Obertraubling - Geschichten aus der Geschichte - Heike Wolter - E-Book

Obertraubling - Geschichten aus der Geschichte E-Book

Heike Wolter

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Beschreibung

Obertraubling: Ein Dorf im Wandel der Zeiten. Nahbar und persönlich, bewegend und zeitkritisch. Stolz reckt sich der Kirchturm von Obertraubling seit Jahrhunderten in die Höhe. Um ihn herum hat sich die Welt oft langsam und manchmal rasant verändert. Aus dem kleinen Dorf ist eine moderne Großgemeinde geworden. Heike Wolter erzählt von diesem Wandel in 50 Szenen. Sie zeigt, wie Menschen Geschichte machen. Bäuerliches Leben am Hof, Dorfgemeinschaft, Lehrer und Pfarrer - das Leben folgt meist einem Gleichmaß. Doch Seuchen, Kriege und bahnbrechende Umwälzungen gehen auch an Obertraubling nicht vorbei. Erstaunt stellen die Menschen fest: In nur einem Menschenleben macht das Dorf einen riesigen Zeitsprung! Heike Wolter fängt sowohl den ruhigen Strom als auch die Wirbel und Schnellen der Ereignisse in und um Obertraubling durch zahlreiche persönliche Zeitzeugen-Interviews sowie intensive Recherchen ein. Ein Buch vom Verlag edition riedenburg, Salzburg * editionriedenburg.at *

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„Es ist unglaublich, was die Welt vergisst und – was sie nicht vergisst. “

Marie von Ebner-Eschenbach (1830 – 1916)

*

„Der Schlüssel der Geschichte ist nicht in der Geschichte, er ist im Menschen. “

Théodore Simon Jouffroy (1796 – 1842)

Inhalt

Wie Geschichte gemacht wird: Eine Gebrauchsanweisung

Urk, der Steinzeitjäger, mit dem Feuerstein (50.000 v. Chr.)

Tulius, der römische Legionär, und der Apis-Stier ( 179)

Rotraud, die Bajuwarin, und das Leben nach dem Tod (590)

Leopold, der Bauer, und der König (857)

Rüdiger, der Dichter, und der Schlegel ( 1300)

Albrecht, der Amann, und die Äbtissin ( 1343)

Friedrich, der Weichser, und die Burg (1343)

Johann, der Unschuldige, und das Rügegericht (1371)

Heinrich, der Löwler, gegen den Herzog (1491)

Bartholomäus, der Pfarrer, und die Pest ( 1520)

Albrecht, der Maler, und sein Lehen (1537)

Josef, der Alte, und der große Krieg ( 1633)

Barbara, die Bäuerin, Seppi und Napoleon (1809)

Scherg, der Gerichtsdiener, und die Henkersmahlzeit (1830)

Johann, der Unternehmer, und die Tasse der Königin ( 1830)

Wolfgang, der Landbesitzer, und die Walhallastraße (1834)

Joseph, der Lehrer, und die Obertraublinger Schule (1825)

Georg, der Hofbesitzer, und die Freiheit (1847)

Erna, die Neugierige, und die Eisenbahn (1859)

Josef und Mathias, die Feuerwehrler, und das neue Haus (1890)

Maria, die Näherin, und ihre erste Nähmaschine (1895)

Michael, der Pfarrer, und die neue Kirche (1907)

Ignatz, der Ballkünstler, und der SVO (1923)

Wilhelm, der Liebende, in Big Apple (1924)

Mich, der Bader, und der entzündete Zahn (1924)

Ludwig, der Trachtler, und der Maibaum ( 1924)

Georg, der Flieger, in Einthal (1930)

Franz, der Schulbub, und der „Führer“ ( 1937)

Herbert, das Kriegskind, und der Angriff (1945)

Moishe, der KZ-Häftling, und der schlimmste Platz auf Erden ( 1945)

Howard, der Soldat, und der Absturz der Black Cat ( 1945)

Josef, der Offizier, gegen die SS (1945)

Josef, der Sudetendeutsche, und die neue Heimat (1945)

Gerhard, der Vertriebene, in der Barackensiedlung (1950)

Simon, der Schütze, beim Weitzerwirt ( 1956)

Xaver, der Großherzige, und das offene Haus (1960)

Gustava, die Malerin, und ein Lebensabend (1969)

Georg, der Bürgermeister, und die Eingemeindung (1972)

Hermann, der Hochspringer, bei Olympia ( 1972)

Barbara, die Schülerin, und das große Jubiläum ( 1973)

Caritas, die ehrwürdige Schwester, und der Kindergarten ( 1973)

Pius, der Heimatpfleger, und das Ortsgedächtnis (1985)

Reinhard, der Entwicklungshelfer, im wilden Osten (1991)

Leo, der Gstanzl-Sänger, und das große Lachen (1996)

Josef, der Radfahrer, und die Partnerstadt Dobrany (2007)

Angelika, die Literaturliebhaberin, und die Bücherei (2009)

Ingrid, die Pfarrerin, und die Diaspora (2018)

Aydin, der Komponist, und die Orgel (2018)

Olesia, die Optimistische, und das sonnengelbe Haus (2022)

Isabella, das Sonntagskind, und die Zukunft (2022)

Meine Ortsgeschichte

Über die Autorin: Heike Wolter

Über den Illustrator: Samuel Wolter

WIE GESCHICHTE GEMACHT WIRD: EINE GEBRAUCHSANWEISUNG

Vor bald drei Jahren fragte mich Bürgermeister Rudolf Graß, ob ich mir vorstellen könnte, ein neues Ortsbuch zu schreiben. Die bisherige Chronik endete Anfang der 1980er Jahre und seitdem war eine ganze Menge geschehen. Nicht nur die Welt hatte sich verändert, auch in Obertraubling war die Zeit nicht stehengeblieben.

Zum Jubiläum sollte das handliche Büchlein mit 50 Geschichten aus der Geschichte fertig werden. 2023 müsse es vorliegen und die Menschen auf eine Zeitreise durch 1150 Jahre Obertraublinger Vergangenheit mitnehmen.

Doch halt, 1150 Jahre? Schon wer die Chronik von 1982 aufmerksam gelesen hatte, dem verknotete sich das Hirn beim Rechnen. Die dort abgedruckte „Geburtsurkunde“ datiert laut Wissenschaftlern in die Jahre 826 bis 840. Keinesfalls käme man 2023 so auf 1150 Jahre. „Ja, aber ...“ entgegneten die Älteren, die 1973 fulminant die 1100-Jahr-Feier Obertraublings mit Zwölfuhrläuten, Festumzug und Tag der Jugend gefeiert hatten.

Nach einigen Recherchen ist klar: Das Jubiläum 1973 war eine wirkmächtige Inszenierung. Sie diente dazu, ein Jubiläum nachzuholen. Dieses hatte unbestimmt irgendwann zwischen 1926 und 1940 gelegen. Das war in einer Zeit, in der kaum jemandem nach Feiern zumute war. Nach dem Krieg jedoch hatte Obertraubling einen steilen Aufstieg genommen. Erst 1972 waren die letzten Teile der Großgemeinde per Gebietsreform hinzugekommen. Außerdem feierten 1973 der Sportverein Obertraubling sein 50-jähriges, der Trachtenverein Holzhacker und die Freiwillige Feuerwehr Obertraubling ihr 100-jähriges Bestehen. Kein Wunder, dass Bürgermeister Hermann Zierer am 28. Juni 1970 im Gemeinderat vorschlug, „die Vereinsfeste in größerem Stile und im Rahmen einer (und nicht DER) 1100-Jahr-Feier von Obertraubling zu begehen“.

Das ist Geschichte in doppeltem Sinne: Es ist eine der spannenden Erzählungen in diesem Buch. Und es ist die Rekonstruktion der Vergangenheit. In diesem Falle nicht so sehr des Gründungsdatums, sondern der jüngeren Gemeindegeschichte am Anfang der 1970er Jahre.

Geschichte ist eben nicht das, was geschehen ist. Sie ist das, was wir darüber erzählen. Das tun wir aufgrund von Quellen. Aber manchmal fehlen solche Quellen. Manchmal sind sie ungenau. Und manchmal widersprüchlich. Immer dienen sie dazu, zu erklären, woher wir kommen und wie die Vergangenheit uns prägt. Wir denken uns das, was geschehen ist, vor dem Hintergrund unserer eigenen Erfahrungen. Das ist auch und besonders bei diesem Buch so. Es sind die von mir recherchierten Quellen und Darstellungen, die das Gerüst bilden. Aber es sind meine ganz persönlichen Vorstellungen, die die Leerstellen zwischen den „Beweisen“ füllen. Ganz wie schon der englische Schriftsteller William Somerset Maugham geschrieben hat: „Der Historiker ist ein Reporter, der überall dort nicht dabei war, wo etwas passiert ist.“

Einige Lücken konnte ich dank der unermüdlichen Hilfe von Edgar Rothammer schließen. Seine Kenntnisse der (oft nicht niedergeschriebenen) Lokalgeschichte(n) und seine Fähigkeit, als Einheimischer stets zu wissen, wen man fragen muss, hauchten den Geschichten noch mehr Leben ein.

Manche Leerstellen waren allerdings so groß, dass sie sich nicht füllen ließen: Das ist der Grund dafür, warum es viel mehr Geschichten über Männer gibt. Gerade als Historikerin hätte ich gern mehr von der weiblichen Seite der Ortsgeschichten erzählt. Doch wo die Quellen hartnäckig schweigen, da wäre Geschichtsschreibung zur Märchenstunde geworden – und das sollte sie nicht.

Was wir heute über die Vergangenheit von Obertraubling erzählen, sagt viel über unsere Gegenwart aus. In diesem Sinne sind Sie die besten Geschichtenerzähler*innen. Nutzen Sie gern die vorbereiteten Seiten am Ende des Buches, um den Geschichten aus der Geschichte eine weitere hinzuzufügen. Wenn Sie mögen, teilen Sie sie, das Rathaus freut sich sehr auf Ihre Einblicke. Vielleicht gibt es ja irgendwann einen zweiten Band mit Geschichten aus der Geschichte der Großgemeinde Obertraubling!?

Und nun: Begleiten Sie mich auf eine Zeitreise mit 50 kurzweiligen 15-Minuten-Geschichten.

Viel Vergnügen wünscht Ihnen dabei

Heike WolterHistorikerin aus Obertraubling

URK, DER STEINZEITJÄGER, MIT DEM FEUERSTEIN (50.000 V. CHR.)

Schon vor Zehntausenden Jahren hat es in der Gegend der Großgemeinde Obertraubling Menschen gegeben. Weil die Kulturen, aus denen sie stammten, schriftlos waren, wissen wir nur sehr wenig über sie. Aber trotzdem zeugen Bodenfunde von ihrer Anwesenheit. Manchmal werden sie gesucht, aber oft kommen sie ganz zufällig zum Vorschein: beim Pflügen der Felder. Diese fruchtbaren Böden mit dem entsprechenden reichen Pflanzenbewuchs waren auch der Grund, warum sich schon vor langer Zeit Menschen in der Gegend niederließen. Sie zogen als Jäger*innen und Sammler*innen über das Land – und hielten sich offenbar auch im heutigen Scharmassinger und Gebelkofener Gebiet auf.

*

Der Herbst war da. Bald würde es wieder kalt werden, morgens spürte man es schon. Urk trat aus der Grashütte, die ihm und seiner Gruppe als Nachtlager diente. Im Frühjahr waren sie - wie jedes Jahr - in das Hügelland südlich des großen Flusses gezogen. Hier sammelten sie Beeren und Früchte, Pilze und Wurzeln. Gemeinsam gingen sie im Schutz des hohen Grases und der Büsche auf die Jagd. Urk war groß, stark und dicht behaart – kein Wunder, dass er der Anführer der Gruppe geworden war. Er weckte seine Gefährten. Wenn sie Jagdglück haben wollten, mussten sie los. In den letzten Tagen hatten sie weder kleine Schneehasen gefangen, noch war ihnen ein großes Tier begegnet. Alle hatten Hunger.

Urk griff nach seinem Speer, den er sich in vielen Stunden Arbeit selbst gemacht hatte. Es war ein langer Stab, der gerade Stamm eines jungen Baumes. Mit einem Schaber hatte er zunächst das Holz geglättet, sodass es gut in seiner Hand lag. Dann kümmerte er sich um die Spitze seines Speers. Diese bearbeitete Urk so lange mit Steinklingen, bis sie in seinen Augen perfekt war. Abschließend härtete er die Speerspitze im Feuer. Er hoffte, dass seine Waffe nun stark genug war, um es auch mit Wollnashorn und vielleicht sogar mit einem Mammut aufnehmen zu können.

Die kleine Jägergruppe – vier Männer und eine Frau – zog los. Sie hatten sich schon weit von ihrem Lager entfernt und waren immer weiter in die hügelige Landschaft vorgedrungen. Plötzlich hörten sie ein Knacken und Rascheln im niedrigen Strauchwald voraus. Sie duckten sich und suchten hinter den Büschen ein Versteck. Ein direkter Angriff war viel zu gefährlich. Schon viele Jäger waren dabei umgekommen. Sie hatten Hunger, aber sie mussten geduldig sein. Urk war nervös, aber er fühlte sich auch bereit.

Auf einmal konnten Urk und seine Gefährten Fell zwischen den Blättern sehen. Tatsächlich, ein Wollnashorn. Das große Tier war wohl ebenfalls auf der Suche nach Nahrung. Nun trat es hervor – ein junger Bulle. Vorsichtig schlichen sie gegen den Wind noch näher heran. Sie hörten nun jedes Schnaufen und die malmenden Zähne. Wie riesig das Wollnashorn war. Tief hing sein Kopf herunter und seine zwei Hörner waren deutlich zu erkennen. Das vordere, größere konnte einen Jäger mühelos aufspießen. Urk schauderte.

Doch für Furcht war jetzt keine Zeit. Lautlos blickten die Jäger einander an. Auf Urks Kommando – er schlug zwei Steine aneinander – sprangen sie auf. Mit aller Kraft stießen Urk und die Anderen ihre Speere von den Seiten in den Leib des Tieres. Ein Speer bohrte sich zwischen zwei Rippen hindurch. Das Nashorn fauchte, drehte sich und stürzte schmerzerfüllt weg. Sie brachen in Freudengeheul aus. Angst und Hunger waren vergessen.

Nun kam die entscheidende Aufgabe. Der Speer war steckengeblieben, diese Verletzung würde das Tier nicht überleben. Sie mussten ihm auf den Fersen bleiben. Nach einigen Stunden der Verfolgung hatten sie einen See erreicht – dort erblickten sie hinter einigen Fichten das Wollnashorn. Es lag tot am Ufer. Rasch drängten sie sich um die Beute. Was für ein Fleischberg! Nun kamen ihnen ihre Faustkeile zu Hilfe. Sie nutzten das fein gearbeitete Werkzeug, um Fell und Sehnen zu durchtrennen, Knochen aufzuschlagen und das Fleisch zu zerteilen. Gierig aßen sie, so viel sie konnten. Dann luden sie so viel wie möglich auf und machten sich auf den Weg zum Lagerplatz der Gruppe. Morgen würden sie mit den Anderen der Gruppe wieder herkommen und den Rest des Wollnashorns holen. Jeder Teil des Tieres war kostbar.

Als sie in ihr Lager zurückkamen, kehrten gerade einige Mädchen und Jungen vom Beerensammeln zurück. In Fellstücken trugen sie ihr Sammelgut zu zwei alten Frauen, die hinter einem Windschirm saßen und das Feuer bewachten. Noch war es klein, aber die Ankunft der Jäger ließ alle zusammenlaufen. Äste wurden aufgelegt, die Flammen züngelten hoch. Zwei Männer machten sich auf den Weg Holznachschub zu holen. Heute würde es ein besonderer Abend werden.

Alle betrachteten die schweren Fleischstücke. Rufen und Lärmen brach los, alle freuten sich. Mit messerscharfen Feuersteinklingen schnitten sie das Fleisch in kleine Teile und aßen es roh. Weitere Stücke rösteten sie über dem Feuer. Bald zog ein köstlicher Fleischgeruch durch die Luft. Es war genug für alle da. Konnte das Leben besser sein? Sie waren satt und zufrieden. Das Fleisch des Wollnashorns sicherte das Überleben der Gruppe für die kommende Zeit. An diesem Abend saß Urk noch lange am Lagerfeuer, dessen Flammen ihnen Licht, Wärme und Sicherheit spendeten.

*

1982 schrieb Thomas Fischer vom „größte[n] Geschichtsarchiv unseres Landes, nämlich dem Boden unter unseren Füßen“. Das ist auch in der Großgemeinde Obertraubling so. Bereits seit mehr als einem Jahrhundert werden immer wieder bedeutende Funde aus der Vor- und Frühgeschichte, aber auch aus späteren Zeiten gemacht. Die ältesten Spuren menschlicher Besiedlung gibt es aus dem Gebiet von Scharmassing und Gebelkofen. Dort gab es wohl schon in der Altsteinzeit Lagerplätze, also vor mehr als 11.000 Jahren.

Über die damaligen Menschen wissen wir nur sehr wenig. Das Feuersteingerät aus Gebelkofen und die zwei Faustkeile aus Scharmassing geben uns nur einige kleine Einblicke. In der archäologischen Forschung über diese früheste Zeit des Menschen gibt es oft mehr Fragezeichen als Antworten.

Die Geschichte über Urk und seine Gruppe ist deshalb bis auf die Werkzeuge gänzlich ausgedacht. In Scharmassing gibt es (bisher) keine Knochenfunde von Wollnashörnern. Nächste Fundorte finden sich aber im Altmühltal. Daher ist es wahrscheinlich, dass die Tiere in der örtlichen Steppentundra mit ihren niedrigen Zwergbirken und -weiden ganz allgemein verbreitet waren.

Die Menschen damals haben sich noch nicht mit Sprache, sondern durch Laute verständigt. Sie haben gemeinsam gejagt, doch eher, indem sie das Tier verfolgten. Der direkte Angriff war wohl vor allem ein kurzes Überraschungsmoment, um das Tier so stark zu verletzen, dass es bald verendete. Womöglich jagten nicht nur Männer, sondern auch Frauen.

Und ebenso sammelten wohl nicht nur die weiblichen Mitglieder der Gruppe, sondern alle. Schließlich brauchte es viele Hände, um Pflanzen, Nüsse, Beeren, Kleingetier, Aas und Ähnliches in ausreichender Menge zu beschaffen.

Erste Zelte entstanden auch schon in der Altsteinzeit – wann genau und ob auch in unserer Gegend, ist unbekannt. Die längste Zeit aber wurden sicher einfach zu errichtende Grashütten und natürliche Höhlen (von denen es in Obertraubling keine gibt) genutzt. Das Feuer konnten die Menschen damals bereits kontrollieren und für sich nutzbar machen. Allerdings kannten sie wohl noch keine Formen der Haltbarmachung wie das Räuchern.

Was nun die Großgemeinde selbst betrifft, haben wir die Funde vor allem Heinrich Ebentheuer zu verdanken. Der Scharmassinger Bauer streifte ausgiebig über die fruchtbaren Lößlehmfelder. Mit der Schar, dem Pflug, wurde der Boden hier aufgerissen und für die Aussaat vorbereitet. Die Bodenbearbeitung brachte aber immer wieder auch Dinge aus der Vorgeschichte zutage. Darunter jene zwei Faustkeile aus der frühen Altsteinzeit. Sie stammen laut Thomas Fischer von vor 50.000 Jahren, aus der sogenannten Würm-Eiszeit, der letzten Kaltzeit in Europa.

In der vorgeschichtlichen Sammlung des Historischen Museums in Regensburg kann man sich selbst ein Bild der Faustkeile machen, die in der Nähe des Aubachs gefunden wurden. Sie sind 13,3 bzw. 10,2 Zentimeter groß. Im Museum zeigt sich auch, dass es nicht die einzigen Funde dieser Art und dieser Zeit sind. Auch der Oberislinger Hans Stadler hat steinzeitliche Funde aus dem Aubachtal abgegeben.

Warum diese Schwerpunktbildung im Aubachtal? Das kann, aber es muss nicht zwingend mit den Lagerplätzen der damaligen Bewohner zu tun haben. Wahrscheinlich war die Gegend zwar attraktiv, aber um heute auf solche Überreste zu stoßen, braucht es auch Möglichkeiten, auf unbebauten Flächen etwas aufzufinden. Und Interessierte, die mit kenntnisreichem Auge sehen, bei welchen Steinen es sich um vom Menschen bearbeitete Stücke handelt.

AUSFLUGSTIPP:

Das Archäologische Museum Kelheim und das Historische Museum Regensburg haben vor- und frühgeschichtliche Abteilungen und auch ein entsprechendes Führungsangebot. In den Fossiliensteinbrüchen des Altmühltals wird die Urgeschichte lebendig. Und auch das Schulerloch bei Altessing war schon in der Eiszeit von Tieren wie Höhlenbär, Wollnashorn und Mammut besiedelt.

Literatur

In der Geschichtserzählung habe ich mich am Text eines Schulbuches orientiert und ihn für Scharmassing abgewandelt: Durchblick Geschichte 1 (Rheinland-Pfalz). Braunschweig, 2010. S. 28f.

Fischer, Thomas: Zur Vor- und Frühgeschichte der Gemeinde Obertraubling. In: Fendl, Josef (Hrsg.): Obertraubling. Beiträge zur Geschichte einer Stadtrandgemeinde. Regensburg, 1982. S. 11–24.

Koenigswald, Wighart von: Lebendige Eiszeit. Klima und Tierwelt im Wandel. Stuttgart, 2002.

Krause, Johannes / Trappe, Thomas: Hybris. Die Reise der Menschheit zwischen Aufbruch und Scheitern. Berlin, 2021.

Lenz, Katharina (Hrsg.): Burgweinting. Vom Dorf zum Regensburger Stadtteil. Regensburg, 2019.

Zimmerstutzen-Schützengesellschaft „Weidtal" (Hrsg.): Scharmassing. Schierling, 1977.

Zotz, Lothar: Eine Karte der urgeschichtlichen Höhlenrastplätze Groß-Deutschlands. In: Quartär III, 1941. S. 142–155. (archäologische Übersicht wertvoll, sonst aber durch NS-Sprachgebrauch geprägt)

Zum Weiterlesen für Kinder

Beyerlein, Gabriele: Die Höhle der Weißen Wölfin. Hamburg, 1996.

Holler, Renée: Das Orakel des Schamanen. Ein Ratekrimi aus der Steinzeit. Bindlach, 2010.

Beyerlein, Gabriele und Field, James: Steinzeit. Die Welt unserer Vorfahren. Würzburg, 2008.

Auel, Jean M.: Ayla. Romane über die Altsteinzeit. 6 Bände. München, 2002–2012.

TULIUS, DER RÖMISCHE LEGIONÄR, UND DER APIS-STIER (179)

Aus der Sicht der Römer war die Sache klar: Was die in der Obertraublinger Gegend wohnenden Markomannen über sie, die Männer (und auch ein paar Frauen) aus dem Süden, dachten und planten, war höchst unsicher. Die Nordgrenze des Römischen Reichs war alles andere als sicher. Schon deshalb kamen als Erstes die Legionäre. Sie taten im ersten Jahrhundert im kleinen Kohortenkastell Kumpfmühl ihren Dienst. Im späten zweiten Jahrhundert folgten ihnen noch mehr Soldaten. Marc Aurel hatte sie an die Donau gesandt, um den sogenannten nassen Limes zu sichern. Unter ihnen war vielleicht auch Tulius, ein Legionär aus Rom.

*

Mit anderen Soldaten der dritten italischen Legion meisterte Tulius den weiten Weg durch die Po-Ebene, über die Alpen und das Gebiet, das später einmal Bayern werden würde. Irgendwann sah er den mächtigen Fluss. Hier, so war es befohlen, wurde das große Legionslager zum Schutz gegen die germanischen Stämme aus dem Norden gebaut: Castra Regina. Tulius war dabei.

Das Glück war auf seiner Seite – keine kriegerische Auseinandersetzung hatte ihn getötet und die Gegend hatte er schätzen gelernt. Als er am Ende seiner 25 Dienstjahre feierlich entlassen wurde, erhielt er ein schönes Stück Land mit einer Villa. Es befand sich nur wenige Kilometer vor den Toren des Legionslagers – an einem fruchtbaren Ort, der heute Niedertraubling heißt.

Die Villa hatte bereits eine lange Geschichte. Schon andere Legionäre hatten vor ihm hier – in der Nähe der Verbindungsstraße zwischen dem bedeutenden Castra Regina (Regensburg) und dem Kastell der Bogenschützenkohorte in Sorviodurum (Straubing) – gewohnt. Doch jetzt erkundeten Tulius und seine Frau ihr neues Zuhause.

In der Sandgrube des Kellers, wo die Amphoren mit Wein und importiertem Olivenöl gelagert wurden, stießen sie auf eine schimmernde Bronzefigur. Ein kleiner Stier war zu erkennen – sieben Zentimeter hoch und von außergewöhnlicher Schönheit. Wem der wohl gehört hatte? Nun fand er im Haus der Familie Platz, die ihn zum Hausgott machte und verehrte. Womöglich brachte so ein prachtvoller Stier ja Glück.

Gleiches galt für eine alte Münze, die noch aus den Tagen des Kaisers Nerva stammte. Tulius rechnete nach: Fast einhundert Jahre war das jetzt her. Doch schon damals hatte es offenbar tüchtige Soldaten wie ihn gegeben, die gewillt waren, die Leistungen Roms in die Welt zu tragen.

Tulius war zwar nicht mehr Legionär, aber Glück brauchte er auch jetzt, damit er seine Familie ernähren konnte. Er war auf gute Geschäfte mit dem Legionslager angewiesen. Dafür bot seine Landwirtschaft auf dem fruchtbaren Boden beste Voraussetzungen. Tulius und seine Frau bauten Getreide an, zogen aber auch Gemüse, ernteten Obst und Nüsse. Besonders beliebt waren auch die sattgrünen Kräuter aus ihrem Garten. Rosmarin, Koriander, Thymian, Oregano und Basilikum wuchsen in Hülle und Fülle. Sie erinnerten die Soldaten an die Gerüche ihrer italienischen Heimat und wurden gern für das Legionslager gekauft.

Die Villa Rustica bot aber mehr als das geräumige Wohnhaus der Familie, in dessen Zimmern neben Tulius, seiner Frau und den Kindern auch die Schwiegereltern Platz fanden. Auch eine Werkstatt, eine Scheune, ein Stall mit Schweinen, Rindern und einem Pferd sowie eine kleine Sauna und ein großer Garten gehörten dazu. Und den Brunnen nicht zu vergessen, der neben dem Lohgraben und dem nahegelegenen Litzelbach Wasser spendete.

Noch mochte Tulius nicht daran denken, doch hier würde er wohl auch seine letzte Ruhe finden. Auf dem kleinen Grabplatz in unmittelbarer Nähe seines Wohnhauses. Was dann wohl bleiben würde von seinem Leben? Wer würde sich an ihn erinnern?

*

Sicher ist, dass an mehreren Stellen – in der Nähe der heutigen Bahnlinie in Obertraubling und Niedertraubling, nördlich von Scharmassing und am Litzelbach bei Oberhinkofen von Piesenkofen aus kommend – Überreste aus der Römerzeit gefunden wurden. Der bedeutendste Fund sind der Apis-Stier, zwei Münzen aus der Zeit der Kaiser Vespasian (69–79 n. Chr.) und Nerva (96–98 n. Chr.) sowie ein römisches Gräberfeld in Niedertraubling.

Während die Niedertraublinger Münze wie auch die Münze aus der Zeit des Kaisers Marc Aurel bei Scharmassing dazu beitragen, die Siedlungszeit einzugrenzen, erzählt der Stier eine wichtige Geschichte zur Kulturgeschichte der Römer: Das Römische Reich hatte sich im Laufe seiner jahrhundertelangen Geschichte immer weiter ausgedehnt. Dabei waren die Römer mit vielen verschiedenen Kulturen in Berührung gekommen. Manche hatten sie vernichtet, aber in den meisten Gebieten hatten sie einen Prozess angestoßen, den wir Romanisation nennen.

Das bedeutete, dass zwar manches aus den ursprünglichen Kulturen erhalten blieb, aber die Römer ihre eigenen Vorstellungen mit- und in den neuen Gebieten einbrachten. Dazu gehörten zum Beispiel ihre Sprache und ihr Rechtssystem, ihre Architektur und ihre Essgewohnheiten. Viele Funde aus Obertraubling und Umgebung – zum Beispiel von Keramik, Schmuck oder eben den Münzen – beweisen das.

Aber die Römer nahmen auch Einflüsse aus anderen Kulturen auf, vor allem aus Hochkulturen. Um solch eine Entwicklung hat es sich wohl beim Apis-Stier gehandelt. Stierverehrungen gab es im Alten Ägypten, das von Caesar erobert wurde. Die Römer kannten keine Tiergottheiten und fanden das Anbeten heiliger Stiere, die als Fruchtbarkeitssymbol und wohl auch als Orakel dienten, sicher merkwürdig. Der Apis-Stier mit der Sonnenscheibe zwischen den Hörnern war da keine Ausnahme.

Doch konnten solche Götterabbildungen auch schöne Kunstgegenstände sein. Dabei mussten nicht alle Merkmale der ursprünglich religiösen Figur erhalten sein. Manchmal wurde die Gestalt auch den römischen Sehgewohnheiten und Nutzungsabsichten angepasst. Womöglich trägt deshalb der Niedertraublinger Stier weder Mondsichel noch Sonnenscheibe, zwei wichtige Zeichen von Apis-Stieren aus dem Alten Ägypten.

Dass der Stier überhaupt in Niedertraubling gefunden werden konnte, hat einen anderen Grund. Mit den Legionären kamen auch Händler in die neuen römischen Gebiete. Sie wussten, wonach die in alle Himmelsrichtungen gesandten Soldaten des Reichs sich sehnten. Nach römischer Kultur und damit auch nach den kleinen Statuetten – aus Terrakotta oder Metall –, die im italienischen Mutterland weit verbreitet waren. Dort zierten sie Villen ebenso wie kleine Wohnstätten der Ärmeren und sollten Schutz und Glück bieten. Vielleicht war es so gekommen, dass die ersten Bewohner der Villa Rustica in Neutraubling einem bronzenen Stier ein Heim gegeben hatten.

Alle römischen Funde im Gemeindegebiet sind – bis auf die Grabung in Piesenkofen – Zufallsfunde oder sogenannte Notbergungen. Besonders verdient gemacht haben sich dabei Heinrich Doerfler und Xaver Artinger aus Niedertraubling. Letzterem gelang auch der Sensationsfund des Stiers. Als in den 1850er Jahren, wohl 1852, neben seiner Gärtnerei der Bahndamm gebaut wurde, entdeckte er das bronzene Kleinod. Überhaupt erwies sich der Bahnbau als archäologische Fundgrube, denn im Zuge dessen wurden auch einzelne Münzen aus unterschiedlichen Zeiten geborgen. 1971 fand man dann auf dem Koch-Feld sogar ein römisches Gräberfeld.

In jüngster Vergangenheit hat auch die Gemeinde bei der Erschließung von Neubaugebieten auf eine enge Zusammenarbeit mit dem Landesamt für Denkmalpflege geachtet und so neue Funde ermöglicht.

Eine systematische Grabung zur Römerzeit hat es bisher noch nicht gegeben. Womöglich würden noch viel mehr Überreste auftauchen. Schließlich ist der Boden unter unseren Füßen eine wahre Schatzgrube: Steine, Knochen und Scherben von Tongefäßen erzählen von den Menschen, die hier vor fast 2.000 Jahren gelebt haben. Das zeigt sich in den Nachbarorten – in Burgweinting, wo seit 25 Jahren eine Großgrabung durchgeführt wird, in Oberisling und Köfering.

In Niedertraubling geben neben den Spuren der Villa Rustica vor allem Brandgräber Auskunft. Darin befanden sich Schmuck sowie Reste von Glas- und Tongefäßen. Aus dem vierten Jahrhundert wurde an der Abzweigung der Straße nach Neutraubling ein römischer Armreif gefunden. Und in Scharmassing gab die Erde die erwähnte Münze aus der Zeit des Kaisers Marc Aurel, Baureste und Scherben von einer weiteren Villa Rustica frei.

AUSFLUGSTIPP:

Der bronzene Apis-Stier ist eines der schönsten Ausstellungsstücke in der Römerabteilung des Historischen Museums Regensburg. Wer den Stier direkt im Gemeindegebiet bewundern möchte, kann den Stierbrunnen am Rathaus besuchen. Die Steinfigur des Brunnens ist eine vergrößerte Nachbildung des Stiers.

Literatur

Ganz besonders danke ich den jungen Autor*innen für die Inspiration für die Geschichte aus der Geschichte. Ihre tolle Geschichte über Burgweinting habe ich genutzt, um das Leben von Tulius und seiner Familie in Niedertraubling anzusiedeln:

4d der Grundschule Burgweinting: Auf den Spuren der alten Römer. In: Mittelbayerische Zeitung online. 02.07.2018. Online: https://www.mittelbayerische.de/junge-leser/ klasse-informiert-nachrichten/auf-den-spuren-der-alten-roemer-24440-art 1665432.html (01.01.2023)

ArcTron: Archäologischer Vorbericht Köfering Erweiterung Weiherbreite. 12.12.2009. Online: https://www.koefering.de/media/39624/archaeologischer-vorbericht.pdf (01.01.2023)

Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege: Denkmalliste Obertraubling. Online: https://geoportal.bayern.de/denkmalatlas/ (01.01.2023)

Fischer, Thomas: Zur Vor- und Frühgeschichte der Gemeinde Obertraubling (Beiträge zur Geschichte des Landkreises Regensburg, Heft 28), Regensburg 1982. Online: https://www.heimatforschung-regensburg.de/ 162/ 1/BGLR28.pdf (01.01.2023)

Leusch, Peter: Multi-Kulti in der Antike. Deutschlandfunk vom 10.7.2008. Online: https://www. deutschlandfunk.de/multi-kulti-in-der-antike.1148.de.html?dram:article_id=180211 (01.01.2023)

Schmid, Diethard: Regensburg II. Das Landgericht Haidau-Pfatter und die pfalzneuburgische Herrschaft Heilsberg-Wiesent – Historischer Atlas von Bayern (HAB, Altbaiern 66: Regensburg II). München, 2014.

Stadt Regensburg (Hrsg.): 5000 Jahre Kultur in Burgweinting (Kulturführer 18). Regensburg, 2016.

Voegtle, Simone: Dein Gott ist ein Esel. Griechische und römische Tierkarikaturen als Spiegel antiker Wertvorstellungen. Bern, 2013. Online: https://boristheses.unibe.ch/1009/ (01.01.2023)

Zum Weiterlesen für Kinder

Auer, Margot: Verschwörung am Limes. Köln, 2014.

Memminger, Josef: Pauls irre Reise durch die Zeit. Ein Streifzug durch das Welterbe Regensburg. Regensburg, 2011.

ROTRAUD, DIE BAJUWARIN, UND DAS LEBEN NACH DEM TOD (590)

Aufgrund der wenigen schriftlichen Quellen ist für die Erforschung der bajuwarischen Zeit die Archäologie von besonderer Bedeutung. Das ist auch in Niedertraubling so, wo die Archäolog*innen ein Reihengräberfeld fanden. In den dortigen Frauen- und Männergräbern aus dem sechsten und siebenten Jahrhundert wurden Grabbeigaben gefunden, die über das Leben der Menschen erzählen. Eine von ihnen war Rotraud, die sich an einem Frühsommertag ihre eigenen Gedanken über Leben und Tod machte.

*

Rotraud stand neben ihrer Freundin Ramhild auf und schüttelte kurz ihre Beine aus. Jetzt merkte sie, dass sie schon eine ganze Zeit hier gehockt hatte, mit der Wäsche. Als die Sonne heute Morgen herausgekommen war, lichtspendend und wärmend, waren sie gemeinsam zum Bach gegangen. Es war immer etwas leichter, die Kleidung und Tücher zu säubern, wenn es nicht kalt oder regnerisch war. Sie hatten die einzelnen Stücke gewässert, geschrubbt und geschlagen. Und nun waren sie endlich fertig, hatten alles auf den Sträuchern und am Boden ausgebreitet, damit die Sonne die Kleidung trocknen konnte. Endlich kam der schönere Teil des Tages und Rotraud freut sich besonders darauf.

Die beiden gingen ein Stück flussabwärts. Dort lag eine verborgene Badestelle, von der alle wussten, dass sie den Frauen gehörte. Sie entledigten sich ihrer Kleidungsstücke, die mit kleinen Fibeln und einem Gürtel zusammengehalten wurden, und wateten in das kühle Nass. Wie schön es war, sich in das Wasser hineinzulegen und das Fließen und Gurgeln zu spüren. Das Wasser zerrte an ihren Haaren. Rotraud blickte in den Himmel. Einige Tränen stiegen in ihre Augen. Vielleicht war er nun da, der Vater, den sie vor einer Woche zu Grabe getragen hatten.

Am Rande des Dorfes lagen die Gräber der Verstorbenen fein säuberlich in einer Reihe. In jedem hat ein*e Nachbar*in, ein*e Verwandte*r oder ein*e Dorfbewohner*in seine letzte Ruhe gefunden. Immer war ein solches Begräbnis eine bewegende Angelegenheit. Dieses Mal waren ihre Mutter und die Geschwister verantwortlich gewesen. Auch die weitere Familie hatte Vorstellungen über die Beisetzung geäußert. Erst war der Leichnam des Vaters aufgebahrt und sein Tod beklagt worden. Dann waren sie in einer kleinen Prozession zum Ort des Begräbnisses gegangen. Dort hatten sie sich vom Vater verabschiedet und schließlich war die Leiche in das Grab gesenkt worden, ausgerichtet von West nach Ost, der aufgehenden Sonne zugewandt. Er hatte, fast als schliefe er nur, auf einer weichen Unterlage gelegen, ausgestreckt auf dem Rücken. Seine Arme wurden ihm gerade und eng an den Leib gelegt. Er hatte seine beste Kleidung angehabt und sie hatten dafür gesorgt, dass seine wichtigste Ausrüstung – Spatha (Schwert), Lanze und Pfeile – neben ihm deponiert wurde. So war er für sein Leben im Jenseits gut gerüstet.

Rotraud konnte den Gedanken an den Tod nicht gleich verscheuchen. Wenn es einmal bei ihr so weit wäre, würden sie ihr hoffentlich ihren Steckkamm, die Perlen und vor allem den Anhänger mit der Kaurischnecke mitgeben. Letzterer war ihr liebster Schmuck, ein Symbol für Fruchtbarkeit, und immer würde sie daran erkannt. Innerlich bat sie inständig, dass sie noch lange leben würde. Bei so vielen Frauen war es nur eine Frage der Zeit, bis sie bei oder nach der Geburt eines Kindes starben. Sie kannte einige Frauen, denen es so gegangen war.

Kein Wunder, dass sie Respekt vor Schwangerschaft und Geburt hatte. Jetzt noch mehr, da sich ihr Bauch schon deutlich wölbte. Im Herbst hatte sie Tassilo geheiratet und war nun schwanger mit dem ersten Kind. Sie überlegte, was das Leben wohl bringen mochte für das kleine Mädchen oder den kleinen Jungen, der in wenigen Wochen zur Welt kommen würde. Viel wandelte sich nicht in ihrer kleinen Welt des Dorfes. Womöglich also würde er oder sie ein ganz ähnliches Leben haben wie sie selbst. Es war kein schlechtes.

Jahreszeiten kamen und gingen, am Ende des Sommers gab es meist reichliche Ernte, im Herbst dörrten sie Obst für den Winter und jagten, im Winter saßen die Frauen beim Spinnen beieinander, sie fertigten Schmuck. Man reparierte Gerätschaften und hoffte, dass die Vorräte bis zum Frühling reichten, wenn es wieder hinausging auf die Felder oder zum Hüten des Viehs.

Nun riss Ramhild sie aus ihren Gedanken und lenkte ihre Aufmerksamkeit auf die Schönheit des Landes, in dem sie zu Hause waren. Die beiden erhoben sich aus dem Wasser, zogen sich am Bachufer an und blieben noch einige Minuten stehen. Die Sonne sank schon langsam und dabei wandelte sich das Licht zu einem orangewarmen Strahlen, das jeden Baum, jedes Haus und alle Felder scharf gegen den Himmel abzeichnete und in wundervolle Farben tauchte. Es war ein liebliches Land, fruchtbar und so flach, dass es sich in Richtung des großen Flusses weit schauen ließ. Auch sie versuchten, lieblich und friedlich zu leben. Doch manche Veränderungen waren da draußen im Gange.

Vor einiger Zeit hatte man erzählt, der Herzog – Garibald hatte er geheißen – sei unterwegs in die große Stadt an der Donau. Sicher war er aus dem Süden über die alte Straße der Römer gekommen. Sie war zwar, wie auch Reganespurc, schon recht verfallen, aber immer noch imposant und besser als die unbefestigten Wege, die sonst das Land durchzogen.

*

Die Existenz von Bajuwaren auf dem Gebiet der heutigen Großgemeinde ist gesichert. In Nieder- und Obertraubling fanden sich bei Ausgrabungen in der Nähe der Bahnstrecke beim Bauhof und dann noch nahe dem Baywa-Gebäude Reihengräberfelder. Auch der Name Traubling mit seiner Endung auf -ing lässt auf eine bajuwarischen Ansiedlung schließen.

So wie grundsätzlich klar ist, dass die Bajuwaren auf dem Gebiet der heutigen Gemeinde gesiedelt haben, so wenig wissen wir über ihre konkrete Lebensweise. Die Bajuwaren waren ein Volk, das in der Mitte des sechsten Jahrhunderts erstmals in schriftlichen Quellen fassbar wird, oft jedoch nur in kurzen Randnotizen. Die wichtigste Quelle – allerdings nicht für das Alltagsleben – ist die Lex baiuariorum, eine Gesetzessammlung. Archäologische Funde kommen hinzu und sind in ihrer Zahl noch wichtiger für das Verständnis der bajuwarischen Kultur. Die Bajuwaren wuchsen als Gruppe wahrscheinlich aus unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen zusammen. Irgendwann im sechsten Jahrhundert erschienen sie als Gemeinschaft mit einem Herzog/König, Tassilo I. Sie siedelten im östlichen und südlichen Bayern und breiteten sich nach Süden – über Teile Österreichs und Südtirols – aus. Regensburg, damals als Reganespurc bezeichnet, war ein wichtiger Stützpunkt für sie. Hierher reisen die Herrscher, um mit anderen Stämmen zu verhandeln, um Rechtsfälle zu klären und ihre Macht zu demonstrieren.

Ihre Eigenständigkeit verloren die Bajuwaren etwa 200 Jahre nach der Lebenszeit der von mir erdachten jungen Frau Rotraud während der Regentschaft des karolingischen Königs / Kaisers Karl dem Großen. Er setzte Herzog Tassilo III. aus der regierenden Familie der Agilolfinger 787 oder 788 ab und verleibte sein Herrschaftsgebiet dem Frankenreich ein.

Für eine Frau aus dem Dorf, wie Rotraud es war, waren all diese politischen Entwicklungen weitgehend irrelevant. In ihrer bäuerlichen Welt ging es um Alltägliches im Rhythmus der Jahreszeiten. Um das Säen und Ernten, das Schaffen von Vorräten und um Handwerkliches, denn es musste das hergestellt werden, was die Gemeinschaft zum Leben benötigte.

In der Geschichte ist Rotraud jung, verheiratet und mit dem ersten Kind schwanger. Schwangerschaft und Geburt, das waren zur damaligen Zeit gefährliche Phasen im Leben einer Frau, bedroht von möglichen Geburtskomplikationen und dem Kindbettfieber. Rotraud nahm dies, was sollte sie auch sonst tun, hin. An dem von mir beschriebenen Tag ist sie mit dem Wäschewaschen beschäftigt. Eine Freundin ist bei ihr, denn dies war Gemeinschaftsarbeit.

Der für die Geschichte erdachte Tod des Vaters führt Rotraud zu den Gedanken an den allgegenwärtigen Tod. Die Leser*innen nimmt er mit zur spärlichen Quellengrundlage der Erzählung. Von den Bajuwaren haben sich nämlich im Gebiet der Großgemeinde nur wenige Hinterlassenschaften erhalten, namentlich Grabbeigaben und Überreste der Grabstrukturen auf Reihengräberfeldern.

Entdeckt wurden die Gräber schrittweise im Jahr 1872 beim Bau der Münchner Bahnstrecke, 1980 bei der Errichtung des Bauhofes und 2003 nördlich davon. Man fand in den Männergräbern, die aus dem sechsten oder siebenten Jahrhundert stammen, gut erhaltene, verzierte ein- und zweischneidige Eisenschwerter, Lanzen, Schnallen und Schildbuckel. Aus den Überresten der Frauengräber barg man kunstvoll gearbeitete Zierscheiben, Kämme aus Elfenbein, Perlketten und Ringe. Bei der Beschreibung der Wünsche von Rotraud bezüglich ihrer Grabbeigaben habe ich mich am Grabbefund 5 laut der Aufstellung der Archäologin Silvia Codreanu-Windauer orientiert, hinsichtlich des von mir beschriebenen Grabes des Vaters an Grab 3 und den Befunden der ersten Grabung aus dem 19. Jahrhundert.

Seit einigen Jahren ist sogar fass- und anschaubar, wie ein Haus in solch einer bajuwarischen Siedlung ausgesehen haben könnte. An der Mittelschule Burgweinting wurde ein bajuwarisches Haus mit den Mitteln der experimentellen Archäologie, also damaligen Rohstoffen und traditionellen Werkzeugen, errichtet.

Zeitlich ist die Geschichte durch die Erwähnung von Garibald I. verortet. Dieser Herzog der Bajuwaren war ein früher Vertreter des Geschlechts der Agilolfinger. Er regierte etwa von 548 bis zu seinem Tod um 593. Garibald I. kam des Öfteren nach Regensburg, der herzoglichen Hauptresidenz. Seine Regentschaft wird für Rotraud kaum etwas bedeutet haben. Für andere Bajuwaren jedoch viel, vor allem, wenn sie sich entschlossen, in den von Garibald neu arrondierten Gebieten weiter im Süden zu siedeln.

AUSFLUGSTIPP

Spuren der Bajuwaren sind im Ortsbild Obertraublings nicht mehr zu finden. Nur in den Ortsnamen auf -ing verbergen sie sich noch. Bajuwarische Funde werden im Historischen Museum Regensburg präsentiert. In Burgweinting führt ein Geschichtspfad von der Villa Rustica zum Bajuwarenhaus und lässt auf 15 Tafeln die Geschichte des Ortes lebendig werden. Das Burgweintinger Bajuwarenhaus kann im Rahmen verschiedener Veranstaltungen besichtigt werden, auch Workshops werden dort angeboten. Wer noch mehr bajuwarische Geschichte erleben will, fährt ins Freilichtmuseum Bajuwarenhof in Kirchheim, östlich von München.

Literatur

Brather, Sebastian: Bestattungsrituale (Frühmittelalter/archäologisch). In: Historisches Lexikon Bayerns. Online: http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/bestattungsrituale_(Frühmittelalter/archäologisch) (05.02.2023)

Codreanu-Windauer, Silvia. Unter die Räder gekommen ... Das bajuwarische Gräberfeld von Niedertraubling. In: Husty, Ludwig u.a. (Hrsg.): Zwischen Münchshöfen und Windberg. Gedenkschrift für Karl Böhm. Rahden, 2009. S. 281–299.

Fink, Hans: Tassilo und Ganaruna. Brixen, 1989.

Gemeinde Kirchheim bei München (Hrsg.): Geschichte der Bajuwaren. Online: https://www.bajuwarenhofde/die-geschichte-der-bajuwaren (31.01.2023)

Lenz, Katharina (Hrsg.): Burgweinting. Vom Dorf zum Regensburger Stadtteil. Regensburg, 2019.

Rieder, Karl Heinz: Kipfenberg. Römer und Bajuwaren im Altmühltal. Regensburg, 2020.

Schiener, Anna: Kleine Geschichte der Oberpfalz. Regensburg, 2011.

Störmer, Wilhelm: Die Baiuwaren. Von der Völkerwanderung bis Tassilo III. München, 2007.

Zum Weiterlesen für Kinder

Fink, Hans: Tassilo und Ganaruna. Brixen, 1989. (nur antiquarisch)

Breuer, Petra / Bagley, Jennifer: Kirchheimer Geschichte(n) für Kinder. München / Aschheim, 2020. (unterwegs mit Tassilo, dem bajuwarischen Jungen)

LEOPOLD, DER BAUER, UND DER KÖNIG (857)

In das neunte Jahrhundert fällt die offizielle Geburtsstunde von Obertraubling. Das bedeutet, hier erscheint der Ort erstmals in einer schriftlichen Quelle, die seine Existenz bezeugt. Im frühen Mittelalter ist Obertraubling landwirtschaftlich geprägt: Hier arbeiteten Bauern für unterschiedliche weltliche oder geistliche Herrschaften, die das Gebiet besaßen, es tauschten, veräußerten, kauften und in jedem Fall bewirtschafteten. Der baierische und später ostfränkische König Ludwig der Deutsche hielt sich besonders häufig in Regensburg auf und wird – wohl von ihm unbemerkt – auch heutige Gemeindeteile auf seinem Weg durch sein Reich durchmessen haben.

*

Was heute wieder los war? Leopold stützte sich auf seine Hacke und blinzelte zur Straße hinüber. Sie war voller Menschen. Der Lehm klebte an seinen Füßen, er hatte Durst an diesem sonnigen Sommertag und eine kurze Verschnaufpause war ihm ganz recht. Die Straße war voller Leute: Zu Fuß oder auf dem Pferd waren sie unterwegs. Einige saßen auf Ochsenkarren, sogar Wägen gab es. Er kannte die staubige Straße, die nach Süden und Norden führte, seit seinen Kindertagen. So viel Verkehr hatte es hier selten gegeben.

Was war besonders an seinem Flecken Hinchoven? Und auch an Gebelchoven im Süden, wo seine Schwester hin verheiratet war, und an Traubidinga, das im Osten lag? Sie hatten kaum etwas zu bieten außer Felder. Trotzdem dieser Auflauf.

Als er sich der Straße näherte, wurde ihm klar: Hier war eine wichtige Person unterwegs. Vielleicht sogar der König? Von ihm hatte er schon mal gehört. Er sollte der Herrscher über das ganze Reich sein. Das spielte in seinem Leben allerdings keine Rolle, er gehorchte seinem Herrn. Das war, so hatte man ihm im Dorf erzählt, erst Baturich, der Abt des Klosters St. Emmeram in Radaspona, gewesen. Doch dann hatte der das Land dem Edlen Maurentius gegeben. Den König hatte er sich nur gemerkt, weil er den gleichen Namen trug wie sein Bruder.

Doch dann geschah es: Von der Ferne sah Leopold, wie ein teuer gewandeter Mann vom Pferd stieg. Es schien fast, als glitzere seine Kleidung im Sonnenlicht. Um den Oberkörper war ein blaues Tuch geschlungen. Leopold schaute an sich herab: Wadenwickel und Tunika aus Leinen hielten zwar Dreck und harte Arbeit aus, schön waren sie aber nicht.

Nun näherte sich ein junger Mann, offenbar ein Bediensteter, aus dem Tross. Leopold senkte den Blick, doch nicht rasch genug. Der Mann fragte ihn freundlich: „Wohl neugierig, was?“ Jetzt musste Leopold seine Chance nutzen und herausfinden, wer es war. Er ließ sich erzählen, dass es tatsächlich König Ludwig der Deutsche war. Schon seit 21 Tagen seien sie unterwegs. Der Zug käme aus Trient in Italien.

Dann erzählte der Mann von all den Orten, die sie schon passiert hatten: Veldidena, Masciacum, Pons Aeni, Jovisura. Keiner der Namen sagte Leopold etwas. Nur als am Ende Radaspona als Ziel genannt wurde, horchte er auf. Einmal war Leopold selbst schon in der großen Stadt Radaspona am Donauufer gewesen, wo der Bischof saß und Kirchen und Klöster vom Reichtum der Adligen berichteten. Kaiser Ludwig würde dort seine Frau Hemma besuchen, die sich des Klosters Obermünster angenommen hatte.

Dann holte der Mann einige gelborange getrocknete Früchte aus einem Beutel und schenkte sie Leopold: Aprikosen nannte er sie und versicherte ihm, sie seien eine köstliche Gabe aus dem fernen Italien. Noch während er die süß duftenden Früchte bewunderte, beschloss er, gleich nach der Arbeit die Familie zusammenzurufen, um ihnen zu erzählen, was ihm Unglaubliches passiert war.

*

Das neunte Jahrhundert ist eine quellenarme Zeit. Nur wenig wissen wir über das Leben der „einfachen“ Menschen in Obertraubling und Umgebung. Ein wenig zur Kleidung ist überliefert, auch über Wohnformen und die Ernährung kann man – vor allem archäologisch – etwas herausfinden. Anhaltspunkte geben uns außerdem die Forschungen über die Herrscher aus dem Geschlecht der Karolinger, über die Entwicklung der Stadt Regensburg und nicht zuletzt die „Geburtsurkunde“ von Obertraubling.

Obertraubling erscheint in den Geschichtsbüchern erstmals in den zwanziger Jahren des neunten Jahrhunderts, als zwischen dem Bischof Baturich von Regensburg und dem Adeligen Maurentius in einer Urkunde ein Landtausch vereinbart wurde. Maurentius erhielt „Traubidinga“ – vermutlich eher Nieder- als Obertraubling –, Baturich bekam Gebiete um das heutige Hagelstadt. Welches Gebiet das ganz genau umfasste, wissen wir heute nicht sicher. Die Ortsnamen „Hinchoven“ und „Gebelchoven“ (im 13. Jahrhundert) sind jedenfalls erst viel später belegt.

Klar ist aber, dass die erste Nennung nicht der Zeitpunkt der Dorfentstehung war. Ortsnamen auf -ing verweisen auf eine bajuwarische Besiedlung, also schon früher. Und auch Namensbildungen mit -kofen sind wohl älter als diese erste Nennung von Teilen der heutigen Großgemeinde.

Nach dem ersten offiziellen Erscheinen wurde es jedenfalls nicht ruhiger: Womöglich 831 hat Hemma, die Gemahlin des Königs Ludwig des Deutschen, das heutige Obertraubling dem Frauenstift Obermünster als Schenkung überlassen.

Der Karolinger Ludwig der Deutsche, ein Enkel Karls des Großen, war seit 817/826 Unterkönig von Baiern und ab 843 König des Ostfrankenreichs. Es ist nicht bekannt, wie er aussah, doch ein Bildnis seines Vaters Ludwig des Frommen aus der entsprechenden Zeit lässt vielleicht erahnen, was Könige damals trugen. In einer vatikanischen Handschrift sieht man den König als Ritter Christi rot und blau gewandet mit einem Heiligenschein.

In Regensburg hielt er sich öfter auf, es war wohl neben Frankfurt eine seiner Residenzstädte. Auch seine fromme Frau Hemma lebte hier. Sonst aber reiste er durch sein Königreich, das Teile des heutigen Deutschland, Österreich, Italien, Tschechien, Slowenien und der Schweiz umfasste. Schließlich musste er sich überall zeigen, um seine Macht zu repräsentieren. Diese Form der Herrschaft wird auch Reisekönigtum genannt. Für seine Reisen benutzte er verschiedene „Königswege“. Teilweise waren das alte römische Straßen, aber auch neuere Verbindungen, die wichtige Orte miteinander verbanden. Eine dieser „viae regiae“ führte über Thalmassing, Gebelkofen, (Ober)Hinkofen, Scharmassing, Oberisling und über den Galgenberg (damals noch vor den Toren der Stadt) nach Regensburg.

Auf ihr war Ludwig der Deutsche nachweislich im Sommer 857 unterwegs, als er von Trient nach Regensburg reiste. Wer vermag zu sagen, ob der Leopold der Geschichte ihn dabei nicht kurz vor der Ankunft gesehen hat? Und warum sollte der Bedienstete nicht einen Schritt auf Leopold zugemacht und ihm alles erzählt haben? Auch eine getrocknete Aprikose könnte er dabeigehabt haben, da das Obst seit römischen Zeiten in Italien ebenso verbreitet war wie der Pfirsich.

AUSFLUGSTIPP

Zwar kann man das ehemalige Damenstift Obermünster nicht besichtigen, aber das frühere Damenstift Niedermünster ist erschlossen. Es ist nur mit einer Führung zu sehen, das Ganze nennt sich document Niedermünster und ist eine multimediale Ausstellung. Die Kunstsammlungen des Bistums Regensburg haben viele Angebote für Erwachsene und besonders für Kinder, die das mittelalterliche Regensburg zum Leben erwecken.

Literatur

Fendl, Josef: 900 Jahre Birkenfeld – Neutraubling. Zwei Kapitel bayerischer Siedlungsgeschichte. In: Verhandlungen des Historischen Vereins für Oberpfalz und Regensburg 109 (1969). S. 169 – 182.

Flachenecker, Helmut: Die deutschen Königspfalzen. Repertorium der Pfalzen, Königshöfe und übrigen Aufenthaltsorte der Könige im deutschen Reich des Mittelalters. Bd. 5.1.2 Bayern, Altbayern, Regensburg. Göttingen, 2020.

Freitag, Matthias: Regensburg. Kleine Stadtgeschichte. Regensburg, 2016.

Grathoff, Stefan: Reisen im Mittelalter. Online: https://www.regionalgeschichte.net/bibliothek/aufsaetze/grathoff-glossarartikel/reisen-im-mittelalter.html?L=0 (01.01.2023)

Handschrift: Codex Vaticanus Reginensis latinus 124, folio 4 verso (Bildnis von Ludwig dem Frommen)

Appl, Tobias: Von Bayern nach Italien. Die Wege der karolingischen Königszüge über die Alpen. In: Herz, Peter / Schmid, Peter / Stoll, Oliver (Hrsg.): Handel, Kultur und Militär: Die Wirtschaft des Alpen-Donau-Adria-Raumes. Berlin, 2011. S. 25-52.

Morsbach, Peter: Das Reichsstift Obermünster in Regensburg - Gründung der Karolinger. Online: http://www.hdbg.eu/kloster/index.php/detail/geschichte?id=KS0339 (10.03.2023)

O.V.: Hemma. In: Stadler, Johann Evangelist u.a. (Hrsg.): Ökumenisches Heiligenlexikon. Online: https://www.heiligenlexikon.de/Stadler/Hemma_Emma.html https://www.heiligenlexikon.de/Stadler/Hemma_Emma.html ( 10.03.2023)

Schmid, Peter: Regensburg. Stadt der Könige und Herzöge im Mittelalter. Kallmünz, 1977.

Ried, Thomas: Codex chronologico-diplomaticus Episcopatus Ratisbonensis. Band 1. Regensburg 1816. Online: https://www.heimatforschung-regensburg.de/37/1/Ried_I.pdf (01.01.2023)

Tauschurkunde zwischen Bischof Baturich von Regensburg und dem Adeligen Maurentius. 826-840. Online: https://www.monasterium.net/mom/DE-BayHStA/KURegensburgStEmmeram/000005/charter (01.01.2023)

Zum Weiterlesen für Kinder

Barillé, Albert: Es war einmal... der Mensch – Folge 9: Die Karolinger. Hörbuch oder DVD.

Kinderzeitmaschine: Die Karolingerzeit. Online: https://www.kinderzeitmaschine.de/mittelalter/fruehmittelalter/ereignisse/die-karolingerzeit (01.01.2023)

Kinderzeitmaschine: Wo lebten die Könige? Online: https://www.kinderzeitmaschine.de/ mittelalter/hochmittelalter/lucys-wissensbox/reich-und-regierung/wo-lebten-die-koenige/ (01.01.2023)

RÜDIGER, DER DICHTER, UND DER SCHLEGEL (1300)

Rüdiger der Hinkhover – heute wäre er Oberhinkofer – hatte eine besondere Gabe. Er war selbst wohl gebildet, doch schrieb er so, dass die Menschen, die seine Erzählung hörten, sich an ihren Alltag erinnert fühlten. Das ist vermutlich der Grund, warum wir heute von ihm wissen. Denn nur wegen seiner immer wieder in Handschriften abgedruckten Mär „Der Schlegel“ und wegen der Bezüge berühmter Dichter auf seine Erzählkunst wissen wir heute von ihm.

*

Elisabeth lag in ihrem Bett und dachte nach. Um sie herum waren die friedlichen Schlafgeräusche der Schwestern zu hören. Doch sie konnte nicht schlafen.

Am Abend war sie, die 14-Jährige, dafür verantwortlich gewesen, dem Vater und seinen Gästen Getränke und Becher zu bringen, die Kerzen anzuzünden und etwas zum Essen vorzubereiten. Heute war ein besonderer Gast unter den Anwesenden gewesen: ein Regensburger Fernkaufmann. Wie ihr Vater den wohl kennengelernt hatte?

Die Männer hatten über dies und das gesprochen. Elisabeth war klar, dass sie nicht Teil dieser Runde war. Deshalb hatte sie versucht, unbeteiligt und gleichzeitig geschäftig auszusehen. So, dass es nicht auffiel, wenn sie dem Reden noch ein wenig lauschte. Schließlich war es gar zu interessant gewesen, was der Fernkaufmann heute von einem gewissen Rüdiger von Hinkhoven erzählt hatte, der kürzlich etwas für ihn geschrieben hatte.

Sie hätte gewusst, wenn dieser Rüdiger bei ihnen im Dorf gelebt hätte. Aber offenbar wohnte er trotz seines Namens nicht oder nicht mehr hier, sondern in der nahen Stadt, Regensburg. Wie gern wäre Elisabeth auch einmal dorthin gegangen. Aber das war unvorstellbar.

Dieser Rüdiger aber hatte Hinkhoven wohl den Rücken gekehrt und war ein Schreiber geworden. Der Fernkaufmann beschrieb ihn als wissbegierig, zuverlässig und schnell. Kein Wunder, dass er eine Anstellung gefunden hatte. Wer konnte schon lesen und schreiben? Elisabeth dachte sich, dass man das ja auch fast nie brauchte, wenn man mit den Tieren oder im Garten arbeitete. Aber es wäre schon spannend gewesen, selbst einmal in die Bibel schauen zu können und zu sehen, ob der Pfarrer wohl auch richtig vorlas, was dort geschrieben stand.

Elisabeth merkte, wie ihre Gedanken abdrifteten. Dabei war das eigentlich Spannende des Abends doch die Geschichte gewesen, die der Fernkaufmann erzählt hatte. Sie war wohl von diesem Rüdiger, der nicht nur im Auftrag der Städter schrieb, sondern sich auch selbst phantasiereiche Erzählungen ausdachte. So wie es Elisabeth auch tat. Nur würde ihre niemals jemand kennen, denn weder berichtete sie einem Menschen davon, noch konnte sie sie aufschreiben.