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Die lebenstüchtige selbständige Steuerberaterin und alleinerziehende Mutter Cecilia leidet seit einem halben Jahr unter extremen Angst- und Panikstörungen, die sie so weit beeinträchtigen, dass sie nicht mehr fähig ist, ihren Beruf auszuüben und einen normalen Tagesablauf zu bewältigen. Wurden im ersten Teil im Rahmen von 25 Therapiestunden die Hintergründe der Panikattacken aufgearbeitet, so beschäftigt sich der zweite Teil hauptsächlich mit den Ursachen, in diesem Fall mit häuslicher Gewalt, und wie Cecilia es schafft, wieder ein selbst-bestimmtes Leben zu führen. Der Roman lehnt sich im zweiten Teil in vielen Details an die persönliche Geschichte der Autorin an, beinhaltet aber auch reale Schicksale von Betroffenen häuslicher Gewalt einer Selbsthilfegruppe, die von einer Psychologin betreut wurde.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Monique Lhoir
Panikattacken
Teil 2
Zweifel, Hoffnung und Vertrauen
Monique Lhoir
Panikattacken
Teil 2
Zweifel, Hoffnung und Vertrauen
Entwicklungsroman
Impressum
Texte: © 2025 Copyright by Monique Lhoir
Umschlag: © 2025 Copyright by Monique Lhoir
Verantwortlich
für den Inhalt: Monique Lhoir
21395 Tespe OT Bütlingen
www.monique-lhoir.de
Druck: epubli – ein Service der Neopubli GmbH,
Berlin
Träume nicht dein Leben,
lebe deinen Traum.
Tommaso Campanella
(1568 - 1639)
bürgerlich: Giovanni Domenico, italienischer Philosoph,
Dominikaner, Dichter und Politiker
Der beste Weg herauszufinden,
ob du jemand vertrauen kannst,
ist ihm zu vertrauen.
Ernest Hemingway
(* 21. Juli 1899 in Oak Park, Illinois; † 2. Juli 1961 in Ketchum, Idaho)
US-amerikanischer Schriftsteller
Vorwort
Im ersten Teil des Romans ging ich gezielt auf die Therapie meiner Panikattacken und deren Auslöser ein. Anhand meines vor 30 Jahren geführten Tagebuches recherchierte ich meine fünfundzwanzig Therapiestunden bei einer hervorragenden Psychologin. Daraus war der schleichende Aufbau des Stresspegels zu erkennen, der schließlich in meine erste heftige Panikattacke mündete. Viele weitere folgten.
Bereits während der therapeutischen Aufarbeitung meiner Vergangenheit gab es viele Anzeichen der Gründe für meine Attacken, die ich nicht bemerkte oder nicht bemerken wollte. Während der Therapie, aber besonders am Ende, stellte die Psychologin fest, dass weniger ich Hilfe benötigte, sondern eher mein Lebensgefährte. Mehr und mehr verdichtete sich die Annahme, dass zwar eine narzisstische Persönlichkeitsstörung vorhanden war, aber er besonders unter Borderline in Kombination mit Autophobie litt, was hätte dringend behandelt werden müssen. Zusätzlich kam sein Alkoholproblem hinzu, das die Kontrolle seines impulsiven Verhaltens erschwerte und die Bereitschaft zur Aggressivität verstärkte, was letztlich dazu führte, dass er mich wiederholt physisch als auch psychisch angriff.
Deshalb beschäftigte ich mich im zweiten Teil zwar mit Panikattacken, aber weitaus mehr mit häuslicher Gewalt in der Partnerschaft, hier aufgrund einer Borderline-Persönlichkeitsstörung in Kombination mit Autophobie. Zusätzlich bediente ich mich realer Schicksale aus einer psychisch betreuten Selbsthilfegruppe und arbeitete sie in den Roman ein, um zu zeigen, wohin häusliche Gewalt führen kann.
In meinem Fall entwickelte ich eine Co-Abhängigkeit, unter anderem wegen falscher Glaubenssätze aus der Kindheit, die zu übersteigertem Verantwortungsbewusstsein, einem ausgeprägten Helfersyndrom und somit zur übermäßigen Opferbereitschaft führten: Ich stellte die Bedürfnisse meines Partners über meine eigenen, war damit überfordert, was sich letztlich in Panikattacken bemerkbar machte.
Übersteigertes Verantwortungsbewusstsein hört sich im ersten Moment für Außenstehende supertoll an, ist aber auf Dauer schädlich für beide Partner. Viele Experten übertragen heute den Begriff Co-Abhängigkeit, der früher für Angehörige von alkoholabhängigen Menschen angewendet wurde, auch auf psychische Erkrankungen wie narzisstische Persönlichkeitsstörungen, Borderline, Depressionen, etc. Psychologisch wird Co-Abhängigkeit neutral verstanden, denn die nahestehenden Menschen möchten im Prinzip nur helfen. Häufig benötigen sie selbst Hilfe, insbesonders um zu lernen, sich abzugrenzen und auf die eigenen Bedürfnisse zu achten, damit sie nicht ernstlichen physischen und psychischen Schaden nehmen.
Zu Beginn solcher Beziehungen glauben viele Partner von Betroffenen, dass es sich beim Fehlverhalten um eine einmalige Ausnahme handelt. Sie bringen Verständnis auf und möchten für den Partner da sein, da sie häufig ein ausgeprägtes Helfersyndrom haben. Sie nehmen ihnen Probleme ab und verheimlichen und rechtfertigen das Verhalten des Betroffenen vor Außenstehenden. Sie ebnen somit den Weg, der Persönlichkeitsstörung ungehindert nachzugehen.
Geschieht das Fehlverhalten häufiger oder bestimmt gar den Alltag, bilden Partner oft einen ausgleichenden Gegenpol, um das Fehlverhalten nach außen hin zu verbergen. Der Partner stellt seine Bedürfnisse hinten an, um die des Betroffenen zu erfüllen. Damit sind Beziehungsstörungen vorprogrammiert. Er vermeidet häufig Konflikte, um die Beziehung nicht zu gefährden. Dabei überschreiten sie oft ihre eigenen Grenzen, um zu helfen und falschen Frieden herzustellen. In vielen Fällen handelt es sich dabei um toxische Beziehungen, die oft von Gewalt und Missbrauch geprägt sind, sowohl psychisch als auch physisch. Hinzu kommen Depressionen, Wut, Scham- und Schuldgefühle, auch Existenzängste. Die Folgen für den Partner sind Schlafstörungen, Magen- und Herzbeschwerden, Angstzustände, Panikattacken, Depressionen bis hin zum Burnout.
Ohne steigenden Leidensdruck sieht der Erkrankte allerdings keinen Grund, etwas dagegen zu tun. Die Persönlichkeitsstörung kann sich ungebremst verschlimmern. Am Ende sind die Partner oft wütend oder resignieren. Im günstigsten Fall reden sie mit ihrer Familie oder engen Freunden, wobei auch der Wunsch nach Trennung aufkommt.
Die Belastungen und das Engagement der Partner eines an einer Persönlichkeitsstörung Erkrankten sollten niemals verurteilt werden, denn sie leisten Enormes. Sie benötigen Verständnis und Unterstützung, anstatt verunsichert oder verurteilt zu werden. Oft ziehen sich Freunde und Familie zurück, im schlimmsten Fall wird ihnen die Schuld am Verhalten eines Betroffenen gegeben. Das ist äußerst fatal.
Doch wie kann der Partner eines Betroffenen aus diesem Kreislauf ausbrechen? Der erste, schwierigste Schritt ist, sich der ungesunden Beziehungsdynamik bewusst zu werden. Unterstützung können Selbsthilfegruppen leisten, um wieder das richtige Gleichgewicht zwischen Fürsorge und Selbstfürsorge zu finden. Das kann jedoch in einigen Fällen zu einer äußerst gefährlichen Gradwanderung werden.
Ist der Partner eines Betroffenen mittlerweile ebenfalls erkrankt, hilft nur noch eine gezielte Psychotherapie, um eigene Verhaltensmuster zu erkennen und zu verändern. Therapien bieten einen geschützten Raum. Hier kann man über die eigenen Erfahrungen sprechen, um neue Wege im Umgang in der Beziehung zu lernen oder sich selbst weiterzuentwickeln, notfalls auch zu trennen.
In Beziehungen, in der häusliche Gewalt dominiert, hilft meist nur die Trennung vom gewalttätigen Partner. Solche Trennungen sind sehr schwierig, aber möglich. Dabei sollte man immer Hilfe in Anspruch nehmen, um sich nicht selbst oder gemeinsame Kinder in Gefahr zu bringen.
Im Jahre 2024 wurden in Deutschland 265.942 Menschen als Opfer von häuslicher Gewalt polizeilich registriert. In diesem Bereich sind fast 80 % der Betroffenen Frauen. In drei von vier Fällen sind Männer die Täter. Statistiken weisen darauf hin, dass die tatsächliche Zahl dreimal so hoch ist, da viele Vorfälle aus Angst, Scham oder anderen Gründen nicht zur Anzeige gebracht werden. Das bedeutet, dass in Deutschland im Durchschnitt alle zwei Minuten ein Mensch Gewalt im sozialen Nahraum erlebt (Quelle u.a. Frauenhauskoordinierung e.V.). Laut Bundesfamilienministerium hat jede vierte Frau in ihrem Leben schon einmal Gewalt durch einen Partner erlebt.
Häusliche Gewalt ist die offizielle Bezeichnung für Gewalt, die zu Hause oder in einer Gemeinschaft passiert. Vor allem Frauen sind davon betroffen. Sie werden von ihren Partnern geschlagen, angebrüllt und gedemütigt. „In längeren Beziehungen besteht meist eine emotionale Abhängigkeit. Diese Frauen trennen sich nicht so schnell. Sie fühlen Schuld, Scham und Angst, sie fürchten, danach keinen neuen Partner zu finden oder dass die Trennung den Partner zu neuer Gewalt provozieren könnte. Auch finanzielle Abhängigkeit spielt eine Rolle“, sagt die Sozialarbeiterin Ev von Schönhueb vom Berliner Frauenraum.
Hat man sich dennoch endgültig zu einer Trennung entschlossen, sollte man einige Dinge dringend beachten:
Hilfe in Anspruch nehmen
Zuerst sollte man sich sicher sein, diesen Schritt konsequent durchzuziehen. Dafür bedarf es professioneller Beratung, rechtlich wie psychosozial. Das geht per Telefon, z.B. rund um die Uhr über das Hilfetelefon des Bundes unter der Nummer 116 016. Inzwischen bieten auch einige Gemeinden professionelle Frauenberatung an. Hier kann man sich ebenfalls erkundigen.
Nicht nur Betroffene von häuslicher Gewalt, sondern auch Angehörige, Freunde oder Kollegen können sich beim bundesweiten Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ unter der kostenfreien Rufnummer 116 016 rund um die Uhr beraten lassen – anonym und sicher auf 18 Sprachen.
Eine Trennung erhöht das Risiko von Gewalt. Daher ist besonders wichtig, die Trennung konsequent durchzuziehen. Das heißt: Profile auf Sozialen Medien löschen, neue Adresse, Handynummer, E-Mail-Adressen geheim halten und Kontakte zu Menschen abbrechen, über die der gewalttätige Partner Auskünfte erhalten könnte. Das ist ein harter Weg, aber oft der einzige, der der Gewalt ein Ende setzt.
Für manche Frauen ist es schwierig, unbemerkt einen Beratungstermin wahrzunehmen. Deshalb sollten sich Frauen eine neue E-Mail-Adresse zulegen. Auch hier bietet das Hilfetelefon des Bundes unkompliziert Hilfe an.
Beweise sichern
Häusliche Gewalt ist vielseitig: Sie umfasst finanzielle Kontrolle, körperliche Verletzungen, sexuelle Gewalt, auch Drohungen und Erniedrigungen. Ein blaues Auge oder blaue Flecken kann man fotografieren, aber gebrochene Rippen und innere Verletzungen sollten dokumentiert werden. Deshalb ist es ratsam, z.B. in Gewaltambulanzen vorstellig zu werden. Hier können die Verletzungen kostenlos rechtsmedizinisch untersucht und dokumentiert werden – auch ohne Anzeige bei der Polizei. Sie werden auch dort weiter beraten.
Alles aufschreiben, Nachrichten weiterleiten
Häufiger als Schläge sind Erniedrigungen, Manipulationen, Drohungen. Nach einer repräsentativen Befragung aus dem Jahr 2023 hat mehr als die Hälfte der Frauen schon einmal psychische Gewalt durch ihren Partner erfahren. „Die betroffenen Personen bezweifeln oft im Nachhinein, dass alles so schlimm war und haben danach selbst das Gefühl, sie übertreiben“, sagt eine psychosoziale Beraterin der BIG-Hotline (https://www.big-hotline.de/). Um sich selbst sicher zu sein, sollten Sie alles Gesagte aufschreiben und auch, welche Emotionen das in Ihnen ausgelöst hat. Ebenfalls, wie die gewalttätige Person aufgetreten ist. Zusätzlich sollten alle Nachrichten oder Mails, die Drohungen enthalten, gespeichert und an eine Freundin geschickt werden.
Neues Konto einrichten
Bei geplanter Trennung sollte man rasch ein eigenes Konto einrichten. Möglichst vor der Trennung, spätestens kurz danach, denn wenn man finanziell von dem Partner abhängig ist und kein eigenes Einkommen hat, wird ein Konto benötigt, um später staatliche Unterstützung zu erhalten.
Den Partner auf Distanz halten
Wird ein Partner gewalttätig, kann er zum Gehen gezwungen werden. Ein Polizeieinsatz löst die Gewaltsituation auf. Im günstigsten Fall wird die gewalttätige Person weggewiesen. Unter polizeilicher Aufsicht darf sie einige Sachen packen, muss den Wohnungsschlüssel abgeben und die Wohnung verlassen. Opfer könnten dann bis zu 14 Tage in ihrer Wohnung bleiben, ohne dass die weggewiesene Person diese wieder betreten darf.
Notfalltasche packen
Wenn man die gemeinsame Wohnung verlässt, kehrt man vielleicht nie wieder zurück. Deshalb ist es wichtig, vorher einige Dinge einzupacken: Das sind z.B. Kleidung und Dinge, an denen man hängt. Wichtig sind Personalausweis oder Reisepass, Führerschein, Heiratsurkunde, Geburtsurkunde (auch der Kinder), evtl. Aufenthaltsgenehmigung, Bescheinigungen über Sozialhilfe, Steuerdokumente, evtl. auch den aktuellen Mietvertrag, Versicherungen etc.
Die meisten Frauen verlassen die Wohnung in dem Moment spontan, wenn der Partner gerade gewalttätig geworden ist. Deswegen ist es ratsam, eine Notfalltasche bei einer Vertrauensperson zu hinterlegen, worin man auch Kopien der Dokumente stecken kann. Das gilt auch für einen zweiten Wohnungsschlüssel. Hilfe über Freunde ist im Notfall schneller zu erhalten, als nachts einen Platz in einem Frauenhaus zu bekommen. Hier gibt es z.B. eine Check-Liste, die sehr hilfreich ist: https://www.gewaltschutz.info/mobil/download/de/sicherheitsplan.pdf
Wie können Freunde, Familie, Nachbarn, Kollegen, Vorgesetzte Anzeichen für häusliche Gewalt erkennen?
Häusliche Gewalt ereignet sich meist hinter verschlossenen Türen. Dennoch gibt es Anzeichen, dass jemand betroffen sein könnte. Folgendes können Warnsignale sein:
- Häufige Verletzungen, blaue Flecke, Schnitte, Verbrennungen, Prellungen etc., die nicht plausibel erklärt werden können
Arztbesuche: Verletzungen an sichtbaren Stellen wie Armen, Gesicht oder Hals werden mit Unfällen erklärt.
Bei warmen Temperaturen das Tragen von langärmeliger Kleidung, die Arme, Beine und Hals verdecken
Häufiger Krankenstand in der Firma
Plötzliches Tragen von Kopftuch, Sonnenbrille etc.
Die Person wirkt nervös und hat Angst
Ein niedriges Selbstwert- oder Schuldgefühl. Sie suchen häufig die Schuld für Probleme bei sich
Die betroffene Person wirkt gestresst oder depressiv, hat Schlafprobleme, ist erschöpft und zieht sich zurück
Stimmungsschwankungen häufen sich
Die betroffene Person zieht sich sozial zurück, hat keine Zeit mehr für Verabredungen und ständig neue Ausflüchte, warum sie sich nicht mehr mit dir treffen kann
Die betroffene Person trifft ohne Rücksprache mit dem Partner keine eigenen Entscheidungen mehr
Sie hat plötzlich kein eigenes Geld mehr zur Verfügung
Jemand aus deinem Umfeld leidet unter Angst- und Panikattacken oder anderen psychischen Problemen
Jäher Rückzug aus Freundschaften und der Familie. Verabredungen werden abgesagt, Kontakt wird seltener
Die Gewalt ausübende Person kontrolliert, mit wem der Partner spricht, telefoniert und begleitet ihn überallhin.
- Betroffene rechtfertigen das gewalttätige Verhalten: „Er meint es nicht so.“ „Ich darf ihn nicht wütend machen“
Angst vor Anrufen oder Nachrichten: Die betroffene Person wird nervös, wenn ihr Handy klingelt, und muss sofort antworten
Es wird vermieden, über das Zuhause oder die gewalttätige Person zu sprechen
Die betroffene Person bricht häufig in Tränen aus.
Bitte nicht wegschauen.
Im Jahre 2023 wurden 938 Mädchen und Frauen Opfer von versuchten oder vollendeten Tötungsdelikten. Davon wurden 360 Mädchen und Frauen getötet. (Quelle: BKA Lagebericht Geschäftsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten 2023) Davon wurden wiederum 155 Frauen durch Partner oder Ex-Partner getötet, was einem Durchschnitt von fast jedem zweiten Tag entspricht, alle drei Minuten sind Frauen Opfer von häuslicher Gewalt. (Bundeslagebild Häusliche Gewalt BKA). In allen Bereichen sind die aktuellen Zahlen im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Besonders erschreckend ist: Fast täglich wird in Deutschland eine Frau getötet.
Hilfe anbieten
Ich erlebte es selbst, dass sich vermeintliche Freunde zurückzogen mit Begründungen wie „Da mische ich mich nicht ein“, „Da müssen die beiden miteinander klarkommen“, „Das geht mich nichts an“ usw., oder sie ergreifen sogar Partei: „Ja und? Ist sie doch selbst schuld“ und ziehen sich zurück. Ich habe auch schon gehört: „Zeige es ihr mal ordentlich, damit sie lernt, wo es lang geht.“
Gewalt gegen Frauen darf nicht als Beziehungstragödie oder Eifersuchtsdrama verharmlost werden, sondern ist ein gesellschaftliches Problem, das anerkannt werden muss. Deshalb:
- Sprich die betroffene Person an: „Ich mache mir Sorgen um dich. Geht es dir gut?“
- Oft braucht die Person Zeit, über ihre Erlebnisse zu sprechen. Geduld haben.
Zwing die Person nicht, sich zu öffnen – sie könnte Angst vor neuerlicher Gewalt haben.
- Signalisiere: „Egal was ist – du kannst mit mir reden, wenn du bereit bist.“
- Frag unverbindlich: „Darf ich etwas für dich tun? Ich kann mit dir zu einer Beratungsstelle gehen.“
Nenne die offizielle Nummer des Hilfetelefons für Frauen (116 016) oder für Männer (0800 1239900).
Falls du vermutest, dass die betroffene Person in akuter Gefahr ist, ruf sofort die Polizei (110)!
Wenn Kinder betroffen sind, hilft das Jugendamt.
Ich machte mir in den ganzen Jahren viele Gedanken über die heutige Rolle der Frau in der Gesellschaft, der Soziologie sowie der Politik. Diese Rolle ist vielfältig und beinhaltet eine große Bandbreite an Rollen, die Frauen täglich erfüllen. Deshalb ist es umso unverständlicher, dass häusliche Gewalt heutzutage eine so große Rolle spielt und die Zahlen von häuslicher Gewalt in die Höhe schießen, besonders die Tatsache, dass fast jeden zweiten Tag ein Mann seine (Ex-)Partnerin tötet oder fast alle zwei Minuten Frauen und Mädchen Opfer von häuslicher Gewalt werden. Hier ist besonders die Politik gefragt. Aber das wird wohl schwierig, da die meisten Posten von Männern besetzt sind und wer sägt schon gerne am eigenen Ast, wenn er damit seine Bequemlichkeit, die die Opferbereitschaft der Frau ihm bietet, und sein Patriarchentum aufgeben muss. Trotz dem vielen Gerede über Gleichstellung, ist die Gleichberechtigung der Frau noch lange nicht erreicht. Da hapert es an vielen Ecken und Kanten.
Ich habe inzwischen nach dreißig Jahren mein eigenes Schicksal verarbeitet und festgestellt, dass ich nur eine von vielen Hunderttausenden pro Jahr allein in Deutschland war. Das beruhigt mich gar nicht, sondern ich empfinde es als umso schlimmer. Vor allem, weil die psychischen und zum Teil auch physischen Nachfolgeschäden bei Betroffenen kaum erwähnt werden. Und die sind gravierend.
So schrieb ich diesen Roman mit dem Wunsch, dass er vielen Opfern Hoffnung macht, Kraft schenkt und aufzeigt, dass nach einem endlosen Tief auch wieder ein Hoch kommen kann.
Ihre
Monique Lhoir
01 Cecilia – Intro
Die lebensfrohe und erfolgreiche Steuerberaterin sowie alleinerziehende Mutter Cecilia von Campen aus Düsseldorf lernte im April vor sechs Jahren den französischen Animateur und Segellehrer René im Urlaubsclub von Font de Sa Cala auf Mallorca kennen. Bereits ein viertel Jahr später zog er auf Drängen seiner Eltern zu ihr nach Düsseldorf. Die Verbindung ist von großen Schwierigkeiten geprägt. Da René nur den Beruf des Segellehrers und Animateurs in der ganzen Welt in Urlaubsclubs ausgeübt hat, gibt es für ihn in Düsseldorf kein Tätigkeitsgebiet, um Geld zu verdienen. Er versucht sich in verschiedenen Bereichen, scheitert mehrfach, macht enorme Schulden und wird straffällig.
Cecilia besitzt ein übersteigertes Verantwortungsbewusstsein und ein sogenanntes Helfersyndrom. Sie fühlt sich an Renés Scheitern mitschuldig und deckt sein Verhalten beziehungsweise gleicht selbstlos die Verbindlichkeiten und Schulden aus. Zusätzlich leidet sie unter den wechselhaften Gemütszuständen ihres Lebensgefährten. Die Schwierigkeiten steigen ins Unermessliche und enden für Cecilia schließlich nach fünf Jahren in einen kompletten Nervenzusammenbruch. Ein Neurologe bescheinigt ihr nach intensiven Untersuchungen eine generalisierte Angst- und Panikstörung. Damit ist nun auch ihre Existenzgrundlage gefährdet, denn sie ist nicht mehr fähig, ihre Arbeit als selbständige Unternehmens- und Steuerberaterin angstfrei auszuführen noch allgemeine Arbeiten zu erledigen.
In einer Therapie bei der Psychologin Dr. Claudia Wöllner arbeitet Cecilia in fünfundzwanzig Therapiestunden die schwierigen letzten fünf Jahre auf. Langsam lernt sie, was Verantwortung tatsächlich bedeutet und dass nicht sie für das Verhalten Renés sowie seine Vergangenheit verantwortlich ist. Danach ist Cecilia soweit wieder in der Lage, ihren Beruf nachzugehen, sich um ihren Sohn zu kümmern, ihre Hobbys auszuüben sowie auch Einkäufe und Alltagstätigkeiten zu erledigen.
Cecilia hat, wie sie selbst nach den Therapiestunden sagt, ihr Leben und ihre Träume in den letzten fünf Jahren verloren, weiß nicht genau, wo sie steht und wie sie ihr altes Ich wiederfinden kann.
In den Therapiestunden erwähnte Cecilia mehrmals eine Ruine in Font de Sa Cala, die für sie der einzige Ort sei, an dem sie Sicherheit und Geborgenheit fühlt und an der sie ihren Träumen nachgehen konnte.
Die Therapeutin rät ihr nach fünfundzwanzig Therapiestunden zu dem Rückzugsort in Font de Sa Cala zu reisen, um sich dort über ihre Zukunft klar zu werden und für ihr weiteres Leben einen Weg ohne Angst und Panik zu finden. Die Therapeutin nennt es so: Noch einmal dort zu beginnen, wo Cecilia vor sechs Jahren gestanden hat, nur dieses Mal einen anderen Weg zu nehmen, also nicht rechtsherum, sondern ganz einfach linksherum zu gehen. Sie rät ihr, neugierig zu bleiben und mutig vorwärtszuschreiten sowie interessiert in die Zukunft zu blicken und sich überraschen zu lassen, wohin dieser andere Weg sie führen wird. Aber vor allen Dingen soll Cecilia erkennen, dass nicht alles Schicksal ist und man sich nicht fügen muss, sondern dass sie ihren Weg eigenständig bestimmen kann.
Und plötzlich weißt du:
Es ist Zeit, etwas Neues zu beginnen
und dem Zauber des Anfangs zu vertrauen.
Meister Eckhart
(* 1260 - †1328)
Thüringischer Theologe und Philosoph.
02 Reiseplanung
Tief in Gedanken versunken fuhr ich nach der letzten Therapiestunde nach Hause. Der Rat meiner Therapeutin klang verlockend. Durch das Telefonat mit Karl-Heinz und die Zusage einer Unterkunft sah ich meine Kraftquelle, meinen Rückzugsort, meine Ruine in Font de Sa Cala in greifbarer Nähe. Ich konnte förmlich die von der Sonne gewärmten Steine fühlen und das salzige Meer riechen, spürte die Sonne auf meiner Haut und die wohlige Geborgenheit, die das Haus ausströmte, durch meinem Körper rieseln.
Aber wie sollte ich nach Font de Sa Cala auf Mallorca kommen? Fliegen kam auf gar keinen Fall in Frage und allein der Gedanke, eine solche Tour von Düsseldorf aus mit dem Auto zu unternehmen, bereitete mir eine große Angst. Sofort brach mir kalter Schweiß aus und ich bekam feuchte Hände. Wie gelernt zählte ich beim Einatmen langsam bis vier, hielt kurz den Atem an, und zählte beim Ausatmen genauso langsam bis sechs. Nach dem elften Mal beruhigte sich mein Herzschlag und die aufkeimende Panikattacke war erfolgreich gemeistert. Ich klopfte mir mit der rechten Hand auf die linke Schulter. „Gut gemacht“, flüsterte ich dabei. Claudia Wöllner hatte mir zu solchen kleinen Gesten geraten.
Meine Gedanken kreisten weiter. Und gemeinsam mit René dorthin reisen? Nein, das würde ich nicht aushalten. Seine Nähe bereitete mir unangenehme Gefühle und Panikattacken waren vorprogrammiert. Aber allein reisen? Mit dem alten Auto? Was wäre, wenn mir unterwegs etwas passieren würde? Oder wenn ich tatsächlich einen Herzinfarkt erlitt. Schon eine dieser schrecklichen Panikattacken auf einer Autobahn zu erleben, flößte mir erneut Angst ein. Wer würde sich um mich kümmern? Wie gut und intensiv war die ärztliche Versorgung auf Mallorca?
Als ich zu Hause ankam, fuhr ich in die Tiefgarage und anschließend mit dem Fahrstuhl in den obersten Stock zu meiner Wohnung. René war nicht zu Hause. Wahrscheinlich probierte er irgendwo in der Nähe eines seiner gebastelten Modellbauboote aus oder kellnerte in der Altstadt.
Ich ging sofort in mein Arbeitszimmer und suchte in der untersten Schublade meines Schreibtisches nach meinem alten, dicken Timer. In einem Innenfach, das nicht sofort sichtbar war, befand sich das Organzasäckchen. Darin versteckt hatte ich den goldenen Siegelring mit den Initialen CC, den ich an meinem Rückzugsort in Font de Sa Cala vor fast genau sechs Jahren im Felsspalt neben der Ruine gefunden hatte. Ich streifte ihn über. Er war für meine Finger viel zu groß. Doch die Initialen CC passten zu meinem Mädchennamen: Cecilia von Campen.
Am nächsten Tag sprach ich das Thema Osterferien mit meinem Compagnon Jochen Heuer in unserer gemeinsamen Beratungs- und Steuerkanzlei durch.
„Deine Psychologin hat vollkommen Recht“, sagte er. „Du hast tatsächlich seit fast drei Jahren keinen Urlaub mehr gemacht. Nimm auf jeden Fall Tobias mit. Der Junge wird sich bestimmt freuen. Ostern ist ein guter Zeitpunkt. Da haben die Kinder drei Wochen Ferien. Oder mache einfach ein Trainingslager auf und nimm noch ein paar andere Jungs mit. Immerhin bist du inzwischen der absolute Fußballfreak geworden. Ich wette, dann wirst du keine Langeweile in dem Urlaubsclub schieben müssen.“ Er grinste mich unverschämt an.
„Ach Jochen, du nimmst die Angelegenheit viel zu einfach. Es ist wesentlich komplizierter.“ Ich schielte zur Decke und dachte an meine Ängste und an mein halbes Wrack, das sich Fiat Punto nannte.
„Womit hast du Probleme? Du fährst wunderbar Auto, du besitzt viel Verantwortung …“
„Falsch! Ich habe ein übersteigertes Verantwortungsbewusstsein“, warf ich erbost ein.
„Was?“ Jochen schaute mich irritiert an.
„Das sagt meine Psychologin. Ich habe mir den ganzen Schlamassel nur eingehandelt, weil ich ein übersteigertes Verantwortungsbewusstsein sowie ein sogenanntes Helfersyndrom habe, das ich jetzt abbauen muss. Ich ziehe mir ständig Schuhe an, die mir nicht gehören.“
„Aha. Wie dem auch sei.“ Jochen grinste. „Du handelst ausgesprochen verantwortungsvoll, was ich sehr an dir schätze. Ohne dem hätten wir unsere kleine Firma nicht so rasch und erfolgreich aufbauen können. Basta. Außerdem hast du wirklich Ruhe nach dem ganzen Desaster verdient. Also nichts wie los, wenn du mich schon fragst. Ich werde unsere Kanzlei schon nicht in den drei Wochen vor die Wand fahren.“
Jochens Worte taten mir gut. Im Grunde genommen hatte er mir damit die Entscheidung abgenommen. Ich würde einfach Freunde von Tobias mitnehmen. Die Jungs waren alt genug und würden bestimmt auf mich aufpassen, wenn mir unterwegs etwas passieren würde.
Am nächsten Tag beim Fußballtraining sprach ich die Mütter von Manuel und Patrick an. Völlig erstaunt blickten sie drein. Sie konnten mein Angebot nicht glauben, die beiden Jungs kostenlos in den Osterferien mit nach Mallorca zu nehmen. Noch am gleichen Abend riefen mich die Eltern an und sagten freudig zu. Ich wusste, dass die Familien der beiden Kinder sich einen solchen Urlaub nicht leisten konnten, umso aufgeregter waren sie.
Jetzt musste ich mein Vorhaben noch René beibringen. Ich war mir immer noch nicht im Klaren darüber, ob ich nicht im letzten Moment vor der Tour kneifen würde. Zusätzlich scheute ich mich davor, mit ihm zu sprechen, da ich nie wusste, wie er reagieren würde.
Vorsorglich brachte ich an diesem Abend Tobias zu meiner Mutter. Er sollte keinen Streit zwischen René und mir mitbekommen.
Als ich vom Büro nach Hause kam, saß René wie meistens vor dem Fernseher. Ich ging ins Wohnzimmer und setzte mich in einen Sessel. „Ich möchte mit dir reden“, sagte ich verhalten.
„Jetzt?“, fragte er und zog eine Augenbraue hoch.
„Wann sonst. Wir reden seit fast einem halben Jahr nicht mehr miteinander.“ Ich faltete meine Hände im Schoss.
„Zum Reden hast du deine Psychologin, die dir lauter Flausen in den Kopf setzt.“ René schaltete trotzdem den Fernseher leiser.
„Das sind keine Flausen. Du weißt, dass ich sehr krank war. Jetzt geht es mir wieder besser. Dich selbst hat es gestört, dass ich nichts mehr unternehme, nicht mehr mit dir rausfahre, nicht mehr ins Kino oder Theater gehe. Ich muss mir nun mühselig all diese Bereiche wieder neu erobern.“
„Das ist mir bekannt. Ich bin an allem schuld. Du hast es mir oft genug zum Vorwurf gemacht.“
„Ich sagte nie, dass es deine Schuld ist, ich erwähnte, dass die vielen negativen Erfahrungen und Ereignisse in den Jahren unserer Beziehung eine Mitschuld tragen. Meine Psychologin sagte mir ...“
„Ich weiß, was die sagt: Du sollst dich von mir trennen“, unterbrach er mich.
„Ja und nein. Wenn wir eine Beziehung auf Augenhöhe miteinander führen wollen, dann solltest auch du daran arbeiten. Ich muss mich entscheiden, ob ich mich von dir trennen oder mit dir zusammenbleiben möchte. Das ist nicht die Entscheidung meiner Psychologin, sondern ganz allein meine.“ Ich war erstaunt, wie ruhig ich sprach.
„Ach ja? Ich werde dabei nicht gefragt. Mir geht es hervorragend. Ich habe keine Panikattacken, die hast du. Für mich ist klar, dass ich mich nicht von dir trennen will. Wozu auch? Ich benötige keine Psychologin, die mir die Ohren vollquatscht.“ Er zündete sich eine Zigarette an.
„Es ist nicht deine Entscheidung allein. Dazu gehören immer zwei.“ Ich stand auf und lief hin und her. „Ich denke, dass ich jederzeit das Recht habe zu gehen, wenn ich es für mich und mein Wohlergehen für richtig halte.“
„Und mich etwa allein in diesem fremden Land zurücklassen?“ René wurde hellhörig.
„Ich lasse dich nicht in einem fremden Land allein zurück. Du lebst hier bereits seit mehr als fünf Jahren. Aber wenn unsere Empathie füreinander am Ende ist, was hat diese Beziehung für einen Sinn?“ Ich blieb stehen und sah auf ihn hinunter.
„Bist du wirklich der Meinung, dass unsere Liebe am Ende ist?“ Er stand auf und kam auf mich zu.
Ich wich ihm aus. „Genau das möchte ich gerne herausfinden und mir über meine Gefühle im Klaren werden. Deshalb entschloss ich mich, für drei Wochen nach Font de Sa Cala zu fahren.“ Jetzt war es heraus. Ich atmete tief durch, zählte langsam bis vier, hielt kurz die Luft an, atmete wieder aus und zählte langsam bis sechs, so wie ich es gelernt hatte. Es machte sich keine Panikattacke bemerkbar.
„Wir beide?“, fragte er ungläubig.
„Nein, ich allein.“
„Mit welchem Mann fährst du?“
„Mit keinem Mann. Ich nehme Tobias und noch zwei der Jungs aus dem Fußballverein mit. Ich möchte mich mit den Kindern beschäftigen, mein Tennistraining wieder aufnehmen, dabei ausruhen und mir über unsere Beziehung im Klaren werden.“
René setzte sich wieder aufs Sofa.
„Warum fährst du nicht mit mir? Wir haben unsere beste Zeit dort erlebt. Hast du das vergessen?“
„Für dich war es vielleicht die beste Zeit“, sagte ich ruhig, „aber ich habe schon damals festgestellt, dass etwas mit dir nicht in Ordnung war.“
„Hat dir deine Psychologin das eingeredet?“, fragte er verächtlich.
„Nein, sie redet mir nichts ein. Das ist meine Feststellung“, widersprach ich. „Du hast damals schon zu viel getrunken, gespielt und Schulden gemacht. Es störte mich, weil es übermäßig war. Deine diversen Liebschaften zu der Zeit sind mir ebenfalls auf die Nerven gegangen.“
„Ich hatte keine Liebschaften. Du bist die einzige Frau, die ich je geliebt habe und die ich liebe.“
„Manchmal glaube ich dir sogar. Trotzdem hat es mich getroffen. Ein solches Verhalten ist nicht normal.“ Ich holte noch einmal tief Luft. „Ich brauche diese Reise, um über uns, aber auch insbesondere über mich nachzudenken.“
„Ich kann dich nicht davon überzeugen, mit mir dorthin zu fahren? Dahin, wo unsere Liebe begann?“ Er stierte mich ungläubig an.
Ich schüttelte langsam, aber bestimmt den Kopf.
„Wird das jetzt meine letzte Chance?“ Er sah mich mit gerunzelter Stirn an. Mir schien, als ob René die Tatsache in diesem Moment tatsächlich begriff.
„Gib mir, oder besser gesagt, gib uns diese letzte Möglichkeit.“ Ich hielt in meiner Wanderung inne. „Ich wünsche mir ebenfalls, dass wir beide zusammen oder jeder für sich allein ein wirklich friedfertiges, erfülltes Leben finden können. Alles andere macht keinen Sinn.“
René stand wieder auf, kam auf mich zu. Ich wich ihm dieses Mal nicht aus, meine Angst war verflogen. Er nahm mich in den Arm, sacht, so, wie er es ganz zu Anfang getan hatte. Dann vergrub er seinen Kopf in meinen Haaren. „Bitte, lass mich nicht allein. Ich könnte es nicht ertragen“, sagte er leise. „Gib mir noch einmal eine Chance.“
03 Fahrt nach Barcelona
Acht Tage später, zu Beginn der Osterferien, beluden wir den alten Fiat Punto, um nach Font de Sa Cala auf Mallorca zu fahren. Ich war mir absolut nicht sicher, ob mein betagtes Auto eine solche Reise durchstehen würde. Ob ich aber eine solche Reise durchstehen würde, daran wollte ich erst gar nicht denken. Augen zu und durch. So verdrängte ich einfach das Thema. Langsam freute ich mich auf die Tour, war froh, aus der beklemmenden Depression herauszukommen und Abstand von dem Leben zu gewinnen, das nicht mehr meines war.
Einen Tag vor unserer Abreise rief mich Claudia Wöllner an. „Ich wollte dir einen schönen Urlaub wünschen“, sagte sie herzlich. „Und dir noch etwas mit auf dem Weg geben“, fügte sie hinzu.
„Was ist es?“, fragte ich neugierig und hoffte, dass es nichts mit meinen Panikattacken zu tun hatte.
„Ich dachte gestern an deine Ruine in Font de Sa Cala und den Mann im Nebel, von dem du mir zwischendurch immer berichtet hast. Und deshalb rate ich dir:
Erträum dir nicht dein Leben,
sondern erlebe deinen Traum.“
Ich schwieg. „Es ist ein sehr altes Zitat von Tommaso Campanella.“, fügte sie hinzu. „Aber es trifft den Nagel auf den Kopf. Alles Liebe, Cecilia. Und eine gute Reise.“ Sie legte wieder auf und ließ mich nachdenklich zurück. Aber zum Nachdenken blieb mir nicht mehr viel Zeit. Die Koffer standen bereit und wollten verladen werden.
Tobias hatte im Februar seinen zwölften Geburtstag gefeiert. Für sein Alter war er sehr vernünftig. Viel zu vernünftig, fand ich oftmals. Ich hatte den Verdacht, dass er in den letzten Jahren mehr mitbekommen hatte, als ihm guttat. Häufig schaute er mich traurig an, so, als ob er zwar etwas zum Thema René sagen wollte, aber sich nicht traute, dazu einen Kommentar abzugeben. Diese Tatsache war ein weiterer Grund mit, weshalb ich Jochens Idee aufgriff, noch zwei Freunde von Tobias mitzunehmen. Mein Sohn freute sich darüber und wurde zusehends lockerer. Es würde dem Jungen guttun, nicht mit mir allein die Ferien zu verbringen. Womöglich hätte er am Ende das Gefühl, sich um seine kranke Mutter kümmern zu müssen. Das wollte ich auf keinem Fall. Was konnte Tobias dazu, dass ich mit meinem Leben nicht klarkam.
Also fuhr ich mit drei elf- und zwölfjährigen Jungs in die Ferien nach Font de Sa Cala. Welche Frau konnte sich schon damit rühmen, von drei jungen Männern begleitet zu werden, stellte ich lächelnd fest. Mit Karl-Heinz hatte ich Kontakt aufgenommen und ihm meine ungefähre Ankunftszeit mitgeteilt. ‚Ich freue mich, dass du wieder den Weg in die Wärme gefunden hast‘, sagte er herzlich. Termine für mein Tennistraining wollte ich bei Andreas direkt vor Ort buchen.
Im Kofferraum stapelten sich massenhaft Rucksäcke und andere Gepäckstücke, auf der Rücksitzbank tobten zwei Jungs, umgeben von Süßigkeiten, Kindercola, diverse Spiele für unterwegs und sonstigem Krimskrams. Tobias durfte stolz auf dem Beifahrersitz Platz nehmen, da er nun zwölf Jahre alt war. Als ich endlich einsteigen konnte und den Wagen startete, fühlte ich mich fast so frei wie früher, genauso unternehmungslustig wie zu der Zeit, als René noch keinen Raum in meinem Leben einnahm. Lachend und laut hupend fuhren wir los, begleitet vom Winken der Mütter. Sie waren vermutlich froh, ihre Kinder für drei Wochen allein in die Ferien zu schicken und mal endlich aufatmen zu können.
Die wenigen Kilometer bis Köln war das Wetter gut, doch dann begann es zu regnen. Ich verkrampfte mich und machte Atemübungen. ‚Oh Gott, jetzt bitte kein Regen. Das muss nicht sein.‘ Ich dachte daran, dass die Scheibenwischer des betagten Autos längst hätten erneuert werden müssen. Meine Bitte wurde nicht erhört oder ich hatte sie falsch formuliert. Im Nachfolgenden goss es in Strömen. Die Wassermassen wurden von den Wischern kaum bewältigt. Ich musste mich intensiv auf den Verkehr konzentrieren. Bei der Anstrengung vergaß ich die aufkommende Panikattacke und entspannte mich, als der Regen nach einiger Zeit weniger wurde. Dann hörte er ganz auf und nur noch das Spritzwasser der vorausfahrenden Autos behinderte die Sicht. Die maroden Wischer schafften den Straßenschmutz nicht, der sich nun als Schmierfilm auf die Scheiben setzte. Der Tank für frisches Wischwasser schien entweder leer zu sein oder der Motor für die Wasserpumpe funktionierte plötzlich nicht mehr, obwohl ich den Schalthebel dafür betätigte. Er gab weder einen Ton noch eine Regung von sich.
Leise schimpfte und fluchte ich. ‚Und das alles wegen René.’ Nicht einmal genügend Geld für Scheibenwischer oder eine Wasserpumpe besaß ich, geschweige denn für eine neue Klimaanlage. Jeden Cent steckte ich in den Haushalt und stotterte zusätzlich mein Darlehen und seine Schulden ab. ‚Ständig hatte er mir falsche Versprechungen gemacht, die mich am Ende völlig ruiniert haben‘, schoss es mir bitter durch den Kopf. So blöd konnte auch nur ich sein. Jede normale, klardenkende Frau hätte ihn rechtzeitig vor die Tür gesetzt. Unvorbereitet überraschte mich diese spontane, wütende Haltung ihm gegenüber. Noch nie hatte ich in Gedanken so negativ und hart über René geurteilt. Immer hatte ich Entschuldigungen für ihn parat. Sofort bekam ich wieder mein bekanntes schlechtes Gewissen wegen meiner erbosten Gedanken.
