Suche mich, finde dich - Paula Herzbluth - E-Book
SONDERANGEBOT

Suche mich, finde dich E-Book

Paula Herzbluth

0,0
3,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 3,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Vickys heile Welt gerät aus den Fugen, als sie vor den Trümmern ihrer Ehe steht. Plötzlich stellt sie alles infrage und begreift, dass sie nicht einmal mehr weiß, wer hinter ihrer selbst errichteten Fassade steckt. Wer ist sie, wenn sie sich selbst zuhört und ihre Wünsche berücksichtigt? Ihr bester Freund Christian macht es sich zur Aufgabe, ihr bei der Suche beizustehen. Er begleitet sie auf einer Reise zu sich und hilft ihr von Woche zu Woche, sich wieder besser kennen- und liebenzulernen. Denn er geht fest davon aus, dass die Facetten von Vicky, die sie verloren glaubt, noch immer in ihr schlummern.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2022

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Copyright: © 2021 Paula Herzbluth

Coverfoto:

Gestaltung: © NaWillArt-CoverDesign

Motive: © envato.elements.com

Korrektorat: Schreib- und Korrekturservice Claudia Heinen

Paula Herzbluth

c/o Sebastian Münch

Rechtsanwalt / Steuerberater

Großenbaumer Weg 8

40472 Düsseldorf

[email protected]

Alle Rechte vorbehalten. Ein Nachdruck oder eine andere Verwertung ist nachdrücklich nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin gestattet. Sämtliche Personen in diesem Text sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig.

INHALT

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Epilog

Nachwort

Danksagung

Wenn nichts sicher ist,

ist alles möglich.

KAPITELEINS

VICKY

Erschöpft streckte ich mich.

Die Überstunden zeigten ihre Spuren. Die finalen Arbeiten an den Plänen für das neue Firmengebäude der Schuber & Söhne AG forderten ihren Tribut und ich blinzelte mehrfach, als ich alles doppelt sah. Die letzten Stunden hatte ich so intensiv an den Berechnungen gesessen, dass der Schulter- und Nackenbereich völlig verspannt war. Und doch störte mich etwas an diesem Entwurf. Es war nicht so, dass ich den Daumen darauf legen konnte. Vielmehr war es ein Flattern über den Sinnen, das mich dazu gebracht hatte, schon wieder länger hierzubleiben.

Für den Moment schloss ich die Augen, während ich den Kopf kreiste und mir mit leichtem Druck über die Stelle unter dem Haaransatz massierte.

»Und? Hast du es geschafft?«, holte mich die Stimme meines Firmenpartners aus der wohltuenden Reibung, sodass ich die Lider öffnete.

Christian lehnte im Türrahmen und musterte mich mit einem Schmunzeln. Sein Äußeres war wie immer makellos. Lediglich, dass er die Hemdsärmel hochgekrempelt hatte, hätte man als Fauxpas werten können. Mich störte die Sicht auf starke Unterarme nicht, im Gegenteil. Dieser Aufzug gepaart mit dem teuflisch hübschen Gesicht, das ihm Zugang zu sämtlichen spitzenbesetzten Damenslips ermöglichte und beinahe ebenso viele Herzen gebrochen hatte, wirkte lässig. Selbst bei Kundengesprächen, bei denen er souverän auftrat, umgab ihn ständig ein leichter Hauch dieser Ausstrahlung. Vielleicht waren es die braunen Augen, die zu jeder Zeit eine jugendliche Leichtigkeit bewiesen. Möglicherweise trug das einseitige Grübchen auf der linken Wange daran Schuld. Vermutlich lag es an der Summe all der Kleinigkeiten.

»Ja, endlich«, besann ich mich auf seine Frage nach dem Feinschliff in meinem aktuellen Projekt. »Sieh es dir an.« Mit einer Kopfbewegung forderte ich ihn auf, sich von meiner Arbeit zu überzeugen.

Christian stieß sich in einer fließenden Bewegung vom Türrahmen ab und trat um den Arbeitsplatz herum, um sich hinter mir zu positionieren. Er legte mir beide Hände auf die Schultern und beugte sich leicht vor. Ich spürte seinen Atem auf dem Haar. Die Daumen begannen mit kreisender Wendigkeit die Muskeln zu lockern und ich schloss genussvoll die Lider. Leise seufzte ich auf.

»Das macht einen soliden Eindruck.«

Erschrocken verspannte ich mich, öffnete die Augen und wirbelte auf der Sitzfläche herum, damit ich Christian ansah. »Solide?«

Er lachte melodisch. »Schau nicht so empört. Ein Meisterwerk ist es nicht.«

Entrüstet schnappte ich nach Luft. Christian besaß das Talent, jeden kleinen Fehler mit einem Wimpernschlag aufzudecken, beinahe mühelos. Zu meinem Leidwesen teilte er mir das schonungslos mit. Dieser Fakt machte meine Arbeit interessanter und gab ihr damit einen gewissen Schliff. Aber das sprach ich nicht aus. Sein Ego musste schon den Bauch einziehen, um in den tadellos sitzenden Anzug zu passen. »Was würdest du ändern?«

Christian schaute nachdenklich auf den ersten Entwurf. »Für mich wirkt alles zu durchdacht, aber mir fehlt deine Handschrift.«

»Wie groß ist mein Spielraum, wenn Herr Schuber einen klaren Auftrag erteilt hat?«

»Du bist der Profi.« Christian zuckte mit den Schultern. »Überzeug ihn, dass schlichte Extravaganz den gewissen Wiedererkennungswert hat. Sonst verschwindet das Gebäude in der Masse, es hat keine Kanten und ist charakterlos. Damit wirst du nicht glücklich, das zeichnet nicht unsere Arbeit aus.«

Ohne es zu wollen, dachte ich an die zahlreichen Stunden, die das kleine Team von Angestellten und ich für die Erstellung des Entwurfes gebraucht hatten.

»Manchmal hasse ich dich«, gestand ich.

»Solange die Zeit überwiegt, in der du mich und mein Können vergötterst, ist es mir recht.«

Seine Daumen nahmen ihre Arbeit auf, aber ich klopfte sachte darauf.

»Lass das bitte. Wie es aussieht, muss ich heute weitere Überstunden leisten.« Enttäuschung hatte sich in mir ausgebreitet und ich war zu sehr in der Kritik gefangen, als dass ich mich jetzt entspannen konnte.

»Es sind keine Überstunden, wenn du dein eigener Chef bist.«

»Wäre dem tatsächlich so, ginge der Entwurf morgen an Herrn Schuber raus.«

»Vicky, es war nur ein Vorschlag. Nichts weiter.«

Ich brummte etwas Unverständliches. »Du hast aber recht«, gab ich widerwillig zu. »Nur macht es das nicht besser.«

»Wie immer«, ergänzte er.

»Verschwinde endlich«, scheuchte ich ihn mit einer beiläufigen Handbewegung und einem unwilligen Grinsen aus dem Büro.

»Mach für heute Schluss. Morgen ist ein weiterer Tag, an dem du die Änderungen vornehmen kannst. Und außerdem vergisst du den Vorteil, dass du danach mit zwei Entwürfen vor Herrn Schuber prahlen darfst.«

Abermals seufzte ich. »Wahrscheinlich hast du recht. Um die Zeit macht es keinen Sinn mehr.«

»Sollen wir gemeinsam einen trinken gehen?«, erkundigte er sich.

»Nein, durch das Projekt habe ich in den letzten Wochen unzählige Überstunden gemacht, daher fahre ich jetzt nach Hause. Vielleicht mit einer Flasche Rotwein. Keine Ahnung.«

»Du erhoffst dir wohl Entspannung mit deinem Mann.«

Ich lachte auf, auch wenn mir gar nicht danach zumute war. Christian hatte ins Schwarze getroffen. Nicht, dass ich auf Sex mit Robert hoffte, vielmehr, dass ich völlig angespannt war. Ob es an dem Minimalismus körperlicher Zuneigung oder an dem Maximalismus des Arbeitspensums lag, das ich mir auflud, um nicht weiter über die fehlende Nähe nachzudenken, konnte und wollte ich nicht benennen. Dennoch half womöglich ein guter Tropfen, damit wir uns in Ruhe unterhielten. Und mit ein bisschen Glück konnte ich auf mehr hoffen.

Übertrieben dramatisch seufzte Christian. »Dann schaue ich mal, dass ich eine nette Begleitung für den einen oder anderen Drink finde.«

»Daran sollte es nicht scheitern.«

»Aus dem Grund bin ich extrem überrascht, dass du mein Angebot überhaupt ablehnen konntest.« Er berührte die Stelle über seinem Herzen und verzog peinvoll das Gesicht.

»Sonst immer gerne, aber ich möchte jetzt zu Robert.«

»Dann grüß ihn von mir.«

Ich nickte Christian zum Abschied zu, ehe er mich in meinem Büro allein ließ. Ich schaute mir den Entwurf zum wiederholten Male an und registrierte jetzt die einfachen Strukturen des Gebäudes. Einmal mehr seufzte ich an diesem Abend. Allerdings konnte ich es tatsächlich besser und dafür standen schließlich unsere Namen auf dem Firmenschild Richter & Held Architekten und somit auf dem Konzept. Aber ich hasste es, dass Christian recht behielt. Der Kunde wollte ein schnödes Firmengebäude. Verschenkte ich Kapazität und das damit verbundene Geld, sofern ich weitere Energie für die besagte Handschrift benötigte? War es das Risiko wert?

Nachdrücklich schüttelte ich den Kopf und sagte mir, dass ich morgen über eine Umgestaltung nachdenken würde. Eilig speicherte ich den Entwurf und schrieb Melissa per E-Mail, dass wir ein zusätzliches Mal den Grundriss durchsprechen mussten, ehe ich den Rechner herunterfuhr.

Vorfreude kribbelte durch meine Adern, als ich mir Roberts Gesicht vorstellte, wie ich mit seinem Lieblingswein zwei Stunden früher als geplant zu Hause erschien. Ein Lächeln stahl sich mir auf die Lippen, als ich die Handtasche aufhob und kurz darauf vom klackenden Geräusch der Absätze auf dem Stäbchenparkett begleitet zum Ausgang lief. Neben dem Spiegel an der Garderobe trug ich einen nudefarbenen Lippenstift auf, kämmte mit gespreizten Fingern durch das Haar und kniff zweimal in jede Wangenseite. Ich musterte mich und war erschrocken, wie müde ich aussah. Ehe ich mich abwandte, wischte ich die Schminke um die Augen zurecht und zog mit einem Kajalstift die zarte Linie nach.

Auf Höhe von Christians Bereich blieb ich stehen und sah zu ihm. »Ich bin dann jetzt weg«, flötete ich übertrieben fröhlich.

Ein schiefes Grinsen legte sich auf seinen Mund. »Du siehst gut aus. Schönen Feierabend. Und versuche zu entspannen.« Er wackelte bedeutungsschwer mit den Augenbrauen.

Mit einem leicht amüsierten Kopfschütteln verließ ich das Gebäude und trat an den roten Jaguar F-Typ.

Christian dachte immerzu an Sex. Wie er es trotzdem bewerkstelligte, all die Arbeit zu erledigen, war mir ein Rätsel.

Während ich durch die abendlichen Straßen Hamburgs fuhr, erinnerte ich mich an die unzähligen Gesichter, die ich an seiner Seite bereits kennengelernt hatte. Schmuckes Beiwerk, das ihn glücklich zu machen schien.

Aus Mangel an Möglichkeiten – da ich erst kurz nach Ladenschluss bei dem Weinhändler unseres Vertrauens ankäme – suchte ich einen Parkplatz in der Nähe von Roberts italienischem Lieblingsrestaurant.

Sobald ich eintrat, empfing mich der typische Geruch nach aromatischen Kräutern und sonnengereiften Weinen. Die sanften Klänge eines italienischen Liedes drangen leise zu mir und ich schmunzelte, als ich an die Abende dachte, in denen der Inhaber lauthals auf den Tischen mit gesungen hatte.

»Viktoria, wie schön, dass ihr beide zu uns kommt. Wo ist Robert?« Lorenzo strahlte und nahm mich in die Arme, als wäre ich ein verloren geglaubtes Kind.

Abwehrend hob ich die Hände und verzog entschuldigend das Gesicht, wobei es mir misslang, das Schmunzeln zu unterdrücken. »Leider kann ich nicht lange bleiben. Aber ich würde gerne eine Flasche von dem Rotwein mitnehmen, den Robert am liebsten bei euch trinkt.«

»Hast du etwas gutzumachen?«, erkundigte sich Lorenzo mit gespielt vorwurfsvollem Blick.

»Nein, nein. Ich will ihn nur überraschen.«

»Ah, questo è amore. So unglaublich schön. Warte einen Moment, ich hole dir eine Flasche.«

Lorenzo drehte sich in Richtung des Kellers und verschwand. Ich schaute ihm nach, musterte die Backsteinmauer und Erkenntnis durchflutete mich.

Das war es!

Plötzlich wusste ich genau, wie ich den Entwurf am nächsten Tag zu ändern hatte, ohne alles gleich abzutun. Es war ein bewusster Schritt weg von dem Stahl und Glas, die die heutigen Platzhirsche am Firmengebäudehimmel dominierten.

Unerwartet euphorisch zog ich das Telefon aus der Tasche und teilte Christian meine Idee in groben Zügen mit. Gespannt kaute ich auf der Wangeninnenseite herum, als ich sah, dass er zurückschrieb.

»So, hier habe ich sie«, sagte Lorenzo und reichte mir eine Weinflasche. Schnell nahm ich sie ihm ab, hielt ihm eine Kreditkarte hin und schaute erst zurück auf das Display des Telefons, sobald ich auf dem Weg zu meinem Auto war.

Gewagt. Gefällt mir.

Solide und jetzt gewagt? Entweder konnte ich Christian es nicht recht machen oder aber er war heute in Mecker-Stimmung. Wobei das eigentlich nicht seine Art war.

Was genau?

Es folgte ein Foto von ihm mit einer Blondine im Arm. Ihr Ausschnitt reichte bis zum Bauchnabel und ich fand seine Mitteilung mit einem Mal mehr als zutreffend. Obwohl sich über Geschmack ja streiten ließ.

Hauptsache, du verhütest.

Wenn sie immer so rumläuft,

trägt sie vielleicht mehr mit sich herum

als nur das Nabelpiercing.

Christian schenkte mir lachende Smileys. Verstört ließ ich das Telefon in der Tasche verschwinden und legte die letzte Strecke zu unserem Haus zurück.

Ich parkte den Wagen in der Doppelgarage neben Roberts Mercedes und hoffte inständig, dass die Scheinwerfer mich nicht verrieten. Mit der Vorfreude, meinen Ehemann jeden Moment zu überraschen, öffnete ich die Durchgangstür zur Küche, schlüpfte aus den schwarzen High Heels und schloss lautlos die Tür hinter mir. Ebenso leise deponierte ich die Handtasche daneben und hielt mit einem breiten Grinsen die Rotweinflasche vor mir, während ich barfuß über die warmen Fliesen tapste. Die Terrassentür stand offen und Stimmen drangen zu mir, sodass ich überrascht innehielt.

Ein ungutes Gefühl erwachte in mir, das ich resolut verdrängte. Dafür gab es keinen rationalen Grund. Robert war nicht auf mich angewiesen und durfte natürlich Besuch empfangen.

Ein Jauchzen schmerzte mir in den Ohren und mein Herz setzte kurz aus. Vorahnung und Argwohn, ein gefährlicher Cocktail.

Irritiert lief ich zur Fensterfront des Wohnbereiches und erstarrte. Fassungslos starrte ich auf die wippenden Brüste einer Frau. Einer Frau mit silbernem Glitzer auf den Wangen und gleichfarbigen Flügeln auf dem Rücken. Eine Fee, die sich über unseren Terrassentisch lehnte, während ein Mann sie in ihrem gemeinsamen Rhythmus der Lust von hinten … Dieser Typ war Robert. Robert, der sein Gesicht vor Erregung verzog und die Augen geschlossen hielt.

Galle stieg in mir auf, gepaart mit unbändiger Wut. Ich atmete tief durch, verdrängte die Empörung und setzte eine Maske der Gelassenheit auf.

Äußerlich vollkommen ruhig stellte ich mich in den Durchgang zur Terrasse und konnte einfach nicht den Blick von den im Takt wippenden Brüsten nehmen. Innerlich verfiel ich in einen Wachtraum. Ich nahm zwar alles wahr, aber wie durch dichten Nebel. Beide stöhnten verhalten leise. Wobei mir das Rauschen in den Ohren die lustvollen Bekundungen übertönte.

»Wie ich sehe, komme ich zu spät«, begrüßte ich meinen Ehemann tonlos und genoss den Moment der Überraschung, der sich auf seinem Gesicht abzeichnete, sobald er mich wahrnahm. Zwar war es eine völlig andere Art als die, die ich beabsichtigt hatte, dennoch realisierte Robert das frühe Erscheinen mit Verwunderung. Immerhin. »Ich habe Wein mitgebracht«, presste ich mühsam hervor und hielt ihm die Flasche hin, während ich hart gegen den Kloß im Hals schluckte.

»Viktoria, es ist nicht …«, bemühte er, sich zu erklären, und ich lachte freudlos auf. So viele Klischees an einem Abend waren kaum zu ertragen. All die Erkenntnisse, die mich durchzuckten. Und die Vielzahl an Gefühlen, die in mir tobten, schienen schwer zu bändigen.

Ich fixierte die Frau und knallte die Weinflasche neben ihrer Hand auf den Tisch. »Wir scheinen denselben Geschmack zu haben, gönn dir mal ein Schlückchen.« Aus irgendeinem Grund realisierte ich da erst, dass sie noch immer vereint waren, und Übelkeit stieg in mir auf. »Wisst ihr was? Lasst euch nicht stören.« Damit drehte ich mich weg und lief die Treppen zum Schlafzimmer hinauf. Ich fragte mich, wie lange Robert bereits mit anderen Frauen schlief. Dachte an die Momente, an denen ein leichter Verdacht in mir erwacht war, die er weggeküsst hatte. War die Wippende-Busen-Fee seine einzige Eroberung oder hatte es mehr gegeben? Warum hatte er kein Wort gesagt? Wieso hatte er nicht unsere Beziehung beendet?

Ich schluchzte auf, als der Schmerz an die Oberfläche drang. Meine Atmung flachte ab und ich blieb einen Moment stehen, um mehrmals betont ruhig durchzuatmen und jedes Gefühl zurück in die Tiefen des Inneren zu verdrängen.

Willkürliche Bilder meines Ehemannes kletterten mir in die Gedanken. Robert besaß seit jeher Charisma, strahlte eine natürliche Anziehung auf das weibliche Geschlecht aus, dem auch ich mich nie hatte entziehen können. Und seit zwölf Jahren hatte ich mich überlegen gefühlt. Als er mich erwählt hatte. Als wir das Grundstück gekauft und unser Traumhaus errichtet hatten. Als er mich geheiratet und sich da wahrscheinlich schon über mich lustig gemacht hatte.

Wie naiv ich war.

»Viktoria, lass es mich erklären«, bat er hinter mir und ich schloss erschöpft die Lider.

Der Moment, als er mit beiden Händen – Händen, die bis gerade auf der Taille einer Fee gelegen hatten – meine Oberarme umschloss, brachte mir den benötigten Energieschub. Ich riss mich von der Berührung los und holte wortlos die Reisetasche aus dem Schrank.

»Ach komm schon, Viktoria. Du willst gehen?« Seine Stimme klang plötzlich wütend, wobei ich die Regung ignorierte.

Immer schneller zog ich Schubladen auf und klaubte achtlos Kleidungsstücke zusammen.

»Wenn du jetzt gehst, kannst du direkt die Scheidung einreichen«, ließ er mich wissen, als ich die Tasche verschloss.

So wie ich den Reißverschluss Millimeter für Millimeter zuzog, verbarrikadierte ich alle Gefühle hinter einer Grenze. Ich atmete ein letztes Mal ein, ergriff die Henkel der Reisetasche und sah Robert ins Gesicht. Er besaß die unglaubliche Dreistigkeit, mir in seiner nackten männlichen Pracht entgegenzutreten, was ich mit hochgezogenen Augenbrauen kommentierte.

»Ich rufe morgen einen Anwalt an«, stellte ich klar. Zu meiner eigenen Überraschung klang die Stimme fest und stand somit im kompletten Gegensatz zu dem allumfassenden Chaos in meinem Inneren. »Lass deine kleine Fee nicht warten.«

»Wo willst du jetzt hin?«, erkundigte er sich und stellte sich mir in den Weg. »Du hast niemanden.«

Robert funkelte mich aus den grauen Augen an. Mir entging nicht, dass seine Haare leicht verstrubbelt waren und er Kratzspuren wie eine Goldmedaille von den Olympischen Spielen stolz auf der Brust trug.

Ich schluckte schwer. »Lass das meine Sorgen sein.«

Einer Panik nah, spürte ich, wie sich der Vulkan an Emotionen einen Weg an die Oberfläche kämpfte, doch ich hielt ihn zurück, damit mein Mann nicht eine weitere davon zu Gesicht bekam. Ich verbot mir, dass er den Schmerz in meiner Mimik ablas und sich womöglich einen darauf runterholte.

Nochmals würgte ich den Kloß in meinem Hals herunter, schob mich an Robert vorbei und setzte einen Schritt vor den nächsten. Als wäre ich von Ruhe umgeben und nicht von Herzschmerz erfüllt. Jede Stufe nahm ich sicher und registrierte erfreut, dass mein Mann mir nicht bis ins Erdgeschoss folgte.

»Du warst die ganze Zeit die Eiskönigin und wunderst dich, dass ich mir eine Freundin gesucht habe? Ernsthaft? Schau dich an. All das tangiert dich nicht. Du bist zu keinerlei Gefühlen fähig und das beweist du auch im Bett. Du gibst dich mir nicht hin und zeigst kein Engagement.«

Der Kloß in meinem Hals wuchs weiter und ich spürte, dass mir die Atmung immer schwerer fiel.

»Halte durch, zumindest bis du um die Ecke biegst«, sprach ich mir in Gedanken selber zu und fügte ein »Du schaffst das« hinzu.

Ich verstaute die Schuhe in meiner Handtasche und hob diese dann auf.

»Viktoria Richter, ich warne dich: Geh nicht weg ohne ein klärendes Gespräch!«

Mit erhobenem Mittelfinger drehte ich mich zu ihm um und ärgerte mich im gleichen Moment, als ich sein selbstgefälliges Grinsen sah. Jetzt hatte er doch mehr bekommen, als er verdiente.

Energisch trat ich an den Jaguar, riss die Fahrertür auf und warf die Reisetasche auf den Beifahrersitz, ehe ich mich hinter das Steuer setzte. Die Handtasche mit den High Heels ließ ich in den Fußraum plumpsen und bat das Garagentor, auf Knopfdruck hochzufahren. Der Widerhall meiner Atmung war so laut, dass ich selbst erschrak. Mit den Fingern trommelte ich ungeduldig auf dem Lenkrad herum, während ich dem Tor beim Hinaufkriechen zusah.

Ich schluckte und schluckte, aber der Kloß blieb. Die Panik wuchs, dass ich zusammenbrach, ehe das Tor oben ankam.

Sobald es endlich offen war, fuhr ich augenblicklich los, obwohl unzählige Tränen mir die Sicht raubten. Ich brachte immer mehr Distanz zwischen uns, auch als die Feuchtigkeit beide Wangen benetzte und das Geräusch von heftigen Schluchzern das Wageninnere erfüllte. Ich fuhr und fuhr. Zahlreiche Straßen und Kreuzungen ließ ich hinter mir, bevor ich den Wagen in eine Einfahrt lenkte und die Hände vors Gesicht warf.

Der Schmerz brannte durch mich hindurch, zerriss mir das Herz und jeglichen Stolz. Er fraß sich in jede Faser meines Körpers und beraubte mich der Handlungsfähigkeit. Ich saß einfach nur da, konnte weder atmen noch mich bewegen. Ständig verfolgte mich das Bild, wie Robert diese Frau vögelte, als sei es auf gedankliche Dauerschleife gestellt und ich dazu verdammt, es unendlichmal mit anzusehen.

Es fühlte sich an, als risse mein Herz in zwei Teile und raubte mir alle Kraft und jedweden Lebenswillen. Nicht dass er mich »nur« betrogen hatte, er hatte die Anschuldigungen bewusst gewählt, um mich zu verletzen. Es schmerzte, dass er nicht einmal Reue spürte oder sich ein wenig für sein Verhalten schämte, mich zu verletzen. Eiskönigin. Du bist zu keinerlei Gefühlen fähig und das beweist du auch im Bett. Seine Worte schienen mir unzählige Schnitte im Herzen zuzufügen. Ich registrierte, wie sie mich verstümmelten und klaffende Wunden zurückließen.

Ich wusste nicht, wie lange ich so dasaß und die Jahre meiner Ehe betrauerte, die anscheinend schon beendet war, ohne dass ich es mitbekommen hatte. Natürlich waren wir seit geraumer Zeit nicht turtelnd durch die Straßen gelaufen, aber ich war davon ausgegangen, dass wir gerade eine schwierige Phase unserer Ehe durchlebten. Niemals, dass es bereits vorbei war.

Mehr aus Reflex als aus echter Notwendigkeit wischte ich beide durchweichten Handinnenflächen am Rock trocken.

Was war noch wichtig? Was war relevant? Wo sollte ich hin?

»Hallo?«, hörte ich plötzlich Christians Stimme.

Ich schluchzte nochmals auf und realisierte, dass ich das Smartphone mit zitternden Fingern fest umklammert hielt. So, als wäre es lebenswichtig, als hinge mein Leben davon ab.

»Vicky? Was ist los?« Die Panik in seiner Frage drängte mich dazu, mit ihm zu reden, obwohl ich nicht wusste, was ich sagen wollte.

»Er fickt eine Fee«, fanden die Worte ihren Weg über meine Lippen.

»Was? Wovon sprichst du? Geht es dir gut? Wo bist du?«

»Robert vögelt irgendeine Frau auf unserem Terrassentisch.« Die Tonlage dabei erschrak mich. Zu viel Abscheu und Wut in einem Satz. Ein weiteres Mal schluchzte ich schmerzerfüllt auf und schlug mir die freie Hand vors Gesicht. So sehr schämte ich mich.

»Bist du da? In eurem Haus?«

Kraftlos schüttelte ich den Kopf und weinte leise.

»Vicky«, Christians Ton hatte eine Strenge angenommen, die durch all dem Chaos an Gefühlen zu mir durchdrang. »Wo bist du?«

»Ich … Ich weiß es nicht«, flüsterte ich. Dennoch schaute ich mich daraufhin um. »D… Doch, ich erkenne es.«

»Wo?«

»Kann ich zu dir kommen? Oder bist du …« Bilder von der Wippende-Busen-Fee stiegen mir vor das innere Auge.

»Ich fahre nach Hause.«

Dankbar schluchzte ich auf und Erleichterung breitete sich zaghaft in mir aus. Ich war nicht allein. Christian war bei mir. Immer. Mein Fels.

CHRISTIAN

»Vicky, ich mache mich auf den Weg«, sprach ich weiter, während ich das Telefon zwischen Ohr und Schulter klemmte, um den Reißverschluss der Hose zu verschließen.

Ihr Aufschluchzen zerriss mich schier.

Das Hemd ließ ich offen, hob das Sakko auf und schlüpfte in die Schuhe. All das geschah wie ferngesteuert. Ich konnte nicht denken und wollte nur noch zu ihr.

Vicky und ich hatten einigen Mist erlebt, sodass es eigentlich für dieses Leben reichte. Ich hatte ihr Haar gehalten, als sie nach ihrem ersten Vollrausch kotzend im Gebüsch hing. Sie hatte all jene Wunden verarztet, als mich der Leichtsinn in Schlägereien gebracht hatte. Sie hatte mich ihre Hausaufgaben abschreiben lassen und wir hatten gemeinsam für den Uni-Abschluss gebüffelt. Und Vicky war mir nicht von der Seite gewichen, als mein Vater unverhofft verstorben war. Sie hatte mich abgelenkt, als ich nichts weiter als meinen Schmerz wahrgenommen hatte. Aber gebrochene Herzen mussten wir bisher nicht verarzten – zumindest hatten wir das immer allein für uns geklärt.

Wie sollte ich damit umgehen? Gefühle waren nicht mein Spezialgebiet.

Und Robert? Wut stieg in mir auf, die ich niederkämpfte. Um ihn kümmerte ich mich zu einem späteren Zeitpunkt. Meine Priorität lag bei Vicky.

Sie schluchzte erneut auf und mir brach das Herz.

»Kannst du fahren?«, hakte ich nach. Sie schien am Boden zerstört zu sein. »Sonst komme ich zu dir.« Ich bückte mich, um die Schnürsenkel zu schließen.

»Nein … das funktioniert schon.« Sie atmete hörbar aus. »Ich brauche nur noch einen Moment«, gestand sie mit brüchiger Stimme, sodass ich mir durch die Haare wischte, als ich mich erhob. Der Schmerz, den ich heraushörte, war selbst für mich körperlich spürbar, weshalb ich kurz die Augen schloss.

»Hilft es dir, wenn wir weiterhin telefonieren?«

Sie atmete stoßweise ein. »Ja.«

Ein kleines Lächeln stahl sich mir auf die Lippen.

»Was denn jetzt? Das war’s?«, erkundigte sich meine Drinkbegleitung und ich rollte mit den Augen.

Verstand sie nicht, dass etwas anderes bedeutungsschwerer war?

Eilig legte ich eine Hand über das Mikrofon des Telefons. »Jupp. War nett mit dir«, verabschiedete ich mich viel schroffer, als sie es verdient hatte, und öffnete die Wohnungstür.

Vicky weinte herzergreifend und ich spürte den Drang, sie in die Arme nehmen und beschützen zu wollen.

Mit schnellen Schritten lief ich zu meinem Auto.

»Bist du noch dran?«, erkundigte ich mich, nachdem ich das Mobiltelefon mit der Freisprechanlage des Wagens gekoppelt hatte.

»Ja.« Die Antwort klang fester.

»Ich fahre jetzt los.«

»Okay.«

Wie von Sinnen fuhr ich durch die Stadt und lauschte den Geräuschen über den Lautsprechern. Ich konnte mir nicht vorstellen, was sie gerade durchmachte und wie sie sich fühlte. Robert war ihre große Liebe und hatte sie von der ersten Sekunde nach ihrem Kennenlernen in seinen Bann gezogen. Alle Bedenken, die ich ihr wegen des Alters- und des Standesunterschiedes vorgebracht hatte, waren auf Unverständnis gestoßen. Sie war so verliebt gewesen, dass der tägliche Kontakt zwischen uns mit einem Male auf ein Minimum heruntergefahren war. Wir hatten telefoniert, wenn ich anrief, und hatten uns immer weniger gesehen. Bis ich es nicht mehr ausgehalten hatte. Vicky war meine beste Freundin, sie wollte ich nicht wegen eines dahergelaufenen Mannes verlieren. Somit hatte ich ihr den Vorschlag unterbreitet, dass wir ein gemeinsames Büro eröffneten. Eine Partnerschaft. Die perfekte Lösung.

»Wo bist du jetzt?«, erkundigte ich mich und verdrängte die Überlegungen an vergangene Tage.

»Vielleicht noch fünf Minuten von deiner Wohnung entfernt.«

»Okay, ich brauche bestimmt zehn weitere. Gehst du schon rein?«

»Wenn ich darf.«

»Immer.«

Da ich keine dauerhaften Beziehungen einging, hatte ich eines Tages Vicky gebeten, dass sie einen Zweitschlüssel an sich nahm.

---ENDE DER LESEPROBE---