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Lena muss sich ihre leichtfüßige und nicht gesellschaftskonforme Lebensart mit einem Job als Zimmermädchen verdienen. Dort lernt sie den anziehenden und doch so arroganten Rechtsanwalt Dr. Jan A. Kost kennen, der ihr Leben vom ersten Augenblick an auf den Kopf stellt. Doch Lena fühlt sich weder emotional noch äußerlich für seine soziale Schicht – und damit auch für diesen Mann – geeignet. Allerdings ist Jan ein Mann, der immer bekommt, was er möchte. Wirklich immer ... Dieser Roman verdankt seine teilweise skurrilen und sehr unterhaltsamen Dialoge einer Vielzahl von Leserbegriffen, die vorab in einem Aufruf gesammelt wurden.
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Veröffentlichungsjahr: 2022
Paula Herzbluth
Inhaltsverzeichnis
Impressum
Vorwort
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Epilog
Zusammenstellung der Worte
Copyright: © 2016 Paula Herzbluth Coverfoto: Gestaltung: © NaWillArt-CoverDesign Motive: © depositphotos.com - artofphoto (Stefano Cavoretto) Korrektorat: Schreib- und Korrekturservice Claudia Heinen Lektorat: B. Kasten
Paula Herzbluth
c/o Sebastian Münch
Rechtsanwalt / Steuerberater
Großenbaumer Weg 8
40472 Düsseldorf
Alle Rechte vorbehalten. Ein Nachdruck oder eine andere Verwertung ist nachdrücklich nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin gestattet. Sämtliche Personen in diesem Text sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig.
Liebe Leserin, lieber Leser,
dieser Roman kommt dir sicherlich an manchen Stellen komisch vor und einige Worte sind vermutlich ungewöhnlich für ein Buch. Das möchte ich dir an dieser Stelle gerne erklären.
Nicht alle Worte aus dieser Geschichte stammen aus meiner Feder und ich bezeichne diese Geschichte gerne als Gemeinschaftsprojekt. Auf meiner Facebook-Seite habe ich vor einiger Zeit dazu aufgerufen, dass man sich an meinem neuen Buch beteiligen kann. Wörter, die mir genannt wurden, habe ich in diesen Roman mit eingebaut.
Es waren einige lustige, aber auch sehr ernste Wörter dabei. Am Ende der Geschichte habe ich eine Liste der Worte beigefügt, damit du weißt, welche Hinkelsteine nicht von mir stammen.
An dieser Stelle möchte ich mich noch einmal ganz herzlich bei all jenen bedanken, die sich beteiligt haben.
Gerne würde ich dieses Projekt schon für nächstes Jahr planen und dieses Mal auch allen eine Chance einräumen, die sich beteiligen möchten, aber nicht bei Facebook angemeldet sind. Schreib mir bis zum 30.07.2017 eine E-Mail. Ich freue mich, wenn wir viele Worte zusammenbekommen, die den Lauf der Geschichte an der einen oder anderen Stelle beeinflussen. Unter allen Teilnehmern verlose ich ein E-Book des fertigen Werkes.
In diesem Sinne hoffe ich, dass wir uns bald schreiben. Deine Paula
Nachdenklich betrachte ich mich einen Moment im Spiegel und richte meine Frisur ein letztes Mal, bevor sich alle gemeinsam zum Teamgespräch aufstellen. Jetzt werden uns die heutigen Zimmer zugeteilt, die wir für den Tag zu reinigen haben.
Sabrina schaut mich von der Seite an und zwinkert mir zu.
»Gestern war toll. Gehen wir nächste Woche wieder dahin?«
Unwillkürlich rümpfe ich die Nase, denn das Klopfen hinter meiner Stirn erinnert mich daran, dass ich den einen oder anderen Shot zu viel hatte. »Frag mich das morgen noch einmal«, flüstere ich augenrollend.
»Warum?«, fragt sie lachend.
»Mein Kopf ...«, stöhne ich, doch weiter komme ich nicht, da Teresa, unsere Chefin, sich mit in die Hüften gestemmten Händen vor uns allen aufstellt.
»Guten Morgen die Damen«, sagt sie mit ihrer sehr tiefen Stimme.
»Morgen«, kommt es von uns zurück. Eine Routine, die sich über die Zeit eingeschlichen hat. Eine Fassade der Höflichkeit, die jeden Morgen aufs Neue aufrechterhalten wird, zumindest bis ...
»An diesem Tag wünsche ich mir hundertprozentige Zufriedenheit unserer Gäste. Einen Tag keine Klagen über eure Arbeit. Einfach ein Tag, an dem ihr alles für die Gäste des Baltimore Inn macht. Ihnen jeden Wunsch von den Augen ablest. Aber vor allem: Macht eure Arbeit anständig, gebt heute alles, verausgabt euch.«
Das ist der Moment, an dem ich aufhöre, zuzuhören. Mein Körper steht noch an der gleichen Stelle, meine Mimik ist unverändert, doch in Gedanken reise ich zu der warmen Gestalt, den geschulten Fingern, den Lippen, die meine Haut hinabgewandert sind ...
»Hier sind die Tagesplä...« Teresa unterbricht ihren Monolog und wendet sich abrupt von uns ab. Mein Blick wandert neugierig an ihr vorbei und ich sehe, wie Janine schüchtern den Raum betreten hat. Ihre Wangen sind gerötet und ihre Atmung geht stoßweise. »Entschuldigung. Der Bus kam zu spät.«
»Deine Ausreden sind mir egal. Du brauchst dich nicht umzuziehen, kannst direkt wieder gehen. Unpünktlichkeit können wir heute nicht gebrauchen.«
Janine steht wie erstarrt an der Tür und schaut uns mit großen Augen an. Teresa, deren Mimik ich zwar nicht sehen kann und dennoch weiß, dass sie eine Augenbraue hochgezogen hat und damit Janine herausfordernd anschaut. »Und? Wann hast du vor zu gehen?«
»Es ist doch das erste Mal, dass ich zu spät komme«, sagt sie und ihr Gesicht rötet sich immer mehr.
»Und das letzte Mal«, kommt es herrisch zurück.
»Aber ...«
»Dafür haben wir jetzt keine Zeit. Entweder du gehst auf der Stelle freiwillig oder ich rufe den Sicherheitsdienst. Such es dir aus.« Mit diesen Worten dreht sich unsere Chefin um, ihre Mimik ist ausdruckslos, als sie die nächsten Worte an uns richtet. »Ich hänge den Tagesplan mit den Aufgabengebieten auf. Janines Zimmer teile ich noch eben auf. Ihr könnt euch bei ihr bedanken, wenn es heute stressig wird. Aber nichtsdestotrotz erwarte ich tadellose Arbeit von euch. Die Anstrengung, die unserem Namen alle Ehre macht.« Dann klatscht Teresa in ihre Hände. »Na los, wir haben viel zu tun.«
Sabrina und ich haben solche und ähnliche Situationen schon viel zu oft mitbekommen. In der Zeit, in der ich hier arbeite, scheint es eine monatliche Quote von einer Kündigung zu geben. Das erschreckende daran ist allerdings, dass wir abstumpfen. Und das mit jeder Entlassung mehr.
Sabrina greift nach meinem linken Handgelenk und raunt mir zu: »Da können wir ja von Glück sprechen, dass wir pünktlich gekommen sind. Wenn deine Kopfschmerzen zu doll werden, dann sag Bescheid, ich habe Tabletten griffbereit«, dabei klopft sie sich bestätigend an ihre Rocktasche.
Dankbar nicke ich ihr zu, bevor ich mir den Plan anschaue und mich dann auf den Weg zu meinem Servicewagen mache. Vor den Fahrstuhltüren wartend schaut mich meine Freundin an. »Und? Wie war es?«
»Ganz nett.«
»Für dich ist dieser Satz das höchste Lob, oder?«, fragt sie mich mit zusammengekniffenen Augen, aber einem breiten Grinsen im Gesicht.
»Wer es nicht anders verdient«, gebe ich augenzwinkernd zurück.
»Hattest du einen Orgasmus?«
»Klar.«
»Dann sollte mehr als ein ›ganz nett‹ drin sein.«
»Warum?« Die Aufzugkabine öffnet sich und ich schiebe den Servicewagen hinein, drehe mich um und füge grinsend hinzu: »Wenn ich ihn mir doch selbst gegönnt habe, hat er kein Lob verdient.«
Ich sehe noch, wie sich ihre Augen überrascht von meinen Worten weiten, bevor sie in schallendes Gelächter ausbricht. Ihr Lachen entlockt mir ein Schmunzeln.
Als sich die Aufzugtüren auf dem mir zugeordneten Stockwerk öffnen, atme ich noch einmal tief durch und schiebe den Wagen neben die erste Tür. Ich klopfe gegen das Holz. »Zimmerservice.«
Ich lausche an der Tür. Erst als ich mir sicher bin, keinerlei Geräusche von drinnen hören zu können, entriegle ich die Tür mit dem Universal-Schlüssel.
Der Raum ist bereits verlassen, lediglich die zerwühlten Laken bezeugen, dass jemand hier die Nacht verbracht hat. Mit geübten Griffen mache ich mich an die Arbeit. Zimmer für Zimmer. Bett für Bett.
Als ich die letzten gebrauchten Laken im Servicewagen auf dem Flur verstaue, überläuft meinen Rücken eine Gänsehaut. Verwundert hebe ich den Kopf und schaue mich um. Mein Magen flattert, als ich die Rückenansicht eines Mannes betrachte, der den Gang hinabgeht. Er wirkt muskulös und jede seiner Bewegung zielstrebig und kompromisslos. Ungeduldig drückt er mehrfach den Knopf, der den Aufzug ruft. Die Trägheit des Fahrstuhls ist mir ein Segen, sodass ich die kostbare Zeit nutzen kann, um den Mann genauer zu betrachten. Seine braunen Haare wirken gestylt und verschwinden im Ansatz des Sakkos. Der Anzug sitzt perfekt und umspielt seinen Körper, auf den ich ungewohnt heftig reagiere. Nachdem Mister Hot in der Aufzugkabine verschwindet, stehe ich noch einige Sekunden mit wild klopfendem Herzen und blinzelnden Augen auf dem Gang. Was war denn das?
Bis mein Tagewerk hier vollbracht ist, drehe und wende ich gedanklich das merkwürdige Zwischenspiel. Erst als Teresa meine heutigen Arbeiten meckernd abgenommen hat, atme ich erleichtert durch und vertreibe meine Erinnerungen.
Müde und erschöpft gehe ich zurück in den Gemeinschaftsraum, um mich wieder straßentauglich anzuziehen. Man kann sich nicht vorstellen, was man hinterhergerufen bekommt, wenn man im Zimmermädchenoutfit auf die Straße tritt. Dabei scheint dem männlichen Geschlecht egal zu sein, welche Uhrzeit ist und ob die Sonne immer noch scheint. In ihren Vorstellungen bin ich die Frau, die für sie allein einen Lapdance hinlegt und meinen Hintern, der nur durch einen knappen Zimmermädchenrock bedeckt ist, an ihrem Schoß reibt. Darauf habe ich heute keine Lust. Mein Interesse liegt lediglich darin, den müden Körper in ein Bett zu bekommen. Und zwar allein. Ich muss Schlaf nachholen.
Bevor ich das Hotel verlasse, springe ich noch in der Hotelküche vorbei.
»Hey Jungs«, grinse ich.
»Was? Schon so spät? Du hast sicherlich Feierabend«, sagt Juan, der Hilfskoch.
»Natürlich«, grinse ich den Schönling an.
»Warum haben wir nur solche unterschiedlichen Schichten? Wir könnten sonst unsere Pausen hervorragend nutzen«, raunt er und kommt auf mich zu.
»Aber leider können wir das nicht«, gebe ich ausweichend von mir.
»Kommst du für dein Paket?«
»Wie immer.«
»Ich habe gehofft, dass du für mich hier erscheinst.«
»Wie immer«, grinse ich.
»Und du flunkerst wie jeden Tag.«
»Nein, ich sehe dich wirklich gerne.«
»Aber nur, weil es bedeutet, dass ich dir dein Survivalpaket gebe.«
»Wahrscheinlich«, räume ich grinsend an.
Juan greift sich theatralisch an die Brust. »Das trifft mich schwer.«
Caro, eine weitere Küchenhilfskraft, kommt zu uns in die Küche. Juan blickt von Caro wieder zu mir und seine Augen wirken plötzlich gehetzt.
»Dann werde ich mal gehen«, sage ich augenzwinkernd in seine Richtung, beuge mich vor, greife mir die Papiertüte und drücke ihm mit blitzenden Augen einen Kuss auf die Wange. »Danke, für alles.« Hinter mir knallt die Küchentür.
»Du brichst mir das Herz und das auch noch mit voller Absicht«, knurrt er.
»Liebling, wie kommst du denn darauf?«, frage ich und klimpere übertrieben mit den Augen.
»Bis die Tage«, sagt er und verfolgt Caro. Grinsend gehe ich ihm nach und höre ihn verschwörende Worte raunen. Sobald ich auf Höhe der beiden bin, bleibe ich stehen. »Caro, er ist einer der Guten. Schnapp ihn dir endlich.« Ohne ein weiteres Wort abzuwarten, verlasse ich das Gebäude.
Auf dem Weg zur Haltestelle der U-Bahn stecke ich mir die Kopfhörer in die Ohren und wähle eine Playlist, die mich einigermaßen wach hält. Laut und doch melodisch.
Mit jeder Stufe, die ich zur Station hinabsteige, schlägt mir immer mehr der abgestandene Mief entgegen. Der Geruch nach U-Bahn, Menschenschweiß und verbrauchter Luft, den man nur unter der Erde wiederfindet. Die Massen, die sich immer bei Feierabend hier wiederfinden, schieben sich mit mir in den Waggon hinein. Gefühlt wollen alle durch eine Tür. Nämlich durch die, die ich nehme. Sobald ich mich in den Innenraum vorgekämpft habe, lasse ich mich auf einen freien Sitz plumpsen und lausche Linkin Park.
Als sich die Ausdünstungen ungewaschener Haut neben mir breitmachen und ich den mir bekannten, verfilzten braunen Stoff aus dem Augenwinkel wahrnehmen kann, schaue ich auf den Nachbarsitz. Lächelnd nehme ich den Stöpsel aus meinem rechten Ohr.
»Du bist heute spät. Gab es wieder Ärger?«
»Mach dir keine Gedanken«, erwidere ich immer noch lächelnd. Ich suche nach der Tüte, die mir die Jungs in der Küche gegeben haben, und reiche sie weiter.
»Danke«, sagt Frank.
»Kein Ding. Das weißt du. Wie geht es dir?«
»Ganz gut. Im Frühling geht es ja immer besser.«
»Magst du mit zu mir kommen?«
»Ach nein. Nicht nötig.«
»Warum?«
»Du machst zu viel.«
»Und? Für dich mache ich das gerne.«
»Du hast nicht getreten.«
»Ich weiß«, flüstere ich und dennoch empfinde ich Schuld. Frank habe ich eines Nachts kennengelernt, als ich gerade mit Begleitung auf dem Weg in die Wohnung meiner Eroberung war. In meinen Erinnerungen kann ich gar nicht mehr genau sagen, wie es dazu kam, aber der Kerl, der mich diese Nacht befriedigen sollte, ist ausgerastet und hat ihn verprügelt. Nach dem ersten Schock bin ich dazwischengegangen, doch da musste der verdreckte Mann mit den lumpigen Klamotten schon etliches einstecken. Ich konnte ihn einfach nicht blutend zurücklassen. Als ich ihn fragte, ob ich ihn ins Krankenhaus begleiten solle, wurde er panisch. Schließlich habe ich es nicht über das Herz bringen können, ihn so ohne weiteres aus meinem Gedächtnis zu streichen. Auf eine unerklärliche Weise habe ich mich für seine Verletzungen verantwortlich gefühlt. An dem Abend habe ich Frank das erste Mal mit zu mir genommen und die zahlreichen Wunden verarztet.
»Möchtest du denn duschen? Ich könnte dir die Haare schneiden. Während du dich wäschst, könnte ich deine Kleidung in die Waschmaschine stecke. Was meinst du?«
»So schlimm?«
»Schon.«
»Okay.«
Ich lächle. »Das freut mich.«
Immer noch lächelnd löse ich meinen Blick von Frank. Manche der anderen Fahrgäste schauen wiederholt in unsere Richtung, tuscheln hinter vorgehaltenen Händen und wundern sich, dass ich mich mit Frank unterhalte. Sie sehen nur sein ungepflegtes Äußeres. Der beißende Geruch unterstreicht den ersten Eindruck zusätzlich. Aber mir sind die Blicke egal. Waren sie schon immer.
»Wir sind gleich da«, raune ich Frank zu.
»Ich weiß«, sagt er und erhebt sich. Durch seine Bewegungen steigt mir erneut der herbe Duft nach Schweiß in die Nase.
Gemeinsam steigen wir aus der U-Bahn, verlassen die Haltestelle und durchqueren die Straßen, bis wir vor dem Wohnhaus ankommen, in dem sich mein Appartement befindet.
»Bekommst du keinen Ärger?«
»Ist doch egal. Es ist meine Wohnung. Ich kann jeden Besuch empfangen, den ich möchte. Ich werde mir nicht vorschreiben lassen, wer bei mir vorbeischauen darf.« Entschlossen greife ich nach seiner Hand. Die Haut fühlt sich schmutzig und verkrustet an. Doch davon lasse ich mich nicht beirren und gehe mit ihm gemeinsam durch das Treppenhaus. Als ich bereits den Schlüssel in das Schloss gesteckt habe, höre ich, wie im Erdgeschoss eine Tür aufgerissen wird.
»Geh ruhig rein«, sage ich lächelnd und schiebe Frank in die Wohnung. Denn ich weiß, was jetzt kommen wird.
»Frau Rosenberg?«, ertönt bereits die Stimme des Hausmeisters.
Ich seufze und rolle mit den Augen. »Ja-ha?«, frage ich zuckersüß und schaue über das Geländer ins untere Stockwerk.
»Sie wissen, dass Sie diesen Abschaum nicht mehr mitbringen dürfen«, zischt er auch schon.
»Wer sagt das?«
»Ich. Und das nicht zum ersten Mal.«
»Sie können mir aber nicht vorschreiben, wen ich mit zu mir nehme. Er ist mein Freund, mein Gast und immer willkommen.«
»Ich könnte Sie auch rausschmeißen.«
»Das könnten Sie. Vielleicht sollten Sie es endlich machen. Dann habe ich einen Grund, mir eine bessere Wohnung zu suchen.«
»Provozieren Sie mich nicht.«
»Warum fordern Sie mich aufs Neue heraus?«
»Ich muss Sie anscheinend an die Hausregeln erinnern.«
»Wenn Sie mit meinem Besuch ein Problem haben, dann schreiben Sie eine Beschwerde an mich oder kündigen mir die Wohnung.«
»Aber dieser Abschaum verunreinigt unser Haus, bringt sicherlich Läuse mit und trägt einen Gestank ins Haus herein, den ich nicht dulden kann. Es stört auch die anderen Bewohner.«
»Dann sollen sie sich bei mir beschweren. Aber dafür fehlt den feinen Damen wahrscheinlich das Rückgrat«, antworte ich absichtlich laut. »Also, wenn es nichts weiter zu besprechen gibt? Ich bin jetzt in MEINER Wohnung mit MEINEM Besuch.« Ich trete in das kleine Appartement ein und schließe die Tür, obwohl ich noch etliche Verwünschungen durch das Treppenhaus schallen höre. Das Lächeln, das sich auf mein Gesicht schleicht, kann ich nicht unterbinden. Eigentlich sollte ich genervt sein, doch dieser Mann ist einfach nur noch lächerlich. Immer wieder brüllt er mich an und doch traut er sich nicht, seine angedrohten Konsequenzen in die Tat umzusetzen. Einfach nur erbärmlich. Es tut mir nur leid, dass Frank es wieder mitbekommen hat und dass dem so ist, sehe ich an seinem besorgten Gesichtsausdruck.
»Jetzt hast du doch meinetwegen Probleme bekommen.«
»Nicht deinetwegen. Wegen der Engstirnigkeit der Bewohner dieses Hauses. Außerdem hat er nur herumgezetert. Mach dir keine Sorgen. Geh ins Badezimmer, ich reiche dir gleich ein Handtuch hinein.«
»Danke.«
»Mach dir keine Gedanken.«
Frank schaut mich unsicher an, als wollte er noch etwas hinzufügen. Doch er geht stumm ins Bad. Ich seufze. So viel zum Schlaf, den ich nachholen wollte. Aber der Mann in meiner Wohnung geht vor.
Wie immer reicht mir mein obdachloser Freund seine Kleidung raus und ich ihm das Handtuch hinein. Kurze Zeit später höre ich das Wasser rauschen. Die stinkenden Klamotten stecke ich in die Waschmaschine, fülle Waschpulver und Desinfektionsmittel hinzu und starte das Programm.
Dann erst streife ich mir die Schuhe von den schmerzenden Füßen und löse die Haarklammern. Erleichtert streife ich die schwarzen Haare vom Kopf und öffne das Haargummi aus meinem eigenen Haar. Mit gespreizten Fingern fahre ich hindurch. Eine blaue Strähne fällt mir ins Gesicht und ich puste sie hoch, ziehe die Jacke aus und stelle Wasser für eine Kanne Tee auf.
Das Handy kopple ich mit meiner Soundbar und schalte die Playlist von gerade erneut an. Die Bässe von Linkin Park ertönen augenblicklich in der Wohnung und ich verliere mich einen Moment in Gedanken, blicke starr ins Nichts. Der Rhythmus und die Klänge lassen mich den vergangenen Tag und die Arbeit für einen Wimpernschlag vergessen.
»Warum hörst du immer diese komische Musik?«, fragt Frank, als er mit einem Handtuch um die Hüften aus dem Badezimmer tritt.
»Komisch? Das trifft mich tief in mein Rockerherz«, sage ich und greife mir theatralisch an die Brust.
Ein kleines Lächeln stiehlt sich auf das saubere Gesicht von Frank.
»Komm, setz dich«, sage ich zu ihm und deute mit dem Kopf auf einen Stuhl.
Er setzt sich nur mit dem Handtuch bekleidet darauf. Wenn ich nicht mit der Zeit an diesen Anblick gewöhnt gewesen wäre, würde ich jetzt wahrscheinlich seinen Körper bestaunen.
Der Abend, an dem Frank das erste Mal bei mir geduscht hat, ist genau das passiert. Ich habe seine Haut bestaunt, die Tätowierung auf seiner Schulter beäugt und die Narben auf dem linken Arm betrachtet. Alles erzählt eine Geschichte. Seine Geschichte und seine Vergangenheit. Franks Körper scheint gesprächiger zu sein, als er es jemals sein wird. Bei diesem Gedanken kann ich das Lachen, das in mir aufsteigt, gerade noch unterdrücken.
In der Küchenschublade suche ich nach einer Schere und im Badezimmer greife ich mir den Kamm von der Ablage unter dem Spiegel. Aus dem Regal im Flur nehme ich mir ein Handtuch, das ich über die Schultern des halb nackten Mannes lege, bevor ich versuche, die wirren Strähnen durchzukämmen. Doch die Haare sind stark verknotet und schon fast verfilzt, sodass ich nicht ansatzweise durchkomme. Ich schneide willkürlich immer wieder große Stücke heraus. Eine famose Fransenfriese entsteht auf dem Kopf vor mir. Natürlich lasse ich mir die Chance nicht nehmen, trete vor Frank und betrachte erfreut das geschaffene Meisterwerk.
»Lachst du mich etwa aus?«
»Ach, wie kommst du denn darauf?«, hake ich grinsend nach.
»Hm, keine Ahnung. Vielleicht liegt es an deinen Augen, die selten so vergnügt leuchten. Oder an dem spöttischen Lächeln, das auf deinen Lippen liegt«, seine Stimme wird dabei immer leiser und ich spüre, wie sich meine eigene Mimik bei jedem Wort immer mehr verschließt.
»Jetzt werden wir dich mal wieder ansehnlich machen«, werfe ich schnell ein, damit er nicht auf falsche Ideen kommt.
»Du kannst jederzeit mit mir reden. Das weißt du, oder?«
»Ja, klar«, antworte ich, weil ich weiß, wie leichtfertig die Menschen solche Angebote aussprechen. Meistens stehen hinter dieser Art nur leere Versprechen, kein wirkliches Interesse, die Sorgen der anderen Person auch zu hören. Die Leute sind mit sich und ihrer Welt schon genug beschäftigt.
»Das ist nicht einfach dahergesagt. Es ist mein Ernst.«
»Danke«, sage ich leise, weil ich nicht möchte, dass er meine Stimme brechen hört. Um wieder Herr über meine Stimmbänder zu werden, räuspere ich mich und setze das Schneidewerkzeug erneut an.
Ich bin keine gelernte Friseurin, keine Meisterin mit der Schere und auch handwerklich liegen meine Fähigkeiten weit unter der Toleranzgrenze. Aber Frank hat sich noch nie beschwert. Die vorigen Male sah er nach meinem Haarschnitt nicht entstellt aus, aber auch nicht super. Mittlerweile sind wir eingespielt, ergänzen uns – irgendwie. Seine Anwesenheit kann ich genießen, da sie immer viel Ruhe und Stärke ausstrahlt.
»Wie ist es dazu gekommen, dass du auf der Straße gelandet bist?«, erkundige ich mich nach einer Weile. Diese Frage brennt mir schon lange unter den Nägeln, doch heute erscheint es mir das erste Mal richtig, sie auch laut auszusprechen.
Er antwortet mir erst, als ich überzeugt davon bin, dass ich mit der Neugierde zu weit gegangen bin.
»Erzählst du mir dann von den Schatten in deinen Augen?«
Nun ist es an mir, meine Antwort zu überdenken und gegebenenfalls die Monster der Vergangenheit wieder aufzuwecken.
»Ich war Soldat«, sagt er unvermittelt in die Beats von Final Masquerade. Da ich mir denken kann, dass seine Geschichte und das Schicksal, das damit verbunden ist, nicht einfach sind, unterbreche ich Frank nicht. Warte auf die nächsten Worte, die nach einer Ewigkeit erst bereit sind, geformt zu werden. »Ich war im Krieg.« Das würde die Anzahl der Narben erklären. »Meine Augen haben zu viel gesehen, was mein Geist bis heute nicht verarbeiten kann. Ich habe Erwachsene und Kinder, die von Waffen getötet wurden, anschauen müssen. Teilweise sahen die Körper nicht mehr menschlich aus. Diese Bilder konnte ich auch nicht vergessen, als ich zurückkam.« Seine Worte schmerzen mich. Die Vergangenheit eines tapferen Mannes, die ihn gebrochen hat. »Zu Hause wartete meine Familie. Frau und Sohn.« Franks Worte veranlassen mich, in den Bewegungen innezuhalten, und ich schlucke die Bilder herunter, die sich im Geiste formen. Frank mit militärischem Bürstenhaarschnitt, in Uniform und geschundener Seele.
»Aber ...«
»Warum ich an den Erinnerungen zerbrochen bin? Ich war dafür verantwortlich, dass ein Kinderheim nicht mehr stand. Nach dem Anschlag habe ich die Kinderarme, die leblosen Körper und auch die Spielsachen gesehen. Nicht ein verstecktes Rebellennest war dort, es waren Kinder. Kleine Menschen, die ihr ganzes Leben noch vor sich hatten. Und ich habe den Befehl ausgeführt.«
Leise schlucke ich die Schluchzer herunter, die mir im Halse stecken. Die Tränen kann ich hingegen nicht aufhalten. Sie benetzen meine Wangen und verschleiern mir die Sicht, sodass ich den Haarschnitt noch nicht beenden kann. Stumm weine ich und versuche, mir meine emotionale Achterbahn nicht anmerken zu lassen.
»Eines Nachts bin ich wach geworden, als ich einen feindlichen Soldaten gewürgt habe. Allerdings war der Feind in mir und der Hals meiner Frau unter den verräterischen Fingern. Die Panik, dass ich den beiden noch mehr Leid antun könnte, breitete sich in mir aus. Ich schwor mir, die Personen, denen mein Herz gehört, zu schützen. Und so verschwand ich noch in jener Nacht.«
»Du bist ein Arsch«, platzt es aus mir heraus.
»Die Bilder sahen so real aus. Hätte ich gewusst, dass es ein Traum war ...«
»Du hast dich entschieden, zu sein, wie du bist«, falle ich ihm ins Wort.
»Mein Unterbewusstsein hat mir Streiche gespielt.«
Genervt rolle ich mit den Augen, als mir bewusst wird, dass er nicht versteht, worauf ich hinaus möchte. »Aber zu gehen, war eine bewusste Entscheidung.«
»Eine Wahl, die ich treffen musste.«
»Falsch. Du bist feige.« Frank schaut mich immer noch nicht an und das macht mich gerade rasend. Langsam trete ich an ihm vorbei und fixiere seine Augen. »Es war ein egoistischer Entschluss, deine Familie zurückzulassen. Ein Soldat lässt seine Brüder, seine Truppe nicht zurück. Er kämpft bis zum Schluss und geht nicht den einfachen Weg.«
»Was hätte ich tun sollen?«, fragt er mit brüchiger Stimme.
»Du hättest bleiben können. Psychologische Betreuung wäre nicht leicht gewesen. Doch du hättest deiner Familie die Entscheidung nicht abnehmen dürfen. Dein Sohn wächst heute ohne Vater auf, hast du daran gedacht? Er wird sich Nacht für Nacht weinend in den Schlaf wiegen und fragen, was er gemacht hat, dass sein Papa ihn alleingelassen hat. Deine Partnerin kann es sich zusammenreimen, doch auch sie hast du gebrochen. Du hast sie verlassen, als sie gerade ihren Mann zurückhatte. Er hatte den Krieg überlebt, hatte noch alle Gliedmaßen am Körper, als sie ihn nach dem Einsatz wieder umarmen konnte, und doch war er ein Fremder geworden. Ein Ehemann, der seine Frau betrügt, weil er seine Gedanken, Sorgen und auch Erlebnisse nicht mit ihr teilte. Du bist feige.«
»Ich denke, ich gehe jetzt besser.«
»Nackt?«, frage ich nur.
Seine Augen werden schmal und ich sehe die Wut darin blitzen. »Du weißt nicht, wie schwer mir die Entscheidung gefallen ist.«
Das Schnauben kommt ganz unwillkürlich über meine Lippen.
»Danke für den Haarschnitt. Ich komme schon zurecht.«
Frank erhebt sich von dem Stuhl und ich drücke seufzend seine Schultern hinab. Lasse meine Hände auf der warmen Haut und den Knochen, die sich darunter abzeichnen, liegen. Doch dieses Mal nehme ich all das anders wahr. »Du kannst mit deiner Frisur wirklich nicht auf die Straße. Ich rede nicht weiter über deine Vergangenheit. Jedoch hoffe ich, dass du dir meine Worte durch den Kopf gehen lässt.«
»Du hast ja keine Ahnung ...«
»Wahrscheinlich ...«
Danach vollbringe ich ein wahres Wunder. Ich befreie sein Gesicht vom restlichen Gestrüpp und bringe auch den begonnenen Haarschnitt so weit in Ordnung, dass der Mann in meiner Wohnung sich wieder auf die Straße wagen kann. Weil die Wäsche sich bereits im Trocknergang befindet, koche ich uns Nudeln. Keine Kunst, aber ich bin auch in der Küche nicht begabt. Um einige Vitamine in meinen Gast zu bekommen und mein Gewissen etwas zu erleichtern, reiße ich eine Fertigsalattüte auf. Das Dressing aus der Flasche gieße ich darüber und vermenge alles. Frank hat mittlerweile den Tisch unter Anweisung gedeckt, sodass wir direkt mit dem Essen beginnen können.
Die ersten Bissen verschlingen wir beide noch schweigsam, doch dann plappern wir über alles, was uns in den Sinn kommt, und das ernste Thema von vorhin ist verdrängt.
Die Woche schleppt sich dahin. Die Stimmung im Hotel ist angespannt und meine Kolleginnen schleichen nur noch über die Gänge. Sobald Teresa irgendwie in die Nähe kommt, ziehen alle ihre Köpfe ein und sind noch unsichtbarer als sonst. Natürlich findet sie immer bei mindestens einer anderen Person, etwas zu bemängeln. Jeder Tag wird zum Spießrutenlauf und ich verfluche das Geld, auf das ich angewiesen bin.
Samstags reißt mich ein Klingeln in aller Frühe aus dem Land der Träume. Im ersten Moment weiß ich noch nicht einmal, ob es mein Handy ist, das dort klingelt. Aber der Typ neben mir rührt sich nicht, daher gehe ich auf die Suche nach dem Wecker des Tages. Das Problem bei der Fahndung ist nur der Restalkohol, der noch immer durch meine Adern fließt. Ich schwanke in einer fremden Wohnung herum und verliere mehrfach den Halt, stolpere über Dinge, die am Boden liegen. Gerade als ich das Smartphone in meiner kleinen Tasche gefunden habe, verstummt es. Natürlich. Es verhöhnt mich. Das doofe Ding weckt mich und stellt sich dann tot. Genervt lasse ich es zurück zwischen das Leder gleiten und schaue mich blinzelnd in diesem ... Saustall um. Der erste Impuls, mich wieder in das Bett zu legen, ist wie weggeblasen. Eilig schlüpfe ich in meine Klamotten und gerade, als ich die Tür hinter mir zuziehe, klingelt das Handy erneut. Dieses Mal ist das Gerät schneller aufgespürt und auch zwischen den Fingern. Jedoch habe ich es gestern anscheinend versäumt, meine Kontaktlinsen herauszunehmen. Dadurch muss ich erst mehrfach blinzeln, um einen Blick auf die Nummer werfen zu können. Teresa. Einen Moment überlege ich, den Anruf einfach zu ignorieren. Heute ist einer der wenigen freien Tage. Ein Samstag, den ich mit lernen für die kommenden Klausuren vollstopfen wollte. Die Zeit bis zu den Prüfungen kann ich ausschließlich mit pauken verbringen und muss sie nicht zusätzlich im Hörsaal absitzen. Allerdings sollte ich dann nicht in fremden Betten schlafen, sondern tatsächlich lernen. Doch mein benebeltes Hirn weiß auch, dass sich der Monat langsam dem Ende zuneigt und ich das Geld sicher gebrauchen könnte.