Verfluchtes Erbe Gesamtausgabe - T.D. Amrein - E-Book

Verfluchtes Erbe Gesamtausgabe E-Book

T. D. Amrein

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Beschreibung

Band 1 Der wenig erfolgreiche Journalist E. Merz, ein Träumer, befindet sich in der komfortablen Situation, das grosse Vermögen seines Opas bald antreten zu können. Als Alleinerbe. Das verhindert den grossen Wurf, den er anstrebt. Endlich ist es soweit, jedoch legt ihm der Sterbende eine Hypothek auf die Schultern, die sein Leben zum Albtraum macht. Dieser Hölle zu entrinnen, wird zur einzigen Aufgabe, die er noch hat. Mit jedem Versuch, die Schuld abzutragen, wird sie grösser, sie verschlingt nicht nur seine grossen Ziele, sondern auch seine Beziehung, seine Freunde, sein Ich, das zur leeren Hülle wird. Mit dem Antritt des Erbes hat er den Schritt in eine Welt gemacht, aus der es kein Entrinnen mehr gibt. Die letzte Hoffnung, die wahren Schuldigen zu bestrafen, führt ihn immer tiefer in den Abgrund. Band 2. Cécile hat sich ohne ihren verschollenen Mann eingerichtet. Als er wiederauftaucht, im Koma, gerät alles aus den Fugen. Jetzt ist sie eine Gefangene, die ihr Leben an sich vorbeiziehen sieht, die paar guten Jahre, die ihr noch bleiben. Der Versuch, eine anständige Ehefrau zu sein, misslingt, sie gibt dem Schicksal einen Schubs, der sie befreien soll. Das Leben schlägt gnadenlos zurück, trotz des Reichtums, den sie ohne schlechtes Gewissen geniessen kann, endet alles in einer persönlichen Katastrophe. Auch Kommissar Max Krüger erlebt eine Zäsur, er verursacht einen kleinen Autounfall, mit weitreichenden Folgen. Trotz Sinnkrise, bekommt er sein Leben wieder in den Griff, dank der aussergewöhnlichen Frau, die er kennenlernt. Sie verkörpert das Rätsel Frau, in einer Dimension, die ein Mann niemals ganz ergründen kann.

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Seitenzahl: 974

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T.D. Amrein

Verfluchtes Erbe Gesamtausgabe

Band 1 und 2 in einem Buch

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Prolog

1.Kapitel

2. Kapitel

3.Kapitel

4.Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8.Kapitel

9.Kapitel

10. Kapitel

11.Kapitel

12.Kapitel

13.Kapitel

14.Kapitel

Kapitel 1 Band 2

Kapitel 2 Band 2

Kapitel 3 Band 2

Kapitel 4 Band 2

Kapitel 5 Band 2

Kapitel 6 Band 2

Kapitel 7 Band 2

Kapitel 8 Band 2

Kapitel 9 Band 2

Kapitel 11 Band 2

Kapitel 12 Band 2

Kapitel 13 Band 2

Kapitel 14 Band 2

Kapitel 15 Band 2

Kapitel 16 Band 2

Kapitel 17 Band 2

Kapitel 18 Band 2

Kapitel 19 Band 2

Kapitel 20 Band 2

Kapitel 21 Band 2

Kapitel 22 Band 2

Kapitel 23 Band 2

Kapitel 24 Band 2

Kapitel 25 Band 2

Impressum neobooks

Prolog

Frankfurt am Main 10. Juni 1942

„Schneller, schlafen Sie nicht ein!“, herrschte der Bahnbeamte die alte Dame an, die auf der zweiten Stufe des Drittklassewagens einen Moment stehen geblieben war.

Sie drehte den Kopf und warf ihm einen Blick voller Verachtung zu, bevor sie vorsichtig den Fuß auf die nächste Stufe stellte. Der Beamte packte sie von hinten an den Hüften und schob sie nach oben. Mit den Händen versuchte sie, seinen unangenehmen Griff abzuwehren. Dass sie ihm dabei eine winzige Kapsel übergab, bemerkte niemand, von all den Umstehenden. Der Beamte knallte die Türe hinter ihr zu und verriegelte sie. Zusammen mit dem Wagenschlüssel verschwand die Kapsel in seiner Ledertasche.

„Wie viele hast du dieses Mal gehabt?“, fragte Konrad Hammer, während der Zug Da 18 Richtung Lublin aus dem Bahnhof rollte. „Vier“, gab Traugott Merz zurück. „Dabei sind zwei richtig große Klunker.“

„Es ist nicht in Ordnung, was wir da machen, Traugott! Wir können ja gar nichts tun.“

„Haben wir vielleicht das Gerücht gestreut, dass wir helfen können?“, fragte Merz.

„Nein, aber trotzdem, wohl ist mir nicht dabei. Jedes Mal denke ich, jetzt muss ich es sagen.“

„Damit würdest du ihnen auch noch die letzte Hoffnung nehmen, vergiss das nicht“, antwortete Merz. „Bei der Sammlung nehmen sie ihnen ja alles ab“, fuhr er fort, „sogar einzelne Briefmarken, habe ich gehört. Wir bekommen nur noch das ab, was sie nicht finden.“

„Warum lassen sie sich so behandeln? Keiner wehrt sich, sie sind wie Schafe“, seufzte Hammer.

1.Kapitel

Zürich Mai 1975

Genau um halb neun Uhr morgens schreckte das Telefon Erich Merz an seinem Schreibtisch auf. Diese Zeit war nicht gerade seine Höchstform. Er hoffte darauf, dass der Anrufer schnell aufgeben würde. Daher ließ er es fünfmal klingeln, bevor er sich widerwillig meldete: „Ja, Merz.“

„Guten Morgen, Herr Merz!“ Sie klang attraktiv. „Hier ist Schwester Ilona vom Altersheim unter den Linden. Ihrem Herrn Großvater geht es schlecht. Könnten Sie vorbeikommen?“

Sein Opa. Wie lange hatte er ihn nicht mehr besucht? Mindestens seit zwei Wochen. Also willigte er ein.

Niemand erwartete in der Redaktion um diese Zeit schon etwas Brauchbares von ihm, so dass er ohne weiteres verschwinden konnte.

Im Altersheim fand er seinen Großvater blass und schwitzend in den Kissen liegend. Sein Atem verursachte ein hässliches Geräusch. „Es geht zu Ende mit mir, ich fühle es ganz deutlich“, sagte er mit erstaunlich klarer Stimme.

„Das glaube ich nicht“, antwortete Merz. „Es ist bestimmt nur das Wetter, das dir zu schaffen macht.“

„Wenn es soweit ist, dann weiß man es, glaube mir. Ich muss dir noch etwas erklären, was mir auf der Seele liegt. Du weißt, dass ich während des Krieges in Deutschland gelebt habe. Als Angestellter der Reichsbahn wurde ich nicht an die Front geschickt. Wir blieben einfach im Dienst.

Ich war öfters eingeteilt um Züge voller Juden zusammenzustellen, die in die Lager geschickt wurden. Oft haben uns die Leute angefleht, ihnen zu helfen.

Eines Tages habe ich ein paar Goldstücke angenommen, gegen das Versprechen, die Familie zu retten. Wirklich konnte ich gar nichts tun, es gab eine bewaffnete Begleitung in die Lager. Einem guten Kameraden habe ich davon erzählt, und schließlich haben wir von vielen Leuten Wertsachen angenommen, ohne auch nur einem einzigen je geholfen zu haben.

Jetzt weißt du, woher mein Vermögen stammt, das du jetzt erbst. Ich und Konrad haben uns geschworen, nie mit jemandem darüber zu reden. Ich glaube, er ist inzwischen gestorben.“

Seine Stimme versagte. Man hörte nur wieder das gurgelnde Röcheln eines Sterbenden, das jedem in schauriger Vorahnung durch Mark und Bein fährt.

Außer seinem Enkel Erich in diesem Moment. Der nahm gar nichts mehr wahr. Er fühlte sich, als hätte ihm jemand auf den Kopf geschlagen. Kalt und heiß wechselten sich in schneller Folge ab. Dazu flimmerte ihm vor den Augen. Was hatte er da gehört?

Gold von Juden, die in die Lager geschickt wurden. In die Konzentrationslager. Bilder tauchten in seinem Kopf auf. Schreckliche Bilder. Sein Opa war einer dieser miesen, so eine Nazi..., nein nicht Ratte oder Sau gewesen. Auch kein Geier. Die warteten schließlich anständig, bis das Unvermeidliche eingetreten war. So sehr er sich anstrengte. Er fand einfach kein passendes Wort.

Ausgerechnet sein Opa. Erich hatte sich bisher ab und zu mit unrechtmäßig verschobenem Reichtum während des Zweiten Weltkrieges beschäftigt. Dazu hatte er ein paar Artikel veröffentlicht, die sich kritisch mit dem Vermögen von deutschen Familien oder Firmen befassten. Dass es reiche Deutsche gab, die durch den Krieg große Summen verdient hatten, war allgemein bekannt. Die durften doch nicht einfach so davonkommen.

Enteignete Vermögen waren einfach an Parteigrößen verteilt worden. Solches regte ihn besonders auf. Erich wollte für Gerechtigkeit sorgen. Die Schuldigen entlarven, die mit dem gestohlenen Geld lebten, als wäre nichts gewesen.

Bisher konnte er jedoch nichts wirklich Konkretes aufdecken. Er wusste, dass er von Opa etliche Millionen erben würde. Deshalb hatte sich nicht besonders angestrengt, selbst etwas zu erarbeiten. Seine Arbeit war bisher mehr ein Zeitvertreib gewesen, als eine Berufung, an die er selbst glauben wollte.

Erich verließ das Zimmer und die Wohnung ohne einen Blick zurück.

Der Kaffee aus dem Automaten auf dem Gang schmeckte scheußlich. Er passte deshalb irgendwie zum Geruch, der durch die Flure des Heimes waberte.

Nachdem er sich nach einiger Zeit etwas gefasst hatte, schlurfte er zurück. Mit deutlich sichtbarem Ekel in der Miene stellte er sich an das Bett. „Wie konntest du nur? So etwas tun?“, presste er hervor

Aber sein Großvater lag jetzt ruhig da, mit offenen Augen, die an die Decke starrten. Er war inzwischen, wie man so sagt, sanft entschlafen.

In Merz stieg ein unbändiger Hass auf. Keine Antwort. Einfach schnell gestorben. Er verspürte das Bedürfnis, ihn zu schütteln. Aber gleichzeitig graute ihm davor, ihn noch einmal anzufassen.

***

Nachdem ein Arzt den Tod festgestellt hatte, Opa hatte jede lebensverlängernde Maßnahme abgelehnt, ging er ziellos spazieren. „Ich werde das Geld nicht anfassen“, sagte er zu sich. „So könnte ich nie mehr ruhig schlafen.“

Aber was sollte er tun? Seinen Namen mit der Wahrheit beschmutzen? Wie sollte er seiner Frau erklären, warum sie nicht erbten?

Völlig unmöglich. Sie hatten oft Pläne gemacht, wohin sie fahren würden und was sie alles kaufen wollten.

Opa Merz war schließlich schon über neunzig, sie die einzigen lebenden Verwandten. Sein Vermögen hatte Opa gut angelegt. Etliche Häuser gekauft, Wertpapiere und Bargeld auf der Bank.

Dabei fiel Erich ein, dass er sich jetzt um viele Dinge kümmern sollte. Er musste alle benachrichtigen. Formalitäten erledigen, die Beerdigung organisieren. Es würde auffallen, wenn er sich nicht sofort damit beschäftige. Eigentlich wollte er sich am liebsten irgendwo verstecken, wie es eher seiner Natur entsprach.

Sich richtig besaufen wäre jetzt das Beste, dachte er.

Warum konnte der das nicht mit ins Grab nehmen und mir ein schönes Leben lassen?

Wieder und wieder, ging ihm das durch den Kopf. Musste man doch für alles einmal zahlen, wie Opa oft gesagt hatte? Gerade er, dem ein so leichter Tod geschenkt wurde? Und seine Schuld hatte er einfach an ihn weitergegeben.

***

Seit dem Tod seines Großvaters waren zwei Wochen vergangen. Die wichtigsten Dinge waren erledigt. Erich Merz wollte sich zum ersten Mal wieder seiner Arbeit widmen. Er saß im Büro, aber ihm fiel nichts ein, zum Schreiben. Wieder schreckte ihn ein Anruf aus seiner Lethargie auf.

„Ich bin doch gar nicht da“, brummte er vor sich hin.

„Guten Morgen. Hier ist Schwester Ilona vom Altersheim unter den Linden. Aus der Wohnung ihres Herrn Großvaters sollten Sie noch ein paar persönliche Sachen abholen.“

„Persönliche Sachen?“, fragte er erstaunt. „Wir haben eine Räumfirma beauftragt, um alles zu entsorgen.“

„Ja, es handelt sich um Papiere und einige Fotos, die sie nicht mitgenommen haben. Es sind nur zwei Kartons. Können Sie bitte bald vorbeikommen?“

„Ja gut, ich komme sofort“, antwortete er und machte sich gleich auf den Weg.

In der kleinen aber gemütlichen Wohnung angekommen, fand er tatsächlich zwei kleine Kartons mit allerlei Papierkram. Nichts Wichtiges, ein paar Ansichtskarten, Briefe von Geschäftsfreunden, so Dinge, die man nicht wegwirft, wenn es genügend Platz gibt.

Die Wohnung war vor der Räumung bereits amtlich durchsucht worden. Bei dieser Gelegenheit hatte ein Beamter alles Wesentliche sichergestellt.

Einzig die paar Fotografien schaute Erich näher an. Alte Aufnahmen. Eine von seinem Vater, den er nie richtig gekannt hatte, als Kind. Opa hatte im Krieg bei einem Angriff seine ganze Familie, bis auf einen Sohn, Erichs Vater, verloren. Das war das Einzige, was er ihm über die Zeit erzählt hatte. Eigentlich war erzählt zu viel gesagt. Erich konnte sich aus einigen Stücken, die er nach und nach erfuhr, etwas zusammenreimen.

Sein Vater war kurz nach dem Krieg, bei einem Arbeitsunfall in einer Gießerei ums Leben gekommen, als Erich zwei Jahre alt war.

Seine Mutter hatte ihn allein großgezogen, bis auch sie an einer rätselhaften Krankheit zugrunde ging.

Wenigstens wurde sie durch Opa immer unterstützt, so dass sie keine materiellen Sorgen hatten. Sie war auch ein Einzelkind gewesen, deshalb waren Erich keine Verwandten geblieben, bis auf seinen Großvater.

Dieser war kurz vor dem Zusammenbruch zurück in die Schweiz geflohen. Die genauen Umstände hatte er mit ins Grab genommen. Opa war zwar reich gewesen, hatte aber immer sehr zurückgezogen und eher bescheiden gelebt. Keine Reisen unternommen. Genauso wie er sich auch niemals einen Urlaub gegönnt oder an gesellschaftlichen Anlässen teilgenommen hatte.

Erich hatte stets vermutet, die vielen Verluste hätten ihn davon abgehalten, sich wieder mit jemandem näher einzulassen.

Aber das war noch das alte Bild, das er von seinem Opa gehabt hatte. Jetzt war er ihm völlig fremd geworden.

Unter allen Fotografien fand sich noch ein vergilbter Umschlag. Darin ein Foto von Männern in Uniformen der Deutschen Reichsbahn. Auf der Rückseite, handgeschrieben: Meine Kameraden Konrad und Willhelm zum Führergeburtstag 1941. Konrad? Diesen Namen hatte Großvater doch auf seinem Sterbebett erwähnt. Er sah sich das Bild genauer an. Vielleicht ergab sich ein Hinweis, wo die Aufnahme gemacht wurde. Und wirklich, auf einem Plakat im Hintergrund ließ sich Frankfurt/Main entziffern.

Unter Umständen ließe sich doch noch etwas Genaueres erfahren, dachte er, wenn ich den Alten Fritz einmal nach Frankfurt schicke.

„Der Alte Fritz“, war ein pensionierter Privatdetektiv, den er schon öfter für Recherchen losgeschickt hatte. Der freute sich immer, wenn er wieder einmal etwas zu tun bekam.

Merz packte die Sachen zusammen, verabschiedete sich an der Rezeption des Heimes und fuhr zurück in die Redaktion. Unterwegs überlegte er sich, was er dem Alten Fritz sagen sollte. Er durfte ja nicht zu viel verraten über sein Dilemma. Trotzdem fand er, wenn ich das Geld dafür einsetze, seine Herkunft herauszufinden, konnte das nicht an sich, schlecht sein.

In seinem Büro angekommen rief er sofort an. „Es gibt Arbeit, Fritz, hast du Zeit?“

„Wie sollte ich keine Zeit haben? Du weißt ja, dass ich nur noch die Fliegen in meiner Wohnung zählen kann.“

„Jetzt übertreibst du, wie immer. Können wir uns treffen, ich brauche dich zu einer Ermittlung in Frankfurt?“

„Frankfurt, da war ich schon lange nicht mehr“, freute er sich. „Wann soll`s denn losgehen?“

„Du kannst dir Zeit lassen. Den Rest erkläre ich dir, wenn wir uns treffen. Kommst du um vierzehn Uhr in den Bären?“

„Ich komme“, antwortete Fritz.

An seiner Stimme ließ sich deutlich hören, wie willkommen ihm die Abwechslung war.

Merz packte eine Kopie der Aufnahme, ohne den Vermerk auf der Rückseite in ein Kuvert, legte zehntausend Mark dazu, die er schnell auf der Bank abgehoben hatte und fuhr dann zum Mittagessen.

Immer noch nachdenklich, was er dem Detektiv erzählen konnte und was er besser für sich behielt.

Fritz sollte ja nur herausfinden, wer dieser Konrad war, seinen Familiennamen und ob er noch lebte.

Die Verbindung mit Großvater sollte sich darauf beschränken, dass sie einmal zusammen gearbeitet hatten. Andererseits, falls dieser Konrad tatsächlich noch lebte, würde er sicher Verdacht schöpfen, wenn jemand aus der Schweiz nach ihm suchte.

Kurz vor der vereinbarten Zeit traf der Detektiv im Bären ein. Er wirkte für sein Alter noch rüstig und hatte sich einen gewissen Humor erhalten. „Hallo Erich, altes Haus“, begrüßte er Merz, und schüttelte ihm die Hand. Darauf etwas ernster, „tut mir leid um deinen Opa. Ich habe es in der Zeitung gelesen.“

„Schon gut“, antwortete Merz. „ Er hat ein langes Leben gehabt, was will man mehr?“

„Was kann ich für dich tun in Frankfurt. Hast du jemanden im Verdacht mit schmutzigen Geschäften?“

„Nein, nein“, antwortete Merz schnell. „Diesmal geht es um etwas anderes. Ich möchte gerne was erfahren über einen alten Freund von meinem Opa. Er hat früher in Deutschland gelebt, aber ich weiß eigentlich nichts über seine und damit auch über meine Herkunft. In seinem Nachlass habe ich ein Foto mit zwei alten Freunden von ihm gefunden. Ich möchte nur, dass du etwas über sie herausfindest.“

Mit diesen Worten legte er ihm die Aufnahme hin. „Ich weiß, dass sie am zwanzigsten April einundvierzig gemacht wurde, und siehst du, hier steht Frankfurt/Main.“

„Zwanzigster April“, antwortete der Detektiv, „Führergeburtstag, woher weißt du das?“

„Auf dem Original steht hinten ein Datum drauf“, antwortete Merz. „Außerdem gibt es noch einen Vermerk, meine Kameraden Franz und Konrad.“

„Hm“, brummte Fritz. „Warum zeigst du mir nicht einfach das Original?“

„Das Original?“ Ich dachte, dass dir eine Kopie genügen würde“, erwiderte Merz etwas verlegen.

„Es ist vielleicht nicht so wichtig. Aber grundsätzlich ist jede Information aus erster Quelle besser. Hast du sonst noch mehr, das ich wissen sollte?“, fragte Fritz.

„Nein, aber ich bitte dich darum, wenn du etwas über diesen Konrad herausgefunden hast, falls er noch lebt, dass er möglichst nichts davon merkt“.

„Ja gut“, brummte der Detektiv. „Ich hatte gehofft, dass du etwas Spannenderes für mich hast. Aber in Frankfurt habe ich noch eine alte Liebe gelassen, vielleicht finde ich die wenigstens wieder.“

Als ihm Merz das Kuvert mit dem Geld übergab, besserte sich seine Laune sofort. „Wenigstens muss ich nicht am Hungertuch nagen“, lachte er.

„Aber nein“, sagte Merz. „Lass es dir nur gut gehen. Ich kann mir das jetzt leisten.“

„In Ordnung“, antwortete Fritz. „Reicht es, wenn ich morgen fahre?“

„Ja natürlich, es kann auch übermorgen sein“, gab Merz zurück. Froh darüber, dass der Detektiv seine Geschichte offenbar geschluckt hatte.

***

Drei Tage später erhielt Merz den ersten Anruf von Fritz aus Frankfurt. Fritz hatte sich in einer kleinen Pension in der Nähe des Bahnhofs einquartiert, weil er ohnehin mit der Bahn gereist war, und die Suche in dieser Gegend beginnen wollte. Frankfurt habe sich mächtig verändert, seit er zum letzten Mal da gewesen war, erzählte er noch. Aber konkrete Informationen hatte er noch keine.

Er würde sich alle drei bis vier Tage melden. Oder immer dann, wenn er etwas Wichtiges erfahren habe.

Die Tage vergingen. Kein Anruf. Nach einer Woche begann Merz sich ernsthaft Sorgen zu machen. Das passte nicht zum Alten Fritz.

Ungeschickterweise hatte Erich sich den Namen der Pension nicht gemerkt, so dass er auch nicht dort anrufen konnte.

Nach zehn Tagen hielt Erich die Warterei nicht mehr aus. Er rief die Polizei in Frankfurt an.

Nachdem man ihn bereits des Öfteren weiterverbunden hatte, landete er endlich in der Abteilung, die für Vermisstenfälle zuständig war.

„Wie lautete der Name des Vermissten doch gleich?“, schnarrte die Stimme am anderen Ende der Leitung.

„Friedrich Hauser, Schweizer Staatsbürger“, erklärte Merz zum wiederholten Male.

„Hauser Friedrich, ja Moment, ich verbinde Sie weiter.“

Nicht schon wieder, dachte Merz. Diese Beamten.

Jetzt meldete sich eine neue Stimme. „Guten Tag, ich bin Kommissar Reuter. Darf ich fragen, ob Sie mit Herrn Hauser verwandt sind?“

„Verwandt“, stotterte Merz. „Wie kommen Sie darauf?“

„Herr Hauser hat einen Unfall gehabt, ich darf nur den Angehörigen Auskunft geben.“

„Er hat, glaube ich, keine hier“, antwortete Merz zögernd. „Nur einen Sohn, irgendwo in Kanada.

Aber ist er nicht ansprechbar oder was ist los mit ihm?“

Der Kommissar räusperte sich zweimal, dann fragte er: „In welcher Beziehung stehen Sie zu ihm?“

„Ich bin Journalist. Er sollte für mich eine Recherche in Frankfurt machen, aber er hat sich seit zehn Tagen nicht mehr gemeldet. Und ich weiß nicht genau, wo er abgestiegen ist“, antwortete Merz.

Der Kommissar räusperte sich erneut, dann sagte er: „Herr Hauser ist von einem PKW überfahren und tödlich verletzt worden. Der Fahrzeugführer ist flüchtig. Bis jetzt konnten wir den Namen des Opfers nur vermuten, seine Brieftasche enthielt keine Ausweispapiere, nur einen Mitgliederausweis eines Seniorenclubs, ohne Lichtbild.

Da sich bis jetzt niemand nach ihm erkundigt hat, haben wir diesen Namen in die Vermisstenkartei eingegeben. Der Unfall ereignete sich vor fünf Tagen, genau am vierten Juni, morgens um drei Uhr. Deshalb gibt es auch keine Augenzeugen. Ist es Ihnen möglich, herzukommen und den Toten zu identifizieren“?

„Ja, kann ich“, antwortete Merz ziemlich verwirrt.

„Dann kann ich ihnen gleich noch ein paar Fragen stellen. Sie haben gesagt, Sie wissen nicht genau, wo Herr Hauser gewohnt hat? Wissen Sie wenigstens etwas Näheres darüber?“

Merz brauchte einige Sekunden, bis er antworten konnte. „Ja er hat gesagt, eine kleine Pension in der Nähe des Bahnhofs, ich denke des Hauptbahnhofes. Er ist mit der Bahn gereist, da bin ich sicher.“

„Sehr gut“, antwortete der Kommissar, „das können wir sicher ermitteln. Bis wann könnten Sie bei uns eintreffen?“

Merz überlegte kurz, dann erwiderte er, „ich kann denn ersten Zug morgen früh nehmen und dann etwa gegen Mittag bei Ihnen ankommen“.

„Ausgezeichnet“, lobte der Kommissar. „Nehmen Sie einfach ein Taxi zum Polizeipräsidium und fragen Sie nach Kommissar Reuter. Ich erwarte Sie in meinem Büro“.

Ich muss die Sache selber in die Hand nehmen, entschloss sich Merz nach einigem Nachdenken. Hatte er den Alten Fritz direkt in den Tod geschickt oder war doch alles nur Zufall?

In dieser kurzen Zeit konnte er doch kaum mit seinen Nachforschungen so weit gekommen sein, dass ihn deshalb jemand mit Absicht überfahren würde.

Und wenn doch? Wenn dieser Jemand in Angst vor Entdeckung lebte, könnte er möglicherweise auf alles vorbereitet sein.

Dann wäre ich auch noch schuldig an seinem Tod, dachte er. Das verfluchte Geld bringt mir nur Unglück. Ich belüge meine Frau und meine Freunde aber was soll ich machen? Auf alle Fälle werde ich nicht ruhen, bis die Umstände die den Alten Fritz das Leben gekostet haben, aufgeklärt sind, schwor er sich.

Den Rest des Tages verbrachte Merz mit Vorbereitungen für die Reise nach Frankfurt.

Er ließ sich in der Redaktion auf unbestimmte Zeit beurlauben. Er hatte in der letzten Zeit ohnehin nichts Außergewöhnliches verfasst. Sein Chef zeigte Verständnis. So wie alle anderen dachte er, dass der Verlust seines Großvaters Erich so mitgenommen hatte.

Schließlich rief er seine Frau an: „Hallo Schatz, wie geht’s?“

„Danke wie immer, und dir?“, antwortete sie vergnügt.

„Du hast mich schon lange nicht mehr angerufen, was ist denn passiert?“

„Ach, passiert ist nichts“, log Merz. „Aber ich muss morgen nach Frankfurt. Eine wichtige Recherche. Ich werde sicher ein paar Tage bleiben. Kommst du dann heute etwas früher nach Hause als sonst?“

„Ja natürlich. Wir könnten zusammen essen gehen. Ich reserviere uns einen Tisch. Einverstanden?“

„Ja, in Ordnung“, brummte Merz.

„Das tut dir sicher gut. Eine Reise bringt dich auf andere Gedanken. Du solltest das mit Opa nicht so schwer nehmen, er hätte das sicher nicht gewollt.“

„Ja, ja, ich weiß, du hast recht, aber ich bin so, wie ich bin, verstehst du?“, wehrte sich Merz. „Also, bis heute Abend, ich freue mich.“

Cécile, seine Frau, hatte sich, seit es Opa immer schlechter ging, als Chefin in die Verwaltung der zum Erbe gehörenden Mietshäuser eingearbeitet. Davor war sie nur Sachbearbeiterin gewesen. Jetzt ging sie in dieser neuen Aufgabe völlig auf. Deshalb hatte sie kaum Zeit für ihn. Und er musste ihr nicht allzu viel vorspielen.

Es wurde auch zunehmend schwieriger, alles mit seiner Trauer zu erklären. Einmal musste er sein Problem lösen. Aber wie? Besser hätte ich ihr sofort alles erzählt, dachte er. Aber wenn sie davon weiß, hat sie das gleiche Dilemma wie ich, das kann ich ihr nicht zumuten. Außerdem ist es jetzt wohl bereits zu spät, spann er den Gedanken weiter. Er würde versuchen müssen, damit leben. So wie Opa auch.

Das gemeinsame Abendessen verlief, wie er sich das gewünscht hatte. Cécile erzählte ihm von ihrer Arbeit, die ihr so viel Neues brachte. Sie konnte gar nicht aufhören, ihm von unmöglichen Mietern und ebensolchen Handwerkern zu berichten.

Erst ganz zum Schluss fragte sie ihn nach dem Zweck seiner Reise.

„Ach weißt du“, antwortete er. „Ich habe das schon lange im Kopf. Ich will nach einer Familie suchen, die sich im Krieg schamlos bereichert hat. Ein paar Hinweise dazu habe ich im Lauf der Zeit bereits gesammelt. Jetzt kann ich mich richtig damit befassen, weil ich ja nicht mehr Geld verdienen muss.“

Sie gab sich damit zufrieden. Auch weil sie hoffte, dass er auf diese Weise wieder der lockere Erich werden würde, den sie früher geliebt hatte.

In der Nacht schlief Merz schlecht. Plötzlich fiel ihm ein, dass er den Alten Fritz identifizieren musste. Wie sieht er wohl aus, überlegte er.

Bisher hatte er noch nie ein Unfallopfer ansehen müssen. Was wäre, wenn Fritz nur noch das halbe Gesicht hat? Langsam kroch das Grauen zu ihm unter die Bettdecke. Und es ließ sich nicht mehr verscheuchen.

Gut, dass er schon um fünf Uhr aufstehen musste, um den Zug nach Frankfurt zu erreichen. Er nahm seinen kleinen Koffer und schlich sich aus dem Haus, ohne Cécile zu wecken. Zum Bahnhof brauchte er zu Fuß nur ein paar Minuten. Die kühle Morgenluft tat ihm gut, und nachdem er auch noch einen Kaffee getrunken hatte, fühlte er sich wirklich besser.

Eigentlich liebte er Reisen mit der Bahn. Nicht zuletzt auch deshalb, erreichte er Frankfurt in guter Stimmung. Ein Taxi, das ihn zu Polizeipräsidium brachte, fand sich leicht. Dort angekommen, fragte er wie abgesprochen nach Kommissar Reuter. Jemand begleitete ihn, in dessen Büro.

Kommissar Reuter war ein älterer Herr, der eine gewisse Ruhe ausstrahlte. Merz fühlte sich an den Alten Fritz erinnert, auch wenn der Kommissar höchstens sechzig Jahre zählte.

„Herzlich willkommen in Frankfurt, trotz des traurigen Anlasses“, begrüßte er Merz, während er ihm die Hand reichte.

Merz suchte nach einer passenden Antwort, die ihm aber einfach nicht einfallen wollte, so dass er schließlich nur ein „Danke“, herausbrachte.

Der Kommissar, sichtlich bemüht, die triste Stimmung etwas aufzulockern, fragte freundlich, „trinken wir zuerst einen kleinen Schnaps, bevor wir uns an die Arbeit machen?“

Merz nickte zustimmend. „ Ja, das tut sicher gut.“

Nachdem sie angestoßen hatten, begann der Kommissar zu berichten, was er bisher herausgefunden hatte.

„Wir haben alle Pensionen um den Hauptbahnhof abgeklappert, so viele sind das gar nicht. Herr Hauser hat in der Pension Erika gewohnt. Weil er das Zimmer zwei Wochen im Voraus bezahlt hatte, wurde er dort nicht vermisst. Die Durchsuchung seines Zimmers hat nichts Außergewöhnliches ergeben, so wie wir es erwartet haben.

Das Unfallfahrzeug haben wir bereits früher aufgefunden. Der Besitzer kommt als Täter nicht in Frage. Wahrscheinlich, das ist jedoch nur eine Vermutung, haben wir es mit einer klassischen Strolchenfahrt zu tun. Im Tatfahrzeug haben wir zwar Spuren gesichert, aber bisher hat sich daraus nichts Konkretes ergeben. Das ist der letzte Stand.“

Der Kommissar machte eine kleine Pause, um dann zu fragen. „Haben Sie gegebenenfalls noch etwas hinzuzufügen?“

Merz überlegte krampfhaft, ob er nach Hinweisen für einen vorsätzlichen Mord fragen sollte. Schließlich ließ er es aber bleiben. Er wollte den Kommissar nicht darauf bringen, auch noch in eine andere Richtung zu suchen.

„Dann könnten wir jetzt den Toten besuchen, um sicher zu sein, dass er sich um Herrn Hauser handelt. Er ist zwar auch in der Pension unter diesem Namen abgestiegen und die Dame am Empfang hat ihn auf Fotos zweifelsfrei erkannt. Wir sind jetzt auch im Besitz seines Reisepasses, den er in der Pension hinterlegt hatte. Trotzdem kann ich Ihnen das nicht ersparen, das Gesetz schreibt es vor.“

„Ja natürlich“, antwortete Merz ergeben, „wie sieht er denn aus?“

Der Kommissar beruhigte ihn sofort: „Herr Hauser hat praktisch keine äußeren Verletzungen, er sieht aus wie eingeschlafen.“

Merz war zwar immer noch sehr nervös, aber er konnte doch die Fassung bewahren. Zusammen schritten sie durch das Gebäude, hinunter in die Gerichtsmedizin. Es ist wirklich im Keller, fiel Merz auf, so wie man es im Film immer sieht. Jetzt fehlt nur noch ein abgebrühter Sezierer mit einem Sandwich in der Hand.

Aber als sie den gefliesten Raum betraten, kam ein älterer freundlicher Herr auf sie zu, der sofort Merz die Hand reichte. „Herzliches Beileid“, sagte er in salbungsvollem Ton.

Der Kommissar wies ihn an: „Zeigen Sie uns bitte den Herrn Hauser!“

„Selbstverständlich Herr Kommissar, sofort Herr Kommissar“, buckelte der Angestellte. Er begab sich zu einer großen Schublade, in einer langen, mehrstöckigen Reihe lag. Er öffnete sie vorsichtig und trat dann respektvoll zur Seite. „Bitte, meine Herren“.

Der Kommissar legte das weiße Tuch soweit zurück, dass das Gesicht des Toten zu sehen war.

Merz räusperte sich. „Ja, das ist der Alte Fritz, ich meine Herr Hauser.“

Der alte Fritz sah wirklich ganz friedlich aus. Fast wie sein Großvater, dachte Merz.

„Dann können wir noch ein Protokoll schreiben“, sagte der Kommissar. „Dazu gehen wir wieder in mein Büro.“

Auf dem Rückweg fragte Merz, „was passiert denn nun mit dem Toten?“

„Er wird in seine Heimat überführt, die schweizerische Botschaft ist bereits informiert. In solchen Fällen ist das üblich“, antwortete der Kommissar.

In seinem Büro angekommen, rief Reuter einen Assistenten, um das angesprochene Protokoll aufzunehmen.

Merz selbst musste ein langes Formular ausfüllen, mit Angaben zu seiner Person.

Als der Kommissar das Papier durchlas, stutzte er. „Ihr Vater ist in Frankfurt geboren?“

„Ja“, antwortete Merz. „Aber ich weiß sonst fast nichts von ihm, meine Eltern sind beide früh verstorben. In dieser Sache sollte Fritz für mich etwas herausfinden.“

„Das tut mir leid“, sagte der Kommissar. „Sie haben mit unserer Stadt wirklich kein Glück. Wollen Sie es jetzt vielleicht selber versuchen?“

Merz zuckte zusammen. Eigentlich wollte er das geheim halten. Aber er musste erkennen, dass diese Ermittler über einen Instinkt verfügten, wenn er etwas nicht offen sagen wollte. Er erinnerte sich sofort an den Alten Fritz, als er ihm die Kopie des Fotos gegeben hatte.

Ich muss vorsichtiger werden, dachte er, sonst werde ich nie jemand täuschen können.

„Ich weiß es nicht, Herr Kommissar“, antwortete er zögerlich. „Aber ich könnte es versuchen.“

Es war schon später Nachmittag, als Merz das Polizeipräsidium verließ. Er hatte sich von Kommissar Reuter verabschiedet, der ihm seine Karte gegeben hatte, falls noch Fragen auftauchen sollten.

Merz war sich nicht sicher, was Reuter damit gemeint hatte. Spürte der, dass Merz einiges verschwiegen hatte? Gedankenlesen können sie auch nicht, dachte Merz trotzig. Er winkte sich ein Taxi herbei und ließ sich zur Pension Erika fahren.

2. Kapitel

Mit seinem Koffer in der Hand betrat Merz die kleine Pension. Alles wirkte irgendwie altbacken, dass es so etwas in dieser modernen Metropole überhaupt noch gibt, dachte er. Die Klingel stammte sicher noch aus der Vorkriegszeit. Er drückte trotzdem darauf, und sofort erschien eine Dame von etwa sechzig Jahren. „Sie wünschen bitte?“, fragte sie mit einer sehr angenehmen Stimme.

„Haben Sie ein freies Zimmer?“, fragte Merz.

„Es tut mir leid, wir sind voll belegt. Wie lange wollten sie den bleiben?“

„Etwa zehn Tage“, entgegnete Merz enttäuscht.

„Moment, vielleicht kann ich was machen. Ich muss nur jemanden anrufen.“ Sie wählte, dann sagte sie, „kann ich bitte mit Kommissar Reuter sprechen?“

Merz zuckte wieder zusammen, als er den Namen hörte. Den werde ich nicht mehr los, dachte er.

„Guten Tag, Herr Kommissar. Ich wollte Sie fragen, ob wir das Zimmer wieder vermieten können? Ich hätte einen Gast, der einige Zeit bleiben möchte. Sie haben nichts dagegen. Wie schön. Ich danke Ihnen. Auf Wiederhören.“

Merz war sofort klar, jetzt wusste Kommissar Reuter, wo er wohnte.

Die Dame lächelte ihn freundlich an. „Wir haben ein Zimmer, aber wir müssen es noch herrichten. Sie können in einer Stunde einziehen, wenn Ihnen das recht ist?“

„Ja“, antwortete Merz. „Ich gehe, inzwischen was trinken.“

Im Nebenhaus hatte er eine Kaffeestube gesehen. Merz bestellte sich ein Kännchen Kaffee und nutzte die Zeit, um über den Tag nachzudenken.

Er konnte ganz offiziell nach seiner eigenen Familie suchen, dachte er. So gerate ich nicht sofort in Gefahr, jemandem auf die Füße zu treten. Einen viel besseren Grund um nach Frankfurt zu kommen gibt es gar nicht. Wenn ich dabei zufällig noch etwas über Freunde von Opa erfahre, umso besser.

Die Stunde ging schnell vorbei. Merz betrat erneut die Pension, wo die nette Dame bereits auf ihn wartete.

„Die Anmeldung können Sie später ausfüllen, ich werde Ihnen zuerst das Zimmer zeigen“, erklärte sie ihm, bevor sie in den zweiten Stock stiegen.

Merz entdeckte an der Tür Reste von Klebstoff. Vermutlich war der Raum versiegelt gewesen. Es muss das Zimmer sein, dachte er.

Die Dame vom Empfang schloss die Türe auf und sah ihn fragend an.

Merz nickte. „Ich nehme es“, sagte er gleich.

Erst als sie gegangen war, sah er sich alles genau an. Das Mobiliar bestand aus einem altmodischen Bett, einem ebensolchen Waschtisch aus hellem Marmor, einem Schrank und einem kleinen Tisch mit zwei Stühlen.

Wo würde ich hier etwas verstecken, überlegte er sich. Ohne eigentlich zu wollen, stieg er auf einen der Stühle, um oben auf den Schrank zu sehen.

Und wirklich, da lag ein kleines schwarzes Buch. Das Notizbuch von Fritz, er hatte es früher schon ein paar Mal gesehen. Merz drückte seinen Fund an die Brust. Manchmal bin ich richtig gut, dachte er stolz.

Sofort begann er nach der letzten Eintragung zu suchen. Fritz hatte seine Ermittlung genau dokumentiert, allerdings war es schwierig, die Handschrift zu entziffern. 31.05.1975 fiel noch leicht. Aber weiter. Wohne bei Erika, wie letztes Mal. Merz musste sich langsam in den Text einarbeiten. Bahnhofkneipe, alter Mann erinnert sich an einen Konrad und Willhelm…

Den gekritzelten Nachnamen konnte er beim besten Willen nicht entziffern. Vielleicht Hornbach oder Kornbach.

Merz dachte angestrengt nach. Fritz hatte ihm von einer alten Liebe erzählt und jetzt wohnte er „wieder“ bei Erika. Wusste die Dame vom Empfang etwas darüber. Er entschloss sich, vorsichtig bei guter Gelegenheit danach zu fragen. Zudem war Fritz in der Nacht, als er überfahren wurde, bis um drei Uhr unterwegs gewesen. Allein oder nicht? Hatte er noch etwas herausgefunden, was er nicht mehr aufschreiben konnte?

Merz entschloss sich, in einem Restaurant beim Bahnhof zum Abendessen zu gehen. Natürlich befinden sich viele Restaurants in der Nähe zum Bahnhof, aber wenn ich alle abklappere, finde ich sicher ab und zu einen Stammtisch von Bahnangestellten, dachte er sich. Im Hinausgehen füllte er noch die Anmeldung aus, und von einer Telefonzelle rief er seine Frau an. Sie fragte, wo er wohne und was er mache, aber er erzählte ihr natürlich nichts von seinen Erlebnissen, nur wo er wohnte, und dass er kein Telefon im Zimmer hatte, was ihm eigentlich ganz recht war.

Der Abend verlief nicht nach seinem Wunsch, es war schwierig, mit den Leuten ins Gespräch zu kommen.

Merz musste schnell einsehen, dass ihm die Erfahrung des Alten Fritz fehlte. Wie hatte er das nur gemacht?

Vielleicht musste er nur etwas trinken gehen. Wenn man sich mit jemandem unterhalten will, darf man nicht zuerst essen. Merz überlegte hin und her. Ich kann ja nicht einfach ein Foto herzeigen und fragen, ob sich jemand erinnert. Oder etwa doch?

Schließlich gab er es auf und ging zurück in die Pension. Morgen würde er mit der Suche anfangen. Er war sowieso hundemüde, und schlief auch schnell ein.

Am nächsten Morgen beim Frühstück hatte Merz eine zündende Idee. Eine Kleinanzeige in der Frankfurter Allgemeinen, die er gerade zu lesen begonnen hatte. Sofort machte er sich an den Text. „Ich suche nach meinem Großvater, Angestellter der Reichsbahn. Während der NS Zeit. Name Traugott Merz. Bei Erfolg großzügiges Honorar. Kontakt unter Chiffre… FAZ „.

Die Anzeige würde schon in der nächsten Ausgabe erscheinen, versicherte ihm der Angestellte, der ihn bediente.

Den Rest des Tages verbrachte er damit, sich die Stadt anzusehen.

***

In einem Büro der noblen Frankfurter Finanzwelt, knallte Udo Dornbach seinem Vater die FAZ auf den Schreibtisch. „Hast du die Zeitung schon gelesen?“, fragte er.

„Ja, natürlich“, lautete die Antwort.

„Auch die Kleinanzeigen?“

„Kleinanzeigen“, wiederholte lachend der Vater. „Wie kommst du denn darauf?“

„Hier, lies!“

Willhelm Dornbach folgte der Aufforderung und wurde blass.

„Ich habe dir sofort gesagt, ein Schnüffler kommt niemals allein“, polterte Udo. „Du und deine alten Methoden. Ein kleiner Unfall, und das Problem ist gelöst.“

„Bis jetzt haben sich meine Methoden bestens bewährt. Außerdem verbiete ich dir, in diesem Ton mit mir zu sprechen!“, antwortete Willhelm Dornbach gekränkt. „Alles was ich tue, tue ich für euch.“

„Für uns?“, wiederholte Udo. „Wenn das jemals an die Öffentlichkeit kommt, können wir uns gleich begraben lassen. Großzügiges Honorar. Da findet sich bestimmt noch jemand, der sich erinnert. Willst du die auch alle liquidieren lassen?“

„Wir müssen Ruhe bewahren“, antwortete der Vater. „Hast du schon mit deinem Bruder darüber gesprochen“?

„Nein, noch nicht.“

Dann hat es auch keine Eile. Es reicht wenn wir uns mit dem Problem befassen.“

Langsam beruhigte sich Udo.

„Wir müssen Kontakt aufnehmen“, entschied Willhelm. „Aber es will gut überlegt sein, was wir tun. Wenn dieser Enkel gut betucht ist, wird ihm auch daran liegen, sein Geld und seinen guten Namen zu behalten.

Unter Umständen sucht er ja tatsächlich nur nach seinen Wurzeln. Wir müssen jemanden schicken, der eine gute Rolle spielen kann. Und außerdem, müsste Traugott schon mindestens fünfzehn Jahre tot sein, wenn er etwa fünfundsiebzig geworden ist.

Das Letzte, das ich von ihm gehört hatte, war, dass er ausgebombt wurde. Dabei soll ihm nur ein Sohn geblieben sein. Danach ist er abgehauen und wir haben nie wieder etwas von ihm gehört.“

„Hoffen wir, dass du recht hast“, antwortete Udo. „Aber wen willst du schicken? Der Einzige der in Frage kommt, bist du selbst. Nur du bist alt genug, um glaubwürdig zu erscheinen, aber nicht so alt, dass er denken könnte, du hättest etwas gewusst“.

„Ja, du hast Recht. Abgesehen davon, möchte ich niemanden neu einweihen, der uns dann auch wieder erpressen kann.“

Vater Dornbach lehnte sich zurück. „Mir wird schon das Richtige einfallen. Auf mich selbst kann ich mich schließlich verlassen.“

***

Am Rand von Frankfurt, in einer Schrebergartenanlage, las auch der siebzigjährige Karl Mendel, wie jeden Tag die Kleinanzeigen in der FAZ. Traugott Merz? „ Ach, das ist sicher nur ein Zufall“, brummte er laut vor sich hin.

Andererseits, großzügiges Honorar. Na ja, dachte er sich, einen Versuch wäre es vielleicht wert.

Wenn er mich damals nicht rechtzeitig gewarnt hätte, wäre ich auch im KZ gelandet. Aber ist es wirklich dieser Traugott Merz? Mendel entschloss sich, sich zu melden.

***

Willhelm Dornbach traf sich mit Merz zwei Tage nach Erscheinen der Kleinanzeige in einem Gartenrestaurant. Er hatte sich einen schäbigen Anzug erstanden, um als pensionierter Eisenbahner auftreten zu können.

Er stellte sich als Herbert Meier vor. „Ja, ich habe einen Traugott Merz gekannt“, bestätigte er. „Allerdings war ich erst knapp zwanzig Jahre alt und gerade mit der Ausbildung fertig. Wir haben nur ganz kurze Zeit zusammen Dienst geschoben. Er war um diese Zeit etwa fünfzig, wurde dann ausgebombt, wie ich gehört habe. Danach habe ich ihn nie wieder gesehen.“

Dornbach war als Begleiter der Lagertransporte vom Reichssicherheitshauptamt eingesetzt gewesen, wovon allerdings seine Kameraden nichts wussten. Für sie war er einfach ein Kollege gewesen.

„Haben Sie vielleicht noch ein Foto oder was anderes, woran man ihn erkennen könnte?“, fragte Dornbach nach.

„Leider nein“, log Merz. „Ich besitze keine Dinge aus dieser Zeit. Und er hat mir auch sonst nichts hinterlassen, das mir weiterhelfen könnte.“

Merz kramte ein Foto hervor. „Nur diese neuere Aufnahme. Hier ist er etwa siebzig Jahre alt.“

Dornbach sah sich das Bild eine Zeitlang an, schüttelte dann den Kopf. „Es wäre möglich, aber es ist zu lange her.“

„Können Sie mir noch Einzelheiten aus dieser Zeit erzählen, es interessiert mich, was für ein Mensch er war?“, fragte Merz.

„Wie schon gesagt. Ich habe ihn nur kurze Zeit gekannt. Und außerdem ist es nicht sicher, dass es sich um Ihren Großvater gehandelt hat. In dieser Zeit ist so viel passiert, da erinnert man sich nicht mehr an jedes kleine Ding“, entgegnete Dornbach.

Manchmal auch nicht an die Großen, dachte Merz. Das Bild, das er ihm gezeigt hatte, war nicht das seines Großvaters gewesen. Wenn er ihn gekannt hätte, wäre ihm das sicher aufgefallen, hatte sich Merz überlegt.

Er war entschlossen, äußerst vorsichtig zu sein, um sich selbst nicht in Gefahr zu bringen.

Dornbach, alias Meier, verabschiedete sich von ihm. „Es tut mir leid, dass ich Ihnen nicht helfen konnte.“

Merz war sich sicher, dass mit diesem Meier etwas nicht stimmte. Er hatte zwar unter dem schäbigen, alten Anzug nur die Krone seiner Uhr gesehen. Aber das reichte Merz, um eine teure Rolex zu erkennen.

Er hatte sich sein Gesicht genau eingeprägt. Eine Gabe, die ihm ermöglichte, eine Person auch nach Jahren immer noch sicher zu erkennen.

Für den Nachmittag hatte sich noch ein gewisser Mendel angemeldet. Merz war gespannt, was dieser ihm zu sagen hatte. Sie wollten sich in seiner Gartenlaube am Rand der Stadt treffen.

***

Willhelm Dornbach war inzwischen, wieder im üblichen Anzug, in seinem Büro eingetroffen. Er rief seinen Sohn Udo zu sich. „Dieser junge Merz hat keine Ahnung, da bin ich mir sicher“, erklärte er ihm. „Trotzdem habe ich Horst und Jens auf ihn angesetzt, damit sie ihn verfolgen und uns berichten können. Wenn er niemanden findet, der ihm etwas über uns erzählen kann, dann bleiben wir sicher. Ich konnte ihn nicht fragen, ob sich noch einer gemeldet hat. Aber diese zwei werden ihm überallhin folgen und dann sehen wir weiter.“

Udo verzog das Gesicht. „Deine Neonazis. Kannst du denen wirklich vertrauen?“

„Ach, die wissen nichts Genaues, aber sie wissen, woher die jährliche Spende kommt“, antwortete Willhelm Dornbach.

***

Nach dem Essen bestellte sich Merz ein Taxi und ließ sich zu Mendels Gartenlaube fahren. Er bemerkte nichts davon, dass ihnen ein Kleinwagen nachfolgte.

Jens und Horst hatten schon öfters Leute observiert, und einem Taxi zu folgen war auch nicht besonders schwer. Die zwei waren gegen Geld zu jeder Schmutzarbeit bereit, und sie hatten beide auch schon einiges auf dem Kerbholz. Ihr Auftrag lautete, nur zu beobachten und sich auf keinen Fall bemerkbar zu machen.

Nachdem Merz das Taxi verlassen hatte, schlenderten sie nur vorbei, um sich die Örtlichkeit zu merken.

Die Gartenlauben haben eigentlich keine richtigen Adressen, sind aber von allen Besitzern liebevoll angeschrieben.

Sie sahen Merz und Mendel in der Laube sitzen, so dass kein Zweifel bestand, mit wem er sich traf.

Merz und Mendel kamen sich schnell näher. Der alte Jude war sehr höflich, und freute sich aufrichtig über seinen Besuch. „Der Enkel von meinem lieben Freund Traugott. Ich kann es gar nicht glauben!“, rief er aus.

„Ohne ihn würde ich gar nicht hier sitzen. Er hat mich rechtzeitig gewarnt und mit einem Kohlenzug nach Italien verschickt. In der Schweiz bin ich dann abgesprungen und wurde von einem Bauern aufgenommen. Die ganze Kriegszeit habe ich bei ihm verbracht und gut gelebt.“

Merz fühlte Balsam auf seiner Seele. Wenigstens einen hat er gerettet, dachte er sich.

Er entschloss sich, Mendel das richtige Foto zu zeigen. Dieser musste erst seine Brille suchen, aber dann sagte er sofort: „Ja, das ist Willhelm Dornbach und der Andere ist Konrad Hammer.“

„Wissen Sie, was aus ihnen geworden ist?“, fragte Merz gespannt.

„Aber nein“, antwortete Mendel kopfschüttelnd. „Wie könnte ich? Ich bin im Sommer einundvierzig geflohen und erst siebenundvierzig zurückgekommen“.

„Schade“, stellte Merz fest.

Mendel erzählte ihm dafür noch einige andere Anekdoten und Erinnerungen, die sich immer mehr einstellten.

Es war schon dunkel, als Merz langsam aufbrechen wollte. Mendel lud ihn für den folgenden Abend ein: „Bringen Sie doch bitte eine Flasche Wein mit! Ich habe in meiner Stadtwohnung noch ein paar Fotos, die ich morgen holen kann.

Im Sommer lebe ich in meiner Laube, in der Stadt ist es zu warm. Dann können wir noch ein paar Stunden plaudern.“ Merz nahm die Einladung dankend an.

Mendel begleitete ihn bis zur nächsten Telefonzelle und umarmte ihn zum Abschied. „Ich freue mich auf morgen.“

Merz rief sich ein Taxi und ließ sich in die Pension fahren. Er war bester Laune. Dieser Mendel hatte ihm, ohne es zu wissen, mehr geholfen, als er erwartet hatte. Willhelm Dornbach und Konrad Hammer. Außerdem war Opa doch nicht so schlecht gewesen wie es ausgesehen hatte.

Jetzt muss ich nur noch die richtige Familie Dornbach finden, dachte er sich.

Wieder fiel ihm nicht auf, dass seinem Taxi derselbe Kleinwagen folgte, und in der Nähe parkte, ohne dass jemand ausstieg.

Am nächsten Morgen erstattete Horst Pohl Willhelm Dornbach seinen ersten Bericht: „Er hat einen gewissen Mendel besucht und ist fast fünf Stunden bei ihm geblieben.“

„Mendel?“, Dornbach runzelte die Stirn. „Einen Juden hat er besucht. Konntest du etwas davon hören, was sie gesprochen haben?“

„Nein, das ging nicht. In diesen Gartenlauben kann man nicht stehenbleiben, ohne aufzufallen.“

Dornbach überlegte eine Weile, und befahl dann: „Fahrt zu diesem Mendel und fragt ihn, was Merz von ihm wollte! Lasst euch was einfallen! Ihr seid Ermittler vom BKA oder so. Für die Überwachung hast du ja andere Leute.“

Horst nahm Haltung an und verabschiedete sich. „Wir erledigen das sofort. Sobald ich etwas weiß, melde ich mich.“

Zusammen mit Jens fuhr er in die Gartenlaube, wo Mendel gerade seine Rosen pflegte.

Mit schnellen Schritten traten sie bei ihm ein. „Herr Mendel, wir sind vom BKA und haben ein paar Fragen an Sie“, erklärte Horst in scharfem Ton.

„Vom BKA?“, wiederholte Mendel mit zittriger Stimme. „Glauben Sie uns etwa nicht?“, herrschte ihn Horst an und baute sich drohend vor ihm auf.

Mendel wurde blass. Diesen Ton hatte er noch gut im Ohr. Er griff sich an die Brust und fiel einfach um.

Horst begann zu fluchen. „Scheiße, was macht der denn?“ Er suchte Mendels Puls am Handgelenk. Aber da war keiner mehr zu finden.

„Komm, Jens! Wir hauen ab.“ An der Gartentüre blieb Horst noch kurz stehen und wischte die Klinke mit einem Taschentuch ab. „Wir wollen doch keine Spuren hinterlassen“, sagte er zu Jens. Dieser nickte eifrig.

Schweigend gingen sie zum Wagen und machten sich auf den Weg, zurück in die Stadt.

„Wie soll ich das, Dornbach erklären? Der Jude kratzt einfach ab, ohne etwas zu sagen“, regte sich Horst auf.

Jens fasste sich an die Nase. „Als wir gekommen sind, war er schon tot, könnten wir sagen. Dann sind wir fein raus.“

„Du hast Recht.“ Horst lehnte sich zurück. „Er ist eines natürlichen Todes gestorben, daran gibt es keinen Zweifel. Niemand kann uns eine Schuld nachweisen.“

„Sollten wir die Polizei benachrichtigen?“, fragte Jens.

„Spinnst du?“, fauchte Horst. „Mann, bist du blöd. Ohne mich wärst du schon lange wieder im Bau gelandet. Die Bullen rufen. So etwas kann nur dir einfallen.“

„Ja, ist ja gut“, antwortete Jens kleinlaut.

***

Dornbach tobte in seinem schalldichten Büro. Seine Angestellten waren das gewohnt und außerdem hatte er dafür gesorgt, dass man nichts verstehen konnte. „Was heißt, er war schon tot, als wir gekommen sind? Was habt ihr genau gemacht?“

„Nichts haben wir gemacht!“, beteuerte Horst zum wiederholten Mal. „Er liegt tot in seinem Garten. Er war ja auch schon ziemlich alt.“

„Hast du ihn angefasst? War er noch warm?“, fragte Dornbach bohrend.

„Ich habe nur seinen Puls gesucht. Richtig kalt war er jedenfalls noch nicht“, entgegnete Horst. „Keine Verletzungen, nichts Auffälliges.“

Schade, dass wir den nicht schon früher erwischt haben, dachte Dornbach. Laut sagte er: „Woher soll ich jetzt erfahren, was sie gesprochen haben?“

„Wir können ja den andern fragen“, schlug Horst vor.

„Auf keinen Fall!“, brüllte Dornbach. „Er darf auf keinen Fall merken, dass wir ihn überwachen! Wenn das passiert, dann bekommst du richtige Probleme! Merk dir das!“

„Ja, Chef!“, antwortete Horst unterwürfig. „Wir passen schon auf. Ich melde mich, wenn es etwas Neues gibt“, schob er noch nach.

„Habe ich etwa gesagt, du kannst gehen?“ Dornbach war immer noch in Fahrt.

„Verzeihung Chef!“, stammelte Horst.

„Verschwinde jetzt, bevor ich mich vergesse.“ Dornbach schlug mit der Faust auf den Tisch.

Horst hob die Hand zum Gruß und verschwand in Dornbachs Lift, der direkt in die Garage führte. Dornbach hatte ihn extra einbauen lassen, damit sich seine diskreten Besucher ungesehen bewegen konnten.

***

Erich Merz hatte lange ausgeschlafen. Erst gegen Mittag verließ er sein Zimmer, um zum Essen zu gehen.

Er hielt daran fest, jeden Tag ein anderes Restaurant zu besuchen, um vielleicht doch noch einen Eisenbahnerstammtisch zu finden. Bisher hatte er damit noch nicht viel Erfolg gehabt, aber er war trotzdem immer noch in bester Laune.

Am Abend würde Mendel ihm noch weitere Informationen liefern. Er konnte ihn auch fragen, wo sich die alten Reichsbahnangestellten trafen. Daran hatte er bei seinem ersten Treffen nicht gedacht.

Nach dem Essen ging er noch eine Weile spazieren und kaufte einen guten Tropfen, wie Mendel ihn gebeten hatte. In seinem Zimmer begann er seine bisherigen Erkenntnisse aufzuschreiben, um alles einordnen zu können.

Außerdem wollte er nicht wieder vergessen, nach wichtigen Dingen zu fragen. Er machte sich für alle Fälle ein paar Notizen in dem kleinen Buch, das dem Alten Fritz gehört hatte. Schon oft hatte er versucht, noch etwas Weiteres zu entziffern, aber es war einfach zu schwierig.

Ich sollte mich mit einer Apothekerin anfreunden, dachte er grinsend.

Gegen fünf Uhr machte er sich auf den Weg zu Mendel. Wieder folgte ihm ein Wagen, den er erneut nicht bemerkte. In der Straße mit den Lauben angekommen, ging er die letzten Schritte zu Fuß.

Man würde nicht glauben, dass man in einer Großstadt ist, ging ihm durch den Kopf.

Jeder versuchte den andern mit Hecken und Blumen zu übertreffen. Geschnittene Figuren aus Buchsbäumen, adrette Teiche mit Karpfen und Goldfischen, zahme und wilde Vögel hörte man zwitschern und streiten. Wenn das hier vorbei ist, kaufe ich mir vielleicht auch so einen Garten, dachte Merz. Er ging auf das Gartentor von Mendels Laube zu, das sich unter einem mit Reben bepflanzten Torbogen befand.

Die einzige Stelle, wo man hineinsehen konnte. Er trat ein und suchte nach seinem Gastgeber. Von Mendel war nichts zu sehen oder zu hören.

Auch im Gartenhaus, war nichts zu entdecken. Merz schaute sich um, und ging wieder nach draußen.

Da sah er ihn liegen, neben seinen Rosen, weiß, mit aufgerissenen Augen und einem erschreckten Gesicht.

Merz ließ seine Flasche fallen und rannte zu ihm hin.

Tot, fuhr es ihm durch den Kopf, tot wie Fritz. Er kniete sich neben den leblosen Körper hin, versuchte einen Puls zu finden, obwohl er keine Ahnung hatte, wie das funktionierte. Egal, Mendel war tot, das sah er auch so.

Merz stützte den Kopf in die Hände. Schon zwei tote Freunde wegen diesem Scheissgeld, dachte er verzweifelt. Was mache ich falsch? Bin ich schuld?

Er brauchte einige Minuten, um sich zu fassen. Ich muss Kommissar Reuter anrufen, fiel ihm ein. Er suchte nach der Karte mit der Nummer.

Mechanisch stapfte er durch das Gartentor, das noch offenstand und machte sich auf den Weg zur Telefonkabine an der Kreuzung, die er schon gestern benutzt hatte.

„Polizeipräsidium Frankfurt“, meldete sich eine Stimme. „Was kann ich für Sie tun?“

„Ich möchte bitte mit Kommissar Reuter sprechen“, sagte Merz mit belegter Stimme.

„Ich weiß nicht, ob er noch in seinem Büro ist. Moment bitte. Wen darf ich melden?“

„Merz, Erich Merz.“

Nach kurzer Zeit meldete sich Kommissar Reuter. „Herr Merz aus der Schweiz?“

„Ja, guten Abend Herr Kommissar. Können Sie schnell kommen? Ich habe eine Leiche gefunden.“

„Eine Leiche? Wo? Hier in Frankfurt?“

„Ja, hier in den Gartenlauben an der Mainzer Landstraße. Die genaue Adresse weiß ich nicht.“

„Aber Herr Merz, warum verständigen Sie dann mich und nicht den Polizeinotruf? Na, gut, ich werde alles Nötige veranlassen, den Notarzt und eine Polizeistreife.“

Merz unterbrach, „einen Notarzt braucht er nicht mehr.“

„Doch, natürlich braucht es das, Herr Merz. Wie wollen Sie zuverlässig den Tod eines Menschen feststellen? Ich werde selbst auch kommen. Bleiben Sie bitte auf der Straße und weisen Sie die Leute ein!“

„Ja, Herr Kommissar, mache ich“, brummte Merz ergeben.

Er ging zurück zum Eingang, und bereits nach wenigen Minuten hörte er das Martinshorn eines Polizeifahrzeuges näherkommen.

Mit erhobenen Armen trat er auf die Straße, um die Beamten auf sich aufmerksam zu machen. Der Streifenwagen stoppte mit quietschenden Reifen, die Polizisten sprangen heraus und einer fragte, „haben Sie uns gerufen?“

„Ja, das war ich, kommen Sie, da liegt Herr Mendel.“

Die Polizisten untersuchten den leblosen Mendel. Griffen in seine Taschen und öffneten sein Hemd, um auch an seiner Brust zu horchen.

Der Notarztwagen war inzwischen ebenfalls eingetroffen, zwei Männer mit weißen Helmen rannten in die Laube. Durch den Lärm begannen sich auch einige andere Laubenbesitzer auf der Straße zu versammeln.

Der Notarzt schüttelte nach kurzer Untersuchung den Kopf. „Da können wir wirklich nicht mehr helfen. Der Herr ist bereits seit einigen Stunden nicht mehr am Leben. Sieht nach Herzversagen aus“, sagte er zu den Polizeibeamten.

„Soll ich den Abtransport veranlassen?“ Einer der Polizisten schüttelte den Kopf, „nein. Wir warten auf Kommissar Reuter!“

Der war inzwischen auch angekommen und wechselte auf der Straße ein paar Worte mit dem Notarzt. Merz konnte aber nicht hören, was gesprochen wurde.

Danach trat Reuter in die Laube und warf einen Blick auf den Toten, der inzwischen mit einem weißen Laken zugedeckt worden war.

Erst danach ging er auf Merz zu und reichte ihm die Hand. „Guten Abend Herr Merz! Na dann, erzählen Sie mal.“

Merz wusste nicht so recht wo er anfangen sollte, deshalb sagte er: „Das ist Herr Mendel, ein alter Freund meines Großvaters. Ich habe ihn über eine Kleinanzeige in der FAZ kennen gelernt. Wir waren für heute Abend verabredet, und als ich gekommen bin, habe ich ihn tot aufgefunden. Darauf habe ich Sie sofort angerufen.“

„Aber warum rufen Sie jemand von der Mordkommission?“, fragte der Kommissar. „Der Notarzt hat mir bestätigt, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein natürlicher Tod vorliegt. Haben Sie einen konkreten Verdacht, dass jemand nachgeholfen hat.“

Merz knetete seine Hände, „wissen Sie, ich bin hier fremd. Und ich hatte gerade Ihre Karte in der Tasche. Ich habe darüber noch gar nicht nachgedacht aber, wenn man sein erschrecktes Gesicht sieht …“

„Das ist normal“, wehrte der Kommissar ab. Wenn jemand einen Herzanfall erleidet, erschreckt er sich. Und wenn er schnell stirbt, kann dieser Ausdruck auf seinem Gesicht bleiben. Daraus können Sie nicht irgendwelche Schlüsse ziehen. Aber ich frage Sie jetzt noch einmal? Haben Sie irgendeinen Anhaltspunkt für ein Fremdverschulden?“

„Nein“, antwortete Merz „Doch ich muss zuerst meinen Kopf etwas in Ordnung bringen.“

„Gut. Wenn Ihnen noch etwas einfällt, lassen Sie es mich wissen“, sagte der Kommissar.

Sein Assistent sah ihn fragend an: „Ermitteln wir?“

„Nicht wirklich. Aber wenn wir schon da sind, nehmen wir ein paar Fingerabdrücke von Klinken und Schubladen. Außerdem sehen Sie nach, ob etwas durchwühlt oder gewaltsam geöffnet wurde.“ Etwas leiser ergänzte er: „Nehmen Sie auch Abdrücke von dieser Weinflasche. Die hat sicher Herr Merz gebracht, dann können wir sofort vergleichen.“

Er wandte sich wieder an Merz: „Den Rest können wir den Polizeibeamten überlassen. Wenn Sie wollen, kann ich Sie zur Pension Erika bringen. Die liegt auf meinem Weg.“

Merz tat erstaunt. „Sie wissen, wo ich wohne?“

„Das ist nur Zufall“, antwortete der Kommissar. „Wollen Sie?“

„Ja gern, wenn ich kann, danke.“

Dieses Mal folgte ihnen kein Schatten. Horst und Jens hatten sich beim Eintreffen der Polizei schleunigst verzogen.

Auf der Fahrt fragte Merz den Kommissar, „was geschieht nun mit Herr Mendel? Werden sie eine Obduktion anordnen?“

„Eine Obduktion kann nur der Staatsanwalt anordnen, Herr Merz. Falls wir etwas Auffälliges finden, werde ich ihn darum bitten. Aber ich rechne nicht damit.“

„Gestern war er noch quicklebendig“, sinnierte Merz. „Und heute ist er einfach tot.“

„Nehmen sie das nicht so schwer. In seinem Alter muss man damit rechnen. Und es ist eigentlich ein schöner Tod, so in seinen Rosen einfach umzufallen. Viele müssen noch lange Krankheiten ertragen“, antwortete der Kommissar.

Merz wusste, dass er Recht hatte. Aber er wollte Mendel noch so viele Fragen stellen. Und außerdem war er noch nicht davon überzeugt, dass niemand an seinem Tod Schuld hatte.

Der Kommissar ließ den Wagen halten, sie waren bei der Pension angekommen.

„Wenn wir etwas für Sie interessantes ermitteln, melde ich mich. Ich kann Sie in der Pension erreichen?“, fragte der Kommissar.

„Ja, ich bleibe sicher noch ein paar Tage hier“, erklärte Merz. „Auf Wiedersehen, Herr Kommissar.“

Merz betrat die Pension, an der Theke stand seine Wirtin und sah ihn an. „Ist etwas passiert?“, fragte sie. „Ist Ihnen nicht gut?“

„Ein Freund ist gestorben“, antwortete Merz.

„Ach, das tut mir leid“, sagte sie. „Das habe ich auch gerade erlebt, er stammte aus der Schweiz, so wie Sie.“

Merz sah sie fragend an: „Fritz?“

„Sie haben ihn gekannt?“, staunte sie.

„Ja, er war in meinem Auftrag in Frankfurt. Er sollte etwas für mich ermitteln.“

„Er hat mir davon erzählt, aber den Namen seines Auftraggebers hat er nicht erwähnt. Deshalb konnte ich nicht wissen, dass Sie das sind. In einer Stunde kommt der Nachtportier. Wollen Sie dann vielleicht zu mir in die Wohnung kommen? Ich würde gerne mit Ihnen ein wenig über ihn plaudern. Und eventuell möchten Sie heute Abend ja auch nicht allein bleiben.“

„Ja“, antwortete Merz. „Ich komme gern.“

Eine gute Stunde später klingelte Merz an der Wohnungstür seiner Wirtin. Sie erwartete ihn bereits. „Kaffee oder Kognak?“, fragte sie.

„Wenn ich bitten darf, beides“, antwortete Merz.

Sie lächelte. „Genauso hat Fritz geantwortet. Und auch noch mit gleichem Akzent. Der arme Fritz. Jemand hat ihn hier in Frankfurt überfahren. Wahrscheinlich ein Betrunkener mit gestohlenem Auto. Niemand hat etwas gesehen. Aber ich will nicht von seinem Tod sprechen.

Wir haben uns vor etwa dreißig Jahren kennengelernt. Ich habe diese Pension schon lange. Er war bei uns abgestiegen, und wie er mir gesagt hat, war er von meiner Stimme begeistert. Da war ich natürlich auch noch etwas jünger, es war sicher nicht nur das. Ich bin jung verwitwet, mein Mann ist in Russland gefallen. Die Pension habe ich von meinen Eltern geerbt, so dass ich immer ein Auskommen hatte.

Fritz war zu dieser Zeit noch Angestellter, Detektiv ist er erst später geworden. Er war nur drei Monate hier, aber es war eine intensive Zeit. Er musste für eine Schweizer Firma etwas überwachen. Jedoch unsere ganze Freizeit haben wir zusammen verbracht.

Dann musste er wieder nach Hause. Ich konnte nicht alles aufgeben, um mit ihm zu gehen. Darum haben wir uns erst jetzt wiedergesehen, aber das Schicksal hat uns nur ein paar Tage gelassen.“ Sie tupfte sich einige Tränen ab.

„Was können sie mir über ihn erzählen, wie hat er gelebt?“

Merz strich sich über die Nase. „Ich habe ihn eigentlich nicht so gut gekannt. Außer beruflich haben wir uns nicht oft gesehen. Er war ein paarmal für mich unterwegs, um einige Fakten zusammenzutragen. Ich habe die Informationen gebraucht, um Zeitungsartikel zu schreiben.“

Merz machte eine Pause. „Darf ich fragen, ob er Ihnen etwas erzählt hat über seine Ermittlungen hier in Frankfurt?“

„Er hat mir gesagt, dass Sie ihre Familie suchen, die einmal hier gelebt hat. Er hat sich mit vielen alten Eisenbahnern unterhalten, und dabei einen Konrad Hammer gefunden.“

Merz war wie vom Donner gerührt. Sie hätte es gewusst. Warum habe ich nicht früher gefragt? „Einen Konrad Hammer?“, wiederholte er vorsichtig.

„Ja, der auf dem Foto, dass Sie ihm gegeben haben.“ „Gefunden? Wo hat er ihn gefunden?“

„Ja was denken Sie? Auf dem Friedhof natürlich. Er ist seit fünfundzwanzig Jahren tot. Das Grab wird schon bald wieder aufgehoben. Da er ja nichts mehr erzählen kann, hat Fritz nach dem anderen Mann gesucht. Aber darüber konnte er mir nicht mehr berichten. Aber ich habe Ihnen nun so viel erzählt. Ich möchte jetzt auch etwas von Ihnen hören.“

Merz erzählte, was ihm gerade so einfiel, über den Alten Fritz. Erst als er, von dessen Sohn in Kanada sprach, unterbrach sie ihn. „Er hat einen Sohn? Davon hat er mir nichts gesagt.“

Sie saugte alles auf, wie ein Schwamm, was sie über ihn hörte. Sie muss ihn geliebt haben, dachte Merz.

Nach Mitternacht kehrte er sein Zimmer zurück. Er dachte noch lange über den Tag nach, schlief erst gegen Morgen ein.

***

Am nächsten Morgen im Polizeipräsidium brachte der Assistent Kommissar Reuters, seine Ergebnisse zu ihm. „Haben wir was?“, fragte der Kommissar.

„Nicht viel. Es war nichts durchsucht oder erbrochen. Abdrücke überall, aber nur von Mendel. Einzig auf der Flasche und auf der Klinke der Gartentüre waren fremde Abdrücke. Allerdings die Gleichen. Sie dürften von ihrem Zeugen stammen.“

„Sonst ist Ihnen nichts aufgefallen?“

„Nein. Auf der Klinke war nur ein Abdruck vorhanden.“

„Wie? Nur ein Abdruck? Keine von Mendel?“

„Nein.“

„Seltsam?“ Der Kommissar überlegte kurz, dann fragte er, „haben Sie einen Garten?“

„Ja“, lautete die Antwort.

„Und wie oft reinigen Sie die Klinke der Gartentüre?“

Der Assistent lachte auf. „Nie.“

„Sehen Sie, ich auch nicht. Vielleicht hat der letzte Besucher die Klinke abgewischt, das wäre möglich. Es kann aber auch nur ein Zufall sein. Trotzdem werde ich eine Obduktion beantragen.“

Der Kommissar lehnte sich zurück. „Legen Sie eine provisorische Akte an, und vermerken Sie, was wir besprochen haben.“

„Soll Ihr Zeuge zum Vergleich der Abdrücke vorgeladen werden?“

„Nein, das hat noch Zeit. Wir warten auf jeden Fall das Ergebnis des Gerichtsmediziners ab. Wenn sich nichts ergibt, legen wir den Fall zu den Akten.“

Der Assistent blieb noch kurz stehen.

„Ist noch etwas?“, fragte der Kommissar nach.

„Ja, wir haben, wie Sie wissen, zwei junge Abgänger der Polizeischule bei uns in der Abteilung. Sie müssen seit zwei Monaten nur Schreibarbeiten erledigen. Es wäre besser, wenn sie einmal einen praktischen Einsatz hätten. Gibt es vielleicht eine Möglichkeit, dass sie etwas tun könnten. Niemand will sie mitnehmen, weil sie keine Erfahrung haben.“

Der Kommissar kratzte sich am Kinn. Dann hellte sich sein Gesicht auf. „Ich habe einen Einsatz für die zwei. Schicken Sie sie umgehend zu mir!“

„Mache ich!“ Der Assistent eilte davon.

Einige Minuten später betraten zwei junge Männer das Büro von Kommissar Reuter.

Sie stellten sich vor: „Ich bin Walter Hellmann.“

„Und ich Max Krüger“, sagte der andere. „Sie haben uns bestellt.“

„Wir machen jetzt eine Einsatzbesprechung“, begann der Kommissar. „Ihr müsst jemanden observieren. Habt Ihr schon eine Erfahrung.“

„Nein.“ Beide schüttelten die Köpfe.

„Na, gut. Derjenige ist nicht gefährlich, er rechnet nicht mit einer Beschattung. Trotzdem darf er nichts bemerken. Habt Ihr wenigstens etwas Theorie gehabt in der Schule?“

„Ja“, beide nickten.

„Wir fahren jetzt zum Einsatz. Ich werde mich kurz mit ihm treffen, und Ihr bleibt an ihm dran. Ihr meldet euch, wenn etwas Besonderes passiert oder sonst etwa alle acht Stunden. Alles klar?“

„Ja, Herr Kommissar!“ Sie antworteten gleichzeitig.

Reuter griff zum Telefon, wählte eine Nummer, dann fragte er, „ist Herr Merz im Haus? Ja, richten sie ihm bitte aus, dass ich kurz vorbeikomme. Danke.“

Der Kommissar legte auf. „Das ist euer Mann. Erich Merz, er wohnt in der Pension Erika. Wir treffen uns in zehn Minuten in der Fahrbereitschaft. Den Wagen müsst Ihr übrigens jeden Tag wechseln. Noch Fragen?“

Die beiden sahen sich kurz an. „Nein, Herr Kommissar“, antwortete Hellmann.

Kurz darauf fuhr Kommissar Reuter mit Hellmann und Krüger im Schlepptau zur Pension Erika.

An der Theke erwartete ihn Merz bereits. „Guten Tag, Herr Kommissar, gibt es etwas Neues?“