Nyxa 3: Die Rache der Nemesis - Dana Müller-Braun - E-Book

Nyxa 3: Die Rache der Nemesis E-Book

Dana Müller-Braun

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Beschreibung

**Das Schicksal der Götter** Endlich hat Nyxa das Rätsel um ihre Herkunft gelöst. Entschlossen, ihre düstere Bestimmung abzuwenden, begibt sie sich auf die Suche nach den drei Nornen. Diese verkörpern Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und halten so das Schicksal eines jedes Einzelnen in ihren Händen. Doch noch ein weiterer Grund führt Nyxa zu den drei magischen Wesen: Captain Black Night, der Mann, der ihr alles bedeutet, befindet sich in größter Gefahr – und damit auch ihr eigenes Herz…   //Alle Bände der überwältigenden Nyxa-Trilogie: -- Nyxa 1: Das Erbe von Avalon -- Nyxa 2: Die Macht von Atlantis -- Nyxa 3: Die Rache der Nemesis//   //Weitere Romane aus der Drachenwelt von Dana Müller-Braun: -- Elya 1: Der weiße Drache -- Elya 2: Das Bündnis der Welten -- Elya 3: Das Licht der Finsternis// Die »Elya«-Trilogie ist abgeschlossen.

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Dana Müller-Braun

Nyxa 3: Die Rache der Nemesis

**Das Schicksal der Götter**Endlich hat Nyxa das Rätsel um ihre Herkunft gelöst. Entschlossen, ihre düstere Bestimmung abzuwenden, begibt sie sich auf die Suche nach den drei Nornen. Diese verkörpern Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und halten so das Schicksal eines jedes Einzelnen in ihren Händen. Doch noch ein weiterer Grund führt Nyxa zu den drei magischen Wesen: Captain Black Night, der Mann, der ihr alles bedeutet, befindet sich in größter Gefahr – und damit auch ihr eigenes Herz …

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Vita

Danksagung

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© privat

Dana Müller-Braun wurde Silvester ’89 in Bad Soden im Taunus geboren. Geschichten erfunden hat sie schon immer – Mit 14 Jahren fing sie schließlich an ihre Phantasie in Worte zu fassen. Als das Schreiben immer mehr zur Leidenschaft wurde, begann sie Germanistik, Geschichte und Philosophie zu studieren. Wenn sie mal nicht schreibt, baut sie Möbel aus alten Bohlen, spielt Gitarre oder verbringt Zeit mit Freunden und ihrem Hund.

Eines Tages scheint die Sonne auch für dich.

Für all diejenigen, die nur ein kleines Licht brauchen, um wieder an das Gute zu glauben.

Und für all die, die dafür kämpfen, dass das Gute weiterlebt und in uns scheint.

Prolog

Nara

»Du weißt, was deine Aufgabe ist, Nara.«

»Ja, Mutter«, flüstere ich mit gebrochener Stimme. Sie legt mir den Dolch in die Hand und umschließt meine Finger darum.

»Töte sie. Töte sie alle.«

»Ja, Mutter«, sage ich wieder und sehe sie an. Ihren schwachen, ausgelaugten Körper, der einst so stark war. Ich kann nicht behaupten, dass ich sonderlich viel Liebe für sie empfinde, aber ihr bevorstehender Tod schmerzt mich dennoch.

»Geh jetzt. Und sei stark.«

Ich zögere, beuge mich noch einmal vor und küsse sie auf die Stirn. Sie mag es nicht. Zärtlichkeiten waren nie ihr Ding. Aber sie kann sich nicht wehren.

Ich verlasse den Raum, ohne noch einmal zurückzusehen. Den Raum des kargen Krankenhauses, das sie in den letzten Tagen ihr Zuhause und Hospiz nennen musste.

Als ich endlich auf der belebten Straße ankomme, atme ich tief ein. Sie leben weiter. Alles geht weiter. Die Menschen diskutieren, huschen mit ihren Schirmen durch den strömenden Regen. Die Autos fahren. Die Ampeln schalten. Das alles geht weiter, nur mein Leben fühlt sich an, als wäre es mitten in dieser Aneinanderreihung von Abläufen einfach stehen geblieben.

»Du musst stark sein«, flüstere ich mir selbst Mums Worte zu. Ich habe keine Wahl. Ich kann nicht einfach zusammenbrechen und hierbleiben, obwohl ich genau das will. Hier und jetzt, mitten auf der Straße, im Regen. Aber das wäre nicht meine Art.

Ich fasse mich und gehe weiter. Laufe ohne Schirm durch den Regen und fühle jeden Tropfen auf meiner Haut. Ich muss zu Pete. Muss ihn holen und dann schnell von hier weg.

Die Umstrukturierung hat begonnen. Bald werden jeder Stadt Wächter gestellt, die sie beschützen sollen. Drachen, die zwischen uns leben werden. Drachen, die unsere Welt einnehmen und vergiften werden. Ich kann das nicht zulassen. Es ist mein Erbe. Meine Pflicht, die Menschen vor ihnen zu beschützen.

Mein Weg führt mich an Pubs entlang, die überfüllt sind und dumpf die Freude der Menschen an die nebelige Luft Londons tragen. Als ich an einem kleinen Kiosk vorbeikomme, überlege ich hineinzugehen und etwas zu essen mitzunehmen. Aber heute bin ich zu auffällig. Die rot geschwollenen Augen. Die dunkle Kapuzenjacke, die nass ist und wahrscheinlich tropft. Jeder dieser Tropfen würde dem dunkelhäutigen Kassierer, den ich von hier draußen erkennen kann, verraten, in welchem Gang ich mich befinde. Heute müssen wir ohne etwas zu essen auskommen. Nur noch heute. Das schwöre ich mir. Ich werde für Pete sorgen. Und ich werde dafür sorgen, dass die Drachen unsere Welt nicht einnehmen.

Kapitel 1

Nyxa

»Er muss nach Atlantis.«

Ich starre stumm zu Eryt, der sich mir vorsichtig nähert. Genauso wie Terrys. Damals, als wir Night in Avalon zurückgelassen haben. Es hat sich nichts verändert. Night, der unausstehliche Pirat, von dem ich nie wirklich wusste, ob er gut oder böse ist, hat sich für uns geopfert. Für mich.

»Nein«, gebe ich kühl und gelassen zurück. Aber wir beide wissen, würde er sich noch einen Schritt nähern, ich würde ihn all meine Wut spüren lassen.

»Du kannst nicht die ganze Zeit hier in Erytheia herumsitzen und seine Statue … ihn bewachen wie ein bissiger Hund, Nyxa!«, knurrt er mich an.

Er versucht an meinen Verstand zu appellieren. Ein Verstand, den ich so nicht mehr besitze, seit Night direkt vor meinen Augen versteinert ist. Ich kann nicht. Kann ihn nicht nach Atlantis bringen, wo er hingehört.

»Sein Opfer ist umsonst, solange er nicht …«

»Ich weiß!«, schreie ich ihn an und sehe im Augenwinkel, wie auch Terrys sich dem Sessel nähert, in dem ich sitze. Auf meinen Beinen ruht das Logbuch des Captains, in das Night das Gedicht geschrieben hat.

»Und wenn ich tausend Leben hätte, sie alle wären mit dir«, lese ich so leise, dass ich es selbst kaum hören kann.

Es ist an der Zeit, dass nun ich ihm helfe.

»Was macht ihr hier?!«, faucht Apate, als sie aus der Küche tritt und die beiden wütend mustert. »Lasst sie gefälligst in Ruhe!«

»Apate, verdammt!«, flucht Eryt und geht nun auf sie zu.

Sie hebt nur gelangweilt ihre Brauen. »Sie trauert. Lasst sie noch ein wenig trauern.«

»Nein«, sagt nun Terrys. Terrys, der ebenfalls trauert. Ich sehe es in seiner Haltung und höre es in seiner Stimme. Aber vor allem seine Augen sind nicht mehr die, die sie einmal waren. Night hat auch ihm viel bedeutet.

»Er muss hier weggebracht werden. Das wissen wir alle. Er ist versteinert, Nyxa! Sein Herz schlägt nicht mehr. Seine Haut ist eisig und hart. Er ist …«

»Sprich es nicht aus!«, sage ich voller Bitterkeit.

Seit vier Wochen warte ich darauf, dass sich etwas in ihm regt. Dass sein Herz zu schlagen beginnt. Dass er wieder zurückkommt und irgendeinen dummen Spruch von sich gibt. Und ich werde noch Jahre warten, wenn es nötig ist.

»Wie auch immer. Wir können nicht hierbleiben. Es ist viel zu gefährlich. Da draußen tobt ein scheiß Bandenkrieg, seitdem die Piraten von Erytheia wissen, dass Night nicht mehr da ist. Sie machen, was sie wollen. Plündern Läden, die Night aufgebaut hat, und erheben Zölle auf die Schiffe, die hier ankern. Wir müssen etwas unternehmen!«

»Dann unternehmt doch etwas!«, schreie ich ihn an. Schreie sie beide an und sehe immer wieder vom einen zum anderen. Die Verbindung, die ich zu ihnen spüre, ist so stark. So verdammt stark, dass es mir beinahe das Herz bricht. Aber diesen einen Teil meiner Seele verstehen sie nicht. Können ihn nicht verstehen. Denn das kann nur Night.

»Wir können nichts unternehmen, Nyxa! Das musst du tun!«

»Ich?!«, hake ich hysterisch nach und lache herablassend. »Warum sollte ich etwas tun können?!«

»Du bist die Herrscherin von Avalon und Erytheia, Nyxa. Das haben wir dir bereits gesagt.«

Terrys tritt näher und legt den Kopf ein wenig schief.

»Das bin ich nicht.«

»Du weißt, dass es so ist. Black hat es so aufschreiben und besiegeln lassen. Du bist seine Nachfolgerin, sollte ihm etwas zustoßen.«

Ich schließe meine Augen und bemühe mich ruhig zu atmen. Es gab eine Zeit, da habe ich Night dafür gehasst, dass er mir meine Herrschaft über Avalon wegnehmen wollte. Und jetzt, da er sie mir übertragen hat, weiß ich einfach nicht, was ich tun soll. Vielleicht war ich immer nur das Mädchen, das Herrscherin sein sollte, aber nie eine von der guten Sorte geworden wäre. Vielleicht haben all die Prophezeiungen und Bestimmungen unseres Lebens versagt. Ja, sie müssen versagt haben. Denn ich bin keine geborene Herrscherin. Das war Night. Obwohl er so viele Jahre ein Sklave und dann ein Pirat war.

»Die Welten gehen vor die Hunde, wenn du so weitermachst«, brummt Eryt und lässt sich gegenüber von mir resigniert auf das Sofa sinken.

»Das geht sie doch sowieso.«

»Nicht, wenn du deine Herrschaft endlich anerkennst, Nyxi. Du bist damit eine der mächtigsten Herrscher der Welten. Durch die Verbindung mit Terrys herrschst du über Terreia, du bist die Regentin von Acaris, die Herrscherin von Avalon und nun auch die Königin von Erytheia.«

»Einer Pirateninsel«, lache ich und schüttle den Kopf, bevor ich wieder auf das Buch hinabsehe und sanft über den Einband streiche.

»Ich habe Myr informiert«, gibt Eryt plötzlich kleinlaut zu. »Und weißt du, was zurückkam? Sie kämpfen gerade. Für den Erhalt der menschlichen Welt, denn da geht etwas ganz schön schief. Und was machst du währenddessen? Hier sitzen, schmollen und einen Versteinerten bewachen? Black hat das für dich getan. Und du … du trittst sein Geschenk mit Füßen.«

»Er kann es ja wohl kaum mitbekommen, um es mir übel zu nehmen. Meinst du nicht?«

Er hebt seine Brauen und sieht dann hilfesuchend zu Apate.

Meine Schwester seufzt, kommt dann auf mich zu und legt mir eine Hand auf die Schulter. »Es ist Zeit.«

Ich beiße meine Zähne zusammen, bis mein Kiefer pochend schmerzt.

»Du weißt, wo er hingehört. Und du weißt auch, dass er dort am sichersten ist.«

Ich nicke, ohne es wirklich zu begreifen. Dann werfe ich einen Blick auf Night. Auf das, was noch von ihm übrig ist. Ich sehe den Rubin in seiner Hand. Den starken Blick, der keinerlei Angst in sich trägt. Im Gegenteil. Und sein letzter Blick galt mir.

Ich weiß schon eine ganze Weile, dass ich ihn gehen lassen muss. Dass es schon immer so war. Unsere Schicksale sind ineinander verwoben, aber nicht dazu bestimmt, verbunden zu sein. Und dennoch weiß ich auch, dass ich ihn niemals gehen lassen werde. Nicht vollständig, denn er hat einen Teil in mir, meiner Seele und meines Herzens berührt, von dem ich nichts wusste. Nicht wusste, dass er existiert. Und dieser Teil wird immer ihm gehören.

Ich nicke Apate zu und erhebe mich. Eryt und Terrys starren uns beinahe fassungslos an. Aber ich hatte eine Vereinbarung mit ihr. Sie hat mir diesen Monat gegeben. Einen Monat, um zu hoffen, zu beten, die Hoffnung zu verlieren, wütend zu werden und schließlich Abschied zu nehmen. Doch ein Leben hätte nicht gereicht. Wie sollte es also dieser dumme Monat?

Ich gehe einen Schritt auf Night zu und berühre seine Wange. »Ich werde dich finden«, flüstere ich. »Und wenn es erst im tausendsten Leben sein wird.«

Mit diesen Worten nicke ich Apate zu. Sie tritt näher.

»Ich werde Custos jetzt nach Atlantis bringen, damit er dort als Wächter das Göttliche vor den Sterblichen schützen kann«, sagt sie, als wäre es ein Gebet. Als würden ihre Worte die Wunde heilen können, die sich in mein Herz gerissen hat. Das können sie nicht.

Ich presse meine Lippen zusammen. Sie nennt ihn bei seinem wahren Namen. Nicht bei dem Namen, den Terrys ihm einst gab, als Night als namenloser Sklavenjunge zu ihnen kam. Sie nennt ihn bei dem Namen, den die Götter ihm gaben. Custos, was Wächter bedeutet. Ihn zu hören lässt mein Herz noch schwerer werden.

»Wie willst du das allein schaffen?«, hakt Eryt nach und steht auf. Beinahe so, als wolle er sich hier und jetzt freiwillig melden, um Night auf seinen Schultern nach Atlantis zu tragen.

»Der Trug … meine Kraft, Menschen und auch Drachen Dinge sehen zu lassen … ist so stark, Erytas. Das Göttliche ist es. Also vertrau mir. Und kümmert ihr euch zusammen mit eurer Königin darum, dass Custos mit seinem Opfer nicht auch sein Lebenswerk verloren hat.«

Mit diesen Worten verschwindet sie zusammen mit Night. Es bleibt nur schwarzer Nebel zurück. Den Urdrachen, also meinen Geschwistern, ist es erlaubt, nach Atlantis zu wandern, genauso wie alle anderen Drachen es hier oben können. Mein Herz fühlt sich taub an und mein Atem erinnert mich unangenehm daran, dass ich noch lebe.

»Was soll ich tun?«, frage ich in die eingetretene Stille und sehe mich um.

»Die Piraten von Erytheia wieder einen. Regeln aufstellen. Blacks Regeln.«

Ich schließe meine Augen, nicke dann aber. Es ist an der Zeit, mir zu beweisen, dass ich es kann.

Ein letztes Mal erlaube ich mir eine unsichere, trauernde Geste und beiße mir auf meine Lippe, bevor ich die Augen öffne und tief Luft hole. »Gibt es hier Drachen, denen ihr vertraut?«

Eryt und Terrys sehen sich unsicher an, nicken dann aber.

»Ruft sie zusammen. Teilt euch auf und sorgt für Ordnung in den Straßen. Zeigt ganz deutlich, dass jeder, der sich weiterhin wie ein Barbar verhält, bitter bestraft wird.«

Sie nicken erneut, während ich auf sie zugehe und ihnen einen liebevollen Blick zuwerfe. »Und wir gehen aus, damit ich mich mal wieder zeige.«

»Wirklich?« Eryt hebt belustigt eine Braue.

»Natürlich«, sage ich sicher und gehe zur Tür.

»Du willst echt so da raus, Nyxa?«

Er mustert mich von oben bis unten. Ich trage eine enge schwarze Hose und ein Top, also nichts, woran er etwas auszusetzen haben könnte. Außer er erwartet, dass ich mich in ein majestätisches Kleid werfe. Aber wir wissen beide, dass er darauf lange warten könnte.

Als ich in die kleine Gasse vor Nights Haus trete, atme ich die kühle Luft ein und lausche den ungewohnten Geräuschen. Lärm huscht durch die Gassen zu uns. Aber nicht der Lärm von feiernden und glücklichen Menschen wie sonst. Nein. Es ist ein aggressiver Lärm, der mir eine Gänsehaut über die Arme jagt. Trotzdem gehe ich weiter. Eryt und Terrys bleiben dicht bei mir, als wären sie meine Leibwächter. Mein bester Freund und mein Gegenstück.

»Wo sind die anderen?«

»Da wo sie immer sind, aber …« Eryt verzieht den Mund.

»Was aber?«

»Ich habe keine Ahnung, ob sie dich sehen wollen, Nyxi. Du hast Kalysha verboten, sich Night auch nur auf fünf Meter zu nähern. Dabei ist sie seit einem Jahrhundert seine engste Vertraute und …«

»Und das nimmt sie mir übel«, vervollständige ich.

»Übelnehmen ist milde ausgedrückt«, mischt sich Terrys ein.

Ich lecke mir über meine spröden Lippen. Ich habe niemandem von dem erzählt, was Night und ich in der Vision gesehen haben. Was hätte ich auch sagen sollen? Dass wir alle verloren gewesen wären, wenn Night nicht diesen Rubin an sich gerissen hätte? Dass Kalysha erst Night und dann mich getötet hätte? Ich habe sie gesehen, als Night zu Stein wurde. Habe all die Fassungslosigkeit und Verzweiflung in ihren Augen gesehen. Es war, als könnte ich dabei zuhören, wie ihr Herz bricht und bricht, weil sie ohne ihn nicht leben kann. Was also hätte passiert sein können, dass sie ihn tötet? Sie hatte all ihre Erinnerungen. Sie und ich waren die Einzigen, denen das Göttliche von Atlantis keinen Streich spielen konnte.

»Sie wird es verstehen. Ich muss mit ihr reden.«

»Und worüber?«, erkundigt sich Eryt mit hörbarer Skepsis in der Stimme.

Ich zucke nur mit den Schultern, während wir in belebtere Gassen kommen. Einige der Drachen mustern mich, als würden sie vermuten, ich sei nicht echt, während andere verdächtig danach aussehen, als wollten sie mich am liebsten auf der Stelle ermorden.

Als wir an der kleinen Bar ankommen, spüre ich ein Brennen in meinem Herzen. Night hat mir diese Bar gezeigt.

Bevor ich weiter darüber nachdenken kann, suche ich die Tische nach Syras und Kalysha ab – und finde sie sofort. Kalysha hat eine Flasche Rum vor sich, aus der sie immer wieder trinkt, während Syras sie stumm beobachtet.

Sicher gehe ich auf sie zu und stelle mich neben sie an den Tisch. Es dauert eine Weile, bis ihr verschleierter Blick mich findet und dann auch erkennt. Sofort verengt sie ihr Auge und rückt ein Stück zurück.

»Was willst du?!« Ihre Stimme klingt trotz des Alkohols klar und zornig. Oder vielleicht gerade deshalb. Ihre Augenklappe glitzert in dem gedämpften Licht der Dämmerung und der Lampions der Bar.

Unbeholfen presse ich meine Lippen aufeinander und werfe einen Blick auf den Stuhl neben ihr. »Ich muss mit dir reden.« Meine Augen wandern zu Syras. »Allein.«

Sie mustert mich eine halbe Ewigkeit, bevor sie erst Syras und dann mir zunickt.

Ich setze mich und warte, bis die anderen an einem Tisch weiter weg Platz nehmen und beuge mich dann zu ihr vor. »Es tut mir leid«, flüstere ich das, was mir am meisten auf der Seele brennt. Als Night versteinerte und ich in Kalyshas Auge sah, die uns noch kurz zuvor in meiner Vision getötet hatte, wollte ich nur, dass sie verschwindet und ich nie wieder dieses Auge sehen muss. Aber in den letzten Wochen habe ich verstanden, dass sie dieser Mensch aus meiner Vision noch nicht ist. Und jetzt vielleicht auch nie sein wird.

»Tut es das?«, hakt sie nach, lehnt sich im Stuhl nach hinten und nimmt einen großen Schluck aus ihrer Flasche.

»Als ich bewusstlos war, hatte ich eine Vision. Night hat es auch gesehen.«

Sie hebt belustigt ihre Brauen. »Ja, das habe ich mir gedacht.«

»Wir alle wurden durch den Rubin in Atlantis eingesperrt. Wir wären dort eingesperrt worden, hätte Night sich nicht versteinert.«

»Und was hat das mit mir zu tun, Nyxa le Fay?«

Ich presse meine Lippen aufeinander. Sie ist sauer. Und ein Teil von mir weiß, dass es ihr zusteht.

»Du warst auch dort. Wir alle waren dort, aber nur du und ich wussten, wer wir sind.«

»Vielleicht war es nur ein dummer Fiebertraum? Mal drüber nachgedacht?« Sie schnalzt verächtlich mit der Zunge.

»Hör mir bitte zu, Kalysha. Danach kannst du mich gern weiter hassen.«

»Ich dich?« Sie lacht halbherzig. »Du warst es, die mir das Gefühl gegeben hat, wir könnten eines Tages Freunde werden. Und kaum war Black … Du hast mich nicht nur von ihm weggestoßen, Nyxa. Auch von dir und dem, was ich geglaubt habe, zwischen uns zu fühlen.«

»Ich weiß«, gebe ich zu. »Bekomme ich dennoch die Chance, es dir zu erklären? Eine Chance, die ich dir bisher verweigert habe?«

Sie atmet tief durch, nickt dann aber.

»Wir waren Verbündete in Atlantis. Und als wir gerade fliehen wollten, da … da tauchtest du bei Night und mir auf und hast erst ihn und dann mich getötet.«

Ihr Lid zuckt, aber sonst verändert sich ihre Miene kaum. Sie sitzt einfach nur da und sieht mich ausdruckslos an.

»Du hast noch etwas gesagt …«, füge ich flüsternd und mit gebrochener Stimme hinzu, weil ich seit vier Wochen immer wieder an diesen Satz denken musste. »Es geht nicht anders. Bitte verzeih mir.«

Kalysha hebt ihre Braue und fährt sich langsam mit ihren schlanken Fingern über ihre Lippe. »Ich … habe ihn getötet? Euch getötet?«

Ich erkenne ihre Stimme kaum wieder. Und obwohl ich den Schmerz über diese Tatsache in ihren Augen flackern sehe, nicke ich.

»Wusste ich, dass es nur eine Vision ist?«

Ich verenge meine Brauen. »Es war für mich eine Vision, ja. Aber alles, was in ihr geschehen ist, war unsere Zukunft. Eine mögliche Zukunft, die Night verhindert hat.«

»Wusste er es?«

»Wusste er was?«, hake ich nach und nehme ihr die Flasche ab, um selbst etwas zu trinken.

»Wusste er, dass ich ihn töten werde? Kann es sein, dass er es so wollte? Dass er wollte, dass du diese Vision hast, damit … damit er es dann ändern kann?«

Nachdenklich streiche ich mir durch mein Haar. »Er war überrascht.«

»O Gott«, wispert sie plötzlich und legt ihre Hand vollständig auf ihre Lippen. »Ich habe euch getötet … Ich hätte euch getötet und deshalb musste Black sich versteinern. Ich … Es ist alles meine Schuld.«

»So darfst du das nicht sehen«, flüstere ich und lege eine Hand auf ihr Bein. Sie zuckt unter meiner Berührung.

»Warum erzählst du mir das, Nyxa? Warum hast du mich nicht längst getötet?«

»Du hast es nicht getan.«

»Ich hätte aber!«, faucht sie und dämpft dann wieder ihre Stimme, als uns ein paar der Drachen skeptisch mustern. »Ich hätte euch getötet. Warum auch immer. Es schlummert offensichtlich in mir.«

»Du würdest ihm nie wehtun, oder?«

Sie schüttelt den Kopf, während eine Träne ihr freies Auge verlässt.

»Dann muss es einen Grund geben. Und ich will, dass du ihn zusammen mit mir findest, Kalysha.«

Sie atmet schwer und schnell. Es ist beinahe, als könne ich ihren beschleunigten Herzschlag hören. Die Schuld erdrückt sie. Erschlägt sie. Dennoch sehe ich dabei zu, wie aus ihr langsam Stärke und Willen werden. Sie sieht mich ernst an. »Und wenn herauskommt, dass ich ihn ohne einen guten Grund getötet hätte, tötest du mich!«

»Was?« Ich blinzle irritiert.

»Das ist keine Bitte, Nyxa. Du wirst mich töten, wenn sich herausstellt, dass ich egoistisch gehandelt hätte. Schon zum zweiten Mal in meinem Leben. Dann bin ich dieses Leben nicht wert. Hast du das verstanden?«

Sie sieht mich auffordernd an. Stark, sicher. Also nicke ich und ergreife dann ihre Hand, die sie mir entgegenstreckt.

»Und wie finden wir heraus, was geschehen ist?«, fragt sie beinahe flehend.

»Ich habe keine Ahnung. Wir müssen es schaffen, einen Weg in diese Vision zu finden.«

»Das geht?«

»Ich weiß es nicht. Aber wenn es jemand schaffen könnte, dann drei meiner Schwestern«, murmle ich in Gedanken versunken.

Kalysha sieht mich fragend an.

»Die drei Nornen. Die Vergangenheit, die Gegenwart und das Schicksal, also die Zukunft.«

Kapitel 2

Night

Meine Lider sind so schwer, dass ich ewig brauche, um endlich gegen ihre Last anzukämpfen und meine Augen zu öffnen. Ich erkenne das bläuliche Licht von Atlantis sofort wieder. Es ist genau so wie in der Vision, die Arrow hatte.

»Wie lange hat es gedauert?«, frage ich in die Stille und blinzle, bis ich Apate erkenne.

»Vier Wochen. Sie hat sich kaum von diesem dämlichen Sessel wegbewegt«, sagt sie mit bedrückter Stimme, hebt dann ihren Kopf und sieht mich durchdringend an. »Ihr Herz ist gebrochen, Custos. Es ist nicht eben und gerade gerissen. Die Wunde ist nicht heilbar. War das wirklich …«

»Ja, es war nötig«, sage ich bestimmt, obwohl auch in mir ein Krieg tobt. Ein Kampf zwischen Herz und Kopf, den ich nur allzu gern mein Herz gewinnen lassen würde, damit dieser Schmerz in mir endlich nachlässt. »Ich finde vier Wochen wirklich in Ordnung. Und vielleicht ein wenig verletzend.« Ich lache halbherzig.

Apate tritt einen Schritt auf mich zu. »Vielleicht hätte sie die Wahrheit verstanden, Custos. In diesen vier Wochen hat sie gelitten und versucht irgendwie zu überleben. Aber jetzt … jetzt wird sie alles tun, um dich zurückzubekommen. Und das wird nicht nur vier Wochen anhalten. Vielleicht wird sie es ihr Leben lang versuchen.«

»Die Wahrheit«, sage ich matt und schnaufe. »Sie hätte die Wahrheit nicht verkraftet, Apate.«

»Sie ist viel stärker, als du denkst. Und sie … sie ist mir ans Herz gewachsen. Es tut weh, sie zu belügen und ihr dabei zuzusehen, wie sie leidet!« Sie presst ihre Lippen aufeinander.

»Sie ist nicht stark genug, um zu verkraften, dass sie eine Schachfigur in all dem ist, Apate«, raune ich mit kratziger Stimme. Meine Brust brennt, wenn ich an meinen eigenen Verrat denke.

»Du weißt, dass sie schon sehr lange mehr für dich ist als das, Custos Leroux.«

Ich fahre mir schwer atmend durch meine Haare und ziehe dann meine Kapuze weiter in mein Gesicht. »Ich kann nicht aufhören, Apate. Ich bin so kurz davor. So kurz.« Ich seufze. »Sie muss nur noch einmal durch drei Prüfungen gehen. Nur noch einmal. Und dann …«

»Was dann? Dann lässt du sie einfach so gehen? Tust so, als würdest du sie nicht lieben?«

»Ich liebe sie nicht. Nicht so, wie ich sie lieben sollte. Das, was ich liebe, ist die Vorstellung von ihr. Die Vorstellung eines Lebens, das ich niemals leben werde. Und das weißt du.«

Eine Lüge. Aber diese Lüge muss ich leben, nur so kann ich sie beschützen. Ihr Leben retten. Die Welten retten.

»Ich dachte es zu wissen, ja. Aber du hast dich verändert. Du bist nicht mehr der, der du warst, als du diesen Plan entwickelt hast. Sie hat dich verändert.« Apate tritt näher und legt den Kopf ein wenig schief. »Hast du das alles wirklich nur getan, um über Atlantis zu herrschen? War jeder Moment mit ihr gelogen? Jeder einzelne Moment, in dem du ihren Schutz vor alles andere gestellt hast?«

»Es ist dennoch meine Bestimmung sie zu beschützen, also habe ich mich nicht frei entschieden. Außerdem weißt du, dass es um mehr als die Herrschaft geht. Nyxa ist das einzige Wesen, das Atlantis wirklich beschützen kann. Wenn sie drei Neunheiten in sich eint …«

»Was dann? Hast du ihr nicht gesagt, du würdest dein Leben geben, damit sie nicht in Atlantis sein muss?!« Apates Stimme wird immer vorwurfsvoller. Meine Kehle verengt sich. »Sie wäre hier nicht allein.«

»Nein, sie wäre hier mit jemandem, der sie nur benutzt hat und nicht lieben kann, wie sie es verdient.«

Ich nicke und sehe zu Boden. Mustere den bläulichen Sand und atme schwer.

»War das wirklich alles nötig? Kalysha war so etwas wie eine Freundin für sie. Eine Freundin, die sie nie hatte.«

»Kalysha ist der Schlüssel zu allem. Ich konnte nicht zulassen, dass Nyxa ihr vertraut.«

»Warum?«

Ich lecke mir über die Lippen und gehe dann vor, durch das Tor nach Atlantis. »Kalysha verriet einst ihre beiden Schwestern, um ihr Auge zurückzubekommen. Loreley gab es ihr.«

»Aber sie …«

»Sie trägt die Augenklappe über ihrem geheilten Auge, weil sie sich die Schuld an dem Tod ihrer Schwester Shakysa gibt«, wende ich ein und werfe einen Blick neben mich, während sie mir folgt. »Loreley hat aber nicht nur ihr Auge geheilt. Sie hat ihr damit sehr große Macht verliehen.«

»Was für eine Macht?«, fragt Apate bissig.

»Kalysha trägt das Blut der Feynen in sich, aber weil sie zur anderen Hälfte ein Luftdrache ist, waren ihre seherischen Fähigkeiten nie sonderlich ausgeprägt. Bis Loreley ihr die Macht des Sehens schenkte. Kalysha weiß es nicht, weil sie ihr Auge nie benutzt. Sie trägt beinahe immer diese Augenklappe und weiß nicht, dass sie damit nicht nur ihr Auge, sondern auch ihre größte Macht verbirgt.«

»Und was hat das mit Nyxa zu tun?«

»Vereint mit Nyxas Macht, könnten die beiden alles verändern. Sie könnten Schicksale verändern, aber auch die Vergangenheit. Und wenn das geschieht, wäre nichts mehr wie es einmal war.« Ich räuspere mich, bleibe stehen und lege meine Hände auf Apates Schultern, damit sie mir ganz genau zuhört. »Kalysha trägt das Göttliche in sich, Apate. Eine Seele und das Göttliche, durch das, was Loreley ihr damals gab.«

»Und was bedeutet das?« Apate hebt eine Braue und sieht mich argwöhnisch an.

»Es bedeutet, dass es nicht nur neun göttliche Wesen gibt und Atlantis somit niemals geschützt wäre.« Ich sehe sie mit ernster Miene an. »Wir müssen die sterbliche Welt verschließen. Sonst wird das Göttliche niemals geschützt sein. Und auch die Menschen werden sich irgendwann selbst zerstören. Und wenn sie es nicht selbst tun … wird es Nemesis tun.«

»Das schaffen sie auch so«, sagt Apate leise und nachdenklich. »Ist es das wirklich wert, Custos?«

»Sag du es mir«, raune ich und ziehe einen Zettel aus meiner Jacke. Ich bewahre ihn schon so lange auf, dass es sich seltsam anfühlt, ihn jetzt aus der Hand zu geben. Das mit ihr zu teilen, was ich so lange für mich behalten habe. Aber es muss sein. Sonst wird Apate nie verstehen, warum ich das hier tue.

Sie verengt ihren Blick, während sie das Blatt Pergament auseinanderfaltet und ich den kleinen Würfel in meiner Tasche umfasse. Als Apate gelesen hat, was darauf steht, braucht sie eine ganze Weile, bevor sich ihr Blick wieder hebt und sie mich mit schmerzhafter Fassungslosigkeit anstarrt. Aber in ihren Augen steht auch so etwas wie Gier.

Und obwohl es seltsam ist, dieses Wissen nach all den Jahren zu teilen, nimmt es mir doch ein wenig der Last, die schon so lange auf meinen Schultern ruht.

Es kam der Tag, da erschuf Nemesis durch ihr Fleisch und Blut eine Welt, die mächtiger und stärker war als alles bisher.

Es kam der Tag, da verschwand sie. In der Stille der See wartend, wie sich jeder Einzelne beweist.

Es kommt der Tag, da wird sie wieder aufsteigen, benutzt von Wesen, denen sie einst das Leben schenkte.

Es kommt der Tag, da wird die gerechte Rache über uns alle fegen wie ein Gewitter. Die Wälder werden durch ihr Feuer brennen, die Tiere durch ihre Güte wieder in die Freiheit entlassen und die Lebewesen, die einst Sklaven hielten, werden selbst zu Sklaven ihrer Macht werden. Die Mauern der Welten werden sich schließen und die aussperren, die sich als nicht würdig erweisen.

Es kommt der Tag, da wird Gerechtigkeit die bestrafen, die nie gerecht waren und das Göttliche über die Welten bringen.

Doch die Rache der Nemesis kann aufgehalten werden,

denn es kommt der Tag, da wird ein Wesen geboren, das ihr das Feuer nehmen kann.

Drei Mal drei Prüfungen werden ihr eigen und ihr das eigene nehmen. Über Wasser, unter Wasser und in der Asche ihres eigenen Feuers. Im Schmerz ihres glühenden Herzens, das voller Unwissen, Naivität und Vertrauen geschaffen sein muss. Im Angesicht einer Zukunft, die sie zu verhindern sucht.

Kapitel 3

Nyxa

»Du willst zu den drei Nornen?« Eryt starrt mich an, als hätte ich nun vollends den Verstand verloren. »Und wie genau stellst du dir das vor? Sie sind in Thule!«

»Ich werde zu Levyn gehen und ihn darum bitten, mich nach Thule zu bringen«, sage ich knapp, während ich mir mein Top über den Kopf ziehe und ein neues anziehe. Eryt wendet den Blick nicht ab.

»Und was ist mit Erytheia? Mit Blacks Vermächtnis?« Wieder schüttelt er den Kopf. »Und mit Acaris, Avalon? Wie erklärst du Myr und Levyn, dass du keine einzige deiner Pflichten in den Welten erfüllst?«

»Ich habe überall Regenten eingesetzt!«, beschwere ich mich, beuge mich runter und binde meine Stiefel zu.

»Ich bleibe nicht als Regent hier, Nyx. Ich werde dich begleiten, wenn du zum Yggdrasil willst. Und Terrys hat ein eigenes Königreich.«

»Es gibt genug Piraten hier, die gern das Zepter übernehmen wollen.«

Eryt lacht laut auf. »Hast du den Verstand verloren, Nyx? Übernimm endlich Verantwortung! Ich weiß, dass Black dir fehlt und du ihn zurückholen willst, aber du kannst unsere Welten deshalb nicht aufs Spiel setzen.«

»Beruhig dich. Syras wird Regent von Erytheia – zusammen mit Guyn.«

Das zu sagen fühlt sich seltsam an. Aber Guyn kennt diese Stadt. Sie liebt diese Stadt und ich traue ihr das hier zu. Auch wenn mich die Vision von ihr und Night nicht loslässt. Er hat sie als Lügnerin betitelt. Aber warum? Und ist diese Zukunft vielleicht sowieso längst verändert worden und wird so nie stattfinden? Ich hoffe es, denn obwohl ich nicht wirklich Vertrauen zu ihr fassen kann, weiß ich, dass sie Beys Gegenstück ist. Und auch wenn sie nicht zusammen sind, sind ihre Seelen doch die zwei Teile einer ganzen. Und Bey vertraue ich. Er ist mein Bruder.

»Bitte vertrau mir«, flüstere ich, während ich mich Eryt nähere und meine Hände auf seine Schultern lege.

»Ich vertraue dir doch, Nyxi. Aber zu Vertrauen gehört, dass man seine Zweifel offen ausspricht.«

»Ich weiß«, sage ich matt und lege meinen Kopf auf seine Brust. Ein paar der Haare, die ihm aus dem Knoten gerutscht sind, kitzeln meine Schläfen.

Seine Hände streichen sanft über meinen Rücken und dann nickt er. »In Ordnung. Aber wenn die Nornen dir keine Lösung geben können, Nyxi … dann müssen wir zurück.«

»Deal«, raune ich und drücke ihn von mir, um ihn anzusehen. Es dauert nicht lange, bis das Glitzern meiner Augen auch auf ihn übergeht. Ich weiß, dass Eryt ebenfalls gern den Yggdrasil sehen würde.

»Und falls Myr mich tötet«, ruft er mir hinterher, als ich zur Tür gehe, »weißt du ja, wer schuld ist.«

»Sehr nett, danke«, gebe ich lachend zurück.

Myr liebt Eryt. Auch wenn er so was wie mein Vater geworden ist und Eryt verboten hat, mich in die Finsternis zu bringen – er wird ihn nicht töten.

Ich gehe hinunter in die Küche. Apate ist immer noch nicht wieder da, also muss ich das hier wohl ohne sie durchziehen.

Kalysha steht aufbruchsbereit neben dem Bücherregal. »Wir drei?«, fragt sie und wirft Eryt einen ernsten Blick zu.

»Vier«, verbessert Terrys, der zu uns tritt und mich von oben bis unten mustert.

»Schön, dann laufen wenigstens gleich zwei von uns Gefahr, noch vor Thule von Myrian umgebracht zu werden«, lacht Eryt halbherzig und verzieht den Mund.

»Er wird keinen von euch umbringen«, brumme ich und gehe zur Tür. Als sie mir alle unsicher hinterherstarren, drehe ich mich noch einmal um. »Was?«

»Wie kommen wir in die Finsternis?«

»Wir fliegen«, entgegne ich irritiert. »Bis zum Firefall. Und dort wandern wir in die Finsternis.«

Terrys und Eryt nicken, während Kalysha mich ansieht, als hätte ich gerade ihr Weltbild zerstört.

»Was ist?«, frage ich vorsichtig.

»Ich bin lange nicht eine so große Strecke geflogen.«

Die Unsicherheit in ihrer Stimme ist kaum zu überhören. Natürlich, Kalysha kämpft schon ihr Leben lang mit ihrem Mischblut.

Ich lecke mir über meine Lippen und trete näher. »Du bist ein vollwertiger Luftdrache, Kalysha.«

Sie nickt unbeholfen. Es passiert selten, dass ich ihre unsichere Seite zu Gesicht bekomme. Wahrscheinlich war es bisher nur das eine Mal im Zelt, als ich sie ohne Augenklappe gesehen habe.

»Ich habe deine Flügel gesehen. Sie sind wunderschön und es sind die eines Luftdrachen!«, beteuere ich noch einmal.

»Außerdem könntest du selbst als Feyne all die Welten bereisen«, wirft Eryt ein.

Sie nickt unsicher, atmet schwer ein und aus und geht dann mit mir zur Tür.

»Das alles ist ziemlich unorganisiert«, wirft Terrys ein, der urplötzlich so nah bei mir steht, dass ich erschaudere.

»Hast du etwas anderes erwartet?«, frage ich lächelnd und hebe meine Schultern.

»Ehrlich gesagt … nein«, gibt er schmunzelnd zurück und streicht mir eine Strähne aus dem Gesicht, bevor wir hinaustreten und zum Strand gehen.

Syras und Guyn sind bereits dabei, in Erytheia für Ordnung zu sorgen. Aber wir wissen alle, dass niemand Erytheia je halten wird – außer Night. Er war einer von ihnen … ist einer von ihnen … und hat ihnen mit diesem Ort Hoffnung gegeben. Hoffnung, die sie zu besseren Drachen gemacht hat. Die in ihnen den Willen geweckt hat, sich ein Leben aufzubauen. Abseits der Meere und Raubzüge.

»Na dann mal los«, sage ich beinahe ein wenig unsicher, als wir beim Strand ankommen. Auch wenn ich ihnen immer wieder beteuere, dass Myr sie nicht umbringen wird – er wird andere Wege finden, mir zu zeigen, wie enttäuscht er ist.

Dennoch atme ich tief durch und breite meine Flügel aus. Ich spüre den Schmerz der wachsenden Schuppen in meinem Gesicht und als ich meine Flügel schlage den Wind, der durch jede einzelne Schuppe fließt wie kühles Wasser.

Als wir in der Nähe des Firefalls landen, wandern wir gemeinsam in die Welt der Finsternis. Die Dunkelheit erschlägt mich beinahe, weil mit ihr die drückende Last meiner Schuld zurückkehrt und mich stocken lässt.

»Na los!«, fordert Eryt neben mir und greift nach meinem Arm. Er drückt ihn kurz, als wolle er mir Mut machen, bevor ich meine Schuppen hervorstoße, um etwas erkennen zu können.

Wir gehen die paar Meter zum Firefall und als ich davor stehen bleibe, wird meine Kehle trocken. Ich sehe hinauf. Dorthin, wo ich schon immer sein wollte. Hier, an diesem Ort. Dem Ort, von dem ich all die Geschichten kenne. All ihre Erzählungen. Aber nie hat Myr mich mitgenommen.

»Alles okay?« Wieder ist es Eryt.

Ich nicke nur und gehe weiter. Gehe hinter den Wasserfall, um zum Eingang des Firefalls zu gelangen. Vorsichtig schiebe ich die Steintür zur Seite und starre in Aryas grüne Augen. Sie steht da, ihre Arme verschränkt und starrt mich an.

»Ich habe dich gerochen«, sagt sie, als würde das die Situation besser machen.

Ich schlucke schwer. »Ich …«

»Komm her!« Sie breitet ihre Arme aus und zieht mich in eine feste Umarmung. »Es ist so schön dich zu sehen.«

Ihre Stimme klingt weich und warm. Etwas, das man nicht oft von ihr zu hören bekommt.

»Ich bringe euch zu Levyn«, sagt sie dann mit einem skeptischen Blick zu meinen Begleitern. Aber vor allem zu Kalysha. Sie wirkt nicht gerade erfreut, dass ich sie mitgebracht habe. Aber ob es der Tatsache geschuldet ist, dass sie eine Feyne ist oder ganz offensichtlich ein Pirat, weiß ich nicht.

Wir folgen ihr durch die steinernen Gänge, die eher wie eine Höhle wirken. Mein Herz wird schwer. Mit Night war ich einmal kurz hier, in Levyns Zimmer. Aber mehr habe ich nicht gesehen. Und jetzt habe ich einiges wiedergutzumachen.

Als wir an einer Tür ankommen, hinter der laute Stimmen nach außen dringen, bleibt Arya stehen, lauscht kurz und stößt sie dann auf. »Hört auf zu streiten, Kinder, wir haben Besuch.«

»Besuch?« Myrs Gesicht taucht in meinem Blickfeld auf. Sein Mund öffnet sich und eine halbe Ewigkeit starrt er mich einfach nur an, bis er aufsteht, auf mich zustürmt und mich in den Arm nimmt. »Wie geht es dir, Nyxi?«, fragt er und nimmt mein Gesicht in seine Hände, als wolle er prüfen, ob ich Wunden habe.

»Gut«, lüge ich und verziehe den Mund.

Er hebt ganz sanft seinen Mundwinkel und zieht mich dann mit sich in den Raum.

Levyn sitzt zurückgelehnt in seinem Stuhl und grinst leicht. »Nyxa, wie schön. Vielleicht hört Myr ja jetzt auf, ständig die zickige Diva zu geben.« Er wirft ihm einen belustigten Blick zu, steht dann auf und nimmt mich ebenfalls in den Arm.

»Wo sind die anderen?«, frage ich, während Levyn auch meine Begleiter begrüßt. Kalysha bekommt vor ihm keinen Ton heraus und auch Terrys benimmt sich in der Gegenwart des Herrschers der Finsternis wie ein kleiner Junge. Nur Eryt wirkt kühl. Ganz anders, als er sich sonst verhält.

»Lya, Belamy und Lucarys sind in der sterblichen Welt und sorgen dafür, dass die eingesetzten Wächter ihre Arbeit machen. Etwas stimmt nicht.« Levyn setzt sich wieder und legt nachdenklich seine Faust an seine Lippen.

»Was stimmt nicht?«, hake ich nach, während sich auch die anderen setzen.

»Wenn wir das wüssten. Es ist, als hätte sich die Natur gegen uns verschworen. Die Welten sind immer schwerer zu betreten und vor allem das Tor zur menschlichen Welt scheint sich irgendwie zu verschließen.«

»Zu verschließen?« Eryt lehnt sich nach vorn und sieht Levyn ernst an. »Sind Wasserdrachen vor Ort?«

»Deine Legion ist dort, ja.«

»Und?«

»Die Gewässer verhalten sich wie immer, nur … Es werden neue Tiere gesichtet. Als würden sie aus den Tiefen des Meeres heraufkommen.«

»Seltsam«, brummt Eryt und verzieht den Mund.

»Was treibt euch her?«, mischt sich nun Myr ein und wirft mir einen flüchtigen Blick zu. Spätestens wenn wir allein sind, wird er mir wohl noch ein paar Takte sagen. Ich bin abgehauen, treibe mich seit Monaten mit dem ihm so verhassten Piraten herum, der ihn obendrein so manipuliert hat, dass Myr mich in Aeria zurückgelassen hat, und jetzt bin ich hier, um ebendiesen zu retten. Das kann ja was werden.

»Wir müssen nach Thule«, presche ich vor, damit ich es mir nicht anders überlege.

»Nach Thule?«, hakt Levyn nach und hebt seine Brauen.

»Ja, ich muss zu den Nornen. Ich muss …«

»Du musst?«, fragt Levyn ruhig und nachdenklich.

Ich atme schwer durch und sehe ihn fest an. »Ich hatte eine Vision.«

»Wen hast du angefasst? Hatten wir das Thema nicht schon einmal, Nyxa?!« Myr verschränkt zornig die Arme vor der Brust.

»Welches? Dass ich niemanden anfassen darf? Grandiose Idee, Myr.« Ich schnaufe. »Es war Night.«

»Dieser lausige Pirat? Hat er dich unsittlich berührt?« Er kommt näher und schnuppert an mir.

Levyn unterdrückt ein Lachen, während ich ihn nur blinzelnd ansehe. Ich kann nicht glauben, was er da tut.

»Myrian von Acaris! Hör auf, an Nyxa zu schnuppern!«, zischt Arya und setzt sich nun neben mich. »Was hast du gesehen?«

»Wir … wir waren in Atlantis und haben unsere Erinnerungen verloren. Nur Kalysha und ich wussten noch, wer wir sind, aber … sie hat Night und mich getötet.«

Arya und Myr greifen sofort nach den Waffen an ihren Hüften, während Levyn beschwichtigend die Hände hebt und sie damit zum Stillstand bringt. »Ich nehme an, dass Nyxa einen sehr guten Grund hat, sie dabeizuhaben … trotz der Vision«, sagt er leise aber voller Autorität. Sein Blick wandert zu ihr. »Du bist Shakysas Schwester.«

Kalysha presst ihre Lippen aufeinander und nickt.

Levyns Blick verengt sich, während dunkle Schatten aus seinen Händen gleiten. »Sie trägt genauso wie du das Göttliche in sich. Deshalb konnte sie sich in Atlantis erinnern.«

»Das Göttliche?«, stößt sie hervor und schlägt sich sofort die Hand vor den Mund.

Levyn nickt. »Loreley war einmal eine Freundin.«

Er sagt nicht mehr. Verrät nicht, dass er weiß, was sie getan hat. Dass er weiß, dass ihr Auge unter der Augenklappe gesund ist. Sie sieht hinab auf den Tisch und schweigt ebenfalls.

»Wir müssen herausfinden, warum Kalysha … Kalyshas zukünftiges Ich das getan hat.«

Ich straffe meine Haltung, damit keiner hier auf die Idee kommt, ich sei noch das kleine Mädchen von damals, das nur eine dumme naive Idee hat.

»Und das sollen dir die Nornen beantworten? Ich nehme an, du denkst dabei an Skuld?«

»Skuld ist die Zukunft. Sie kann mir sagen …«

»Aber so wie es aussieht, habt ihr doch diese Zukunft längst abgewendet, Nyxa«, mischt sich Arya ein.

»Sie weiß es trotzdem. Ich bin mir sicher«, sage ich fest, obwohl ich mir keineswegs sicher bin. Aber sie ist unsere einzige Chance.

»Levyn lässt niemanden mehr nach Thule, seit Lyria die letzten drei Nornen getötet hat und er neue einsetzen musste. Das …«

Levyn hebt seine Hand und unterbricht Myr damit. »Ich werde zusammen mit dir und Kalysha nach Thule gehen.« Sein Blick fällt auf Terrys und Eryt. »Wenn ich euch bemühen darf?«

Sie nicken sofort.

»Arya bleibt hier und wird den Firefall bewachen, während ich euch bitte, zusammen mit Myr in die sterbliche Welt zu gehen und … nach dem Rechten zu sehen.«

»Du meinst wohl, um nach Lya zu sehen«, prustet Arya.

»Nun ja, wenn sie zufällig da ist …«

»Rein zufällig«, lacht Myr. »Du hast ihr versprochen, dass sie die Lage in der sterblichen Welt allein unter Kontrolle bringen darf.«

»Und ich halte mein Versprechen. Aber wenn ihr ihr zufällig über den Weg lauft …«

»Ist klar.« Myr lacht erneut.

»Myr … bring sie nach Hause. Sie …«

»Ich gebe mein Bestes«, verspricht er und legt eine Hand auf Levyns Schulter. »Aber sie ist ein Dickkopf und hat Angst, dass ihre Mutter hinter der Mauer der sterblichen Welt eingesperrt wird.«

Levyn nickt und erhebt sich dann. »Lasst uns gehen.«

Ich beobachte seine große, starke Statur, gehüllt in die schwarze Kleidung und diesen schwarzen Mantel. Doch trotz der Stärke, die er ausstrahlt, wirkt er müde und ausgelaugt.

Ohne große Umschweife führt Levyn uns zurück, raus aus dem Firefall, hinein in den Wald.

»Du bist mit ihm verbunden«, stellt er eher fest, als dass es eine Frage ist.

»Kann man das etwa auch riechen?«, entgegne ich bissiger, als ich klingen wollte, was Levyn ein leichtes Lächeln entlockt.

»Nein. Also doch.« Er lacht. »Aber man hat es bei euch sehr deutlich gesehen. Bei ihm. Er reagiert auf deine Stimmungen und hat dich immer im Auge.«

»Aha«, mache ich, weil ich mich dieser Tatsache nicht stellen will. Terrys ist eine der besten Personen, die ich kenne. Aber … ja, aber.

»Es ist anders als mit Black.«

»Mit Black?« Ich schnaufe, um meinen Schmerz zu überspielen, während Kalysha stumm hinter uns hergeht.

»Ihr wart bei mir, schon vergessen?«

»Wie könnte ich das vergessen.«

»Er hat nicht so auf dich reagiert, wie es Terrys tut.«

Ich atme schwer und nicke nur. Ich kann mir jetzt nicht anhören, dass Night mich niemals so lieben wird wie Terrys.

»Lya ist mein Gegenstück und ich habe oft genug das Gefühl, mir würde jemand mein Herz herausreißen, wenn sie sich in waghalsige Situationen manövriert.« Er wirft mir einen flüchtigen Blick zu. »Aber ich habe gelernt, dass zur Liebe auch gehört, dass ich ihr vertraue. Vor allem vertraue, dass sie Dinge allein entscheidet und bewältigen kann. Ihr zu vertrauen, dass sie stark ist. Und das ist es, was ich bei Black gesehen habe.«

Ich bleibe stehen und starre ihn irritiert an. »Was hast du bei ihm gesehen?«

»Er liebt dich. Er will dich beschützen. Aber über all dem steht für ihn, dass du dich findest. Die Dinge allein tust, damit sie dich am Ende stärker und vielleicht sogar zu der Person machen, die er in dir sieht.«

»Und Terrys sieht diese Person nicht in mir?«

Levyn lächelt und streicht mir über meine zotteligen Haare. »Du hast nie jemanden gebraucht, der dich vollständig macht, Nyxi. Lya brauchte das. Sie war immer unvollständig. Was nichts Schlechtes ist. Du aber … du brauchst etwas ganz anderes.« Er atmet tief durch und deutet dann nach vorn. »Wir sind da.«

Mein Blick fällt auf einen riesigen See. Die Wasseroberfläche glitzert leicht, was ich ohne meine Verwandlung wohl nicht sehen würde.

»Bereit?«, fragt Levyn und sieht noch einmal zurück zu Kalysha, die genauso wie ich nickt.

Levyn schließt kurz seine Augen, bevor er Schatten in die Luft stößt und sich plötzlich ein Riss im Himmel bildet, wie ein wunderschöner Blitz.

»Na los!«

Er breitet seine Flügel aus und stößt sich vom Boden ab. Kalysha und ich tun es ihm nach und jetzt begreife ich auch, warum er nichts dagegen hatte, sie mitzunehmen. Wir brauchen ihr Element, um Thule zu erreichen. Wobei ich mir schon fast sicher bin, dass Levyn genug Macht hat, um auch anders dorthin zu gelangen. Oder er kann meins nehmen.

Als wir durch den Riss hindurchgleiten, blendet mich ein grelles Licht. Ich blinzle und lande dann neben Levyn. Der Boden glitzert und leuchtet und hätte ich ihn nicht bei mir, wäre ich mir sicher, in den Boden einzutauchen. Wie in Trance sehe ich dabei zu, wie sich unter mir hellgrünes Gras bildet, bevor sich nach und nach ein riesiger Baum auftut. Es ist beinahe so, als würden kleine leuchtende Vögel ihn vervollständigen, bis er in seiner vollen Pracht vor uns steht.

Levyn sagt nichts, sondern tritt vor und legt behutsam seine Hand auf die helle Rinde. So als würde er den Baum fühlen können. Ihn verstehen. Es dauert nicht lange, bis sich knarrend eine der Wurzeln hebt und einen kleinen Zugang öffnet.

»Wow«, stößt Kalysha atemlos hervor, während Levyn uns zuwinkt, damit wir zusammen durch die kleine Öffnung hinuntersteigen.

Als wir den feuchten dunklen Erdtunnel hinter uns gelassen haben, erstreckt sich eine große Grotte vor uns. Ein See voller glitzernder, leuchtender Fische zieht meine Aufmerksamkeit auf sich und ganz hinten entdecke ich drei Schwäne, die auf uns zuschwimmen. Kurz bevor sie bei uns ankommen, tauchen sie unter und dann als drei wunderschöne Frauen wieder auf. Sie alle haben helles, leuchtendes Haar und funkelnde goldene Augen. Sie tragen lange weiße Kleider, die sofort trocknen, als sie aus dem Wasser steigen und sich vor Levyn verbeugen.

»Schwester«, haucht eine von ihnen uns sieht mich liebevoll an. »Wir haben uns schon gefragt, wann du hier erscheinst.«

»Skuld?«, frage ich zögernd und trete einen Schritt vor.

»Ich bin Urd. Skuld wusste sicher, wann du kommen würdest«, flüstert sie lächelnd und deutet auf eine ihrer Schwestern.

»Meine Schwestern versuchen oft, mich zu überreden, ihnen solche Informationen zu geben«, sagt sie und kommt auf mich zu. Majestätisch und sanft. »Aber die Zukunft zu kennen ist eine gefährliche Gratwanderung. Das weißt du.«

»Ja«, raune ich und schlucke schwer. »Trotzdem muss ich genau darüber etwas erfahren.«

»Die Zukunft, über die du etwas erfahren willst, Schwester, existiert nicht mehr. Custos hat es verhindert.«

»Aber du hast sie gesehen, nicht wahr?«

Sie nickt und leckt sich nachdenklich über ihre Lippen. »Und du willst wissen, warum Kalysha euch töten wollte. Ist es das wert? Diese Zukunft gibt es nicht mehr, Nyxa.«

»Ich …« Ich halte kurz den Atem an und denke nach, doch ich weiß längst, dass ich es erfahren muss. Es ist der einzige Weg. »Ich muss es wissen.«

Sie nickt und legt mir ihre schmalen, hellen Finger auf die Wange. »Custos hat es von ihr verlangt.«

Kalysha schnappt hinter mir erschrocken nach Luft, während ich den Kopf schüttle. »Aber … warum sollte er das tun? Und er konnte sich selbst nicht erinnern.«

»Du bist sehr mächtig, Nemesis. Und genau deshalb hat Custos sich erinnert. Und dann bat er Kalysha, euch beide umzubringen, damit du diese Vision siehst und …«

»Und was? Was wollte er damit erreichen?«

Skuld schließt kurz die Augen und sieht dann auffordernd zu Urd, die vortritt.

»Ich bin die Vergangenheit, aber auch das Schicksal. Jeder Mensch hat ein festgelegtes Schicksal. Bei Drachen wird nur eine Richtung festgelegt, aber sie können selbst entscheiden, welches ihrer Schicksale sie annehmen. Deines, Nemesis, ist der Untergang der Welten.«

»Was?« Ich blinzle irritiert und trete einen Schritt zurück.