Nora oder ein Puppenheim (Deutsche Neuübersetzung) - Henrik Ibsen - E-Book

Nora oder ein Puppenheim (Deutsche Neuübersetzung) E-Book

Henrik Ibsen

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Beschreibung

Henrik Ibsens wohl bekanntestes Stück behandelt das Schicksal der verheirateten Nora Helmer, die damit exemplarisch steht für viele verheiratete Frauen im Norwegen seiner Zeit, denen jedwede vernünftige Möglichkeit zur Selbstverwirklichung in einer von Männern dominierten Welt fehlte - obwohl Ibsen immer bestritt, dass es seine Absicht gewesen war, ein feministisches Stück zu schreiben. Das Werk erregte damals großes Aufsehen und löste einen Sturm der Entrüstung aus, der über das Theater hinaus durch die Weltpresse und die Gesellschaft ging. Dies ist eine deutsche Neuübersetzung aus dem Jahr 2021.

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Nora

Oder ein Puppenheim

 

Deutsche Neuübersetzung

 

HENRIK IBSEN

 

 

 

 

 

 

 

Nora, Henrik Ibsen

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

 

ISBN: 9783849660567

 

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

 

 

Inhalt:

Dramatis Personae. 1

1. Akt2

2. Akt38

3. Akt66

 

Dramatis Personae

 

Torvald Helmer.

Nora, seine Frau.

Doktor Rank.

Frau Linde.

Nils Krogstad.

Helmers drei kleine Kinder.

Anne, ihr Kindermädchen.

Ein Hausmädchen.

Ein Dienstmann.

 

[Die Handlung findet in Helmers Haus statt.]

 

 

 

1. AKT

 

DIE SZENE: Ein Zimmer, komfortabel und geschmackvoll, aber nicht extravagant eingerichtet. Im hinteren Teil führt eine Tür rechts in die Diele, eine andere links in Helmers Arbeitszimmer. Zwischen den Türen steht ein Klavier. In der Mitte der linken Wand ist eine Tür, dahinter ein Fenster. Neben dem Fenster stehen ein runder Tisch, ein Sessel und ein kleines Sofa. In der rechten Wand, am anderen Ende, eine weitere Tür; und auf derselben Seite, näher an der Bühnenbeleuchtung, ein Ofen, zwei Sessel und ein Schaukelstuhl; zwischen dem Ofen und der Tür ein kleiner Tisch. An den Wänden Stiche; ein Schrank, gefüllt mit Porzellan und anderen kleinen Gegenständen; ein kleiner Bücherschrank mit prächtig eingebundenen Büchern. Die Böden sind mit Teppich ausgelegt, und im Ofen brennt ein Feuer.

 

[Es ist Winter. In der Diele läutet eine Glocke; kurz darauf hört man, wie die Tür geöffnet wird. Nora, eine Melodie auf den Lippen und gut gelaunt, tritt ein. Sie trägt Ausgehkleidung und einige Pakete, die sie auf den rechten Tisch legt. Sie lässt die Tür hinter sich offen, so dass man dahinter einen Dienstmann sieht, der einen Weihnachtsbaum und einen Korb trägt, den er dem Hausmädchen, das die Tür geöffnet hat, überreicht].

 

Nora. Verstecke den Weihnachtsbaum gut, Helen. Achte darauf, dass ihn die Kinder nicht sehen, bis er heute Abend geschmückt wird. [Zum Dienstmann gewandt, während sie ihr Portemonnaie herausnimmt] Wie viel?

Dienstmann. Zwanzig Kronen.

Nora. Hier sind fünfzig. Nein, nein, behalten Sie den Rest. [Der Dienstmann dankt ihr und geht hinaus. Nora schließt die Tür. Sie lacht in sich hinein, während sie ihren Hut und ihren Mantel abnimmt. Dann zieht sie eine Packung Makronen aus der Tasche, isst eine oder zwei, geht vorsichtig zur Tür ihres Mannes und lauscht] Ja, er ist da. [Immer noch summend geht sie zum Tisch rechts]

Helmer [Ruft aus seinem Zimmer]. Ist das meine kleine Lerche, die da draußen zwitschert?

Nora [Öffnet eifrig einige Pakete]. Ja, das ist sie!

Helmer. Und ist das mein kleines Eichhörnchen, das da herumwuselt?

Nora. Ja!

Helmer. Wann ist mein Eichhörnchen denn nach Hause gekommen?

Nora. Gerade eben. [Steckt die Tüte mit den Makronen in die Tasche und wischt sich den Mund ab] Komm herein, Torvald, und sieh, was ich gekauft habe.

Helmer. Stör mich nicht. [Kurz darauf öffnet er die Tür und schaut ins Zimmer, einen Stift in der Hand] Gekauft, sagtest du? All diese Dinge? Hat meine kleine Verschwenderin wieder viel Geld ausgegeben?

Nora. Ja – aber, Torvald, dieses Jahr können wir uns wirklich ein wenig mehr leisten. Das ist das erste Weihnachten, an dem wir nicht sparen müssen.

Helmer. Trotzdem sollten wir nicht leichtsinnig Geld ausgeben.

Nora. Aber Torvald, ein klein wenig leichtsinnig dürfen wir doch sein, oder? Nur ein klitzekleines bisschen! Du wirst bald ein gutes Gehalt haben und viel, viel Geld verdienen.

Helmer. Ja, aber erst im neuen Jahr, und dann wird es ein ganzes Quartal dauern, bis das erste Geld bezahlt wird.

Nora. Puh! Bis dahin könnten wir uns etwas borgen.

Helmer. Nora! [Geht auf sie zu und zieht sie spielerisch am Ohr] Du kleines Dummerchen! Stell dir vor, ich hätte mir heute tausend Kronen geliehen, und du hättest alles in der Weihnachtswoche ausgegeben; und dann wäre mir am Silvesterabend eine Schiefertafel auf den Kopf gefallen und hätte mich erschlagen, und ––– .

Nora [Legt ihm die Hände auf den Mund]. Oh! Sag nicht so schreckliche Dinge.

Helmer. Trotzdem – mal angenommen, das würde passieren; was dann?

Nora. Wenn so etwas passieren würde, wäre es mir vermutlich gleichgültig, ob ich jemandem Geld schulde oder nicht.

Helmer. Dir. Gut. Und was ist mit den Leuten, die uns das Geld geliehen hätten?

Nora. Die? Was soll ich mir darüber Gedanken machen? Ich wüsste ja nicht einmal, wer sie waren.

Helmer. Das ist ja wieder typisch Frau! Aber im Ernst, Nora, du weißt, was ich davon halte. Keine Schulden, kein ausgeliehenes Geld. Man kann im Leben weder Freiheit noch Schönheit genießen, wenn man sie sich mit Krediten und Schulden erkauft hat. Wir zwei sind bisher tapfer auf dem geraden Weg geblieben, und den werden wir die kurze Zeit, die wir noch aushalten müssen, auch weitergehen.

Nora [Auf den Ofen zugehend]. Wie du meinst, Torvald.

Helmer [Folgt ihr]. Komm schon, meine kleine Lerche sollte nicht die Flügel hängen lassen. Was ist denn los? Ist mein kleines Eichhörnchen etwa sauer? Nora, was meinst du, was ich hier habe?

Nora [Dreht sich schnell um]. Geld!

Helmer. Sehr richtig! [Gibt ihr etwas Geld] Meinst du, ich weiß nicht, was es zu Weihnachten bedarf?

Nora [Zählt]. Hundert Kronen, tausend Kronen, zweitausend Kronen! Danke, danke, Torvald, das wird eine ganze Weile reichen.

Helmer. Das will ich doch sehr hoffen.

Nora. Doch, doch, das wird es. Aber komm doch her und lass mich dir zeigen, was ich gekauft habe. Und alles so billig! Sieh nur, hier haben wir einen neuen Anzug für Ivar und ein Schwert, und ein Pferd und eine Trompete für Bob, und eine Puppe und ein Bettgestell für Emmy – ziemlich einfach gemacht, aber sie wird es sowieso bald kaputt kriegen. Und hier ist noch etwas Stoff für neue Kleider und Taschentücher für unser Personal; die alte Anne könnte wirklich etwas Neues gebrauchen.

Helmer. Und was ist in diesem Päckchen?

Nora [Ruft laut]. Nein, nein! Das darfst du erst heute Abend sehen.

Helmer. Nun gut. Aber jetzt sag mir, du verschwendungssüchtiges, kleines Mädchen, was hast du für dich gekauft?

Nora. Für mich? Ach was, ich brauche doch nichts.

Helmer. Doch, das tust du. Nenne mir etwas Erschwingliches, das du besonders gerne haben möchtest.

Nora. Nein, da fällt mir wirklich nichts ein. Es sei denn – Torvald –– .

Helmer. Was?

Nora [Spielt mit seinen Mantelknöpfen, ohne den Blick von seinem Gesicht zu wenden]. Wenn du mir wirklich etwas schenken willst, könntest du – du könntest –– .

Helmer. Nun denn, raus damit!

Nora [Spricht schnell]. Du könntest mir Geld geben, Torvald. Nur so viel, wie du dir leisten kannst, und irgendwann in den nächsten Tagen kaufe ich mir etwas davon.

Helmer. Aber, Nora –– .

Nora. Oh, bitte! Liebster Torvald, bitte, bitte! Oder ich wickle es in schönes Goldpapier ein und hänge es an den Weihnachtsbaum. Wäre das nicht lustig?

Helmer. Wie werden nochmal die kleinen Leute genannt, die ständig Geld ausgeben?

Nora. Verschwender – aber das weiß ich doch. Befolge doch meinen Vorschlag, Torvald; dann habe ich Zeit zu überlegen, was ich am meisten benötige. Das ist doch ein sehr vernünftiger Plan, oder?

Helmer [Lächelt]. In der Tat – aber nur, wenn du das Geld, das ich dir gebe, wirklich aufheben würdest, um dir selbst etwas damit zu kaufen. Aber wenn du wieder alles für das Personal, oder irgendwelche anderen unnötigen Dinge ausgibst, werde ich dir noch mehr geben müssen.

Nora. Aber, Torvald –– .

Helmer. Du kannst mir nichts vormachen, meine liebe, kleine Nora. Du bist eine süße, kleine Verschwenderin, und du gibst eine Menge Geld aus. Kaum zu glauben, wie kostspielig solche Menschen sein können!

Nora. Du solltest dich schämen, so etwas zu sagen. Ich spare wirklich, wo ich kann.

Helmer [Lacht]. Das stimmt natürlich – wo du kannst. Aber du kannst nirgendwo sparen!

Nora [Lächelt still vor sich hin]. Du hast keine Ahnung, wie viele Ausgaben wir Lerchen und Eichhörnchen haben, Torvald.

Helmer. Du bist eine merkwürdige Zeitgenossin. Ganz wie dein Vater. Du findest immer einen neuen Weg, mir Geld zu entlocken, und sobald du es hast, scheint es dir in den Händen zu schmelzen. Man weiß nie, wo es abgeblieben ist. Trotzdem muss man dich nehmen, wie du bist. Es liegt dir im Blut; und offensichtlich stimmt es, dass so etwas erblich ist, Nora.

Nora. Ach, ich wünschte, ich hätte mehr von Papas Eigenschaften geerbt.

Helmer. Und ich würde dich mir kein bisschen anders wünschen, als so, wie du bist, meine süße kleine Lerche. Aber da fällt mir ein – weißt du, dass du heute aussiehst – wie soll ich sagen – als ob dir irgendetwas nicht behagt?

Nora. Tue ich das?

Helmer. Ja, das tust du, wirklich. Sieh mich mal an.

Nora [Sieht ihn an]. Nun?

Helmer [Droht ihr mit dem Finger]. Hat die kleine Naschkatze heute in der Stadt nicht gegen irgendwelche Regeln verstoßen?

Nora. Nein; wie kommst du denn darauf?

Helmer. Hat sie nicht zufällig einen Abstecher in der Konditorei gemacht?

Nora. Nein, ich versichere dir, Torvald –– .

Helmer. Hat sie keine Süßigkeiten genascht?

Nora. Nein, keinesfalls.

Helmer. Nicht einmal kurz von einer Makrone gebissen, oder vielleicht sogar zweimal?

Nora. Nein, Torvald, ich versichere dir –– .

Helmer. Ist ja schon gut, ich habe doch nur Spaß gemacht.

Nora [Geht zum Tisch rechts]. Ich würde mich deinen Wünschen nie widersetzen.

Helmer. Nein, dessen bin ich mir sicher; außerdem hast du mir dein Wort gegeben. [Geht auf sie zu] Behalte deine kleinen Weihnachtsgeheimnisse ruhig für dich, mein Schatz. Heute Abend, wenn der Weihnachtsbaum angezündet wird, werden sie zweifellos alle enthüllt.

Nora. Hast du daran gedacht, Doktor Rank einzuladen?

Helmer. Nein. Aber das ist auch nicht nötig, selbstverständlich wird er mit uns zu Abend essen. Aber ich werde ihn fragen, wenn er heute Morgen noch vorbeikommt. Ich habe hervorragenden Wein bestellt. Nora, du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr ich mich auf den Abend freue.

Nora. Ich mich auch! Und wie die Kinder sich erst amüsieren werden, Torvald!

Helmer. Es ist herrlich, eine sichere Stellung und ein gutes Einkommen zu haben. Und es ist großartig, daran zu denken, nicht wahr?

Nora. Es ist wunderbar!

Helmer. Erinnerst du dich an das letzte Weihnachtsfest? Ganze drei Wochen lang hast du dich jeden Abend bis weit nach Mitternacht eingeschlossen und Schmuck für den Weihnachtsbaum gebastelt, neben all den anderen schönen Dingen, die eine Überraschung für uns sein sollten. Es waren die langweiligsten drei Wochen, die ich je verbracht habe!

Nora. Ich fand sie gar nicht langweilig.

Helmer [Lächelt]. Aber am Ende kam so gut wie nichts dabei raus, Nora.

Nora. Oh, wie kannst du mich schon wieder damit aufziehen. Was konnte ich denn dafür, dass die Katze in das Zimmer geht und alles in Stücke reißt?

Helmer. Natürlich konntest du nichts dafür, armes kleines Mädchen. Du hattest die besten Absichten, uns allen etwas Schönes zu bereiten, und das ist die Hauptsache. Aber es ist gut, dass unsere schweren Zeiten endlich vorbei sind.

Nora. Ja, es ist wirklich wunderbar.

Helmer. Diesmal muss ich nicht allein hier sitzen und mich langweilen, und du musst dir deine lieben Augen und deine hübschen kleinen Hände nicht ruinieren.

Nora [Klatscht in die Hände]. Nein, Torvald, das muss ich nicht mehr, nicht wahr? Es ist so schön, das von dir zu hören! Und jetzt erzähle ich dir, wie ich mir unsere Zukunft vorstelle, Torvald. Sobald Weihnachten vorbei ist –– [In der Diele läutet eine Glocke] Das ist doch die Glocke. [Hastig räumt sie ein wenig das Zimmer auf] Da ist jemand an der Tür. Wie ärgerlich.

Helmer. Wenn es ein Besucher ist, denke daran, dass ich nicht zu Hause bin.

Hausmädchen [In der Tür]. Eine Dame möchte Sie sehen, Madam, –– eine Fremde.

Nora. Bitten Sie sie herein.

Hausmädchen [Zu Helmer]. Der Doktor ist auch gerade eingetroffen, mein Herr.

Helmer. Ging er direkt in mein Zimmer?

Hausmädchen. Ja, mein Herr.

[Helmer eilt in sein Zimmer. Das Hausmädchen führt Frau Linde, die Reisekleidung trägt, herein und schließt die Tür]

Frau Linde [Zaghaft und mit besorgter Stimme]. Wie geht es dir, Nora?

Nora [Skeptisch]. Wie geht es Ihnen?

Frau Linde. Du erkennst mich nicht, wie ich sehe.

Nora. Nein – ich weiß nicht – doch, natürlich – [Abrupt] Ja! Christine! Bist du es wirklich?

Frau Linde. Ja, ich bin es.

Nora. Christine! Dass ich dich nicht erkannt habe! Aber wie hätte ich – [Mit sanfter Stimme] Wie du dich verändert hast, Christine!

Frau Linde. Ja, das habe ich in der Tat. In neun, zehn langen Jahren –– .

Nora. Ist es so lange her, dass wir uns das letzte Mal trafen? Ich glaube, ja – doch. Die letzten acht Jahre waren eine glückliche Zeit, das kann ich dir versichern. Und nun bist du also in die Stadt gekommen und hast mitten im Winter diese lange Reise unternommen – ganz schön tapfer von dir.

Frau Linde. Ich bin heute Morgen mit dem Dampfer angekommen.

Nora. Um dich in der Weihnachtszeit ein bisschen zu amüsieren – versteht sich. Wie reizend! Wir werden eine Menge Spaß miteinander haben! Aber leg doch deine Sachen ab. Ich hoffe, dir ist nicht kalt. [Hilft ihr] Setzen wir uns an den Ofen und machen es uns gemütlich. Nein – nimm du diesen Sessel, ich werde mich in den Schaukelstuhl setzen. [Nimmt ihre Hände] Jetzt siehst du wieder wie früher aus; es war wohl nur der erste Anschein – du bist ein wenig blasser, Christine, und vielleicht auch ein wenig dünner.

Frau Linde. Und viel, viel älter, Nora.

Nora. Vielleicht ein wenig älter; ein ganz klein wenig; gewiss nicht viel. [Hält plötzlich inne und spricht ernst] Was bin ich doch für ein gedankenloses Geschöpf, das einfach nur vor sich hinplappert. Meine arme, liebe Christine, bitte verzeih mir.

Frau Linde. Was meinst du, Nora?

Nora [Sanft]. Arme Christine, du bist Witwe.

Frau Linde. Ja; das ist aber schon drei Jahre her.

Nora. Ja, das weiß ich; ich habe davon in der Zeitung gelesen. Ich versichere dir, Christine, ich wollte dir damals schon schreiben, aber ich habe es immer aufgeschoben oder irgendetwas ist dazwischen gekommen.

Frau Linde. Das verstehe ich gut, meine Liebe.

Nora. Es war trotzdem nicht nett von mir, Christine. Armes Ding, wie du gelitten haben musst. Und er hat dir nichts hinterlassen?

Frau Linde. Nein.

Nora. Und Kinder?

Frau Linde. Nein.

Nora. Also gar nichts.

Frau Linde. Noch nicht einmal irgendeinen Kummer oder Schmerz, von dem man zehren könnte.

Nora [Sieht sie ungläubig an]. Aber, Christine, ist das denn möglich?

Frau Linde [Lächelt traurig und streicht ihr übers Haar]. Manchmal schon, Nora.

Nora. Dann bist du also ganz allein. Wie furchtbar traurig das sein muss. Ich habe drei reizende Kinder. Du kannst sie gerade nicht sehen, weil sie mit ihrem Kindermädchen unterwegs sind. Aber nun musst du mir alles erzählen.

Frau Linde. Nein, nein; ich möchte erst von dir hören.

Nora. Nein, du musst anfangen. Heute will ich nicht so egoistisch sein und nur an deine Belange denken. Aber eines muss ich dir noch erzählen. Weißt du, dass wir gerade großes Glück gehabt haben?

Frau Linde. Nein – warum?

Nora. Stell dir vor, mein Mann ist zum Direktor der Bank ernannt worden!

Frau Linde. Dein Mann? Was für ein Glück!

Nora. Ja, unfassbar! Der Beruf eines Anwalts ist immer eine unsichere Sache, besonders wenn man keine anrüchigen Fälle übernehmen will; und natürlich war Torvald nie bereit, so etwas zu tun – eine Auffassung, die ich voll und ganz teile. Du kannst dir sicher vorstellen, wie froh wir sind! Er wird gleich im neuen Jahr seine Arbeit in der Bank aufnehmen und ein gutes Gehalt mit entsprechend vielen Provisionen erhalten. In der Zukunft werden wir ganz anders leben können – tun und lassen können, was wir wollen. Ich bin so erleichtert und glücklich, Christine! Es wird herrlich sein, Geld im Überfluss zu haben und keine Angst mehr haben zu müssen, findest du nicht auch?

Frau Linde. Jedenfalls muss es herrlich sein, das zu haben, was man zum Leben braucht.

Nora. Nein – nicht nur, was man zum Leben braucht, sondern Geld im Überfluss.

Frau Linde [Lächelt]. Nora, Nora, hast du immer noch nicht gelernt, maßvoll zu sein? Du warst schon während unserer Schulzeit eine große Verschwenderin.

Nora [Lacht]. Ja, das sagt Torvald auch immer. [Droht ihr mit dem Zeigefinger] Aber "Nora, Nora" ist nicht so dumm, wie du vielleicht denkst. Wir waren niemals so situiert, dass ich Geld hätte verschwenden können. Wir haben beide arbeiten müssen.

Frau Linde. Du auch?

Nora. Ja, Krimskrams – Handarbeiten, Häkelarbeiten, Stickereien und solche Sachen. Und auch andere Dinge. Weißt du, dass Torvald die Kanzlei verlassen hat, als wir geheiratet haben? Er hatte dort keine Aussicht auf eine Beförderung und er wollte unbedingt mehr verdienen als vorher. Aber im ersten Jahr hat er sich gleich mächtig überarbeitet. Weißt du, er musste jede Arbeit, die Geld versprach, annehmen und hat von früh bis spät geschuftet; aber irgendwann hielt er dem Druck nicht mehr stand und wurde furchtbar krank, sodass die Ärzte sagten, er solle in den Süden gehen.

Frau Linde. Ihr wart ein ganzes Jahr in Italien, nicht wahr?

Nora. Ja. Es war nicht einfach, hier wegzukommen, das kann ich dir sagen. Es war kurz nach Ivars Geburt, aber wir mussten natürlich dennoch gehen. Es war eine wunderbare Reise, und sie hat Torvald das Leben gerettet. Aber sie hat unheimlich viel Geld gekostet, Christine.

Frau Linde. Das kann ich mir denken.

Nora. Sie hat über 20000 Kronen gekostet. Das ist eine Menge, findest du nicht?

Frau Linde. Ja; aber in solchen Notfällen ist es ein Glück, wenn man überhaupt so viel Geld hat.

Nora