Fallen Kingdom 2: Zerbrochene Wahrheit - Dana Müller-Braun - E-Book

Fallen Kingdom 2: Zerbrochene Wahrheit E-Book

Dana Müller-Braun

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Beschreibung

Endlich die Fortsetzung des SPIEGEL-Bestsellers! **Macht, Intrigen und ein uraltes dämonisches Erbe** Ohne ihre Erinnerungen wird Navien, erste Heroe des Fürstengeschlechts der Wahrheit, zunehmend von ihrer dämonischen Seite heimgesucht. Sie ahnt nicht, welch uraltes Erbe sich in ihr verbirgt … Die Wahrheit der Worte führt sie in das Reich des Lichts und zu einem Geheimnis, welches in den sieben Fürstentümern der Todsünden seit Jahrtausenden von den Adelsfamilien verborgen wird: Die Macht der Fürsten ist an Anker in dieser Welt gebunden. Nur wenn sie gefunden und zerstört werden, kann die Ordnung der Welten wiederhergestellt werden. Doch um den erneuten Kampf gegen die Unterwelt zu gewinnen, ist Navien auf einen Erzengel angewiesen, an den sie sich nicht mehr erinnert, ihr Herz allerdings schon ...  Begeisterte Leser*innen-Stimmen zu Band 1:  »›Fallen Kingdom - Gestohlenes Erbe‹ von Dana Müller-Braun ist eine einzigartige, komplexe und gutdurchdachte Geschichte, die einen in einen Sog zieht. Spannende Elemente, vielseitige Charaktere und eine grandiose Storyline machen diese Geschichte zu einem absoluten Highlight.« »Der Spannungsbogen nahm nie ab und auch die Zeilen und Sätze waren flüssig geschrieben. Die Seiten flogen nur so dahin.« //Dies ist der zweite Band der düsteren High-Fantasy-Dilogie »Fallen Kingdom«. Alle Romane der romantischen Dämonen-Fantasy: -- Band 1: Gestohlenes Erbe -- Band 2: Zerbrochene Wahrheit// Diese Reihe ist abgeschlossen. 

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Dana Müller-Braun

Fallen Kingdom. Zerbrochene Wahrheit

Macht, Intrigen und ein uraltes dämonisches Erbe

Ohne ihre Erinnerungen wird Navien, erste Heroe des Fürstengeschlechts der Wahrheit, zunehmend von ihrer dämonischen Seite heimgesucht. Sie ahnt nicht, welch uraltes Erbe sich in ihr verbirgt … Die Wahrheit der Worte führt sie in das Reich des Lichts und zu einem Geheimnis, welches in den sieben Fürstentümern der Todsünden seit Jahrtausenden von den Adelsfamilien verborgen wird: Die Macht der Fürsten ist an Anker in dieser Welt gebunden. Nur wenn sie gefunden und zerstört werden, kann die Ordnung der Welten wiederhergestellt werden. Doch um den erneuten Kampf gegen die Unterwelt zu gewinnen, ist Navien auf einen Erzengel angewiesen, an den sie sich nicht mehr erinnert, ihr Herz allerdings schon ...

Band 2 der düsteren High-Fantasy-Dilogie!

Wohin soll es gehen?

Buch lesen

Vita

© privat

Dana Müller-Braun wurde Silvester ’89 in Bad Soden im Taunus geboren. Geschichten erfunden hat sie schon immer – mit 14 Jahren fing sie schließlich an ihre Fantasie in Worte zu fassen. Als das Schreiben immer mehr zur Leidenschaft wurde, begann sie Germanistik, Geschichte und Philosophie zu studieren. Wenn sie mal nicht schreibt, baut sie Möbel aus alten Bohlen, spielt Gitarre oder verbringt Zeit mit Freunden und ihrem Hund.

Für meinen Papa

PROLOG

ZEHN JAHRE ZUVOR

Vorsichtig spähe ich aus meinem Versteck und gehe sicher, dass niemand in der Nähe ist. Erst dann wage ich mich langsam hervor. Ein Lächeln breitet sich auf meinem Gesicht aus und ich springe durch die wunderschönen Gänge des Palastes der Wahrheit.

Alles hier ist so hell und wunderschön. Ganz anders als bei uns zu Hause. Mutter kommt eigentlich aus dem Fürstentum des Hochmuts. Meine Großeltern leben auch noch dort und haben ein recht hübsches Haus im Dorf. Wir hingegen wohnen hier nur in einer Kellerwohnung, die einem bösen Mann gehört, der Mutter immer schlägt, wenn sie nicht pünktlich zahlt. Und seit sie die Erstgeborene der Fürstengattin zu Abt Rejan bringen sollte, ist sie in Ungnade gefallen. Die Fürstengattin hat gute und schlechte Tage. Und an den schlechten lässt sie es an Mama aus und bezahlt sie manchmal nicht. Dann hilft uns zwar oft der Heroer des Fürsten, aber er hat ebenfalls kaum eigenes Geld. Dabei ist er eigentlich der Erstgeborene des ehemaligen Fürsten. Diese ganzen Regeln werde ich nie verstehen. Doch eines verstehe ich sehr wohl. Warum Mama mich versteckt hält, und auch, warum der Heroer des Fürsten ihr ab und an Geld gibt. Er ist mein Vater. Nur dass Heroen keine Kinder haben dürfen, und deshalb ist das ein großes Geheimnis.

Man sagt, diese Kinder sind so dämonisch, dass sie eine Gefahr für die Menschen darstellen. Doch ich fühle mich nicht besonders böse oder mächtig.

Unaufmerksam und in Gedanken versunken biege ich um die Ecke und laufe einem großen Mann gegen den Waffengurt. Überrascht reibe ich mir die schmerzende Stirn und sehe hinauf. Es ist Nath. Mein Vater. Sofort senke ich den Kopf wieder und versuche eine Entschuldigung zu stammeln, in der Hoffnung, dass er nicht weiß, wer ich bin.

»Miral, du sollst hier nicht herumlaufen«, flüstert er und beugt sich zu mir. Berührt meine Wange und mustert mich so intensiv, als wollte er sich all das einprägen. Er sieht mich das erste Mal, obwohl er weiß, wer ich bin. Ich allerdings habe ihn schon oft beobachtet. Er hat blonde Locken, so wie ich. Und Sommersprossen. Mein Herz wird warm.

Hinter ihm ertönen laute Stimmen. »Schnell, versteck dich!« Er deutet auf einen weißen Vorhang und ich renne zu dem Fenster, um mich zu verbergen.

Dann höre ich eine aufgebrachte Männerstimme. Es ist der Fürst. Durch all die Jahre im Verborgenen kenne ich jede Stimme am Hof.

»Nath, kannst du mir erklären, was dieses Vieh schon wieder hier macht?«, schreit er voller Abscheu.

Nath räuspert sich. »Navien wurde rausgeschmissen.«

»Erneut? Wie ist das möglich?«

»Sie hat Schattenmagie genutzt, mein Fürst.«

Ich höre ein Mädchen brüllen und linse in den Gang. Ihre blonden Haare sind wild und zerzaust. Die blauen Augen funkeln vor Wut, während zwei Wachen sie festhalten. Sie schreit und beißt nach ihnen. Ich erkenne ihre Lilie und berühre meine Schläfe. Ich wünschte, ich hätte auch eine. Aber als Halbdämonin besitze ich etwas so Wunderschönes nicht. Meine Lilie ist nur ganz blass und ich muss sie immer verstecken. Manchmal überdeckt Mutter sie auch mit Puder.

»Lasst mich los!«, schreit sie und die Wachen gehorchen, woraufhin sie vor Nath und dem Fürsten auf die Knie fällt. Hinter ihnen kann ich die Fürstengattin erkennen.

»Du bist Abschaum. Zu nichts zu gebrauchen!«, spuckt der Fürst dem Mädchen entgegen. Sie sieht ihn dennoch fest an. Dann höre ich Schritte und die Stimme von Aviell.

»Was ist passiert, Vater?«

»Was soll schon passiert sein? Dein kleiner Dämon hat wieder Schatten benutzt!« Er richtet sich an die Erwachsenen. »Wurde jemand verletzt?«

Die Fürstengattin sagt nichts. Sie steht einfach da und sieht enttäuscht auf Navien, so heißt das Mädchen, hinab. Und dieser Blick ist das Erste, was in ihren Augen eine Regung auslöst. Tränen quillen aus ihren Augen, sie wischt sie aber sofort trotzig weg. Der Schmerz bleibt allerdings, auch wenn sie ihn verstecken will.

»Warum machst du das immer wieder?«, fragt Aviell sauer und schüttelt den Kopf.

»Ich kann nichts dafür!«, schreit Navien. Sie ist nur ein Jahr älter als ich. Doch sie wirkt so viel stärker und gleichzeitig so schwach wie ein Neugeborenes, das jemanden braucht, der es auffängt.

»Das ist widerlich! Diese Schatten sind dämonisch!«

»Und ich bin ein Dämon!«, brüllt sie dem Fürsten zu.

Ich zucke erschrocken zusammen und beobachte zitternd, wie er auf sie zugeht und ihr in den Bauch tritt. Sie stürzt keuchend nach vorne und als sie sich nach einer Weile wieder aufrappelt, streckt sie ihre Arme aus und schreit. Und dann strömen Schatten aus ihren Händen. Sie sind so mächtig. So riesig, dass ich mich weiter gegen das Fenster lehne.

Der Fürst, die Gattin und Aviell kreischen auf. Nath reagiert schnell und bildet mit Schatten einen Schutzwall um sie. Navien erhebt sich. Sie brüllt immer noch. Ihre Adern springen schwarz hervor. Die Schatten kämpfen gegen Naths an. Und sie drücken sie zurück. Treiben seinen Schutzwall so weit nach hinten, bis sich Naths Kraft vor der Fürstenfamilie auflöst.

»Navien«, ertönt plötzlich eine sanfte junge Stimme. Ein Junge tritt vor. Philip, der Sohn des Fürsten. Er wird eines Tages den Thron erben und Fürst der Wahrheit werden. Er ist ein wenig jünger als Aviell und Navien, wirkt aber jetzt schon älter als ein kleiner Junge.

Navien sieht ihn mit tränenden Augen an. Ihre Schatten haben kurz vor der Fürstenfamilie gestoppt. Sie sinkt auf die Knie und lässt damit auch die Schatten fallen. Philip läuft auf sie zu und umarmt sie.

»Geh weg von ihr!«, knurrt der Fürst seinen Sohn an. So, als wäre sie ein Monster und nicht ebenfalls seine Tochter. Als wären die beiden nicht einfach nur Geschwister, die sich lieben und unterstützen.

»Ich wollte das doch nicht«, flüstert Navien weinend. Sie ist gerade einmal elf Jahre alt. Wie sollte sie das auch mit Absicht getan haben.

»Wir schicken sie weg. Und Nath, du nimmst ihr die Erinnerungen an diese widerlichen Schatten. Ich will, dass sie das vergisst. Und …« Der Fürst sieht angeekelt auf seine Tochter hinab. »Schick sie in das schrecklichste und brutalste Lager, das es gibt. Lass sie spüren, was mit ihr passiert, wenn sie sich nicht an meine Regeln hält.«

KAPITEL 1

»Navien?«

Ich versuche zu verstehen, wer da mit mir spricht. Die raue, männliche Stimme ist weit weg und mischt sich mit jenen, die direkt in meiner Nähe sind. Da ist Aviell, die ab und an meinen Namen ruft. Liran. Und einmal sogar Miél. Aber diese andere Stimme wirkt ehrlicher. Vertrauter. Zumindest sagt mir das mein Herz. Nur wie ist das möglich? Niemand außer Aviell ist mir derart vertraut. Der einzige Mensch, der mir in den letzten Wochen näherkam, ist Liran. Doch die Stimme gehört nicht zu ihm.

»Navien!«

Dieses Mal schreit derjenige mit der so vertrauten und gleichzeitig fremden Stimme und ich werde wach. Blinzelnd bewege ich den Kopf, nehme langsam meine Umgebung wahr. Das Zimmer, in dem ich mich befinde, ist leer. Kein Mensch ist hier und auch kein Dämon. Trotzdem fühle ich die Anwesenheit eines Wesens und blicke mich nach einer Waffe um. Der Raum ist mir vertraut. Hier habe ich geschlafen, als ich zu Liran gekommen bin. Ist dieses Wesen, das ich spüre, also Miral, die ein Bad vorbereitet?

Bevor ich jedoch länger über all das nachgrübeln kann, fliegt wie aus dem Nichts ein Licht auf mich zu. Ich richte mich auf, packe eine Gabel, die neben mir auf einem Tablett liegt, und steche auf es ein.

»Herrin! Ich bin es!«, quietscht das Ding.

Ich weite erschrocken die Augen und will mich erheben, doch Schwindel ergreift mich und ich sinke zurück in die Kissen.

»Wir haben keine Zeit, Herrin, ihr müsst …« Geräusche von draußen – Stimmen – unterbrechen dieses Etwas.

Ich setze mich erneut auf. Hebe die Gabel und fixiere es.

»Ihr dürft ihnen nicht sagen, dass ich hier war! Es geht um Eure Sicherheit. Vertraut mir!«, wispert es und fliegt dann zum Fenster hinaus, kurz bevor die Tür aufgeht und ich in Aviells entsetztes Gesicht sehe.

»Du bist wach und … bewaffnet«, stellt sie fest und kommt langsam auf mich zu, um mir die Gabel aus meinen verkrampften Fingern zu nehmen.

»Aviell!«, stoße ich erleichtert hervor. »Dir geht es gut.« Ich nehme sie in den Arm, ihre Berührung fühlt sich allerdings anders und versteift an. Alles andere an ihr wirkt normal. Ihre Haare sind gekämmt und glänzen. Ihr Gesicht ist so makellos wie immer und ihre Haltung perfekt. Und doch … etwas ist anders.

»Was ist passiert?«, frage ich mit zittriger, kratziger Stimme. Meine Gedanken sind wirr. Ich erinnere mich an den Angriff auf unser Fürstentum, daran, dass ich Aviell aus dem Palast brachte, und dann ist alles so verdammt verschwommen. Müsste sie nicht bei den Rebellen sein? Was macht sie hier? Ist sie zurückgekehrt? Und warum liege ich nur mit einem weißen Hemd bekleidet in meinem Bett?

»Du wurdest schwer verletzt«, sagt Aviell sanft, nachdem sie die Gabel an einen dunkelhaarigen Mann übergeben hat, der hinter ihr steht.

»Liran.« In plötzlichem Erkennen gleitet mir sein Name über die Lippen. Mühsam versuche ich die Erinnerungen in meinem Kopf mit ihm in Verbindung zu bringen.

»Es ist alles gut«, sagt er, hält jedoch Abstand.

»Was ist passiert und wo ist Miél?«

Aviell und Liran tauschen seltsame Blicke. »Er ist nicht hier. Seit wann bist du wach?« Aviell bemüht sich, die Fassung zu bewahren. Ich erkenne es sofort. Weiß nur nicht, warum.

»Erst seit ein paar Sekunden«, antworte ich und fixiere ihr Gesicht. Sie wirkt erleichtert. Was, wenn dieses Leuchten recht hatte und ich es verschweigen muss? Anscheinend hat Aviell Sorge, jemand hätte bereits mit mir gesprochen.

»Ark?«, ruft Liran und sein Heroer erscheint in der Tür.

Ich erkenne ihn. Und doch ist es, als würden mir wichtige Erinnerungen an ihn fehlen.

Sein Blick landet mit Bedauern auf mir. »Schön, dass es dir gut geht.«

»Was ist passiert?«, wiederhole ich und versuche die Fragmente meiner Erinnerungen zusammenzusetzen. Aber das Letzte, woran ich mich erinnere, ist, dass ich Miél an der alten Kapelle in Lirans Fürstentum treffen wollte. Aber wann ist Aviell zurückgekehrt und was ist mit mir geschehen?

»Können wir kurz reden?«, richtet sich Aviell an Liran und verschwindet dann zusammen mit ihm im Flur.

Ich konzentriere mich auf sie. Doch seltsamerweise ist es nicht Aviells Seele, die ich spüre, sie ist wie verschwunden. Es ist wirklich ihr Gespräch, das ich plötzlich in mir höre. Sind das meine dämonischen Kräfte? Seit wann kann ich sie so explizit nutzen?

»Sie muss ihren Schwur leisten«, sagt Aviell, bevor mich ein Räuspern wieder zurückholt.

»Das solltest du nicht tun«, tadelt Ark.

Ich verenge meinen Blick. »Warum? Weil sie Geheimnisse vor mir haben?«

»Weil sie offenbar nicht wollen, dass du es hörst«, erklärt er knapp.

»Was ist mit mir passiert?«

Er schweigt, also quäle ich mich aus dem Bett und wanke zur Tür.

»Ein Erzengel hat dich verwundet.« Arks Stimme klingt rau und gepresst.

»Ein Erzengel?« Blinzelnd wende ich mich ihm zu. Stimmen die Gerüchte also? Die Erzengel leben? Aber das Lichtreich wurde vernichtet, als die Fürsten der Unterwelt den Kampf gegen sie gewannen. Trotzdem erinnere ich mich, dass Aviell mir erzählte, dass sie wieder da sein sollen.

»Ja.«

»Warum will Aviell, dass ich meinen Schwur leiste? Welchen Schwur?«

Ark tritt näher und legt den Kopf ein wenig schief. »Sie will dich schützen. Deine Tarnung als angebliche Herrscherin des Fürstentums der Wahrheit ist aufgeflogen und nur dank Liran weilst du noch unter den Lebenden. Und sobald du den Schwur leistest, ist alles wieder gut.«

Es ist seltsam, weil meine Erinnerungen an Ark mir eindeutig sagen, dass er ehrlich ist und nicht lügt. Und doch fühlt es sich falsch an. Alles an ihm schreit mir zu, dass er nicht die Wahrheit sagt. Und wann haben sie überhaupt herausgefunden, dass ich mich nur für Aviell ausgegeben habe? Als sie zurückgekommen ist? Warum erinnere ich mich nicht?

Ich schüttle den Kopf, um mich wieder auf Ark zu konzentrieren. »Was muss ich schwören?«

»Du musst Aviell deine ewige Treue schwören.«

Das habe ich schon vor ihrer Geburt getan. Warum also verlassen sie dafür den Raum?

»Das ergibt keinen Sinn«, wende ich ein. Etwas stimmt nicht.

»Vertrau mir, Navien.«

Wie sollte ich? Ich kenne ihn kaum. Aber Aviell vertraue ich doch eigentlich, oder? Und wenn sie das für die einzige Möglichkeit hält, mich zu schützen, muss es so sein. Außerdem würde sich doch nichts ändern. Wir waren früher verbunden und werden es wieder sein.

Langsam und trotz allem immer noch zögerlich trete ich zu einem Stuhl, auf dem schwarze Kleidung liegt. Heroenkleidung. Die zusätzlichen Schritte bereiten mir Schmerzen in den Rippen, weshalb ich meine Hand darauflege und etwas Warmes, Nasses spüre. Ich blute.

»Da hat dich der Erzengel verletzt«, erklärt Ark, und es wirkt ungewohnt, dass er mich duzt.

Ich stöhne. »Womit?«

»Mit einer Armbrust«, sagt er, als wäre er sich selbst nicht sicher.

Ich hebe meine Brauen. Erzengel verteidigen sich mit Armbrüsten? Das wirkt alles wie ein Märchen.

Ohne weiter darüber nachzudenken, ziehe ich das Hemd aus. Über meine Brust ist eine Bandage gebunden, die ich abnehme, um die darunterliegende Wunde zu begutachten. Sie wurde genäht und doch blutet sie ein wenig. Ich gehe zurück zu meinem Bett und dem Nachttisch, auf dem weiteres Verbandszeug liegt, drücke etwas davon auf die Wunde und binde dann eine neue Stofflage um meinen Körper, bevor ich zurücktrete und mir das schwarze Oberteil überstreife. Meine vorhergehende Nacktheit hat weder mich noch Ark gestört.

»Du musst den Schwur auch nicht sofort ablegen, Navien«, sagt der Heroer fast schon einfühlsam. »Lass dir Zeit zu genesen. Du wurdest auch am Kopf verletzt, weshalb dir sicher viele Erinnerungen fehlen.«

Nachdenklich schiebe ich mir die dünne Unterhose über meine Beine und schlüpfe in die lederne Heroenhose, bevor ich die Stiefel über meine Füße ziehe, den Dolch an meinem Oberschenkel befestige und mich erneut auf das Bett sinken lasse. Arks Worte wirkten schon wieder unehrlich. Also setze ich mein Vertrauen lieber in die Person, die ich am besten auf der Welt kenne. »Ich werde es sofort tun. Alles, was ich je wollte, war, Aviell zu dienen.«

»Ich …« Ark atmet tief ein und aus, doch bevor er weitersprechen kann, betritt Liran den Raum und raubt mir damit den Atem.

Sofort senke ich den Blick, wie es sich gehört. Aber in mir sieht es anders aus. In mir sind all die Gefühle, die ich nicht für ihn haben dürfte, auch wenn er mir deutlich gesagt hat, dass er und meine Schwester sich lieben. Und abgesehen davon ist er ein Mensch. Ein Fürst. Und ich ein Dämon.

»Warum hast du dich angekleidet?«, fragt er.

Ich schaue auf. Seine Augen, sein Blick wirken so verdammt vertraut.

»Ich soll einen Schwur leisten.«

Ich sehe, wie er schluckt und die Lippen aufeinanderpresst. Dann setzt er an, etwas zu sagen, doch da taucht Aviell auf.

»Navi«, murmelt sie liebevoll und lächelt, als sie bemerkt, dass ich angezogen bin. »Du bist schon bereit?«

Ich nicke bestätigend und folge ihr hinaus aus dem Zimmer. Hinter mir spüre ich Wut und höre, wie Ark und Liran zischend tuscheln, aber ich belausche sie nicht. Kurz darauf folgen sie uns.

»Willst du nicht erst einmal wissen, was passiert ist?«, richtet sich Ark nun wieder an mich.

Liran senkt den Blick und Aviell sieht zornig aus.

»Das ist doch egal«, gebe ich zurück, und obwohl es das sein müsste, fühlen sich nun auch meine Worte wie eine Lüge an. Wie etwas, das ich so eigentlich nicht mehr empfinde.

»Schön, dann komm mit«, sagt Aviell, klatscht in die Hände und geht weiter den Flur entlang.

Und auch wenn ich mir so sicher bin, irritiert mich ihre Art und vor allem die Tatsache, dass ausgerechnet Ark sich mehr Sorgen um mich zu machen scheint als sie. Ein dumpfes Gefühl sucht mich heim. Aber ich kann es nicht fassen.

Verwirrt versuche ich mich abzulenken und betrachte den Gang genauer, durch den wir gehen. Den dunklen Wänden und roten Vorhängen nach zu schließen, sind wir immer noch im Fürstentum des Hochmuts. Dabei war ich nicht lange in diesem Schloss. Wahrscheinlich hat mich der Erzengel hier angegriffen und Avi ist dann zurückgekehrt. Das heißt, dass wir nach meinem Schwur die Reise durch die Fürstentümer fortsetzen. Nur dass es dieses Mal Avi sein wird, die als zukünftige Fürstin auftritt und ich als ihre Heroe. Meine Lust, mich den anderen Fürsten als das zu zeigen, was ich wirklich bin, nachdem ich sie alle hintergangen habe, hält sich in Grenzen. Doch ich werde meine Aufgabe erfüllen. Meine Kehle zieht sich bei diesem Gedanken zusammen. Nur warum?

Als wir die Treppe hinabsteigen, erkenne ich die beiden Heroen, die Liran und Ark oft begleiten. Sie stehen unten im Eingangsbereich und beäugen mich misstrauisch.

Hastig konzentriere ich mich auf Aviell. »Wie leiste ich meinen Schwur?«

»Du musst Worte sagen und dabei ein paar Tropfen deines Blutes vergießen.«

»Und sind unsere Seelen dann erneut verbunden?«

Sie bleibt auf dem Absatz stehen und dreht sich mir zu. »Nein, leider wurde dieses Band gebrochen.«

»Aber wie? Du warst doch nur verletzt.« Meine Stimme bricht, also räuspere ich mich, um wieder stark zu klingen. Ich denke an den Moment im Wald zurück. Als Ka und Larakai, Lirans Brüder, nach unserer Flucht aus dem Schloss der Wahrheit aufgetaucht sind und Aviell verwundet haben. Ich war schwach, innerlich verwundet, als das Band riss, und konnte nichts für sie tun. Aber da war immer noch diese zarte Verbindung zu Aviell, die mich hat wissen lassen, dass sie lebt. Jetzt spüre ich davon nichts mehr. Und dann war da noch dieses Leuchten in mir, das kurz den Wald erhellt hat. Hat das alles etwas damit zu tun?

»Wie dem auch sei. Wir sind doch trotzdem verbunden, Navi«, haucht Aviell nun liebevoll und berührt kurz meine Hand, um sie zu drücken.

Ich nicke und folge ihr in den Thronsaal. Das drückende, ungute Gefühl festigt sich allerdings immer mehr.

»Wie lange habe ich geschlafen?«, frage ich, weil es anders aussieht als in meiner Erinnerung. Als hätte hier ein Angriff stattgefunden. Einige Banner hängen nicht mehr, der Thron ist an den Armlehnen gesplittert und der Boden fleckig.

»Ein paar Tage«, erwidert Aviell und presst die Lippen aufeinander.

»Du hast also doch Fragen«, mischt sich Ark ein.

»Ja, aber den Schwur will ich dennoch ohne Fragen leisten. Je eher, desto besser. Oder?« Ich glaube meinen eigenen Worten nicht. Dabei sind sie richtig. Oder?

»Sie werden nicht sofort kommen und dich einsperren.«

Ich ignoriere ihn und sehe stattdessen zu Liran. Warum ist er so schweigsam? Geht es um uns und dass wir uns nähergekommen sind, als Aviell weg war? Doch da war nichts zwischen uns. Also warum sollte er mir derart aus dem Weg gehen wollen, dass er mich nicht einmal anschaut? Liegt es an dem, was ich belauscht habe, als er im Garten mit Ark sprach? An diesem ominösen Plan und daran, dass er etwas für Heroen übrighat? Weiß Aviell davon und benimmt sich deshalb so seltsam kühl?

Mittlerweile hat sie nach einem kleinen Dolch an Lirans Hüfte gegriffen und tritt zu mir. Allmählich bekomme selbst ich das Gefühl, dass das alles nicht schnell genug für sie gehen kann. Ich bin gefühlt gerade erst aufgewacht. Und mir scheinen Erinnerungen zu fehlen. Aber was sollte ändern, dass ich Aviell immer treu ergeben sein werde? Das hier ist doch nur eine Formalität.

»Du musst sagen: ›Auf ewig mit Seele und Blut werde ich mein Leben für ihres geben‹ «, erklärt Aviell.

Ich atme tief ein und aus. Das klingt ziemlich simpel, ich habe etwas Komplexeres erwartet, wenn ich damit ewig an sie gebunden sein werde.

Ein Leuchten zieht meine Aufmerksamkeit auf sich. Es befindet sich über dem Thron an der Decke.

»Los!« Aviells Stimme klingt anders als damals. Hat die Zeit, die sie bei den Rebellen war, sie so sehr verändert? Oder hat sie einfach nur Angst um mich?

Zögernd knie ich mich vor sie und greife nach dem Dolch, um mir in die Handfläche zu schneiden. Doch gerade als sich die Klinge durch mein Fleisch bohrt und das kalte Blut über meine Finger fließt, höre ich ein … Schnalzen hinter mir. Als würde mich jemand ermahnen. Ich drehe mich um und zucke zusammen, als dort … ein Mann mit Flügeln steht.

»Ergreift ihn!«, ruft Liran irgendwie wütend, aber auch verletzt.

Der Mann sieht zu mir herab. Ich kenne diese grünen Augen. Doch woher? Ohne seinen Blick abzuwenden, hebt er seine Hand und hält damit die Schatten auf, die Ark und die beiden Heroen auf ihn schleudern. Dann legt er den Kopf schief. »Was haben sie mit dir gemacht?«

Meine Hand, die den Dolch umgriffen hält, zittert, aber ich umklammere den Griff fester und stehe auf.

»Was willst du?«, knurre ich und richte den Dolch auf ihn.

Seine Augen verengen sich. »Willst du mich mit dem Ding da töten, Navien?«

»Woher kennst du meinen Namen?«

Er sieht von mir zu Avi und Liran.

»Was habt ihr mit ihr gemacht?«

Avi wimmert und geht ein paar Schritte zurück. Ich nutze die Ablenkung und gehe auf ihn los, versuche den Dolch in seinen Hals zu rammen, doch er hebt seine Hand und umfasst meinen Unterarm innerhalb von Sekunden.

»Ich rette dir gerade das Leben, Kleines. Du kannst dich später bedanken. Und dann können wir auch gerne kämpfen, bis wir bluten. Die Vorstellung ist wirklich verlockend.«

»Was?«

»Lass sie los!«, faucht Liran und tritt näher. »Das ist etwas zwischen uns beiden.«

»Das ist es nicht mehr, seit du sie erschossen hast, du kleiner Bastard! Und ich ihr versprach, sie hier rauszuholen. Ich halte meine Versprechen.«

Ich blinzle und versuche meinen Arm zu befreien. Doch dann erkenne ich sie. Dutzende geflügelte Männer, die aus den Schatten treten und angreifen. Der Engel, der mich festhält, zieht mich mit sich. Durch die Palastgänge, zur Tür und hinaus in den Innenhof.

»Lass mich los!«, schreie ich und ramme meine Zähne in seine Hand. Ich schmecke Blut.

»Aua«, gibt er etwas zu anzüglich von sich, dafür, dass ich ihn gerade gebissen habe. »Ich hab nicht gewusst, dass du eine kleine Raubkatze bist. Gefällt mir.«

»Was willst du von mir?«

»Ich habe dir versprochen, dich hier rauszuholen, nachdem du mich überaus heroisch befreit hast.«

»Befreit? Ich?«

»Richtig. Aber wir müssen jetzt los. Wir reden später.«

Ich will mich weiter wehren, doch seine Kraft ist unmenschlich. Er packt mich und zieht mein Gesicht vor seines.

»Schlaf, Kleines«, flüstert er und pustet in mein Gesicht. Es ist, als würde sein Atem leuchten, und im nächsten Moment sinke ich in einen beruhigenden Schlaf.

KAPITEL 2

»Du hast sie entführt?« Eine panische männliche Stimme dringt an mein Ohr.

»Nein. Ich habe sie gerettet.«

»Aber sie wollte nicht gerettet werden, oder?«

»Nicht wirklich.«

»Dann nennt man das Entführung, Melech!«

»Es ist zu ihrem Besten.«

Langsam öffne ich die Augen und blinzle, als mich helles Licht blendet.

»Sie ist wach«, sagt nun eine Frau und im nächsten Moment sehe ich in zwei wunderschöne grüne Augen. Die Wärme in ihnen passt perfekt zu dem lieblichen Klang ihrer Stimme.

Ich setze mich auf und verenge meinen Blick, als ich den Mann erkenne, der mich entführt hat. Den … Erzengel.

»Und sie ist sauer auf dich, Bruderherz.« Die junge Frau grinst, bevor er neben mich tritt.

»Zu meiner Verteidigung. Sie haben dir deine Erinnerungen genommen. Wir kennen uns.«

Ich mache mir kurz ein Bild von meiner Umgebung. Von dem hellen Raum, den riesigen bodentiefen, geöffneten Fenstern, vor denen dünne, weiße Vorhänge im Wind wehen, und der Terrasse dahinter. Ich selbst befinde mich auf einer Chaiselongue. Viel mehr gibt es hier nicht zu sehen. Ziemlich spartanisch. Mein Blick gleitet wieder zu den grünen Augen, und endlich weiß ich, wer er ist.

»Du bist der Mann, der die Heroenfamilie gerettet hat. Damals im Wald des Fürstentums des Zorns, als sie dieses Ritual abhalten wollten«, sage ich schläfrig und mustere seine dunklen Haare und die malerischen Gesichtszüge noch einen Moment. Hinter ihm steht die junge Frau. Rötliches Haar fließt um ihr Gesicht hinab bis zu ihren Hüften. Sie trägt ein weißes Kleid, was im Kontrast zu der schwarzen Kleidung des Engels steht. Aber auch in seinem Haar erkenne ich einen rötlichen Schimmer.

Etwas abseits entdecke ich einen weiteren Mann; das ist wohl derjenige, der so panisch mit dem Erzengel gesprochen hat. Er wirkt ein wenig älter. Doch nicht alt. Sein Haar ist blond und zu einem Knoten am Hinterkopf gebunden. Seine Kleidung ist ebenfalls komplett weiß.

Langsam rapple ich mich hoch und konzentriere mich wieder auf den Erzengel. »Wo hast du mich hingebracht?«, knurre ich, lege meine Hände auf seine Brust und stoße ihn weg.

Die junge Frau beginnt belustigt zu kichern.

»Du kannst gehen, Serra«, sagt der Erzengel gelangweilt.

»Aber dann würde ich doch diese überaus spannende Diskussion verpassen, die jetzt auf dich zukommt.« Sie grinst siegessicher.

Ungläubig berühre ich meine Schläfe. Was passiert hier? Und wo verdammt bin ich?

»Du musst sie zurückbringen!«, versucht der ältere Mann in ihn zu dringen.

»Micael, du bist wie ein Vater und Bruder für mich. Aber ich nehme keine Befehle von dir entgegen.«

»Das ist kein Befehl, Melech, das ist ein guter Rat. Sie trägt dämonisches Blut in sich!« Sein Blick landet auf mir, und ich erkenne etwas, was ich schon so oft in meinem Leben in den Augen und der Mimik anderer erkannt habe. Abscheu und Angst. Eine Mischung aus beidem ist gefährlich. Sie kann ganze Völker ausrotten.

»Und weiter?«, fragt der Erzengel mit zusammengebissenen Zähnen. »Macht sie das automatisch böse?«

»Natürlich!«, stößt dieser Micael hervor, hält sich allerdings sofort erschrocken die Hand vor den Mund. »Wir sind Wesen der Lichtwelt, Melech. Sie der Unterwelt. Der Dunkelwelt. Bitte akzeptier das.«

»Ihr habt dieses Gespräch doch schon so oft geführt. Er wird sich nicht von ihr abwenden, Mic«, flötet Serra und schwebt förmlich zu der Chaiselongue, um sich dann elegant darauf zu platzieren und uns abwartend zu beobachten.

»Wo bin ich hier?«, schreie ich nun. Sie tun so, als wäre ich nicht anwesend.

»In meinem Königreich«, sagt der Engel und dreht sich mir wieder zu. Seine grünen Augen glänzen wie Saphire, und es fühlt sich an, als hätte ich sie schon öfter gesehen. Nicht nur das eine Mal bei diesem Ritual. Ein Teil von mir vertraut diesen Augen. Auch alles andere an ihm wirkt nicht fremd. Im Gegenteil.

Wo meine Erinnerungen nur ein schwarzes Loch offenbaren, weiß mein Herz, dass er eine winzige Narbe über der Augenbraue hat. Erkennt seine gerade Nase, als wäre mein Blick ihre Kontur schon das ein oder andere Mal entlanggewandert. Seine Lippen, von denen meine Seele weiß, dass über sie immer nur die Wahrheit gleitet und neckische, fast anzügliche Dinge, wenn er mich ablenken oder beruhigen will. Ich weiß, dass sein muskulöser Körper sich anspannt, sobald mir unrecht getan wird. Und ja, mein Herz kennt sogar seine Stimme, wenn es um mich geht. Hat sie gerade eben erkannt, als Micael deutlich gemacht hat, was er von mir und meinem Wesen hält. All das spüre ich. Aber ich kann es nicht verstehen.

»Und wo ist das?« Ich balle meine Hände zu Fäusten, als mich all diese Gefühle überrennen und der Schmerz in meinen Rippen zurückkehrt. Oder ich ihn wieder bemerke. Denn weg war er sicher nicht.

»Westlich von euren Fürstentümern.«

»Aber da gibt es keine Königreiche.«

»Das hat man euch erzählt.«

Serra räuspert sich. »Genau genommen stimmte das irgendwie auch. Denn die letzten tausend Jahre waren wir in der Unterwelt gefangen.«

»Serra!«, weist der Engel sie zurecht. Sie allerdings zuckt nur zuckersüß mit den Schultern.

»Ihr wart in der Unterwelt gefangen?«, hake ich nach, weil ich immer dachte, dass damals alle Engel mit der Niederlage der Lichtwelt getötet wurden.

»Ja, doch jetzt sind wir wieder frei.«

»Und wie genau? Seid ihr einfach geflohen?« Ich lache, da die Vorstellung, wie diese Engel aus der Hölle fliegen, wirklich seltsam ist.

»Nein, wir wurden zurückgeholt. Von dir.«

»Was?« Ich blinzle.

»Du hast deine Kräfte freigesetzt. Damals im Wald, als deine Schwester verwundet wurde. Erinnerst du dich an das Leuchten? Damit hast du die Lichtwelt wiedererweckt. Weil sie an das Reich der Wahrheit und das Erwachen des Lichts gebunden war.«

»Und die drei Luzifer-Erben hast du so ebenfalls auf den Plan gerufen. Auch wenn Liran schon vorher nach dir gesucht hat«, fügt Serra hinzu.

»Drei …«, gibt der Erzengel lachend von sich. »Wie auch immer. Samael hat damit nichts zu tun.«

»Natürlich hat er das. Er war der Lichtbringer und nun ist sie die Lichtbringerin.«

»Ich?«, frage ich irritiert, und als mich alle drei ernst ansehen, breche ich in Gelächter aus.

»Ich bin ein Dämon. Ich bin keine Lichtgestalt.«

»Aber die Lichtwelt war es, die das Fürstentum der Wahrheit erschuf, um unser Licht nicht vollständig zu verlieren und die Fürsten der Unterwelt zumindest ein wenig in Schach halten zu können. Du trägst also beides in dir.« Der Erzengel tritt näher. Will mich berühren, doch ich schlage seine Hand weg.

»Fass mich nicht an!«

»Ich will dir nichts Böses.«

»Ach so. Und deshalb hast du mich von meiner Schwester weggeholt und in dein Königreich gebracht?« Ich schnaube.

»Sie ist nicht der Mensch, für den du sie hältst. Sie haben dir deine Erinnerungen genommen.«

»Und warum? Warum sollten sie das tun?« Ich bin wütend, denn ein Teil in mir weiß, dass er recht hat.

»Weil du herausgefunden hast, dass sie dich nur benutzen wollten!«, knurrt er voller Zorn. »Du hast dich gegen sie entschieden, und als sie mich gefangen genommen haben, hast du mir zur Flucht verholfen. Du …«

»Nein!«, wehre ich ab. Das passt einfach nicht zu mir. Und auch nicht zu Aviell oder Liran, obwohl ich ihn kaum kenne. Ich würde sie nie verraten und sie mich ebenfalls nicht. Vor allem Aviell nicht.

»Ich schwöre es dir, Navien«, sagt er und ist mir nun so nah, dass ich seinen Atem an meiner Stirn spüre.

Ohne zu zögern, hole ich aus und schlage ihm mit der flachen Hand ins Gesicht. »Erstens, komm mir nicht so nah. Ich habe mehr als einmal deutlich gemacht, dass ich das nicht will. Und zweitens: Bring mich nach Hause. Sofort.«

»Nein.«

»O doch!«, fauche ich. »Denn sonst werde ich euch alle töten.«

»So gerne ich dich kämpfen sehen würde, kleine Raubkatze. Wir sind nicht deine Feinde.«

»Mir ist egal, was du sagst. Allein die Tatsache, dass du mich gegen meinen Willen entführt hast und hier festhältst, zeigt mir, dass ich dir nicht vertrauen kann.« Mein Herz pocht so laut, dass ich mir sicher bin … sie alle müssen es hören.

»Schön. Ich bringe dich zurück.«

»Melech«, empört sich Serra. »Das darfst du nicht machen. Sie ist nicht sicher dort.«

Er hebt seine Hand. »Das ist mir klar, aber ich werde nichts tun, was sie nicht will. Ich kann nicht.«

»Dann übertrag mir die Verantwortung. Ich kann.«

»Nein. Wenn sie gehen will, werde ich sie zurückbringen.« Er sieht mich herausfordernd an.

»Ich will gehen.«

»Gut. So soll es sein. Unter einer Voraussetzung. Erst hörst du mir zu. Hörst dir meine Geschichte an. Und sobald du zurück bist, wirst du nicht auf dein Blut schwören.«

»Das sind zwei Sachen.«

»Meinetwegen.« Sein Kiefer mahlt, als würde ihn das hier große Überwindung kosten. »Aber nur dann lasse ich dich gehen.«

»Melech!« Serra erhebt sich und stampft mit dem Fuß auf den Boden. »Tu das nicht. Sie wird es dir verzeihen. Aber da ist sie nicht sicher!«

Ich blinzle irritiert. Was hat sie davon? Wir kennen uns nicht. Also warum will sie mich schützen?

»Haben wir einen Handel?«, fragt mich dieser Melech. Der Erzengel.

Ich will gerade ablehnen, als bereits das »Ja« über meine Lippen gleitet. Mein Verstand will nicht begreifen, warum ich das tue. Doch mein Herz versteht es. Es traut ihm, ohne zu wissen, warum.

»Ihr könnt jetzt gehen«, richtet er sich an die anderen beiden.

Sie wirken nicht begeistert. Vor allem Serra nicht, aber sie widersprechen nicht weiter. Keiner von ihnen. Offenbar hat er hier das Sagen.

Ich presse die Lippen zusammen, folge ihm in einen anliegenden Raum und setze mich an einen großen Tisch, auf den der Erzengel deutet. Er selbst nimmt ebenfalls Platz und fährt sich mit seinen schmalen Fingern angestrengt über das Gesicht, bevor er mir tief in die Augen sieht.

»Du hast es selbst erkannt. Wir beide kennen uns. Wir sind uns im Wald im Reich des Zorns begegnet. Du warst mit Taron verlobt.«

»Ja. Daran erinnere ich mich«, antworte ich knapp.

»Wir sind uns aber noch weitere Male begegnet, Navien. Einmal in einem Traum, als du vergiftet wurdest. Ich habe dir das Reich der Wahrheit gezeigt. Dann war ich im Wald, als Miél dich in das Reich des Hochmuts bringen wollte. Ich war da, als sie dich ins Gefängnis steckten und zwei Wachen dich umbringen wollten. Und ich war da, als Liran deiner Schwester das Jawort gab.«

Ich sehe ihn stumm an. An nichts davon erinnere ich mich. Aber das kann ebenso gut eine Lüge sein. Etwas, das er erfindet, um mich hier zu halten.

»Und dann war ich im Palast des Hochmuts und wollte dich holen.«

»Mich holen?«, hake ich irritiert nach. Er redet mit mir und spricht in Worten, die nicht zu mir passen. Als würde er sich mit einer anderen Person unterhalten. War ich je diese Person? Habe ich es nur vergessen? Etwas an alldem wirkt vertraut. Aber mein Kopf kann die Bilder zu diesen Erinnerungen nicht abrufen. Da ist nichts. Doch wieder scheint es, als würde mein Herz mehr wissen als mein Verstand. Sich sicher sein, dass er da war. Dass ich da war und jemand anderes war.

»Ich wollte dich entführen, denke ich. Und ich hatte die Gelegenheit. Habe es aber nicht getan. Ich … konnte nicht.«

»Genauso wenig, wie du mich jetzt hier festhalten willst«, stelle ich fest und sehe mich kurz wachsam um.

»Ja. Dennoch hast du entschieden, mit mir zu kommen, weil du herausgefunden hast, dass Liran und Miél dich belogen haben und nur benutzen wollten.«

»Wofür benutzen?«

»Ich vermute, sie wissen, dass du die Lichtbringerin bist.«

»Was bedeutet das?«

»Ich weiß es selbst nicht so genau. Ich weiß bloß, dass etwas in dir erwacht ist. Ein Licht, das sowohl mich als auch die anderen Luzifer-Erben auf den Plan gerufen und die Lichtwelt erweckt hat. Wir sind einer Art Ruf gefolgt. Nur scheint Liran schon davor von dir gewusst und einen Plan entwickelt zu haben, um dich zu benutzen. Wie, kann ich dir nicht sagen.«

»Und warum kann ich mich deiner Meinung nach nicht erinnern?«

»Weil Ark dir die Erinnerungen genommen hat. Ich gehe zumindest davon aus, dass er es war. Er ist der Mächtigste von ihnen.«

»Ark«, flüstere ich und denke an den verschlossenen Bruder von Liran und Miél. Er fühlt sich ebenfalls vertrauter an, als er mir ist. Der Heroer sagte mir, der Engel hätte mich am Kopf verletzt. Aber kann ich das wirklich glauben? Die Nähte an meinem Bauch sind fast frisch und die Wunde blutet noch. Müsste ich dann nicht auch eine Verletzung am Kopf haben? Wie lange kann ich tatsächlich geschlafen haben?

»Und was hat das alles mit dir zu tun? Und damit, dass du nicht willst, dass ich auf mein Blut schwöre. Mein Schwur wäre nur Aviell gegenüber.«

»Aviell ist die Schlimmste von allen«, sagt er so bitter und zornig, dass ich stocke. Seine Hände ballen sich zu Fäusten.

»Kennt ihr euch?«

»Ich durfte ihre Bekanntschaft machen, als dich zwei kleine Bastarde misshandelt haben.« Er deutet mit seinen Augen und einem Nicken auf meine Brust.

Ich hebe mein Oberteil ein wenig an und sehe hinab. Dort ist eine kaum verheilte Wunde an meinem schwarzen Herzen. Als ich meine Wunde im Palast des Hochmuts verarztet habe, hielt ich es für getrocknetes Blut. Doch es ist eindeutig eine Kruste. Sie kann ebenfalls nicht alt sein.

»Und was hat Aviell damit zu tun?«

»Sie hat entschieden, dass die beiden dich an ihrer statt misshandeln.«

»Das ist meine Natur. Ich hätte es nicht anders gewollt. Und nicht anders entschieden.«

»Natürlich.« Er atmet schwer. Fast genervt. »Ich sehe dir an, dass du Ausreden für sie alle suchst.«

»Vielleicht verstehe ich auch einfach nur ihre Wahrheit.«

»Seine Wahrheit.« Der Erzengel lacht auf. »Dieser Kerl besitzt keine Wahrheit. Er benutzt dich. Und hat deine Schwester geheiratet, obwohl er genauso gut wie ich sehen konnte, wie sehr dein Herz bei dem Anblick gebrochen ist.«

»Ist es sicher nicht. Ich wusste, dass Liran Aviell heiraten wird.«

»Du erinnerst dich allerdings daran, Gefühle für ihn zu haben.«

»Wie auch immer«, brumme ich. »Was willst du von mir? Und erzähl mir jetzt nicht, es würde hier um meine Sicherheit gehen. Du willst etwas.«

»Erstens will ich, dass du Wirbel wieder mitnimmst.«

»Wirbel?«

»Ein Quiri, du bist ihre Herrscherin und dazu verpflichtet – genau genommen.«

»Aha«, gebe ich zurück, weil mir nichts anderes einfällt.

»Und dann will ich, dass du zurückkommst. Ich muss wissen, dass es dir gut geht und du dort verschwinden kannst, wann du willst.«

»Und sollte ich es gar nicht wollen?«

»Du musst. Ansonsten nehme ich den kompletten Palast auseinander und lasse niemanden leben. Dieser Punkt ist nicht verhandelbar. Ich will, dass du in einer Woche herkommst, damit ich sehe, dass du keine Gefangene bist.«

»Das alles beantwortet mir immer noch nicht die Frage, was du eigentlich willst. Was du dir davon versprichst. Das hier geschieht mit Sicherheit nicht aus Nächstenliebe.«

Für den winzigen Teil einer Sekunde zucken seine Lider.

»Du hast dich für mich anschießen lassen. Ich denke, ich schulde dir etwas.« Er räuspert sich. »Außerdem bin ich mir sicher, dass du uns helfen kannst. Mir und meinem Volk.«

»Den Engeln?«

»Ja, ich denke, dass du als Lichtbringerin die Lichtwelt zurückbringst.«

»Und damit mich und meinesgleichen zurück in die Hölle verbanne?«

»Heroen sind nicht böse, Navien. Auch wenn dir etwas anderes gesagt wurde.«

Ich schnaufe. Ich weiß genau, was ich bin. Und da kann mir nicht ausgerechnet ein Engel das Gegenteil einreden.

»Du hast immer noch die Möglichkeit hierzubleiben. Ich hätte dich lieber …«

»In Sicherheit?«, frage ich augenrollend.

»Bei mir«, verbessert er mich. »Ich kann dich gut leiden. Wir haben viel durchgemacht, auch wenn es zeitlich nicht viel war.«

Ich atme und atme. Beruhige meine Nerven und Gedanken, bevor ich aufstehe. »War’s das? Kann ich jetzt gehen?«

Er schließt die Augen, nickt aber und erhebt sich dann selbst, nur um einen Wimpernschlag später direkt vor mir zu stehen. Ganz sanft, als hätte er Angst vor meiner Reaktion, legt er die Hände auf meine Schultern und sucht meinen Blick. Nein, das ist mehr. Er sucht in meinen Augen nach etwas, das tief vergraben ist. Gleichzeitig gibt er mir mit diesem Blick das Gefühl, da wäre mehr in mir als das, was ich bin.

»Du darfst ihr nicht die ewige Treue schwören, Navien.«

»Es gehört zu unserer Abmachung. Also kann ich es gar nicht.«

»Du kannst.«

Ich sage ihm nicht, dass ich es nicht will, weil ich damit zugeben würde, dass seine Worte Eindruck bei mir hinterlassen und mich vor allem zweifeln lassen. An meiner eigenen Schwester und dem Menschen, den ich in den letzten Wochen am meisten vertraut habe. Liran.

Der Erzengel hebt seine Hand und streicht mir eine Strähne aus dem Gesicht. »Du bist mehr wert als das, was da auf dich wartet.«

»Und du kannst mir das geben?«

»Oh, ich würde dir eine ganze Welt schenken, wenn du es verlangen würdest.«

Ich erschrecke fast, weil er diese Worte so ehrlich sagt. So voller Leidenschaft und Entschlossenheit.

»Ich bringe dich jetzt zurück. Und ich verspreche dir, dass ich nicht versuche, nett zu ihnen zu sein.« Er grinst und im nächsten Moment ummantelt uns weißes Licht und Nebel. Bis alles in ein rötlich gedämpftes Leuchten getaucht wird und ich den Thronsaal des Hochmuts erkenne. Es ist niemand hier und doch höre ich Stimmen. Der Erzengel hält seinen Arm vor meine Brust, um mich abzuschirmen und zu lauschen.

»Wo ist sie?«, schreit Aviell von irgendwo. »Was, wenn sie nie wiederkommt?« Sie weint.

»Er wird sie zurückbringen«, ertönt Arks Stimme.

»Und wo ist Liran?«

»Er braucht seine Ruhe, Aviell. Das alles nimmt ihn mit. Und auch das mit Miél. Er hat Schmerzen.«

»Hat er etwa vergessen, dass das hier sein Plan ist? Denkt er, dass ich Spaß daran habe, meine Schwester so zu behandeln und zu belügen?«

Bei ihren Worten weiche ich einen Schritt zurück, doch der Erzengel ist sofort hinter mir, und so lehne ich an seinem starken, großen Körper. Spüre, wie sich seine Brust an meinem Rücken hebt und senkt. Er strahlt Wärme aus.

»Weil sie dir so viel bedeutet?« Ark lacht herablassend. So habe ich ihn noch nie gehört.

»Navien?« Die Stimme, die plötzlich neben uns erklingt, ist vertraut, aber auch wieder vollkommen fremd.

Ich sehe zu Liran. Er hat dunkle Schatten unter den Augen. Seine Haare sind verwüstet und er wankt ein wenig. In der Hand hält er eine dunkelgrüne Flasche. Aber seine Augen füllen sich mit Tränen, als er zu begreifen scheint, dass es wirklich ich bin. Dann kommt er auf mich zu, doch der Erzengel hält mich fester und zieht mich ein Stück mit sich.

»Fass sie nicht an!«, knurrt er.

Liran stockt und sieht über meine Schulter zu ihm hoch.

»Du hast sie entführt. Sag mir nicht, wie ich mit ihr umzugehen habe«, faucht er, und nun bin ich mir sicher, dass Liran betrunken ist.

»Navien. Ich … ich dachte, du wärst für immer weg. So wie er …« Da ist so viel Schmerz in seiner Stimme. Wie soll das damit vereinbar sein, dass er mich nur benutzen will? Und von wem redet er da? Ist etwas mit Miél geschehen?

»Ich habe Fehler gemacht. Aber ich mache sie wieder gut. Ich …«

»Liran? … Navien?« Aviell betritt den Saal und sieht unruhig zwischen uns hin und her.

»Was soll das?«, giftet sie eher mich und Liran an als den Erzengel.

»Ich muss mich wirklich zusammenreißen, Kleines. Ich will dich nicht bei ihnen lassen«, murmelt er.

»Wirst du aber«, gebe ich flüsternd zurück.

Er knurrt in mein Ohr. Es ist seltsam, weil sich das hier wie ein Geheimnis anfühlt. Eines, das uns auf eine seltsame Art verbindet.

»Sie ist wieder da«, stellt Liran lallend fest.

Aviell verdreht die Augen. »Sehe ich. Und was willst du hier?« Sie schaut den Engel direkt an und ich rücke ein wenig von ihm ab. Blicke ihn an. Ein schäbiges Grinsen zuckt über sein Gesicht.

»Mit dir spreche ich nicht.«

»Wie bitte?«

»Du hast mich schon verstanden, Prinzessin.«

Aviell schnauft und in mir regt sich ein seltsames Gefühl. Ja, etwas in mir will wieder mit ihm gehen. Nicht hierbleiben. Aber Aviell ist meine Familie. Es ist meine Pflicht, sie zu schützen und bei ihr zu sein.

»Bleibst du bei uns?«, fragt Liran, als hätte ich plötzlich wirklich eine Wahl.

»Ja«, murmle ich viel zu unsicher, so unsicher, dass sich der Erzengel anspannt und Nebel heraufbeschwört.

Er packt meine Schultern und dreht meinen Körper zu sich. »Willst du das wirklich? Ich würde sofort alles vergessen, was du gesagt hast, und dich mitnehmen.«

Ich sehe ihn an. Versuche in meinen Erinnerungen abzurufen, warum er mir so vertraut ist. Warum da ein Gefühl von Nähe ist. Aber ich finde nichts, also nicke ich. »Ich will hierbleiben.«

Er presst die Lippen aufeinander. Dann öffnet er den Mund, schließt ihn jedoch wieder, als würde er zögern, mir etwas zu sagen.

»Ich vertraue dir. Deshalb nenne ich dir meinen Namen, Kleines. Du darfst ihn niemandem verraten, weil man mich so beschwören kann. Zu sich rufen kann. Mich an sich bindet. Hast du verstanden?«

Ich nicke und spüre innerlich, was für eine immense Bedeutung hinter dieser Geste steckt.

»Mein Name lautet Marví.«

Ich schlucke hart. Es bedeutet mir etwas, obwohl ich nicht ganz greifen kann, was.

»Und wie beschwöre ich dich?«, stottere ich, weil es zeigt, dass ich das wirklich in Erwägung ziehe, und das macht mich schwach.

Er grinst. »Ein bisschen was kannst du auch allein herausfinden, Navien. Du bist doch ein kluges Köpfchen und kannst die Apokryphen lesen.« Er zwinkert mir zu.

»Du darfst es mir nicht verraten, nicht wahr?«

»Eigentlich dürfte ich dir nicht einmal meinen Namen sagen.«

Wärme durchflutet mich. Marví. Endlich habe ich einen Namen zu seinem Gesicht und … ja, zu was? Erinnere ich mich etwa doch?

Er schnipst und dieser Feuerball erscheint. Wirbel. Sie fliegt auf meinen Arm zu und löst ein vertrautes Brennen aus.

»Ich gehe jetzt«, raunt er sanft und streicht mir über die Wange. »Erinnere dich, Navien. Du bist stark genug.«

Mit diesen Worten verschwindet der weiße Nebel um uns herum und auch er. Und tief in mir spüre ich, dass ich einen Fehler gemacht habe.

»Sperrt sie ein!« Aviells Stimme reißt mich aus meinen Gedanken. Und beweist mir gleichzeitig, wie dumm ich bin.

KAPITEL 3

MARVÍ

»Was hast du getan?«, faucht mich Serra an, als ich wieder vor ihr stehe – ohne Navien. Ihre Augen glühen. Wortwörtlich, denn sie ist ein Seraph. Ein Engel, der unseren Herrscher damals immer begleitet hat. Treu, so wie auch Uriel, der Bruder meines Vorfahren Luzifer. Doch auch wenn sie oft friedlich wirken, können Seraphim lichterloh brennen, und da ich das möglichst vermeiden möchte, werfe ich Serra einen beruhigenden Blick zu. Versuche ihr mitzuteilen, dass ich Navien versprochen habe, sie nicht gegen ihren Willen festzuhalten. Und abgesehen davon, dass ich es nicht will, darf ich als Geschöpf der Lichtwelt keine Versprechen brechen.

»Ich habe ihr meinen Namen verraten.«

»Du hast was?« Der Ton ihrer Stimme schwankt zwischen Erleichterung und Zorn.

»Sie kann mich also jederzeit beschwören.«

»O Marví. Das ist nicht gut.«

»Du kennst meinen Namen doch auch«, sage ich wegwerfend und trete vor zu dem riesigen Balkon, um einen Blick auf die Stadt zu werfen. Vielleicht war es dumm, den Fürsten vor Tausenden Jahren zu verbieten, die Erde zu betreten, während die Engel schon damals hier ein eigenes Reich errichtet haben. Aber wir wollten nie über die Menschen herrschen und uns mit ihnen verbinden, um ein starkes Geschlecht zu erschaffen. Wir sind nur unter uns geblieben und haben diesen Ort für andere Lebewesen verschlossen.

Ich blicke weiter hinab. Dorthin, wo ich vor dem Krieg als Herrscher des Reichs, als Melech eingesetzt wurde, um die Menschen vor Dämonen zu schützen, die es ab und an aus der Unterwelt hinausgeschafft haben. Durch Beschwörungen von Hexen, die die dazu nötigen Namen von Luzifer erhielten.

Seufzend lehne ich mich gegen die Balustrade des Balkons. Es ist dunkel hier, seit Navien nicht mehr da ist. Aber nicht so dunkel, wie es die letzten zweitausend Jahre war. Während dieser nahezu unendlichen Zeit existierte nur Schwärze und Boshaftigkeit. Hätte ich Serra nicht gehabt und Micael, dann wäre ich dieser Dunkelheit wohl verfallen. Denn auch wenn ich gezeugt und geboren wurde, als mein Vater, Luzifer, noch nicht gefallen war, so habe ich doch diese Seite in mir. Die dunkle, die ihn damals fallen ließ.

Aber als in Navien das Licht erwachte, war da endlich wieder Hoffnung in mir. Es war, als würde die Unterwelt beben. Erzittern, und bevor ich es verstehen konnte, spürte ich Navien noch stärker als zuvor in meiner Seele. Ihr Licht. Ihr Feuer. Ihren Mut. Und dann wachten die meisten Engel genau hier in dem Palast auf. Ich landete hingegen in ihrer Nähe. Was mich nicht überraschte, denn es ist immer sie gewesen. Ich habe es gewusst, gespürt. Ich habe gewartet. Und jetzt warte ich erneut.

»Denkst du tatsächlich, dass sie dich beschwört? Sie wirkte nicht, als würde sie dich mögen«, durchdringt Serra meine Gedanken.

»Autsch.« Ich hebe eine Braue, während sie neben mich auf den Balkon tritt und mir ihre Hand auf den Rücken legt.

»Sie wird«, sage ich mehr hoffend als wirklich glaubend.

»Du weißt, dass du für mich wie ein Bruder bist und ich für dich da bin, seit wir klein waren, Marví. Als dich alle verstießen, weil dein Vater in Ungnade fiel. Als wir gegen die Unterwelt kämpfen mussten und sie gewannen. Als wir das Reich der Wahrheit zusammen erschufen und damit unsere Kräfte gaben. Ich habe dir vertraut und damit unsere letzte Chance aufgegeben, aus eigener Kraft aus der Unterwelt fliehen zu können. Und du hattest recht. Wir wurden gerettet. Durch das Reich der Wahrheit, das wir erschufen. Du bist das beste, intelligenteste und treuste Wesen, das ich kenne, und ich würde dich nie anzweifeln. Aber nimm meinen Rat dieses eine Mal an. Wenn sie nicht zurückkommt. Bald. Brich deinen Schwur und hol sie.«

Ich schließe die Augen und versuche klar zu denken.

»Warum, Serra?«

»Weil sie dein Schicksal ist.« Sie flüstert nun, als dürfte niemand die Wahrheit hören. »Du warst es, der die Prophezeiung aufschrieb. Du wusstest von ihr, mehr als zweitausend Jahre bevor sie geboren wurde, Melech. Und wir beide wissen, was das bedeutet.«

Ich öffne die Augen wieder. Sehe zum verdunkelten Himmel, der dennoch Licht und Wärme ausstrahlt. So wie sie. Wie Navien.

»Sie wird mich retten oder zerstören. Hassen oder lieben«, spreche ich die Wahrheit aus. Navien ist mein Pendant. Meine Antithese. Jeder Engel besitzt ein solches Wesen und spürt es bereits bei der Geburt. Nur dass es noch nie ein Dämon war. Es gab Fälle, in denen das Pendant eines Engels ein Mensch war. Aber eine Heroe … Das könnte mich umbringen. Denn obwohl sie die Lichtbringerin ist, so ist und bleibt sie ein Geschöpf der Unterwelt und ich eines der Lichtwelt.

»Du hättest sie viel früher da rausholen sollen. Schon da hast du nicht auf mich gehört.«

»Ich konnte nicht, Serra.«

»Du konntest. Und du könntest jetzt. Als sie ihre Erinnerungen noch hatte, kam sie zu der verabredeten Stelle und wollte mit dir gehen, Marví. Sie hat sich zwischen dich und Liran gestellt. Sie hätte ihr Leben für dich gegeben. Du würdest nicht gegen die Regeln verstoßen.«

»Mir sind die verdammten Regeln so was von egal.«

»Warum holst du sie dann nicht?«

»Weil sie mir nicht egal ist«, sage ich und drehe mich zu Serra. Sehe sie ernst an. »Und sie braucht nicht noch jemanden in ihrem Leben, der sie wie ein Objekt behandelt. Wie eine Leibeigene. Das werde ich ihr nicht antun. Und damit ist das Thema beendet.« Ich gehe hinein. »Gib mir Bescheid, wenn Wirbel sich meldet.«

KAPITEL 4

»Sperrt sie ein!«

Diese Worte hallen in mir wider, während … keiner etwas tut. Aviell steht da, als würde sie mich jeden Moment eigenhändig in einen Kerker verfrachten, während Liran sie nur blinzelnd und völlig irritiert ansieht. Ark stößt zu uns und ich beginne mich zu fragen, ob er Feind oder Freund ist. Die Worte dieses Erzengels haben viel zu viel Gewalt über mich.

»Wir sperren sie nicht ein«, lallt Liran und setzt erneut die Flasche an.

Was ist das hier? Ein Spiel? Das kann wohl kaum ihr Ernst sein.

»Sperrt sie jetzt ein!«, verlangt Aviell abermals und nun kommen zwei Wachen auf mich zu und packen meine Arme.

Ich lasse es über mich ergehen. Was auch sollte ich tun?

»Wartet«, sage ich jedoch, bevor sie mich abführen können. Ich sehe zwischen Aviells zornigem, Arks mitleidigem und Lirans unschlüssigem Blick hin und her, bleibe schließlich bei meiner Schwester hängen. »Warum wollt ihr mich einsperren? Du …«, verbessere ich mich.

»Weil wir dir nicht mehr vertrauen können. Und hätte Liran nicht bereits eine Flasche Brandy getrunken, wäre er der gleichen Meinung.«

»Du weißt aber schon, dass ich dir den Schwur leisten wollte und dann von einem Erzengel entführt wurde.« Ich hebe meine Brauen.

»Entführt«, prustet sie. »Wir wissen, dass ihr gemeinsame Sache macht. Du hast ihn …«

Ark hebt seine Hand und lässt sie so verstummen.

Verdammt. Der Erzengel, Marví. Er hatte recht.

»Ich muss …«

»Bring sie zum Schweigen, Ark!«, befiehlt Aviell.

Der Heroer wirkt unschlüssig, während ich mich zu winden beginne. Was ist das hier? Ein schlechter Traum? So ist Aviell nicht. Mein Herz brennt. Auch wenn ich das Gefühl habe, längst zu wissen, dass sie sehr wohl genau so ist.

»Ark!«, knurrt Aviell. Und im nächsten Moment tanzt schwarzer Nebel um mich herum und ich versinke in seiner Dunkelheit.

Als ich meine Augen öffne, erwarte ich, Marví zu sehen. Aber ich liege in meinem eigenen Bett. Es ist warm und dennoch zieht ein frischer Wind durch den Raum. Augenblicklich wandert mein Blick zum Fenster, und die Hoffnung keimt in mir, dass Miél dort auftaucht. Doch er ist nicht hier. Stattdessen entdecke ich Ark, der auf einem Stuhl neben dem Balkon sitzt und nun aufschaut.

»Hallo«, raunt er und mustert mich.

»Wo sind die anderen?«

»Ich wollte allein mit dir sprechen, Navien.«

»Und warum?«, frage ich und richte mich auf. Dort, wo mein dunkles Herz prangt, schmerzt meine Brust bestialisch. Ich blicke an mir hinab und erkenne, dass meine Hand blutet. Was ist passiert? Wie komme ich hierher? Ganz langsam taucht die Erinnerung wieder auf, dass der Engel mich hergebracht und mir seinen Namen verraten hat. Aber was war dann?

»Ich weiß, dass du verwirrt bist, Heroe. Und ich weiß, dass du dich von dem Engel hast beeinflussen lassen. Deshalb bin ich hier, um dich daran zu erinnern, wer du bist. Was du bist.«

Ich sehe ihn starr an.

»Du bist eine Heroe, Navien. Geboren, um deiner Schwester und ihrem Königreich zu dienen. Wenn sie oder jemand über dir entscheidet, dass es besser ist, keine Erinnerungen mehr zu haben. Dann ist es das. So wurdest du ausgebildet. Ich frage mich, wann du das vergessen hast. Als du Prinzessin gespielt hast?«

Ich schlucke schwer. Etwas in mir erwacht. Nein. Zwei Dinge erwachen. Das Bedürfnis, mich zu unterwerfen und um Verzeihung zu bitten. Und gleichzeitig das Bedürfnis, selbst entscheiden zu dürfen, was richtig für mich ist. Ersteres gewinnt und mit seinem Sieg kommt das schlechte Gewissen. Ark appelliert an etwas in mir, das mir anerzogen wurde. Etwas, ohne das ich ein Nichts bin. Aber da ist noch mehr. Eine tiefe Dunkelheit in mir, die neu ist. Schatten, die meine Seele und mein Herz bedecken und mir zuschreien, dass Ark recht hat. Ich will dagegen ankämpfen, weil ich instinktiv weiß, dass ich mittlerweile die Stärke besitze, anders zu denken. Doch die Schatten, die Schwärze ist übermächtig und wirkt fast so, als würde sie von Ark gelenkt werden. Als könnte er an den Schemen in meinem Inneren ziehen wie an einer Marionette und sie tanzen lassen.

»Du bist keine Prinzessin. Du wirst keine Fürstin sein. Du wirst keinen Menschen je lieben oder heiraten können, und auch keinen Engel. Du bist nur der Schutzschild, der Aviell umgibt. Und solltest du das nicht mehr sein, dann bist du Dreck, der weggekehrt wird. Hast du das verstanden?«

»Ja.« Der dunkle Teil in mir gewinnt und schiebt diese Navien weg, die ich kaum kenne, aber weiß, dass sie existiert.

»Was hat der Engel dir gesagt, Heroe?«

Ich denke kurz nach. Und dann erzähle ich ihm trotz allem nur einen Bruchteil. Fast alles über das Lichtreich und die Lichtbringerin lasse ich aus. Und genauso verschweige ich die Identität und den Namen des Erzengels.

»In Ordnung.« Ark räuspert sich und steht auf. Sofort tue ich es ihm nach. »Hat er dir einen Weg verraten, ihn zu kontaktieren?«

Ich schüttle den Kopf. Viel zu schnell und aufgeregt, weshalb Ark die Augen zu Schlitzen verengt.

»Vielleicht über Wirbel«, suche ich dann eine Ausrede und deute auf den Feuerball an meinem Arm. »Sie sind auf irgendeine Art verbunden.«

Das Quiri zuckt auf meiner Haut, als wollte es sich verstecken. Kurz fühlt es sich so an, als würde das Ding mit mir reden wollen, es aber nicht können. Dann legt Ark seine Hand auf meinen Arm und schickt Schatten in ihn. Offenbar um zu verhindern, dass sie weiter zuhört.

»Das ist gut. Wir wollen, dass du sein Vertrauen gewinnst.«

»Sein Vertrauen?«

»Du sollst dafür sorgen, dass er sich in dich verliebt, Heroe. Wenn wir das richtig beobachtet haben, hat er etwas für dich übrig. Liegt wohl im Blut. Dieser Sog, den das Dunkle auf diese Familie ausübt.«

»Sagtest du nicht gerade noch, dass ich nur eine Heroe bin, die nie einen Menschen oder einen Engel lieben kann? Ein dreckiger Dämon?« Die Worte fühlen sich falsch an.

»Das bist du. Doch er scheint das anders zu sehen. Er hat aber auch gerade zweitausend Jahre in der Unterwelt verbracht. Er ist nicht das Abbild eines frommen Engels.«

»Und was mache ich dann?«

Er holt eine Papierrolle aus seiner Manteltasche und rollt sie auf. Es ist eine Karte. An der einen Seite abgerissen. »Das hier ist das Lichtreich. Es liegt westlich von Jaraskai. Und doch kennen wir keinen Weg dorthin. Ich möchte, dass du diesen Weg findest. Er muss ihn dir verraten. Er muss dir vertrauen.«

»Ich …«

»Es ist das Richtige, falsche Prinzessin.«

Ich setze dazu an, etwas zu erwidern, doch plötzlich tritt Miél durch den Balkon. »Tu es für uns. Für mich.« Er kommt näher und raubt mir mit seinen hellblauen Augen den Atem. Seine blonden Locken tanzen um sein wunderschönes Gesicht. Und als ich seinen Blick sehe, weiß ich, dass der Erzengel gelogen hat. Miél liebt mich. Das strahlt jede Pore seines Körpers aus. Dennoch ist da eine Traurigkeit, die ich nicht deuten kann.

»Aber sie haben mir meine Erinnerungen genommen. Ark hat es getan. Ich spüre es.«

»Wir sind Heroen. Dazu sind wir da. Aviell und Liran werden Gründe gehabt haben.«

Ich atme tief ein und aus und nicke dann. Doch das, was Miél da sagt, passt nicht zu ihm. Und mein Nicken nicht zu mir.

Er kommt noch ein wenig näher und legt seine Hand an meine Wange. »Und sobald das erledigt ist, können wir zusammen sein.«

Mein Herz brennt. Auch wenn da gleichzeitig das Gefühl ist, irgendetwas würde uns auf ewig im Weg stehen. Und meine Seele schreit mich an, dass das hier nicht wirklich Miél ist.

»Ich kann den Schwur nicht leisten. Der Erzengel würde sofort Verdacht schöpfen …«

»Das ist in Ordnung. Ich vertraue dir. Und Liran und Aviell ebenfalls.«

Ich nicke wieder. Nur fühlt es sich nicht an, als käme diese Geste von mir. Von der Navien, die ich gefunden habe. Es ist die Heroe Navien, die da nickt. Und es fühlt sich gut an. Richtig. Schwerelos. Als wäre ich eine Last losgeworden, die nie meine hätte sein sollen.

»Und wie soll ich das anstellen?«

»Überlass das uns«, murmelt Ark vor sich hin, während er Ringe aus seiner Tasche holt und sie sich über die Finger streift.

Ich verenge meinen Blick.

»Es muss echt aussehen«, sagt Miél traurig und im nächsten Moment holt Ark aus und schlägt zu.