paul und ich einen Blick.

»Aber Natalie gehört dazu, zu Paul. Wir sind eine Familie«, versuchte ich, Martin umzustimmen.

Paul winkte ab und schaute mich schmallippig an. »Ach, lass nur, dann feiern wir eben ohne sie. Ich kann es ihr ja auch morgen noch erzählen.«

Mich konnte er über seine Frustration nicht hinwegtäuschen, ich hielt mich aber zurück, nahm mir jedoch vor, das zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal zu thematisieren.

»Was war an dem Angebot eigentlich unmoralisch?«, erkundigte sich Paul, als wir zur Theke liefen, um weiteres Bier und Shots zu bestellen.

Da ich die Vorfreude der Jungs gesehen hatte, wollte ich ihnen durch Isaacs unvollständigen Satz nicht die Stimmung vermiesen und schüttelte lächelnd den Kopf, ehe ich seine Geste nachahmte und hauchte: »Poseidon!«

Lachend rempelte er mich sachte von der Seite an, bevor wir die Theke erreichten, an der Martin schon ungeduldig mit den Händen einen Takt trommelte.

2

Mit kräftigen Bewegungen schüttelte ich meine anthrazitfarben bezogene Bettdecke auf, bevor ich sie glatt strich. Die Sonne schien ins Zimmer und zeigte mir, dass uns warme Stunden bevorstehen würde und nicht so ein typisch britischer Frühlingstag. Das war etwas, das ich nicht aus meiner Heimat vermisste.

»Lorie, bist du angezogen?«, erkundigte ich mich über die Schulter hinweg.

Da keine Antwort kam, ging ich in Lauras Zimmer am Ende des Flures. »Schätzchen, wir fahren jetzt zu Granny, sie erwartet uns. Aber im Nachthemd und ungewaschen nehme ich dich nicht mit.« Ich verzog das Gesicht. »Nachher denkt sie noch, dass ich ein strubbeliges Gespenst am Straßenrand gefunden habe.«

Meine Tochter schüttelte vehement den Kopf. Ihre blauen Augen hatte sie eindeutig von mir geerbt, was ich oft bedauerte. Wenn sie das Grün ihrer Mutter vererbt bekommen hätte, würden meine Erinnerungen an sie nicht langsam in einem Nebel versinken. Dennoch hinterließ die Zeit ihre Spuren, sodass ich mir immer öfter Fotos anschauen musste, um damit wieder ein klares Bild meiner Frau aufleben lassen zu können. Die Aufnahmen bewiesen mir, dass Laura ihre Gesichtszüge und ihr schüchternes Lachen nicht von mir hatte, sondern die Ähnlichkeit zu Matilda bestand.

»Granny würde mich immer erkennen«, holte Laura mich aus den wehmütigen Gedanken.

Ich riss im gespielten Entsetzen die Augen auf. »Bist du dir sicher? Nicht, dass sie den Auflauf noch jemand anderem anbietet«, gab ich zu bedenken. Damit waren alle weiteren Überzeugungskünste unnötig. Laura sprang aus ihrem Bett, zog sich aus und in Lichtgeschwindigkeit wieder an. »Jetzt noch die Zähne putzen, dann können wir auch los. Granny freut sich auf das gemeinsame Mittagsessen.«

Nachdem dies auch erledigt war und ich Lauras rotbraune, schulterlange Haare gebürstet hatte, saßen wir eine halbe Stunde später in meinem Firmenwagen, und fuhren die kurze Strecke zu meiner Mutter. Ich verbrachte – jobbedingt – bereits viel zu viel Zeit in dem Wagen und war daher froh, als ich ihn am Straßenrand einparken konnte. Sobald das Auto am Bordstein vor dem älteren Einfamilienhaus stand, sprang Laura bereits hinaus, klingelte und hüpfte aufgeregt auf und ab, ehe die Tür aufschwang.

»Da seid ihr ja«, begrüßte uns meine Mutter, bevor sie Lorie in die Arme schloss. Zufrieden beobachtete ich das mir vertraute Ritual zwischen den beiden. Sobald sie sich lösten, reckte meine Mum sich zu mir hoch und küsste meine unrasierte Wange. »Du siehst schlecht aus«, stellte sie leise fest.

»Ich freue mich auch, dich zu sehen«, erwiderte ich trocken.

Sie klopfte mir zärtlich auf den Oberarm, bevor sie ins Inneres des Hauses trat. »Ich muss in die Küche zurück. Der Salat macht sich schließlich nicht von allein«, sagte sie und überließ mich mir selbst.

»Daddy, liest du mir etwas vor?«, bettelte Lorie aus dem Wohnzimmer.

»Lass mich erst kurz mit Granny sprechen, ja? Danach verspreche ich dir, dass ich dir vorlese. Du kannst ja schon mal ein Buch raussuchen.«

Der angenehme Geruch von zu Hause und frisch gebackenem Irgendwas empfing mich und ich naschte einen von den Keksen – die waren es wohl –, die zum Abkühlen auf einem Rost lagen.

»Wie lange hast du gestern gearbeitet?«, erkundigte sich meine Mutter, konzentrierte sich währenddessen aber auf das Zupfen des Salates.

Ich lehnte mich an die Arbeitsfläche und verzog ertappt das Gesicht. »Es ist spät geworden.«

»Wann hast du denn mal Wochenende?«

»Mum, ich muss eben die Arbeit auffangen, die ich unter der Woche nicht bewältigt bekomme, weil ich Lorie ins Bett bringen will. Möchtest du mir das wirklich vorhalten?«

»Du schuftest zu hart. Geld ist nicht alles, Adam. Damit kann man sich kein glückliches Leben kaufen.«

Treffsicher wie eh und je platzierte sie ihre Argumente. Es war nicht die erste Diskussion, die wir wegen meiner Arbeit führten, und wenn ich ehrlich zu mir selbst war, wusste ich auch, dass sie recht damit hatte. Dieses Mal ersparte sie mir die Erinnerung daran, dass ich mit Laura einen Grund hatte, mein Leben nicht aufzugeben.

Müde wischte ich mir über die Augen, bevor ich mir einen weiteren Keks stibitzte und ihn mir in den Mund steckte, um nicht antworten zu können.

»Weißt du, Laura braucht dich«, schob sie ihre Enkelin vor.

Ich schluckte die Keksreste herunter. »Aus diesem Grund mache ich auch unter der Woche früher Feierabend und muss das am Wochenende ausgleichen, das weißt du doch. Wirklich, ich bin dir unendlich dankbar dafür, dass du sie immer von der Kita abholst und ich dich später ablösen kann. Aber deswegen ist es noch lange nicht fair, wenn du mir das jedes Mal vorhältst.«

»Wie stellst du dir das eigentlich vor, wenn ich im Urlaub bin? Wie soll das gehen?«

»Das wird schon funktionieren, darüber musst du dir nun wirklich keine Gedanken machen. Außerdem habe ich auch noch Zoé, unseren Babysitter, die ich im Notfall anrufen kann.«

»Erstens, Adam, meine Sorgen gehören mir«, wies sie mich umgehend zurecht. »Und zweitens steckt Zoé nicht mitten in ihren Abiturklausuren?«

»Du brauchst auch eine Pause. Vielleicht ist es an der Zeit, dass ich mir eine andere Lösung überlege. Du wirst schließlich nicht jünger.«

Meine Mutter drehte sich mit zornigem Blick zu mir um. »Wie stellst du dir das vor? Soll etwa eine Fremde deine Tochter großziehen?«

Tief durchatmend schloss ich die Augen.

»Schäm dich, dass du allein einen Gedanken daran verschwendest. Matilda hätte …«

»Halte Matilda da heraus«, unterbrach ich sie energisch. »Sie kann keine Entscheidungen mehr treffen, das übernehme ich. Ich weiß deine Hilfe wirklich zu schätzen, aber du solltest nicht ständig mein Urteil infrage stellen.«

Laura trat in den Türrahmen. »Nicht streiten«, flüsterte sie. Ihr sorgenvoller Gesichtsausdruck stach mir mitten ins Herz.

»Wir streiten nicht«, sagte ich und trat zu ihr, um sie beruhigend in die Arme zu nehmen. »Granny und ich diskutieren nur ein wenig.«

»Wegen mir?«

»Nein, nicht wegen dir, Lorie-Schätzchen. Weil dein Vater ein Sturkopf ist«, mischte sich Charlotte ein.

»Was er von seiner Mum geerbt hat«, erwiderte ich. Dieser Einwand brachte Charlotte zum Lächeln. »Granny fährt diese Woche in den Urlaub und sie macht sich Sorgen, dass wir beide das nicht ohne sie hinbekommen.«

Laura blickte mich nachdenklich an. Ihr Haar umrahmte ihr Gesicht. »Um mich pünktlich abzuholen, musst du nur früher Feierabend machen«, gab sie zu bedenken.

Aus dem Augenwinkel sah ich, wie meine Mutter die Arme vor der Brust verschränkte und mich triumphierend ansah.

»Das wird schon klappen«, erwiderte ich überzeugt.

»Ich könnte den Urlaub auch absagen.«

Ich seufzte auf.

»Oder verkürzen.«

Natürlich wusste ich, dass ihre Vorschläge nur nett gemeint waren. Mit Mitte sechzig brauchte auch sie ihre Ruhe und nicht tagtäglich einen kleinen Wirbelwind um sich herum.

Vehement schüttelte ich den Kopf. »Nein, ich habe dir diese Reise nicht ohne Grund geschenkt. Du solltest dir die Welt anschauen und deine Gesundheit genießen. Laura und ich bekommen das auch ohne dich hin.« Irgendwie, fügte ich in Gedanken hinzu.

»Wir werden sehen«, sagte meine Mutter und hob ihre Enkelin auf die Arbeitsplatte. Ihr kurzes Innehalten in der Bewegung entging mir nicht und ich presste die Lippen fest aufeinander, damit ich sie nicht darauf hinwies, dass sie Laura wegen ihres Rückens nicht immer hochheben sollte. Sie wollte nicht auf mich hören. Altersstarrsinn würde ich meinen. Wenn sie nicht immer wieder darauf bestehen würde, dass Laura ihr nicht zur Last fiel, hätte ich gar keine Alternative, als mich nach einem Kindermädchen umzuschauen. Es war nicht gerade so, dass ich diese Option bevorzugen würde. Aber was sollte ich tun? Der Job war meine Zufluchtsstätte, an der ich nicht an meine Ehefrau denken musste. Hier konnte ich mich in der Arbeit verkriechen und musste nicht über meine Familie – oder die Reste eben dieser – nachdenken. Eine Flucht aus der Realität, zum Leidwesen meiner Tochter. Noch immer. Erinnerungen, die noch immer schmerzten, auch nach all den Jahren. An besonders schlimmen Tagen fragte ich mich, ob ich überhaupt noch in der Lage war, zu lieben.

---ENDE DER LESEPROBE---