Morde und Leben - Leber und Meissner - HaMuJu - E-Book

Morde und Leben - Leber und Meissner E-Book

HaMuJu

0,0
4,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

KHK Leber und KOK Meissner leben am Niederhein in dem beschaulichen Städtchen Mersdonk, sie haben dort gebaut, als ihre Kinder auf die Welt kamen und fühlen sich dort sehr wohl, ihre Frauen unternehmen gemeinsam verschiedene Dinge am Ort oder sie fahren auch schon einmal zum Kaffeetrinken nach Duisburg, die beiden Kommissare fahren morgens immer zusammen zu ihrer Dienstelle nach Moers in die Asberger Straße, sie haben seit Neuestem dort eine Chefin, die sich aber sehr gut eingelebt hat und sich der Sympathie aller erfreuen kann, Frau Fahrenholz, so der Name der Kriminaldirektorin, schickt ihre beiden Kommissare nach Meerbeck, wo der erste Mord stattgefunden hat, es handelt sich bei dem Mordopfer um eine Schülerin des Gymnasiums in den Filder Benden, Birte ist in dem Alter gewesen, in dem auch die Kinder der Polizisten sind, weshalb den beiden die Sache sehr nahegeht, sie eruieren im näheren Umfeld von Birte und lernen so ihre Freunde, Verwandten und Bekannten kennen, sie kommen aber nicht so recht voran, als, während sie Fotos von einer Berlinfahrt bei Täter, der ihnen aber zunächst entwischt, weshalb sie ihm nach Essen zu dessen Bruder folgen und ihm nach Amsterdam zu seiner Cousine nachfahren, dort stellen sie ihn am Ende. Birtes Freundinnen schauen, ein zweiter Mord passiert, wieder an einer Schülerin des gleichen Gymnasiums, Svenja ist eine Freundin von Birte gewesen, sie ist auf die gleiche Weise getötet worden, weshalb die beiden Kommissare sehr früh vom selben Täter ausgehen, aber trotz aller Bemühungen nicht weiterkommen, erst ein Besuch im Jugendgästehaus in Berlin, das die beiden Schülerinnen während einer Berlinfahrt mit der Schule besucht haben, bringt die Kommissare zufällig auf den Täter, sie folgen ihm nach Essen zu dessen Bruder und nach Amsterdam zu seiner Cousine, wo sie ihn am Ende stellen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 623

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



HaMuJu

Morde und Leben - Leber und Meissner

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Mersdonk

Mord an Birte Schoemaker

Berlin

Mord an Svenja Kollartz

Monika Grüter

Berlin II

Stapler

Die Jagd auf Stapler

Mord an Lisa Kemper

Zu Hause

Nach Amsterdam

Moers

Impressum neobooks

Mersdonk

Die beiden erfahrenen Polizisten standen in Lebers Küche und bereiteten ein italienisches Sommergericht zu, es sollte Spagetti Carbonara mit einem gemischten Salat geben, sie fügten alle Salatgemüse, die es in dieser Saison auf dem Markt zu erstehen gab, in eine Schüssel. Für die Zubereitung des Salates ging die meiste Arbeit drauf, die beiden Kommissare setzten ihren gesamten Fleiß in das Zerschneiden der Gemüse, aber das musste eben sorgfältig gemacht werden, sollte der Salat auch schmecken.

Das Kochen gehörte neben der Polizeiarbeit, in der die beiden sonst aufgingen, zu ihren Hobbys, sie kochten mit Leidenschaft und waren sich des Lobes ihrer Ehefrauen gewiss, die zum einen von der Küchenarbeit befreit waren, der sie sich sonst immer hingeben mussten, und zum anderen schmeckte es wirklich ausgezeichnet, was ihre Männer da zubereiteten. Sie waren im Laufe der Jahre zu versierten Köchen geworden und wussten sich im Prozedere der Speisenzubereitung zu bewegen. Sie wechselten sich mit dem Kochen immer ab, mal wurde bei Lebers und mal bei Meissners gegessen. Sie wohnten in einer Wohnsiedlung in Mersdonk, einer mittelgroßen Stadt am Niederrhein, praktisch in Rufnähe zueinander. Damals, als sie beide von der Polizeischule gekommen waren, das lag inzwischen zwanzig Jahre zurück, hatten sie sich gleich an den Hauskauf gemacht, sie wollten nicht aufwändig mauern lassen, das hätte viel zu lange gedauert, bis sie in ihre Häuser hätten einziehen können, sondern sie hatten sich beide für ein Weber Fertighaus entschieden. Es hat sowohl bei Lebers als auch bei Meissners lange Zeit Vorurteile gegen Fertighäuser gegeben, sie wären in Leichtbauweise errichtet und deshalb von minderer Qualität, dachten sie. Nachdem sie aber gemeinsam Fertighausausstellungen besucht und die ausgestellten Objekte einer eingehenden Prüfung unterzogen hatten, nachdem sie Gespräche mit sachkundigen Freunden über Fertighäuser geführt hatten, revidierten sie ihre Vorurteile, denn das, was sie auf den Ausstellungen zu Gesicht bekamen, war durchaus von gediegener Qualität und überzeugte sie alle.

Weber war der Hersteller, der ihnen allen am meisten zusagte, sie hatten die Ausstellungen aller namhaften Hersteller besucht und konnten sich deshalb ein Urteil erlauben, was das Preis-/Leistungsverhältnis anbelangte und das lag bei Weber eben am günstigsten. Es gab damals keine Schwierigkeiten, ein Grundstück in Mersdonk zu bekommen, man war dort praktisch auf dem Land und hatte die großen Städte des Ruhrgebietes quasi vor der Haustür liegen, man war mit dem Auto in jeweils zwanzig Minuten in Oberhausen, Mülheim, Essen, Duisburg und in dreißig Minuten in Düsseldorf, das machte Mersdonk so attraktiv, ansonsten bot diese Stadt viel Ruhe und gute Landluft, manch einer behauptete, man lebte dort am Arsch der Welt. Das sahen weder Lebers noch Meissners so, für sie war Mersdonk ein idealer Ort zum Wohnen, die Männer konnten dort von ihrer teilweise aufreibenden Arbeit entspannen, die Ruhe genießen oder zusammen mit ihren Frauen Fahrrad fahren. Wenn ihnen der Sinn danach stand, fuhren sie in eine der Großstädte und gingen dort ins Kino, Theater oder einkaufen. Die beiden Männer waren keine großen Liebhaber extensiven Einkaufens, wenn sie von ihren Frauen mitgeschleift wurden, gingen sie schon mit ihnen zum Beispiel ins Centro nach Oberhausen, aber nie für sehr lange.

Sie verstanden die Leute nicht, die sich dort freiwillig stundenlang aufhielten und sich von dem hektischen Treiben und der permanenten Beschallung berieseln ließen. Ganze Busladungen holländischer Käuferinnen und Käufer wurden am Centro ausgeschüttet, nach Stunden wieder eingeladen und nach Holland zurückgebracht. Da sowohl Lebers als auch Meissners vor zwanzig Jahren kleine Kinder hatten, die mittlerweile ihr Elternhaus verlassen hatten, entschieden sich beide Familien für das Weberhaus Balance 200, das im Dachgeschoss über drei Räume und ein Bad verfügte und somit jedem Familienmitglied ausreichend Platz bot. Das Haus kostete 150000 Euro, was eine Menge Geld war, dazu kam ja noch der Preis für das Grundstück, aber der lag in Mersdonk denkbar niedrig und nahm sich gegenüber dem Hauspreis doch bescheiden aus. Mersdonk lag ungefähr fünfundzwanzig Kilometer von Moers entfernt, wo KHK Leber und KOK Meissner in der Asberger Straße auf der Polizeiinspektion arbeiteten. Sie waren Kriminalbeamte und hatten in ihrer Laufbahn schon mit den abscheulichsten Verbrechen zu tun gehabt. Anders als KHK Leber war KOK Meissner noch nicht weiter befördert worden, seine Beförderung zum KHK würde aber in nächster Zeit erfolgen, er war auch ein Jahr jünger als sein Kollege. Max und Paul, die beiden Söhne der Lebers, studierten beide an der Uni Dortmund Elektrotechnik bzw. Energietechnik, sie hatten das Julius-Stursberg-Gymnasium in Neukirchen-Vluyn besucht und beide die Leistungskurse Mathematik und Physik in der Oberstufe belegt, was ihnen im Studium sehr entgegenkam. Max meinte sogar:

„Diese beiden Leistungskurse sind für mein Elektrotechnik-Studium unabdingbare Voraussetzung gewesen, und schon viele sind an der Mathematik-Klausur gescheitert, die wir zu Beginn des Studiums geschrieben haben, und deren Bestehen notwendige Bedingung für ein Weiterstudieren in diesem Studiengang ist“, Paul sah das für die Energietechnik ähnlich. Die beiden lebten in Dortmund in einem Wohnheim in Wohngemeinschaften, es gab in den Wohnheimen an den Studienorten fast nur noch Wohngemeinschaften. Im Prinzip handelte es sich bei der Unterbringung der Studenten um Vierzimmerwohnungen, in denen sich ein Gemeinschaftsbereich mit Küche befand, von dem die Zimmer abgingen. Meissners hatten eine Tochter, die zwei Jahre jünger war als Max und deshalb gerade erst ihr Abitur in Geldern gemacht hatte. Sie war nach Münster gegangen, um dort Pädagogik und Englisch für das Lehramt in der S II zu studieren. Die beiden Ehefrauen der Kommissare hatten ihre Berufe an den Nagel gehängt, als sich die Kinder angekündigt hatten, sie waren Hausfrauen, betätigten sich aber in vielfältiger Weise außer Haus, so besuchten sie das Fitnessstudio in Mersdonk an zwei Nachmittagen pro Woche. Das Studio gab es seit drei Jahren in Mersdonk und erfreute sich großer Beliebtheit, sie besuchten darüber hinaus einen VHS-Kurs in digitaler Fotografie und fuhren oft gemeinsam mit dem Wagen zum Kaffee trinken nach Duisburg oder sogar nach Düsseldorf.

Lebers und Meissners gingen auf die Fünfundvierzig zu, fühlten sich aber nicht alt, wenngleich sie ihre jungen Jahre natürlich längst hinter sich gelassen hatten. Sie pflegten viele Kontakte zu Nachbarn, die beinahe alle in ihrem Alter waren, man hatte sich damals in der Anfangsphase der Wohnsiedlung kennengelernt, vornehmlich über die Kinder und da lagen die Interessen aller auf der gleichen Ebene. Heute lud man sich zu gemeinsamem Grillen ein, oder man unternahm Radtouren am Niederrhein, ein herrlicheres Radrevier war kaum vorstellbar, gern fuhren sie nach Wetten an die Niers oder auch nur in die Leucht, wie ihnen der Sinn gerade stand. Die beiden Frauen sahen gut aus und waren durchtrainiert, Frau Leber hatte blondes Haar und war groß, sie hatte eine Körpergröße von 1.76 m. Sie trug, genauso wie Frau Meissner auch, fast ausschließlich Jeans, die ihre Sportlichkeit noch unterstrichen. In Kleidern fühlten sich die beiden Frauen nicht wohl, schon als Jugendliche trugen sie beinahe nur Jeans, weshalb sie von ihren Müttern oft ausgeschimpft wurden, ein Mädchen müsste doch Kleider tragen, bis sie damit aber aufhörten und ihre Töchter gewähren ließen. Inzwischen waren beide Frauen selbst in dem Alter, in dem ihre Mütter damals gewesen waren, nur weitaus toleranter, was die Kleidung ihrer Kinder betraf.

Frau Meissner war nicht so groß wie Frau Leber, sie hatte dunkles Haar und war ebenso schlank und durchtrainiert wie Frau Leber, beide mochten sie sich sehr, schon von Anfang an. KHK Leber hatte einen leichten Bauch und trug ein Kränzchen auf dem Kopf, was ihm einen beinahe gemütlichen Ausdruck verlieh, man durfte sich in ihm aber nicht täuschen, denn er war ein gut trainierter Sportler, der regelmäßig am Polizeisport teilnahm und Nahkampftechniken beherrschte. Genauso wie sein Kollege Meissner, der auch einen Bauch vor sich her trug, allerdings noch volles Haar hatte, am Polizeisport nahmen die beiden Kommissare immer gemeinsam teil. Als sie ihre Spagetti Carbonara mit gemischtem Salat fertig hatten, brachten sie das Essen auf die Terrasse, wo ihre Frauen den Tisch gedeckt hatten. Es duftete nach Knoblauch und Basilikum und sie öffneten eine Flasche Barolo, die sie zum Essen trinken wollten, die beiden Männer tranken aber nur ein Glas aus Sympathie zu ihren Frauen, danach schwenkten sie gleich auf König Pils um, das war schon seit Jahrzehnten ihr Leib- und Magengetränk. Sie nahmen das Lob ihrer Frauen gern entgegen, sie waren aber auch wirklich zwei ernst zu nehmende Köche geworden, die ihr Handwerk verstanden und auch den verwöhntesten Gaumen zufriedenzustellen wussten.

Spagetti Carbonara gehörten nicht gerade zu den Gerichten, die ihnen die ganze Bandbreite ihrer Kochkunst abverlangten, sie hatten sich aber dennoch bemüht und den Spagetti, vor allem aber auch dem Salat eine ausgezeichnete Geschmacksnote zu verleihen gewusst Nachdem KOK Meissner jedem ein Glas von dem Barolo eingeschenkt hatte, nahmen sie ihre Gläser hoch und prosteten sich zu. Einerseits fühlten sich die Lebers und auch die Meissners ohne ihre Kinder allein, auf der anderen Seite fühlten sie sich aber auch von den Sorgen um die Erziehung ihrer Kinder befreit, denn so lange die Kinder zu Hause waren, lastete doch eine Verantwortung auf den Eltern, die sie nicht so einfach abschütteln konnten. Da war das Essen zu kochen und die Wäsche zu waschen, da wurde Geld verlangt und um Rat gefragt, man hatte einfach da zu sein und für die Kinder zur Verfügung zu stehen. Das fiel nun für beide Familien weg, was ihnen eine große Erleichterung verschaffte. Natürlich waren sie immer noch in die Verantwortung genommen, aber sie konnten die Verantwortung über die Distanz wahrnehmen, telefonisch oder über eine E-Mail und wenn Max, Paul und Rebecca, so der Name von Meissners Tochter, nach Hause kamen, auch direkt, aber es wurde immer seltener, dass sie kamen. Ganz zu Anfang ihres Studiums kamen sie noch an jedem Wochenende mit einer großen Tasche voller schmutziger Wäsche. Inzwischen wuschen sie ihre Wäsche selbst bei sich im Waschraum, in dem genügend Waschmaschinen für alle standen, und sie wussten auch, wie die Wäsche zu waschen war, und dass man eigentlich nichts mehr in der Maschine kochte.

Wenn die Kinder jetzt einmal nach Hause kamen, war die Freude groß und die Eltern gaben sich dann die größte Mühe, ihren Kindern die Wünsche von den Augen abzulesen, was die Kinder immer leidlich auskosteten. Max war zwei Semester weiter als Paul, weil er ein Jahr älter war als er und deshalb auch sein Abitur ein Jahr früher gemacht hatte. Zu Hause trafen sie sich mit Freunden aus vergangenen Zeiten, wenn die auch zu Hause waren und gingen mit denen auf Feten oder in die Kneipe. Es war eine Unbeschwertheit ins Leben eingekehrt, eine Unbeschwertheit, die sie alle zu genießen wussten und auslebten. Die Kinder lernten, sich in der Fremde zu bewähren, sich mit anderen zu arrangieren und auf sie Rücksicht zu nehmen, die Anforderungen des Studiums erledigten sie quasi nebenbei mit. Vom Frühling an, und den gesamten Sommer hindurch widmeten sich die beiden Kommissarsfrauen der Gartenarbeit, mit großer Hingabe und Liebe kümmerten sie sich um die Pflanzen auf ihren Grundstücken und hatten damit genug zu tun, denn ihre Grundstücke waren jeweils rund tausend Quadratmeter groß. Sicher, ein gutes Stück war Rasen, den die Männer mit dem Rasenmäher bearbeiteten, wenn sie von ihren Frauen dazu aufgefordert worden waren, aber die vielen Stauden und Sträucher, die den Garten einfassten, mussten gepflegt werden, wenn sie nicht urwaldartig das ganze Gartengrundstück überwuchern sollten.

Den Männern war der Garten nicht gerade egal, sie sahen aber nicht ein, sich dort großartig engagieren zu sollen, außerdem ließ ihre Zeit das gar nicht zu. Sie schenkten ihren Frauen aber regelmäßig Dinge, die sie für ihre Gartenarbeit gebrauchen konnten wie kleine Astscheren oder Gartenbücher. Großes Interesse zeigten sie aber, als es daran ging, in ihrem Garten eine Kräuterspirale anzulegen, denn die betraf ihre Kochvorliebe direkt, und da wollten sie gern ein Wörtchen mitreden. KHK Leber und KOK Meissner machten auf ihren Grundstücken alles gleich und dachten gar nicht groß darüber nach, was sie da taten oder ob es nicht vielleicht affig wäre, wenn der eine dem anderen alles nachmachte, sie ließen ihre Frauen einfach gewähren, und so kam es, dass sich irgendwann ihre beiden Gärten glichen wie ein Ei dem anderen. Sie hatten bei der Errichtung ihrer Fertighäuser damals darauf geachtet, dass die Häuser vorne an die Grundstückgrenze gesetzt wurden, sie hatten nur einen kleinen Vorgarten gelassen, sodass sich nach hinten ein beträchtliches Gartengrundstück erstreckte. In Wirklichkeit hatten sie aber gar keinen großen Einfluss auf die Position ihrer Häuser nehmen können, denn der Bebauungsplan bestimmte schon sehr rigide, wohin die Häuser kamen. Zum Glück hatten sie nicht den aus heutiger Sicht großen Fehler begangen und aus Sichtschutzgründen Tannen gesetzt, denn alle, die das getan hatten, hatten heute Schatten werfende gigantische zwanzig Meter hohe Bäume im Garten stehen, wenn sie sie nicht schon hatten fällen und abtransportieren lassen.

Lebers und Meissners hatten sich auf ihre Grundstücke blicken lassen, das hatte sie nicht gestört, am wenigsten hatte es die Kinder beim Spielen gestört. Nach und nach wuchsen die Stauden und Sträucher, die die Frauen gepflanzt hatten, zuerst vorne, danach auch als Grundstückgrenzen hinten in ihren Gärten. Im Frühjahr blühten zuerst die Forsythien in kräftigem Gelb und Frau Leber schnitt immer einige Zweige und stellte sie in eine große Vase. Von den Forsythien hatte sie eine Menge Pflanzen gesetzt, beinahe die gesamte rechte Gartenseite blühte von März bis Anfang April gelb. Daneben gab es Kirschlorbeer, auf den man besonders achten musste, denn der pflegte ausufernd zu wachsen und alles in seiner Nachbarschaft in Besitz zu nehmen. Der Kirschlorbeer wuchs sehr kräftig und dicht und war deshalb am ehesten geeignet, Sichtschutz zu bieten und dabei nicht so sehr in die Höhe zu ragen. Von der Farbe ihrer Blüten her waren die Hortensien einzigartig, die Blüten changierten durch alle Pastelltöne in den aberwitzigsten Farbschattierungen, dabei behielten die Pflanzen ihre Blüten beinahe die ganze Saison über, Hortensien sind sehr alte Gartenpflanzen. Auch der Rhododendron ist eine alte Gartenpflanze und bei den Hobbygärtnern beliebt, es gibt riesige Rhododendron-Parks mit einer Unzahl von zusammenhängenden Pflanzen.

Viele halten sich einzeln stehende Rhododendren in ihrem Garten, weil die Pflanze ein so markantes Aussehen hat und die meist hellroten Blüten so schön anzusehen sind, Frau Leber hat in ihrem hinteren Gartenteil mehrere Rhododendren zusammenstehen. Besonders stolz ist sie auf ihre Heckenrosen, die kräftig rot blühende Pflanzen sind und lediglich ab und zu in ihrer Höhe gestutzt werden müssen, die Blüten sind sehr empfindlich und man kann sie kaum in der Vase halten. Frau Leber hat sich vor zwanzig Jahren die Heckenpflanzen von ihrem Gärtner geben und sich von ihm einige Pflegetipps zukommen lassen, seitdem blüht die Heckenrose jedes Jahr aufs Neue. Ganz hinten im Garten hatte Frau Leber bei ihrem Einzug in das Haus Birken gesetzt, die inzwischen ein Höhe von acht Metern erreicht hatten aber nicht störten, weil sie erstens ganz hinten im Garten standen und zweitens sehr licht wuchsen, das Sonnenlicht also immer durchließen. Natürlich hatte sie auch Flieder unter ihren Heckenpflanzen, der lila und weiß blühte und einen ganz betörenden Duft von sich gab. Man musste aber bis in den Frühsommer hinein warten, um die Blüten und den Duft genießen zu können. Frau Leber hatte den Flieder irgendwann einmal ganz heruntergeschnitten, er war aber wieder gekommen und stand in voller Größe am linken Rand ihres Gartens.

Einmal hatte sie die Idee, Obstbäume zu ziehen und setzte mitten auf den Rasen einen Apfel- und einen Birnbaum, der Apfel war ein Ingrid Marie und die Birne war von der Sorte Klaps Liebling. Da die Obstbäume regelmäßig geschnitten werden mussten, der Obstbaumschnitt aber nicht ganz einfach war und es dazu die verschiedensten Theorien gab, vernachlässigte Frau Leber die Obstbäume irgendwann, sodass die Obstausbeute stark zurückging. Sie überlegte im Moment, die Bäume zu fällen, brachte es aber nicht übers Herz, sich von den alten Zeugen ihrer Existenz in Mersdonk zu trennen. Neben den Sträuchern und Bäumen hatte Frau Leber aber auch noch jede Menge Stauden wie Lavendel und Blumen im Garten. Bei den Blumen überwogen Rosen und Tulpen, es wuchsen aber auch Narzissen bei ihr. Da Frau Meissner es Frau Leber in allem immer gleich tat, sah ihr Garten ganz genauso aus wie der von Frau Leber, ich sagte ja schon, dass sich die Gärten wie ein Ei dem anderen glichen. Im Sommer gab es immer eine wahre Blütenpracht und einen Duft, der einen die Luft tief einatmen ließ. Über Winter bedeckte Frau Leber die Seitenbeete immer mit Rindenmulch, den die Gemeinde an zwei Terminen für die Bürger bereithielt. Man bezahlte einen ganz geringen Betrag und bekam dafür wertvollen Mulch, der die Beete in der Frostperiode mit Nahrung versorgte und sie vor allzu tiefem Eindringen des Frostes schützte.

Lebers und Meissners liebten es, im Sommer bis in die Nacht hinein draußen zu sitzen und die gute Luft einzuatmen, es herrschte draußen in der Nacht völlige Stille und das unterschied eben die Wohnsituation in Mersdonk vom Wohnen in der Stadt, wo nie absolute Stille herrschte. Sie hatten bei der Gelegenheit Getränke bei sich, die Frauen Wein, die Männer Bier, tranken ab und zu einen Schluck und redeten kaum miteinander, jeder genoss den Moment der totalen Entspannung. Die Männer ließen sich Erlebtes von ihrem Dienst durch den Kopf gehen und die Frauen dachten an sonst was, jeder war mit sich zufrieden und keiner hatte das Bedürfnis, sich zu unterhalten. Es gab kaum Tiere, die man zu so später Stunde wahrnehmen konnte, sie konnten ab und zu den Schrei einer Eule hören, oder es sprang eine Katze durch den Garten, sonst bemerkten sie aber nichts. Gegen 1.00 h nachts, manchmal auch erst gegen 2.00 h, je nachdem wie sie Lust hatten, beendeten sie ihre Soiree. Meissners verabschiedeten sich oder, wenn sie bei Meissners waren, verabschiedeten sich Lebers und sie gingen alle ins Bett. Es war noch nie vorgekommen, dass man bei den Freunden übernachtet hatte, was jetzt, wo die Kinder aus dem Haus waren, überhaupt kein Problem wäre, aber das fiel ihnen einfach nicht ein, es war ja auch nur ein Katzensprung bis nach Hause. In Mersdonk gab es im Ortszentrum neben der Kirche die Kneipe Küppers, die sie schon einmal gemeinsam besuchten und wo man ganz gut essen konnte, sie aßen und tranken dort gelegentlich etwas.

Vor Küppers gab es den großen Marktplatz, auf dem immer mittwochs und samstags der Wochenmarkt stattfand, den die beiden Frauen regelmäßig aufsuchten, das taten sie schon seit zwanzig Jahren. Es war nicht so, dass sie immer etwas brauchten, manchmal gingen sie nur zum Markt, um Bekannte zu treffen und sich mit denen zu unterhalten. Es kam auch vor, dass sie sich mit den Bekannten vor das Cafe Kurtz setzten und gemütlich eine Tasse Kaffee tranken.

Das passierte früher aber relativ selten, denn die Frauen mussten nach Hause und ihren Kindern das Essen bereiten, um spätestens 13.30 h kamen sie aus der Schule und hatten Hunger. In letzter Zeit hatten Frau Leber und Frau Meissner viel mehr Gelegenheit, sich vor das Cafe zu setzen, weil sie niemand mehr trieb. Sie mussten auch nicht mehr so viel einkaufen, denn es aß ja niemand mehr zu Mittag, die Frauen hatten sich das Mittagessen abgewöhnt, sie taten ja nichts, also brauchten sie auch nichts zu essen. Abends setzten sie sich mit ihren Männern in der Küche an den Tisch, aßen mit ihnen Brot und tranken Tee dazu. Die Männer hatten in ihrer Kantine zu Mittag gegessen und waren abends nicht mehr so hungrig. Es hatte eben alles einen anderen Rhythmus angenommen, seit die Kinder weg waren, aber der neue Lebensrhythmus spielte sich schnell ein und stellte die Beteiligten auch schnell zufrieden, man ging vieles relaxter an und genoss die Entspanntheit.

Die jungen Leute aßen an ihrer Uni in der Mensa, ein ganz neues Esserlebnis für sie, die Mensa hatte sich im Verlauf der Jahre schwer herausgeputzt, und es gab dort für kleines Geld für jeden Geschmack etwas, sogar Veganer kamen auf ihre Kosten. Wer keine allzu hohen Ansprüche stellte und die Leber-Jungen waren vor allem Fleischesser, die dazu Kartoffeln, Soße und Gemüse brauchten, wurde zufriedengestellt, sie zahlten um die drei Euro für ihr Essen und wurden in jedem Falle satt. Aber auch die etwas anspruchsvollere Rebecca lobte ihre Mensa in Münster, sie aß eigentlich schon seit Jahren gar kein Fleisch mehr und nahm sich in der Mensa immer einen Salatteller oder einen Eintopf, sie klagte nicht und war mit dem Essen zufrieden. Frau Leber kam früher immer mit vollen Einkaufstaschen vom Markt, in denen sie Fleisch und Gemüse für ihre Jungen hatte und das zweimal pro Woche. Sehr gerne machten Lebers und Meissners zusammen Radtouren, sie hatten eine Lieblingsrunde und fuhren über Kapellen querfeldein über die Felder nach Wetten an die Niers und setzten sich dort neben dem Bootsverleih an den Fluss, um etwas zu trinken. Manchmal gingen sie auch zum Metzger und holten sich Fleischwurst mit Brötchen, meistens hatten aber die Frauen etwas zu Essen eingepackt. Anschließend fuhren sie die Kapellener Straße zurück und Am Mühlenwasser, der L 480, zweihundert Meter nach rechts, wo sie in die Waltersheide einbogen, der folgten sie bis zum Mölleweg und bogen anschließend in die Beerenbrouckstraße ein.

Kurz vor Kapellen fuhren sie durch die Felder bis zum Zitterhuck, überquerten die Straße und fuhren über die K 20 wieder nach Hause. Sie ließen sich immer sehr viel Zeit beim Radfahren, niemand hatte den Ehrgeiz, wieder schnell zu Hause zu sein, sie genossen es, wenn ihnen der Fahrtwind um die Nasen strich und die gute Luft zufächelte. KHK Leber und KOK Meissner waren früher starke Raucher gewesen, sie hatten, während sie auf der Polizeischule waren, sogar noch gedreht. Ihre Frauen hatten auch geraucht, das Rauchen aber mit der Schwangerschaft aufgegeben. Die Männer hatten das Drehen dran gegeben und fertige Zigaretten gekauft, sie waren gleich auf Filterzigaretten umgestiegen, nachdem sie lange Zeit filterlose Drehzigaretten geraucht hatten, weil die billiger waren. Sie hörten zeitgleich auf, das war eine Entscheidung, die über den Kopf lief, sie hatten nichts von den Versuchen vieler gehalten, das Rauchen aufzugeben und zu einem bestimmten Termin die letzte Zigarette zu rauchen, das brachte nie etwas. Silvester war oft so ein Termin, den man gerne nahm, um im Januar irgendwann wieder mit dem Rauchen anzufangen. KHK Leber und KOK Meissner hörten einfach auf, mitten im Jahr, keiner von beiden hatte je wieder Schmacht, auch morgens nicht und seitdem auch nie wieder auch nur einen Zug genommen.

Morgens war die erste Zigarette immer die wichtigste des ganzen Tages, sie erzeugte einen leichten Schwindel und wurde mit einer Tasse Kaffee genossen, noch bevor man etwas gegessen hatte. Die beiden Kommissare waren froh, das Rauchen aufgegeben zu haben. Es war nicht nur so, dass es bei ihnen zu Hause in den Räumen nicht nach Zigarettenrauch stank, sondern sie hatten auch spürbar mehr Kondition, was sie gleich beim Polizeisport merkten. Es gab aber auch in der Polizeiinspektion nicht mehr so viele rauchende Kollegen und die paar, die noch rauchten, mussten vor die Tür, so streng verfuhr man inzwischen mit den Rauchern, die vollkommen aus Kneipen und öffentlichen Gebäuden verbannt wurden. Ihr Dienst begann jeden Morgen um 7.45 h in der Asberger Straße in Moers. Beide standen sie um 6.00 h auf, frühstückten kurz und fuhren anschließend mit dem Wagen zur Autobahnauffahrt Alpen. Früher, als die Autobahn noch nicht fertig war, mussten die Leute über die Landstraße nach Moers fahren, was natürlich aufhielt, zu dieser Zeit wohnten die beiden Kommissare noch nicht in Mersdonk. Spätestens ab dem Autobahnkreuz Kamp-Lintfort wurde es immer voll auf der Autobahn, wenn der Verkehr von der A 42 auf die A 57 wechselte. Wenn der Verkehrsfunk Staus meldete, meistens ab dem Autobahnkreuz Moers, und sich der Verkehr bis zu ihnen zurück staute, fuhren sie auf der A 42 ein Stück in Richtung Dortmund und nahmen die Abfahrt Moers Nord.

Sie fuhren über die Rheinberger Straße in die Stadt, wechselten auf die Klever Straße und gelangten schließlich zur Asberger Straße, in der neben dem St.-Josefs-Krankenhaus die Polizeiinspektion lag. Sie brauchten für die Strecke immer eine gute halbe Stunde, ganz selten kam es vor, dass sie sich verspäteten, so wenn es im Winter Glatteis gab und die Straßen noch nicht gestreut waren, sodass sie nur schleichen konnten, aber das passierte wirklich nur ganz selten. Im Sommer, wenn es morgens um diese Zeit schon lange hell war, ging alles total unkompliziert, die beiden zogen nur ein Hemd und eine Hose über und fuhren los, man merkte kaum, wie die Fahrzeit verging. Einmal waren sie mit dem Wagen liegengeblieben, KOK Meissner war mit dem Fahrdienst dran, als sein alter Opel Vectra auf der Autobahn seinen Geist aufgab, in Höhe der Abfahrt Rheinberg blieb der Wagen plötzlich stehen, nachdem aus dem Motorraum laute und nicht näher identifizierbare Geräusche zu vernehmen waren. Sie rollten auf dem Standstreifen aus, und KOK Meissner fluchte auf seinen Wagen, er war richtig sauer, zog sein Handy aus der Hosentasche und rief zunächst in Moers an, um mitzuteilen, dass sein Kollege und er wegen einer Autopanne später kämen. Auch rief er den ADAC an und ließ sich von dem Fachmann bestätigen, was er schon vermutet hatte, dass nämlich der Motor hinüber war, der Zahnriemen war gerissen und die Nockenwelle hatte daraufhin alle Ventile aus ihren Sitzen gerissen und sie verbogen.

Er ließ einen Abschleppwagen kommen und den Wagen zu Opel Elspass in die Rheinberger Straße nach Moers bringen, dort stellte er seinen Vectra zur Begutachtung auf das Firmengelände. Die beiden Kommissare fuhren mit dem Taxi zum Dienst und machten sich während ihres Dienstes Gedanken wie sie am Abend wieder zu sich nach Hause kämen. Das mit dem öffentlichen Nahverkehr war so eine Sache, sie hätten mit der SB 30 nach Geldern fahren und sich vom Bahnhof von ihrem Frauen abholen lassen können. Die Fahrt vom Bahnhof Moers zum Bahnhof Geldern hätte fünfzig Minuten gedauert, was noch erträglich gewesen wäre. Sie riefen aber im Laufe des Tages ihre Frauen an und baten sie:

„Holt uns bitte sie in Moers ab!“ KOK Meissner musste sich einen neuen Wagen zulegen, die Reparatur des alten schied wegen des Preises aus, auch war der Wagen zehn Jahre alt und hatte eigentlich seinen Dienst getan. Er hatte sich mit seiner Frau beraten, welches Modell sie sich anschaffen sollten und sie kamen beide zu dem Entschluss:

„Wir werden den alten Wagen bei Elspass in Zahlung zu geben, denn wenn wir noch etwas für die alte Schaukel bekommen wollen, dann bei Elspass. Wir wollen uns bei Elspass einen neuen Wagen nehmen, und wir nehmen uns den neuen Vectra, obwohl der für uns beide eigentlich zu groß ist, denn Rebecca ist ja aus dem Haus.“ Den Vectra hatten sie den Meissners bei Elspass ans Herz gelegt und ihnen für ihren alten Wagen noch fünfhundert Euro gegeben. KHK Leber fuhr einen VW Passat und hatte noch nie Ärger mit seinem Wagen, obwohl der auch schon acht Jahre alt war. Er sah sich kurze Zeit später auch nach einem neuen Wagen um und nahm bei Minrath wieder einen Passat, zu dem sie ihm dort geraten hatten, aber auch der Passat war für KHK Leber und seine Frau im Grunde zu groß. Seit einem Monat gab es in Moers ein Novum bei der Polizeiinspektion, die Leitung war von einer Frau übernommen worden. Heidi Fahrenholz wurde Kriminaldirektorin in Moers, was von vielen mit gemischten Gefühlen aufgenommen wurde und woran sie sich nur ganz allmählich gewöhnen konnten. Niemand hatte etwas gegen die Leitung der Polizeiinpsektion in Moers durch ein Frau, der Gedanke war nur völlig neu, man kannte kein Präsidium und keine andere Polizeidienststelle, die von einer Chefin geleitet wurden. Heidi Fahrenholz kam vom Düsseldorfer Innenministerium an den Niederrhein, sie war in Düsseldorf Referentin für Kriminalprävention und Opferschutz gewesen und hatte davor auch schon in anderen Bereichen der Polizeiarbeit Erfahrungen sammeln können. Sie war fünfundvierzig Jahre alt, blond und sah gut aus, was in dem Job, den sie zu verrichten hatte zwar nicht unabdingbare Voraussetzung war, ihr aber den Kollegen gegenüber vielleicht zugutekam. In einem Interview sagte:

„Ich will zur Basis und ich will, dass unsere Stadt sicher wird., darin sehe ich die Hauptaufgabe der Polizeiarbeit.“ Dass sie aber gleich nach Dienstantritt in Moers mit dem seit Jahren schrecklichsten Verbrechen in der Stadt konfrontiert werden würde, das konnte sie vorher nicht wissen. KHK Leber und KOK Meissner waren an jenem Mittwochmorgen gerade zum Dienst erschienen, als es an der Tür zu ihrem Dienstzimmer klopfte und ihre Chefin eintrat, sie begrüßte ihre beiden Kommissare kurz und kam gleich zur Sache:

„Ich bin vor einer halben Stunde angerufen worden, man hat mir eine weibliche Leiche gemeldet, ein junges Mädchen, völlig entstellt, der Anblick muss grausam sein. Nehmen Sie sich der Sache an und fahren Sie nach Meerbeck, wo die Leiche gefunden worden ist.“

Mord an Birte Schoemaker

Bei Kapitalverbrechen wie Mord wurde die Kreispolizeibehörde in Wesel eingeschaltet, die Männer von der KTU (kriminaltechnische Untersuchung) kamen aber von der Polzeiinspektion in Moers, die als Erste am Ort des Verbrechens sein sollten, damit nicht eventuelle Spuren von anderen verwischt werden könnten. KHK Leber und KOK Meissner nahmen sich einen Dienstwagen und fuhren nach Meerbeck raus, das war nicht weit von der Polizeiinspektion entfernt, sie fuhren zum Bahnhof, durch die Unterführung, ein Stück die Homberger Straße entlang und bogen nach links in die Ernst-Holla-Straße ein, die in ihrer Verlängerung in die Moselstraße überging. Nach einer Weile erreichten sie den Klever Platz, der ein Stück unbebaute Fläche zwischen Annabergstraße, Beuthener Straße und Moselstraße war, sie trafen dort eine völlig fassungslose Frau an, die weinend am Straßenrand stand und ihren Dackel an der Leine hielt, das Tier war verstört und sah an seinem Frauchen hoch. Die Frau hatte den Hund Gassi geführt und war so auf die Leiche gestoßen, als sie den Hund rief und der nicht kam. Die Beamten kümmerten sich zunächst um die Frau und redeten beruhigend auf sie ein, es standen auch noch andere Personen herum, vermutlich Nachbarn der Frau, die gleich zu den Polizisten kamen und auf die Stelle mit der Leiche zeigten, die unter einem großen Busch mitten auf dem Klever Platz lag. Ob sie denn alle schon dorthin gelaufen wären, fragten die Beamten die Umstehenden, aber sie wiesen das von sich, lediglich einer von ihnen wäre dorthin gegangen und ein Mann trat vor.

„Ich bin aber nur bis an den Buschrand gelaufen“, sagte dieser.

„Und als ich ein Bein der Leiche gewahr wurde, habe ich es mit der Angst bekommen und bin schnell wieder zu den anderen zurück gelaufen.“ Die Beamten merkten an, dass es wichtig wäre, dass niemand zu dem Tatort liefe, damit nicht unnötig Spuren verwischt würden, die für die KTU von großer Bedeutung wären. Kurze Zeit später hielt neben ihnen am Straßenrand ein Wagen und vier Männer stiegen aus, einen kannten KHK Leber und KOK Meissner aus grauer Vorzeit an der Polizeischule, das war KHK Drexler, der bei der KTU gelandet war. Sie begrüßten sich freudig, so freudig wie es der grausige Anlass ihres Wiedersehens es zuließ, KHK Drexler stellte seine Kollegen vor und ließ sich den Fundort der Leiche zeigen. Daraufhin wies er seine jüngeren Kollegen an, den Ort großräumig abzusperren und sich an die Arbeit zu machen. Inzwischen war auch der Polizeiarzt eingetroffen, er wurde von KHK Leber und KOK Meissner zur Leiche geführt und zum ersten Mal konnten sie einen Blick auf sie werfen. Die beiden erfahrenen Polizisten hatten während ihrer Dienstzeit schon viele schreckliche Sachen gesehen, aber der Anblick einer Leiche, noch dazu einer so entstellten Leiche, nahm ihnen jedes Mal beinahe die Fassung. Das Mädchen lag in völlig verrenkter Haltung unter dem Busch, die Beine angezogen, die Arme ganz merkwürdig von sich gestreckt, ein Arm schien gebrochen zu sein und den Kopf unwirklich zur Seite geneigt, der Mörder hatte ihr die Kehle bis auf die Wirbelsäule durchgeschnitten. Das Mädchen trug eine Jeans, die halb heruntergelassen war, auch ihr Slip war heruntergelassen, der Mörder hatte sich wohl an ihr vergangen.

Der Arzt stellte schnell den Tod des Mädchens fest und nahm als Forensiker eine erste Sichtung des Leichnames vor, bevor er ihn der KTU überließ, die ihn nach Papieren absuchte. Sie fand einen Personalausweis, der das Mädchen als Birte Schoemaker auswies, sie wurde von der Mutter am Morgen als vermisst gemeldet, als diese in das Zimmer ihrer Tochter ging, um sie zur Schule zu wecken und sie nicht vorfand. Sie wohnte in Moers-Vinn in der Reichweinstraße und stammte aus relativ begüterten Verhältnissen, ihr Vater leitete die Filiale der Deutschen Bank in Duisburg-.Homberg. Birte besuchte das Gymnasium In den Filder Benden und war Schülerin der Jahrgangsstufe 12. Diese Dinge hatte die Polizei erfahren, als die Mutter in der Asberger Straße anrief, um ihre Tochter als vermisst zu melden. Ihr Leichnam wurde, als die Männer von der KTU mit ihrer Spurenaufnahme fertig waren, nach Wesel zur Forensik gebracht, dorthin würden KHK Leber und KOK Meissner am nächsten Tag fahren. Als Nächstes stand ihnen der Besuch in Vinn bevor, wo sie Birtes Mutter vom Tod ihrer Tochter unterrichten mussten. Vor diesem Angang hatten die beiden Polizisten große Manschetten, denn so etwas reichte immer bis an die Grenzen des menschlichen Fassungsvermögens. Sie fuhren zuerst noch einmal zu ihrer Dienststelle und sprachen kurz mit ihrer Chefin über den Mord an der Schülerin, die Chefin war bestürzt, sie erteilte ihren Kommissaren gleich den Auftrag:

„Suchen Sie die Mutter auf und berichten Ihr vom Mord an ihrer Tochter!“ Beide Beamte nahmen einen Schluck Kaffee, bevor sie sich in den Dienstwagen setzten und nach Vinn rausfuhren, sie merkten gleich an den Häusern, dass sie sich in einer Gegend des gehobenen Lebensstandards befanden. Die Reichweinstraße hatte auf der einen Seite Reihenhäuser, die eng aneinander standen und auf der anderen Seite freistehende Einfamilienhäuser mit großzügigen Grundstücken und großen Garagen, Birte hatte in einem der freistehenden Häuser gelebt. Die beiden Polizisten parkten ihren Wagen vor Birtes Haus, keiner von ihnen sagte ein Wort, sie gingen zur Haustür und KHK Leber drückte auf den Klingelknopf. Nachdem die Haustür von Birtes Mutter geöffnet worden war, sagten sie, wer sie wären und konnten gleich sehen, wie sich das Gesicht der Frau verwandelte und versteinerte Züge annahm, mit sehr leiser Stimme bat sie die Beamten ins Haus und bot ihnen im Wohnzimmer einen Platz an. Doch den Polizisten war nicht nach Sitzen zumute, es war KHK Lebers Aufgabe, der Frau zu sagen, was mit ihrer Tochter geschehen war, da hielt sich KOK Meissner zurück und war in diesem Moment froh, dass er der Untergebene war. Sie hatten solche Situationen schon einige Male bewältigen müssen und es kostete sie jedes Mal große Überwindung, die schreckliche Nachricht überbringen zu müssen. KHK Leber sah der Frau, die ihn erwartungsvoll anblickte, ins Gesicht und sagte mit gleichmäßigem Tonfall:

„Ihre Tochter ist tot, man hat sie am Morgen in Meerbeck gefunden und wir haben sie zur forensischen Medizin nach Wesel bringen lassen.“

Die Frau durchzuckte ein Schauer, Tränen standen ihr in den Augen, KHK Leber stand direkt vor ihr und stützte sie, KOK Meissner half ihm, sie in einen Sessel zu setzen. Dort saß sie lange und stierte vor sich hin, sie war unfähig zu sprechen und weinte schließlich. Als sie begriffen hatte, was geschehen war, ließ sie ihren Tränen freien Lauf und KOK Meissner holte Papiertücher aus der Küche, mit denen sie sich ihre Tränen abwischen konnte. KHK Leber besorgte einen Cognac aus dem Wohnzimmerschrank und bestand darauf, dass Frau Schoemaker ihn trank, aber sie sah sich dazu nicht in der Lage. KOK Meissner suchte beim Telefon nach der Nummer von Herrn Schoemaker, rief ihn an und bat ihn, umgehend nach Hause zu kommen. Eine halbe Stunde später trat er ins Wohnzimmer, wo er seine Frau weinend im Sessel vorfand. KHK Leber teilte ihm in kurzen und knappen Worten mit:

„Ihre Tochter ist ermordet worden!“. Herr Schoemakers setzte sich neben seine Frau und rang nach Fassung. KHK Leber bot auch Herrn Schoemaker einen Cognac an und der trank das Schnapsglas in einem Zug leer. Der Hauptkommissar fragte die Schoemakers, ob er einen Polizeipsychologen hinzuziehen sollte, aber der Bankier lehnte ab.

„Wir kommen am nächsten Morgen wieder vorbei und werden gemeinsam nach Wesel fahren, wo sie Ihre Tochter in der Forensik identifizieren sollen“, sagte KHK Leber, „ich weiß, dass das für Sie schwer wird und will alles tun, um es ihnen leicht zu machen, aber die Identifizierung muss nun einmal sein.“ Daraufhin verließen die beiden Polizisten die Schoemakers wieder und fuhren zur Dienststelle zurück. Frau Fahrenholz kam in ihr Dienstzimmer und ließ sich berichten, wie es bei den Schoemakers gelaufen wäre. Die beiden Kommissare erzählten:

„Die Mutter hat sich sehr schwer getan und ist kaum ansprechbar gewesen, während der Vater relativ gelassen und gefasst gewesen ist, aber der Eindruck kann natürlich auch täuschen, wenn er erst einmal begriffen hat, was wirklich geschehen ist, können in ihm die Trauergefühle auch noch losbrechen.“ Die Chefin sagte:

„Ich habe mich mit Dr. Domrose, der Schulleiterin des Gymnasiums in den Filder Benden in Verbindung gesetzt und am Nachmittag mit ihr einen Gesprächstermin vereinbart, ich würde gern um 14.30 h mit meinen Beamten zum Gymnasium fahren“, und sie bat die beiden:

„Machen Sie sich einen Plan für die weitere Vorgehensweise!“, danach verschwand sie wieder. KHK Leber und KOK Meissner dachten, dass die Tatsache, dass Birte vergewaltigt worden wäre, eine weibliche Täterschaft schon einmal ausschloss. Wenn sich am nächsten Tag das erste Entsetzen gelegt hätte, müssten sie sich mit den Eltern unterhalten und herauszukriegen versuchen, wer alles zum Freundeskreis von Birte gehört und wo und mit wem sie ihre Freizeit, besonders die Abende, in der Regel verbracht hatte. Danach würden sie viele Gespräche mit Freundinnen und Freunden führen und so versuchen, sich eine Vorstellung von den möglichen Tätern zu verschaffen, mehr konnten sie im Moment nicht tun. Sie hatten noch eine halbe Stunde für die Kantine und eilten schnell dorthin, um ihr Mittagessen einzunehmen, es gab einen Eintopf, aber das war den Beamten egal, sie waren, was das Essen anbelangte, nicht sehr wählerisch und nahmen jeder einen Teller Wirsing mit Mettwurst. In der Kantine trafen sie auf viele bekannte Gesichter und wurden angesprochen, warum sie auf den letzten Drücker kamen, sie erzählten in aller Kürze, was sich am Morgen alles zugetragen hatte. Um 13.00 h schloss die Kantine und sie konnten gerade noch ihren Cappuccino trinken, bevor sie aufgefordert wurden, ihr Geschirr wegzuräumen und die Kantine zu verlassen. Sie gingen in ihr Dienstzimmer zurück und besprachen, wie sie weitermachen würden, KHK Leber schaltete den PC ein und googelte im Internet nach dem Gymnasium in den Filder Benden. Er brachte einiges zur Schulgeschichte in Erfahrung und erfuhr, dass die Schule 1971 aus einer Abspaltung vom Gymnasium Adolfinum hervorgegangen war. Das Gymnasium lag direkt am Moerser Stadtpark und war schon von daher etwas Besonderes, die Schule hatte mehr als tausendeinhundertfünfzig Schüler und knapp neunzig Lehrer.

Die Kommissare dachten an ihre eigene Schulzeit zurück, die von KHK Leber fand in Krefeld statt und die von KOK Meissner in Duisburg, beide hatten sie vor fünfundzwanzig Jahren ihr Abitur abgelegt und sich danach bei der Polizei beworben, wo sie mit Kusshand angenommen worden waren. Um 14.30 h kam Frau Fahrenholz und holte die beiden ab, sie nahmen einen Dienstwagen und fuhren in die Zahnstraße. Sie parkten auf dem Lehrerparklatz vor dem Gymnasium, es war nicht viel los dort, es gab zwar Nachmittagsunterricht, aber längst nicht für alle Schüler. Sie liefen auf das Schulgelände und waren von der Sauberkeit des Schulhofes überrascht, auch die Gemälde an der Turnhallenseite gefielen ihnen. Sie betraten das Schulgebäude und liefen gleich auf das Direktorinnenzimmer zu, die Sekretärin meldete die Besucher bei Dr. Domrose an, und die bat sie in ihr Zimmer. Es gab in dem Raum eigentlich kaum etwas, das man hätte gemütlich nennen können, alle Einrichtungsgegenstände genügten minimalen Zweckmäßigkeitsanforderungen, es gab aber gepolsterte Stühle und einen Tisch, um den sie sich setzten. Frau Dr. Domrose ließ von der Sekretärin Kaffee kochen und Plätzchen bringen, bevor sie ihrer tiefen Bestürzung wegen des Todes von Birte Ausdruck verlieh. Sie fragte gleich:

„Wie weit ist denn die Polizei schon in ihren Ermittlungen fortgeschritten?“, aber dazu konnten KHK Leber und KOK Meissner wirklich kaum etwas sagen, schließlich war die Leiche von Birte Schoemakers erst am Morgen gefunden worden. Frau Dr. Domrose zog plötzlich eine Liste hervor, auf der sie Personen notiert hatte, die zum engen oder lockeren Freundeskreis von Birte gehört hatten, sie hatte fünf Namen unterstrichen, die zu Schülern gehörten, mit denen die Polizisten unbedingt reden müssten. Es handelte sich dabei um drei Mädchen und zwei Jungen, die Birte während ihrer gesamten Gymnasialzeit begleitet, und die sie deshalb besonders gut gekannt hatten. Die Polizisten baten Dr. Domrose:

„Erzählen Sie doch etwas von Birte, was sie für ein Mensch gewesen, und wie sie in der Jahrgangsstufe zurechtgekommen ist!“ Die Schulleiterin entgegnete:

„Ich habe mich mit der Jahrgangsstufenleiterin kurzgeschlossen und von ihr einige Auskünfte eingeholt. Demnach ist Birte eine überaus erfolgreiche Schülerin gewesen, sie ist von allen gern gesehen worden und obwohl sie so gute Leistungen gebracht hat, hat sie nicht als Streberin gegolten. Birte hat sehr gut ausgesehen und so mancher Junge hat sich schon an sie herangemacht, sie hat die Jungen aber alle abblitzen lassen, weil sie sich so früh noch nicht hat binden wollen. Es hat einmal eine ganz kurze Liaison mit einem Mitschüler gegeben und alle, die Birte gekannt und das mitbekommen haben, haben darüber gestaunt. Nach zweiwöchiger Dauer ist die Beziehung aber von Birte beendet worden, und sie hat dem Jungen zu verstehen gegeben, dass feste Beziehungen nichts für sie gewesen sind.

Sie hat sich eingeengt und in ihrem Freiheitsdrang behindert gefühlt, das hat der Junge selbst erzählt. Birte hat einen rundum glücklichen und zufriedenen Eindruck gemacht.

„Sie hat eine Vorbildfunktion für die anderen Schüler gehabt und schon allein deshalb macht mich ihr Tod so betroffen“, sagte Dr. Domrose und merkte zum Abschluss an:

„Ich hoffe, dass die Polizei das Schwein bald schnappt und es hinter Schloss und Riegel bringt!“ Die Beamten weiteten das Gespräch danach zum Schein etwas aus, um so auf Umwegen vielleicht mehr über Birte zu erfahren, sie sprachen über Klassen- und Stufenfahrten und wollten wissen wie sich Birte bei solchen Gelegenheiten verhalten hätte.

Dr. Domrose antwortete:

„Ich kann auch in diesem Zusammenhang nur Positives berichten, die Klassen- bzw. Stufenleiterinnen hat nur Gutes von Birte erzählt.“ Nach einer Stunde bedankten sich die Polizisten bei Dr. Domrose für ihre Auskünfte und ließen sich die Liste mit den Namen geben, zum Glück waren Adressen und Telefonnummern gleich mit vermerkt. Dr. Domrose geleitete ihren Besuch noch bis zum Ausgang, sie gaben sich alle die Hand und die Polizisten fuhren zu ihrer Dienststelle zurück. KHK Leber und KOK Meissner saßen in ihrem Büro zusammen und redeten über das Gespräch mit Dr. Domrose, sie wollten sich am nächsten Tag gleich mit den Mädchen und Jungen von der Liste verabreden. Um 17.00 h machten sie wie üblich Feierabend und fuhren mit bedrückten Mienen nach Hause.

Sie erzählten ihren Ehefrauen von dem Mord an Birte Schoemaker und die waren entsetzt, Birte wäre nur unwesentlich jünger als Rebecca gewesen, sagte Frau Meissner. Die Kommissare berichteten von ihrem Besuch in Birtes Elternhaus und sagten:

„Solche Besuche sind immer sehr bedrückend“, was ihre Frauen gut verstehen konnten. Sie saßen noch eine Zeit lang bei Meissners und aßen gemeinsam zu Abend, nichts Großes, nur ein paar Brote, die Männer hatten sich jeder eine Flasche Bier geöffnet. Sie machten an dem Abend nicht mehr allzu lange und gingen gegen 22.30 h ins Bett, hundemüde, der Tag war anstrengend gewesen, aber auch solche Tage gab es eben im Leben eines Kriminalbeamten. Am nächsten Morgen stellten sie ihren Wagen in der Asberger Straße ab und nahmen sich einen Dienstwagen, mit dem sie nach Vinn zu Familie Schoemaker fuhren. Auf ihr Klingeln hin öffnete Herr Schoemaker sofort die Haustür, die Beamten wünschten einen guten Morgen und wussten doch gleich, dass es erst einmal für lange Zeit keinen guten Morgen im Hause der Schoemaker geben würde. Die Beamten baten das Ehepaar:

„Ziehen Sie sich etwas über und steigen Sie in unseren Wagen, damit wir gemeinsam nach Wesel fahren können!“ KHK Leber half Frau Schoemaker beim Einsteigen, sie trug Schwarz und ihre Gesichtszüge waren steinern, ihre Augen waren verweint, vermutlich hatte sie die ganze Nacht über kein Auge zugemacht. Sie fuhren auf der A 57 bis nach Alpen und von dort über Büderich und die neue Rheinbrücke nach Wesel. In der Forensik leitete ein alter Bekannter die Abteilung für die Sezierung der Leichen, Dr. Schulz arbeitete schon seit fünfundzwanzig Jahren in Wesel und kannte KHK Leber und KOK Meissner gut. In seinem Untersuchungsraum lag Birte unter einem Tuch, es war an Frau Schoemaker, an die Bahre zu treten und ihrer Tochter ein letztes Mal ins Gesicht zu sehen. KHK Leber stützte sie und als Dr. Schulz das Tuch ein Stück von Birtes Gesicht zog, nur so viel, dass man sie erkennen konnte, verlor Frau Schoemaker das Bewusstsein und KHK Leber fing sie auf und setzte sie auf einen freien Stuhl. Dr. Schulz kam gleich mit Riechsalz, hielt Frau Schoemaker etwas davon unter die Nase und erlöste sie damit aus ihrer Ohnmacht. Zwischenzeitlich hatte Birtes Vater die Identifizierung vorgenommen, wortlos, mit erstarrtem Gesicht. Dr. Schulz bedeckte Birtes Gesicht gleich wieder und bat Frau Schoemaker und ihren Mann nach draußen zum Kaffeeautomaten, wo für alle Stühle standen, dort setzten sie sich hin. Frau Schoemaker weinte, sie konnte die schreckliche Tat immer noch nicht begreifen, sie war noch nicht ansprechbar und völlig fassungslos. Nach einer Weile ging KHK Leber noch einmal zu Dr. Schulz und besprach dessen Untersuchungsergebnisse mit ihm unter vier Augen. Dr. Schulz sprach von dem schrecklichen Zustand, in dem sich die Leiche befände:

„So etwas habe ich in meiner langjährigen Dienstzeit in der Forensik nur selten gesehen. Birte ist vergewaltigt worden, der Täter hat aber ein Kondom benutzt, sodass es keine Spermaspuren gibt. Ich habe auch nach Kratzspuren unter Birtes Fingernägeln gesucht, dort aber nichts Entscheidendes entdecken können. Auffällig ist neben der tief durchschnittenen Kehle der gebrochene rechte Arm, der obendrein noch ausgekugelt ist. Der Arm zeigt unterhalb des Ellenbogens ein großes Hämatom, für dessen Herkunft ich keine Erklärung habe, die Untersuchung des Körperinneren hat nichts Auffälliges ergeben. Alles Weitere könnt Ihr dem Untersuchungsbericht entnehmen, den ich Dir mitgebe!“ KHK Leber bedankte sich bei Dr. Schulz und verließ, den Untersuchungsraum wieder, er ging zurück zum Kaffeeautomaten und sagte den anderen, dass sie wieder nach Moers fahren sollten, Birtes Leichnam würde in den nächsten Tagen überstellt, sodass ihre Eltern ihre Tochter beerdigen könnten. Als die Polizisten die Schoemakers vor deren Haus in Vinn absetzten, gingen die beiden schweigend hinein, die Beamten sahen, dass sie sie unmöglich befragen konnten und sagten ihnen, dass sie sich wieder melden würden. Sie fuhren zur Polizeiinspektion und stellten fest, dass ihre Mittagspause leider schon vorüber war, weshalb sie bis nach Feierabend Hunger schieben müssten.

Sie saßen in ihrem Dienstzimmer und gingen die Liste durch, die ihnen Dr. Domrose gegeben hatte und riefen bei Svenja Kollartz an, die in Kapellen wohnte und eigentlich zu Hause sein müsste. Nach kurzem Klingeln ging Svenjas Mutter ans Telefon, bat um einen Moment Geduld und holte ihre Tochter. Svenja meldete sich mit dünner Stimme, sie war gleich im Bilde, als sich die Polizei bei ihr meldete. KHK Leber stellte sich als der leitende Untersuchungsbeamte vor und bat Svenja:

„Schlage mir doch einen Ort und einen Termin vor, damit wir uns einmal zusammensetzen können!“ Svenja überlegte kurz und schlug das Extrablatt in der Stadt vor, sie könnte allerdings erst in drei Tagen, weil sie am nächsten und übernächsten Nachmittag Unterricht hätte, sie schlug deshalb 15.30 h vor und KHK Leber willigte ein, er sagte:

„Du wirst die beiden älteren Herren schon erkennen!“ Die Nächste auf der Liste war Maria Kleinkemkes, sie wohnte laut Liste in Hülsdonk und ging gleich ans Telefon, und als sich KHK Leber vorgestellt hatte, tat sie, als hätte sie schon mit dem Anruf gerechnet. Der Hauptkommissar bat sie, genau wie Svenja, einen Treffpunkt und Trefftermin vorzuschlagen, damit sie sich einmal ungestört unterhalten könnten. Er sagte ihr:

„Mein Kollege und ich werden uns in drei Tagen mit Svenja im Extrablatt treffen, ich fände es aber nicht gut, wenn wir uns alle auf einmal träfen, sondern ich ziehe es vor, mit jedem getrennt zu reden.“ Maria hatte wie Svenja auch am nächsten und übernächsten Nachmittag Schule und könnte deshalb auch erst in drei Tagen, sie schlug den Hülsdonker Bahnhof als Treffpunkt vor und nannte 17.00 h als Treffzeit. KHK Leber notierte Marias Vorschlag und sagte ihr:

„Du wirst meinen Kollegen und mich wohl unschwer erkennen können!“

Anna Lieberecht war die Dritte auf der Liste, sie wohnte in in der Stadtmitte in der Bankstraße und war auch zu Hause, als sie sie anriefen. Sie ging selbst ans Telefon und tat sehr verschüchtert, als die Polizei sich bei ihr meldete. KHK Leber nahm ihr sofort die Scheu und sagte ihr:

„Du brauchst keine Angst zu haben, Du weißt doch sicher, warum ich anrufe!“ und Anna sagte, dass ihr das klar wäre. Er fragte Anna, wann und wo sie sich einmal zusammensetzen könnten, die Polizei hätte einige Fragen zu Birte an sie. Anna überlegte kurz und sagte:

„Wir können uns in zwei Tagen in der Röhre treffen, ich kann um 16.00 h, ist Ihnen das recht?“ und KHK Leber war einverstanden, sie müssten übermorgen eben später Feierabend machen. Später erklärte Anna den Polizisten, warum sie nicht auf das in ihrer Nachbarschaft befindliche Grafschafter Gymnasium ging, sie kam dort nicht mit den Lehrern klar, sie hatte dort ein Jahr wiederholt und war anschließend zum Gymnasium in den Filder Benden gewechselt.

Es blieben auf der Liste noch die beiden Jungen Marc Schreiber und Jens Schuster, Marc machte am Telefon einen sehr aufgeschlossenen Eindruck. Er wusste gleich, worum es ging und KHK Leber bat auch ihn, ihm einen Trefftermin und Treffpunkt zu nennen. Marc wohnte auf der Humboldstraße und schlug vor:

„Ich kann dem Fahrrad zur Eisdiele am Beginn der Steinstraße kommen, wenn es nach mir geht, können wir uns noch an diesem Nachmittag um 15.30 h treffen!“, und KHK Leber war einverstanden.

„Wenn Sie Jens Schuster auch noch anrufen wollen, den kann ich mitbringen, er wohnt in meiner Nachbarschaft und ich werde ihn verständigen.“ Obwohl der Hauptkommissar die Schüler eigentlich einzeln befragen wollte, willigte er ein und verabschiedete sich bis um 15.30 h. Ein Blick auf die Uhr zeigte 14.45 h, also war es Zeit, sich langsam zur Eisdiele aufzumachen und dort auf die Jungen zu warten. Es gab in der Polizeiinspektion neue Dienstfahrräder, modern ausgestattet, mit Kettenschaltung und Alu-Rahmen, die schnappten sich die beiden Polizisten und fuhren die Homberger Straße bis zum Ende entlang. Sie überquerten die Ampelkreuzung an der Uerdinger Straße und waren gleich an der Eisdiele angelangt, stellten die Fahrräder ab und setzten sich. Es saßen dort zwei Familien mit ihren Kindern, sodass sie als einzelne ältere Herren eigentlich nicht zu übersehen waren. Als der Kellner kam, bestellten sie sich jeder einen Cappuccino und sie warteten, es war erst 15.20 h, sie hatten also noch etwas Zeit und KHK Leber fragte seinen Kollegen:

„Brennt Dir eine Frage besonders auf den Nägeln?“ Aber KOK Meissner zuckte nur mit den Schultern, sie hatten für solche Fälle natürlich ihr Fragerepertoire, und das würde sicher auch ausreichen, um ihnen einen Eindruck zu vermitteln. Pünktlich um 15.30 h wurden sie von zwei jungen Männern angesprochen und es war klar, das waren Marc und Jens, die Polizisten baten die beiden, sich an ihren Tisch zu setzen. Da die Beamten nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen wollten, fragte KHK Leber die beiden, ob sie schon Schulaufgaben gemacht hätten. Die schauten ihn daraufhin an, als wüssten sie nicht, was er von ihnen wollte und der Hauptkommissar entspannte die Atmosphäre sogleich wieder, indem er sich für seine blöde Frage entschuldigte, ihm wäre einfach nichts Besseres zur Gesprächseröffnung eingefallen. KOK Meissner sagte:

„Wir waren am Vortag in Eurer Schule und haben mit der Schulleiterin über Birte Schoemaker gesprochen, mein Kollege und ich haben Dr. Domrose sehr nett gefunden und uns in Eurem Gymnasium wohl gefühlt.“ Marc pflichtete dem Oberkommissar bei und sagte:

„Dr. Domrose wird eigentlich von jedem gemocht, sie ist auch im Unterricht sehr nett und versteht etwas von ihrem Fach, sie unterrichtet Chemie.“

„Wisst Ihr, ob Dr. Domrose Birte Schoemaker unterrichtet hat?“, fragte KHK Leber und Jens antwortete:

„Das war in der Sekundarstufe I gewesen, als ich mit Birte zusammen in der 9. und 10. Klasse gewesen bin, da haben wir beide Chemie bei der Schulleiterin gehabt. Ich bin damals völlig auf Birte abgefahren und sogar in sie verliebt gewesen, sie hat aber von mir nichts wissen wollen, weshalb ich wochenlang traurig gewesen bin. Birte ist schon zu jener Zeit Klassenbeste gewesen und hat sich mit jedem gut verstanden, sie ist immer der Typ gewesen, der alle Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat ohne dabei arrogant zu werden.“ Marc sagte:

„Ich bin erst in der 7. Klasse zum Gymnasium in den Filder Benden gekommen, habe seitdem aber immer mit Birte zusammen Unterricht gehabt. Auch ich bin von Anfang an fasziniert von Birte gewesen, sie hat aber nie jemanden an sich herangelassen, weshalb auch ich meine Hoffnungen schnell begraben musste.“ Die Polizisten stellten eine Standardfrage, nämlich, ob sich die Jungen jemanden vorstellen könnten, der als Täter in Betracht käme, aber beide schüttelten sofort ihre Köpfe.

„Wir kennen niemanden, der einen Groll gegen Birte gehabt hat, wir sind beide völlig fassungslos gewesen, als wir von Birtes Tod gehört haben.“

„Könnt Ihr denn sagen, wo und wie Birte ihre Freizeit verbracht hat?“ und Marc antwortete, dass er wüsste, dass Birte zweimal pro Woche Tennis in Asberg gespielt hätte, ansonsten hätte sie sich auch schon ein paar Mal zur Happy Hour donnerstags im Extrablatt blicken lassen.

„Wer geht denn sonst noch alles dahin?“, fragte KHK Leber nach und Marc antwortete:

„Dort sind immer viele Oberstufenschüler anzutreffen, wir haben einmal sogar unseren Mathematiklehrer dort gesehen, der ist noch sehr jung und hat keine Familie, auch der Hausmeister ist schon einmal dort gewesen. Man bekommt im Extrablatt in der Happy Hour einen Cocktail für 3.90 Euro, für den man sonst um die 7.00 Euro bezahlen muss.“ Was wollt Ihr denn einmal werden?“, fragte KHK Leber die beiden plötzlich und Jens sagte, dass er Wirtschhaftsingenieurwesen studieren und in die Autoindustrie gehen wollte, Marc antwortete, dass er an ein Lehramtsstudium dachte, ihm lägen die Fächer Sport und Mathematik, aber er hätte sich noch nicht festgelegt. Marc und Jens hatten sich jeder ein Spagettieis bestellt, das ihnen KHK Leber selbstverständlich ausgab, er sagte:

„Wir sind mit unserer Befragung fertig, wenn wir noch weitere Fragen haben, melden wir uns noch einmal bei Euch.“ Die Jungen verabschiedeten sich per Handschlag und fuhren auf ihren Rädern nach Hause, KOK Meissner meinte, dass die beiden doch zwei ausgesprochen nette Vertreter der jungen Generation gewesen waren. Sie zahlten, schwangen sich auf ihre Diensträder und fuhren zur Polizeiinspektion zurück, stellten die Räder dort ab und machten Feierabend.

Sie nahmen sich auf der Fahrt ins Wochenende vor, am Montag noch einmal zu Schoemakers zu fahren und dem Ehepaar ein paar Fragen zu stellen. Zu Hause trieb sie beide eine Unruhe, die ihre Ehefrauen immer an ihnen beobachteten, wenn sie an einem Fall saßen, so wie in diesem Moment. KHK Leber saß mit KOK Meissner bei einer Flasche Bier auf seiner Terrasse, sie überlegten hin und her und wussten im Moment noch nicht weiter, aber beiden war klar, sie würden den Täter erwischen und ihn vor Gericht bringen. Sie machten nicht viele Worte und ließen es in sich arbeiten, wenn sie so da saßen, wollten sie nicht gestört werden, das wussten ihre Frauen aus langjähriger Erfahrung, und sie ließen sie in Ruhe. Das ganze Wochenende war mit den beiden nicht viel anzufangen, sie grillten nicht und machten keine Radtour. Am Montagmorgen fuhren sie, nachdem sie bei Schoemakers angerufen und ihren Besuch angekündigt hatten, nach Vinn. Birtes Eltern sahen schlecht aus, ihr Vater hatte eine Woche Urlaub genommen, um bei seiner Frau sein zu können, beide waren sie in tiefer Trauer, der Vater hatte seine Tochter vergöttert, und auch die Mutter hatte ihr Kind geliebt KHK Leber fragte:

„Ist es möglich, dass wir uns unterhielten?“, und Herr Schoemaker bat die beiden Polizisten hinein und bot ihnen eine Tasse Kaffee an, er hatte ein ernstes, noch nicht gefasstes Gesicht. Seine Frau sah noch immer verweint aus und wischte sich die Tränen, sie war aber ansprechbar.

„Was können Sie uns über Birtes Freizeitverhalten sagen?“, fragte KHK Leber sie beide und Frau Schoemakers antwortete mit gebrochener Stimme:

„Birte hat in Asberg Tennis gespielt, zweimal die Woche, zu anderen Dingen hat sie keine Zeit gehabt.“

„Ist Birte denn nicht auch einmal in die Stadt gegangen, zum Cafe Extrablatt zum Beispiel?“, hakte der Hauptkommissar nach und Frau Schoemakers entgegnete:

„Unsere Tochter ist höchstens einmal dort gewesen, sie hat aber dort keinen Alkohol getrunken und ist nie mehr im Extrablatt gewesen.“

„Was wissen Sie denn über Freundschaften Ihrer Tochter, Birte ist schließlich siebzehn Jahre alt gewesen und hat sehr gut ausgesehen?“ Sofort erwiderte Frau Schoemakers, ihre Stimme war jetzt fest geworden:

„Unsere Tochter hat sich nichts aus Jungen gemacht, dazu hat sie keine Zeit gehabt.“

„Und was ist mit Mädchen gewesen?“, fragte KHK Leber nach und gleich antwortete Birtes Mutter:

„Es hat da die Clique gegeben, zu der Svenja Kollartz, Anna Lieberecht und Maria Kleinkemkes gehört haben, die vier haben schon mal etwas unternommen, sind Fahrradgefahren oder schwimmen gegangen, abends sind sie nur selten aus gewesen.“

Auch den Eltern stellten die Polizisten ihre Standardfrage, ob sie sich jemanden als Täter vorstellen könnten, aber da mussten die Eltern passen, sie konnten sich niemanden vorstellen, der Birte böse gewesen wäre. Die Beamten ließen sich Birtes Zimmer zeigen und fanden dort alles in einem aufgeräumten und sauberen Zustand vor, „so ist Birte eben gewesen“, sagte die Mutter, „sie hat Unordnung und Schmutz gehasst.“ Auf ihrem Schreibtisch lagen Fotos, die Birte mit ihren Freundinnen zeigten, KOK Meissner setzte sich auf den Schreibtischstuhl und öffnete eine Schublade, er fand dort Birtes Tagebuch, in dem sich für vergangenen Dienstag die letzte Eintragung fand. Er zeigte das Tagebuch seinem Kollegen und die Polizisten steckten es mit Erlaubnis der Mutter ein.

„Vielleicht enthält das Tagebuch ja einen Hinweis auf den Mörder.“ Sie bedankten sich für den Kaffee und fragten:

„Wann findet denn Birtes Beerdigung statt?“, und die Mutter antwortete, dass sie ihre Tochter in zwei Tagen beerdigen wollten. Die Kommissare verließen die Schoemakers wieder und fuhren zur Polizeiinspektion zurück, setzten sich in ihr Dienstzimmer und ließen sich durch den Kopf gehen, was Frau Schoemaker gesagt hatte, es war ihnen klar geworden, dass sie nicht alles von Birte wusste. Man merkte ganz deutlich wie sie ihre Wunschvorstellungen in ihre Tochter projizierte, sie dachte an ein unbescholtenes und strebsames Mädchen, das Birte ja möglicherweise auch gewesen war, aber sicher wohl nicht für immer sein wollte. Birte war wahrscheinlich ein ganz normales Mädchen, das seine Fühler auch zum anderen Geschlecht ausstreckte, nur eben nicht so deutlich wie das andere taten. Sie nahmen sich das Tagebuch vor und jeder blätterte darin herum, es reichte knapp zwei Jahre zurück, Birte hatte immer die Tagestemperaturen und den Himmel beschrieben, sie hat akribisch festgehalten, mit wem sie sich wo getroffen hatte, aber die Beamten fanden beim ersten Durchblättern keine heiße Spur, sie hatte sich ausschließlich mit ihren Freundinnen getroffen. Birte war siebzehn Jahre alt, ein Alter, in dem man sich verlieben konnte aber nicht musste, siebzehn war die Grenze zwischen noch kindlicher Jugend und Erwachsensein, Birte mag älter ausgesehen haben als siebzehn, sie fühlte sich aber wahrscheinlich, als wäre sie jünger. Vielleicht mussten sie gar nicht nach jemandem suchen, der einen Groll gegen Birte gehegt hatte, sondern nach jemandem, den diese Zerrissenheit zwischen Jugend und Erwachsensein besonders ansprach, der diesen Zustand aufreizend fand. Man konnte im Nachhinein nicht sagen, ob Birte diesen Zustand ausgespielt und die Männer um ihren kleinen Finger gewickelt hatte, hatten sie es mit einem Lolitasyndrom zu tun? Das waren alles nur Mutmaßungen, die sich aus heutiger Sicht nur schwer belegen ließen, aber ausschließen konnte man sie auch nicht.