PASO DOBLE - T. D. Amrein - E-Book

PASO DOBLE E-Book

T. D. Amrein

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Beschreibung

Krüger und Nadja sollen bloß nebenbei eine Frage klären. Eine Beamtin aus Meyers Truppe will einer Toten, deren Suizid sie vor zwei Jahren bearbeitet hat, in Barcelona begegnet sein. Die Verstorbene war eine bemerkenswerte Frau gewesen. Dreimal verheiratet und ebenso oft verwitwet mit 31 Jahren. Tatsächlich war sie in Spanien aufgewachsen als Tochter deutscher Auswanderer. Nadja möchte die Eltern besuchen. Krüger winkt ab. Bloß wegen eines vagen Verdachtes, alles neu aufzuwühlen, will er den Alten unbedingt ersparen. Wie immer, wenn schöne Frauen im Spiel sind, verliert Krüger leicht den Überblick. Und ausgerechnet in diesem Fall kann er nicht auf die Hilfe seiner Lebensgefährtin zählen. Geheimsache, weil nicht genau nach internen Vorschriften des BKA ermittelt wird. Nadja könnte ihm den weiblichen Blick ersetzen. Aber dazu müsste er auf sie hören.

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T. D. Amrein

PASO DOBLE

Zu schön um tot zu sein

For Carrie

Inhaltsverzeichnis

Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

Impressum

Kapitel

Frühling 2004. Roses in Spanien.

Maria hielt kurz inne, bevor sie ihre Einkäufe ins Haus schleppte. Trotz der zu erwartenden Vorwürfe ließ sie es sich nicht nehmen, für ein paar Minuten die aufblühende Natur vor der Haustür zu genießen. Den Frühling fand sie die absolut schönste Jahreszeit. Vor allem hier an Spaniens Küste. Wie lange hatte sie sie den Traum gehegt, in einem Haus am Strand des Mittelmeeres zu wohnen. Aber sowas konnte man sich als normal Sterblicher höchstens durch einen Lotteriegewinn leisten.

Ihre Mutter erschien in der Tür. „Wo bleibst du denn, Eva? Ich warte schon seit Stunden auf dich! Und wo ist Maria eigentlich?“

Sie seufzte nur leise. „Mamma, ich bin doch Maria. Eva ist in Deutschland.“

„In Deutschland?“

„Ja, Mamma. Sie arbeitet dort und schickt uns Geld nach Hause.“

„Wozu denn das? Wir haben doch genug Geld.“

„Ja, Mamma. Aber bloß weil Eva mehr schickt, als wir brauchen.“

„Wann kommt sie denn nach Hause?“

„Vielleicht im Sommer, Mamma.“

„Schick sie gleich zu mir, wenn sie kommt. Ich will sie etwas Wichtiges fragen.“

„Was willst du denn fragen, Mamma?“

Ihre Mutter schüttelte den Kopf. „Es ist mir gerade entfallen. Aber wenn sie da ist, fällt es mir bestimmt gleich wieder ein.“

„Ich sage es ihr, Mamma.“

„Und du, gehst du am Abend wieder aus?“

„Nein, Mamma. Ich gehe doch fast nie aus.“

„Doch, Eva! Du denkst, dass ich es nicht merke, weil ich früh schlafen gehe. Aber ich höre dich jedes Mal! Wenn nicht wenigstens Maria immer zu Hause bleiben würde, hätte ich Angst in der Nacht. Verstehst du das nicht?“

„Natürlich verstehe ich das, Mamma.“

Die Mutter schlurfte grummelnd ins Haus zurück.

In das Traumhaus, welches Maria erst gemietet und schließlich gekauft hatte. Es lag kurz hinter der französischen Grenze, direkt am Meer.

Jedoch stammte der dafür notwendige Reichtum nicht im Entferntesten von einer Lottogesellschaft. Sondern, den hatte sich ihre Schwester Eva hart erkämpfen müssen. Das Vermögen floss aus einem Erbe, das ihr zwar zustand, aber trotzdem vehement bestritten wurde.

Die Durchsetzung ihrer Ansprüche hatte sie in eine Situation gebracht, aus der es keinen Ausweg mehr gegeben hatte. Immerhin hatte sie es noch geschafft, eine stattliche Menge Bargeld in einen Koffer zu packen und nach Hause zu schicken.

Die Eltern wussten nichts davon. Auch nicht, dass sich Eva mit Tabletten vergiftet hatte. Beide befanden sich im praktisch gleichen Stadium ihrer Demenz. Eva und Maria hatten sich die Aufgaben geteilt. Maria kümmerte sich um die Pflege der beiden. Eva wollte für das erforderliche Geld sorgen, was sie ja trotz allem geschafft hatte.

Deshalb benötigte Maria eine offiziell vertretbare Version für den plötzlichen Geldsegen. Deutsches Lotto passte dazu am besten, weil ihre Eltern ein altes 68-er Pärchen aus dem Rheinland waren. Die gelegentlich einen solchen Schein tatsächlich auch ausgefüllt hatten. Jedoch erst nachdem sie ihren eigenen Traum als freie Blumenkinder in echt ausgelebt, und zu diesem Zweck schon sehr jung nach Spanien ausgewandert waren.

Ohne irgendwelchen Besitz, was dazu geführt hatte, dass sie sich zeitlebens kaum jemals etwas außer Luft und Liebe wirklich leisten konnten. Niedergelassen hatten sie sich in einer äußerst kargen Gegend. Irgendwo am Fuß der Pyrenäen direkt an der französischen Grenze. Der einzige Vorteil dieses Ortes, wo Maria zusammen mit ihrer Schwester Eva aufgewachsen war, bestand darin, dass man automatisch spanisch und französisch sprechen lernte. Ergänzt durch die deutsche Muttersprache wirkten beide dadurch ziemlich gebildet. Obwohl man ihnen damals in der einfachen Dorfschule kaum viel mehr als das Nötigste an Wissen beibringen konnte.

Ihre harten Erfahrungen, als beinahe Straßenkinder, hatten andererseits jedoch dazu geführt, dass sie sich in nahezu jeder Lebenslage noch irgendwie zu helfen wussten. Aber eben nur nahezu. Gegen eine ganze Horde von gierigen Verwandten in einem fremden Land alleine durchzuhalten war praktisch unmöglich. Eva hatte es trotzdem versucht, bloß um ihr Versprechen nicht zu brechen.

Immerhin konnte sich Maria mittlerweile die Pflege mit einer festangestellten Haushalthilfe teilen. Es hatte lange gedauert, bis sich die beiden von einer "fremden Person" helfen ließen. Aber seit dies einigermaßen funktionierte, war Marias Leben wieder deutlich erträglicher geworden.

***

Am nächsten Morgen erregte ein knapp aus dem Briefkasten herausragendes graues Kuvert Marias Aufmerksamkeit. Mit spitzen Fingern zupfte sie den Umschlag vorsichtig aus dem Einwurf.

Offenbar stammte der Brief aus Deutschland. Gestempelt in Freiburg im Breisgau. Adressiert war er zwar an ihren Vater, aber das spielte keine Rolle. Der kümmerte sich höchstens noch darum, ob genügend Wein für die nächsten Tage im Haus war. Belangloses wie Briefe von Behörden oder irgendwelche Rechnungen überließ er völlig ungeniert seiner Tochter.

Entschlossen riss sie das Kuvert auf. Der Briefkopf wirkte amtlich. War wohl wieder jemand aus der Verwandtschaft in Deutschland verstorben? Dies war schon öfter vorgekommen.

Sie schob das Schreiben ungelesen in ihre Handtasche. Sowas kratzte sie nicht mehr wirklich. Früher hatte man in einem solchen Fall auf eine bescheidene Erbschaft gehofft. Aber inzwischen stand man selbst eher auf der anderen Seite der Erwartungen. Und blieb deshalb lieber in Deckung.

Überdies lebten ihre Verwandten in Deutschland in relativ soliden Verhältnissen, aber echt reich war niemand. Maria wusste darüber Bescheid, weil sie Eva in ihren letzten zwei Jahren in der Bundesrepublik besucht hatte. Jeweils nur für ein paar Tage, um sich einen kurzen Urlaub zu gönnen oder zusammen etwas zu unternehmen. Ohne ihre fleißige Haushalthilfe wären selbst diese kleinen, jedoch sehr wichtigen Verschnaufpausen, nicht möglich gewesen.

***

Erst am Abend, als sich Maria in der Küche ein Glas Wein gönnte, fiel ihr das Schreiben wieder ein. Der Brief könnte möglicherweise Unruhe stiften, überlegte sie, deshalb würde sie ihn tief im Müllbeutel versenken. Trotzdem klaubte sie zuvor das Blatt erneut aus dem Umschlag. Schon nach den ersten Zeilen warf sie versehentlich ihr Glas um, als sie danach greifen wollte. Die Staatsanwaltschaft Freiburg kündigte der Familie Haller die Exhumierung ihrer verstorbenen Tochter Eva-Maria Schröder geborene Haller an. Zur Klärung eines Sachverhalts, der in einem offenen Verfahren anstand. Die Störung der Totenruhe sei deshalb vertretbar. Das Schreiben wurde lediglich zur Kenntnisnahme versandt. Eine Möglichkeit des Widerspruchs gegen die Maßnahme sei nicht vorgesehen.

Maria überlegte fieberhaft, was dabei herauskommen könnte. Von ihrer Schwester war nach inzwischen zwei Jahren im Sarg wohl kaum noch viel im ursprünglichen Zustand erhalten. Es handelte sich wahrscheinlich bloß um eine Formsache. In Deutschland nahm man alles sehr genau, das hatte sie dort rasch gelernt.

Also am besten Ruhe bewahren und gar nichts unternehmen. Sie wollte keinesfalls in eine Gegend reisen, wo man sie möglicherweise noch als "die Frau aus Spanien" erkannte. Und dadurch jemand aus der Schröder-Sippe auf ihre Spur gelangen könnte. Schließlich hatte sie schon auf die Teilnahme an der Beerdigung verzichten müssen. Zwar nicht bloß um vor den Schröders in Deckung zu bleiben. Sie hielt ja auch in ihrer unmittelbaren Umgebung den Tod von Eva bislang geheim.

***

Meyer mit Y hatte sich angemeldet, um Kommissar Max Krüger und seine persönliche Assistentin Nadja Smolenska über ihre neueste Aufgabe zu unterrichten.

„Die Ausgangssituation ist etwas ungewöhnlich, das gebe ich unumwunden zu“, führte Meyer aus. „Aber gerade für Sie, liebe Kollegen, sollte dies nachvollziehbar sein. Ich habe von einer meiner besten Mitarbeiterinnen einen sehr interessanten Hinweis bekommen. Sie will auf dem Flughafen von Barcelona eine Person angetroffen haben, deren Suizid sie vor zwei Jahren, also in 2002, bearbeitet hatte.“ Meyer warf einen fragenden Blick in die Runde.

Krüger zuckte mit den Schultern, während Nadja bloß kurz mit den Augen rollte.

„Jeder hat doch irgendwo einen Doppelgänger“, brummte Krüger schließlich. „Und ich begegne öfters Leuten, die ich zu erkennen glaube.“ Meyers Miene ließ ihn verstummen. „Aber fahren Sie bitte fort, Herr Kollege!“, gab er nach.

Meyer räusperte sich laut. „Es ist leider so, dass ich kaum weitere Anhaltspunkte liefern kann. Aber ich kenne die Dame seit vielen Jahren und weiß, dass ihr Gedächtnis für Personen wirklich phänomenal funktioniert.“

„Und das ist konkret alles?“, hakte Krüger nach.

„Nicht ganz“, wand sich Meyer. „Aber der Rest ist ebenfalls nicht hundertprozentig gesichert. Die Verstobene, oder die Gesichtete, wie Sie wollen, war eine ziemlich schillernde Person. Sie war innerhalb weniger Jahre dreimal verheiratet und kurz darauf wieder verwitwet. Im zarten Alter von 31 Jahren. Einer der Ehemänner ist an einem Tumor verstorben, die anderen beiden sind verunglückt. Das wurde selbstverständlich jeweils gründlich untersucht. Ihr Selbstmord wird dadurch zwar ein Stück weit glaubwürdig. Wer möchte schon mit einer solchen Hypothek leben müssen. Andererseits, sie erwartete ein großes Erbe, was ihr eine sorglose Zukunft ermöglicht hätte. Selbst ohne eine weitere Heirat.“

„Sie trauen ihr also einen fingierten Suizid zu, Herr Kollege?“, stellte Krüger fest.

Meyer lächelte verkrampft. „Fragt sich bloß wozu? Wie sollte sie als angeblich Tote denn an das Erbe kommen?“

„Sie könnte natürlich auch anderweitig entschädigt worden sein“, warf Nadja ein. „Einmal angenommen, es handelte sich um eine spezielle Dienstleistung für die Familie des Opfers. Dann würde ein Untertauchen auf diese Weise eventuell Sinn machen.“

Meyer nahm die Hilfe dankbar an. „Ich bin froh, dass wenigstens Sie meine Gedankengänge nachvollziehen können, Frau Smolenska.“

Krüger schüttelte erneut den Kopf. „Dafür würde man ja zunächst eine passende stellvertretende Leiche brauchen“, brummte er.

„Und wenn gar keine Tote im Grab liegt?“, warf Nadja ein. „Für eine kurze Zeit könnte man sich in einem offenen Sarg, während einer Messe, sehr wohl tot-stellen.“

„Darauf steigt doch kein Staatsanwalt ein“, moserte Krüger.

„Immerhin hat man mir eine Exhumierung zugestanden“, antwortete Meyer.

„Wirklich?“

Meyer nickte. „Es ist glücklicherweise so, dass uns eine DNA-Probe dieser Verstorbenen in einem anderen, derzeit noch laufenden Verfahren, zur Verfügung steht. Damit lassen sich die Zweifel eigentlich ziemlich rasch klären.“

„Aber dafür brauchen Sie uns doch gar nicht, Herr Kollege“, stellte Krüger irritiert fest.

Meyer nickte. „Auf den ersten Blick, ja. Jedoch glaube ich dieser Kollegin, dass in diesem Fall etwas nicht stimmt. Und deshalb möchte ich, dass Sie beide die Exhumierung und ebenso die Untersuchung durch Professor Gründel sehr genau mitverfolgen. Das ist die einzige Chance, die uns bleibt. Wenn Sie nichts finden, dann müssten wir gleich wieder aufgeben.“

„Sie haben die Akte der Kollegin bestimmt schon angefordert?“, fragte Krüger.

Meyer schüttelte den Kopf. „Nein! Ihre Untersuchung fand erst Monate nach der Beerdigung statt. Es war eher eine Formsache. Die wurde nachträglich angeordnet infolge dieser auffällig häufigen Verwitwungen der Dame. Außer dem Foto und den Lebensdaten verfügte die Kollegin über genauso wenig Fakten wie wir heute. Sie können also völlig unbeeinflusst ganz von vorne anfangen.“

„Wann findet denn die Exhumierung statt?“, wollte Nadja wissen.

„In zwei Wochen, am 15. Mai.“

„Dann bleibt uns Zeit, um zuvor die Umstände der Bestattung und der damaligen Leichenschau zu überprüfen“, überlegte Krüger laut. „Gab es einen Abschiedsbrief?“

Meyer schüttelte den Kopf. „Das ist unklar. Der Fundort wurde leider nicht amtlich untersucht.“

„Aber der Aussteller des Totenscheins ist bekannt?“, fügte er nach kurzem Nachdenken an.

Meyer nickte. „Ja, aber das hilft uns kaum effektiv weiter. Es war der Hausarzt, Hubert Schreiber. Ein seit vielen Jahren enger Freund der Familie.“

„Es wurde kein Kollege beigezogen“, wunderte sich Krüger.

„Nein. Die Witwe galt ihm damals als Außenstehende, nach so kurzer Ehe. Meine Kollegin hatte ihn ebenfalls darauf angesprochen. Zumindest teilweise ein Grund für die Exhumierung.“ Meyer lächelte schelmisch.

„Wir werden ihn erneut befragen, oder?“ Nadja notierte sich eifrig ihre ersten Ideen.

„Ich würde jedoch damit warten, bis nach Professor Gründels Analyse“, warf Meyer ein.

„Der Bestatter ist übrigens derselbe, der für uns den Sarg ausgraben wird“, fuhr er fort. „Namen und Adressen aller bisher bekannten Beteiligten sowie einige Fotos finden Sie hier.“ Meyer kramte eine flache Schachtel aus Karton aus seiner Mappe und schob sie in Nadjas Richtung auf den Tisch.

Die zögerte kurz, bis Krüger ihr zunickte, dann klappte sie den Deckel auf. Ganz oben lag die Großaufnahme einer jungen Frau. Behängt mit äußerst teuer wirkendem Schmuck und perfekt geschminkt. Ihre pechschwarzen Haare glänzten mit ihren dunklen Augen um die Wette.

Krüger räusperte sich zwar, schwieg jedoch.

„So Eine bringt sich doch nicht selbst um“, murmelte Nadja.

„Auf jeden Fall könnte man sich an sie erinnern, wenn man ihr einmal begegnet ist“, brummte Meyer.

„Wir suchen das an der Trauerfeier beteiligte Personal auf und befragen die Leute, das dürfte wohl die effektivste Maßnahme sein“, schlug Krüger vor. „Falls etwas manipuliert wurde, könnte es aufgefallen sein, ohne dass es von jemandem erwähnt wurde. Die Hemmung, an solchen Anlässen irgendwie zu intervenieren, ist schließlich ziemlich hoch.“

„Bei professionellem Personal?“, warf Meyer ein.

Krüger zuckte mit den Schultern. „Jedenfalls gegenüber den Auftraggebern. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass die Totengräber oft sehr großzügige Trinkgelder erhalten. Schon bloß, um diese Tradition nicht zu gefährden, ist es denkbar, dass man die Toten im Zweifel lieber ruhen lässt.“

„Genau dies führt uns zu der bevorstehenden Exhumierung, werter Kollege“, triumphierte Meyer. „Falls sich da wieder einmal jemand schlauer als wir gefühlt hat, möchte ich ihm die Suppe gerne versalzen.“ Er sah Krüger prüfend an. „Immer noch nicht ganz überzeugt, Herr Kollege?“

„Ich schätze Ihre Loyalität gegenüber der Zeugin sehr hoch, Herr Kollege. Das wissen Sie und wir werden deshalb unser Bestes geben. Aber leider fürchte ich, dass ohne klare Ergebnisse an den sterblichen Überresten kaum etwas zu machen sein wird.“

„Und Sie, Frau Smolenska?“

„Ich schließe mich bezüglich der Loyalität gerne an. Aber dass von vornherein keine Chance besteht, sehe ich anders.“

Krüger winkte ab. „Das wollte ich keineswegs andeuten.“

Meyer rieb sich die Hände. „Sie sind ein gutes Team. Das zeigt sich an solchen Reaktionen. Zwei Ermittler, die sich bloß gegenseitig zunicken, würde ich bald wieder trennen. Ändern Sie also bitte nichts daran!“

Nadja hatte kurz befürchtet, dass sie durch ihre Offenheit in Schwierigkeiten geraten könnte. Stattdessen ein weiterer Beweis, dass sie von ihren Vorgesetzten tatsächlich ernst genommen wurde.

2. Kapitel

Nadja besuchte an diesem Tag den Bestatter, der Eva-Maria Schröder-Haller unter die Erde gebracht hatte. Die Chefin, die sich in einem schicken schwarzen Kostüm präsentierte, empfing sie in der Aufbahrungshalle. „Hier sind wir ungestört, Frau Smolenska. Nehmen Sie doch bitte Platz!“

Die Stühle standen neben einer rechteckigen Plattform, die auf den ersten Blick an einen Altar erinnerte. Jedoch ließ deren scherenartiger Unterbau mit den chromblitzenden Kolbenstangen darin ebenso eine profane Hubvorrichtung erkennen. Trotz des feinen Tuchs, das darübergelegt worden war.

Nadja unterdrückte den leisen Ekel, der sich an diesem Ort seit dem Betreten eingestellt hatte. Es lag nicht bloß am Geruch. Ebenso die Vorstellung, dass auf diesem Tisch wohl schon tausend oder mehr Leichen gelegen hatten, weckte unliebsame Erinnerungen. Dennoch durfte sie sich davon nicht übermäßig beeinflussen lassen. Hatte die Chefin einfach kein Gespür oder war es Absicht, um die Besprechung möglichst kurz zu halten. Da es einer Person in einem solchen Geschäft eigentlich kaum an Einfühlungsvermögen mangeln durfte, blieb Nadja auf der Hut.

„Erinnern Sie sich inzwischen an die Bestattung, die ich am Telefon erwähnt hatte, Frau Freiser?“

„Leider nicht, Frau Smolenska“, erklärte Elke Freiser verständnisvoll schmunzelnd. „Bei bis zu zehn Vorgängen am Tag bleibt höchstens ein besonderes Ereignis in Erinnerung.“

„Aber der Vorgang …“ Nadja legte eine kurze Pause ein, „dürfte doch zu einer Liste mit genauer Aufzählung der erbrachten Leistungen geführt haben. Irgendwo in ihren Unterlagen müssten überdies die Arbeitszeiten und Namen der involvierten Mitarbeiter vermerkt sein. Und schließlich sollte der Empfänger der Rechnung und derjenige, der den Betrag überwiesen hat, daraus hervorgehen.“

Frau Freiser nickte freundlich. „Aber natürlich, Frau Smolenska, existieren bei uns entsprechende Aufzeichnungen.“

„Würden Sie mir bitte Kopien davon überlassen?“

„Nein, das geht leider nicht, meine Liebe. Diskretion ist eine sehr wichtige Geschäftsgrundlage in unserer Branche, verstehen Sie?“

„Diese Tote wird am 15. des Monats hier auf diesem Friedhof von Ihren Mitarbeitern exhumiert werden. Im Rahmen einer offiziellen Ermittlung. Erscheint Ihnen dieser Umstand nicht wichtiger als die branchenübliche Diskretion?“, versuchte Nadja weiter.

Elke schüttelte den Kopf. „Nein! Tut mir leid.“

„Aber bei diesem Vorgang werde ich persönlich dabei sein, Frau Freiser. Es hat also letztlich keinen Sinn, mir wichtige Informationen zur Sache vorenthalten zu wollen.“

„Selbst wenn das so ist! Sie werden Sie sich bis zu diesem Tag gedulden müssen, Frau Smolenska.“

Nadja verlor zunehmend die Contenance. „Ich kann eine gerichtliche Verfügung erwirken, meine Liebe!“

Elke konnte ein Schmunzeln nicht völlig unterdrücken. „Eine gerichtliche Verfügung, damit sich jemand an einen Vorgang erinnert? Darauf wäre ich echt gespannt.“

Nadja gab auf. „Sie sind nicht sehr hilfsbereit, Frau Freiser“, stellte sie trocken fest.

„Ich darf Ihnen keine solchen Auskünfte geben“, flüsterte Elke. „Aber falls es Sie beruhigt, ich erinnere mich tatsächlich nicht an diese Beisetzung.“

Laut sagte sie: „Das war dann wohl alles, Frau Smolenska. Oder haben Sie noch weitere Fragen?“

„Nein, Danke!“

„Bitte, gerne!“

***

„Dann müssen wir uns eben an die damaligen Trauergäste halten“, brummte Krüger, nachdem Nadja ihm berichtet hatte.

„Von dieser Familie Schröder werden doch wohl etliche am Begräbnis teilgenommen haben“, fuhr er fort. „Gerade bei einer so jungen Frau!“

„Das habe ich schon versucht“, erklärte Nadja. „Aber weil es bloß eine Schwägerin war, die sich überdies selbst das Leben genommen hat, waren kaum Familienmitglieder dabei. Für Katholiken ist Suizid ein schweres Vergehen, das den Weg in den Himmel versperrt. Außerdem verkörperte sie nach der kurzen Ehe für die Schröders sozusagen, das von außen eingedrungene Unglück in Person. Jedenfalls wollte sich bisher niemand zur Teilnahme bekennen.“

Krüger schüttelte genervt den Kopf. „Das sind doch bestenfalls Ausflüchte. Die Leute wollen sich bloß nicht irgendwie behelligen lassen. Aber wie auch immer. Dadurch verschwenden wir wenigstens keine Zeit mit Zeugen, die ohnehin nichts sagen werden.“

Nadja nickte vorsichtig. „Wenn ich darf, würde ich deshalb lieber die eigene Familie der Witwe befragen?“

„Ach so, das steht noch aus?“ Krüger wirkte irritiert.

„Ja, die Eltern leben doch in Spanien.“

„Die Eltern“, wiederholte Krüger. „Denen möchte ich das so weit wie möglich ersparen. Ich dachte eher an Tanten oder an Cousinen, die weniger direkt betroffen sind.“

„Bislang konnte ich gar keine Verwandten finden“, seufzte Nadja. „Noch nicht einmal entfernte.“

„Freunde oder Arbeitskollegen?“, stocherte Krüger.

Sie schüttelte den Kopf. „Die Verstorbene hat in der BRD nie gearbeitet.“

„Irgendwelche Kontakte zu Menschen außerhalb der Familie Schröder dürfte sie trotzdem gehabt haben. Ein Arzt, ein Friseur oder was frau sonst noch so benötigt? Vielleicht jemand, der sich um ihre rechtlichen Angelegenheiten hier gekümmert hat?

Oder eventuell stammte einer der Trauzeugen aus ihrer Umgebung. Das ist doch meistens üblich. Außerdem: Kennen Sie eine erwachsene Frau, Nadja, die nicht wenigstens eine beste Freundin hat?“

„Ich arbeite erst seit wenigen Stunden daran, Chef. Aber selbstverständlich suche ich intensiv weiter.“

„Immerhin bleibt uns noch etwas Zeit, bis zum Termin der Exhumierung“, versuchte Krüger zu trösten. „Da findet sich bestimmt was!“

„Ja, Chef.“

***

Nadja fühlte sich irgendwie im Stich gelassen. Ihre Vorgesetzten hatten offenbar keine Ahnung davon, wie einsam eine angeheiratete Frau aus dem Ausland hier sein konnte. Selbst wenn sie die Landessprache beherrschte. Außerdem schien zumindest Krüger immer noch davon auszugehen, dass es ein einfacher Fall werden dürfte. Schließlich hatte er bislang keinen dieser blasierten Schröders getroffen. Sie selbst war von denen ziemlich unverblümt direkt abgewimmelt worden, nachdem sie sich korrekt als persönliche Assistentin des leitenden Ermittlers vorgestellt hatte. Dies nagte zwar an der Substanz, war jedoch als Erkenntnis wertvoll.

Keine Frage für Nadja, wie die mit einer armen jungen Witwe umgesprungen waren, falls diese ihre durch die Ehe erworbenen Rechte tatsächlich in Anspruch nehmen wollte. Es ging eigentlich bloß darum, schlüssig nachzuweisen, ob sie sie mit etwas Geld ruhiggestellt oder einfach umgebracht hatten. Sobald sie Krüger ebenfalls davon überzeugen konnte, würde die Arbeit direkt an der richtigen Stelle beginnen. Und wenn bei der Exhumierung keine Leiche oder ein anderes brauchbares Indiz auftauchen würde …

***

Trotzdem versuchte Nadja weiter ernsthaft, ihren Auftrag auszuführen. Sie stocherte in lokalen Zeitschriften und befragte zwei Redakteurinnen solcher Gazetten. Ohne Erfolg. Den Schröders lag offenbar nichts an öffentlicher Aufmerksamkeit.

Sogar bei einem eher zufälligen Telefonat mit Samuel Hummel, ihrem stillen Verehrer und Privatdetektiv in Freiburg, ergriff sie die Gelegenheit. Grund für den Anruf war eine Nachfrage von Meyer zur Spesenabrechnung aus dem letzten Auftrag. Hummel kannte viele Leute in der Stadt und die Adresse, an der sie den ersten Kontakt mit den Schröders geknüpft hatte, lag gar nicht so weit von seinem Büro entfernt. Trotzdem ließ sie die Frage betont nebenbei fallen. „Kennst du vielleicht zufällig einen Familienclan, der in deinem Viertel sein Unwesen treibt? Die Leute heißen Schröder. Merkmale: Ausgeprägter Dünkel, wissen von nichts, wirken halbseiden und sind wahrscheinlich neureich.“

„Die Schröders? Meinst du die mit den Fitnessläden oder die mit den Spielhallen?“

„Keine Ahnung! Spielhallen könnte jedoch passen.“

„Das war nur Spaß. Es sind dieselben und deine Beschreibung passt ziemlich genau. Sie verstecken sich so weit wie möglich hinter Strohmännern. Ich weiß davon, weil ich bei einer Recherche vor einiger Zeit zufällig darauf gestoßen bin. Ihre Geschäfte spielten allerdings damals keine Rolle.“

Nadja atmete hörbar tief durch. „Was weißt du sonst noch?“

„Bin ich engagiert?“, brummte er. „Dass ich vom Verkauf von Infos lebe, ist dir nicht entfallen?“

„Ich kann nichts versprechen. Aber wenn du einige Punkte andeuten könntest …“

„Ein Abendessen muss in jedem Fall mindestens drin liegen“, verlangte er. „Also, du brauchst bloß mitzukommen. Ich zahle!“

„Wann und wo?“

„Echt jetzt?“

„Du kennst mich doch!“

„Leider kaum. Aber du willst tatsächlich kommen?“

„Sag ich doch. Und wir können die Kosten auch teilen.“

„Nee, diesmal bin ich an der Reihe. Kaum zu fassen! Sie hat ja gesagt!“, schwadronierte er begeistert.

„Bloß zum Essen“, stellte sie nüchtern fest.

„Ja, dann bis heute Abend. Ich hole dich um 18.00 Uhr ab.“

„Normal oder im Abendkleid?“

„Kleines Schwarzes fände ich toll!“

„Das war doch bloß ein Scherz, Samuel! Wo denkst du hin? Abendkleid unter der Woche!“

„Diesmal lasse ich dich nicht wieder vom Haken, meine Liebe. Kleid oder gar nicht!“

„Du bist dir im Klaren, was das bedeuten könnte?“

„Du warst etwas zu offen am Anfang. Und ich bin zu lange im Geschäft, um mich zu täuschen. Du willst diese Infos unbedingt haben.“

„Na schön“, gab sie sich geschlagen. „Aber ich werde mich nicht besonders wohl fühlen.“

„Ach was! Wir gehen in ein Lokal, wo das passt. Ich grabe auch einen Anzug aus, wenn du möchtest?“

„Lass das bitte bleiben! Sonst muss ich wieder behaupten, du seist bloß mein Fahrer.“

„Okay, ganz wie du wünschst. Ich freue mich aber trotzdem.“

„Ich muss jetzt Schluss machen“, wich sie aus. „Mein Chef soll davon noch nichts mitbekommen.“

„Geheimnisse vor dem Chef“, stichelte er.

„Was hast du denn erwartet?“

„Ich bin einfach zu naiv für diese Welt, ich weiß. Das ist ja überhaupt gar keine Frage. Also dann, bis später!“

Nadja saß allein in ihrem Büro. Nachdenklich nagte sie an ihrer Unterlippe. Falls Hummel die richtigen Schröders kannte, dann kam die Sache womöglich dadurch jetzt ins Rollen. Selbst wenn sie sich dafür in ein viel zu enges Kleidchen zwängen und ein Quäntchen Vergnügen vortäuschen musste, das war es auf jeden Fall wert.

Und erneut hatte sie den guten Samuel völlig unterschätzt, musste sie sich eingestehen. Waren seine offensichtlichen Schwachstellen eventuell nur eine Masche, um harmlos zu wirken? Weder ihre Scherze noch der Versuch zu Schwindeln hatten ihn wirklich irritiert. Hoffentlich würde es den blasierten Idioten, die sie so genüsslich auflaufen gelassen hatten, genauso ergehen.

Die kurz aufflackernden Zweifel, dass sie sich eventuell völlig sinnlos an einer falschen Sippe abarbeiten könnte, wischte sie rasch beiseite.

Und wenn schon? So schlimm war es nun auch wieder nicht, mit Hummel auszugehen. Sie befürchtete ja eigentlich bloß, irgendwann bei ihm hängen zu bleiben.

***

Hummel war sichtlich beeindruckt, als er bei Nadja erschien. Das smaragdgrüne Kleid, das sie ausgesucht hatte, war ein toller Blickfang und harmonierte dezent mit ihren kupferfarbenen Haaren. Allerdings fielen ihm eher Länge und Schnitt auf. Das eine gab den Blick auf ihre schönen Beine frei und das andere betonte raffiniert ihre Rundungen. Er gab sich Mühe, sie nicht anzustarren, konnte jedoch ebenso den Blick kaum von ihr abwenden.

Sie schmunzelte. „Du wolltest es so. Jetzt musst du damit zurechtkommen. Wenn es dir unangenehm ist, dann ist das dein Problem!“

„Du siehst toll aus! Aber du solltest möglichst in meiner Nähe bleiben.“

Sie ging nicht darauf ein. „Gehen wir? Dann kann ich meine Schuhe jetzt anziehen.“

Die ebenfalls grünen Pumps brachten nochmal zehn Zentimeter mehr Bein.

„Kannst du damit überhaupt gehen?“, fragte er zweifelnd.

„Ja natürlich!“ Sie schüttelte den Kopf. „Was ihr Kerle immer so denkt. Ist doch logisch, dass ich nur Schuhe kaufe, mit denen ich auch zurechtkomme!“

Darüber hätte man durchaus streiten können. Aber er zog es vor, zu schweigen und bot ihr stattdessen seinen Arm an. Es war ja nicht weit zum Wagen und beim Restaurant konnte er mitten in der Woche praktisch direkt neben der Tür parken.

Nachdem sie gegessen hatten, kam Nadja schließlich zur Sache. „Ich habe meinen Teil geleistet. Jetzt bist du an der Reihe. Womit kann ich die Bande am besten packen?“

„Ich habe damals wie erwähnt, bloß der Ordnung halber ihre Beziehungen zu einem meiner Klienten gecheckt. Die Schröders haben ihre Finger vorwiegend in Geschäften, die mit Spielen oder anderer Freizeitbeschäftigung zu tun haben. Beispielsweise Billardhallen oder Lokale mit Automaten zum Geldspiel. Einer meiner Informanten hat mir damals gesteckt, dass der alte Schröder früher ein ganz normales Fahrgeschäft betrieben habe. Mit Karussell, Schießstand und Scooterbahn. Inzwischen sind sie jedoch umgestiegen auf etwas kleinere Maschinen, die trotzdem viel mehr abwerfen. Diese Art Geschäft bietet überdies sehr gute Voraussetzungen zur Geldwäsche oder illegalen Sportwetten. Beweise konnte er keine liefern, das war allerdings damals ohnehin nicht vorgesehen. Auffällig ist dabei, dass in heiklen Bereichen niemals Familienmitglieder die Geschäfte führen.

Meines Wissens ist bislang kein Einziger aus der Sippe weder angeklagt noch eingesperrt worden. Das dürfte der Grund und die Folge dieser Geschäftspolitik sein.“

„Das heißt jedoch noch lange nicht, dass die alle so brav sind!“, warf Nadja ein. Ihre Augen funkelten beunruhigend. Sie hatte deutlich mehr erwartet, das war klar.

Hummel hob beruhigend die Hand. „Etwas Geduld, meine Liebe, das Beste kommt ja noch!“

Er erreichte jedoch eher das Gegenteil. „Übertreib es nicht Samuel! Und wehe, wenn du mich veräppeln willst! Also raus damit!“

„Vor etwa drei Jahren muss irgendwas passiert sein“, fuhr er betreten fort. „Die fahren ja dauernd bei mir vorbei. Plötzlich hatten alle Schröders fabrikneue Autos unter dem Hintern. Meistens gehobene Mittelklasse von verschiedenen Marken. Man munkelte in unserer Straße, dass die im Lotto gewonnen haben müssen. Aber schon zwei Monate später war wiederum alles beim Alten. Die Neuwagen verschwanden praktisch über Nacht und die Schröders gondelten wieder mit billigen alten Kisten umher.“

Sie sah ihn lauernd an. „Und? Woran lag es?“, wollte sie wissen.

„Keine Ahnung!“ Er zuckte mit den Schultern. „Aber du hast Zugriff auf die Behörden. Du kannst nachfragen, wer die Halter oder Besitzer der Autos waren. Ich kann höchstens spekulieren.“

„Ja immerhin. Worauf hast du spekuliert?“

„Versicherungsbetrug, denke ich. Eine Vollkasko erstattet praktisch den Neupreis bei zwei Monate alten Fahrzeugen.“

Hummel goss ihr Wein nach. „Versuch mal, etwas zu erfahren. Ich gehe dann damit Klinken putzen bei meinen Informanten.“

„Das würdest du machen?“ Sie versuchte ein Lächeln.

„Ja, klar. Hast du etwa daran gezweifelt?“

Sie zögerte. „Einen Moment lang, ja“, gab sie zu.

Hummel atmete auf. Diese Lösung war ihm in letzter Sekunde eingefallen. Natürlich hatte es ihm Spaß gemacht, sie ein wenig aus der Reserve zu locken. Es lohnte sich, hinzusehen, wenn sie in diesem Kleid tief Luft holte. Aber dass sie so gründlich hochgehen würde, hatte er nicht erwartet. Und er wollte sie auf keinen Fall richtig verärgern. Sie entpuppte sich tatsächlich als echte Raubkatze. Äußerst aggressiv, gefährlich und wunderschön. Dazu passte auch ihre dichte Mähne, die ihr offen getragen, wie ein schwerer Vorhang über die Schultern floss. Hummel konnte sich nicht an eine einzige Frau erinnern, die er mit so dichtem und zum Anfassen reizendem Haar aus der Nähe gesehen hatte. Aber das täuschte. Sie taugte keineswegs bloß als Schmusetier.

„Wenn wir richtig suchen, werden wir etwas finden, meine Liebe. Und ich helfe dir gerne!“

„Danke Samuel. Ich habe dich, glaube ich, falsch eingeschätzt.“

„Ja das kommt vor. Ist mir auch schon öfters passiert!“ Er grinste versöhnlich.

„Tut mir leid“, murmelte sie.

„Aber nicht doch. Lass nur!“

3. Kapitel

Der Bagger schwankte kaum merklich, als sich der sichtbare Teil des Sarges schmatzend aus dem dunklen Erdreich löste. Die Friedhofsgärtner hatten bloß den Deckel völlig freigelegt. Sowie an beiden Enden des Erdmöbels einen schmalen Spalt herausgekratzt, um zwei Hebeschlingen unter den Ecken einzulegen. So sollten Boden und Oberteil unversehrt, mitsamt der verstorbenen Frau, aus der Grube gehoben werden können. Vorausgesetzt, es befand sich überhaupt eine Leiche im Sarg.

Wenn es nicht gelang, würde die Gerichtsmedizin die Einzelteile der Toten Stück für Stück aus dem Grab klauben müssen. Das dürfte mindestens einen Tag in Anspruch nehmen. Darin war die Reinigung im Institut noch nicht eingerechnet. Deshalb hatte Professor Gründel den Gärtnern zwei Kisten Bier versprochen, wenn der ursprüngliche Plan tatsächlich aufgehen sollte.

Nadja wusste zwar nichts von der Aktion des Professors, sah aber trotzdem gespannt zu, wie sich der Sarg langsam anhob. Der Bagger hielt an, zwei Gärtner eilten mit mehreren Spanngurten herbei, mit denen sie die Kiste umschlangen, um den Boden vor dem Herausfallen zu sichern. Da und dort bröckelte das Holz am Unterteil. Der auf dem Deckel noch schwach erkennbare Lack war unten schon längst verschwunden. Einige Risse, aus denen es leicht tropfte, öffneten sich durch das Anheben. Aber das Möbel hielt stand, bis es in einem bereitgestellten Behälter aus Metall abgestellt wurde. Man beeilte sich, einen Deckel aufzulegen und zu verschrauben. Trotzdem wehte schon ein unangenehmer Geruch durch den Friedhof. Der Hauch des Todes, welcher hier eher nur selten wahrnehmbar wurde. Nadja fröstelte trotz der angenehmen Temperatur dieses Morgens. Der Geruch nach verwesendem Fleisch ließ immerhin auf eine Leiche schließen. Es konnte sich dabei jedoch auch bloß um einen Tierkadaver handeln. Und selbstverständlich hatte man dem Professor nicht verschweigen können, dass man eventuell ein Scheinbegräbnis erwartete.

Krüger hatte sich schon gar nicht herbemüht. „Natürlich schaffen Sie das allein, Nadja. Das ist doch gar keine Frage.“

Er hatte noch nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass er Leichengeruch überhaupt nicht mochte. Und er war der Chef.

Völlig anstandslos hatte sie, als Professor Gründel sich nach Krüger erkundigte, irgendwelche Terminprobleme vorgeschoben, um ihm nicht zu blamieren.

Schließlich hatte er trotz allem recht. Wozu sollten zwei Beamte gleichzeitig an einer simplen Exhumierung teilnehmen? Wäre es denn besser für sie, wenn sie bloß zum Kaffeekochen und Diktatschreiben herangezogen würde?

Das erinnerte sie daran, wozu sie eigentlich hergekommen war. Das Grab war von den Gärtnern als Baustelle mit neutralen, rot-weißen Bändern eingefriedet worden. Nichts sollte auf eine Polizeiaktion hindeuten. Gräber wurden hier täglich neu ausgehoben. Außer ein paar wenigen, eher zufällig Anwesenden, interessierte dies meistens kaum jemanden. Das hatte ihr der Vorarbeiter der Gärtner beim Vorgespräch erklärt. Trotzdem suchte Nadja die Umgebung gewissenhaft ab, ob sich doch jemand auffällig verhielt. Ein Mann in einem weißen Oberhemd spähte neben einem wuchtigen Grabstein zu ihr hinüber. Wahrscheinlich unabsichtlich. Auf der anderen Seite umarmte sich ein Pärchen leidenschaftlich unter einer Trauerbuche. Nadja wandte sich zurück, zum weißen Oberhemd. Der Mann hielt sich jetzt ein Fernglas vors Gesicht. Vielleicht ein Privatdetektiv, dachte Nadja?

Der Mann zuckte zurück und verschwand hinter dem Grabstein. Offenbar hatte er ihren Blick bemerkt. An dem Pärchen konnte es kaum liegen, die waren zu beschäftigt, um etwas mitzubekommen.

Nadja fluchte leise. Jetzt hätte sie einen Helfer gebraucht, den sie unauffällig hinterherschicken konnte. Oder um es selbst zu versuchen. Aber weil sie als einzige offizielle Vertreterin des BKA vor Ort war, kam das nicht in Frage.

Verschwand da gerade ein wichtiger Zeuge vor ihrer Nase? Wahrscheinlich sah es bloß so aus. Aber trotzdem, sie ärgerte sich.

Professor Gründel trottete auf sie zu. „Alles in Ordnung, Frau Smolenska? Brauchen Sie uns noch? Da sich der Sarg Gott sei Dank nicht zerlegt hat, sind wir eigentlich hier schon fertig.“

Nadja nickte. „Ich sehe das genauso. Ich hätte höchstens eine kleine Bitte.“

Gründel musterte sie. „Wenn ich helfen kann, gerne.“

„Wenn Sie oder einer Ihrer Mitarbeiter kurz für mich die Stellung hier halten könnten? Ich brauche höchstens 15 Minuten!“

„Aber natürlich, Frau Smolenska!“ Gründel grinste väterlich. „Ich muss ohnehin die Getränke verteilen, bevor ich mich vom Acker machen kann. Also lassen Sie sich ruhig Zeit.“

„Danke, Herr Professor!“

„Bitte gerne.“

Nadja eilte davon. Egal, was die dachten. Eventuell reichte es doch, um den Mann einzuholen. Wenn der nicht unnötig auffallen wollte, würde er kaum bis zum Tor des Friedhofs rennen. Welches immerhin einen knappen halben Kilometer entfernt lag.

Sie hatte richtig geraten. Auf dem langen, geraden Hauptweg war er klar zu erkennen in seinem weiß leuchtenden Oberhemd. Falls er ein Detektiv sein sollte, war er bestimmt nicht sehr erfolgreich, dachte Nadja kopfschüttelnd.

---ENDE DER LESEPROBE---