Perikles - Wolfgang Will - E-Book

Perikles E-Book

Wolfgang Will

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Beschreibung

Perikles (500/490-429 v. Chr.), der charismatische Redner und Staatsmann, stand, so die allgemeine Auffassung, mit den großen Geistern seiner Zeit - Sokrates, Sophokles, Phidias, Anaxagoras, Herodot - in enger Verbindung und vollendete die erste Demokratie der Welt in seiner Heimatstadt Athen. Auch wenn das «Perikleische Zeitalter» mit Recht als Glanzzeit Athens und der klassischen griechischen Kultur gilt, die Kritik an Perikles ist nie verstummt: Schon seine Zeitgenossen warfen ihm vor, er habe wie ein Monarch regiert und Athen in den verhängnisvollen Peloponnesischen Krieg geführt.   Das Bildmaterial der Printausgabe ist in diesem E-Book nicht enthalten.  

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Seitenzahl: 227

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Wolfgang Will

Perikles

 

 

 

Über dieses Buch

Perikles (500/490–429 v. Chr.), der charismatische Redner und Staatsmann, stand, so die allgemeine Auffassung, mit den großen Geistern seiner Zeit – Sokrates, Sophokles, Phidias, Anaxagoras, Herodot – in enger Verbindung und vollendete die erste Demokratie der Welt in seiner Heimatstadt Athen. Auch wenn das «Perikleische Zeitalter» mit Recht als Glanzzeit Athens und der klassischen griechischen Kultur gilt, die Kritik an Perikles ist nie verstummt: Schon seine Zeitgenossen warfen ihm vor, er habe wie ein Monarch regiert und Athen in den verhängnisvollen Peloponnesischen Krieg geführt.

 

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Vita

Wolfgang Will lehrt als Privatdozent an der Universität Bonn. Zuletzt erschienen von ihm die Monographien «Herodot und Thukydides. Die Geburt der Geschichte» (München 2015), «Athen oder Sparta. Eine Geschichte des Peloponnesischen Krieges» (München 2019) und «Der Zug der 10 000» (München 2022).

Impressum

rowohlts monographien

begründet von Kurt Kusenberg

herausgegeben von Uwe Naumann

 

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, April 2023

Copyright © 1995 by Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

Für das E-Book wurde die Bibliographie aktualisiert, Stand: April 2023

Das Bildmaterial der Printausgabe ist in diesem E-Book nicht enthalten

Redaktionsassistenz Katrin Finkemeier

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages.

Covergestaltung any.way, Hamburg

Coverabbildung bpk/Antikensammlung, SMB/Jürgen Liepe (Bildnis des Perikles. Frühkaiserzeitliche Marmorkopie nach einem Bronzeoriginal des späten 5. Jahrhunderts v. Chr.)

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

ISBN 978-3-644-01776-4

www.rowohlt.de

 

Alle angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Printausgabe.

Abschied von Perikles

Alexander der Große ist eine Erfindung der Antike, der Staatslenker und Kulturheros Perikles eine moderne Fiktion. Den Leichnam, den die Athener nach dem verlorenen Krieg eilends verscharrt hatten, gruben erst die Forscher des 19. Jahrhunderts wieder aus. Ein Tyrann war beerdigt worden, ein Demokrat wurde exhumiert, ein Kriegsagitator war gestorben, ein Friedensfürst stand von den Toten auf.

Den Stein, der die Gruft als Riesenpetschaft versiegelte, hatte der Historiker Thukydides über das Grab gewälzt. In seiner Geschichte des Peloponnesischen Krieges schuf er am Ende des 5. Jahrhunderts v. Chr. einen Perikles nach seinem Bild und seiner Vorstellung. Die Erinnerung der Zeitgenossen verblasste demgegenüber. Was Athen nicht vergaß, suchte es zu verdrängen. Auf dem Weg zu neuer Herrschaft störte die Rückschau auf die alte, die das dritte Griechenland, das Griechenland jenseits der Hegemonialmächte Sparta und Athen, mit der Person des Perikles als Tyrannen verband. Das Athen des 4. Jahrhunderts v. Chr. schwieg über den Staatsmann Perikles, über den es nicht reden konnte, der Hellenismus ignorierte, das republikanische Rom vergaß ihn. Anders als Alexander repräsentierte er kein Großreich.

 

Der Wiederentdeckung der griechischen Kunst folgte die Wiederbelebung des Perikles. Montesquieu erwähnt ihn nicht, Rousseau nur abfällig.[1] Sein Aufstieg begann mit Johann Joachim Winckelmann (1717–1768). Der Archäologe und Kunstgelehrte schätzte die attische Demokratie als Modell für seine Gegenwart wenig, die «Freiheit» des griechischen Lebens (oder was er dafür hielt) betrachtete er aber als Voraussetzung für die Blüte, die die Kunst in den Jahrzehnten der Pentekontaëtie (479–431) erreichte.[2] Historiker und Archäologen machten sich auf die Suche nach dem großen Mann des 5. Jahrhunderts und fanden Perikles, genauer gesagt, sie erfanden ihn und eine ganze Ära dazu – die perikleische. Der Begriff der «Perikleischen Ära» befriedigte das Bedürfnis nach einem Namen, und so akzeptierten ihn selbst kritische Altertumswissenschaftler wie Barthold Georg Niebuhr (1776–1831).[3] Das «Zeitalter des Perikles» begann nicht mit dem Sturz des Areopags, sondern mit dessen Ausgrabung, seinen Aufstieg erlebte Perikles erst in den Werken von Georg Grote (1794–1871)[4], Wilhelm Oncken (1838–1905)[5] oder Wilhelm Adolf Schmidt (1812–1887). Wie kaum ein anderer Althistoriker vermochte Schmidt zu zeigen, dass Quellenkritik mit Legenden nicht aufräumt, sondern sie schafft. «Perikles ist daher nicht nur der Vertreter einer kurzen Zeitspanne, der perikleischen Aera … sondern mit dem allen zugleich ist er auch der eigentliche Repräsentant eines ganzen Weltalters und einer universalen Entwicklungsstufe der Menschheit. Er steht im Zenit des gesamten antiken oder classischen Weltalters, und vertritt dergestalt in hervorragendster Stellung eine jener weit und hochgeschwungenen Culturwellen, die, bemessen nach Jahrtausenden, in ihrer Aufeinanderfolge bestimmt sind, die Menschheit ihren höchsten Culturzielen, ihrer irdischen Vollendung entgegenzuführen.»[6]

An diesem panegyrischen Bild mussten in der Folgezeit Abstriche gemacht werden, grundsätzliche Kritik wie die Julius Belochs setzte sich jedoch nicht durch.[7] Im Gegenteil: Mit dem Aufkommen des Nationalsozialismus begann in Deutschland eine neue Epoche des Perikles-Kultes. Der «Führer» fand sich in Perikles wieder – wie dieser den Parthenon habe er die Autobahnen gebaut –, und seine Historiker folgten ihm.[8] Fritz Schachermeyr feierte Perikles als nordischen Führer[9], nach Fritz Taeger führte Perikles, «Staatsmann und Feldherr zugleich, sein Volk in freiwilligem Gehorsam»[10], Hans Erich Stier propagierte Perikles als den Politiker, der «die Aufgabe, das Volk zu führen, im rechten Sinne des Wortes auffaßte und aus seiner eigenen völligen Hingabe an den Staat und das Gemeinwohl die Autorität und die Kraft gewann, auch die Menge der Bürgerschaft in diesem Sinne zu lenken». Der Niedergang der attischen Demokratie habe eingesetzt, als Perikles’ Nachfolger begannen, sich dem Volkswillen zu fügen.[11] Auch Helmut Berve, der schon in seiner Geschichte des Alexanderreiches (1926) die Froschperspektive als die dem Historiker zukommende empfohlen hatte[12], präsentierte in großer Zeit Perikles als Prototyp eines national-sozialistischen Führers. Nicht bloß rhetorische Virtuosität sei es gewesen, was den Worten des Perikles zündende Kraft verliehen habe, sondern das hohe Ethos eines großen, schicksalumfangenen Menschen, der selbst in Schlachten dem Tod ins Auge gesehen habe.[13]

Perikles’ Außenpolitik diente als Vorbild für die deutsche Seestrategie (Ernst Wolgast), sein und Athens Fall im Peloponnesischen Krieg half Hitlers Niederlage erklären: Perikles habe zwar «die nordischen Tugenden: Tapferkeit, Ehre, Treue, Vaterlandsliebe» verkörpert, das athenische Volk in der Stunde der Prüfung jedoch versagt (Hermannhans Brauer).[14]

 

Der Nachkriegs-Perikles wurde in Deutschland und Österreich führerlos, bewahrte aber – demokratisiert und entmilitarisiert – alten Glanz. Perikles’ Verdienst sei es gewesen, schrieb Hermann Bengtson, dass das athenische Volk die ihm aus seiner politischen Hegemonie erwachsenden Verpflichtungen mit heiligem Eifer ergriffen habe, Perikles’ zündende Begeisterung habe den Ideen Form und Gestalt zuteilwerden lassen. Der einzigartige harmonische Zusammenhang zwischen dem perikleischen Staatsbau und der perikleischen Kulturpolitik strahle in erster Linie auf den Mann zurück, dessen ordnender Geist das Einzelne zu einem organischen Ganzen zu verbinden gewusst habe.[15] Fritz Schachermeyr sah jetzt in Perikles den vielleicht größten Repräsentanten kulturellen Waltens, den Mann, dem es gelang, in Athen das großartige Kulturkonzert der griechischen Hochklassik nicht nur als Wunschbild oder Utopie zu erträumen, sondern als Realität zu verwirklichen (!). Dem «großen überlegenen Klassiker» folgte freilich, so der Historiker, ein anderer Perikles, der «verzweifelte Kämpfer gegen feindliche Kräfte». Dieser scheitert in Schachermeyrs 1969 publizierter Monografie nicht an Krankheit, Komödie oder Kleon, sondern an der Verweigerung der jungen Generation. «Mißratene Söhne», die Studenten der 68er Revolte, versagten sich den «Patriotischen Vätern»: Perikles, Hitler und Schachermeyr.[16]

 

Der Perikles, der heute in den Geschichtsbüchern, Lexika und wissenschaftlichen Biografien spukt, ist das alte Fantasiegebilde, eine Mixtur aus Demokrat, Kulturheros, weitsichtigem (Verteidigungs-)Kriegsplaner und Friedensstifter in einem. War Perikles einst dazu berufen, dem neuen Staat Adolf Hitlers antike Leitfigur zu sein, so ernennt ihn nun der amerikanische Historiker Donald Kagan in einer von den bundesrepublikanischen Feuilletons mit Überschwang begrüßten Biografie zum Idol für die neuen Staaten jenseits des einstmals Eisernen Vorhangs: «Die neuen Demokratien werden deshalb Führer vom Format eines Perikles brauchen, Führungspersönlichkeiten, die sich dessen bewußt sind, daß Wesen und Ziel der wahren Demokratie die weitestmögliche Hebung des Niveaus ihrer Bürger ist und daß das Bemühen, den Größten auf ein Maß zurechtzustutzen, das die Mißgunst auch des Allergeringsten beschwichtigt, Charakteristikum der Tyrannei ist.»[17]

Die Quellen

Die Quellen zur Geschichte des Alkmeoniden Perikles fließen spärlich. Über keinen anderen der berühmten Staatsmänner oder Feldherrn der Antike ist so wenig bekannt. Während Alexander schon zu Lebzeiten so viele Biografen besaß, dass er unliebsame hinrichten lassen konnte, widmete sich nur einer der Person des Perikles, ein halbes Jahrtausend nach dessen Tod: Plutarch von Chaironeia. Von den zeitgenössischen Historikern fand nur Thukydides den «Olympier»[18] einer ausführlicheren Würdigung für wert; der zweite große Historiker des 5. Jahrhunderts, Herodot von Halikarnassos, feierte nicht das klassische Athen, sondern suchte sein Ideal rückwärtsgewandt in dem der Perserkriege.[19]

Thukydides, Sohn des Oloros, Historiker des Peloponnesischen Krieges (431–404), des größten Krieges der griechischen Welt, wurde Anfang der fünfziger Jahre, spätestens 455, in Athen geboren. Seine politisch-militärische Karriere begann im Frühjahr 424, als er zum Strategen gewählt wurde, und endete im November desselben Jahres, als er, in die Nordägäis abkommandiert, das wichtige Amphipolis an den Spartanerkönig Brasidas verlor. Anfang 423 wurde Thukydides zu zwanzig Jahren Verbannung verurteilt.[20]

Wie kein zweiter Historiker der Antike mühte sich Thukydides um Objektivität. Er zeige so sehr das Gegenteil tendenziöser Geschichtsschreibung, befand Albin Lesky, dass er allen Zeiten den Maßstab gegeben habe, solche an ihm zu messen.[21] Dennoch muss Thukydides von seiner Verbannung her verstanden werden, auch wenn er sie nicht expressis verbis zu erklären sucht, auch wenn die Ereignisse, die zum Verlust von Amphipolis führten, nicht eigens herausgehoben werden und ungeachtet ihrer persönlichen Bedeutung in der Monografie nicht mehr Platz als andere Begebenheiten beanspruchen. Wie Sallust erst nach seinem Sturz als Politiker Geschichte schrieb, so ist der Historiker Thukydides ein Produkt des Krieges, den er beschreibt. Ohne sein Versagen als Stratege in Amphipolis hätte er die Geschichte des Krieges nicht oder zumindest nicht so geschrieben. Er selbst machte aus der Not eine Tugend. «Ich habe ihn ganz miterlebt, alt genug zum Begreifen und mit voller Aufmerksamkeit, um etwas Genaues zu wissen, und mußte als Verbannter zwanzig Jahre nach meinem Feldzug bei Amphipolis mein Land meiden, war also auf beiden Seiten, auf der peloponnesischen nicht minder, wegen der Verbannung, so daß ich bequem Näheres erfahren konnte.»[22]

Thukydides beginnt seine Monografie über den großen Krieg mit einem Blick in die ältere Geschichte von Hellas, der sogenannten Archäologie. Es folgen Überlegungen zu Methode und Ziel der Darstellung, eine breite Schilderung der Kriegsanlässe und der diplomatischen Vorgeschichte des Krieges. Daran schließt sich der berühmte Exkurs über die Pentekontaëtie an, die fünfzig Jahre relativen Friedens vom Ende des Perser- bis zum Beginn des Bruderkrieges. Das 1. Buch endet mit dem Kriegsbeschluss des Peloponnesischen Bundes und dem Propagandakrieg zwischen Athen und Sparta. Die Bücher 2 bis 8 erzählen jahrweise nach Sommer- und Winterhalbjahr den Kriegsverlauf, 2.1–5.24 den Archidamischen Krieg (431–421), 5.25–8.1 die Zeit des Nikias-Friedens und die Sizilische Expedition (421–413), 8.2–109 die Anfänge des Dekeleischen Krieges (414–411/0). Kurz nach der Schilderung der Schlacht von Kynossema (410) bricht das Werk ab.[23]

Von den 27 Jahren des Peloponnesischen Krieges erlebt Perikles nur zwei. Ganze 60 Teubner-Seiten dauert sein Auftreten in dem 500 Seiten starken, Fragment gebliebenen Werk des Thukydides. Der Perikles der Pentekontaëtie wird nur dreimal, jedes Mal im Zusammenhang mit militärischen Aktionen, erwähnt.[24] Thukydides lässt den Alkmeoniden erst im unmittelbaren Vorfeld des Peloponnesischen Krieges, im Winter 432/31, zu Wort kommen, um es ihm im Sommer 430 bereits wieder zu entziehen. Mit einem Satz handelt er das letzte Lebensjahr des Perikles ab.

Die Faszination, die das Perikles-Bild dennoch ausübt, geht von den vier Reden aus, die Thukydides seinen Protagonisten halten lässt: der Kriegsrede vom Winter 432/31, der Rede über die Ressourcen Athens vom Sommer 431, der Grabrede auf die attischen Gefallenen vom Winter des Jahres und der sogenannten Trostrede aus dem folgenden Sommer 430. Über die Authentizität der vier Reden ist eine Diskussion entbrannt, die zu den unendlichen der Althistorie und Altphilologie zählt. «Wie meiner Meinung nach ein jeder in seiner Lage in etwa sprechen mußte», werde er die Reden niederschreiben, hat Thukydides seine Absicht eingangs des Werkes erklärt[25], Absicht und Gelingen waren freilich zweierlei.

Das Kriegsplädoyer, das Thukydides Perikles am Ende des 1. Buches in den Mund legt (432/31), verarbeitet die Erfahrung des sizilischen Desasters (415–413). Post festum wusste auch der Historiker, wie der Krieg gegen Sparta gewonnen worden wäre, konnte aber seine späte Erkenntnis im Futur formulieren, da er sie seinen fiktiven Perikles – als Kriegsmaxime getarnt – schon im Winter 432/31 aussprechen lässt: Athen werde siegen, wenn es seine Herrschaft während des Krieges nicht ausbreite und keine selbst gewählten Gefahren auf sich nehme (1144.1) Die zweite Rede, von Thukydides vor die Schilderung der ersten Spartanerinvasion gestellt, enthält neben dem kurz gestreiften Kriegsplan im Wesentlichen nur statistisches Material über die Machtmittel Athens. Originäre politische Überlegungen des Perikles, wenn auch durch das Genos epideiktikon (Gelegenheitsrede) eingeschränkt, gibt in geringem Umfang die Grabrede (Epitaphios) wieder. Bisweilen wurden Epitaphioi wie der des Demosthenes (338 v. Chr.) oder der des Hypereides (323 v. Chr.) publiziert, sodass sich Thukydides eventuell auf eine Abschrift der Grabrede stützen konnte, doch spricht Plutarchs dezidierte Aussage dagegen, Perikles habe außer Volksbeschlüssen nichts Schriftliches hinterlassen.

Die wichtige vierte und letzte der von Thukydides eingeschobenen Reden bildet zusammen mit der anschließenden Würdigung des Perikles, die gleichzeitig eine Bilanz des Gesamtkrieges zieht, eine Einheit, und es spricht alles dafür, dass sie auch mit dieser zusammen, also frühestens im Jahre der Kapitulation (404), verfasst wurde. «Glaubt ja nicht, der Kampf gelte nur der einen Entscheidung: Knechtschaft oder Freiheit; nein, es droht euch der Verlust des Reiches, und Gefahr bedeutet der Haß, den ihr euch durch eure Herrschaft zugezogen habt … Denn eine Art Tyrannis ist ja bereits eure Herrschaft, die ihr ausübt; sie zu ergreifen mag ungerecht scheinen, sie loszulassen [ist] aber lebensgefährlich.»[26]

Nach Thukydides fielen diese Sätze im Sommer 430, ungefähr ein halbes Jahr nach dem Preisgesang auf die große Erzieherin Athen, der Schule von Hellas, den Perikles im Epitaphios anstimmt: «Unsere Stadt ist die einzige heute … die im Feind nicht Unwillen erregt, welche Art von Leuten ihm Leid zufüge, und im Untertan nicht Ärger, er werde von Unwürdigen beherrscht.»[27] Der Umschwung im Bilde der Bündner, der zwischen beiden Reden statthatte, mag ein Ergebnis der Erfahrung eines halben Jahres sein; wahrscheinlicher aber ist, dass er die Erlebnisse von 26 Jahren widerspiegelt und dass diese nicht Perikles, sondern Thukydides gemacht hat. Weite Passagen der Rede sind nur von der Niederlage des Jahres 404 her verständlich. Sie korrespondieren mit den Erkenntnissen über den Hass der Bundesgenossen/Untertanen und dessen Folgen für Athen im sogenannten Melierdialog, einem inhaltlich und formal zentralen Text, der frühestens 415 niedergeschrieben worden sein kann, vermutlich aber auch erst nach 404 ausformuliert wurde.[28]

Thukydides betrachtete und schilderte Perikles vom Ausgang des Krieges her, nicht als Zeitgenosse der Ereignisse von 431/30. Die einleitende Behauptung, er habe mit der Beschreibung des Krieges zwischen Peloponnesiern und Athenern sogleich bei dessen Ausbruch begonnen, «in der Erwartung, er werde bedeutend sein und denkwürdiger als alle vorangegangenen»[29], verdient – abgesehen davon, dass sich die Beteuerung durch den Gebrauch des Aorists selbst widerlegt – wenig Glauben. Unter dem Eindruck einer geschlagenen, ihrer Herrschaft beraubten, einer wirtschaftlich erschöpften, ausgebluteten und demoralisierten Stadt glorifizierte Thukydides den Staatsmann, der in seiner Rückschau das untergegangene machtvolle Athen verkörperte. Den Aufstieg des Alkmeoniden zum ersten Mann des Staates hatte Thukydides nur als Kind erlebt, der Exkurs über die Pentekontaëtie zeigt jenen nur als Randfigur. Zu bezweifeln ist sogar, dass Thukydides, Angehöriger der mit den Alkmeoniden verfeindeten Sippe der Philaiden, bereits im Jahre 431 der Bewunderer des Perikles war, als der er sich in seiner Monografie gibt. Perikles musste früh, das heißt in der Anfangsphase des Krieges, sterben, um in Thukydides’ Werk als Heros wiedergeboren zu werden.[30]

 

Geschichtsklitterung ist das Vorrecht der Sieger. Thukydides konnte und musste sich bemühen, ungeschönt die Kriegstaten und -verbrechen seiner Heimatstadt zu schildern, da diese unterlegen war. Nicht nur bei den Verbündeten Spartas, sondern auch unter den meisten Poleis des Seebundes galten Athen und Perikles als Urheber des Krieges. Mitverantwortlich muss in den Augen der griechischen Öffentlichkeit aber auch Thukydides gewesen sein. Er entstammte der athenischen Oberschicht, war in einer Phase besonders rücksichtsloser Kriegsführung in der nördlichen Ägäis als General tätig gewesen und zu einer Zeit zum Strategen gewählt worden, als Athen die Bündner mit einer Verdreifachung der bis dato gezahlten Tribute erpresste. Das Dilemma, in dem Thukydides steckte, war, dass die Antworten, die der Historiker auf der Suche nach den Hintergründen des Krieges fand, die Zensur des gescheiterten Generals passieren mussten. Während jener – cum grano salis – ein ungeschminktes Bild des Krieges entwerfen konnte, musste dieser sich und anderen Rechenschaft über seine Rolle geben. Das Resultat war, ihm bewusst oder nicht, eine Rechtfertigung des Krieges und dessen Befürworters Perikles: Der Krieg erscheint bei Thukydides als zwangsläufig, die von Perikles gewählte Strategie als einzig mögliche. Vor dem Hintergrund der Niederlage exkulpierte die eine Argumentation Thukydides als attischen Politiker, die andere als Strategen, jene wies Kritik von außen zurück, diese von innen.

 

Thukydides’ Interesse erwachte, als Perikles tot war; zu Lebzeiten konnte sich der Alkmeonide vor allem der Aufmerksamkeit der Komödiendichter sicher sein. Sie fanden an ihm wie an dem Gerbermeister Kleon, dessen Aufstieg nach Perikles’ Tod begann, ideale Ziele, die zu attackieren umso mehr lohnte, als beide Politiker den Angriffen mit besonderer Empfindlichkeit und Humorlosigkeit begegneten, ja sie sogar mit Gesetzen und Prozessen zu unterbinden suchten. Anders als es die Moderne wollte, vergifteten die Komödiendichter freilich nicht das Klima, sondern reagierten auf ein vergiftetes Klima. Teils hämisch, teils gutmütig schossen sie Sottisen ab, verspotteten Staatsmänner und solche, die sich dafür hielten. Wenn sie Aspasia, Perikles’ zweite, aus Milet gebürtige Frau, als Hetäre verunglimpften[31], sie mit Omphale, Deianeira (Geliebte bzw. Frau des Herakles)[32] und – naheliegend – mit Hera gleichsetzten: «Daß sie seine Hera werde, gebar Katapygosyne [die Geilheit] ihm ’ne hundeäugig freche Kebse»[33], so pflegten sie auch die Vorurteile, die die Athener gegen gebildete Frauen und Fremde hegten; wenn sie Perikles in vielerlei Gestalt auf die Bühne zitierten, so erfüllten sie einen politischen Auftrag; wo sie sein Bild verzerrten, dort zur Kenntlichkeit. «Kratinos, Eupolis und Aristophanes nebst allen anderen Dichtern von der alten Komödie nahmen sich die Freiheit, jeden, den böse Sitten oder Übeltaten der Ahndung würdig machten, auf die Bühne zu stellen; und kein Taugenichts, kein Dieb, kein Ehebrecher und kein Mörder war vor ihrem Strafamt sicher», schrieb Horaz.[34]

Die Komödie höhnte über die missgestaltete Kopfform des Perikles, die bald zu dessen Markenzeichen wurde («Da kommt der zwiebelförmige Zeus einherstolziert, behelmt mit des Odeions Bau …»[35]), warf ihm politische Unfähigkeit vor[36], Abhängigkeit von schlechten Beratern, zögerliches Handeln beim Bau der langen Mauern, willkürliche Machtausübung (έξουσία) oder – in einer späten Phase – Kriegstreiberei[37]. Wenn sie ihn mit Zeus identifizierte, als Feigling denunzierte[38] oder als Frauenheld und Lebemann[39] persiflierte, so zählte dies seit Peisistratos’ Zeiten zur Tyrannentopik[40]: «Mit Stasis [Personifikation des Bürgerzwists] in Liebe sich einend zeugte Kronos, der uralte, den größten der Tyrannen; die Götter nannten ihn den Köpfeversammler [kephalegeretes]», formulierte Kratinos[41] und karikierte in Anspielung auf den Wolkenversammler (nephelegeretes) Zeus den Personenkult, den Perikles mit der Aufstellung zahlreicher Ehrenstatuen betrieb. Die «neuen Peisistratiden» titulierte ein unbekannter Komödiendichter den Kreis der Speichellecker, mit dem sich der «erste Mann des Staates» umgab.[42]

Keine der zu Lebzeiten des Perikles aufgeführten Komödien ist erhalten, einige wenige Fragmente überliefert jedoch Plutarch. Die Auswahl ist folglich selektiv, doch bestätigt Aristophanes in seinen späteren Werken das negative Bild, das die Fragmente zeichnen.[43]

 

Im 4. Jahrhundert v. Chr. wusste Athen nur noch wenig von Perikles, und dieses wenige suchte die Stadt zu verdrängen, da sich für die Griechen in der Person des Strategen die Schrecken der attischen Arché (Herrschaft) verkörperten. In den Schriften der Redner, Philosophen, Historiker und Publizisten kommt Perikles außer in Nebensätzen nicht vor. Was über den angeblich mächtigsten Mann der Pentekontaëtie verbreitet wurde, sind Gemeinplätze. Xenophon benutzt Perikles nur als Folie zu einem Lob des Themistokles: Jener habe sich das Volk durch Zauberworte (ἐπῳδαί) geneigt gemacht, dieser es durch Taten an sich gekettet.[44] Platon schildert ihn durch den Mund des Sokrates als Muster eines – sit venia verbo – populistischen Politikers: Volksverführer, nicht Volksführer. Perikles habe die Athener zu einem faulen und feigen, geschwätzigen und geldgeilen Volk erniedrigt.[45] Allein der Publizist Isokrates, Gegner Platons, fand in seiner Rede über den Vermögenstausch (Antidosis), einer Mitte der fünfziger Jahre geschriebenen Polemik gegen den Philosophen, anerkennende Worte für Perikles und pries dessen staatsmännische Gerechtigkeit, Weisheit, Mäßigung und Einsicht. Im 27 Jahre zuvor veröffentlichten «Panegyrikos», einer patriotischen Würdigung des alten zum Nutzen des neuen Athen, hatte er Perikles noch als Persona non grata behandelt.[46]

Die Historiografie des 4. Jahrhunderts führte das unvollendete Werk des Thukydides fort, schenkte aber ansonsten der klassischen Zeit kaum Beachtung. Theopomp von Chios fügte seinen Philippika einen Exkurs über die attischen Demagogen ein, zu denen er Perikles zählte.[47] Die nur fragmentarisch überlieferte Schrift ist ein Pamphlet im Propagandakampf gegen Athen, verfasst für den Gastgeber und Mäzenaten, König Philipp von Makedonien, ihr Aussagewert gering. Ephoros aus der kleinasiatischen Provinzstadt Kyme schrieb ohne den Hass des unterworfenen Verbündeten wie Stesimbrotos von Thasos oder Duris von Samos. Antiathenische Ressentiments lagen ihm fern, im Gegenteil, seine Universalgeschichte nimmt Partei gegen Sparta. Negativ ist allein sein Urteil über Perikles, den er der Unterschlagung bezichtigt und als Kriegstreiber schildert.[48] Selbst die Atthidografen, Verfasser attischer Lokalchroniken (Atthis), sahen ihren Landsmann Perikles in wenig günstigem Licht.[49]

Eine Atthis, nämlich die des Androtion, benutzte Aristoteles für seine Materialsammlung zum Staat der Athener. Eine knappe Seite widmete er dabei dem Mann, dessen Namen (angeblich) für Athens Blütezeit stand. Aristoteles schreibt ihm, chronologisch irrig, das opportunistische Bürgerrechtsgesetz zu sowie, inhaltlich falsch, die Entmachtung des Areopags. Mit dem pejorativ verwendeten Begriff δημαγωγεῖν charakterisiert er den Aufstieg des Perikles zum Volksführer: Alle Maßnahmen zur Demokratisierung wie die Besoldung der Gerichte dienten Perikles nur zu dem Zweck, seine Machtposition im Staat zu stärken. Folgt man Aristoteles, bleibt als originäre Leistung des Perikles, dass die Verhältnisse unter dessen Nachfolgern noch schlimmer wurden, er nur Etappe, nicht Endpunkt eines Niederganges war.[50]

 

Rom interessierte sich mehr für die makedonische Herrschaft denn die klassische Zeit der Griechen. In den «Philippica» des Pompeius Trogus, einer Weltgeschichte aus dem 1. Jahrhundert v. Chr., schrumpft die Darstellung der Pentekontaëtie auf wenige Kapitel des dritten und vierten Buches zusammen. Perikles tritt, jedenfalls in der Epitome (Auszug) des Iustin, nur noch als Feldherr des Samischen und des Peloponnesischen Krieges auf.[51] Das reduzierte Bild des Thukydides zeigte Wirkung. Auch Diodor von Sizilien, dessen kurz vorher publizierte Weltgeschichte für die Zeit von 480 bis 301 vollständig überliefert ist, weiß wenig mehr über Perikles. Er erwähnt ihn als Feldherrn bei kleineren militärischen Aktionen der Jahre 455, 453 und 446/45. Von der Unterwerfung von Samos abgesehen, bleibt auch bei Diodor als Perikles’ Verdienst nur, spartanische Könige erfolgreich bestochen und – Diodor folgt Ephoros – den Peloponnesischen Krieg angezettelt zu haben.[52] Der literarisch Gebildete der späten Republik und der Kaiserzeit kannte Perikles als außergewöhnlichen Redner[53], als Schüler des Anaxagoras[54], als Kollegen des Sophokles im Samischen Krieg[55] und als beliebte Zielscheibe des Komödienspotts[56]. Unter den sechs Viten, die Cornelius Nepos (1. Jahrhundert v. Chr.) über berühmte Athener des 5. Jahrhunderts schrieb, fehlt die des Perikles.

 

Was an Informationen über Perikles die hellenistischen Jahrhunderte überdauert hatte, trug Plutarch zusammen[57]; anders als in seinen übrigen «Bioi» konnte er nicht auf eine Vorgängerbiografie zurückgreifen. Aus der zeitgenössischen Literatur kannte Plutarch neben Herodot und Thukydides ein gegen die attische Demokratie gerichtetes Pamphlet des Stesimbrotos von Thasos, «Über Themistokles, Thukydides (Melesiou) und Perikles» betitelt[58], dem er offenbar wie den Erinnerungen (ἐπιδημίαι) des Ion von Chios[59] ausschließlich Auskünfte über das Privatleben des Perikles entnahm. Beide Autoren geben Anekdotisches oder Stadtklatsch wieder, der ihnen seit ihrem Aufenthalt in Athen geläufig war. Die attischen Komödiendichter zitiert Plutarch meist aus dem Gedächtnis. Sieht man von den Urkunden ab, die der Aristotelesschüler Krateros sammelte, stammen alle weiteren in die Perikles-Biografie eingeflossenen Nachrichten bereits aus zweiter Hand, von Historikern und Atthidografen des 4. und 3. Jahrhunderts wie Theopomp, Ephoros, Duris von Samos und Philochoros, von den Philosophen Platon und Aristoteles, ihren Nachfolgern, den Sokratikern, Peripatetikern, Epikureern oder Skeptikern wie Aischines von Sphettos, Theophrast, Herakleides Pontikos, Idomeneus von Lampsakos oder Timon von Phleius.

Der Aufbau der Biografie ist einfach. Plutarch erzählt im wesentlichen chronologisch, ordnet dieses Prinzip aber, wo notwendig, thematischer Geschlossenheit unter. Sofern Begebenheiten Unterschiedliches illustrieren sollen, werden sie auch doppelt berichtet. Dem Prooimion folgen fünf Kapitel über Herkunft, Lehrer und Ausbildung des Perikles (3–6) sowie ein Exkurs über die (un)politischen Anfänge (7). Der Hauptteil gliedert sich, unterbrochen von einer Passage über den Strategos Perikles (18–20), in die Abschnitte Innen- (9–17) und Außenpolitik (20–37). Der erste schildert den Aufstieg des Perikles zur Macht im Kampf gegen Kimon (9–10), die Behauptung der Macht in der Auseinandersetzung mit Thukydides Melesiou (11–14) und die Akmé; der zweite die Expansion Athens in der Pentekontaëtie (21–28) sowie den Ausbruch und die Anfänge des Peloponnesischen Krieges. Die Biografie schließt mit dem Tod des Helden und einer Gesamtwürdigung seiner Person (38–39).

Wenn er auch zuweilen Quellenkritik betreibt[60], so versteht sich Plutarch nicht als Historiker. Mit seinen «Bioi» möchte er Paradeigmata geben, Lebensvorbilder. Die pädagogische Absicht bestimmt die Auswahl der Texte. Plutarch lag es fern, Geschichte zu klittern, doch ließ er sich oft nicht von den Quellen leiten, sondern vom Wunsch, nachahmenswerte Exempla zu entwickeln. Ungünstige Zeugnisse unterdrückte er nicht (oder selten), versuchte aber, sie zu widerlegen oder zu entkräften. Das Verfahren bewährte sich, nur in einem Fall blieb der Versuch fern vom Gelingen, in dem des Perikles. Nahezu alle Autoren, die Plutarch zurate zog, hatten Abträgliches über seinen Helden zu berichten: Stesimbrotos, Ion, Telekleides, Aristophanes, Duris, Idomeneus, Hermippos, Kratinos, Aristoteles oder Platon. Umgekehrt erwies sich eigentlich nur ein Zeugnis als durchgehend positiv, das des Thukydides. Plutarch begegnete den Anschuldigungen mit Gegenbelegen oder Beweismitteln e silentio (dem Hinweis auf das Schweigen zuverlässiger Gewährsmänner), mit Argumenten ad hominem wie im Falle des Duris[61] und des Stesimbrotos[62], im Fall der Komödie auch mit Argumenten zur Sache. Wo schließlich Thukydides’ Zeugnis allein gegen ein Übergewicht an Kritik stand, verzichtete der Biograf auf eine Apologie des Helden und flüchtete sich in Resignation: Die Wahrheit aber liege im Dunkeln.[63]

Um über Plutarchs Perikles hinauszukommen, mussten sich die modernen Gelehrten eines historiografischen Tricks bedienen. Wie Plutarch projizierten sie zunächst den Thukydideischen Perikles der letzten Jahre auf die Zeit vor dem Ostrakismos des Kimon (461) bzw. des Bürgerrechtsgesetzes (451), dann erklärten sie die Epoche von 461 bis 429 zu der des Perikles, um schließlich in allen außen- wie innenpolitischen Vorgängen dieser Zeit, sofern sie von Erfolg geprägt worden waren, die «Handschrift» des Perikles entdecken zu können. Eine große Zeit bedurfte eines großen Mannes und eines Namens.[64]

Athen und Perikles (500–452)

Geburt und Abstammung

Das 5. Jahrhundert war noch jung, als die Athenerin Agariste, die Tochter des Hippokrates aus dem Geschlecht der Alkmeoniden, vermählt mit Xanthippos, dem Sohn des Ariphron, ein Traumgesicht sah. «Ihr war, als gebäre sie einen Löwen. Nach wenigen Tagen», so fährt der Historiker Herodot fort, «gebar sie dem Xanthippos den Perikles.»[65]

Die Anekdote stammt sicherlich aus der Umgebung des Perikles. Ob Agariste sie erfand oder Perikles selbst das erste Ammenmärchen über seine Biografie in Umlauf brachte, steht dahin. Herodot verbreitete die Geschichte jedenfalls wunschgemäß, und die Nachwelt war sich schnell einig: Der Löwe symbolisiere «Stärke, große Taten, Sieg und Herrschaft», Herodots Bericht von der träumenden Agariste sei eine Verbeugung vor dem großen Staatsmann Perikles. Dass diesem und seiner Umgebung an solcher Deutung gelegen war, ist zu vermuten. Vielleicht jedoch war der Historiker klüger als sein Mäzen. In antiken Traumbüchern wie dem des Artemidor prophezeit der Löwe auch Krankheit, Gefahr und Bedrohung.