Paulo am Ende der Seidenstraße (8) - HaMuJu - E-Book

Paulo am Ende der Seidenstraße (8) E-Book

HaMuJu

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Beschreibung

Paulo bereist zwei Jahre lang die Seidenstraße und besteht allerlei Abenteuer, er lernt viele Menschen kennen und stellt fest, dass man bei aller Fremdheit sehr gut miteinander auskommen kann, als er am Ende in Xian seine Reise eigentlich abschließt, ist er um viele Erfahrungen reicher.

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HaMuJu

Paulo am Ende der Seidenstraße (8)

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Der Gelbe Fluss

Xian

Shanghai

Jinan

Peking

Liu

Liu

Impressum neobooks

Der Gelbe Fluss

Hans Müller-Jüngst

Paulo am Ende der Seidenstraße

(8)

Impressum

Texte: © Copyright by Hans Müller-Jüngst

Umschlag: © Copyright by Hans Müller-Jüngst…Verlag: Hans Müller-Jüngst

Waisenhausstr. 447506 [email protected]

Druck: epubli, ein Service der

neopubli GmbH, Berlin

Printed in Germany

Lanzhou

liuIch war allein, ich war auf meiner Reise schon oft allein gewesen, aber bei diesem Mal fühlte ich eine große Einsamkeit, ich war über Monate immer mit Leuten zusammen, die meine Freunde wurden, mit einem Schlag war das alles vorbei und ich war auf mich selbst gestellt.

Der Zug würde für die dreihundert Kilometer bis Lanzhou vier Stunden brauchen, ich zog meine Kladde aus dem Rucksack und begann zu schreiben. Mir fielen unendlich viele Dinge ein, die ich für wert befand, notiert zu werden, ich hatte das letzte Mal in Turpan geschrieben, als ich mit Liang neben dem Traubenkarren saß, ich würde festhalten müssen, was es jeweils bedeutet hatte, sich auf die Weise in die Welt der Vergangenheit zurückzuversetzen. Es war nicht ganz einfach, die passenden Worte dafür zu finden, aber ich hatte ja Zeit, mir würde schon etwas einfallen.

Liangs Mutter hatte mir etwas zu essen mitgegeben, Brot, Käse und Dauerwurst, das gute Brot, ich würde es in Deutschland vermissen. Ich packte die Sachen aus und schaute, während ich schrieb und aß, gelegentlich aus dem Fenster. Die Landschaft sauste vorbei und nach drei Stunden, der Zug hatte an mehreren kleinen Bahnhöfen gehalten, erreichten wir in Hekouxiang den legendären Gelben Fluss, den Huang He, wo die Eisenbahn nach einem großen Bogen über die Brücke auf die andere Flussseite gelangte. Der Fluss hatte eine beträchtliche Breite und machte seinem Namen alle Ehre, die Gelbfärbung stammte von abgetragenem Löß am Oberlauf, den er als Sediment mit sich führte. Der Löß summierte sich pro Jahr auf eine Milliarde Tonnen im Mündungsgebiet. Die Eisenbahn folgte dem Flusslauf ungefähr fünfzig Kilometer bis Lanzhou, in einen tausendfünfhundert Meter hoch gelegenen Talkessel, in dem man vor lauter Smog das andere Flussufer kaum erkennen konnte.

Tatsächlich zählte Lanzhou zu den zehn Städten in der Welt, die die meiste Luftverschmutzung aufzuweisen hatten, so eine Studie des „World Ressources Institute“ von 1998. Die Luft in der Stadt war dermaßen belastet, dass viele Menschen unter Atemwegserkrankungen litten, fast so wie in der Zeit, als zu Hause die Schlote qualmten und die Schwerindustrie ihre Emissionen ungefiltert in die Luft abgeben durfte. Das war in Deutschland natürlich längst vorbei, schärfste Umweltauflagen mussten eingehalten werden, das galt europaweit, ich kam mir in Lanzhou vor wie im Ruhrgebiet der 50er oder 60er Jahre des letzten Jahrhunderts. Imposant war der Gelbe Fluss, der mit einer Gesamtlänge von über fünftausend Kilometern Chinas zweitlängster Fluss war. Seine Quelle lag im tibetanischen Hochland, vierhundertfünfzig Kilometer östlich der Quelle des Jangtsekiang, des größten und längsten chinesischen Flusses.

Der Flusslauf ließ sich in drei große Abschnitte gliedern, einen ersten, der von der Quelle in vielen Windungen bis Hekouxiang verlief, der Fluss verlor in dem Abschnitt dreitausendfünfhundert Höhenmeter, sein zweiter Abschnitt beschrieb einen riesigen Bogen, der von Lanzhou aus tausend Kilometer nach Norden reichte, fünfhundert Kilometer nach Osten an Baotou vorbei verlief und dann wieder tausend Kilometer bis Zhengzhou nach Süden abfiel. Dann verließ der Huang He den Gebirgsteil bei Kaifeng, von wo er fünfhundert Kilometer nordöstlich dem Gelben Meer zufloss. In seinem letzten Teil hatte er so viele Sedimente aufgeschüttet, dass sein Flussbett eingedeicht zehn Meter über dem Umland lag, was natürlich bei Dammbrüchen erhebliches Hochwasser nach sich zog. Bei verschiedenen Hochwassern waren in der Vergangenheit Millionen von Menschen umgekommen. Tschiang Kai Tschek hatte einmal die Dämme des Huang He gegen die japanischen Aggressoren öffnen lassen, neben ungezählten Japanern kamen dabei auch eine Million Chinesen ums Leben. An die Tatsache, dass der Gelbe Fluss als die Mutter der Chinesen angesehen wurde, erinnerte am Südufer des Flusses eine Skulptur mit dem Namen „Yellow River Mother“. Es war eine Kolossalfigur, sechs Meter lang, zweieinhalb Meter breit und zweieinhalb Meter hoch, eine liegende Frau, die einen Säugling auf ihrem Körper hielt und ihn fütterte, sie war vierzig Tonnen schwer.

Sie war schlicht gehalten, aus Beton, sie strahlte eine Ruhe aus und wirkte massig. In den Augen der chinesischen Kulturoberen gebührte der Figur höchste Wertschätzung, für europäische Augen war sie einfach eine Betonskulptur und nichts weiter. Der Gelbe Fluss und die von ihm abgeleiteten Bewässerungskanäle waren verseucht, sie waren so verseucht, dass das Wasser nicht einmal mehr zur Landbewässerung geeignet war. Das war der Preis für den unbändigen Wirtschaftsboom, der in China herrschte, wo Fabriken ihre Abwässer in den Gelben Fluss ableiteten und Farmen Wasser entnahmen und mit Pflanzenschutzmitteln verseucht wieder zurückführen durften. Die Wasserentnahme aus dem Gelben Fluss für die Städte und ihre wachsende Einwohnerschaft war so groß, dass der Fluss an seinem Unterlauf entweder austrocknete oder in manchen Jahren nur noch dreißig Prozent seiner Wassermenge bis zum Gelben Meer gelangte. Der Huang He war ein Hauptnerv im chinesischen Staatskörper, er sollte mich noch eine Zeit lang begleiten. Lanzhou drängte sich geradezu ins Blickfeld mit seiner Hochausskyline, die einer modernen Großstadt entsprach. Ich war schon lange nicht mehr in einer Stadt mit einer dermaßen ins Auge stechenden Hochhaussilhouette gewesen, wenn ich mich recht erinnerte, so war das Teheran gewesen, aber das lag schon so lange zurück!

Ich beabsichtigte, eine Zeit in Lanzhou zu bleiben und mir einen Eindruck von der Stadt und ihrer Umgebung zu verschaffen. Der Zug lief in den Bahnhof ein, es war 14.00 h, er war pünktlich, der Bahnhof lag am Südrand des Stadtzentrums. Die Luft war stinkig, einladend war die Stadt nicht, wenn man die Umweltbedingungen und besonders die schlechte Luft zugrundelegte. Ich ging in der Bahnhofshalle zur Tourist Information, um mir ein Hotel nennen zu lassen, das ich auch bezahlen konnte, ich wollte im Höchstfall fünfundzwanzig US-Dollar ausgeben. Im Touristenbüro verwies man auf das „Friendship Jiabinbao Hotel“, rief dort an und reservierte für mich gleich ein Zimmer, nachdem ich beim Preis von vierundzwanzig US-Dollar mein okay gegeben hatte. Der Zimmerpreis lag gerade so in meinem Budget, ich würde mir wohl noch etwas Billigeres suchen, für die erste Nacht war das aber in Ordnung. Man nannte mir eine Buslinie, die am Hotel vorbeiführte, ich müsste nur zum Bahnhofsvorplatz und da würden die Busse warten. Ich trat also aus der Bahnhofshalle hinaus und befand mich in Lanzhou am Huang He, der Busbahnhof lag auf der gegenüberliegenden Seite. Ich stieg in die Nummer, die man mir genannt hatte und löste beim Fahrer einen Fahrschein, nachdem ich ihm den Hotelprospekt gezeigt hatte.

Ich zahlte verschwindend wenig für das Busticket, und der Bus fuhr sofort los in den Norden des Stadtzentrums. Das Hotel lag in einer Gegend, in der ein hässlicher Wohnblock neben dem anderen stand, aber es lag immer noch im Stadtzentrum, das meiste Interessante war von dort aus zu Fuß erreichbar. Das Hotel hatte nach Landeskategorie drei Sterne, die Länder stapelten bei der Sternvergabe immer noch hoch, aber für meine Ansprüche reichte das Hotel allemal, direkt vor dem Hotel lag die Bushaltestelle, ich konnte also jederzeit mit dem Bus ins Zentrum fahren. Das Zimmer, das ich nach dem Einchecken erhielt, war zwar sehr einfach eingerichtet, es war aber sauber und hatte ein frisch gemachtes Bett, dazu gab es auf dem Zimmer noch ein Bad. Mehr brauchte ich nicht, ich stellte meinen Rucksack in die Ecke und legte mich aufs Bett, ich lag auf dem Rücken und dachte über meine Situation nach. Ich wäre in Lanzou nur noch siebenhundert Kilometer von Xian, dem eigentlichen Ende meiner Reise entfernt, ich müsste noch nach Shanghai und nach Peking, von wo aus ich nach Hause flöge. Aber bis dahin dauerte es noch mindestens zwei Monate, ich müsste mir Xian gründlich anschauen, auch Shanghai und vor allem Peking wollte ich gründlich besichtigen. Ich stand wieder auf und nahm ein paar frische Sachen aus meinem Rucksack, dann ging ich duschen und drehte das heiße Wasser voll auf, aber leider gab es kein heißes Wasser, ich duschte also mit einiger Überwindung kalt. Dann zog ich mich an und ging runter, mein Zimmer lag im zweiten Stock, der Lift war außer Betrieb, sodass ich die Treppe nahm. Ich grüßte den Portier im Vorbeigehen und lief zur Bushaltestelle, wo ich den Bus ins Zentrum gerade noch erwischte.

Ich stieg an der legendären Zhongshan-Brücke wieder aus und setzte mich auf eine Bank an den Huang He. Die Zhongshan-Brücke war die erste feste Brücke über den Gelben Fluss, sie löste eine Pontonbrücke ab, die im Winter bei Eisgang abgebaut werden musste, sodass dann eine Flussüberquerung nicht mehr möglich war. Wichtig für mich war, dass über diese Brücke die Seidenstraße verlief, im Jahr 1992 hatte am Südende der Brücke ein Seidenstraßenfestival stattgefunden, auf dem daran erinnert wurde, dass die Brücke ein Denkmal für die Bemühungen Chinas war, sich nach Westen zu öffnen, denn die Brücke war von deutschen Ingenieuren gebaut worden, die alles für den Bau benötigte Material auf dem See- und Landwege dorthin verfrachtet hatten. Im Juli 1907 kamen die ersten Teile im Hafen von Tianjin an und wurden von dort tausendsiebenhundert Kilometer über Land nach Lanzhou transportiert, vierhundertachtzig Kilometer davon mit der Eisenbahn, der Rest wurde mit Lasttieren bewältigt, die Transportzeit betrug insgesamt neunzehn Monate.

2004 wurde die Brücke für den Straßenverkehr gesperrt und nur den Fußgängern offengehalten. Es gab in Lanzhou mittlerweile zehn Brücken über den Huang He. Ihren Namen erhielt die Brücke 1942 zu Ehren des Gründers der Republik China, Dr. Sun Yat Sen. Die Brückenköpfe waren fußgängergerecht gestaltet, die Menschen, die sie passierten, waren, sowie ich das beobachten konnte, guter Dinge und lachten. Kinder stampften fest mit ihren Füßen, um die Holzbohlen ertönen zu lassen.

Vierhundert Meter flussabwärts gab es die nächste Brücke und noch einen Kilometer weiter lag die große Huang-He-Brücke. Ich ging über die Zongshan-Brücke auf die andere Flussseite und lief die Beibinhe Middle Road flussabwärts, man hatte von dort einen herrlichen Blick auf die City von Lanzhou, allerdings durch dichten Smog. Ich lief am „Apollo“-Hotel vorbei und ging über die Huang-He-Brücke in die Stadt zurück. Am Brückenende ging ich die Treppe hoch und gelangte in eine „Kinderpark“ genannte Günfläche, wo ich mich eine Zeit lang auf eine Bank setzte und Familien mit ihren Kindern beobachtete. Ich lief anschließend weiter ins Zentrum zum Century Place, wo ich mir ein Restaurant suchte, denn es war Abend geworden und ich hatte Hunger bekommen. Ich fand dann ein einfaches chinesisches Restaurant, in dem ich allerdings die Speisekarte nicht lesen konnte. So nahm mich, wie damals in Yining, der Kellner bei der Hand und führte mich in die Küche. Dort zeigte mir der Koch, was sich in den einzelnen Töpfen befand und ich wies auf die Speisen, die mir zusagten und die ich bestellte. Es gab eine sehr gut aussehende Gemüsemischung aus Tomaten und Bohnen, dazu bestellte ich Reis und Rindfleisch süß-sauer. Der Kellner schrieb die von mir ausgesuchten Speisen auf und brachte sie mir ins Restaurant. Ich bestellte Bier zum Essen, das Wort „Bier“ wurde verstanden. Ich musste sagen, dass ich in China noch kein schlechtes Bier getrunken hatte, sie verstanden in China die Braukunst.

Wein zu bekommen wäre in teuren Restaurants zwar möglich gewesen, hätte aber seinen Preis gehabt und dann hätte man natürlich nicht so einen Wein bekommen, wie ihn Liang oder Akuma kelterten, sondern wahrscheinlich importierten Wein minderer Qualität, also trank ich Bier. Es war kühl geworden in Lanzhou, man merkte doch die Höhe von tausendfünfundert Metern, die Luft war entsetzlich.

Die chinesischen Behörden hatten Teile der die Stadt umgebenden Berge sprengen lassen, um einen Luftaustausch zu ermöglichen. Ich lief nach dem Essen ein wenig durch die erhellte Innenstadt, es herrschte geschäftiges Treiben, die Leute kamen entweder von der Arbeit, um vor dem Nachhausegehen noch etwas zu trinken oder sie liefen zum Vergnügen durch die Stadt. Ich hatte einen ersten Eindruck von der Stadt bekommen, einen ersten oberflächlichen Eindruck und lief zur Bushaltestelle, um zu meinem Hotel zurückzufahren. Ich würde am nächsten Tag mit meinem Besichtigungsprogramm beginnen. Ich müsste mir zunächst einmal anschauen, wie der Gelbe Fluss in die Stadt eingebunden war, er war schließlich ein recht breiter Strom, auch schiffbar, da musste es so etwas wie eine Infrastruktur der Binnenschifffahrt geben. Im Bus saßen wenige Menschen in Jacken gehüllt, wortlos, mit teilweise verkrampftem Gesicht, vielleicht kamen sie von der Arbeit zurück, erschöpft. Ich war um 21.30 h am „Friendship Jiabinbou Hotel“, der Portier sah desinteressiert von seinem Rezeptionstisch auf, als ich die Halle betrat und grüßte mich, ich grüßte zurück. Ich ging auf mein Zimmer und las noch einen Augenblick in dem Prospekt, den ich bei der Touristeninformation am Bahnhof erhalten hatte und suchte Besichtigungsschwerpunkte aus.

Über meinem Bett hing ein Bild, das den Huang He an seinem Oberlauf zeigte, wie er tosend durch Gebirgsschluchten brach, über den Bergen flogen Vögel, eine etwas kitschige Darstellung, aber sehr farbenfroh. Gegen 22.30 h schlief ich ein, ich hatte auf meiner Reise nie Schlafprobleme, immer war ich so müde, dass ich schnell einschlief, sei es, weil ich viel Alkohol getrunken hatte oder sei es, weil ich viel herumgelaufen war und müde auf mein Zimmer zurückkehrte. Am nächsten Morgen war ich seit langer Zeit einmal wieder allein beim Frühstück. Ich genoss es, lange zu sitzen und in der „China Daily“ zu blättern, die ich mir am Vorabend in der Stadt besorgt hatte und Tee zu trinken. Ich hatte nicht viel gegessen, ein, zwei Hörnchen mit Marmelade. Nach dem Frühstück nahm ich wieder den Bus zum Bahnhof, von wo ich zwei Kilometer nach Westen lief, und den „Wuquanshan“-Park-auf Englisch „Five-Springs“-Park- erreichte. Der gesamte Park hatte eine Fläche von 260000 Quadratmetern und machte einen sehr gepflegten Eindruck, üppige Grünflächen und einige architektonisch bedeutsame Tempel waren im Park zu finden. Es rankte sich eine Legende um den Park, nach welcher der Kaiser den berühmten General Huo Qubing dazu bestimmt hatte, eine Strafexpedition gegen eine Minderheitengruppe im Nordwesten Chinas durchzuführen. Weil die Soldaten von Xian durchmarschiert waren, waren sie und der General erschöpft, als sie in der Gegend des heutigen Parks ankamen. Sie konnten in der Nähe kein Wasser finden, sodass der General seine Reitpeitsche fünfmal kräftig auf den Boden schlug. Sofort sprudelte aus fünf Quellen Wasser empor, weshalb die Einheimischen fortan die Stelle den „Five-Spring-Mountain“ nannten. Die Geschichte klang unwirklich, Tatsache aber war, dass es fünf Quellen gab, die die Einheimischen über Jahrhunderte hinweg mit frischem Wasser versorgt hatten. Seit 1955 war die Gegend ein offizieller Park. Der mittlere Gipfel im Park, die höchste Erhebung, war tausendsechshundert Meter hoch, die Ganlu-, Juyue- und Mozi-Quelle lagen verstreut auf diesem Mittelgipfel. Die Meng- und die Hui-Quell lagen auf jeweils einer Seite.

Die fünf Quellen waren nicht nur ein touristischer Anziehungspunkt, der Park war auch ein wichtiger religiöser Ort, der „Wenchang“-Tempel, der Schmetterlingstempel, der „Goldener-Buddha-Tempel“, die „Mahavira“-Halle, der „Wanyuan“-Pavillon und der „Tausend-Buddha“-Tempel waren entlang einer Passage auf dem „Five-Spring-Mountain“ angeordnet. Gänge und Steinstufen, die dem Ganzen ein künstlerisches Aussehen gaben, verbanden die Tempel. Man konnte in dem Park vieles über den Buddhismus lernen. Der Eintritt in den Park betrug fünf Yuan, was ungefähr fünfzig Euro-Cent entsprach und für unsereinen wenig, für einen Durchschnittschinesen aber vielleicht beträchtlich war.

Wenn man unterhalb des tibetanischen buddhistischen Tempels stand und die gewaltige Anlage sah, bot sich einem ein faszinierendes Bild, die Anlage war komplett restauriert und in ausgezeichnetem Zustand. Ich setzte mich in ein Besucherlokal und bestellte Tee und eine Kleinigkeit zu essen, wir hatten frühen Nachmittag und ich wollte später noch das Gansu-Museum besuchen. Im „Five-Springs“-Park war nicht viel los, es war ja Werktag und die meisten Menschen mussten arbeiten. Ich ging wieder zum Bahnhof und nahm den Bus in Richtung Hotel, er fuhr die Xijin East Road entlang, und ich stieg am Gansu Museum aus. Das Museum war das größte zusammenhängende Museum der Provinz und ein Besuch war angeblich lohnenswert, so sagte mir jedenfalls der Hotelportier.

Das Museum hatte zwei Abteilungen, eine enthielt natürliche Funde, eine zweite historische Artefakte.

Es enthielt Sammlungen verschiedener Töpferarbeiten aus dem Neolithikum und Schätze aus alten Höhlen. Darüber hinaus fanden sich im Museum kostbares Leinen und Seidenarbeiten, Bücher, hölzerne und bronzene Gefäße, viele Bambustafeln mit Schriften aus der Han-Dynastie, Fresken und viele andere Ausstellungsstücke. Ein vier Meter hohes Mammutskelett, eine Nachbildung war ausgestellt, das aus dem Gelben Fluss ausgegraben worden war (1973). Neben der frühgeschichtlichen Ausstellung waren seltene Tiere zu sehen wie Pandas, Goldaffen und rot gekrönte Kraniche.

Das Museum enthielt sicher in Teilen hoch interessante Ausstellungsstücke, ich hatte aber auch schon in Deutschland Museen zur Ur- und Frühgeschichte besucht, auch während meiner Schulzeit und fand solche Museen nie sonderlich unterhaltsam, aber das war eben Geschmackssache, als Schüler hatten wir uns über fossile Funde immer lustig gemacht. Ich fuhr wieder zum Fluss hoch und ging in den „Wasserrad-Garten“ in der Nanbinhe Middle Road. Der Garten enthielt zwei große Wasserräder, eine Spundwand, ein Erholungsterrain und eine Wassermühle. Lanzhou war die einzige Stadt, die der Gelbe Fluss durchfloss, es gab deshalb viele Bewässerungsanlagen. Man hatte von den Bewässerungssystemen in der Yunnan Provinz gelernt und ein Wasserrad erfunden, das an ein Karrenrad erinnerte und einen Durchmesser von zehn bis zwanzig Metern hatte. Die Radmitte war mit einer Achse auf Brettern aufgebracht, während der Außenrand des Rades mit vielen Schaufelplatten fixiert war. Diese Schaufeln konnten Wasser fünfzehn bis achtzehn Meter hoch befördern, um damit Felder zu bewässern. Bis 1952 standen zweihundertfünfzig Wasserräder an den Ufern des Flusses in Lanzhou und zu der Zeit wurde Lanzhou die „Stadt der Wasserräder“ genannt. In dem Garten standen zwei Wasserräder aufrecht am Südufer des Gelben Flusses. Sie waren den antiken Vorbildern nachempfunden, mit quadratischen Schaufeln und einem Durchmesser von sechzehn Metern. In Zeiten hohen Wassers trieb sie der Fluss, bei Niedrigwasser wurden sie in einer Abdämmung gespeist. Wegen der zwei Wasserräder und ihrer herausragenden Lage, genoss das Teehaus im Garten bei den Touristen großes Ansehen. Besucher konnten von dort bei einer Tasse Tee die sich drehenden Wasserräder beobachten. Im Garten konnten die Touristen Erfahrungen dabei sammeln, wie man den Fluss mit einem Schafshautfloß überquerte, was die urzeitliche Fähre im Nordwesten der Stadt war.

Der Besuch in dem Wasserradgarten hatte sich gelohnt, ich hätte jedem einen Besuch des Gartens empfohlen, besonders natürlich, weil man direkt am Gelben Fluss saß, der mich faszinierte, obwohl sein Wasser wahrscheinlich verseucht war. Ich liebte in Deutschland auch den Rhein, dessen Wasser wieder ganz erträglich geworden war.

Flüsse trugen immer ein Stück aus der Vergangenheit mit sich und das seit Jahrtausenden. Ihren Wassermassen waren die Menschen entweder hilflos ausgeliefert oder sie wussten sie für sich zu nutzen, wie bei den Wasserrädern. Der Wasserradgarten schloss um 18.00 h und ich war einer der letzten, der ihn verließ. Ich wollte wieder in die Innenstadt in mein Restaurant am Century Park, so lief ich den Fluss entlang und schaute immer auf das Wasser, der Fluss nahm mich gefangen. Vor der Zongshan-Brücke gab es Flussinseln, die das Wasser teilten, hinter der Brücke gab es Anleger, an denen Hausboote festgemacht hatten. Ich bog nach rechts in die Stadt ab, die Luft war unerträglich, am Mittag konnte man von den „Five-Spring-Mountains“ die gelbe Dunstglocke sehen, die sich über das Stadtgeschehen wölbte, ich könnte nicht in der Stadt leben und fragte mich, ob nicht alle Einwohner früher oder später schwere Erkrankungen davontrügen. In der Stadt herrschte dichter Autoverkehr, der zur Luftverschmutzung noch beitrug.

Ich erreichte nach einem zwanzigminütigen Gang den Century Place mein Restaurant. Der Kellner vom Vorabend bediente mich und ging mit mir unverzüglich in die Küche, wo ich mir das Essen vom Vorabend noch einmal zusammenstellte. Wieder nahm ich vorab ein Bier. Ich hatte mir meine „China Daily“ vom Morgen mitgenommen und begann, in aller Ruhe Zeitung zu lesen, mich interessierte nicht wirklich, was in der Welt um mich herum geschah, ich registrierte aber die Schlagzeilen. Ein Farbiger war amerikanischer Präsident geworden, das war schon bemerkenswert, der erste farbige amerikanische Präsident! Dann kam mein Essen, wieder so lecker wie am Vorabend, ich bestellte noch ein Bier. Anschließend las ich noch ein wenig in meiner Zeitung. Ich zahlte und schlenderte durch die Innenstadt, es war kühl geworden, wir hatten mittlerweile Spätsommer! Ich kam an einer Kneipe vorbei und hörte laute Musik, „Beat it“ von Michael Jackson beschallte die Umgebung, ich trat ein und sah viele junge Leute, die sich im Takt bewegten, einige tanzten. Das Kneipeninnere war war von Rauch geschwängert, so als würde jeder Besucher zwei Zigaretten auf einmal rauchen, man sah keine fünf Meter weit. Ich lief an die Theke und bestellte mir schreiend ein Bier, das mir sofort gegeben wurde und das schön kalt war. Einige Herumstehende sahen mich an, nicht dass ich zu alt gewesen wäre für die junge Kneipe, ich sah nur anders aus als die anderen. Ich stellte mich an einen Stehtisch zu Leuten, die Cola tranken und lachten und trank mein Bier aus der Flasche. Ich stand direkt unter einer Lautsprecherbox, die so laut eingestellt war, dass es unmöglich war, sich zu unterhalten und „Beat it“ hatte ja Bässe, die einem das Blut in den Adern vibrieren ließen. Ich trank mein Bier aus und ging wieder hinaus, es herrschte eine wohltuende Stille, als sich die Kneipentür hinter mir schloss, jedenfalls empfand ich es so, in Wirklichkeit war auf der Straße aber auch Lärm, wenn auch bei weitem nicht so ein Getöse, wie in der Kneipe.

Man sah einige Pärchen auf der Straße, Händchen haltend, nicht küssend, denn das war in der Öffentlichkeit verpönt. Ich kam noch an weiteren Lokalen mit lauter Musik vorbei, unterließ es aber, hineinzugehen, stattdessen lief ich weiter durch die Innenstadt, die hell erleuchtet war und sah mich um. Ich erreichte irgendwann den Bahnhof und stieg in den Bus zum Hotel, das ich gegen 22.00 h erreichte. Der Portier sah kurz hoch und fragte mich in gebrochenem Englisch, wie mir Lanzhou gefallen hätte und ich antwortete, leicht übertrieben, ausgezeichnet.

Ich ging aufs Zimmer und las in meiner Zeitung. Hillary Clinton, die hoch favorisierte Kandidatin für das Amt des amerikanischen Präsidenten, war Barack Obama unterlegen, der es in einem beispiellosen Wahlkampf verstanden hatte, die Massen auf seine Seite zu ziehen. Hillary Clinton wurde dann seine Außenministerin, eine Demokratin, aber Obama schaffte es, auch Leute in sein Kabinett einzubinden, die nicht der Demokratischen Partei angehörten. Um 22.45 h löschte ich das Licht und schlief sofort ein, ich hatte aus der Musikkneipe immer noch ein Rauschen in den Ohren, das erst dann langsam abklang.

Am nächsten Morgen stand ich um 8.30 h auf, duschte und ging in den Frühstücksraum, der einfach wirkte und in dem nur wenige Leute saßen. Er hatte in seiner Schlichtheit etwas von einer Milchbar, es war kühl in ihm und ich zog mir eine Jacke über. Ein heißer Tee tat gut, ich aß zwei Hörnchen mit Marmelade und unterhielt mich mit Hotelgästen am Nebentisch, es war ein Ehepaar aus Schweden, das eine Chinarundreise machte und in Lanzhou gelandet war, wie ich. Ich verabschiedete mich dann von ihnen und verließ das Hotel, um die „Weiße Pagode“ zu besichtigen, ein weiteres Highlight in Lanzhou. Die „Weiße Pagode“ lag im Norden der Stadt, direkt vor der Zongshan-Brücke am Nordufer des Gelben Flusses.

Sie hatte die Grundfläche eines Oktaeders, an jeder Seite des Achtecks war ein Buddhabildnis zu sehen. Die Pagode war siebzehn Meter hoch und hatte sieben Stockwerke, sie war komplett weiß, mit Ausnahme des Daches, das grün gehalten war und dem Gebäude eine vornehme Note gab. Die Legende besagte, dass die Pagode zu Ehren eines bekannten tibetanischen Lamas gebaut worden war, der an einer schweren Krankheit starb, als er auf dem Weg zu Dschingis Khan war. Möglicherweise verfiel die Pagode in den späteren Jahren. Die bestehende Pagode wurde von einem Reichsinspektor der Quing-Dynastie gebaut. 1958 wurde sie der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Der ganze Park enthielt drei architektonisch bedeutsame Komplexe, die mit der umgebenden natürlichen Landschaft harmonierten. Nach vielen Jahren Aufforstungsarbeit bekam der Park ein neues Aussehen und in unserer Zeit erhielt er üppige Rasenflächen. Wenn jemand den Park besuchte, sollte er das oberste Stockwerk der Pagode besuchen, weil er von dort einen Blick auf den Park und auf Lanzhou erhielt. Der Blick fiel natürlich auch auf die Zongshan-Brücke, mit der die Pagode eine Einheit zu bilden schien, beide waren ein Symbol für Lanzhou und ein unbedingtes Muss für Touristen. Ich ging am Fuße der Pagode in eine Teestube, trank Tee und aß Gebäck dazu, um die Mittagszeit war an der Pagode nicht viel los.

Einige Familien liefen mit ihren Kindern durch den Park, die Kinder hatten Spaß daran, auf die Pagode zu klettern und den Blick von ganz oben zu genießen. Anschließend in der Teestube schrien sie herum und die Eltern hatten Mühe, sie zur Ruhe zu ermahnen, so ausgelassen, wie die Kinder waren, war das sehr schwer, aber auch gar nicht unbedingt nötig. Ich lief nach dem Tee zum Fluss hinunter und ging über die Zongshan-Brücke, die mir wie eine Spielzeugbrücke vorkam, so schwach wie sie war, aber sie vermittelte doch einen Eindruck davon, was es bedeutet hatte, vor hundert Jahren erstmalig über den breiten Fluss fahren zu können. Auf der anderen Flussseite hielt ich mich links und ging zu den Anliegern der Hausboote, die dort lagen und auf denen Leute Ferien zu machen schienen. Ich setzte mich am Ufer auf eine Bank und schaute mir das Treiben auf den Hausbooten an, die Sonne schien und es war relativ warm. Auf einem Hausboot sah man Kinder spielen, sie hatten Modellautos und fuhren damit an Deck herum, auf einem anderen Hausboot saß ein alter Mann in einem Schaukelstuhl und las Zeitung und auf einem dritten Hausboot hängte eine Frau gerade ihre Wäsche auf die Leine. Ich dachte an die Hausbootszene in Frankreich, wo das Hausboot sehr verbreitet war und wo die Leute quer durch das Land fuhren, durch unzählige Schleusen. Sicher böte der Fluss nicht immer die nötige Wassertiefe, um mit einem Boot auf ihm entlangzufahren. Im September führte er aber so viel Wasser, dass es locker ausreichte, eine Hausboottour auf dem Gelben Fluss zu machen.

Plötzlich erschallte eine laute Stimme von einem vierten Boot, von dem jemand zu rufen schien, ich drehte mich um, konnte aber niemanden entdecken, an den sich die Stimme gerichtet hätte. Noch einmal ertönte ein lautes Rufen, ich schaute zu dem vierten Hausboot und erkannte die Ruferin, die offensichtlich mich rief, als ich sie ansah, winkte sie mir wie wild zu, ich sollte zu ihr kommen. Das tat ich dann, lief über einen schmalen Steg auf das Hausboot und grüßte leicht verwirrt ein nettes chinesisches Mädchen, im gleichen Moment kamen ein junger Mann und noch ein Mädchen an Deck. Wir sahen uns alle an und die Ruferin hieß mich auf Englisch willkommen an Bord. Ich sagte, dass ich Paulo hieße und auf einer Reise die Seidenstraße entlang wäre, ich wäre schon seit zwei Jahren unterwegs, ergänzte ich. Die drei hörten mir zu und staunten, sie sprachen zum Glück alle Englisch und stellten sich der Reihe nach vor, der junge Mann hieß Lan, seine Freundin Mayleen und deren Schwester Lo. Lo war die Ruferin und hatte mich aus Neugier an Bord gerufen, wie sie sagte.

Wir kamen ins Gespräch, sie baten mich, an Deck Platz zu nehmen und brachten Tee. Ich musste erzählen, woher ich kam, was ich machte und wohin ich wollte. Nachdem ich erzählt hatte, dass meine Zukunft noch nicht ganz feststünde, ich aber wohl Philosophie studieren wollte, sagten Lo, Mayleen und Lan, dass sie Kommilitonen wären und an der Universität von Shanghai Politikwissenschaft studierten. Sie wären mit ihrem Hausboot schon seit einer Woche unterwegs und kämen aus Xincheng, sie lägen seit zwei Tagen in Lanzhou und machten eine Pause, sie wollten „The Great Bend“ fahren, das war der große Bogen, den der Gelbe Fluss in seinem mittleren Abschnitt beschrieb, tausend Kilometer nach Norden, fünfhundert Kilometer nach Osten und wieder tausend Kilometer nach Süden. Das fände ich sehr interessant, sagte ich, der Gelbe Fluss übte auf mich eine große Faszination aus, wie ich überhaupt große Flüsse liebte.

Ob ich nicht ein Stück mitfahren wollte, fragten sie mich, ich könnte ja jederzeit wieder von Bord gehen, wenn es mir nicht gefiele. Sofort sagte ich zu, keine Sekunde überlegte ich, wir kannten uns überhaupt nicht und wussten doch instinktiv voneinander. Dann gingen sie mit mir unter Deck, wo es drei kleine Kabinen gab, in denen jeweils ein Bett und ein Schränkchen untergebracht war, es roch leicht nach Diesel unter Deck, weil natürlich die Maschine auch unter Deck lag. Alles sah sehr gemütlich aus und ich freute mich auf meine Zeit auf dem Hausboot. Ich sagte, dass ich zu meinem Hotel müsste, um meine Sachen zu holen und wäre in einer Stunde zurück. So fuhr ich zum Hotel, packte meinen Rucksack und bezahlte mein Zimmer, der Portier schaute mich an und fragte mich, wohin ich denn weiter reiste. Ich sagte, dass ich mit einem Hausboot nach Norden führe, woraufhin er mich ungläubig ansah und mir alles Gute wünschte. Ich bedankte mich und verließ das Hotel, stieg in einen Bus, mit dem ich bis zur Zongsahn-Brücke fuhr, dort stieg ich aus und lief die hundert Meter bis zum Hausboot. Die anderen warteten schon auf mich und wollten an dem Nachmittag noch zwei, drei Stunden flussabwärts fahren. Lan wies mir meine Kabine zu und ich legte meine Sachen auf das Bett, das zwar sehr schmal aber ausreichend lang war. Er warf die Maschine an, Mayleen löste die Haltetaue und wir setzten uns in Bewegung. Ich schaute noch einmal auf Lanzhou und sah die „Weiße Pagode“ und die Skyline der Stadt. Dann verschwand alles ganz langsam und nachdem wir das Industriegebiet von Lanzhou hinter uns gelassen hatten, gelangten wir in eine scheinbar menschenleere und gebirgige Landschaft, die Eisenbahn folgte eine Zeit lang dem Flusslauf.

Nach drei Stunden legten wir in Bajiaping an, von dort machte der Fluss eine Wendung nach Norden, der er tausend Kilometer folgen sollte. Wir vertäuten das Boot an der Anlegestelle, ich reaktivierte meine Kenntnisse über das Belegen, über das vorschriftsmäßige Festmachen eines Schiffes also, was ich einmal auf einer Tour mit einer Kutterjacht durch Holland gelernt hatte. Die Eisenbahn bog an der Stelle nach Süden ab, es gab auch keine uns begleitende Straße, sondern nur die menschenleere Landschaft und uns.

Wir setzten uns an Deck und stellten an Land einen Grill auf, den wir sofort in Gang setzten. Lan holte ein paar Würstchen und Brot, ich machte aus dem, was an Bord zu finden war, einen Salat. Ich müsste am nächsten Tag einige grundlegende Dinge, die in die Küche gehörten, einkaufen. Wir grillten den ganzen Abend lang, ich wurde wegen des Salates gelobt, es schmeckte ganz ordentlich, unter den dreien schien kein guter Koch zu sein. Lan hatte Bier und Schnaps an Bord, wir tranken ordentlich und ich fühlte mich auf Anhieb wohl. Ich sagte, dass ich es bezeichnend fände, wie wir uns gefunden hätten. Es gäbe doch ein gemeinsames Band, das alle miteinander in Beziehung setzte, ohne dass die Individualität verloren ginge, glichen sich die Menschen unseres Alters im Hinblick auf ihre Vorlieben, Lebensbilder und Geschmäcker immer mehr und zwar unabhängig von ihrer Nationalität.

Lo, Mayleen und Lan gaben mir recht, sie hätten mich in Lanzhou nur anzusehen brauchen, um zu wissen, dass ich zu ihnen passte. Ich erzählte von meiner Bootstour auf dem Ili, auch der Ili hätte mich in seinen Bann geschlagen, wir hätten aber nur ein Schlauchboot gehabt, da wäre das Hausboot schon deutlich komfortabler. Auch zu den beiden Amerikanern, die mich begleiteten, hätte ich sofort eine freundschaftliche Beziehung aufgebaut, wir hätten uns auf Anhieb verstanden. Dann sagte ich, dass ich in fünfeinhalb Wochen nach Shanghai wollte, um meine Freunde aus Turpan dort auf einer Weinmesse zu besuchen. Sie hätten noch zwei Monate Semesterferien und wollten in der Zeit dem Gelben Fluss so weit wie möglich folgen, sagten die drei darauf. Sie wollten wissen, wie mir China gefiele und ich musste an meiner Antwort etwas überlegen.

Ich merkte dann an, dass ich sehr viele schöne Dinge in China erlebt und den strapaziösen Alltag gar nicht mitbekommen hätte. Das, was ich gesehen hätte, wäre beeindruckend und die Menschen, die ich kennengelernt hätte, wären alle sehr nett und freundlich gewesen. Aber, wie gesagt, ich hätte nur ganz selten einen Einblick in den normalen Alltag erhalten und könnte mir nur das Urteil eines Touristen erlauben. Ich fragte die drei, ob sie in Shanghai lebten und Lan bejahte, Lo und Mayleen kämen aus Nanjing, sie hätten sich auf dem Campus kennengelernt, das wäre ein bzw. eineinhalb Jahre her, sie wären gute Freunde geworden. Lo wäre ein Jahr jünger als Mayleen, sie hätte ein Semester später mit ihrem Studium angefangen. Lan hatte eine gut aussehende Kommilitonin zur Freundin gewonnen, aber auch Lo war ausgesprochen hübsch, für eine Chinesin groß gewachsen und von sanfter Statur. Sie hatte glänzendes langes schwarzes Haar und trug Jeans und T-Shirt, wie die anderen beiden auch. Wir stellten im Gespräch fest, dass ich ein Jahr älter als Lo war, also war Lo einundzwanzig, wir liebten die gleiche Musik und die gleiche Mode, also Jenas und T-Shirt, wenn man da von Mode sprechen konnte. Wir hatten Jacken übergezogen und saßen lange an Deck bei Petroleumlicht, Bier und Wein war genügend vorhanden. Ab und zu ging man nach hinten und pinkelte über die Reling, die Mädchen gingen nach unten aufs Klo.

Um Mitternacht überkam uns aber alle die Müdigkeit und wir gingen schlafen, meine erste Nacht auf dem Boot begann, ich hatte meinen Schlafsack ausgebreitet und musste mich zuerst an die schmale Unterlage gewöhnen, es klappte aber sehr gut und ich schlief tief und fest, mein kleines Bullauge hatte ich geöffnet. Wir schliefen bis 9.00 h und gingen dann an Deck, um zu frühstücken.

Ich nahm vorher eine Dusche in dem winzigen Duschraum, den es unten gab, die Dusche war mit der Toilette kombiniert, die Abwässer wurden in den Fluss geleitet. Wir müssten immer dafür sorgen, dass wir ausreichend Frischwasser an Bord hätten, meinte Lan, sonst müssten wir uns mit Flusswasser waschen und ob das so empfehlenswert wäre, könnte er sich nicht vorstellen. An unserer Anlegestelle konnten wir keinen Diesel und kein Wasser aufnehmen, wir müssten am Abend einen Ort anlaufen, wo das möglich wäre, wir müssten auch einkaufen. Unser Frühstück war recht karg, aber gut, es gab gutes Brot, zwar nicht frisch, aber lecker und Marmelade, dazu heißen Tee. Ich sagte, dass ich ausgezeichnet geschlafen hätte, ich hätte mein Bullauge etwas geöffnet, um frische Luft hereinzulassen. Gut dass ich das sagte, meinte Lan, ich müsste das Bullauge während der Fahrt schließen, damit kein Wasser ins Boot spritzte. Ich lief sofort nach unten und schloss das Bullauge, ich stellte meinen Rucksack vor das Schränkchen und öffnete meinen Schlafsack, damit er lüften konnte. Wir räumten dann an Deck unseren Frühstückstisch auf und spülten die Sachen, um sie hinterher zu verstauen, es gab neben der Treppe, die nach unten führte, eine winzige Kochecke, dort waren auch kleine Schränke für das Geschirr angebracht. Wir machten die Leinen los und legten ab.

Der Diesel tuckerte vernehmbar vor sich hin, störte aber nicht. Lan stand am Steuer und hielt das Boot auf Kurs. Wir machten flussabwärts ungefähr acht Knoten, das entsprach fünfzehn Stundenkilometer, was eine ordentliche Geschwindigkeit war. Wenn wir fünf Stunden täglich unterwegs wären, schafften wir fünfundsiebzig Kilometer am Tag, mit Abwechslung am Ruder verstand sich. Der Fluss verengte sich plötzlich und wir durchfuhren eine Gebirgsquerung, bis wir nach zwei Stunden nach Nirwan kamen, das in einem fruchtbaren Tal lag, was dem Auge nach der engen und teilweise reißenden Flussfahrt guttat. Bei Xixia Kou passierten wir anschließend problemlos eine Schleuse und gelangten bei Beiwundang an eine sehr große Flussinsel. Wir fuhren gemütlich an dem Ort vorbei und erreichten am Nachmittag Liangzhuang, der Ort lag in einer grünen Ackerbauebene, wir legten an und machten fest.

Das wäre unser Liegeplatz für diesen Tag, ich lief mit Lo in den Ort und kaufte ein, nachdem wir uns einen Zettel mit den Dingen, die wir brauchten, geschrieben hatten. Ich hatte meinen Rucksack in mein Schränkchen geleert und nahm ihn als Tragehilfe zum Einkaufen mit.

Der Ort lag vielleicht dreihundert Meter vom Ufer entfernt, ich dachte, dass es ab und zu einmal Hochwasser gäbe. Neben dem Ort floss ein kleiner Fluss und mündete an der Stelle, wo wir mit unserem Boot lagen, in den Huang He. Wir fanden im Ort einen Supermarkt im Zentrum, der geöffnet war und packten alles, was wir aufgeschrieben hatten, in einen Einkaufskorb, ich nahm auch viel Bier und eine Flasche Reisschnaps mit. Dann zahlten wir und luden unseren Einkauf in meinen Rucksack, der mit einem Mal ein Gewicht bekam, wie ich es bei ihm noch nie erlebt hatte. Ich balancierte den Rucksack zum Boot, Lo lief nebenher, immer aufpassend, dass ich mit der ganzen Fuhre nicht umkippte, aber was hätte sie schon ausrichten können, wenn ich gefallen wäre, sie war von so zarter Gestalt, dass sie wohl kaum die Kraft gehabt hätte, mich aufzufangen. Ich stellte meinen Rucksack auf das Deck und achtete darauf, dass das vorsichtig geschah, damit die Bierflaschen nicht kaputtgingen. Dann liefen Lo und ich noch einmal los und gingen zur Dorftankstelle, sie sollten uns einen LKW mit zweihundert Litern Diesel und dreihundert Litern Frischwasser bringen. Ich lief völlig befreit von der Last des Rucksacks durch das Dorf, wir schauten uns um, es wirkte alles ein wenig trostlos und verlassen, einige Kinder spielten auf der Straße, Autos gab es so gut wie keine, am Fluss stand ein einsamer Angler. Ich wusste nicht, ob es ratsam war, Fisch aus dem Gelben Fluss zu essen, ich konnte mir vorstellen, dass der Fisch mit Schwermetallen und anderen giftigen Chemikalien belastet wäre, ich würde keinen solchen Fisch essen. Dann kam der Lastwagen mit zwei Tanks auf der Ladefläche, für Diesel und für Wasser. Er fuhr längsseits und begann, den Diesel in den Bootstank zu pumpen. anschließend füllte er unseren Wassertank auf, wir waren wieder versorgt. Wir machten ein Bier auf und studierten die Karte, wir wollten am nächsten Tag einmal achtzig Kilometer fahren, was bedeutet hätte, dass wir bis Xiagun gelangen müssten, wir nahmen uns die Etappe vor. Ich fing an, meinen leckeren Lammgulasch zuzubereiten, wir hatten alles Nötige eingekauft, vor allem Gewürze. Ich rührte für den Salat eine Vinigrette an aus Essig, Öl, Salz Pfeffer, Zwiebeln und ließ sie etwas ziehen. Dann schnitt ich das Fleisch in mundgerechte Stücke und benutzte dazu mein Messer, was sofort Lans Aufmerksamkeit erregte. Ich erzählte ihm die Geschichte von Yussuf, dem Messerschmied aus Istanbul, wie er mit mir im Großen Basar Messerstahl kaufen ging, und wie er mir dann das Messer schmiedete, das höchste Handwerkskunst war. Ich sollte bloß auf mein Messer aufpassen, solche Dinge würden schnell gestohlen, und aus meiner Rucksackseitentasche könnte man mein Messer sogar stehlen, ohne dass ich das merkte. Ich begab mich in die Kochecke und stellte die Gasflamme an, setzte einen Topf auf die Flamme und schüttete einen Schuss Öl hinein. Dann gab ich das Fleisch in den Topf und ließ es von allen Seiten gut anbraten, bis ich die Zwiebeln und den Knoblauch hinzugab, auch salzte und pfefferte ich. Dann gab ich etwas Wasser hinzu und streute ein wenig Instantbrühe hinein, ich stellte die Flamme klein. Das Fleisch schmurgelte so eineinhalb Stunden. Ich wusch den Salat, trocknete und zerkleinerte ihn. Es gab an Bord alles nur in kleinen Größen, so fand ich eine Salatschüssel im Miniformat. Messer gab es keine, wir mussten mit Löffeln und Gabeln essen. Ich kochte den Reis und als der Gulasch fertig war, setzten wir uns an den Tisch und aßen in aller Ruhe.

Die Luft war nach Lanzhou wieder sehr gut geworden und es herrschte eine so wohltuende Stille, dass man sie in sich aufsog. Wir konnten am frühen Abend Wildgänse auf dem Huang He beobachten, sie trieben eine Zeit lang über dem Wasser, um sich dann wieder in die Luft zu erheben und in ihrer traditionellen Keilform weiter zu fliegen. Unsere Stimmung war sehr gut, wir freuten uns, zusammen auf dem Fluss fahren zu können, Lan sagte, so einer wie ich hätte noch an Bord gefehlt, und ich fühlte mich geehrt. Ich schüttete jedem einen Schnaps ein und wir prosteten uns zu, Lo schüttelte sich, sie war so harte Sachen nicht gewohnt.

Was denn so in Shanghai los wäre, wollte ich wissen, und Lo begann zu erzählen, wie sich die Touristen am „Oriental Tower“ die Klinke in die Hand gäben, sie wurde von Mayleen und Lan unterstützt, das Vorzeigestück von Shanghai wäre „The Bund“, eine Vergnügunsmeile am Huang Po, dort würde es von Touristen nur so wimmeln und in der Nanjing Road, der Haupteinkaufsstraße, käme man sich vor wie auf dem Rummelplatz, Lo meinte, dass es auf dem Times Square in New York wahrscheinlich ähnlich aussähe.

Sie fühlten sich alle drei aber in Shanghai sehr wohl, es gäbe auf dem Campus inzwischen eine Menge ausländischer Studenten, vor allem aus Europa, zu denen sie guten Kontakt hätten. Wenn ich in fünfeinhalb Wochen in Shanghai wäre, sollte ich mir alles einmal genau ansehen, sie wären dann leider noch unterwegs, sonst hätten sie mir die Stadt zeigen können. Aber wir wollten zunächst einmal den Huang He hinunter fahren und uns an der Schönheit des Flusses und der Landschaft erfreuen.

Wir nahmen alle ein Bier und tranken es in aller Gemütsruhe aus, wir mussten uns überlegen, wie wir das Bier kalt bekamen, so lauwarm, wie es war, schmeckte es nicht besonders gut. Einen Kühlschrank hatten wir nicht an Bord, wir konnten deshalb auch keine leicht verderblichen Dinge mitnehmen, wie Milchprodukte. Mir fielen auf Anhieb zwei Möglichkeiten ein, die eine wäre das Flusswasser, wir müssten die Flaschen einfach in einen Korb legen und ihn ein paar Stunden unter Wasser tauchen, die zweite Möglichkeit wäre Verdunstungskälte, man schlug ein nasses Tuch um die Flaschen und legte sie so in die Sonne, die möglichst stark scheinen musste, das verdunstende Wasser entzöge den Bierflaschen Wärme. An jenem Abend begnügten wir uns aber mit dem lauwarmen Bier. Lan und ich nahmen noch einen Schnaps, Mayleen und Lo winkten ab, sie spürten beide noch den ersten Schnaps und waren beide nicht die großen Alkoholtrinkerinnen.

Da gäbe es in der Studentenschaft einige traurige Fälle, wo einige Studenten völlig dem Alkohol verfallen waren und gar nicht mehr studierten. Die Hochschulleitung musste solche Leute den Behörden melden, die sie dann auf Zwangsentzug setzte, was sicher sehr hart war. Es war mittlerweile stockfinster geworden, man hörte außer dem gurgelnden Flusswasser keinen Laut. Vom Dorf sah man einzelne Lichter in den Häusern, wir hatten unsere Petroleumlampe an. Dann musste ich von Deutschland erzählen, wie die Jugend dort zurechtkäme und was ihre Träume wären, wie es mit der Bildung aussähe. Ich sagte, dass die Jugend in Deutschland ein hohes Maß an materieller Ausstattung genösse und auch Wert auf Dinge legte, die rein materieller Art wären, wie Autos, Kleidung und Kosmetik. Es würde die Beschäftigung mit Bildung zu kurz kommen, es würde kaum noch gelesen, die Jugendlichen sähen keinen Sinn darin, sich Klassiker zu Gemüte zu führen. Man musste natürlich sehen, dass sie in der Schule zwangsweise mit solcher Lektüre konfrontiert wurden, die nicht immer Interpretationsmuster für die Lebenswirklichkeit bot. Auch in mir wäre die Erkenntnis, dass im europäischen Abendland die Griechen alles schon vorgelebt und Problemlösungen für alles Mögliche geliefert hätten, erst sehr spät gereift. Jugendliche würden mir vielleicht vorhalten, dass die Griechen doch noch gar keine Computer gekannt hätten, was wohl richtig wäre, aber Computer dienten doch nur der Kommunikation und dem Wissenserwerb, sie wären also Medium und kein Wert an sich. Ich glaubte, dass Jugendliche immer meinten, Vorreiter einer neuen Zeit zu sein, waren sie auch, aber sie waren gleichzeitig Produkt ihrer Vergangenheit und würden nur allzu leicht die Verbindung dahin kappen.

Wir kamen wieder ins Philosophieren, wie so oft, wenn man mit Leuten zusammensaß, besonders abends und sich völlig ohne Druck treiben lassen konnte. Um 24.00 h löschten wir die Lampe und gingen schlafen. Unten gab mir Lo vor meiner Kabinentür einen Kuss auf die Wange und wünschte mir eine gute Nacht, ich schlief sofort ein.

Am nächsten Tag fuhren wir so gegen 10.00 h los, wir wollten achtzig Kilometer schaffen, Lo hatte Tücher besorgt, sie nass gemacht, Bierflaschen damit umwickelt und in die Sonne gelegt. Ab und zu musste man die Tücher anfeuchten, bis sie dann wieder trocken waren. Der Fluss wurde mit einem Male recht seicht, wir mussten aufpassen, nicht aufzusetzen und viele Flussinseln umschiffen, es blieb aber immer genügend Wasser unter dem Kiel. Das Boot hatte einen Tiefgang von achtzig Zentimetern, da musste schon extreme Wasserkknappheit herrschen, bis wir aufsetzten. Wir unterquerten hinter Wujiawan die Brücke der Nationalstraße 109, die Straßenbrücke und gleichzeitig Eisenbahnbrücke war, danach beschrieb der Gelbe Fluss einen großen Bogen, um dann lange durch eine fruchtbare Ebene zu fließen. Am frühen Nachmittag unterquerten wir die große Brücke des Liubai Expy, wir hatten bis zu der Brücke schon fünfzig Kilometer hinter uns gebracht. Wir gaben unseren Plan, bis Xiacun zu fahren auf und fuhren weiter bis Yema, einem Dorf, das inmitten von Bergen auf einer grünen Landzunge lag. Das würde uns noch einmal zwei Stunden Fahrt kosten, aber das machte nichts, wir hatten Zeit, der Fluss war ruhig und wir kamen gut voran. Am Nachmittag stand ich am Steuer und war fröhlich, ich sang vor mich hin und pfiff Melodien. Lo kam zu mir und fragte mich, warum ich so guter Dinge wäre. Mir fiel als Antwort nichts Besseres ein als zu sagen, dass ich mich am Leben freute, was sich sehr emphatisch anhörte, aber exakt den Kern der Dinge traf.

Sie mochte mich, sagte Lo dann zu mir und legte ihre Hand auf meine Schulter, ich antwortete, dass ich sie auch mochte, ihr das nur noch nicht richtig hätte zeigen können und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Kurze Zeit später erreichten wir Yema. Es gab keinen Anleger, wir mussten so nah wie möglich ans Ufer fahren und Bäume oder Astwerk suchen, an denen wir das Boot festmachen konnten. Lan hatte das Boot ans Ufer gefahren, langsam, immer darauf achtend, nicht aufzusetzen. Ich sprang ins flache Wasser und lief an Land, wo ich stabile Bäume fand, um die ich die Taue legte, mit denen ich das Boot festmachte. Wir waren alle etwas erschöpft, hatten wir doch an dem Tag mehr als achtzig Kilometer zurückgelegt. Gegessen wurde unterwegs nicht, wir hatten während der fünfeinhalb Stunden Fahrt nur etwas getrunken. Umso hungriger waren wir. Lo und ich schnappten uns meinen Rucksack und liefen ins Dorf zum Einkaufen. Wir wollten grillen, das wäre für uns am einfachsten.

Wir kauften also Fleisch ein, Ketchup, Senf, Salat und Brot. Eine Salatsauce war schnell gemacht, Lan und Mayleen hatten den Grill schon angesteckt. Wir brachen das Brot entzwei und legten Fleischstücke auf den Grill. Das Bier hatte eine akzeptable Temperatur angenommen, das Prinzip der Vedunstungskälte funktionierte eben immer, das Bier hatte zwar keine Kühlschranktemperatur, war aber gut trinkbar, anders als am Vorabend. Wir mischten den Salat und setzten uns an den Tisch. Der Grill stand an Deck, weshalb wir ein wenig aufpassen mussten, dass keine Glutstücke aufs Boot fielen und Brandflecke hinterließen oder gar ein Feuer entfachten. Wir hatten Jacken übergezogen, abends wurde es am Fluss doch immer recht frisch, es war genau so gemütlich, wie am Vorabend, wir kamen wieder gut ins Gespräch. Ich schnitt das Thema Nationalitätenkonflikte in China an und verwies auf meine Erfahrungen im uigurischen Konfliktgebiet, die ich gemacht hatte und erzählte von meinem Erlebnis, das ich mit Liang in Urumqi hatte, wo wir Zeugen eines Polizeiübergriffes wurden.

China täte sich seit jeher sehr schwer mit seinen unterschiedlichen Ethnien, es wäre ja auch praktisch unmöglich, einerseits religiöse Toleranz zum Beispiel zu üben und andererseits Unterordnung unter den staatlichen Überbau zu fordern, sagte Lan. Da, wo es Diskriminierungen gegeben hätte, wie offensichtlich bei den Uiguren, wären deren Protest und Aufbegehren verständlich und müssten die für die Diskriminierungen Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden, fuhr er fort, allerdings müssten die Ethnien auch sehen, dass sie in einem Staate zusammenlebten und auch von sich aus etwas dazu beitrügen, dass das Zusammenleben friedlich verliefe. Ich gab Lan recht, dagegen war nichts zu, und ich musste an die Ausländer in Deutschland denken, und welche Schwierigkeiten damit verbunden waren, das, was man Integration nannte, auch Wirklichkeit werden zu lassen. Es ging nicht an, dass Ausländer, die in Deutschland oder auch anderswo leben wollten, Parallelgesellschaften bildeten, in denen sie fernab von geltenden sozialen oder staatlichen Strukturen lebten, ohne sich um die Sprache des Gastlandes zu bemühen, gleichwohl aber Bezieher staatlicher Leistungen sein zu wollen, das gleiche gelte sicher auch für China. Mayleen sagte, dass die ausländischen Mitbewohner natürlich in ihrer Sprache reden dürften, dass sie aber auch gut Chinesisch sprechen können müssten.

Lan und ich tranken einen Schnaps und prosteten uns zu, die Mädchen tranken Bier. Wir zündeten unsere Petroleumlampe an und saßen bis Mitternacht, dann räumten wir den Tisch ab, spülten das wenige Geschirr und trockneten es ab. Nachdem wir es in die kleinen Schränkchen getan hatten, schütteten wir die heiße Grillasche in den Fluss und ließen den Grill auf dem hinteren Deckteil stehen, damit er dort auskühlte, dann gingen wir ins Bett.

Unten vor meiner Kabinentür fiel Lo mir um den Hals, ich schob sie in meine kleine Kajüte, wo wir uns küssten. Wie gut das tat, einen Frauenkörper am eigenen Leibe zu spüren, wir streichelten uns überall und küssten uns ohne Pause.

„Du hast mir auf Anhieb sehr gut geallen“, sagte ich zu Lo und drückte sie an mich.

„Mir war klar, als du am Ufer standest, dass du einer von uns warst“, antwortete Lo.

Lo hatte einen federleichten Körper, sie war klein und dünn.

„Wenn ihr ohne mich losgefahren wärt, wäre es für euch sicher langweiliger an Bord gewesen“, sagte ich.

„Es wäre nicht nur langweiliger gewesen.ich hätte auch niemanden gehabt, mit dem ich so innig knutschen könnte wie mit dir!“, sagte Lo.

„Ich habe schon lange keinen Mädchenkörper gestreichelt und finde es ungeheuer aufregend, mit dir hier zu stehen und dich zu küssen“, sagte ich.

„Tu dir keinen Zwang an ich finde deine Küsse sehr sanft und umwerfend“, antwortete Lo.

Wir zogen uns aus und legten uns nackt auf meine schmale Liege. Ich küsste Los kleine Brüste,

„Hast du in Shanghai einen Freund?“, fragte ich Lo.

„Nein, im Moment nicht, und deshalb fühle ich mich bei dir so wohl“,sagte Lo und schiegte sich an mich. streichelten und küssten uns, dann zog Lo sich an und verschwand leise nach nebenan.

Ich schlief ausgezeichnet und wachte am nächsten Morgen erst gegen 9.00 h auf, ich hatte geträumt, ich wäre mit Lo auf Reisen, ohne auf die Zeit achten zu müssen. Ich sprang schnell unter die Minidusche, die kalt war und machte mich frisch, bevor ich mich zu den anderen zum Frühstück an Deck gesellte. Ich aß zwei Hörnchen mit Marmelade und trank Tee, Mayleen und Lan grinsten vielsagend, sie hatten Lo und mich wohl in der Nacht gehört.

Lan schlug seine Karte auf und wir schauten nach, wohin wir an dem Tag wohl fahren könnten. Die Stille war wohltuend, nur der ewig fließende Strom gab Geräusche von sich, sonst war nichts zu hören, auch vom Dorf drang kein Laut bis zu uns. Wir maßen in etwa siebzig Kilometer ab und kämen so nach Yinping, was ungefähr zwanzig Kilometer hinter der Unterquerung der S 308 lag. Das Wetter war schön, die Sonne schien warm, wenn auch nicht mit solcher Kraft, dass man vor Hitze stöhnte, wenn ich da an meinen Ausflug in die Taklamakan-Wüste dachte! Wir räumten den Frühstückstisch ab und spülten das Geschirr, schnell trockneten wir es ab und räumten es in die Schränke in der Kochecke. Dann nahmen wir nasse Tücher, umwickelten einige Bierflaschen und legten sie in die Sonne. Lan ging an das Steuerrad und ich sprang an Land, um die Halteleinen zu lösen. Plötzlich rief Lan, ich sollte die Leinen noch nicht lösen, der Motor spränge nicht an und er wüsste noch nicht genau, was zu tun wäre. Ich kletterte wieder zurück aufs Boot und ging zu Lan an den Steuerstand, er drehte den Zündschlüssel herum, die Kontrolllampen brannten, aber es tat sich nichts. Ich bat Lan, mich einmal an den Steuerstand zu lassen, damit ich mir die Sache einmal ansehen könnte. Ich drehte den Zündschlüssel herum und beobachtete die rote Lampe, wenn ich den Zündschlüssel in die Startposition drehte, flackerte die rote Lampe schwächer, ein Zeichen dafür, dass Strom zwar floss, aber auf einen großen Widerstand stieß. Das kam mir doch sehr bekannt vor, ich erinnerte mich an die VW-Käfer meiner Freunde in Deutschland, die oft exakt das gleiche Symptom aufwiesen. Der Magnetschalter des Anlassers hing dann fest, man konnte ihn mit einem gezielten Hammerschlag vor den Anlasser wieder lösen, sodass der wieder lief. Ich berichtete Lan von meiner Diagnose, Lan hatte keine Ahnung von der Motortechnik und gab mir zu verstehen, dass er meinen Worten Glauben schenkte. Ich sagte, dass wir die Motorhaube öffnen und den Anlasser suchen müssten, dann müssten wir einen Gegenstand, am besten einen Hammer nehmen, gegen den Anlasser schlagen und sehen, ob sich der Magnetschalter löste, ich hätte in Deutschland das gleiche Problem schon mehrfach am Auto erlebt.

Lan sagte, dass wir das versuchen sollten und ging mit mir nach hinten, um die Motorklappe zu suchen und wir fanden auf dem Hinterdeck eine aufklappbare Bretterkonstruktion, die wir öffneten, sodass der Motor vor uns lag. Der Motor stank nach Diesel und war ölverschmiert, ein Hammer lag neben ihm, ich schloss daraus, dass das Problem, das wir hatten, früher schon einmal aufgetreten und auf die von mir beschriebenen Weise behoben worden war. Man konnte am Motor das große Schwungrad erkennen und, daran befestigt, den Anlasser sehen, der ja mit einem Ritzel das Schwungrad drehen sollte. Das Ritzel wurde über den Zündstrom nach vorne getrieben und schnappte, wenn der Motor lief, sofort wieder zurück. Ich bat Lan, nach vorn zum Steuerstand zu gehen und den Zündschlüssel in die Startposition zu drehen, dann nahm ich den Hammer und gab mit ihm einige Schläge vor den Anlasser. Sofort sprang das Ritzel vor und drehte den Motor, der auch ansprang, das Ritzel schnappte zurück. Ich schaute zu Lan, der lachte und sich anerkennend verbeugte.

Der Motor lief, ich schloss die Klappe, was das Motorgeräusch sofort dämpfte. Dann sprang ich ans Ufer und löste die Befestigungsseile, kletterte wieder an Bord und legte die Seile zusammen, Lan legte ab und wir fuhren los. Der Motor tuckerte gleichmäßig und machte einen sehr soliden Eindruck, den Anlasser würden wir gegebenenfalls wieder mit dem Hammer bearbeiten, wir wussten ja dann, wie es zu machen wäre. Wir hatten wegen der Anlassergeschichte eine Stunde an Zeit verloren und würden deshalb möglicherweise nicht bis Yinping kommen, wir müssten einfach einmal abwarten, wie wir vorwärts kämen und machten davon abhängig, wo wir anlegen wollten. Lo und Mayleen lagen an Deck und lasen, sie waren zwei sehr schöne Mädchen, Lo sah kurz zu mir herüber und lachte mich an, sie sah aus wie eine Fee. Ich schüttete einen Eimer Flusswasser über die Bierflaschen, damit die Verdunstungskälte ihre Wirkung tun konnte. Dann schnippte ich mit dem Finger einige Wasserspritzer auf Lo und Mayleen und erntete frenetisches Gekreische. Der Fluss zog sich über viele Windungen immer wieder durch Gebirgsmassive, das Flussbett verengte sich dann, und die Fließgeschwindigkeit des Wassers stieg. Da hieß es vorsichtig manövrieren und aufpassen, dass man nicht zu dicht ans Ufer kam und aufsetzte, denn ein Loch im Rumpf hätte wohl das vorläufige Ende der Bootsfahrt bedeutet. Aber Lan war ein guter Steuermann, er lancierte unser Boot sicher durch die Stromschnellen und durch seichtes Wasser, er hatte einen Blick dafür, wo die sichere Fahrrinne lag. Dann gab es wieder große fruchtbare Ebenen, wo der Huang He gemächlich dahinfloss, wie bei Zhujiayao, sofort folgte aber wieder eine windungsreiche Gebirgspassage, die in einen großen Schlenker und, nach der S 308, in eine große Ebene auslief, wie bei Chenjiatan. Der Fluss mäanderte in der Ebene sogar um Flussinseln herum, bevor er sich seinen Weg durch eine neues Gebirgsmassiv fraß und wir Yinping erreichten. Es war später Nachmittag, wir lagen sehr gut in der Zeit und konnten uns in aller Ruhe einen Liegeplatz suchen. Dort zwischen den hohen Bergflanken strömte der Fluss ziemlich stark, wir mussten unser Boot gut festmachen und suchten fest verankerte Bäume für unsere Befestigungsseile, wir nahmen sogar noch ein Extraseil, um das Boot auch ja gut zu verankern.

Yinping war ein Flussnest, wie die anderen Dörfer am Fluss, die wir bis dahin gesehen hatten, auch, man konnte sich glücklich schätzen, eine asphaltierte Dorfstraße vorzufinden. Lo und ich waren wieder einkaufen, wir gingen zuerst zum Bäcker und holten gutes frisches Brot, dann kauften wir im Supermarkt lauter leckere Sachen, die zu gutem Brot passten, wie Käse, Büchsenfleisch und Dauerwurst. Wir wollten kalt essen, das würde weniger Arbeit machen und schmeckte ebenso gut, wir kauften auch jede Menge Obst, das wegen seines Vitamingehaltes wichtig , und wir stockten unseren Biervorrat auf. Wir hatten wieder meinen Rucksack als Tragetasche mit, er war aber nicht so schwer geworden, wie bei unserem ersten Einkauf, stabil genug war er, ich hatte die Nähte kontrolliert. Ich sagte Lo frei heraus, dass ich keine Präservative hätte und Lo ging im Supermarkt zum passenden Regal und nahm wie selbstverständlich eine Packung Kondome heraus. Anschließend setzten Lo und ich mich in Yinping vor eine Kneipe und tranken Bier.

Einige Kinder kamen und schauten neugierig, was die Fremden denn da in ihrem Dorf machten und lachten. Ich gab jedem der Kinder hundert Yuan, die Kinder lachten laut auf und rannten davon. Ich wusste nicht, wie das Verhalten der Kinder zu deuten wäre, Lo sagte, dass das schon in Ordnung wäre, die Kinder freuten sich, ihr Lachen wäre ihr Dank. Ich zahlte und wir liefen zum Boot zurück, wo Lan und Mayleen schon den Tisch gedeckt hatten. Wir hatten noch Tomate und Gurke, die wir zerkleinerten und mit klein geschnittener Zwiebel anrichteten. Wir zerteilten das Brot, legten Käse und Dauerwurst auf den Tisch und öffneten das Büchsenfleisch, das zwar eine undefinierbare Fleischmasse mit vielen Fettstücken war, aber eine sehr gute Würze hatte und ausgezeichnet schmeckte. Ich sagte Lo, Mayleen und Lan dann, dass in Deutschland die wildesten Gerüchte darüber kursierten, was die Chinesen äßen, unsere China-Restaurants wären ja eigentlich Hongkong- oder Indonesien-Restaurants. Viele Deutsche glaubten, dass die Chinesen alles äßen, was Beine hatte, so wie Katzen und Hunde, ja sogar vor Ratten schreckten viele nicht zurück, auch Insekten wären nicht verpönt. Mayleen entgegnete, dass sich die Essgewohnheiten in China stark unterschieden, je nach Region gäbe es unterschiedliche Küchen, es würden tatsächlich auch Hunde gegessen, wogegen eigentlich nichts spräche, Hunde wären saubere Tiere und hätten gutes Fleisch, sie selbst hätte aber noch nie Hund gegessen. Der Genuss von Ratten wäre in Vietnam verbreitet, sie hätte noch nicht davon gehört, dass in China Rattenfleisch gegessen würde, der Genuss von Rattenfleisch wäre sicher nicht unproblematisch, weil Ratten in Fäkalien lebten und ihr Fleisch deshalb unrein wäre. Das Lieblingsfleisch der Chinesen wäre Schweinefleisch, Rindfleisch würde auch gerne gegessen, wäre aber zu teuer, Geflügel rangierte auf dem Speiseplan ganz oben, es gäbe sehr gute Rezepte mit Geflügelfleisch, zum Beispiel Hähnchen süß-sauer. Das Schwein würde übrigens gegessen, obwohl es sich im Dreck wälzte und im Regelfall keinen sauberen Eindruck machte. Insekten äße man in Südwestasien als Proteinlieferanten, sie würden in Öl frittiert und schmeckten zum Teil ganz gut, Mayleen hätte einmal Insekten probiert, müsste sie aber nicht noch einmal essen. Dann erzählten Lan und Lo von ihren Essvorlieben und ich erzählte von der mitteleuropäischen Küche, die mittlerweile so facettenreich geworden war, dass man gar nicht wusste, wo man anfangen sollte.