The Run 2: Die Gaben der Götter - Dana Müller-Braun - E-Book
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Dana Müller-Braun

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Beschreibung

**Ein Wettstreit um Macht und Liebe**  Schwarz wie der Kampf, Gold wie die Weisheit, Blau wie das Leben und Rot wie der Tod. Diese vier Farben bestimmen die Königreiche der Götter und das Schicksal der Menschen, die darin leben. Einst waren sie in Stärke vereint, doch nun stehen die vier Länder am Rand von Chaos und Krieg. Als eine der vier göttlichen Nachfahren will Sari ihre Welt in ein neues Zeitalter der Blüte führen. Aber alles hat seinen Preis: Sie muss ihr Recht zu herrschen in einem erneuten Run beweisen – und dabei auch gegen den Mann antreten, dem ihr Herz gehört. Der dunkle Schattenbringer Keeran. Um ihre Liebe zu retten, ist Sari bereit, einen Pakt mit ihrem größten Feind einzugehen. Persönliche Leseempfehlung zur Reihe von Aline, der bekannten Bloggerin von »Alues Buecherparadies«: »Für mich ist »The Run« eines der besten Fantasybücher, die ich je gelesen habe! Ich hab gebangt, gehofft, geweint, geschmunzelt und ich hatte an so manch einer Stelle sogar Gänsehaut beim Lesen!« Es gibt eine Zeit zu herrschen und eine Zeit zu lieben. Aber welche ist deine Zeit? //Dies ist der zweite Band der »The Run«-Dilogie. Alle Romane der Fantasy-Liebesgeschichte: -- The Run 1. Die Prüfung der Götter -- The Run 2. Die Gaben der Götter -- Die E-Box mit der gesamten »The Run«-Dilogie// Diese Reihe ist abgeschlossen.

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Dana Müller-Braun

The Run 2: Die Gaben der Götter

**Ein Wettstreit um Macht und Liebe**

Schwarz wie der Kampf, Gold wie die Weisheit, Blau wie das Leben und Rot wie der Tod. Diese vier Farben bestimmen die Königreiche der Götter und das Schicksal der Menschen, die darin leben. Einst waren sie in Stärke vereint, doch nun stehen die vier Länder am Rand von Chaos und Krieg. Als eine der vier göttlichen Nachfahren will Sari ihre Welt in ein neues Zeitalter der Blüte führen. Aber alles hat seinen Preis: Sie muss ihr Recht zu herrschen in einem erneuten Run beweisen – und dabei auch gegen den Mann antreten, dem ihr Herz gehört. Der dunkle Schattenbringer Keeran. Um ihre Liebe zu retten, ist Sari bereit, einen Pakt mit ihrem größten Feind einzugehen.

WOHIN SOLL ES GEHEN?

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Vita

Danksagung

© privat

Dana Müller-Braun wurde Silvester ’89 in Bad Soden im Taunus geboren. Geschichten erfunden hat sie schon immer – Mit 14 Jahren fing sie schließlich an ihre Fantasie in Worte zu fassen. Als das Schreiben immer mehr zur Leidenschaft wurde, begann sie Germanistik, Geschichte und Philosophie zu studieren. Wenn sie mal nicht schreibt, baut sie Möbel aus alten Bohlen, spielt Gitarre oder verbringt Zeit mit Freunden und ihrem Hund.

Für Annchen, weil du für mich jeden »Run« bestreiten würdest.

PROLOG

Beginnen wir unsere Reise in Anemoras. Einst prächtige Hauptstadt des Landes Kalyra. Ein Königreich, von Alben geschmiedet. Von Drachen und Sauriern bewacht. Bis das Feuer kam und Kalyra unter seinen mächtigen Schwaden begrub. Die Alben retteten ihr Volk und sammelten sich in Anemoras, das vor der gewaltigen Glut geschützt war.

Als diese erlosch, bauten sie ihr Land wieder auf, doch eines Tages riss das Himmelsgewölbe auf und vier Götter aus Nachnyl betraten den Erdboden. Kalipar, der Gott des Kampfes, des schwarzen Sandes. Arasá, die Göttin des Lichts der Weisheit, des goldenen Staubs. Tunis, der Gott des Todes, der roten Asche. Und Emza, die Göttin des Lebens, des blauen Eises.

Laraká, die Königin der Alben, begrüßte die Götter und bot ihnen Land, aber die Götter wollten mehr und begannen einen blutigen Krieg, in dem auch unsere Königin starb.

Den Gaben der Götter unterlegen, flüchteten die überlebenden Alben zurück nach Anemoras, in die geschützte Stadt. Sie lebten als Verbannte, deren Existenz die Wesen und Menschen auf Erden nach und nach vergaßen. Bis eines Tages die vier Götter an ihren unsichtbaren Mauern kratzten.

Die Tochter von Laraká, Anasoal, neue Königin der Alben, öffnete ihnen das Tor zur Unendlichkeit und Schönheit von Anemoras. Die vier Götter berichteten ihr, dass sie ein Element benötigten, um zu leben, welches es nur bei den Alben gab. Nur sie trugen dieses eine essenzielle Element in sich, um auf dieser Erde zu verweilen.

Anasoal hörte sie an und versprach ihnen dieses Element, im Gegenzug für einen Frieden, der es ihnen erlaubte, Anemoras verlassen zu können.

Die Götter willigten ein und die Königin führte sie in die heilige Krypta von Anemoras.

Jahre später würde Anasoal bereuen, sie je angehört zu haben. Ihr Bruder Perseres, der Erschaffer der neuen Welt, war mit der Maske der Sterblichkeit nach Emza gegangen, um die Göttin zu verführen, und mit einem Kind zurückgekehrt, das sie wie ihr eigenes aufzog. Doch die Götter übten Rache.

Naraté, das letzte Buch der Alben, Anemoras

KAPITEL 1

Hamza, Passus III Tunis, Vers 566

»Der Tod verlangt immer einen Preis«, sagte Tunis, der Gott des Todes, zu der Frau, die vor ihm in seiner Unterwelt stand und ihm einen Obolus entgegenhielt. Sie stimmte ihm zu, drängte jedoch mehr und mehr, er möge den Obolus annehmen.

»Doch er verlangt nicht nur Gold, sondern auch einen Teil der Seele.«

Die Frau stimmte erneut zu. Sich darüber bewusst, dass ihr Geliebter, den sie wiedererwecken wollte, nie wieder der Alte sein würde. Schatten des Todes waren nicht vergänglich. Hafteten sie einmal auf einer Seele, so würden sie sie auf ewig bewohnen, bis sie sich alles nahmen. Die Dunkelheit würde einziehen. Und doch schloss die Frau den Handel mit Tunis ab. Nicht ahnend, dass sie ein Monster erschaffen hatte.

»Keeran?« Mein eigener Schrei weckt mich. Meine Stimme ist heiser und bricht. Die Bilder des Traums verfolgen mich immer noch. Meine Hand krallt sich in die leere Decke neben mir. Er ist nicht da. Meine Brust brennt, während ich mich selbst beruhige. Meinen Atem flach halte. Mir bewusst mache, dass es vorbei ist. Zumindest der erste Teil einer Prüfung, die unser Schicksal ist. Der erste Run. Aber vor uns liegt ein weiterer.

Immer wieder träume ich dasselbe. Der Monarch erwacht aus meinem Eis und tötet meinen Bruder Jarrusch, um sich an mir zu rächen. Um mir seine Macht zu demonstrieren. Eine Macht, die sich mein Leben lang so sehr in jede einzelne Faser meines Körpers eingenistet hat, dass ich sie wohl nie loswerde. Da wird immer diese Überlegenheit sein, die mein Verstand mir einbläut. Eine Angst, die nie verschwindet.

Marruk Karis hat fast zwei Jahrzehnte lang geherrscht. Mein gesamtes Leben. Die Unterdrückung unseres Volkes, jedes Einzelnen, hat sich tief in meinen Verstand und mein Herz gebohrt und sich dort festgesetzt.

Er hat es geschafft, die Menschen und ihren Glauben zu erschüttern, als er vor neunzehn Jahren die Königsfamilien abschlachtete und damit bewies, dass keiner von ihnen ein echter Nachfahre der Götter war. Denn die sind laut der Hamza, unserer Heiligen Schrift, unsterblich. Nur unter den zwei Sicheln des Mondes, verbunden mit dem Gift der Lilie, kann einer von uns sterben.

Und als Marruk die Menschen am Boden hatte, hat er ihnen wieder Hoffnung geschenkt. Er hat sie in der schlimmsten Glaubenskrise aufgefangen und ihnen einen neuen alten Glauben geschenkt. Sich zum alleinigen Herrscher der vier Lande ernannt, gesandt von den Göttern. Aber was er wirklich getan hat, war, die Menschen zu unterdrücken. Ihnen Tahills aufzuerlegen, unsere Verschleierung, damit sie als Phantome leben müssen, bis sie ihren Run bestehen. Damit sie gefügig sind. Damit sie ihm stumm folgen und klein bleiben.

Ich setze mich auf und sehe mich um. Zur Tür, durch die Keeran verschwunden sein muss. So wie er es fast jede Nacht macht. Als könnte er es nicht ertragen, bei mir zu sein.

Nachdem wir den Monarchen gestürzt und seine Armee davon überzeugt hatten, dass Keeran, Leoán, Alishan und ich als wahre Nachfahren der Götter Anwärter auf die Throne sind, kamen wir hierher. In den ble pale, den blauen Palast aus dem Eis Emzas, weil die Wesen dieses Königreichs mir wohlgesonnen sind, seitdem ich sie erweckt habe. Wir konnten uns von dem Kampf erholen, doch dann wurden Keeran und Red sehr krank. Vierzehn Tage lang waren sie nicht bei Bewusstsein. Schweres Fieber und Schüttelfrost plagten sie. Und meine Angst wuchs, dass sie sterben würden. Keeran ist – genau wie wir anderen Nachfahren – nicht mehr unsterblich, seitdem ich die Quelle des Lebens vom Eis befreit habe. Und Red besitzt zwar Gaben, die ihm mehr Lebensjahre schenken und ihn jung bleiben lassen, sterben kann er allerdings trotzdem.

Doch sie wurden gesund. Zumindest Red ist wieder der Alte. Und von ihm weiß ich, dass er in diesen Fieberträumen gegen die Dunkelheit des Todes kämpfen musste. Ich denke, Keeran hat den Kampf nicht gewonnen. Aber er hat ihn auch noch nicht verloren. Er hat einen Pakt mit dem Tod geschlossen und ich werde alles tun, damit dieser Schatten, der deshalb seine Seele bedeckt, nicht von ihm Besitz ergreift. Denn jeder in den vier Landen weiß, dass der Tod immer einen Preis verlangt.

Ich stehe auf und laufe mit meinen nackten Füßen über den kalten Stein des Palastes aus blauem Eis. Mein Palast. Zumindest wird er das sein. Offiziell, wenn ich den Lauf der Herrscher bestanden habe. Denn nicht nur unser Glaube und die Hamza schreiben vor, dass sich die Nachfahren der Götter einem Herrscher Run stellen müssen. Das Volk schreit ebenfalls danach. Denn akzeptiert haben sie uns nicht. Und vielleicht werden sie das auch nie.

Ich verlasse mein Zimmer und schleiche in den spärlich beleuchteten Flur, gehe eine Tür weiter und öffne sie, um einen Blick auf Jarrusch zu werfen. Auf meinen kleinen Bruder, der da liegt und so friedlich schläft, als wäre das hier schon immer sein Leben gewesen. Aber ich weiß, dass er nichts vergessen hat. Nicht, dass er sein Leben lang versteckt in einer Kammer leben musste, weil Mutanten damals gejagt wurden, und nicht, dass der Monarch ihn aus ebendieser hat zerren lassen, um ihn zu sich zu holen. Er vergisst es nicht. Genauso wenig wie ich. Unsere Seelen werden den Schmerz immer spüren. Als wäre er ein Teil unseres Erbes.

»Sari …« Reds warme, liebevolle Stimme dringt gedämpft an mein Ohr. Doch ich höre auch kaum verhüllte Besorgnis. Leise schließe ich Jarruschs Tür wieder und blicke mich um. Schaue in die rötlichen Iriden, die mir mittlerweile so vertraut sind. Eigentlich ist Red Keerans bester Freund. Aber das, was uns verbindet, ist fast schon, als wären wir Familie.

»Hast du ihn gesehen?«, frage ich einfach drauflos. Er weiß, warum ich nachts hier herumschleiche.

Red nickt. »Keine Sorge, ich habe ihn im Auge.«

Ich presse die Lippen aufeinander, um nicht laut zu sagen, dass mir das nicht hilft. Dass es mir den Keeran von vor dem Handel mit Tunis nicht zurückbringt.

»Hattest du wieder diesen Traum?«

Ich nicke. Meine Stimme ist nicht mehr greifbar.

Ganz sanft berührt er meine Schulter und zieht mich in seine Arme. Und endlich kann ich den Schmerz ein wenig loslassen. Ich weiß nicht, wann wir so eng zusammengewachsen sind. Es war nicht an den blauen Eisbergen, als wir uns prügelten, und auch nicht im schwarzen Wald, als wir uns bei den vermeintlichen Rebellen gegenseitig unsere Geschichten erzählten. Es war nicht beim Kampf am Tor des Todes und auch nicht, als er starb. Für uns starb. Es war all das zusammen und die letzten Wochen, in denen er der Einzige war, mit dem ich über meine Träume gesprochen habe. Er ist der Einzige, der weiß, womit ich kämpfe.

»Du solltest mit ihm reden.«

»Und was sage ich, Red?« Ich schüttle resigniert den Kopf. »Dass ich jede Nacht von Dingen träume, an die er sich nicht einmal erinnert oder die durch diese Dunkelheit verschleiert sind? Wie soll er das verstehen?«

Red zuckt mit den Schultern und richtet seine roten Augen auf mich. »Einen Versuch ist es wert. Er ist im Garten.«

Ich nehme all meinen Mut zusammen, drücke ihn noch einmal und gehe dann durch das Eisschloss, die Treppen hinunter nach draußen.

Als ich das Königreich des blauen Eises kurz vor dem Kampf wieder zum Leben erweckte, behielt ein Teil das Eis. Das Schloss gehört dazu. Aber dieser Garten ist grün, voller Leben und bunten Pflanzen, und wirkt beinahe fehl am Platz, hier mitten in den Eisbergen.

Mein Blick fällt auf Keerans mächtige Gestalt. Er steht am Rand des Gartens und schaut hinab auf die Gletscher, dort, wo sich das Meer an dem blauen Eis bricht.

Bedacht trete ich näher, bis sich seine Haltung anspannt. Er spürt mich. Meine Anwesenheit. Und sie lässt ihn erstarren.

»Keeran«, flüstere ich. Bilder blitzen vor mir auf. Von dem Tag im Tempel von Muri, als der Monarch Keeran all seine Erinnerungen an mich nahm. Es ist, als könnte ich heute noch diese kalten Augen sehen, die mir vorher so vertraut waren. Aber damals blitzten trotzdem seine Seele und seine Liebe zu mir durch. Jetzt ist nichts mehr davon zu erkennen, verschlungen von der Dunkelheit, die Keeran immer mehr in ihren Abgrund reißt.

Schon in der Hamza steht, dass Tunis für ein Bündnis, wie Keeran es mit ihm eingegangen ist, einen Teil der Seele verlangt. In den letzten Wochen ist mir jedoch klar geworden, dass nicht dieser Handel um mein Leben dazu geführt hat, dass ich Keeran verloren habe. Nein, ich habe ihn bereits im Tempel verloren. Der Keeran, der mich während des Runs wieder und wieder beschützt, mich gerettet hat, weil er mich liebte, hätte gegen Tunis’ Dunkelheit ankämpfen können. Aber ein Mann ohne Vergangenheit, der eigentlich nicht einmal weiß, wer ich bin? Zumal ich ihm meine Gabe des Seelensehens, nachdem er sie mir wiedergegeben hat, nicht erneut übertragen kann. Aber selbst das würde nichts ändern. Er könnte mit den Emotionen in meiner Seele nichts anfangen. Nicht so, wie er gerade ist.

»Sari«, entgegnet er und dreht sich mir zu.

»Was machst du hier draußen?« Ich trete näher. So vorsichtig, dass ich am liebsten schreien würde. Das hier ist so ungerecht.

»Ich …« Er beißt sich auf die Unterlippe und scheint nach einer Erklärung zu suchen. »Ich träume schlecht.«

Mir stockt der Atem, weil er das erste Mal darüber spricht. Bis jetzt habe ich es nur mit meiner Gabe des Seelensehens gespürt. In seiner Seele. In dem, was davon noch übrig ist.

»Was träumst du?«, frage ich und mustere die winzigen Narben in seinem Gesicht. Schon während des ersten Runs wollte ich ihre Geschichten hören. Jede einzelne, die mir Keeran noch näher bringt. Und eines Tages werde ich einen Weg finden, dem Monarchen all die Erinnerungen zu nehmen, die er Keeran gestohlen hat.

Er tritt näher und ich nehme seinen Geruch wahr. Er riecht nach einem regnerischen, nebeligen Wald bei Nacht, und alles, was ich für ihn fühle, ist so greifbar, dass ich leise aufkeuche. Sein Atem streift meine Lippen.

»Ich träume von deinem Tod. Manchmal töte ich dich und manchmal ist es der Monarch. Doch am Ende meiner Träume bist du immer tot.« Schmerz flammt in seiner Stimme auf.

Ich atme tief ein und aus. »Aber ich lebe.« Ich bin mir sicher, dass diese Aussage nicht hilft. Denn auch mir hilft sie nicht.

»Ich kann dich nicht verlieren«, raunt Keeran und berührt ganz sanft mein Kinn. »Du bist alles und noch mehr, Sari.« Seine Stimme klingt heiser und flehentlich. Als würde er jede Nacht um mich trauern, obwohl ich hier bin. Als würde er wissen, dass er bereits dabei ist, mich zu verlieren.

»Du verlierst mich nicht, Keeran«, gebe ich flüsternd zurück, ohne zu erwähnen, dass er es ist, der sich entfernt.

Keerans dunkle Augen ruhen so skeptisch auf mir, dass mich ein Schauer durchfährt. Und doch ist alles, was ich mir gerade wünsche, eine Berührung. Unsere Lippen sind nur Millimeter voneinander entfernt. Er starrt meine an wie ein Verdurstender. Aber er küsst mich nicht.

»Warum bin ich so oft die Person, die dich in meinen Träumen tötet? Das ergibt keinen Sinn. Ich würde dich niemals töten«, flüstert er dann so leise, dass ich nicht einmal weiß, ob er es mir sagt oder seine Seele mir dieses Geheimnis zuflüstert.

»Das hat rein gar nichts zu bedeuten, Keeran. Es ist nur ein Traum«, sage ich bestimmt. Ich rücke vor, doch er weicht zurück.

Als ich Rufe höre, fällt mein Blick kurz auf den rötlichen Schein der Sonne am Horizont. Es ist Morgen, und Leoán, der Erbe des Tunis, wird bald eintreffen.

»Ich muss los«, sagt er belegt und verzieht den Mund.

Ich nicke nur, obwohl mir schon seit Wochen eine Frage auf der Seele brennt. Was sind wir? Aber ich spreche sie nicht aus. Vielleicht, weil ich zu viel Angst vor der Antwort habe. Davor, dass es ein Wir nur in der Zeit gab, als wir einen Run bestreiten mussten. Als Verbündete. Der Herrscher Run macht uns jedoch zu Feinden.

»Ich werde Medisa und Red anweisen bei dir zu bleiben und reite nach Kalipar.« Seine Stimme lässt keinen Widerspruch zu, und doch hebe ich meine Brauen, statt zu nicken.

Jeder von uns Nachfahren muss laut der Hamza ein Fest in seinem Palast veranstalten, bevor wir den Lauf der Herrscher antreten. Um uns dem Volk und dem Adel vorzustellen. Zumindest denjenigen, die nicht im Kampf an Marruks Seite gefallen sind. Dieselben Menschen, die unschuldigen Jugendlichen dabei zugesehen haben, wie sie einen unmenschlichen Run bewältigen. Und doch ist es wichtig für uns, weil sie weiterhin über Macht verfügen. Über Ländereien und Gefolgsleute. Wir können nicht einfach schnipsen und diese Welt ist eine neue. Das habe ich schmerzlich gelernt. Marruk Karis ist nicht übermächtig gewesen. Er hat die Menschen nur so lange manipuliert und den Richtigen Macht gegeben, bis sie ihm treu ergeben waren.

Meine Brust verkrampft sich bei dem Gedanken, einen weiteren Run bestreiten zu müssen. Jarrusch wieder allein lassen zu müssen. Und vor allem mich erneut mir selbst zu stellen. Aber niemand anders wird für diese Welt und gegen die Grausamkeit kämpfen, wenn wir es nicht tun. Und wir brauchen diese Legitimation, um die Welt zu verändern.

Die Sommersonnenwende ist nah und damit der Beginn des sover ran. Das Fest hier in Emza hat bereits stattgefunden. Hier im ble pale. Ich war kaum anwesend, meine Gedanken sind immer wieder abgeschweift, und so habe ich nur dagesessen und versucht die Augen der Männer zu ignorieren, die mir noch von meinem Run vertraut sind. Schon als ich nackt im Gefängnis der Asche dastand und gesteinigt wurde, wusste ich, dass ich sie nie vergessen werde. Ich hasse sie.

»Wir sehen uns in Tunis«, flüstere ich. Das Fest wird erst in ein paar Tagen stattfinden. Keeran wird vorher nicht nach Emza zurückkehren. Er muss in Kalipar dafür sorgen, dass die Männer, die im treu ergeben sind, unser Land beschützen, während wir den Herrscher Run bestreiten. Die Adeligen oder sogar das normale Volk könnten die Paläste stürmen. Auch hier in Emza hat Keeran mithilfe von Red und Medisa einige seiner Schüler aus dem fihtcamp abgestellt. Damals hat er es im Auftrag von Marruk geleitet und neue Anwärter für die Armee des Monarchen angeworben.

Medisa und Red halfen ihm dabei herauszufinden, wem er vertrauen kann, weil er selbst keine Erinnerungen daran besitzt. Und vor allem, wem ich vertrauen kann.

Keeran nickt und will gehen, doch dann zögert er, dreht sich noch einmal zu mir und küsst mich auf die Stirn. Ich halte den Atem an. »Ich werde wieder der Alte sein. Versprochen.« Mit diesen Worten geht er und hinterlässt in mir ein Versprechen, von dem ich weiß, dass er es allein nicht halten kann. Nicht ohne meine Hilfe.

Es dauert eine halbe Ewigkeit, bis ich mich endlich bewege und in mein eisiges Schloss trete. Die ersten Sonnenstrahlen berühren schon die Eisberge, die uns umgeben, und spiegeln sich glitzernd im Meer wider.

»Wo ist Jarrusch?«, rufe ich Emira zu, die in der Küche arbeitet und gerade Gebäck durch die Gänge trägt. Ich weiß, dass Jarrusch fast den ganzen Tag bei ihr unten verbringt und sie ihn mit Süßkram verwöhnt.

»Der kleine Lord zieht sich gerade an«, sagt sie mit einem liebevollen Grinsen.

Ich erwidere es, bevor sich unsere Wege trennen. Jarrusch liebt es sicher, dass sie ihn so anspricht. Aber er hat alles Glück dieser Welt verdient. Und noch mehr.

Ich streiche mir über meine Stirn, während ich die prunkvollen Treppen hinauf zu den Schlafsälen laufe und kurz im Türrahmen stehen bleibe. Ich beobachte, wie Jarrusch sich schwarze Kleidung anzieht und dann blaue Armschienen überstülpt.

»Hallo, kleiner Lord«, lache ich belustigt und trete ein.

»Sari«, ermahnt er mich und verdreht die Augen.

Ich kichere. »Was wird das?«, frage ich dann und deute mit meinem Kopf auf die Armschienen. »Du bist ein Arasá, Jarrusch. Ein Geborener aus dem Königreich des goldenen Staubes. Gold ist deine Farbe.«

»Ich bin jetzt ein Emza«, sagt er und nimmt eine straffe Haltung an. »So wie du.«

Ich lächle. Obwohl Jarrusch mir trotz seines Alters in vielem überlegen ist, stellt er sich die Dinge hier draußen, außerhalb seiner Kammer, manchmal zu einfach vor. Er unterschätzt die Grausamkeit der Welt. Doch für diesen Moment werde ich ihm den Glauben an unsere Welt lassen. Daran, dass wir nur einen Mann besiegen mussten, um etwas zu ändern. Ja, vielleicht habe auch ich das geglaubt. Aber es gibt göttliche Gesetze, gegen die wir nichts tun können. Nicht einmal, wenn wir den Herrscher Run bestehen und uns unseren Platz verdient haben. Nicht einmal dann, wenn einer von uns als der Stärkste aus dem Lauf hervorgeht und somit die anderen überstimmen kann. Die Götter sind mächtiger als wir. Unsere Welt wurde auf ihren Idealen, mit ihren Mächten und ihrem Blut erbaut. Und sie haben uns den Glauben in unseren Verstand gebrannt.

Vor neun Wochen, als wir den Monarchen vom gat te das ins Gefängnis der Asche brachten, ließen wir verkünden, dass keiner unter achtzehn mehr ein Tahill tragen muss. Dass niemand ein namenloses Phantom sein muss. Doch kaum jemand ist dem gefolgt. Im Gegenteil, sie lehnen sich gegen uns und die neue Welt auf. Sie wollen ihre Ideale, ihre Götter nicht verraten. Sie wollen ihren Zorn nicht auf sich ziehen, aber vor allem denke ich, dass sie Angst davor haben, einen neuen Weg zu beschreiten und Gewohntes zurückzulassen.

Niemals hätte ich gedacht, dass ein Glaube so tief verankert sein kann. Ja, ich habe mich vor meinem eigenen Run immer an die Gesetze gehalten, aber nicht weil ich die Strafe der Götter gefürchtet hätte, sondern die von Marruk Karis. Und doch musste auch ich mich erst an die Nacktheit meines Gesichts, meiner Haare und meiner Arme gewöhnen. Ich erwische mich selbst jetzt noch dabei, unsicher zu werden, wenn mich jemand anschaut. Als hätte ich eine Maske abgelegt, die mein wahres Ich zuvor geschützt hat.

»Ich treffe mich jetzt mit Leoán. Sehen wir uns zum Mittagessen?«, frage ich mit einem Blick auf eine Tasche, in die Jarrusch seine Schlafsachen packt. »Was tust du da? Willst du umziehen?«, hake ich nach.

Ich schaue mich in dem riesigen Zimmer um. Alles, was er besitzt, hat er in diese kleine Tasche gestopft. Nichts ist mehr hier.

»Wo sind deine Bücher?«

»Ich habe Keeran gesagt, er soll sie mitnehmen«, gibt er zurück, als wäre es das Normalste der Welt, dass er den Erstgeborenen des Gottes Kalipar damit beauftragt, seine Bücher durch die vereinten Königreiche zu transportieren.

»Wohin?«

»Nach Kalipar. Ich brauche sie da.«

Ich blinzle irritiert, bis ich verstehe, was er damit meint. »Nein«, ist alles, was ich sagen kann.

»Das hast du nicht zu entscheiden«, gibt er viel zu erwachsen zurück. Meine Brust zieht sich zusammen, als er mir ernst in die Augen blickt. »Wir haben das besprochen. Es ist wichtig, dass ich ausgebildet werde, solange ihr noch hier seid.«

»Du bist gerade zehn geworden, Jarrusch. Du musst nicht kämpfen.«

Er hebt seine Brauen, bevor er um das Bett herumgeht, zu mir kommt und meine Hände in seine nimmt. »Doch, das muss ich, Sari.«

Ich will ihm widersprechen. Aber das geht nicht. Diese Welt ist grausam und gefährlich. Und Jarrusch muss Entscheidungen selbst treffen dürfen. Jetzt, da er nicht mehr in seine Kammer eingesperrt werden muss wie früher. Mutanten werden zwar weiterhin seltsam angesehen, doch die Menschen tun ihnen nichts. Das hat nur der Monarch getan, um unter ihnen das wahre Gesicht zu finden. Jarrusch. Der sieht, was sich hinter der Fassade versteckt. Die wahre Seele eines Menschen. Zusammen mit meiner Gabe des Seelensehens können wir dieses wahre Gesicht zutage bringen. Es für alle sichtbar machen.

Genau deshalb hat der Monarch jahrelang Familien gezwungen, Mutanten zu melden, und einige von ihnen hat er wegsperren lassen. Wir konnten sie befreien, aber in der Gesellschaft werden sie nur schwerlich akzeptiert.

»Kämpfen ist nicht immer die Lösung«, flüstere ich und werfe einen Blick auf den immer heller werdenden Himmel hinter dem Fenster.

»Ich will nicht kämpfen, und doch muss ich lernen mich zu verteidigen«, sagt er streng.

Ich nicke nur. Ich wusste, dass das passiert. Und ja, ein Teil von mir versteht, dass Jarrusch nicht für immer von mir abhängig sein will. Auch wenn es ihm dabei wahrscheinlich eher um meine als seine Freiheit geht.

Mit brennender Brust nehme ich ihn in den Arm. »Ich treffe mich jetzt mit Leoán«, presse ich hervor, um meine Angst zu verbergen. Doch Keeran wird mit ihm reiten und auf ihn achten. Ich bin mir sicher.

Ich verstecke meine Tränen, kneife ihm noch einmal in die Wange, und dann verlassen wir zusammen den Raum.

Vor der riesigen Eingangstür bleibt er für einen kurzen Augenblick stehen und schaut mich an. Es fühlt sich an, als würde er jetzt erwachsen werden. Und ein Teil von mir will genau das für ihn. Er soll die Welt sehen und lernen. Aber mehr noch will ich, dass er endlich ein Kind sein darf.

»Pass auf dich auf, mein kleiner Mann«, sage ich und gehe dann ohne ein weiteres Wort in den Besprechungssaal, in dem Leoán bereits auf mich wartet. Ich würde nur Tränen vergießen, wenn ich mich ausgiebig verabschieden würde.

Es stehen bereits Gebäck und Tee auf dem Tisch und mein Magen verkrampft sich. Dieses Leben ist nicht meines. Dienstmägde. Feinstes Gebäck. Tee, der damals nur der Oberschicht erlaubt war. Das alles gibt mir ein so fremdes Gefühl, dass ich mich heimatlos fühle. Doch da fällt mein Blick auf Leoán und ein warmes Gefühl kehrt zurück in meine Brust.

»Wie geht es dir?«, fragt er, erhebt sich und schließt mich in seine Arme.

Erleichtert erwidere ich seine Umarmung. Leoán war der Einzige, den ich an mich rangelassen habe, als Red und Keeran so krank wurden. Der Einzige, dessen Trost ich angenommen habe. Wir haben Nächte zusammengesessen, nachgedacht und recherchiert, was mit ihnen passiert sein könnte. Aber Leoán weiß zu wenig über sein göttliches Erbe. Über Tunis und den Tod. Stattdessen weiß er viel über die Alben. Und auch deshalb saßen wir schon einige Male zusammen. Damals ist er auf die Bitte von Keeran hin zusammen mit den Alben aus Anemoras zum Tor des Todes gekommen, um uns im Kampf gegen Marruk beizustehen.

»Ich fühle mich fremd«, nuschle ich und nehme mir eine Backschnecke, um unmotiviert darauf herumzukauen. Der süßliche Geschmack fühlt sich wie ein Verrat an meiner Herkunft an.

»Das Gefühl kenne ich. Ich will nichts lieber als zurück nach Anemoras und …«

»Zu ihr?«, hake ich grinsend nach. Er hat schon ein paarmal erwähnt, dass es in der Stadt der Alben eine gibt, die er seit seiner Kindheit liebt.

»Werde ich irgendwann ihren Namen erfahren?«

Leoán schenkt mir ein vielsagendes Lächeln. »Irgendwann.«

Er atmet tief durch und streicht mir eine Strähne hinter mein Ohr. Ich erschaudere. Nicht wegen seiner Berührung, sondern wegen dem, was er da begutachtet. Meine Ohren, die mit jedem Tag spitzer werden. So wie meine Haut immer heller schimmert und meine Augen einen Stich ins Blaue bekommen.

»Du hast keine Lösung gefunden, oder?«

»Eine Lösung dafür, dass dein albisches Aussehen zum Vorschein kommt? Ist das wirklich so schlimm, Sari?«

Ich presse meine Lippen aufeinander. Natürlich kann er das nicht verstehen. Viel mehr noch verletzt es ihn wahrscheinlich.

Als unsere albischen Vorfahren vor Tausenden Jahren die Götter verführten, taten sie das mit Magie. Mit Masken der Sterblichkeit, die sie wie Menschen aussehen ließen. So auch ihre Kinder und deren Nachfahren, wie ich eine bin. Mensch, Alb und Gott. Doch nach und nach ebbt die Magie ab und lässt die Maske der Sterblichkeit fallen. Bei Leoáns Vorfahren ist das bereits passiert. Er ist als Alb geboren. Und ich wäre das genauso, hätte Keeran nicht mein Leben an seines gebunden, als meine Marra noch vor meiner Geburt bei ihm war, um mir die Erinnerung an mein Erbe zu nehmen.

»Es geht nicht um mein Äußeres. Es ist mein Erbe«, sage ich dann, vor allem um mir selbst zu verdeutlichen, dass ich schon immer eine Albin war. Halbalbin. »Mein Problem ist …«

»Dass es bedeutet, dass dein und Keerans Band sich löst«, vervollständigt er und schenkt mir ein mitleidiges Lächeln.

Es kommt mir vor, als hätten wir dieses Gespräch bereits etliche Male geführt. Ich lege das Gebäck zur Seite, bevor ich aufstehe und zum Fenster schreite, um mich gegen die Fensterbank zu lehnen.

»Die Magie, die dich hat menschlich wirken lassen, hat auch Nachteile. Als Albin hast du weitere Kräfte. Sieh es doch einmal so«, lenkt Leoán das Gespräch in eine andere Richtung.

»Guter Versuch, Alb. Aber deine Reinheit besitze ich nicht. Und werde ich wohl nie. Und ein reines Herz gehört nun einmal dazu, um die albischen Kräfte voll ausschöpfen zu können.«

Leoán grinst bübisch. Ich mag es, dass dieser weise, ruhige junge Mann manchmal ein einfacher Junge sein kann. Seine rötlichen Haare reflektieren wie tanzende Flammen die Sonne und seine glühenden Augen fixieren mich trotz der Heiterkeit auf seinen Lippen voller Besorgnis. Goldene Blumenranken zieren seinen Nacken. Das Mal der Alben.

»Meinst du, dass wir diese Welt verändern können?«, fragt er, steht auf, kommt zu mir ans Fenster und wirft einen Blick in den Garten, wo gerade zwei Mägde mit Körben vorbeilaufen und voller Vorurteile zu uns hineinsehen. Die Menschen verachten Alben. Sie verachten uns. Das haben sie jahrhundertelang gelernt. Von den Göttern und später von Marruk. Und das wird sich nicht von heute auf morgen ändern.

Mein Magen verkrampft sich. Ich will nicht anders aussehen, auch wenn ich das vor Leoán niemals zugeben würde. Ich hasse diese Blicke.

»Ich weiß nicht. Vielleicht nicht. Aber wir können sie in die richtigen Bahnen leiten.«

Er verzieht den Mund. »Also bauen wir die Grundsteine für eine veränderte Welt, damit sie irgendwann in der Zukunft frei ist«, sagt er nachdenklich. »Ist es egoistisch, jetzt schon zu wollen, dass mein Volk frei ist?«

»Nein«, entgegne ich und streiche ihm über den Arm. Seine Haut schimmert um einiges mehr als meine. Und manchmal, wenn ich seine Schönheit von außen und innen sehe und spüre, frage ich mich, warum sich in mir etwas so sehr dagegen wehrt, eine Albin zu werden.

»Ich will dir noch etwas erzählen«, unterbricht Leoán die kurz eingetretene Stille, geht zur Tür und schließt sie. »Ich bin noch nicht lange in Tunis, aber mir sind Dinge zu Ohren gekommen. Meine Bediensteten reden zwar nicht mit mir, manche spucken sogar vor mir auf den Boden, bevor sie mir meinen Teller vor die Nase stellen, aber ich bin gut im Lauschen.«

Ich werfe ihm einen betretenen Blick zu, doch er lächelt.

»Lauschen gehört sich nicht, Leoán!«, ermahne ich ihn dann lachend, vor allem um die Behandlung, die ihm zuteilwird, zu überspielen. Mitleid kann er nicht gebrauchen. So ist er nicht.

»Ich habe gute Ohren«, grinst er und deutet auf die Spitzen seiner Ohren, die durch sein rotes Haar hervorlugen. »Ich würde dich nicht damit belästigen, aber der Name deines Hauses ist einige Male gefallen.«

»Lakar?«, frage ich, lehne mich vor und verenge meine Augen.

»Ja. Es ging um deine Mutter, nehme ich an. Sheliak. Sie hatte etwas mit ein paar Tunis zu tun, die irgendeinen Plan verfolgen.«

»Und welchen Plan?«, hake ich mit zittriger Stimme nach. Ich habe Marra und Varra einmal belauscht. Kurz vor ihrem Tod erzählte sie ihm, dass sie von Machenschaften in Tunis erfahren habe. Könnte das etwas damit zu tun haben?

»Viel mehr habe ich nicht erfahren. Allerdings ist das Wort ›Nachfahren‹ sehr oft gefallen.«

»Also planen sie unseren Sturz? Das klingt nicht nach einer kleinen Verschwörung, sondern nach dem, wonach die gesamten vereinten Königreiche lechzen.«

»Sei nicht so pessimistisch, Sari«, sagt er und verzieht den Mund. »Das wird schon.«

Ich nicke und versuche mich an mehr zu erinnern. Doch da ist nichts. Alles, was ich noch weiß, ist, dass meine Marra Reds Marra tötete.

»Was mich dabei gewundert hat: Sheliak aus dem Hause Lakar wurde oft zusammen mit dem Namen Marruk Karis erwähnt.«

»Wahrscheinlich weil sie gegen ihn gewesen ist. Seine Feindin.«

Nachdenklich streicht er über sein Kinn. »Vielleicht«, raunt er. Dann sieht er mich an. »Bist du sicher, dass dir nichts weiter dazu einfällt?«

Verwirrt schüttle ich den Kopf.

»Gut.« Leoán strafft seine Schultern. »Ich muss jetzt los. Die Vorbereitungen für das Fest laufen bereits. Und … was soll ich sagen. Die Menschen in meinem Schloss meinen es nicht gut mit mir.«

»Soll ich dir jemanden mitschicken? Ich könnte Ferroe gut entbehren.«

Leoán lacht heiser auf. Er weiß, dass ich die stille, düstere Wache, die Keeran mir zur Seite gestellt hat, am liebsten loswerden würde. Dieser Kerl ist immer überall. Wahrscheinlich steht er auch jetzt gerade wie ein Schatten vor der Tür und belauscht uns.

»Du brauchst deine Wachen selbst, Sari. Dafür hat Keeran sie hierhergebracht.«

»Du solltest Alben zu dir holen. Deine Freunde. Vertraute.«

Leoán wirft mir ein Lächeln zu, aber ich erkenne eine Spur Trauer in seinen Augen. »Diese Welt, Sari, die Königreiche, sie sind noch nicht bereit für mehr von meiner Art.«

Ein Kloß bildet sich in meinem Hals. Vor allem, weil ich durch meine Versuche, das albische Aussehen wegzubekommen, nicht gerade behilflich dabei bin, die Vorurteile zu beseitigen.

»Eines Tages werden sie bereit sein.«

Leoán bedenkt mich mit einem abwesenden Blick. »Bevor so etwas passiert, werden die Menschen sich und uns und diese Welt zerstören, Sari. So sind sie. So ist es immer gewesen. Kein verstoßenes Volk wurde je in der Menschheitsgeschichte angenommen, solange kein Krieg vorausging.«

Ich schlucke schwer, während sich die Wahrheit seiner Worte in mein Herz brennt.

»Und wenn wir dafür einen Krieg gewinnen müssen. Die Alben werden frei sein.« Diese Worte sind ein Versprechen, obwohl ich nicht weiß, ob ich es halten kann. Aber ich werde alles dafür tun. Für mich existieren keine unterschiedlichen Völker. Keine Arten. Es gibt nur Lebewesen, die alle gleich sind.

»Zieh dir was Schickes an, wenn du zu meinem Fest kommst«, sagt er mit einem Blick auf meine Kleidung.

Ich grinse. Obwohl ich kein Phantom mehr bin, trage ich noch immer die schwarze, lederbesetzte Hose und das ebenso dunkle Oberteil. Nur ohne die Kopf- und Mundbedeckung.

»Ich werde mir Mühe geben«, lache ich, gehe auf ihn zu und warte, bis er seine Stirn an meine und seine Hand auf meine Brust legt, bevor ich es ihm nachtue.

Die nächsten Tage übe ich mich im Nahkampf mit Ferroe. Am Anfang schont er mich, bis ich ihn anschreie und er daraufhin richtig kämpft. Nicht zu meinem Vorteil, denn nach jeder Einheit schmerzt mein gesamter Körper, weshalb er die Lektionen für die letzten beiden Tage vor dem Fest in Tunis aussetzt.

Ich fühle mich einsam in diesem großen Schloss ohne Jarrusch oder Keeran. Nicht mal Reds Anwesenheit ist mir ein Trost. Und zwischen Medisa und mir liegt etwas Unausgesprochenes, weshalb wir uns aus dem Weg gehen. Trotz meines geschundenen Körpers schleiche ich mich daher jede Nacht in den Pferdestall, um auf dem Heuboden zu schlafen. Es ist das Einzige, was mir ein kleines bisschen Heimat und Vertrautheit zurückbringt.

Am Tag unserer Abreise packe ich nur das Nötigste zusammen und trete aus dem blauen Palast zu Red.

»Bereit, die vereinten Königreiche zu durchqueren, um an einem langweiligen Fest teilzunehmen?« Red streicht behutsam über den Hals seines Rosses. Ich unterdrücke ein Lachen, während mir der Gedanke in den Kopf schießt, ob wir das überhaupt noch sind. Vereinte Königreiche. Wahrscheinlich nicht. Nicht mehr, wenn wir uns bewiesen haben und jeder über sein Königreich herrscht.

»Wir fahren nur bis nach Tunis«, sage ich dann knapp und laufe vor ihm her, bis zu den Kutschen.

»Du hast ja wieder einen wunderbaren Gemütszustand«, lacht Red und deutet auf Medisa, die neben meiner Kutsche steht. »Ich werde reiten. Medisa fährt mit dir.«

Ich starre ihn zornig an, aber er hebt nur seine Brauen und steigt auf sein Pferd. »Wird euch guttun.«

»Meinetwegen«, zische ich und steige ein. Medisa folgt mir.

Die Wisente schnaufen, bevor sie sich in Bewegung setzen und damit die Kutsche ins Rollen bringen.

Ich lasse meinen Kopf gegen die Scheibe sinken und schließe meine Augen, bis mich ein Räuspern aus meinen Gedanken reißt. Ich verkrampfe mich, öffne meine Lider und begegne Medisas genervtem Blick von gegenüber.

»Was?«, fauche ich sie an. Ich hätte liebend gerne die gesamte Fahrt so getan, als wäre sie gar nicht da. Zwischen uns ist etwas zerbrochen. Ich kann nicht einmal genau sagen warum, müsste ich aber tippen … Sie denkt, Keeran wäre meinetwegen gestorben und wiederauferstanden. Genauso wie Red. Sie gibt mir die Schuld. Sie liebt Keeran mehr als alles andere auf der Welt. Allerdings habe ich schon lange begriffen, dass sie ihn anders liebt als ich. Wahrscheinlich würde sie genau das für ihn tun, was ich für Jarrusch tun würde. Sie ist Keerans beste Freundin und begleitet ihn ähnlich wie Red schon mehrere Jahrhunderte.

»Willst du etwa das da tragen?« Sie deutet auf meine schlichte schwarze Kleidung. Eine enge Hose und ein Oberteil.

»Was spricht dagegen?«, gebe ich knapp zurück und hebe meine Brauen.

Ich mustere Medisas abfälligen Blick. Mehr noch, als dass sie mir die Schuld gibt, fühlt sie sich selbst verantwortlich, weil sie als Wahrerin keine einzige von Keerans Erinnerungen mehr hat, um sie ihm zu geben. Sie hat ihm bereits vor einiger Zeit all die zurückgegeben, die sie bewahrt hat.

»Du bist jetzt die Herrscherin eines Königreichs«, zischt sie.

»Und deshalb soll ich in einem eisblauen Kleid durch die Wälder fahren? Ich kann mich in Tunis umziehen.« In der Hoffnung, sie möge nachgeben, schließe ich wieder meine Augen. Aber das tut sie nicht. Denn sie stört mein Aufzug nicht. Nein. Sie will einen Streit provozieren.

»Er ist Tage vor dir abgereist.«

»Wer?«, knurre ich, ohne meine Lider zu heben, dabei weiß ich genau, wen sie meint. Keeran.

»Du weißt, wen ich meine. Deinen Liebsten.« Sie lacht abfällig auf.

Zorn kocht in meinen Adern. Ich kralle meine Finger in das Polster unter mir und spüre seine Wahrheit. Für einen Moment lenken mich die Bilder der Menschen ab, die ebenfalls einmal in dieser Kutsche saßen. Eine meiner Gaben. Die Gabe der Klarheit, die ich bei meiner ersten Malsprüfung erhalten habe. Mit ihr kann ich die Wahrheit der Dinge sehen.

»Er ist nicht mein Liebster«, flüstere ich so gebrochen, so schmerzerfüllt, dass auch mir erst in diesem Moment bewusst wird, wie sehr ich zu ihm gehören will. Es aber nicht tue. Ich seufze. »Sag mir einfach, was dein Problem ist, und dann können wir uns weiterhin ignorieren.«

»Das kannst du gut, nicht wahr?«, lacht sie enttäuscht.

»Was?«

»Menschen ignorieren.«

Ich öffne meine Augen erneut und schaue sie das erste Mal seit Wochen ohne Zorn an. »Was meinst du?«

»Was ich meine?« Sie schüttelt den Kopf. Wie damals, als sie mir vorgeworfen hat, ich sei nur ein dummes Mädchen, das nicht für sich selbst kämpfen kann. »Red ist gestorben. Keeran ist gestorben. Wir haben Seite an Seite gekämpft und du …« Sie zieht scharf die Luft ein. »Du hast es nicht einmal für nötig empfunden, mich zu fragen, wie es mir geht.«

Meine Lider zucken.

»Hast du mich etwa gefragt?«, entgegne ich wie ein bockiges Kind.

Medisa schnaubt. Diesmal platzen dabei Zornestränen aus ihren Augen.

»Stimmt, es geht ja immer nur um die große, wunderbare Sari. Die Einzige, die Verluste erleiden musste.« Sie schlägt ihre Faust gegen die Kutschenwand. »Wie lange kennst du Red und Keeran?«

»Willst du wirklich darüber mit mir streiten?« Ich nehme mein Gesicht von der eisigen Glasscheibe. »Geht es darum? Wer wen länger kennt?«

»Du hättest …«

»Was hätte ich?«, fahre ich sie an, weil ich immer noch getroffen bin. Getroffen, weil sie recht hat.

»Für mich da sein können. Wir hätten füreinander da sein können, hättest du dich nicht eingeschlossen und nur diesen Alb an dich rangelassen.« Sie wendet ihren Blick ab. So als würde es ihr Schmerzen bereiten, diese Wahrheit ihrer gebrochenen Seele auszusprechen.

»Ich …« Ich will etwas entgegnen. Mich rechtfertigen. Ihr sagen, dass ich allen Grund dazu hatte. Aber das würde weder meine noch ihre Schmerzen lindern.

»Es tut mir leid«, hauche ich also stattdessen und behalte für mich, dass ich sie nicht sehen wollte. Es nicht konnte. Denn sie war das Einzige, was mir geblieben war, als Keeran und Red krank wurden. Tagelang wusste keiner von uns, ob ihre Seelen das überleben können. Und sie … sie war alles, was ich noch von ihnen hatte. Und ich konnte mich ihr nicht stellen. Ich konnte mich ihrem Schmerz nicht stellen. Denn dann hätte ich mich meinem eigenen stellen müssen.

Medisa sieht mich zerrissen an. Sie hat nicht damit gerechnet, dass ich mich entschuldige. Und auch nicht, dass ich diese Entschuldigung nicht einmal erkläre.

»Wir hätten füreinander da sein sollen«, bestätige ich mit gebrochener Stimme. »Ich konnte es nicht.«

Sie nickt, und doch legt sich die drückende Stimmung zwischen uns nicht. Die Spannung, die für eine Weile während des Runs verschwunden war und sich jetzt mehr denn je aufgebaut hat.

»Weißt du, ich verstehe dich, Sari. Ich habe dein undankbares Verhalten schon damals, während des Runs, verstanden. Du bist immer allein gewesen. Du bist von deiner Marra dazu erzogen worden, Jarrusch zu beschützen. Du weißt nicht, wie man mit Menschen umgeht, und du weißt auch nicht, wie man dankbar ist, weil du es zuvor nie warst. Weil du zuvor nie davon abhängig warst. Und ja, es tut weh festzustellen, dass man doch abhängig ist. Aber du musst es irgendwann lernen, sonst wirst du nie Freunde haben.« Sie atmet schwer, schaut kurz zu Boden und dann wieder tief in meine Augen.

»Ihr seid meine Freunde«, erkläre ich. »Jeri war es und Kerim ebenfalls.«

»Und sie haben dich alle enttäuscht, nicht wahr?«

Ich presse meine Lippen aufeinander. Wir beide wissen, woran ich gerade denke. Keerans Verrat. Auch wenn er seine Gründe hatte, so hat er trotzdem Jarrusch an den Monarchen verraten und mir damit bewiesen, dass es falsch ist, Menschen vollends zu vertrauen.

»Ich wünschte, ich hätte weitere Erinnerungen, damit du Keeran wiederbekommst.«

Ich mahle mit meinem Kiefer. Eigentlich wollte ich es nicht noch einmal ansprechen. Genau das habe ich in den letzten Wochen zu oft getan. Ohne Erfolg. Aber ich muss. »Gib ihm meine.«

Medisa seufzt. »Nein, Sari. Das wäre nicht richtig.« Sie wirft ihren dunklen Pferdeschwanz nach hinten und durchbohrt mich mit ihren schwarzen Kalipar-Augen.

»Ich habe genug für uns beide. Du musst ihm doch nur ein paar davon geben. Vielleicht kann seine Seele dann besser mit der Dunkelheit umgehen. Wenn er sich erinnert.« Meine Stimme bricht. »Lass mich das für ihn tun. Lass mich ihm etwas zurückgeben.«

»Er kennt deine Erinnerungen. Du hast es ihm erzählt. Red. Ich. Und er kann deine Ängste lesen, die damit verbunden sind. Sie ersetzen seine nicht. Und das weißt du.«

Ich will nicht zugeben, dass sie recht hat. Aber es ist die Wahrheit. Keerans Seele wird durch den Handel mit Tunis immer dunkler. Und meine Erinnerungen an unsere gemeinsame Zeit ändern das nicht. Weil es nicht seine sind. Also nicke ich und schaue aus dem Fenster. Die blauen Eisberge werden immer kleiner und weichen dem res fore. Dem Wald, in dem alles begann.

Die restliche Fahrt verbringen wir schweigend. Ich bin so müde, dass ich nicht einmal schlafen kann. Und vor allem beginne ich zu begreifen, was ich ihr durch meine Verschlossenheit angetan habe. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal wirklich geschlafen habe. Ohne Albträume. Wahrscheinlich war es im hospita de lit. In Keerans Armen.

»Eure Hoheit«, höre ich plötzlich den Kutscher und schrecke zusammen. »Wir sind da.« Er hält an.

Ich blinzle, fange mich aber schnell und steige aus. Meine Füße landen auf der blutroten Asche. Auf dem Boden derer, die meine Marra ermordeten. Neugierig blicke ich mich in Raccara um, der Hauptstadt von Tunis. Ich war noch nie hier und ein Teil von mir hat es sich düsterer vorgestellt. Wie man sich eben die Stadt des Todes ausmalt. Aber hier wimmelt es nur so von Leben. Zwischen unzähligen rötlichen Gebäuden laufen Menschen die Straßen entlang, darunter auch spielende Phantome. Begleitet wird das Ganze von Marktschreiern, die ihre Waren auf dem kleinen Platz vor dem Palast anpreisen.

»Kommt«, sagt Ferroe, der von seinem Pferd steigt. Wie immer, wenn wir den blauen Palast verlassen, weicht er mir nicht von der Seite. Und ein Instinkt verrät mir, dass Keeran ihn damit beauftragt hat. In seiner Seele lese ich es nicht, denn die ist genauso verschlossen für mich, wie es Keerans ist. Trotzdem mag ich ihn auf eine seltsame Weise. Er gibt mir Sicherheit und die Ruhe, nach der ich mich so sehne.

Ferroe blickt sich wachsam um. Die Menschen, die eben beinahe sorglos wirkten, haben uns bemerkt und mustern uns nun mit Argwohn. Da ist keine Freude. Keiner, der die Götter lobt, dass wir sie von dem Monarchen erlöst haben. Das, was ich sehe, sind Menschen, die manipuliert wurden. So viele Jahre, dass in ihnen ein anerzogener Teil schreit, dass wir die Feinde sind.

Schließlich gibt Ferroe uns ein Zeichen und zusammen mit einer Armada aus Wachen machen wir uns auf den Weg zum Schloss von Raccara, das man nur zu Fuß erreicht, da es mitten in der Stadt liegt. Es ist nicht so groß wie der Palast der Emza, weil Tunis seinen Hauptsitz nicht hier, sondern im Gefängnis der Asche hatte.

Mir bleibt nicht viel Zeit, die Fassade und Türmchen zu mustern. Ferroe drängt mich weiter. Er wird immer unruhiger. Und dann wird mir auch klar, warum. Die Menschen hier sind nicht nur skeptisch. Sie sind kampfbereit. Fest umklammern sie ihre Messer oder Stöcke, als wären wir ihre Feinde.

Wir betreten das Schloss und eine Reihe Dienstmägde nimmt uns in Empfang, um uns auf unsere Zimmer zu geleiten. Als ich meines betrete, das außer den Möbeln komplett leer ist, drehe ich mich zu der jungen Frau um, die mich hierhergebracht hat. Hinter ihr postiert sich Ferroe irgendwo in den Schatten.

»Ist Keeran noch nicht da?«

»Keeran aus dem Hause Kalipar?«, fragt sie beinahe verdutzt.

Ich nicke.

»Er ist bereits auf seinem Gemach«, gibt sie verwirrt zurück.

»Ich …« Ich stoppe mich selbst und schweige. Was sollte ich auch sagen? Dass ich dachte, wir würden zusammen in einem Zimmer schlafen? Dass ich dachte … ja, was? Was dachte ich eigentlich? Dass es wie früher sein könnte? Auf welches Früher beziehe ich mich da eigentlich ständig? Es gibt nur vor und nach the Run. Und wenn ich genauer hinsehe, hat sich zwischen Keeran und mir nichts verändert. Wir waren Fremde und sind genau das wieder. Obwohl es für einen kurzen Moment nach dem Run und seiner Krankheit anders war. Aber schon da war er nie ganz anwesend. In keiner Nacht, in der er neben mir geschlafen hat. Was also vermisse ich?

KAPITEL 2

Hamza, Passus I Kalipar, Vers 245

Kalipar erschuf das fihtcamp. Dennoch strebte er nach mehr und so bat er seinen Bruder im Geiste, Tunis, um einen Ort, um Jünglinge auszubilden. Als er dort ankam und den Platz sah, wusste er, dass hier fähige Männer eingesetzt werden mussten, um ebendiese Jünglinge zu brechen. Er sandte Männer aus. Ausgebildete Kämpfer, denen er vertrauen konnte. Um Novizen zu finden, die jung und stark waren, aber deren Willen gebrochen werden musste. So bestand dieses eduacamp nach und nach immer mehr aus gebrochenen Seelen, die lernten, ihren eigenen Willen zu zügeln. Ihre eigene Seele nicht anzuhören. Ihrem Herzen nicht länger zu folgen. Schwäche nicht länger zuzulassen.

Als die Sonne untergegangen ist und ich mir mein Kleid aus blauer Seide angezogen habe, kommt auch schon das Mädchen zurück und geleitet mich hinunter in den Festsaal. Der Stoff schmiegt sich eng an meine Beine. So fühle ich mich wenigstens etwas bedeckt und nicht so aufgeblasen, wie ich es in einem der ausladenden Kleider der anderen Frauen hier tun würde. Meine Brust schnürt sich zu, als die Erinnerungen an die Feste während the Run vor mir auftauchen. An das grausame Gesicht des Monarchen. An Jeri, seinen Sohn und meine erste Liebe, der plötzlich dasaß.

Ich schiebe die Gedanken beiseite und betrete den riesigen Saal vor mir. Er ist mit Bäumen und Pflanzen geschmückt worden, die ich nie zuvor gesehen habe. Sie werden sicherlich aus Leoáns Heimat stammen.

Als ich ihn erspähe, dort auf dem Thron, auf dem einst Tunis saß, spüre ich durch meine Gabe die Trauer in seiner Seele. Darüber, dass er Anemoras verlassen musste, um hier zu leben und zu herrschen. Er hätte sich seinem Schicksal nicht ergeben müssen, aber genau wie wir hat er sich dafür entschieden, sein Erbe anzunehmen, damit wir diese Welt verändern können. Ich begrüße ihn nur mit einer Handbewegung, weil er in Gespräche vertieft ist, und lasse meinen Blick weiterschweifen. Ich entdecke Keeran, der bei Alishan steht, deren Erscheinung das Schönste ist, was ich je gesehen habe. Ihre goldenen Haare, das goldene Kleid. Ihre strahlenden Augen. Einfach atemberaubend.

Unterdessen zieht Keeran die Erbin von Arasá zu sich und flüstert ihr etwas ins Ohr, was ihre Miene ernst werden lässt.

Ich verschließe mein Herz vor einer Eifersucht, die ich nicht zu fühlen habe, und gehe auf Red und Medisa zu, die ein wenig entfernt von mir an einem Tisch Met trinken. Keeran liebt Alishan nicht. Da bin ich mir sicher. Und doch fällt es mir schwer, sie zusammen zu sehen.

Ohne Red zu begrüßen, nehme ich ihm das Glas ab und trinke es mit einem Zug aus.

»Dir auch einen schönen Abend, Sari«, lacht er und winkt eine Magd zu uns, die mit einem Tablett weitere Met an unseren Tisch bringt. Red muss schneller geritten sein als unsere Kutsche. Vielleicht um noch einmal mit Keeran zu sprechen.

»Wo ist Jarrusch?«

»Oben in seinem Zimmer und schmollt, weil Keeran ihm verboten hat am Fest teilzunehmen«, erklärt Red beiläufig.

Ich atme schwer. Wir haben besprochen, dass Jarrusch nicht zu den Festen kommen soll. Die Adeligen, die schon dem Monarchen gedient haben, sind nicht dafür bereit. Vor allem, weil er ihre wahren Gesichter erkennt, das hat er im Kampf gegen den Monarchen deutlich demonstriert. Und das würde sie nur zornig und unruhig machen, und wir brauchen sie.

Ich sehe kurz zu Medisa, die ihren Blick abgewendet hat, als ich zu ihnen getreten bin, und dann ergreife ich aus einem Instinkt heraus ihre Hand.

»Ich werde dich nicht noch einmal allein leiden lassen«, flüstere ich, während Red der Bedienung schöne Augen macht.

Ihr Blick trifft mich und schließlich nickt sie ganz sanft. »Hoffen wir, dass es gar nicht erst dazu kommt, dass Red und Keeran noch einmal etwas zustößt.«

»Ladys«, unterbricht uns Red und hält jeder von uns einen Tonbecher entgegen.

Ich lasse Medisas Hand los und ergreife ihn. Am liebsten würde ich ihn wieder einfach austrinken, doch Keerans Stimme lässt mich schaudern.

»Ihr trinkt ohne mich?« Er klingt so düster, dass man seine Worte als Drohung auffassen könnte. Gemächlich kommt er um mich herum und nimmt mir den Becher aus der Hand, bevor er selbst davon trinkt und mich abwertend anschaut. Seine dunklen Augen durchbohren mich beinahe. Schnell blicke ich hinab, bleibe aber an seinen kantigen Gesichtszügen hängen. Fahre weiter zu seiner starken Brust unter der schwarzen, majestätischen Kleidung von Kalipar, die eher einer Kampfkleidung gleicht. Ich sehe wieder auf. Halte seinem Blick stand und konzentriere mich auf die dunklen Strähnen, die ihm in die Augen fallen. Dann öffne ich meinen Mund, um etwas zu sagen, doch nichts verlässt ihn.

»Mach was dagegen, wenn es dich ärgert«, raunt er.

Ich bin wie erstarrt, denn das hier ist kein Spaß unter Freunden. Er ist herablassend.

»Hol dir selbst was«, brummt Red und versucht ihm den Becher abzunehmen.

Aber Keeran packt seine Hand und mustert ihn ernst. »Nein.«

»Do no acc lik a dir bastard!«, knurrt Red und löst sich aus seinem Griff.

Ich spüre Keerans Macht wegen der Beleidigung zu mir schwappen. Sie knistert in der Luft.

»Willst du deinen Met wiederhaben?«, richtet er sich dann an mich.

Immer noch finde ich keine Worte. Also schüttle ich den Kopf und drehe mich um. Ich gehe. Langsam, damit es nicht wie eine Flucht wirkt. Dann fange ich die Bedienstete ab und nehme mir einen neuen Met, bevor ich mich allein an einen Tisch stelle. Ich vermisse Keeran. Ich will ihm helfen und ihn zurück. Und doch kann ich nicht alles gutheißen, was er tut. Egal wie sehr seine Seele verwundet wurde, ich werde nicht zulassen, dass er den bösen, schwarzen Teil seiner Selbst an mir auslässt.

Es dauert nicht lange, bis er hinter mir auftaucht. Ich spüre ihn. Fühle die schwarze Mauer, die seine Seele vor mir verschließt, und nehme seinen Geruch wahr.

»Sari.« Seine Stimme ist mir plötzlich so nah, dass ich mich zusammenreißen muss, nicht zu erschaudern. Sein Atem streift meinen Nacken. »Es tut mir leid.«

Ich drehe mich um und sehe ihn ernst an. »Tut es das wirklich?«

»Ja«, raunt er heiser. »Ich …« Er stockt. »Ich weiß nicht, was manchmal in mich fährt.« Er ballt seine Hand zur Faust, als müsste er erneut verhindern, dass diese dunkle Seite Besitz von ihm ergreift.

Ich nicke nur. Denn ich fühle, die einzige Lösung ist der Monarch. Als Keeran nach seiner Rückkehr aus dem Reich der Toten herausgefunden hat, dass ich ihn nicht getötet, sondern eingefroren habe, ist er durchgedreht und hätte ihn beinahe zerschlagen. Aber ich habe ihn daran gehindert. Ich werde nicht aufgeben in Marruk Karis’ Seele nach einer Lösung zu suchen.

»Du schläfst nicht bei mir«, stelle ich fest.

»Das ist richtig, Sari.«

»Warum?«

Ich will mehr fragen als das. Ja, ich will ihn endlich fragen, ob er mich wirklich liebt, wie er gesagt hat, oder ob das alles nur im Run existiert hat. In einem anderen Keeran.

»Ich denke, dass du deine Ruhe brauchst.«

»Du hast nicht für mich zu entscheiden. Und wenn du ehrlich bist, hast du das auch nicht getan. Du wolltest nicht bei mir sein.«

Sein Blick verengt sich. Seine Nähe löst einen Krieg in mir aus. Verlangen gegen Angst. Liebe gegen Hass.

»Ich könnte dich verletzen, Sari«, raunt er ganz leise und so verdammt ernst.

»Du würdest mich nie verletzen«, platzt es aus mir raus und ich umfasse seinen starken Oberarm mit meinen schmächtigen, vernarbten Fingern.

»Ach nein?« Er hebt herablassend einen Mundwinkel. »Wie kannst du das nach all dem sagen, was ich dir und deinem Bruder angetan habe?«

Ich beiße die Zähne zusammen. Ich habe ihm nicht verziehen. Das weiß er. Alles, was ich ihm versprochen habe, ist, es zu versuchen.

»Ich reise noch heute Nacht nach Kalipar zurück. Also erübrigt sich das.«

Ich schüttle den Kopf, weil das aus dem Nichts kommt.

»Keeran«, flehe ich fast. Aber wen flehe ich an? An wen appelliere ich hier?

»Ich will dich weiterhin retten und mich von dir retten lassen. Doch ich kann im Moment nicht in deiner Nähe sein, weil ich das Gegenteil davon bewirken könnte«, raunt er und haucht mir einen Kuss auf die Stirn.

Mein Herz wird schwer. Es gibt ihn noch. Den Keeran, an den ich mein Herz verloren habe. Aber der dunkle Teil seiner Seele lässt ihn glauben, dass er mich verletzen wird.

»Wir sehen uns in Kalipar«, sagt er dann, und ehe ich ihn aufhalten kann, verschwindet er in dunklem Nebel und zurück bleibt nur schwarzer Sand. Ich spüre seine Magie. Rieche sie, während sie langsam versiegt.

»Netter Abgang«, gibt Red zum Besten. Ich drehe mich um und starre ihn an.

»Wie lange stehst du hier schon?«

»Nicht lange«, gibt er schulterzuckend zurück. »Man muss sich Keerans Macht ja aus der Nähe anschauen, so lange, wie der Monarch dafür gesorgt hat, dass er den schwarzen Sand nicht befehligen kann.«

»Witzig«, brumme ich. Dabei ist das hier nicht einmal im Ansatz witzig. Aus dem Augenwinkel beobachte ich Keeran, der sich zu den Adeligen am anderen Ende des Raums gesellt hat. Die Männer nehmen eine angespannte Haltung an und wechseln argwöhnische Blicke. Einer von ihnen entfernt sich sogar.

»Wie wär’s, wenn wir uns betrinken?«, holt mich Red zurück in die Gegenwart.

»Wie wär’s, wenn du mit mir zum casta te ahh fährst?« Ich lächle unschuldig.

Er schüttelt den Kopf. »Das Thema hatten wir jetzt so oft, Sari. Und du warst einige Male im Gefängnis der Asche und hast diese gruselige Eisstatur angefasst, um ihre Wahrheit zu erkennen. Akzeptier es endlich. Das geht nicht. Du kannst die Wahrheit des Monarchen nicht sehen.«

»Es muss gehen. Wofür habe ich die Gabe der Klarheit?«

»Keeran hat dir damals bereits erklärt, dass Menschen komplexer sind als Gegenstände. Und der Monarch hat seine Wahrheit ganz offensichtlich mit seiner letzten Kraft verschlossen.«

Ich schnaufe und blicke zu Medisa, die mit einer verstohlenen Geste Richtung Leoán deutet.

»Entschuldige mich«, sage ich und folge ihrem Wink. Als ich bei Leoán angekommen bin, werden seine Gesichtszüge weich.

»Sari«, gibt er erfreut von sich, steht auf und schließt mich in die Arme. Aber noch mehr erlöse ich ihn gerade von denselben Gesprächen, die Keeran ins Laufen bringen will. Nur dass Leoán als Alb viel abwertender behandelt wird.

»Vielen Dank für die Rettung«, flüstert er grinsend und zieht mich mit sich an einen der Tische, um mir von dem Met der Alben einzuschenken. Die Gäste im Raum beobachten uns, als wären wir Attentäter, die jederzeit zuschlagen könnten. »Wann besuchst du endlich Anemoras?«, fragt er dann und ich trinke mit Bedacht, denn auch damit habe ich während unserer nächtlichen Gespräche bereits Bekanntschaft gemacht.

»Das Gefängnis der Asche liegt auf dem Weg. Wenn wir jetzt losfahren …«

»Sari«, ermahnt er mich. »Was versprichst du dir davon?«

»Meine Gabe funktioniert«, entgegne ich und sehe dabei zu, wie das Symbol der Klarheit golden aufleuchtet, als ich in dem Kelch in meiner Hand danach suche.

»Das ist ein Kelch und kein machtgieriges Monster, das jahrelang geherrscht und die Menschen unterdrückt hat, Sari.« Ich lasse meinen Arm resigniert sinken.

»Einmal noch«, flehe ich. Dabei wissen wir beide, dass ich die Macht besitze, allein zum Monarchen zu gelangen. Die Wachen am casta te ahh würden mich sofort eintreten lassen. Schließlich bin ich die Erbin der Emza und die Bezwingerin des Monarchen, wie sie mich gerne nennen. Er ist meine Beute. Warum also sollte ich ihn nicht aufsuchen dürfen? Aber ich will es nicht allein machen. Und vor allem nicht ohne Leoáns Genehmigung. Das hier ist sein Königreich.

»Ich kann das Fest nicht verlassen«, sagt er ernst und sieht sich um. »Außerdem lässt Keeran dich wie immer von Ferroe bewachen.« Er deutet mit dem Kopf in Richtung Tür, wo meine Leibwache steht und unser Gespräch beobachtet. Wahrscheinlich hört er sogar mit. Falls er eine solche Gabe besitzt. Ich lächle ihm zu und wende mich wieder Leoán zu.

»Und weiter? Keeran bestimmt nicht über mich.«

»Wenn du das machen willst, Sari, dann werde ich dich nicht aufhalten«, entgegnet er und streicht sich sein rotes Haar hinter seine spitzen Ohren. Glänzende Schuppen schmücken seine Schläfen.

»Nimm ihn aber mit. Auch wenn er dich ständig beschattet, ist er stark und …«

»Kann mich vor einem Eisklotz beschützen?«, lache ich und verziehe dankbar den Mund. »Ich mache mich auf den Weg, sobald das Fest vorüber ist.«

Er atmet tief ein und aus, nickt dann aber.

»Was war das?«, fragt Red, als ich mich wieder zu ihnen geselle.

»Medisa und ich gehen zum casta te ahh. Mir egal, was du machst.«

Medisa blinzelt irritiert, sagt jedoch nichts. Wir wissen beide, dass sie mitkommen wird. Vor allem, weil sie mich nicht allein lassen würde, wenn ich den Monarchen aufsuche.