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Nach dem Tod des Vorgänger-Papstes Franziskus wurde im Mai 2025 im Vatikan ein Amerikaner zum Papst Leo XIV. auserkoren. Doch, wer ist der Mann? Woher kommt er? Was hat er bislang gemacht? Wodurch zeichnet er sich aus? Salvatore Santarossa, Römer und ausgewiesener Vatikan-Experte und Autor Roman Schneider haben die Biografie dieses amerikanischen Papstes zusammengestellt. Papst Leo XIV. wird - so Gott es will - die Geschicke der katholischen Kirche die nächsten Jahre oder gar Jahrzehnte bestimmen. Da ist es interessant zu erfahren, was diesen Papst aus Chicago, der lange auch in Lateinamerika gelebt hat, geprägt hat. Sein Verhältnis zum US-Präsident wird ebenso thematisiert, wie die angeblichen Vertuschungsskandale, die Kritiker ihm zur Last legen. Was dran ist und wie dieser Papst wirklich tickt, erfährt man im Buch. Wer das Buch liest, versteht den Mann besser.
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Seitenzahl: 173
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Kapitel 1: Wurzeln in Chicago: Die multikulturelle Familie Prevost (1955-1973)
Kapitel 2: Bildung und Berufung: Der Weg zum Ordensleben (1973-1977)
Kapitel 3: Eintritt in den Augustinerorden und erste Gelübde (1977-1981)
Kapitel 4: Theologiestudien und Priesterweihe in Rom (1981-1982)
Kapitel 5: Kirchenrechtliche Promotion und akademische Laufbahn (1982-1987)
Kapitel 6: Aufbruch nach Lateinamerika: Die ersten Missionserfahrungen (1985-1986)
Kapitel 7: Ausbilder und Seelsorger in Trujillo (1988-1998)
Kapitel 8: An der Seite der Armen: Soziales Engagement in den Randbezirken (1988-1999)
Kapitel 9: Provinzialoberer der Augustiner in Peru (1998-2001)
Kapitel 10: Generalprior des Augustinerordens in Rom (2001-2013)
Kapitel 11: Reformbemühungen und globale Vernetzung
Kapitel 12: Rückkehr in die USA: Verantwortung in Chicago (2013-2014)
Kapitel 13: Apostolischer Administrator und Bischof von Chiclayo (2014-2015)
Kapitel 14: Hirtendienst in einer herausfordernden Zeit: Bischof von Chiclayo (2015-2023)
Kapitel 15: Ruf nach Rom: Präfekt des Dikasteriums für die Bischöfe (2023-2025)
Das Verhältnis von Papst Leo XIV. zu US-Präsident Trump
Papst Leo XIV. und die zuvor zugeschriebenen Vertuschungsskandale - was ist dran?
In der geschäftigen Metropole Chicago, wo der Wind vom Michigan-See die vielen Wolkenkratzer umweht, und der Puls einer vitalen Großstadt schlägt, erblickte Robert Francis Prevost am 14. September 1955 das Licht der Welt. Seine Geburt fiel in eine Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs in den Vereinigten Staaten – die Bürgerrechtsbewegung nahm Fahrt auf, der Kalte Krieg bestimmte die internationale Politik, und die katholische Kirche stand kurz vor dem epochalen Zweiten Vatikanischen Konzil, das 1962 beginnen sollte.
Roberts Elternhaus spiegelte in vieler Hinsicht bereits die Weltkirche wider, deren Oberhaupt er siebzig Jahre später werden sollte. Sein Vater, Louis Marius Prevost, entstammte einer Familie mit französischen und italienischen Wurzeln – eine Verbindung zur alten Welt Europas, die ihre katholische Tradition über Generationen bewahrt hatte. Die Prevosts waren wie viele andere europäische Einwanderer zu Beginn des 20. Jahrhunderts in die Vereinigten Staaten gekommen, auf der Suche nach neuen Möglichkeiten und einem besseren Leben.
Roberts Mutter, Mildred Martínez, brachte das spanische Erbe in die Familie ein. Die Martínez-Familie verkörperte die Verbindung zur hispanischen Welt, die für den späteren Papst eine entscheidende Rolle spielen sollte. Diese multikulturelle Herkunft schenkte dem jungen Robert nicht nur eine natürliche Offenheit für verschiedene Kulturen und Perspektiven, sondern auch eine sprachliche Begabung, die ihm später auf seinem Lebensweg zugutekommen würde.
In einem bescheidenen, aber warmherzigen Zuhause wuchs Robert mit seinen beiden Brüdern Louis Martín und John Joseph auf. Die Prevosts lebten in einer Zeit, als Chicago eine Hochburg der katholischen Arbeiterschicht war, mit lebendigen Pfarrgemeinden, die oft nach ethnischen Linien organisiert waren. Sonntägliche Gottesdienstbesuche gehörten zum festen Familienritual, und die katholische Identität prägte den Alltag der Familie.
Die 1950er und 1960er Jahre in Chicago waren eine Zeit sozialer Segregation, aber auch beginnender Integration. In diesem Spannungsfeld erlebte der junge Robert eine Kindheit, die von den Werten der Solidarität und des Zusammenhalts geprägt war. Sein Vater, der in einer Fabrik arbeitete, brachte ihm den Wert harter Arbeit und Pflichtbewusstsein bei, während seine Mutter, die in der Gemeindearbeit aktiv war, ihm ein tiefes Verständnis für den Dienst am Nächsten vermittelte.
Die Grundschulzeit verbrachte Robert in einer katholischen Pfarrschule, wo irische Ordensschwestern mit strenger Hand, aber herzlicher Zuwendung die Grundlagen der Bildung und des Glaubens legten. Schon früh zeigte sich seine besondere Begabung für Mathematik und sein tiefes Interesse an religiösen Fragen. Die Lehrer erkannten in dem aufgeweckten, nachdenklichen Jungen einen vielversprechenden Schüler, der über den Tellerrand hinausblickte.
In jenen Jahren erlebte die katholische Kirche in den USA bedeutende Veränderungen. Mit der Wahl John F. Kennedys zum ersten katholischen Präsidenten im Jahr 1960 wuchs das Selbstbewusstsein der amerikanischen Katholiken. Zugleich brachte das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) frischen Wind in die Kirche: Die Liturgie wurde in die Landessprache übertragen, der Dialog mit anderen Konfessionen und Religionen gefördert und die Rolle der Laien gestärkt.
Diese kirchlichen Aufbrüche prägten auch Roberts Jugend. Als Ministrant erlebte er den Übergang von der lateinischen zur englischen Messe und die vorsichtige Öffnung der Kirche hin zur modernen Welt. In der Highschool, die er von 1969 bis 1973 besuchte, zeigte er sich als vielseitig begabter Schüler. Neben seinen mathematischen Fähigkeiten entwickelte er ein tiefes Interesse an philosophischen und theologischen Fragen.
Es waren aber auch die Jahre der gesellschaftlichen Umbrüche in den USA: Studentenproteste gegen den Vietnamkrieg, die Bürgerrechtsbewegung, die Hippiebewegung und eine jugendliche Gegenkultur, die traditionelle Werte in Frage stellte. In dieser polarisierten Zeit fand Robert in seinem katholischen Glauben einen Anker, der ihm Orientierung gab, ohne ihn gegenüber den drängenden Fragen der Zeit zu verschließen.
Die multikulturelle Prägung seines Elternhauses ermöglichte es ihm, verschiedene Perspektiven einzunehmen und Brücken zu bauen – eine Fähigkeit, die später zu einem Kennzeichen seines kirchlichen Wirkens werden sollte. Schon als Jugendlicher engagierte er sich in der Pfarrgemeinde, half bei Wohltätigkeitsaktionen und zeigte ein wachsendes Interesse am Ordensleben.
Als Robert 1973 die Highschool abschloss, hatte sich in ihm bereits der Keim einer geistlichen Berufung entwickelt. Die Suche nach einem tieferen Sinn, der Wunsch, Gott und den Menschen zu dienen, und die Faszination für ein Leben in Gemeinschaft nach dem Vorbild der frühen Kirche führten ihn auf einen Weg, der ihn über zahlreiche Stationen schließlich in das höchste Amt der katholischen Kirche führen sollte.
Die Entscheidung, nach dem Schulabschluss das Kleine Seminar der Augustiner zu besuchen, markierte den Beginn eines neuen Lebensabschnitts. Chicago mit seinen kulturellen Gegensätzen, seinem sozialen Engagement und seiner lebendigen katholischen Tradition hatte ihm wichtige Grundlagen für seinen weiteren Weg mitgegeben. Aus dem multikulturell geprägten Elternhaus nahm er ein tiefes Verständnis für die Vielfalt menschlicher Erfahrungen mit, aus der Stadt der harten Arbeit und des sozialen Engagements eine Sensibilität für die Nöte der Menschen und aus der lebendigen Pfarrgemeinde eine tiefe Verwurzelung im Glauben.
So verließ Robert Francis Prevost im Sommer 1973 als junger Mann sein Elternhaus in Chicago, um einen Weg einzuschlagen, der ihn über viele Kontinente führen und sein Leben in den Dienst einer universalen Sendung stellen sollte.
Der Herbst 1973 markierte einen entscheidenden Wendepunkt im Leben des jungen Robert Prevost. Die Vereinigten Staaten hatten gerade ihre Bodentruppen aus Vietnam abgezogen, die Watergate-Affäre erschütterte das Vertrauen in die politische Führung, und die katholische Kirche in Amerika befand sich in einer Phase der Neuorientierung nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil. In dieser Zeit des Umbruchs begann für den 18-jährigen Robert eine intensive Phase der Ausbildung und geistlichen Formung am Kleinen Seminar der Augustiner.
Das Seminar bot ihm eine strukturierte Umgebung, in der er seine akademischen Fähigkeiten vertiefen und zugleich seine geistliche Berufung prüfen konnte. Die Augustiner – ein Orden mit einer reichen intellektuellen Tradition, der auf den Kirchenvater Augustinus von Hippo zurückgeht – legten besonderen Wert auf eine solide theologische und philosophische Bildung. Die Verbindung von Glauben und Vernunft, die für den Heiligen Augustinus so charakteristisch war, sprach Roberts analytischen Verstand an und eröffnete ihm zugleich eine spirituelle Tiefe, die ihn zunehmend faszinierte.
In diesen ersten Jahren seiner Ausbildung zeigte sich bereits Roberts besondere Begabung für Mathematik. Die klare Logik und die universelle Sprache der Zahlen entsprachen seinem strukturierten Denken. Gleichzeitig entwickelte er ein wachsendes Interesse an philosophischen Fragen, besonders an der Erkenntnistheorie und Ethik, wie sie in den Werken des Heiligen Augustinus zum Ausdruck kamen. Die augustinische Maxime "Unruhig ist unser Herz, bis es ruht in dir, o Gott" wurde zu einem Leitmotiv auf seinem geistlichen Weg.
Nach erfolgreichem Abschluss am Kleinen Seminar setzte Robert seine Ausbildung an der renommierten Villanova University in Pennsylvania fort. Diese 1842 gegründete Universität, die von den Augustinern geleitet wird, gehört zu den angesehensten katholischen Bildungseinrichtungen der USA. Hier erweiterte sich sein Horizont erheblich – nicht nur akademisch, sondern auch in der Begegnung mit Studierenden aus verschiedensten Teilen der Vereinigten Staaten und darüber hinaus.
An der Villanova University vertiefte Robert sein Studium der Mathematik und Philosophie. Die Präzision der mathematischen Analyse verband sich mit der Tiefe philosophischer Reflexion und schuf eine intellektuelle Grundlage, die sein späteres Denken prägen sollte. Besonders die Verbindung von abstrakter Theorie und konkreter Anwendung faszinierte ihn – eine Denkweise, die er später in seiner kirchlichen Arbeit fruchtbar machen würde.
Sein akademischer Mentor, Professor James O'Donnell, ein Spezialist für antike Philosophie und Augustinus-Kenner, erinnert sich: "Robert war ein Student, der nicht nur brillante Fragen stellte, sondern auch die Geduld hatte, komplexe Antworten zu durchdenken. Er verband analytische Schärfe mit einer bemerkenswerten Offenheit für spirituelle Dimensionen – eine seltene Kombination."
Neben seinen akademischen Verpflichtungen engagierte sich Robert auch in der Campus-Seelsorge und bei sozialen Projekten in den benachteiligten Vierteln Philadelphias. Diese praktischen Erfahrungen halfen ihm, die theoretischen Erkenntnisse aus Hörsaal und Bibliothek mit den konkreten Herausforderungen des menschlichen Lebens zu verbinden. Die Begegnung mit Armut und sozialer Ungerechtigkeit vertiefte sein Verständnis für die soziale Dimension des christlichen Glaubens und legte einen wichtigen Grundstein für sein späteres Engagement in Lateinamerika.
Die Jahre an der Villanova University waren auch eine Zeit intensiver geistlicher Suche. In regelmäßigen Gesprächen mit seinem geistlichen Begleiter, Pater Thomas Martin OSA, reflektierte Robert seine Berufung zum Ordensleben. Die augustinische Spiritualität mit ihrer Betonung der Gemeinschaft, der Innerlichkeit und des Dienstes an der Kirche entsprach zunehmend seinem eigenen geistlichen Weg. Das gemeinsame Leben der Augustiner, ihr Motto "Ein Herz und eine Seele auf Gott hin" (nach Apostelgeschichte 4,32), und ihr Engagement in Bildung und Seelsorge wurden für ihn zu einem überzeugenden Modell christlicher Existenz.
Während dieser Zeit unternahm Robert auch Reisen nach Mexiko, wo er mit augustinischen Missionaren zusammenarbeitete und seine Spanischkenntnisse vertiefte. Diese Erfahrungen weckten sein Interesse an Lateinamerika und der Theologie der Befreiung, die in jenen Jahren in den Ländern des Südens aufkam. Obwohl er später einen ausgewogeneren theologischen Ansatz entwickeln sollte, blieb die Option für die Armen ein bleibendes Element seines pastoralen Denkens.
Im Frühjahr 1977 schloss Robert sein Studium an der Villanova University mit Auszeichnung ab. Seine Abschlussarbeit in Mathematik beschäftigte sich mit komplexen Funktionen und gewann einen universitätsweiten Preis, während seine philosophische Thesis über "Wahrheit und Gemeinschaft bei Augustinus" von seinen Professoren hochgelobt wurde. Der Dekan der philosophischen Fakultät, Dr. Elizabeth Johnson, ermutigte ihn, eine akademische Laufbahn einzuschlagen, doch Roberts innere Berufung hatte bereits eine andere Richtung genommen.
Die Entscheidung, in den Augustinerorden einzutreten, reifte während eines ignatianischen Exerzitienkurses im Sommer 1977. In der Stille und Betrachtung wurde ihm klar, dass sein Weg in der Nachfolge Christi innerhalb der augustinischen Gemeinschaft liegen würde. In seinen persönlichen Aufzeichnungen aus jener Zeit findet sich die Notiz: "Der Ruf Gottes ist kein Donner vom Himmel, sondern ein leises Wachsen der Gewissheit, dass hier meine tiefste Freude und der größte Dienst zusammenfallen."
Am 1. September 1977, wenige Wochen nach seinem Universitätsabschluss, trat Robert Prevost als Novize in die Augustinerprovinz "Mutter vom guten Rat" in Chicago ein. Das Noviziatshaus in St. Louis, Missouri, würde für das kommende Jahr sein Zuhause sein – ein Ort der Stille, des Gebets, des Studiums und der gemeinschaftlichen Erfahrung. Der Schritt in das Ordensleben bedeutete für den 22-Jährigen einen radikalen Bruch mit vielen weltlichen Erwartungen und Möglichkeiten, eröffnete ihm aber zugleich neue Horizonte des Dienstes und der spirituellen Vertiefung.
Als Robert an jenem Septembertag die Schwelle des Noviziatshauses überschritt, konnte er nicht ahnen, welch weiten Weg er vor sich hatte – von Chicago über Rom nach Peru und schließlich auf den Stuhl des heiligen Petrus. In seinem schlichten schwarzen Anzug, mit einem kleinen Koffer in der Hand und einer großen Entschlossenheit im Herzen, begann er einen Lebensweg, der ihn durch viele Kulturen, Sprachen und kirchliche Ämter führen sollte, immer getragen von seiner mathematischen Präzision, seinem philosophischen Tiefgang und seinem augustinischen Herzen, das in Gott allein seine Ruhe suchte.
Die Jahre der Bildung und Berufungsfindung hatten Robert Francis Prevost intellektuelle Werkzeuge, spirituelle Tiefe und eine klare Ausrichtung gegeben. Mit diesem Rüstzeug trat er nun ein in die formative Zeit des Noviziats, die den jungen Mathematiker und Philosophen zum Augustinermönch formen sollte – ein entscheidender Schritt auf einem langen Weg, der sieben Jahrzehnte später auf dem Balkon des Petersdoms einen vorläufigen Höhepunkt finden sollte.
Das Noviziatsjahr in einem Ordenshaus ist traditionell eine Zeit der Prüfung – sowohl für den Kandidaten als auch für die Ordensgemeinschaft. Als Robert Francis Prevost am 1. September 1977 das Noviziatshaus der Augustiner in St. Louis betrat, begann für ihn eine intensive Phase der Einführung in das Ordensleben, weit entfernt vom akademischen Betrieb der Universität und den vertrauten Strukturen seiner bisherigen Umgebung.
Das stattliche Backsteingebäude des Noviziatshauses mit seinen hohen Fenstern und der angrenzenden Kapelle lag in einem ruhigen Stadtteil von St. Louis. Hier lebten die Novizen unter der Leitung des Novizenmeisters P. Michael Sullivan OSA nach einem strengen Tagesplan, der auf den drei Säulen des augustinischen Lebens beruhte: Gebet, Studium und Gemeinschaft.
Der Tag begann früh mit dem gemeinsamen Morgengebet in der schlichten Kapelle des Hauses. Das rhythmische Rezitieren der Psalmen im Stundengebet strukturierte den gesamten Tag – vom Morgenlob über die Mittagshore und die Vesper am Abend bis zum Nachtgebet, mit dem der Tag abgeschlossen wurde. Für Robert, der bereits in seiner Studienzeit eine regelmäßige Gebetspraxis entwickelt hatte, wurde das gemeinsame Chorgebet zu einer wichtigen spirituellen Disziplin, die sein ganzes späteres Leben prägen sollte.
Das Studium, die zweite Säule des augustinischen Lebens, konzentrierte sich im Noviziatsjahr vor allem auf die Geschichte und Spiritualität des Ordens, das Kennenlernen der Ordensregel und die intensive Lektüre der Schriften des heiligen Augustinus. Roberts solide philosophische Bildung ermöglichte ihm einen tieferen Zugang zu den komplexen Gedankengängen des Kirchenvaters, während sein mathematisch geschulter Verstand ihn befähigte, die systematischen Zusammenhänge zu erfassen und zu ordnen.
"Er hatte eine bemerkenswerte Fähigkeit, auch schwierige Texte zu durchdringen und ihre Relevanz für die Gegenwart zu erkennen", erinnert sich ein Mitnovize. "In unseren Studiensitzungen war er oft derjenige, der die entscheidenden Fragen stellte und Verbindungen herstellte, die anderen entgangen waren."
Die dritte Säule, die Gemeinschaft, stellte für den eher introvertierten Robert anfangs die größte Herausforderung dar. Das enge Zusammenleben mit Novizen unterschiedlicher Herkunft, Persönlichkeit und Lebenserfahrung forderte von ihm ein hohes Maß an Anpassungsfähigkeit und Geduld. Die Gemeinschaft beim Essen, bei der Arbeit im Haus und Garten, in den Erholungszeiten und bei gemeinschaftlichen Ausflügen lehrte ihn die Kunst des Zuhörens, des Kompromisses und der gegenseitigen Unterstützung – Fähigkeiten, die ihm später in seinen Leitungsämtern zugutekommen sollten.
Ein wichtiger Aspekt des Noviziatslebens war auch die manuelle Arbeit. Die Novizen übernahmen Aufgaben im Haushalt, in der Küche, im Garten und bei der Instandhaltung des Gebäudes. Für Robert, der aus einem Arbeiterviertel Chicagos stammte, war körperliche Arbeit nicht fremd, aber die spirituelle Dimension dieser Tätigkeiten im Kontext des Ordenslebens eröffnete ihm neue Perspektiven. Das augustinische Verständnis von Arbeit als Dienst an der Gemeinschaft und als Form des Gebets prägte seine Haltung zu praktischen Aufgaben und würde später in seiner Führungsphilosophie widerhallen.
Während des Noviziatsjahres fanden auch regelmäßige Gespräche mit dem Novizenmeister statt, in denen Robert seine Erfahrungen reflektieren und seine Berufung vertiefen konnte. P. Sullivan beschrieb ihn in seinen Berichten als "einen ernst zu nehmenden jungen Mann mit tiefem Glauben, scharfem Intellekt und bemerkenswerter Selbstdisziplin, der allerdings noch daran arbeiten muss, sein Innenleben mit anderen zu teilen und spontaner auf die Bedürfnisse der Gemeinschaft zu reagieren."
Im Laufe des Noviziatsjahres öffnete sich Robert zunehmend für die gemeinschaftliche Dimension des Ordenslebens. Er entdeckte die Freude am gemeinsamen Lachen während der Erholungszeiten, lernte die Vielfalt der Persönlichkeiten in der Gemeinschaft zu schätzen und entwickelte Freundschaften, die ein Leben lang halten sollten. Seine natürliche Zurückhaltung wich einer wachsenden Bereitschaft, sich einzubringen und mitzuteilen.
Ein einschneidendes Erlebnis während des Noviziatsjahres war ein zweiwöchiger Einsatz in einem Obdachlosenheim im Stadtzentrum von St. Louis. Hier begegnete Robert der harten Realität von Armut, Sucht und psychischer Erkrankung in einer Unmittelbarkeit, die ihn tief berührte. Die Erfahrung, mit den Ärmsten der Armen zu arbeiten, ihre Geschichten zu hören und ihre Würde trotz widriger Umstände zu erkennen, verstärkte sein Bewusstsein für die soziale Dimension des Evangeliums und die Verantwortung der Kirche gegenüber den Ausgegrenzten.
"Nach dieser Erfahrung", so berichtete ein Mitnovize später, "sprach Robert weniger abstrakt über Theologie und mehr über konkrete Wege, wie die Kirche den Menschen dienen kann. Es war, als hätte diese Begegnung mit der Armut etwas in ihm ausgelöst – ein tieferes Verständnis für die augustinische Idee, dass Christus uns in den Armen begegnet."
Am Ende des Noviziatsjahres, nach intensiver Prüfung seiner Berufung und positiver Bewertung durch die Ordensleitung, legte Robert am 2. September 1978 seine erste Profess ab. In einer schlichten, aber bewegenden Zeremonie in der Ordenskapelle versprach er vor Gott und der versammelten Gemeinschaft, die evangelischen Räte der Armut, der Keuschheit und des Gehorsams zu befolgen und nach der Regel des heiligen Augustinus zu leben.
Mit der Ablegung der ersten Gelübde begann eine neue Phase in Roberts Ausbildung. Er kehrte nach Chicago zurück, um an der Catholic Theological Union seine theologische Ausbildung fortzusetzen. Dieses 1968 gegründete ökumenische Seminar, an dem verschiedene Ordensgemeinschaften zusammenarbeiten, bot ihm eine breitere theologische Perspektive und die Möglichkeit, über die Grenzen seiner eigenen Ordenstradition hinauszublicken.
In den folgenden drei Jahren vertiefte Robert sein Verständnis der biblischen Texte, der systematischen Theologie, der Kirchengeschichte und der praktischen Pastoraltheologie. Sein analytischer Verstand und seine Fähigkeit, komplexe Zusammenhänge zu erfassen, machten ihn zu einem herausragenden Studenten, der von seinen Professoren geschätzt und von seinen Mitstudierenden respektiert wurde.
Besonders angetan war er von der Moraltheologie und dem Kirchenrecht – Bereiche, in denen seine Liebe zur präzisen Analyse und seine Sensibilität für die Anwendung allgemeiner Prinzipien auf konkrete Situationen zusammenkamen. Sein Interesse am Kirchenrecht sollte später zu einem spezialisierten Studium in Rom führen, doch in diesen Jahren an der Catholic Theological Union legte er die Grundlagen für sein umfassendes theologisches Verständnis.
Während seiner Zeit in Chicago lebte Robert in einer kleinen augustinischen Gemeinschaft, in der er das im Noviziat Gelernte weiter vertiefen und praktizieren konnte. Die Gemeinschaft war in einer Pfarrei eingebunden, die eine ethnisch und sozial diverse Gemeinde betreute. Hier sammelte Robert erste Erfahrungen in der praktischen Seelsorge, assistierte bei Gottesdiensten, bereitete Kinder und Jugendliche auf die Sakramente vor und engagierte sich in der Erwachsenenbildung.
Seine Fähigkeit, komplexe theologische Inhalte verständlich zu vermitteln, und sein geduldiges, aufmerksames Zuhören wurden von den Gemeindemitgliedern geschätzt. Ein Pfarreimitglied erinnerte sich später: "Er war kein charismatischer Prediger, der die Massen begeisterte, aber er hatte eine ruhige, tiefgründige Art, die einem das Gefühl gab, wirklich gehört und verstanden zu werden."
Parallel zu seinen Studien an der Catholic Theological Union traf Robert regelmäßig mit seinem geistlichen Begleiter zusammen, um seinen inneren Weg zu reflektieren und seine Berufung zu vertiefen. Diese Gespräche halfen ihm, die akademischen Erkenntnisse mit seinem spirituellen Leben zu verbinden und eine integrierte Persönlichkeit zu entwickeln, in der Intellekt und Glaube, Theorie und Praxis, persönliche Frömmigkeit und Gemeinschaftssinn zu einer harmonischen Einheit verschmolzen.
Während dieser Jahre entwickelte Robert auch ein tieferes Verständnis für die internationale Dimension des Ordenslebens. Die Augustiner, ein weltweit tätiger Orden mit Präsenz in allen Kontinenten, eröffneten ihm Einblicke in die globale Kirche und die verschiedenen kulturellen Kontexte, in denen das Evangelium gelebt wird. Durch Begegnungen mit Mitbrüdern aus anderen Ländern, die zu Studien in die USA kamen, erweiterte sich sein Horizont und wuchs sein Interesse an der Missionsarbeit des Ordens.
In dieser Zeit der theologischen Ausbildung reifte in Robert auch die Erkenntnis, dass das Ordensleben nicht nur eine persönliche spirituelle Entscheidung ist, sondern eine Antwort auf den Ruf Gottes zum Dienst an der Kirche und der Welt. Die augustinische Vision einer Gemeinschaft, die "ein Herz und eine Seele auf Gott hin" ist, verband sich für ihn mit dem Missionsauftrag Jesu, das Evangelium in alle Welt zu tragen und den Menschen, besonders den Armen und Marginalisierten, zu dienen.
Je näher der Abschluss seiner theologischen Ausbildung rückte, desto klarer wurde Roberts Berufung zum Priestertum innerhalb des Augustinerordens. Seine Oberen erkannten seine intellektuellen und spirituellen Qualitäten und befürworteten seinen Weg zum Priestertum. Am 29. August 1981, kurz vor seinem 26. Geburtstag, legte Robert Francis Prevost seine ewige Profess ab – ein endgültiges Ja zu einem Leben nach den evangelischen Räten in der augustinischen Gemeinschaft.
Die Zeremonie fand in der Klosterkirche St. Rita in Chicago statt, in Anwesenheit seiner Familie, seiner Mitbrüder und vieler Freunde und Bekannter aus Schule, Universität und Gemeinde. In der festlich geschmückten Kirche, deren gotische Architektur an die lange Tradition des Ordenslebens erinnerte, versprach Robert in die Hände des Provinzials, "bis zum Tod Armut, Keuschheit und Gehorsam zu leben nach der Regel des heiligen Augustinus".
Dieser feierliche Akt markierte den Abschluss seiner Grundausbildung als Augustiner und zugleich den Beginn eines neuen Kapitels. Die Ordensleitung hatte beschlossen, den vielversprechenden jungen Mann nach Rom zu senden, um dort Kirchenrecht zu studieren – ein Fachgebiet, das seiner analytischen Begabung entsprach und dem Orden in Zukunft von großem Nutzen sein würde.
Für Robert bedeutete dies Abschied von der vertrauten amerikanischen Umgebung und den Aufbruch in eine neue Welt. Mit