Zerreißprobe: Liebe - Paula Herzbluth - E-Book
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Zerreißprobe: Liebe E-Book

Paula Herzbluth

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Beschreibung

Sophia kennt den Namen des Vaters ihrer Tochter nicht. Aber das stört sie nicht weiter. Natürlich ist es hart, alleinerziehende Mutter zu sein, doch ein Mann fehlt ihr nicht wirklich. Lars ist verheiratet und hat gemeinsam mit seiner Frau eine Tochter. Er hat alles, was ein Mann sich wünschen kann. Eine Familie, ein Haus und einen gutbezahlten Job. Phia und Lars begegnen sich das erste Mal in der Kita ihrer Töchter. Die Anziehung und die Neugierde auf den jeweils anderen fasziniert und irritiert sie zugleich. Kann Phia mit einem verheirateten Mann zusammen sein? Kann Lars wirklich seine Familie aufs Spiel setzen? Oder ist eine Trennung der beiden unausweichlich? Alle Romane dieser Serie sind in sich abgeschlossen. 1. Bauprojekt: Liebe 2. Zerreißprobe: Liebe 3. UnverwechselBar: Liebe 4. Boxenstopp: Liebe 5. Neuanfang: Liebe

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Veröffentlichungsjahr: 2021

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Zerreißprobe: Liebe

Phia & Lars

Paula Herzbluth

Inhalt

I. Vor zwei Jahren

Jeder Anfang ist schwer ...

Wem möchte ich hier etwas vormachen?

DER Freitag

Der Tag danach ...

Freunde

Begegnungen

Treffen

Kennenlernen – oder nicht?

Die Zeit danach ...

II. Gegenwart

Neuigkeiten

Wiedersehen

Und jetzt?

Was für glückliche Zufälle!

Woher kam der Wandel?

Das kann jetzt nicht sein ...

Gemeinsam

Heimliche Treffen

Es kommt, wie es kommen muss ...

Zu viel des Guten

Schneller vorbei, als es beginnen konnte?

Copyright: © 2016 Paula Herzbluth

Coverfoto:

Gestaltung: © NaWillArt-CoverDesign

Motive: © depositphotos.com – nanka-photo, pershing,

nemez210769, RuthBlack, barbaliss

Lektorat: http://dkf-korrekturen.net – Diana Falke

Zweitkorrektur: Schreib- und Korrekturservice Claudia Heinen

Außerdem mitgewirkt hat: June Herald

3. Auflage

Paula Herzbluth

c/o Sebastian Münch

Rechtsanwalt / Steuerberater

Gartenstraße 44

40479 Düsseldorf

[email protected]

Alle Rechte vorbehalten. Ein Nachdruck oder eine andere Verwertung ist nachdrücklich nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin gestattet. Sämtliche Personen in diesem Text sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig.

Für Euch!

Freunde,

die wie Familie sind!

Teil I

Vor zwei Jahren

Jeder Anfang ist schwer ...

»Und wer bist du?«

Lächelnd blicke ich in das Gesicht der Erzieherin meiner Tochter Marie. Heute ist ein aufregender Tag für meine Kleine. Ihr erster Tag in der Kita und Marie versteckt sich recht schüchtern hinter meinem Bein. Dabei ist sie doch sonst nicht so.

Mitfühlend hocke ich mich zu ihr hinunter, wiederhole die Frage der Erzieherin und versuche, sie so zu ermutigen: »Hm, wie heißt du?«

»Marie«, kommt es ganz furchtbar leise aus ihrem Mund.

»Prima. Eine Marie fehlt uns noch in der Gruppe. Schau mal, hier ist dein Haken. Da kannst du deine Jacke und die Schuhe ablegen.«

Marie schaut unsicher zu mir auf. Aufmunternd nicke ich ihr lächelnd zu. Daraufhin zieht sie ihre Jacke und die beiden Schuhe aus. Aus dem großen Beutel hole ich die neuen Hausschuhe, reiche sie ihr und sie zieht sie auch direkt an.

Dann schiebt sie ihre kleine Hand in meine. Wir machen uns zusammen mit der Erzieherin, Frau Pesch, auf den Weg in den Gruppenraum.

Hier erklärt mir die Erzieherin in kurzen Sätzen den gewöhnlichen Ablauf des Kindergartenalltages. Jetzt soll ich mich erst einmal mit Marie etwas beschäftigen, bis sie sich in den Räumlichkeiten freier bewegt.

So lege ich meine Handtasche in eine Ecke und setze mich mit meiner Tochter auf einen Teppich. Sie kuschelt sich vertraut an mich und ich lese ihr leise aus dem Buch, das neben meiner Tasche lag, vor.

Eine gefühlte Ewigkeit und viele neugierige Blicke von Marie später versuche ich, sie zu ermutigen, zu den anderen Kindern zu gehen. Sie schaut mich noch etwas skeptisch an. Frau Pesch greift meine Bemühungen sofort auf und animiert Marie, mit ihnen gemeinsam ein Spiel zu spielen. Meine Tochter wagt sich mit schüchternen Blicken das erste Mal auf eigene Entdeckungstour und mein Herz schwillt vor Stolz an. Doof, oder? Ich glaube, das kann man auch nur verstehen, wenn man eigene Kinder hat.

Vom Teppich aus beobachte ich Marie.

Nachdem ich eine Weile schweigend zugeschaut habe, beuge ich mich zu meiner Tasche, um den kleinen Notizblock zu suchen. Sobald ich fündig geworden bin, schmiere ich schnell einige Ideen für eine neue Kolumne hinein. Diesen Block habe ich immer bei mir, um verschiedene Gedanken gleich festhalten zu können, die mich in den seltsamsten Momenten aufsuchen.

Ein Kribbeln auf meiner Haut, das alle feinen Härchen aufstellen lässt, breitet sich auf dem gesamten Körper aus. Verwundert hebe ich den Blick und schaue in wunderschöne grüne Augen. Der dazugehörige Mann hat einen leicht ergrauten Dreitagebart. Seine Haare, die den gleichen Farbton wie sein Bart haben, liegen locker zur Seite gekämmt. Ich spüre, dass mir der Mund offen steht, schließe ihn abrupt und senke beschämt meinen Blick.

Oh Mann, habe ich tatsächlich gerade einen Vater im Kindergarten mit offenem Mund und großen Augen angestarrt? Das nenne ich mal peinlich. So sollte es jedenfalls nicht weitergehen ... Ich sollte mich benehmen. Komm schon, reiß dich zusammen, Phia.

Als ich einmal tief durchgeatmet habe, hebe ich langsam meinen Blick. Er steht mit dem Rücken zu mir, sodass ich die Gelegenheit habe, seine Kehrseite in Augenschein zu nehmen. Die Anzughose hebt seine Vorzüge wahnsinnig gut hervor, aber leider verdeckt das Sakko alles viel zu sehr. Zumindest für meinen Geschmack. Ich schlucke, aber im Mund ist und bleibt es trocken.

»Frau Pütt? Hallo?«, dringt langsam die Stimme von Frau Pesch in mein sabberndes Bewusstsein. Oh nein. Das nenne ich erwischt. Die Erzieherin blickt mich lächelnd – und auch ein wenig wissend – an, als ich den Blick endlich auf sie fokussieren kann. Ich versuche mich an einem Lächeln, weiß aber im gleichen Moment, dass es mir misslungen sein muss. Es fühlt sich nämlich eher wie eine Grimasse an.

»Ich denke, Sie können jetzt schon einmal einen Kaffee trinken gehen. Bitte verabschieden Sie sich von Marie und sagen ihr, dass Sie unten warten, ja?«

Ich nicke ihr nur zu. Meine Stimme scheint immer noch im Land der Peinlichkeiten verschollen zu sein.

Rasch stopfe ich den Block und den Stift in meine Handtasche zurück und hänge sie mir über die Schulter.

Als ich mich suchend nach Marie umsehe, bemerke ich, dass Monsieur Grün-Auge mich noch einmal kurz betrachtet. Mein Herz macht einen Aussetzer. Ich beobachte ihn, wie er sich eilig zu seiner Tochter umdreht, um sich von ihr zu verabschieden, und dann den Raum verlässt.

Das Kribbeln in meinem Bauch lässt mich kurz stutzen. Ich weiß, ich bin keine alte Jungfer, aber seit Marie geboren ist, habe ich das andere Geschlecht gemieden. Nein, gemieden ist das falsche Wort. Irgendwie war ich einfach nicht mehr an Männern interessiert. Die meiste Zeit hatte ich eh keine Muße, mich auch nur annähernd auf meine Libido zu konzentrieren. Den Platz der Muße hat nun ein batteriebetriebener Helfer, der sich in meiner Nachttischschublade befindet, eingenommen. Allerdings ignoriere ich ihn größtenteils. Das Wissen, dass er dort wartet, genügte mir ... Oh nein, habe ich in der Vergangenheit gedacht? Heißt das, dass mir das jetzt nicht mehr reicht?

Verwirrt schüttle ich den Kopf, damit die Gedanken verschwinden. Was ist bloß los mit mir?

Ich verabschiede mich mit einer Umarmung von Marie und sage ihr, dass ich unten einen Kaffee trinken gehe. Dann mache ich mich auch schon auf den Weg.

Was ist denn bloß mit mir los? Heute ist wirklich nicht mein Tag! Erst stehe ich viel zu spät auf, dann weigert sich Laura auch noch, in die Kita zu gehen ... Und obendrein ist da plötzlich diese Frau, die ich nicht mehr aus den Augen lassen möchte. Das verstehe ich einfach nicht! Hübsche Frauen sind sonst auch kein Problem für mich. Ich habe doch selbst eine zu Hause. Wie gesagt – oder gedacht –, heute scheint nicht mein bester Tag zu werden. Nur gut, dass ich keine wichtigen Termine auf der Arbeit habe.

Gedanklich noch bei meinem beruflichen Kalender steige ich die Treppen der Kita hinab, als mir einfällt, dass Lauras Rucksack noch im Auto liegt.

Na toll. Jetzt aber schnell, damit ich noch einigermaßen pünktlich komme.

Ich sprinte zu meinem Auto, hole besagten Rucksack hervor und mache mich schon wieder auf den Weg zurück.

Gerade nehme ich zwei Stufen auf einmal, als mir jemand entgegenkommt. Automatisch hebe ich meinen Blick von der Treppe und schaue in blaue Augen. Das sind die blauen Augen, die ich gerade schon mit zu viel Neugierde betrachtet habe. Ich schlucke, versuche mich an einem Lächeln und hechte weiter an ihr vorbei. Dabei atme ich ein und mein Körper reagiert auf den Hauch von Vanille und einem, für meinen Geruchssinn, völlig neuen, aber erregenden Duft.

Als ich auf dem Treppenabsatz angekommen bin, drehe ich mich noch einmal zu ihr um. Ihre blonden Locken bewegen sich wippend zum Takt der Stufen. Ihre Statur scheint sportlicher Natur zu sein.

Erschrocken von der Reaktion, gebe ich meinem erstarrten Körper mit einem Ruck zu verstehen, dass er sich wieder in Bewegung setzen soll. Was er nach einer gefühlten Ewigkeit auch macht.

Meine Schritte sind zügig, aber auf mich wirken sie gerade eher roboterhaft. Wahrscheinlich, weil mein Körper noch nicht in gewohnter Verfassung ist. Das Kribbeln, das in mir surrt, verstört meine Gedanken.

»Papa, was machst du denn hier?«

Ich lächle Laura an und hebe den Rucksack. »Wir hatten den Rucksack im Auto liegen gelassen.« Ich reiche ihn Laura und verabschiede mich mit einem raschen Kuss auf die Wange. So, jetzt muss ich aber wirklich los.

Ich bediene mich gerade an dem Kaffee, der für wartende Eltern bereitsteht, und gehe mit dem Kaffeebecher in der Hand wieder zu den Besucherstühlen zurück. Dort setze ich mich und stelle die Tasse nach dem ersten Schluck auf den kleinen Beistelltisch. Mit einer Hand krame ich in meiner Handtasche, als auch schon wieder jemand an mir vorbeieilt. Ich schlucke. Es ist Grün-Auge. Er sieht mich nicht und so kann ich ohne große Schüchternheit – und ohne schlechtes Gewissen – seine Kehrseite betrachten. Viel zu schnell ist er aus meinem Sichtfeld verschwunden.

Ich schüttle noch einmal den Kopf, bevor ich mich dazu zwingen muss, meine Gedanken in andere Bahnen zu lenken.

Die Eingewöhnung verläuft nicht so gut, wie ich es mir erhofft hatte. Die erste Woche ist nun vorbei und ich muss immer noch in der Kita sitzen. Zwar kann ich mich jeden Tag auf den Besucherstuhl verkrümeln, aber Marie kommt immer wieder gucken, ob ich noch da bin. Ich hatte mir eigentlich vorgestellt, dass meine Tochter mit der neuen Situation besser klarkommt. Sie hat die ersten beiden Jahre ja auch bereits bei einer Tagesmutter verbringen müssen. Zwar nur ein paar Stunden, aber sie kennt es nicht anders. Sandra, Maries Kindermädchen, hat sich nach einem halben Jahr um sie gekümmert, sodass sie aus Maries Sicht praktisch zur Familie gehört.

So sitze ich wieder auf diesem blöden Stuhl und versuche, zwischen dem Kinderlachen und dem lauten Gebrüll ab und zu einen klaren Gedanken zu fassen. Im besten Falle landet dieser dann auch auf dem Papier. Jedoch wird die Hoffnung auch hier enttäuscht. Ich hatte nämlich gedacht, mich trotz Lärm und Geräuschpegel konzentrieren zu können. Nach einem tiefen Seufzer landen meine Schreibutensilien wieder in der Tasche.

Marie kommt das dritte Mal mit ihrer Erzieherin vorbei. Doch dieses Mal fordert Frau Pesch sie auf, etwas zu sagen.

Die blauen Augen meiner Tochter betrachten mich. »Mama, du gehen. Holen mich wieder ab?«

Ich schaue meine Kleine überrascht an. »Aber natürlich komme ich wieder. Immer!«, sage ich und streichle ihr Gesicht. »Wann kann ich sie denn wieder abholen?«, frage ich an Frau Pesch gewandt.

»Ich würde die Geduld zurzeit nicht überstrapazieren. Vielleicht sind Sie noch vor dem Mittagessen wieder da?«

Ein Blick auf meine Uhr verrät mir, dass mir etwa eine Stunde bis dahin bleibt. Zumindest besser als nichts. Ich nicke, schließe Marie noch einmal in die Arme und hauche ihr einen Kuss auf die Stirn. »Ich komme dich dann gleich holen, ja? Bis dann!« Mit diesen Worten packe ich meine restlichen Sachen zusammen und verschwinde aus der Kita.

Zu Hause angekommen, schreibe ich den Artikel. Die Gedanken kamen mir auf dem Weg in unsere Wohnung. Meine Finger fliegen regelrecht über die Tastatur.

Von irgendwoher vernehme ich das Klingeln des Weckers, der mich daran erinnert, Marie wieder abzuholen. Nicht, dass ich sie vor lauter Arbeit einfach in der Kita vergesse. Was durchaus passieren könnte ...

Ohne die Datei zu überprüfen, speichere ich sie auf meinem Laptop ab. Das muss ich später nachholen. Vielleicht, wenn Marie im Bett ist? Die Kita schlaucht sie, sodass sie ihren Mittagsschlaf sehr ausgiebig nimmt. Mir kann es im Moment nur recht sein. So komme ich meistens noch dazu, ein paar Zeilen zu schreiben.

Ich hetze gerade wieder in die Kita, um Marie pünktlich abzuholen, als mit mir eine rothaarige Frau die Räumlichkeiten betritt. Wir grüßen uns freundlich. Ich folge der attraktiven Frau. Sie ist hübsch und hat diese blasse Haut, die für diese Haarfarbe so typisch ist. Die Sommersprossen auf ihrer Alabasterhaut runden das Bild nur ab. Sie besitzt eine sportliche Figur und wirkt mit den grünen Augen sympathisch.

Als wir beide vor Maries Gruppe anhalten, ist mir plötzlich klar, welche Mutter ich hier gerade vor mir habe. Diese roten Haare hätten es mich schon von Anfang an wissen lassen müssen. Nach dieser Erkenntnis betrachte ich sie mit einem neugierigen Blick.

Als das kleine Mädchen in ihre Arme gelaufen kommt, muss ich schmunzeln. Die Ähnlichkeit ist wirklich nicht mehr von der Hand zu weisen.

Marie nähert sich mir und ruft mir währenddessen zu: »Mama, ich habe nicht geweint.«

Ich lächle und streiche ihr versonnen durch das Haar, als sie in meinen Armen liegt. »Das ist ja toll. Ich bin ziemlich stolz auf dich.«

Zusammen setzen wir uns auf die kleine Bank vor dem Raum und ich mache mich daran, ihr wieder die Schuhe und Jacke anzuziehen.

»Hallo. Wir kennen uns noch gar nicht! Du bist sicherlich Marie. Laura hat mir schon viel von dir erzählt.« Dann richten sich die grünen Augen auf mich. Sie hält mir ihre Hand hin. »Ich bin Fiona.«

Lächelnd erhebe ich mich und reiche ihr meine Hand. »Hi. Ich bin Sophia und das ist Marie.«

»Laura hat mir bereits erzählt, dass du so tolle Haare hast. Nun sehe ich sie ja selbst. Leider haben wir keine Locken. Aber bei euch scheint es ja auch in der Familie zu liegen, oder?«

Ich deute schnell auf Lauras Haar. »Dafür habt ihr so eine schöne Farbe.«

Wir lächeln uns noch einmal freundlich an.

Irgendwie ist es ein komisches Gefühl, die Frau von dem Herrn mit den faszinierenden grünen Augen zu sehen. Verwirrt schüttle ich den Kopf. Warum sollte es komisch sein? Das ist eine andere Mutter, mehr nicht!

Wem möchte ich hier etwas vormachen?

Die Tage vergehen und ein Schmetterlingsschwarm fliegt in meinem Bauch wild umher, sobald ich morgens auf den Typen mit den moosfarbenen Augen treffe. Meistens lächeln wir uns nur kurz an, doch sowie er seine Stimme erhebt und redet, überläuft mich eine Gänsehaut. Die Worte sind selten an mich gerichtet. Wenn ich es mir recht überlege: eher nie. Ab und zu habe ich das Gefühl, dass es zwischen uns knistert. Kennt ihr das, wenn die Luft so energiegeladen ist, dass gleich die Funken sprühen? Ich meine, man hört es nicht, aber man spürt es mit jeder Zelle seines Körpers. Und die Schmetterlinge, die meinen Bauch neuerdings bewohnen, reagieren ebenfalls darauf. Sie schwirren dann wie verrückt durch mein Inneres.

Vor zwei Tagen habe ich mich vor mir selbst erschrocken. Ein Gefühl der Enttäuschung erfüllte mich, als ich Marie in ihre Gruppe brachte und Laura bereits in ein Spiel vertieft war. Ich meine, das ist doch nicht normal? Ich kenne den Vater noch nicht einmal – geschweige denn seinen Namen – und trotzdem reagiere ich so stark auf ihn. Er hat eine Familie. Wer glaube ich zu sein, dass ich ihn heiß finden darf? Vielleicht möchte mir mein Körper ja auch einfach nur zeigen, dass er nach langer Zeit Zärtlichkeiten eines Erwachsenen braucht? Wahrscheinlich sollte ich mein nächstes freies Wochenende nutzen, um mit Mel mal wieder um die Häuser zu ziehen? Sie würde sich sicherlich freuen und mir würde es augenscheinlich auch guttun ...

Bevor ich es mir wieder anders überlege, greife ich nach meinem Handy und schreibe Mel eine Nachricht.

Mels Anruf kommt keine Minute später. Ich muss grinsen.

»Jaaaaa!«, ertönt es lautstark aus dem Handy, das ich reflexartig zwanzig Zentimeter von meinem Ohr entfernt halte.

Mein Lächeln wird noch ein Stückchen breiter. »Sollen wir dann das nächste Tantenwochenende direkt festhalten?«

»Das ist immer am ersten Wochenende im Monat, oder?«

»Ja, genau. In zwei Wochen. Würde das bei dir gehen?«

»Warte, ich schau gerade nach ... Ja, das klappt. Mensch, Phia, du hast mir wirklich meinen Tag versüßt. Ich freue mich schon. Jetzt muss ich aber wieder arbeiten. Sonst kommt noch meine Teamleiterin rein und fragt mich, warum ich so lange brauche.«

Dieses Lächeln in Mels Stimme gibt mir ein gutes Gefühl.

Das Telefon lege ich gar nicht erst aus der Hand, sondern rufe meine kleine Schwester an. Ich vergewissere mich, dass unsere Verabredung morgen steht. Lea sagt, dass sie direkt nach der Arbeit zu uns kommt.

Insgeheim lächle ich in mich hinein. Sie möchte bestimmt auch mit uns zu Abend essen. Thomas, ihr Freund, ist meistens erst später zu Hause. Er bringt zwar fast immer eine Kleinigkeit aus seinem Bistro mit, aber Lea sagt selbst, dass sie zu so später Uhrzeit bereits verhungert ist.

Wir beenden das Gespräch und ich freue mich schon auf morgen.

Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass ich noch genug Zeit habe, den Artikel weiterzuschreiben, bevor ich Marie aus der Kita abholen muss. Daher widme ich mich wieder meiner Tastatur.

Als ich diesen Nachmittag meine Tochter im Kindergarten einsammele, hängt ein Zettel an Maries Haken. Ich öffne ihn verwundert und sehe eine Telefonliste von der Gruppe. Ich überfliege die Zeilen der Liste und bemerke, dass ich wohl die einzige alleinerziehende Mutter in ihrer Gruppe bin.

Das tiefe und doch bekannte Gefühl der Einsamkeit überfällt mich so schnell, dass ich erst einen Moment innehalten muss. Diese Erkenntnis stimmt mich gerade etwas traurig. Was komisch ist, denn sonst stört es mich nicht, alleinerziehend zu sein. Aber das ändert nichts an der jetzigen Situation.

Irritiert falte ich den Zettel wieder zusammen und lege ihn in meine Tasche, bevor ich Maries Aufmerksamkeit auf mich ziehe. Sie rennt mir, mit einem Strahlen im Gesicht, in die Arme und ich halte sie einen Moment länger fest als sonst. Die Telefonliste hat meine Stimmung getrübt. Doch das kleine Monster in meinen Armen schafft es bestimmt, mich im Laufe des Tages wieder aufzumuntern.

»Mama, Mama, schau!« Marie reicht mir ein Blatt, auf dem die wildesten Zeichnungen festzustellen sind.

Schon wieder etwas milder gestimmt, lächle ich sie an und streiche ihr durch die Haare. »Das sieht ja hübsch aus.«

»Rakete. Ich gemacht!«

»Das hast du wirklich ganz toll gemacht, meine Süße.«

Nachdem Marie in die Straßenschuhe geschlüpft ist und die Jacke angezogen hat, greife ich nach ihrem Rucksack und wir gehen Hand in Hand in Richtung unserer Wohnung. Meine kleine Maus brabbelt die ganze Zeit von den Dingen, die sie heute im Kindergarten erlebt hat.

Zu Hause angekommen, versucht Marie, die Schuhe und ihre Jacke auszuziehen. Mit ein wenig mütterlicher Hilfe schafft sie es und verschwindet danach schon in ihrem Zimmer. Sie holt irgendein Puzzle hervor, das sie im Wohnzimmer zusammensetzen möchte.

In der Zwischenzeit räume ich den Rucksack aus und verstaue die Brotdose in der Spülmaschine. Danach setze ich mir erst einmal einen Kaffee auf. Bis der durchgelaufen ist, hocke ich mich zu Marie und helfe ihr bei dem Puzzle.

Ich komme genervt und erschöpft von einem viel zu anstrengenden Arbeitstag nach Hause. Momentan klappt einfach nichts so richtig.

Laura läuft mir in ihrem Schlafanzug entgegen. Ich ziehe sie in die Arme und habe direkt ein Lächeln im Gesicht.

Nachdem der kleine Wirbelwind zurück ins Wohnzimmer verschwunden ist, lege ich die Notebook-Tasche an die Garderobe und ziehe mein Sakko aus. Ich löse die Krawatte und öffne den obersten Knopf an meinem Hemd.

Fiona kommt aus der Küche und lächelt mich müde an. »Schön, dass du da bist.« Dann beugt sie sich zu mir und gibt mir einen Kuss auf die Wange.

»Hm.« Ich knöpfe die Hemdsärmel auf und kremple sie hoch. An unserer Pinnwand sehe ich einen neuen, großen Zettel, der meine Neugierde weckt. Einen kurzen Blick auf das Papier und ich erkenne, dass es die Telefonliste für Lauras Gruppe ist. Mein Herz fängt an zu rasen und ich muss mich zwingen, den Blick nicht suchend über die Zeilen fliegen zu lassen. Bewusst wende ich mich ab und gehe in die Küche, um mir einen Schluck Wasser einzugießen. Ich trinke das Glas leer.

»Papa, Papa, liest du mir heute vor?«

Ich lächle Laura an, die in der Küchentür stehen geblieben ist. »Na klar, welches Buch soll es denn sein?«

»Du hattest doch gestern eins angefangen, das kannst du ja weiterlesen, ja?«

Ich nicke ihr zu, dann sitzt sie auch schon wieder vor dem Fernseher. Ihre Lieblingssendung beginnt nun.

Fiona kommt auf mich zu. »Hast du schon etwas gegessen? Oder essen wir gleich zusammen?«

Ich hebe verwundert meinen Blick. »Wieso? Hast du noch nicht mit Laura gegessen?«

Sie schüttelt den Kopf und lächelt mich zaghaft an. »Ich dachte, wir könnten beim Essen noch einmal in Ruhe quatschen ...«

Ich zucke mit den Schultern. »Klar.«

Nachdem ich meine Anzughose durch eine bequeme Jeans getauscht habe, lese ich Laura ihre versprochene Geschichte vor. Sobald ich geendet habe, gebe ich ihr noch einen Gutenachtkuss und decke sie bis oben hin zu.

Völlig erschöpft setze ich mich an den gedeckten Tisch im Essbereich.

Fiona füllt die Teller mit Essen, dann auch Rotwein in unsere Gläser und ich überlege panisch, ob ich einen besonderen Anlass vergessen habe. Erwartungsvoll blicke ich sie an, denn ich weiß nicht so genau, was ich von der Situation zu halten habe.

»Lass es dir schmecken.« Mit einer Kopfbewegung deutet sie auf den vor mir stehenden Teller.

»Du dir auch.«

Und dann essen wir. Wir reden nicht viel miteinander, schweigen uns eher an. Und ich muss mir leider eingestehen, dass ich nicht weiß, was ich noch erzählen soll. An manchen Tagen habe ich das Gefühl, dass wir uns auseinandergelebt haben. Es stimmt mich traurig, denn Fiona ist wirklich ein toller Mensch. Aber meine Gedanken kreisen immer wieder um eine bestimmte Frau. Und die ist, wie ich mir eingestehen muss, leider nicht meine eigene. Zu Beginn der Gedanken habe ich es noch nicht wirklich wahrgenommen. Doch seit ich sie in der Kita das erste Mal gesehen habe, bin ich neugierig. Ich möchte mich mit ihr unterhalten ... sie kennenlernen. Und das fühlt sich falsch an. Ich habe doch bereits eine Frau und ein Kind. Eigentlich sollte ich glücklich und zufrieden sein. Aber an manchen Tagen frage ich mich, ob das schon alles in meinem Leben gewesen sein soll.

Fiona erhebt plötzlich das Wort und reißt mich damit aus den Gedanken. Sie erzählt etwas von ihrer Arbeit und ich kann ihr nur mit einem Ohr zuhören. Meine Gedanken haben anscheinend seit zwei Wochen ein Eigenleben entwickelt.

Nachdem ich das Abendessen, die meiste Zeit schweigend, vertilgt habe und Fiona mich auch nicht auf einen verpassten Termin angesprochen hat, verschwinde ich wortkarg in mein Arbeitszimmer. Ich stürze mich noch mehr in die Arbeit. Dabei muss ich mir wenigstens keine Gedanken über dieses merkwürdige Schweigen machen und darüber, was das alles über unsere Beziehung und unsere Ehe aussagt.

Es klingelt an der Wohnungstür und ich schicke Marie, um Lea die Tür zu öffnen. Freudestrahlend betritt meine Schwester wenig später die Küche. Sie drückt mir einen Kuss auf die Wange, während ich die Kaffeemaschine bestücke.

»Hallo! Alles klar?«

Ich schaue Lea kurz an, bevor ich mich wieder der Maschine widme. »Was soll sein? Klar. Alles fein! Und bei dir?«

»Wie läuft es denn in der Kita? Hat Marie sich endlich richtig eingelebt?«

Sie antwortet mir mit einer Gegenfrage, ohne dabei meine eigene zu beantworten. »Hm? Ja, klar. Sie freut sich jetzt morgens schon darauf. Die Erzieher sagen zwar, dass sie noch keinen echten Spielpartner hat, aber das sei wohl auch normal in ihrem Alter.« Ich zucke mit den Schultern. »Hauptsache ist, dass Marie gerne dorthin geht, oder?«

Ich hole alle Zutaten für das Abendessen aus dem Kühlschrank und bereite einen Lachs-Spinat-Auflauf zu. Lea schaut mir dabei zu und quatscht von ihrer Arbeit.

»Ach, hast du es eigentlich geschafft, mir die Fotos auszudrucken, um die ich dich gebeten hatte?«, fragt mich Lea plötzlich.

»Ja, warte – ich gebe sie dir direkt.« Mit gewaschenen Händen und dem Geschirrtuch über einer Schulter hole ich die Abzüge aus meiner Handtasche. Dabei fällt mir auch ein Zettel heraus, den ich verwundert aufklappe. Die Telefonliste. Meine Augen streifen zügig über die Aufreihung. Ich schlucke einen Moment, als ich in Lauras Zeile angekommen bin. Aber mein Körper sucht wie von selbst die Buchstaben. Der Vater mit den unglaublich grünen Augen hat also einen Namen. Lars. Ich halte den Zettel noch einen Moment gedankenverloren in den Händen.

»Was hast du denn da Spannendes?«, fragt mich Lea.

Ich falte das Papier rasch – oder eher ertappt – zusammen und lege es hektisch in meine Handtasche zurück. Lea betrachtet mich amüsiert.

»Nichts. Nichts. Hier, schau mal, deine Fotos.« Ich reiche ihr die Bilder und zum Glück geht sie nicht auf den ominösen Zettel ein.

Lars! So ist also sein Name.

Kurz räuspere ich mich, denn das sind eindeutig die falschen Gedanken, die da gerade durch meinen Kopf jagen wollen. Wie soll ich mich denn dabei ablenken?

Lea schaut mich noch einmal an. »Das ist aber wirklich schön geworden, oder?« Sie lacht kurz auf und reicht mir den Abzug, auf dem Lea, Marie und ich zu sehen sind. Wir schneiden alle eine Grimasse. Diesen sonnigen Tag haben wir zusammen am Badesee verbracht. Es war ein toller Tag und das Bild beweist auch deutlich, wie viel Spaß wir gemeinsam hatten. Ich habe ihr das Foto extra in schwarz-weiß ausgedruckt, so wirkt es, wie ich finde, noch schöner. Und weil das Bild so schön ist, habe ich mir dieses tatsächlich auch auf den Schreibtisch gestellt. Und immer, wenn ich einen Blick darauf riskiere, muss ich lächeln. Das war einfach ein lustiger Moment.

»Weißt du was, wenn ihr Marie in zwei Wochen nehmt, werde ich mit Mel mal wieder richtig um die Häuser ziehen.«

Lea lacht laut auf. »Meinst du, du kannst das noch?«

Empört blicke ich ihr entgegen. »Was soll das denn heißen? Ich bin doch noch nicht alt.«

»Nein, nein. So meinte ich das auch nicht. Aber du warst jetzt schon fast drei Jahre nicht mehr aus. Meinst du, du hältst noch so lange durch wie früher?«

Ich zucke etwas beleidigt mit den Schultern. »Das wird sich zeigen.«

»Mensch, Phia, es war keine Absicht, dir auf den Schlips zu treten. Eigentlich wollte ich dich nur ein wenig foppen.«

»Ja, das ist dir gelungen. Aber wer weiß, wahrscheinlich würde ich länger als du aushalten, oder?«

Dazu muss ich vielleicht kurz erklären, dass ich vor der Schwangerschaft keine Party mit meiner Schwester und unserer gemeinsamen Freundin Melanie ausgelassen habe. Wir waren immer zusammen in Klubs unterwegs und ich habe das Leben in vollen Zügen ausgekostet. Ich habe viel getrunken, nicht so, dass ich ein ernsthaftes Problem bekommen hätte, aber doch so viel, dass ich an manchem Morgen nicht mehr wusste, wie der Abend davor geendet hat. Die Männer habe ich genauso wie den Alkohol genossen. Zu viele in viel zu kurzer Zeit und an manch einen Typen erinnere ich mich immer noch nicht.

Klar, ihr fragt euch jetzt bestimmt, wie das kein Problem darstellen soll, aber ich habe es nie so wahrgenommen.

Richtig wach geworden bin ich erst, als ich dann merkte, dass ich schwanger war.

Nicht wirklich ein Problem, wenn man in einer gefestigten Partnerschaft steckt. Nur kenne ich nicht mal den Namen des Erzeugers.

Ich weiß, das klingt jetzt wahrscheinlich ziemlich unvernünftig und für manche von euch auch schockierend.

Mein Leben ist nicht so, wie die Gesellschaft es gerne hätte. Auch das habe ich gelernt ...

Nachdem mein Frauenarzt die Schwangerschaft bestätigte und die erste Panik verflogen war, unterzog ich mich einem Aidstest.

Obwohl ich nie gute Noten in Biologie hatte, wurde mir schnell klar, dass, wenn ich schwanger werden konnte, dann könnte ich ja auch krank geworden sein, oder? Und die Tage, die ich auf das Ergebnis warten musste, waren die schwersten Tage meines Lebens. Die Ungewissheit, was wäre, wenn ...

Nun, der Test war Gott sei Dank negativ. Allerdings ist das dem Glück geschuldet und nicht unbedingt meinem erwachsenen Verhalten.

Und Marie? Marie habe ich einem, mir unbekannten, Mann zu verdanken, der heute immer noch nicht weiß, dass er Vater geworden ist. Aber ich bin diesem Menschen so unendlich dankbar. Er hat mir eine wundervolle Tochter geschenkt.

Ihr rollt jetzt bestimmt mit den Augen, dass das wieder einmal so ein Mutti-alles-ist-bei-mir-super-Gerede ist, aber ich bin wirklich glücklich. Ich wollte damit auch überhaupt nicht sagen, dass hier alles super ist. An manchen Tagen frage ich mich, ob ich die Herausforderungen, die das Leben täglich wieder neu erfindet, auch meistern kann. An anderen Tagen verzweifle ich an dem Druck, den ich mir selbst auferlege, alles immer perfekt zu machen. Und dann gibt es noch diese, in denen ich traurig bin, dass ich das alles alleine machen muss. Also alleine im Sinne von: alleinerziehende Mutter.

Und jetzt könnt ihr mir glauben, wenn ich sage, dass es schwer ist, einen vernünftigen Mann kennenzulernen, wenn man bereits ein Kind hat. Vielleicht, aber wirklich nur vielleicht, kommt erschwerend hinzu, dass ich nicht mehr feiern gehe. Wo soll ich dann also einen Mann kennenlernen? Aus diesem Grund steige ich seit nun fast drei Jahren alleine ins Bett. Aber trotzdem bin ich glücklich, Marie zu haben. Sie hat mir einfach die Augen geöffnet. Ich musste mein Leben ändern.

Mit dieser Erkenntnis habe ich dann alles reformiert und gelernt, dass man als Familie anders denken muss.

Nun bin ich freie Journalistin/Kolumnistin und verdiene damit genug Geld, um Marie und mir ein solides Leben zu ermöglichen.

Lediglich durch Telefonlisten wird mir manchmal wieder bewusst, dass ich einen Partner an meiner Seite vermisse. Irgendwie zumindest.

Ich seufze einmal kurz, bevor ich wieder in die Gegenwart eintauche.

Lea schaut mich nachdenklich an. »Mensch, Phia, der Abend mit Mel wird bestimmt toll. Ihr zwei zusammen. Wie in alten Zeiten, hm?«

Ich ringe mir ein Lächeln ab, denn meine Freude hält sich gerade arg in Grenzen. »Ganz so wild wird es wahrscheinlich nicht mehr. Aber wer weiß, vielleicht lerne ich ja jemanden kennen.«

DER Freitag

Heute ist der besagte Freitag. Grün-Auge-Lars habe ich kaum noch gesehen. Manchmal frage ich mich schon, ob ich mir das Ganze nicht eingebildet habe. Er ist verheiratet und ich bin einfach sehnsuchtsvoll alleine.

Ich bringe gerade Marie in die Kita. Wir deponieren ihren Übernachtungs-Trolley an der Kindergarderobe und ich gebe Frau Pesch Bescheid, dass sie heute von Lea abgeholt wird. Nach der herzlichen Verabschiedung von meiner Tochter wünsche ihr viel Spaß mit Lea und Thomas.

Gerade als ich beschwingt die Treppen nach unten steige, kommt mir Lars entgegen. Wir schauen uns in die Augen und meine Mundwinkel verziehen sich nach oben. Die Schmetterlinge in meinem Bauch brechen wieder zu einem neuen Rekord auf. Als er das Lächeln erwidert, bilden sich leichte Lachfältchen um seine Augen und seinen Mund.

Ich hauche ein leises »Guten Morgen«, und als wir aneinander vorbeilaufen, habe ich das Gefühl, dass er tief einatmet. Eine Gänsehaut überläuft meinen Körper und ich muss einen erregten Schauder unterdrücken.

Die Arbeit geht mir heute nicht so leicht von der Hand. In meinen Gedanken gehe ich diesen einen Moment immer wieder und wieder durch. Und alleine bei den Erinnerungen kribbeln mein Bauch und eine Region, die lange nicht mehr vor Verlangen gekribbelt hat.

Entsetzt stelle ich wiederholt fest, zu welchen Bildern mein hoch konzentriertes Hirn sich hat verleiten lassen. Erneut versuche ich, die Gedanken in eine andere Richtung zu lenken.

Vielleicht sollte ich mich langsam fertig machen? Obwohl Mel ja bestimmt wieder viel zu spät kommt. Das ist ja sozusagen ihr Markenzeichen. Aber lieber bin ich fertig, als dass Mel auch noch warten muss. Und das ist dann wiederum mein Merkmal. Überpünktlichkeit.

Im Bad versuche ich, die frisch geföhnten Locken irgendwie in einen annehmbaren Zopf zu bändigen. Die Augenlider bekommen eine dezente Farbe und die Lippen ziehe ich mit einem Lippenstift nach. Zum Schluss noch etwas Rouge, damit ich neben Mel nicht ganz so blass wirke.

Als ich gerade fertig bin, klingelt es bereits an meiner Tür. Ich betrachte mich noch einmal im Spiegel, bevor ich mir anerkennend zunicke und mich verwundert auf den Weg zur Wohnungstür mache. Wenn das jetzt Mel ist, dann habe ich wirklich viel Zeit im Badezimmer vertrödelt.

Tatsächlich kommt sie die Treppen hoch und rauscht in meine Wohnung.

Wow, sie sieht einfach umwerfend aus. Ihre knallroten Lippen verziehen sich zu einem Lächeln. Wir umarmen uns kurz und sie haucht mir einen Kuss auf die Wange. Dann schiebt sie mich auf Armlänge von sich und betrachtet mein Outfit. Sie nickt mir anerkennend zu.

»Hi Süße. Du siehst klasse aus. Dass du immer noch in deine Jeans passt, die du vor der Schwangerschaft gekauft hast. Das ist unverschämt. Ich müsste mir bestimmt neue Hosen in drei Nummern größer kaufen.«

»Quatsch. Mel, du hast eine tolle Figur.«

Sie lacht kurz auf. »Noch, Phia, noch. Wenn ich erst einmal ein Baby ausgetragen habe, werde ich bestimmt so auseinandergehen wie meine Oma.«

Wir lachen beide kurz auf. Mels Mutter achtet nämlich streng auf ihr Aussehen und wollte Mel eigentlich immer zu einem Ebenbild ihres Selbst machen. Nicht, dass meine Freundin nicht auf ihr Äußeres achten würde, aber sie ist nicht so abgemagert, wie ihre Mutter es sich wünscht. Und an Mel sieht man, was daraus wird, wenn man Kinder immer unterdrückt und ihnen keine Freiräume lässt. Sie kommt nie pünktlich, möchte niemals einen Mann an ihrer Seite haben und liebt es, an Autos rumzuschrauben. Rundheraus gesagt: Alles, was ihre Mutter verabscheut. Irgendwann hat ihre Mutter einfach aufgegeben. Sie toleriert Melanie so, wie sie ist, kann es allerdings nicht akzeptieren. Und so nörgelt sie immer weiter an ihr herum. Wenn es nach ihrer Mutter geht, dann ist selbst die Kleidung unter jeder Würde.

»Was hältst du davon, heute Abend Cocktails trinken zu gehen? Ich bin extra mit dem Bus gekommen, damit ich kein Auto mehr fahren muss«, fragt sie mich.

»Klar, Cocktails klingen schon einmal gut. An was hast du denn gedacht? An eine bestimmte Bar?«

»Ja, ich habe in der Zwischenzeit ein paar neue Bars aufgetan, in denen auch nette Kerle erscheinen.«

»Wenn die so nett sind, wie du sagst, warum hast du dann keinen davon genommen?«

»Phia, nicht jeder sucht eine feste Beziehung. Und glaube mir, ein oder zwei Kerle habe ich auch schon ausprobiert.« Sie zwinkert mir bei ihrem letzten Satz zu.

So führt mich Mel in eine dunkle Bar. Es ist keine schmierige Düsternis, sondern ein tolles, schummriges Dunkel. Ich blicke mich in dem Raum um. Einige Tische sind schon besetzt und Mel führt uns zu einem freien, von dem aus wir eine gute Sicht in den Laden haben. Wir setzen uns auf die Stühle. Neugierig blicke ich mich weiter um und das Ambiente gefällt mir ausgesprochen gut.

»Und? Was sagst du zu dem Laden?«

»Der erste Eindruck ist zumindest toll. Aber die Bar kannte ich wirklich nicht. Und wenn dieser Ort das hält, was du versprichst, dann wird es bestimmt auch sehr lustig.«

Mel betrachtet mich belustigt von der Seite. »Das wird es garantiert!«

Die Jungs und ich treffen uns vor der kleinen Pizzeria, in der wir zusammen erst etwas essen gehen wollen. Mein Magen knurrt schon und meine Stimmung ist ziemlich gedrückt. Fiona hat mir erneut Vorwürfe gemacht, dass ich heute mit den Jungs um die Häuser ziehe. Warum ruft sie nicht einfach unseren Babysitter an, damit sie auch ausgehen kann? Ich halte sie doch nicht zu Hause fest. Solange sich jemand um Lauras Wohl kümmert, ist doch alles gut. Aber mein Vorschlag hat sie nur noch mehr in Rage gebracht. Fiona schimpfte, dass ich gar keine freie Minute mehr mit ihr verbringen möchte. Ich habe versucht, sie zu beruhigen. Jetzt ruft sie gleich den Babysitter an und wir gehen morgen zusammen essen. Es ist nicht so, dass ich mich nicht freue, aber irgendwie bin ich von dem ganzen Mist ziemlich angenervt. Aber das versuche ich, mir nicht anmerken zu lassen. Wir sind eine Familie und da gibt es nun mal gute, aber auch schlechte Zeiten. Auch wenn wir momentan Letztere durchlaufen.

Felix und ich warten jetzt nur noch auf Mike. Und das ist mal wieder typisch, dass er sich verspätet. Ich greife gerade in meine Hosentasche, um ihn anzurufen, als ich ihn schon von Weitem sehe. Er trägt ein eng anliegendes Shirt und weite Jeans. Ich weiß jetzt schon wieder, dass wir den Abend ziemlich schnell nicht mehr alleine verbringen müssen. Auch das ist so typisch für Mike. Damit will ich nicht sagen, dass Felix schlecht aussieht, aber Mike bekommt immer die meisten Frauen von uns ab. Hin und wieder lerne ich auch eine Frau kennen, mit der ich mich unterhalten kann, aber für mehr habe ich einfach kein Interesse. Ich habe ja bereits eine. Und es ist nicht so, dass man mir Untreue vorwerfen kann. Was ich von meiner Partnerin erwarte, das muss auch ich bereit sein zu geben.

Zu dritt betreten wir endlich die Pizzeria und der Kellner weist uns einen Tisch zu. Es folgt dann immer das gleiche Ritual: Erst Bier bestellen, dann Karte studieren. Aber so ist das eben mit langen Freundschaften.

Nachdem jeder gewählt hat und die Bedienung unsere Wünsche aufgenommen hat, fangen wir an, über die Arbeit zu reden. Mike ist Personaltrainer und Felix arbeitet als IT-Experte. Er ist der verträumte Chaot unter uns. Nerd würde ihn falsch beschreiben. Zwar trägt er eine Brille, aber seine verwuschelten Haare und der versunkene Blick lassen die Frauenherzen immer wieder höherschlagen. Na ja, und dann bleibe noch ich. Zwischen den Jungs habe ich an manchen Tagen den Eindruck, dass meine Arbeit als angestellter Steuerberater einfach zu öde ist, um sie ein ganzes Leben lang auszuüben. Ich habe kaum die lustigen Geschichten zu erzählen, die Mike oder Felix zu berichten haben. Aber es ist der Beruf, den ich bereits in meiner Schulzeit wollte. Er erfüllt mich trotz alledem. Und so langweilig, wie sich das alle vorstellen, ist er auch wieder nicht. Aber das ist wohl Ansichtssache.

Mike gibt gerade wieder eine Anekdote von seiner Stammklientin zum Besten. Betty hat einen Narren an Mike gefressen und beansprucht sehr regelmäßig seine Trainingseinheiten. Aber Betty nimmt nicht ab. Wir scherzen schon immer, dass sie sich direkt nach dem Training bestimmt mit Junkfood vollstopft, damit sie ihn weiter »benutzen« darf. Doch Mike sieht es gelassen, schließlich verdient er durch sie eine Stange Geld.

Nachdem das schmackhafte Essen und einige Runden Bier vertilgt sind, bezahlen wir unsere Rechnung und ziehen weiter. Einen Moment betrachte ich die Fassade des Backsteinhauses, in dem die beiden bereits verschwinden, bevor ich mich beeile, ihnen zu folgen. Im Inneren der Bar schlägt mir direkt die abgestandene Luft entgegen. Ich streife die Jacke von meinen Schultern. Felix und Mike positionieren sich an der Theke und bestellen die Getränke.

Mein Blick schweift durch den schummrigen Raum und plötzlich fängt mein Herz an zu rasen, als ich eine mir bekannte Frau erblicke. Sie sitzt an einem Tisch und ist in ein Gespräch mit einer Freundin vertieft. Ohne lange zu überlegen, klopfe ich Mike auf die Schulter und bedeute ihm mit dem Kopf die grobe Richtung. Dann gehe ich auch schon auf die beiden Damen zu. Obwohl mein Blick auf dem Gesicht von Sophia haftet. Ja, ja, ich muss gestehen, dass ich die Telefonliste in einem ruhigen Moment doch etwas genauer betrachtet habe. Orden des Scheiß-Ehemanns? Ja, der geht wohl an mich!

Als ich gerade an den Tisch trete, lachen die beiden Frauen plötzlich laut auf. Als Sophia ihren Blick auf mich richtet, blitzen ihre Augen einen Moment lang auf. Jedoch kann ich bei dem Licht nicht wirklich sagen, welche Gefühlsregung das war.

»Hi«, gebe ich grandioserweise von mir.

»Oh! Hallo.« Ein Strahlen breitet sich auf ihrem gesamten Gesicht aus, das mir Mut verleiht.

Gerade als ich noch etwas sagen möchte, klopfen mir meine Jungs auf die Schulter und schieben sich an mir vorbei. Mike betrachtet die Frauen und dann wirft er mir einen bösen Blick zu. »Du wolltest wohl die Besten für dich behalten, hm?« Er reicht Sophia und ihrer Freundin die Hand. »Hi. Ich bin Mike.« Er lächelt sie an und an den Mienen der beiden erkenne ich, dass ihnen gefällt, was sie sehen. Unerklärliche Eifersucht züngelt in meinen Adern.

»Und ich bin Felix. Dürfen wir uns vielleicht zu euch setzen?«

Mel und Phia, wie sie sich selbst vorgestellt haben, tauschen kurz einen Blick, als Mel auch schon mit dem Kopf nickt.

Hektisch schaue ich von einem zum anderen. So war das nicht geplant. Hoffentlich machen die Jungs mir keinen Strich durch die Rechnung. Aber so kann ich vielleicht etwas mehr von Phia erfahren. Auch auf die Gefahr hin, dass ich einen noch viel größeren Orden überreicht bekomme!

Im gedanklichen Zwiespalt, was nun besser wäre, bleibe ich einen Moment länger stehen als meine Freunde. Die beiden Damen schauen mich belustigt an, als ich mir dann auch einen Stuhl heranziehe, um mich zu ihnen zu setzen.

Ich räuspere mich kurz, bevor sich ein Lächeln auf mein Gesicht stiehlt. »Also ich bin Lars«, mit diesen Worten reiche ich Mel meine Hand. Nachdem ich sie wieder losgelassen habe, wandert mein Blick zu Phia. »Ich denke, wir haben uns auch noch nie wirklich vorgestellt, oder?«

Als ich nach seiner Hand greife und meine Haut seine berührt, verhaken sich unsere Blicke. Ich versinke in diesen grünen Augen. Ein Kribbeln wandert langsam die Seite hinauf und ich spüre, wie sich ein Ameisenhaufen im Inneren ausbreitet. Die Musik und die Geräusche um uns herum treten allmählich in den Hintergrund. Das merkwürdige Gefühl der Benommenheit berauscht mich, so als ob es nur uns zwei geben würde. Doch plötzlich schubst ihn Felix von der Seite an und zerstört diesen viel zu kurzen und doch unglaublich kostbaren Moment.

»Ach, ihr kennt euch?«

Lars nimmt den Blick von mir, um sich an Felix zu wenden.

Ich löse meine Hand langsam aus seiner und schaue zu dem Störenfried. Im Augenwinkel bemerke ich, dass Mike mich neugierig betrachtet. Auch Mel ist der intime Moment zwischen uns wohl aufgefallen, denn sie beäugt mich auch unverhohlen interessiert. Ich lächle sie an und versuche, den beiden nicht zu zeigen, wie sehr mich die Berührung seiner Hand aus der Bahn geworfen hat. Gerade weil dieser viel zu kurze Moment nur den Bruchteil einer Sekunde angehalten hat, war es viel zu flüchtig. Meine Hand kribbelt immer noch, sucht Lars’ Nähe. Vermisst seine Wärme.

Spinne ich jetzt? Was sind das hier für Gedanken?

Mike und Mel richten ihre Aufmerksamkeit wieder auf das Gespräch zwischen Felix und Lars. Langsam wende ich mich auch zu ihnen und versuche, mich an die Realität zu halten, nicht an meine komischen Gedanken. Vergebene Liebesmühe, wie ich wenig später feststellen muss. Lediglich mein Körper ist anwesend. Mein Geist hat beschlossen, ein Eigenleben zu entwickeln. Und so spüre ich immer wieder seine Haut auf meiner, ohne dass er mich tatsächlich berührt.

»Unsere Töchter besuchen denselben Kindergarten. Man kennt sich daher nur vom Morgendlichen-auf-dem-Flur-Treffen.«

Ich lächle Lars an, als er seinen Blick wieder auf mich legt.

»Aha, du hast also eine Tochter?«, fragt mich Mike.

Ich nicke lächelnd. »Ja, Marie. Sie ist heute bei ihrer Tante.«

»Und was macht Maries Vater?«, versucht Felix, direkt die Fronten zu klären.

Unsicher zucke ich mit den Schultern und räuspere mich kurz. »Keine Ahnung.«

Mel springt für mich ein. Sie weiß schließlich, dass ich nicht unbedingt gerne über das Thema spreche. Schon gar nicht in so einer Runde.

»Und was macht ihr so? Warten eure Familien zu Hause?«, bei ihren Worten schaut sie alle der Reihe nach an. Kurz habe ich den Eindruck, dass sie Lars einen Moment länger anschaut als die anderen beiden.

Mike erhebt als Erster das Wort. »Ich bin Personaltrainer und bei mir wartet niemand zu Hause.« Er grinst Mel breit an und die Spannungen zwischen ihnen sind greifbar. Mel lächelt interessiert zurück.

Felix schaut mich an, während er ihre Frage beantwortet. »Ich habe mich selbstständig gemacht.«

»Ach, und womit verdienst du dein Geld?«, hake ich nun interessiert nach.

»Ich bin im IT-Wesen tätig. Ich baue Netzwerke und Firmen rufen mich an, wenn sie Probleme mit ihrer Hard- oder Software haben.«

»Oh, dann musst du mir unbedingt deine Nummer geben, denn ich könnte mein Notebook von Zeit zu Zeit an die Wand schlagen.«

Die Stille am Tisch lässt mich stutzen. Erst jetzt wird mir bewusst, dass ich Felix gerade nach seiner Nummer gefragt habe. Ups!

Doch Felix schenkt mir ein Lächeln. »Klar, das mache ich sehr gerne. Dann kannst du mir ja auch deine geben, damit ich weiß, wann du anrufst ...«, flirtet er direkt zurück.

Oh nein! So viel Aufmerksamkeit wollte ich überhaupt nicht haben. Na ja, zumindest nicht von ihm .

---ENDE DER LESEPROBE---